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Digitales Europa 2030: So fern, und doch so nah

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Academic year: 2022

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Europa 2030:

So fern,

und doch so nah

Drei Szenarien für die Zukunft von politischer Öffentlichkeit und digitaler Souveränität.

Von Cornelius Adebahr, Johannes Gabriel &

Claudia K. Huber

(2)

W

ährend Europa um den Ausbau seiner digitalen Infrastruktur und fehlende Laptops an Schu- len ringt, entscheidet sich die digitale Zukunft außerhalb des Kontinents. Die chinesische App TikTok, für die meis- ten Menschen eine Plattform tanzender Teenager, stellt aus Sicht der US-Regierung unter Donald Trump eine Gefahr für die nationale Sicherheit dar. Mark Zuckerberg kündigt Werbebeschränkungen auf Face- book während des Wahlkampfs an, wäh- rend Trump über Twitter nicht nur seine Feinde, sondern auch seine Ex-Freunde vom Hofberichterstattungssender Fox be- schimpft. In welchem Land chinesische Technologie eine Rolle beim Ausbau von 5G-Netzen spielen darf, ist Gegenstand heftiger nationaler und internationaler Diskussionen. Diese Entwicklungen geben Hinweise darauf, wie zentral digitale Tech- nologien heute nicht nur Kommunikation, sondern auch politische Machtverhältnis- se bestimmen.

Die Corona-Krise hat gezeigt, dass mit Hilfe digitaler Technologien schneller als von vielen erwartet Lösungen gefunden werden können, wenn es um Heimarbeit, eine Warn-App oder die Suche nach einem Impfstoff geht. Sie hat uns aber auch die Verwundbarkeit der westlichen Demo- kratien vor Augen geführt. Das Streuen gezielter Falschinformationen über die Pandemie durch Akteure wie Russland oder China sowie aus der Mitte unserer Gesellschaften ist nur ein Beispiel dafür.

Welche Rolle Europa 2030 in der Welt spielen wird, wie lebendig unsere Demo- kratien sein werden, wie und auf welchen Kanälen wir Informationen bekommen und politische Diskurse führen werden – die Antworten auf all diese Fragen be- einflussen die Gestaltung der politischen Öffentlichkeit in Europa. Inwiefern wir diese tatsächlich gestalten können, hängt

auch davon ab, ob wir gemeinsam digitale Souveränität erlangen werden – das heißt, ob und wie wir Europäer langfristig in der Lage sein werden, im digitalen Raum ei- genständig und im Einklang mit unseren eigenen Werten und Interessen zu han- deln. Für diese braucht es demokratisch verfasste Öffentlichkeiten, weshalb sich beide Faktoren wechselseitig bedingen.

Um der deutschen Europapolitik in dieser herausgehobenen Zeit digitalpoli- tische Impulse zu geben, hat eine inter- disziplinäre ExpertInnengruppe vor der deutschen EU-Ratspräsidentschaft 2020 drei Szenarien erarbeitet, die im Folgen- den dargestellt werden. Dabei geht der Blick bewusst entlang langer Linien in die Zukunft, um der häufig von Bedenken und Ängsten geprägten Debatte über den Status quo etwas mehr Weitsicht hinzu- zufügen. Die Zukunftsbilder sollen eine Grundlage dafür bilden, dass wir heute vorausschauende Entscheidungen für morgen treffen können.

Szenarien sind keine Prognosen. Sie versuchen nicht darzustellen, was sein wird, sondern sind plausible Vorstellun- gen davon, wie sich die Welt langfristig in verschiedene Richtungen entwickeln könnte. Sie machen einen ungewissen Zukunftsraum vorstellbar und helfen dabei, komplizierte Zusammenhänge zu ordnen und das eigene Umfeld besser zu verstehen. Sie fördern das Nachdenken über Zukunft jenseits von Wunschdenken oder Befürchtungen und helfen, unbeque- me Überraschungen zu antizipieren und neue Möglichkeiten zu entdecken. Szena- rien sind ein Mittel, um trotz Ungewissheit handlungsfähig zu bleiben.

