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Omas Patientensteuerung

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Bayerisches Ärzteblatt 5/2016

235 Meinungsseite | Varia

Anmerkung der Redaktion: Gastkommentare geben die Meinung des Autors und nicht grundsätzlich die Meinung der Redaktion oder der Bayerischen Landesärztekammer wieder.

Autorin

Katja Ewers, Freie Journalistin, Augsburg

die Kassenärztliche Bundesvereinigung kürz- lich erneut ins Feld geführt hat.

Wer All-Inclusive-Mentalität und Flatrate- Inanspruchnahmen wirksam die Stirn bieten will, müsste konsequenterweise das Tabu um noch radikalere Maßnahmen aufheben und zum Beispiel das Thema Kostenerstattung statt Sachleistungsprinzip in der GKV für die Diskus- sion zulassen. Oder hinterfragen, ob es unter den jetzigen Rahmenbedingungen finanziell zu stemmen ist, die Beitragssatzstabilität „wie eine Monstranz am Fronleichnamszug“ vor sich her- zutragen, wie es der Vorsitzende des Gemeinsa- men Bundesausschusses jüngst formulierte.

In jedem Fall ist ein Umdenken erforderlich: bei Patienten, aber auch bei Ärzten, Kassen und in der Politik. Jede medizinische Neuerung, jede technisch innovative Diagnosemethode ist un- ter den jetzigen Bedingungen nicht zu haben.

Derweil vertraue ich bei Erkältung, Muskelka- ter und Fieber auf Omas Hausmittel und hoffe, dass ich mir, sollte ich irgendwann ernsthaft, gar lebensbedrohlich erkranken, qualifizierte ärztliche Diagnostik und Therapie noch werde leisten können.

Wenn meine Brüder und ich früher erkältet waren, gab es Hustentee, Kamillendampf- inhalation und Omas Order, nur ja nicht he- rumzutoben. Und natürlich aufmunternde Worte: „Nicht schlimm, das wird schon wie- der!“ Denn Oma wusste noch: Ein Husten dau- ert drei Wochen – eine Woche kommt er, eine Woche steht er, eine Woche geht er.

Dieses Wissen um körperliche Heilungsprozes- se, das Vertrauen in die Effizienz des mensch- lichen Immunsystems und die Beachtung sim- pelster Gesundheitsregeln (wenn man erkältet ist und gar noch Fieber hat, braucht der Körper Ruhe) scheinen aber einer schnelllebigen, ei- nem regelrechten Optimierungszwang unter- worfenen Gesellschaft abhandengekommen zu sein. Optimal funktionieren muss dann eben auch der Körper. Tut er das nicht, soll der Arzt fix Abhilfe schaffen. Niedergelassene bekla- gen, dass Patienten mit reinen „Befindlich- keitsstörungen“ ihre Praxen blockierten, Zeit in Anspruch nähmen, die für die Behandlung ernsthaft erkrankter Patienten fehle. In der Tat steigt die Zahl der Arzt-Patienten-Kontakte seit Jahren – derzeit liegt sie zwischen zehn bis 18 Besuchen pro Kopf und Jahr. Die Statistiken sind sich hier nicht ganz einig. Fakt ist aber:

Der Trend zeigt unbeirrt nach oben. Abhilfe konnte da auch die Praxisgebühr als Steue- rungsinstrument für den Zugang zum System nur kurzzeitig schaffen.

Eine deutliche Sprache sprechen die aktuel- len Zahlen für die Inanspruchnahme der Not- fallambulanzen am Krankenhaus und für die vertragsärztlichen Bereitschaftsdienste. Das Zentralinstitut für die Kassenärztliche Ver- sorgung (ZI) stellte in den Ambulanzen einen sprunghaften Anstieg der Behandlungsfälle um über 14 Prozent fest, im Bereitschaftsdienst stieg die Zahl um zwei Prozent, nachdem die Praxisgebühr 2013 weggefallen war. Gegen- über dem Vorjahr wurden damit in den Kran- kenhausambulanzen über eine Million Patien- ten mehr behandelt. Diese Zahl änderte sich auch 2014 nicht wesentlich.

Vor diesem Hintergrund ist die aktuell viel- diskutierte Patientensteuerung tatsächlich notwendig, will man vermehrte stationäre Ein- weisungen und damit steigende Kosten in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV) ver- meiden. Vorschläge, wie Patienten sich denn steuern ließen, schießen derzeit wie Pilze aus

dem Boden. So überlegt etwa die Kassenärztli- che Vereinigung (KV) Baden-Württemberg, ihr Callcenter gemäß dem Vorbild der Schweizer Dienstleistungsgesellschaft Medgate zu einem telefonischen Beratungsangebot für Patienten mit Bagatellerkrankungen auszubauen. Das Ziel: Der „Patiententyp Arzt Sofort“ soll noch vor den Pforten der Wartezimmer abgefan- gen werden. Charmant an dieser Idee ist, dass die Mitarbeiter einer solchermaßen erweiter- ten Termin-Servicestelle Omas altbewährte Hausmittel und Gesundheitstipps vermitteln könnten. Ob so allerdings tatsächlich an sich steuerungsunwillige Patienten erreicht werden, bleibt eher fraglich. Freiwilligkeit ist in dem Fall kein starkes Stimulans.

Vielversprechender ist da schon der Ansatz, der jüngst aus der Vertreterversammlung der KV Bremen drang, eine Steuerung müsse am Geldbeutel der Patienten ansetzen. Ganz neu ist dieser Vorschlag freilich nicht. Schon vor vier Jahren stellte die Deutsche Gesellschaft für Gesundheitsökonomie ein Konzept vor, das bei jedem Arztbesuch eine Eigenbeteiligung der Patienten von fünf Euro vorsah. Der Ge- danke dahinter: Zuzahlungen als ein Mittel, an das Kostenbewusstsein der Patienten zu appel- lieren, auf wenig wirksame Leistungen zu ver- zichten. Eine Garantie, dass hierbei aber nicht auch – wie bei der Praxisgebühr – der Gewöh- nungseffekt einsetzt, gibt es nicht. Dann wäre den Ärzten in den überfüllten Krankenhaus- ambulanzen und Praxen keinen Deut geholfen, wohl aber der Finanzierung des GKV-Systems.

Wer Patienten langfristig steuern will, um Ärzte in Praxis, Bereitschaftsdienst und Am- bulanz zu entlasten, wird um knallhart per Gesetz vorgegebene Maßnahmen nicht he- rumkommen: Zum Beispiel um ein rigides Pri- märarztsystem, in dem der Hausarzt – oder bei chronisch Kranken auch der die Grund- versorgung übernehmende Facharzt – als

„Gate Keeper“ über den Zugang zu weiteren ärztlichen Leistungen entscheidet. Um Pati- enten mit „reinen Befindlichkeitsstörungen“

abzufangen, kann der Blick nach Schweden oder Finnland sinnvoll sein. Dort übernehmen entsprechend qualifizierte nicht-ärztliche Gesundheitsberufe die Primärversorgung bei kleineren Gesundheitsproblemen und erübri- gen den Arztbesuch in diesen Fällen gänzlich.

Oder um ein System der Wahltarife für die GKV mit Kostenerstattungsaspekten, wie es

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