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Archiv "Medizinstudium: Offene Türen eingerannt" (09.11.2012)

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A 2254 Deutsches Ärzteblatt

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Heft 45

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9. November 2012 lebendigen und erlebenden Men-

schen geht.

Schon seit G. v. Bergmann, L. v.

Krehl und V. v. Weizsäcker war im Grundsatz in der naturwissenschaft- lichen Medizin das Primat der pa- thologischen Anatomie über das Le- bendigsein des menschlichen Orga- nismus gebrochen und die funktio- nellen, lebendigen Prozesse in den Vordergrund gerückt . . .

Dr. med. Hans-Martin Rothe, Chefarzt der Klinik für Psychosomatische Medizin und Psychotherapie, Städtisches Klinikum Görlitz gGmbH, 02828 Görlitz

Das Trauma des Todes

. . . Schon während meines Studi- ums habe ich mich gefragt, ob man nicht mit weniger Leichen auskom- men könnte und an Modellen lernen könnte. Heute könnten dazu natür- lich Sonographie, CT, MRT und Computersimulationsmodelle hin- zukommen, um den gleichen Lern- effekt zu erzielen.

Als Lehrbuch benutzten wir damals (1990) in Frankfurt am Main „den Schiebler“, wo die anatomischen Strukturen sehr abstrakt beschrie- ben werden; die Visualisierung in räumliche Strukturen fiel mir sehr schwer. Den „Lippert“ gab es da- mals als Lehrbuch noch nicht. Bei der Ablegung des amerikanischen Vorexamens fiel mir auf, dass die amerikanischen Atlanten weniger detailliert sind und beim Vor- examen weniger Wert auf Anato- miekenntnisse gelegt wird, ohne dass dies der Qualität der amerika- nischen Medizin zu schaden scheint.

Die Ideen von Prof. Lippert schei- nen mir vernünftig, und man sollte sie an einigen Fakultäten ausprobie- ren. Wenn sie sich nach einigen Se- mestern bewähren sollten, sollte man sie bundesweit in die Anato- miekurse integrieren.

Dr. Manfred Kerschreiter, 86154 Augsburg

Offene Türen eingerannt

In diesem Update seiner seit mehr als drei Jahrzehnten bekannten und von vielen geschätzten Positionen formuliert Herr Kollege Lippert ei- ne Frage, die seit der Antike immer wieder gestellt wird: Was nützt das

Studium der Toten dem Verständnis der Lebenden? Mit seinem Plädo - yer für eine „Anatomie am Leben- den“ rennt er aber heute mehr denn je offene Türen ein. Es gehört selbstverständlich zur anatomi- schen und vorklinischen Ausbil- dung, das im Präpariersaal Beob- achtete am Körper des Lebenden, zumal auch dem eigenen, nachzu- vollziehen. So erkennen die Studie- renden in der Vorklinik, dass sie schließlich die „eigene“ Anatomie erlernen. Man braucht dafür nicht einmal wertvolle Anatomiestunden zu verwenden, sondern nutzt curri- culare Lehrveranstaltungen, wie zum Beispiel die „Einführung in die klinische Medizin“. Das Palpie- ren der A. tibialis posterior jedoch als wertvoller als ihre Präparation zu deklarieren, verkennt den Wert des Präparierkurses am konservier- ten Leichnam. Es ist nicht nur die Übung manueller Fertigkeiten, . . . viel wichtiger sind die Übung in genauer Beobachtung und Be- schreibung und der Zwang, beim selbstständigen Aufsuchen der Strukturen „Differenzialdiagnose“

zu betreiben: Ärztliche Grundkom- petenzen werden erlernt und, fast als Nebenprodukt, die anatomi- schen Details. Jeder Absolvent des Präparierkurses weiß, dass die selbst präparierten Strukturen bes- ser „begriffen“ und so auch besser kognitiv verankert sind . . .