Da sie helfen sollen, Handlungsoptio- nen vor dem Hintergrund eigener Wün- sche und Ziele zu erkennen, ist es sinn- voll, diese vorab zu definieren. Für das Szenarienprojekt „Digitales Europa 2030“

Dr. Johannes Gabriel ist Gründer und Geschäftsführer des Beratungsun- ternehmens Fore- sight Intelligence.

Dr. Cornelius Adebahr ist politischer Be- rater und Analyst in Berlin sowie Policy Fellow der Alfred Herrhausen Gesellschaft.

Dr. Claudia K.

Huber leitet das Europaprogramm der Alfred Herr- hausen Gesell- schaft.

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hat die Gruppe vor allem zwei Ziele her- vorgehoben, auf die sich das strategische Handeln europäischer Akteure richten sollte: 1. die Herstellung bzw. Wahrung der Handlungsfähigkeit und Einheit Eu- ropas im digitalen Bereich sowie 2. die Stärkung der Resilienz demokratischer Gesellschaften im digitalen Wandel. Die- se Ziele werden in den drei Szenarien in unterschiedlichem Ausmaß erreicht bzw.

geraten aus verschiedenen Richtungen unter Druck.

Woraus die Zukunft gemacht ist

Im Folgenden skizzieren wir zunächst die Faktoren, welche die ExpertInnen als we- sentlich für die langfristige Entwicklung von politischer Öffentlichkeit und digita- ler Souveränität im digitalen Europa 2030 identifiziert haben.

• Die Qualität der europäischen Integ- ration beschreibt die Bereitschaft der Mitgliedstaaten zur Zusammenarbeit auf EU-Ebene und deren tatsächliche Umsetzung. Dies beinhaltet auch den Grad des gesellschaftlichen Konsenses gegenüber europäischer Integration in den jeweiligen Mitgliedstaaten.

• Technologische (Un-)Abhängigkeit be- schreibt das Angewiesensein der EU auf digitale Technologien und Infra- struktur aus dem Nicht-EU-Ausland.

Dieses drückt sich in den technologi- schen Kompetenzen und der relativen Marktmacht europäischer Unterneh- men aus.

• Grad und Effektivität der europäischen Regulierung digitaler Technologien meinen Art und Wirksamkeit der Regu- lierung von digitalen Akteuren bzw. The- men auf EU-Ebene. Darunter fallen der Datenschutz sowie die Entwicklung der EU als einheitlichem digitalen Raum.

• Desinformation und Integrität von Politik umfassen sowohl den direkten

als auch indirekten Einfluss gezielter Falschinformationen auf den politi- schen Prozess. Ersterer findet beispiels- weise über Wahlen und Institutionen statt; letzterer über den gesellschaftli- chen Diskurs, wie zum Beispiel durch das Verstärken von gesellschaftlicher Polarisierung.

• Journalistische Qualität und media- le Vielfalt beschreiben Qualität und Reichhaltigkeit des Medienangebots auf allen Ebenen im EU-Raum. Dies beinhaltet die Rolle von Journalismus (insbesondere in Form von Qualitäts- journalismus) als möglichem „Gate- keeper“.

• Die strukturelle Formation von Öffent- lichkeit enthält qualitative Merkmale von politischer Öffentlichkeit als kom- munikativer Infrastruktur der (reprä- sentativen) Demokratie. Dabei wird das Wechselspiel technologischer, ökono- mischer und gesellschaftlicher Fakto- ren – von der Bedeutung algorithmi- scher Strukturierung über Fragen der Netzneutralität bis zu den dominanten Praktiken politischer Kommunikation – einbezogen und als ineinander ver- schränkt analysiert.

• Geopolitik und Geoökonomie bezeich- nen die globale Machtbalance und die relative politische und wirtschaftliche Stärke einzelner Akteure. Dieser Fak- tor bezieht sich insbesondere auf die Beziehungen der EU mit den USA und China sowie auf die Auswirkungen von Abschottung und Isolationismus.

Jeder dieser Faktoren kann sich bis in das Jahr 2030 in ganz unterschiedliche Richtungen entwickeln. Die Qualität der europäischen Integration kann sprung- haft ansteigen („Vereinigte Staaten von Europa“) oder stagnieren (das bekannte

„Durchwursteln“). Es kann zu Blockbil- dung innerhalb der EU oder zu ihrem

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Zerfall kommen. Die technologische Kom- petenz bzw. Marktmacht europäischer Unternehmen kann zu- oder abnehmen, ebenso die journalistische Qualität, die politische Desinformation oder die Effek- tivität von Regulierung durch die EU. Die strukturelle Formation der Öffentlichkeit kann atomisiert sein (kaum Kommunika- tion), polarisiert (gegensätzliche Interpre- tation der Wirklichkeit) oder redaktionell (im Sinne einer großen, medienkompe- tenten digital-deliberativen Öffentlich- keit). Schließlich ist geopolitisch bzw.

geoökonomisch ein „chinesisches Zeital- ter“ ebenso möglich wie eine verschärfte Systemkonkurrenz zwischen alter (USA) und neuer Supermacht (China). Auch das Bilden einer multipolaren Ordnung mit mehreren Machtzentren ist denkbar.

Aus diesen sieben sogenannten Schlüs- selfaktoren mit ihren alternativen Ausprä- gungen im Jahr 2030 hat die Gruppe drei Szenarien entwickelt, die in diesem Arti- kel zusammengefasst skizziert werden.

Szenario A beschreibt eine Zukunft, in der das digitale Europa nur sehr bedingt handlungsfähig und in Blöcke gespalten ist. Eine stark polarisierte europäische Öf- fentlichkeit bildet die Systemkonkurrenz zwischen den USA und China ab.

Szenario B illustriert eine Entwicklung, die stark vom globalen Aufstieg Chinas beeinflusst ist. Hier gibt es zwar eine Regulierung des digitalen Ökosystems in Europa, allerdings ist diese nicht mit europäischen Werten konform und somit ist fraglich, inwieweit sie überhaupt den Interessen der EU dient.

Szenario C zeigt, unter welchen Um- ständen wir auch Positives erwarten können: Investitionen in digitale Teil- habe, der Aufbau einer europäischen Medienplattform und das Durchsetzen eigener Standards im digitalen Raum ma- chen deutlich, wie erfolgreicher digitaler Wandel in der EU aussehen und zudem positiv auf die politische Integration wir- ken kann.

A: Das digitale Europa ist nur bedingt handlungsfähig und gespalten

Die ökonomischen Auswirkungen der anhaltenden Corona-Krise treffen die EU-Mitgliedstaaten in sehr unterschied- licher Weise. Die Wunden aus der Staats- schuldenkrise brechen auf, es kommt zu einer Frontenbildung zwischen den so- genannten Geber- und Nehmerländern.

Während die Ungleichheit in Europa deutlich ansteigt, weitet sich die Wirt- schaftskrise zu einer Solidaritätskrise aus, befeuert durch nationalistische Töne und einseitige Medienberichter- stattung in den Mitgliedstaaten.

Verschärfte Systemkon­

kurrenz oder multipolare Ordnung?

Beides ist

möglich

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EU-Skepsis und große Zukunftsunsi- cherheit bieten einen fruchtbaren Boden für Desinformationen. Zudem wird die Legitimität von Wahlergebnissen häufiger infrage gestellt. Außerdem untergraben Desinformationskampagnen mit kom- promittierenden Videos und Fotos immer öfter und gezielt die Reputation von Regie- rungsvertreterInnen.

US-amerikanische und chinesische Di- gitalunternehmen haben die Wirtschafts- krisenjahre 2020 bis 2023 indes recht gut überstanden. Sie drängen in Europas digitalen Raum, um mit der Verbreitung ihrer technischen Standards, Dateninfra- strukturen und Dienstleistungen ihre Marktmacht zu vergrößern. Da der di- gitale Binnenmarkt der Europäischen Union durch die Solidaritätskrise stark geschwächt ist, reagieren die Mitglied- staaten unterschiedlich auf den steigen-

den Einfluss: Griechenland, Italien und einige der Visegrád-Staaten akzeptieren chinesische Kredite zu Sonderkonditio- nen für den Aufbau digitaler Netzinfra- struktur. Andere Staaten positionieren sich mit Verweis auf Sicherheitsinteres- sen auf Seiten der Vereinigten Staaten und verweigern chinesischen Unternehmen den Marktzugang.