Und ein weiterer Aspekt wird über- sehen: Im Präparierkurs erlebt der angehende Arzt das erste Mal in ei- nem geschützten professionellen Kontext „Hand an einen (wenn- gleich auch toten) Menschen zu le- gen“ und erkennt dabei, auf welch besonderen Beruf er sich einlässt.

Aufgabe des anatomischen Lehrers ist es, ihn dabei zu einem respekt- vollen Umgang mit dem (in diesem Falle toten) Menschen zu erziehen.

Als junger Arzt wird er mit seinen Patienten erst recht respektvoll umgehen (ut mortuis, sic vivis): Er hat eine weitere ärztliche Grund- kompetenz erworben. Der Präpa- rierkurs ist eben gerade nicht die Basis für die Unmenschlichkeit der modernen Medizin, wie Herr Kol- lege Lippert seinerzeit behauptet hatte.

Darüber hinaus enthält der Aufsatz jedoch etliche Anregungen, die be- herzigenswert sind. Zwar sollte der obligatorische Präparationskurs nicht aus der Vorklinik verbannt werden, doch sollte er in adäquater Form wieder einen Platz im klini- schen Abschnitt des Studiums und vor allem, auf Fortgeschrittenen - niveau, in der Weiterbildung zu den operativen Disziplinen erhalten . . . Der enorme Andrang zu (allerdings teuer zu bezahlenden) Weiterbil- dungskursen am anatomischen Prä- parat sollte hier ein Umdenken ver- anlassen. Da sollte man auf den Alt- meister durchaus hören.

Prof. Dr. med. Winfried Neuhuber, Direktor des Instituts für Anatomie, Friedrich-Alexander-Univer- sität Erlangen-Nürnberg, 91054 Erlangen

Anatomen müssen ihr Berufsbild überdenken

. . . Grundsätzlich teile ich Herrn Lipperts Ansichten, befürchte je- doch, dass er die aktuellen didakti- schen Möglichkeiten anatomischer Institute in Deutschland erheblich überschätzt.

Die von Herrn Lippert geschilderte klinik- und praxisbezogene Lehre dürfte zurzeit in vielen anatomi- schen Instituten nicht möglich sein, da Mediziner/innen und klinisch- anatomisch versierte Naturwissen- schaftler/innen dort eine langsam aussterbende Minderheit bilden. Es stellt sich daher die Frage, ob das Fach Anatomie in Zukunft über- haupt weiter zur Medizin gehören oder sich nicht vielmehr neben Bio- logie, Physik oder Chemie in den klinikfernen Grundlagenbereich – eventuell sogar in nicht medizini- sche Fachbereiche – einordnen wird. Speziell für junge Mediziner/

innen ist eine Tätigkeit in der Ana- tomie aus verschiedensten Gründen nicht mehr attraktiv. Neben der ge- ringeren Besoldung im Vergleich zur Klinik (Ärztetarif) oder man- gelnder Anstellungsmöglichkeit auf besoldeten Doktorandenstellen fehlt wegen des generellen Bedeutungs- verlusts der Lehre inzwischen ein medizinisch-anatomisches Berufs- bild . . . Ein „Austauschprogramm“

mit klinischen Abteilungen stellt keine nachhaltige Lösung dar, da

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der hohe Konkurrenzdruck Klini- kern/innen längere Ausflüge in die Theorie verbietet. Die Anatomen/

innen sind gefordert, nicht nur ihre Lehrmethoden, sondern ihr Berufs- bild zu überdenken.

Prof. Dr. Birte Steiniger, Institut für Anatomie und Zellbiologie, Universität Marburg, 35037 Marburg

Ein verzerrtes Bild des Anatomieunterrichts

. . . Sicherlich haben anatomische Institute in früheren Zeiten die Lei- chen von Hingerichteten erhalten;

dies war zuletzt auch so in der Zeit des nationalsozialistischen Terrors.

Die Annahme, dass es sich dabei aber meist um junge, und vor allem gesunde Menschen handelte, stellt eine Vermutung dar, die durch keine Fakten belegt ist . . .