Bis 2027 entstehen statt eines einheit- lichen digitalen Binnenmarkts in Europa zwei Technosphären unter amerikani- schem bzw. chinesischem Einfluss. Diese dominieren auch die für öffentliche Kom- munikation kritischen Infrastrukturen, während die digitale Innovationsfähig- keit europäischer Unternehmen stark eingeschränkt ist.

Weil die journalistische Qualität und die Reichweite öffentlich-rechtlicher Rundfunkanbieter in den EU-Mitglied-

2020 2030

Wirtschaftskrise &

Solidaritätskrise

Fragmentierung der Medienlandschaft &

Polarisierung des Diskurses

Entstehung von Technosphären &

digitale Spaltung

Legitimations- verlust der EU

SZENARIO C

SZENARIO A SZENARIO B Szenario A:

Bedingt handlungsfähig und gespalten

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staaten abnehmen und immer mehr Menschen fast ausschließlich persona- lisierte, algorithmisch gesteuerte Nach- richtenkanäle nutzen, findet zudem eine regelrechte Zersplitterung der Realitäts- wahrnehmung statt.

Der sehr unterschiedliche Status quo in der Digitalisierung in den Mitglied- staaten und die entgegengesetzte stra- tegische Orientierung an den USA bzw.

China führen zu einer allgemeinen politi- schen Lähmung auf der EU-Ebene. Zudem können digitale Leuchtturmprojekte wie etwa die Schaffung einer europäischen Cloud nicht umgesetzt werden, Regu- lierungsvorhaben für Plattformen und Künstliche Intelligenz (KI) versanden.

Der (digital-)politische Stillstand führt zu einem deutlichen Vertrauensverlust in die EU-Institutionen und in die Politik im Allgemeinen.

B: Das digitale Europa entkoppelt sich von den analogen Grundwerten

Auch in diesem Zukunftszenario führt die Wirtschaftskrise in den Jahren 2020 bis 2022 zu einem deutlichen Anstieg der Ungleichheit in Europa. Antieuropäische Parteien erfahren Auftrieb, es gibt immer mehr EU-kritische Regierungen in Euro- pa. Die europäischen Hilfsprogramme erweisen sich als unzureichend. China ist weit weniger durch die Corona-Krise geschwächt und kann finanziell dort ein- springen, wo EU, USA und Internationa- ler Währungsfonds nicht (mehr) sind, und hilft zahlreichen EU-Staaten mit Krediten und Investitionen aus der Krise.

In den Jahren 2024 bis 2027 löst China die krisengebeutelten USA als globale Leitökonomie ab, während chinesische Digitalunternehmen ihre Marktstellung in Europa immer weiter ausbauen. Vor allem

2020 2030

Wirtschaftskrise – Ungleichheit steigt

Chinesische Digi- talunternehmen investieren in Europa

Wenig Medien- vielfalt & kaum europäischer

Diskurs Regulierung ohne Rückgrat

SZENARIO C

SZENARIO A SZENARIO B Szenario B:

Grundwerte nur auf der Hülle

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die vielen Tochterunternehmen von Ten- cent kaufen hochspezialisierte Unterneh- men im Bereich KI, Robotik, Sensorik und Fintech auf. Sie profitieren davon, dass die US-amerikanische Digitalbranche um Google, Apple, Facebook und Amazon

durch anhaltende Auseinandersetzungen mit dem Kongress in Washington gehemmt ist. Hinzu kommen eine Reihe von Skan- dalen um Daten-Leaks bei den großen Di- gitalplattformen, die ihre Reputation auch im US-Markt stark beschädigen. Durch die Investitionen chinesischer Unternehmen können Arbeitsplätze am Standort Europa erhalten und die Wachstumsaussichten der Unternehmen verbessert werden.

Somit ist die Innovationsdynamik der europäischen Wirtschaft eng mit dem Wohlergehen der chinesischen Wirtschaft und den Interessen der Regierung in Pe-

king verknüpft. Beispielhaft zeigt sich dies in dem Moment, als die Europäische Kommission im Jahr 2029 die von ihr vo- rangetriebene Verordnung für eine wett- bewerbsfähige und werteorientierte KI zurückzieht. Zwei chinesische Konzerne hatten für den Fall der Verabschiedung mit einem Rückzug aus dem europäischen Markt gedroht.