Die Umstellung auf willentlich vor dem Tod abgegebene Körperspen- den war – schon aus ethischen Be- trachtungen heraus – eine wesentli- che Änderung im Verständnis und Umgang mit dem Körper. Sie als zwangsläufige Folge der Abschaf- fung der Todesstrafe darzustellen, wird der Geschichte und den han- delnden Personen in den anatomi- schen Instituten keinesfalls gerecht.

Prof. Lippert meint zudem, dass bei Körperspendern extreme Körperfor- men (Kachexie oder Fettsucht) überwiegen, wiederum eine durch keine Daten untermauerte Behaup- tung. Eine kurze Analyse unserer eigenen, in den Präparierübungen für Studierende eingesetzten Kör - per (N = 839) ergibt 21 Prozent kachektische und 16 Prozent adipö- se Verstorbene, es kann also keines- falls von einem Überwiegen ge- sprochen werden. Ebenso ist die Aussage, dass die Knochen „häufig osteoporotisch verformt und mit ar- throtischen Auswüchsen versehen“

sind, durch keinerlei Fakten belegt.

Ähnliches gilt auch für die als häu- fig angenommenen Tumorerkran- kungen; hier zeigt die Analyse der Daten (Todesursachen und Ana - mnesen) unserer Körperspenderin- nen und Körperspender, dass drei Viertel der Verstorbenen keine Tu- morleiden aufwiesen.

Zuzustimmen ist Prof. Lippert, dass die heute verfügbaren bildgebenden

Verfahren den Blick in die Tiefe des menschlichen Körpers ermöglichen, ohne ihn aufzuschneiden. Seiner Forderung, der Anatom solle sich dieser Methoden der modernen Me- dizin bedienen, kommt aber in vie- len Fällen zu spät, da dies an vielen anatomischen Instituten schon – teilweise sehr lange – die Regel und nicht die Ausnahme ist; teilweise gehen sie über Prof. Lipperts Forde- rungen noch weit hinaus.

Der Vorschlag, – zumindest Teile – der Präparierübungen für die Lehre ärztlicher Fertigkeiten zu verwen- den, muss durchaus kritisch gese- hen werden.

Die Anatomie muss die dafür not- wendigen Grundlagen schaffen, so- weit besteht Konsens. Die Fertig- keiten selbst zu lehren, sollte jedoch nicht die Aufgabe der Anatomie sein, sondern muss durch die Klinik am zeitlich richtigen Ort, also zeit- nahe zum anatomischen Unterricht erfolgen. Dem hat ja auch die neue Approbationsordnung insofern Rechnung getragen, als eine ver- stärkte Integration klinischer und theoretischer Inhalte gefordert und auch ermöglicht wird . . .

Literatur bei den Verfassern

Ao. Univ.-Prof. Dr. Erich Brenner, MME (Bern), Ao. Univ.-Prof. Dr. Bernhard Moriggl, O. Univ.-Prof. Dr. Helga Fritsch,

Department für Anatomie, Histologie und Embryolo- gie, Sektion für klinisch-funktionelle Anatomie, Me- dizinische Universität Innsbruck, A-6020 Innsbruck

Fehlentwicklung

. . . Herrn Lipperts Forderung stellt auch, beziehungsweise erst recht aus Sicht der klinischen Disziplinen eine anachrone und folgenschwere Fehlentwicklung dar. Kein Vertreter der operativen Fachgebiete wird ernsthaft daran zweifeln, dass die eigen- und vollständige Präparation des menschlichen Körpers nach wie vor die via regia ist, um die klinisch relevante, topographische Anatomie

„zu erfassen und zu begreifen“. Ei- ne Durchsicht der aktuellen chirur- gischen Literatur zeigt eindrucks- voll, dass insbesondere der subtilen Kenntnis der Anatomie eine maß- gebliche Bedeutung zukommt, um operative Eingriffe embryologisch schichtgerecht, gewebeschonend, komplikationsarm und onkologisch Deutsches Ärzteblatt

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