Das Medienangebot in vielen EU-Staa- ten wird weniger vielfältig. Einige Re- gierungen bemühen sich zwar, durch unterstützende Maßnahmen die Unabhän- gigkeit von Journalismus zu wahren. Doch konsolidiert sich die Medienlandschaft immer weiter. Europapolitische Themen werden zunehmend unsichtbar in einem medialen Umfeld, das sich entpolitisiert und den Fokus auf Unterhaltung und Sportberichterstattung legt.

Chinas Einfluss auf Wirtschaft, Poli- tik und Gesellschaft in Europa verändert auch die politische Kultur. Punktuelle Einschränkungen oder Selbstbeschrän- kungen der freiheitlich-demokratischen Spielregeln im digitalen Raum nehmen die NutzerInnen in Kauf: Sie wollen von kostenlosen und benutzerfreundlichen Datendiensten profitieren – zumindest solange sie nicht direkt von Zensur be- troffen sind. Dieser Pragmatismus in der Auswahl von digitalen Datendiensten und Plattformen führt auch zu einer schlei- chenden Veränderung der europäischen Demokratien hin zu mehr Zentralisierung und weniger Stimmenvielfalt in der po- litischen Aushandlung von Problemen.

C: Das digitale Europa gestaltet den Wandel erfolgreich

Der EU gelingt es, sich durch gelebte Soli- darität über die anfängliche Wirtschafts- krise hinwegzuhelfen. Mit der Corona-Pan- demie wird deutlich, dass Arbeit, Konsum und Freizeit immer mehr in den digitalen

Chinas Ein­

fluss verän­

dert auch

Europas

politische

Kultur

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Raum verlagert werden: Jede Form der ökonomischen, gesellschaftlichen und kulturellen Teilhabe muss digital neu ge- dacht und weiterentwickelt werden.

In kurzer Zeit stellt die EU ein um- fangreiches europäisches Investitions- programm auf die Beine. Es umfasst neben Direkthilfen und -investitionen in traditionelle Infrastruktur vor allem Maßnahmen zur Verbesserung der digi- talen Teilhabe, insbesondere im Bereich Bildung und digitale Infrastruktur. Über die erste gemeinschaftlich finanzierte europäische Medienplattform können alle öffentlich-rechtlichen Rundfunk- anstalten ihre Inhalte europaweit ver- breiten.

Mindestens genauso wichtig für die langfristige Entwicklung der Europä- ischen Union wie das Investitionspro- gramm ist die Konkretisierung der EU-

Digitalstrategie. Den Startschuss hierzu liefert eine von der civic tech community organisierte Konferenz 2023, die zentrale Forderungen an die EU richtet: Es geht um die Dezentralisierung des Internets, also die Verlagerung der Datenhoheit von Plattformen zu den NutzerInnen;

die gezielte Förderung der Forschung an cyber-physischen Systemen, um etwa In- novationen in der Industrieproduktion, der Elektroautomobilität und der Energie- erzeugung zu beschleunigen; den Auf- bau eines unabhängigen europäischen Zahlungssystems, das den internatio- nalen Wettbewerb der Zahlungsanbieter sicherstellt; und um die Entwicklung ei- ner Strategie für die Förderung von „Freier und Open-Source-Software“ sowie einer europäischen Cloud-Lösung.

In Europa entwickelt sich ein eige- ner Zahlungsanbieter (€Pay) und wird

2020 2030

Investitionsprogramm Digitale Teilhabe

Konkretisierung der EU-Digitalstrategie

Digitale Innovationsschübe

& Belebung politischer Öffentlichkeit

Die EU setzt neue Standards für Datenhoheit

SZENARIO C

SZENARIO A SZENARIO B Szenario C:

Den Wandel erfolgreich gestaltet

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zumindest dort auch ein ernstzunehmen- der Spieler. Ein deutscher Maschinenbau- er entwickelt einen flexibel einsetzbaren Allround-Roboter, der zum Exportschla- ger wird. Ganze Fabrikanlagen, die sich durch ihre umfangreiche Sensorik und Vernetzung aller Komponenten auszeich- nen, werden nun durch europäische Fir- menkooperationen hergestellt und expor- tiert. Europäische Automobilhersteller einigen sich auf einen Kommunikations- standard für Autos bei Autobahnfahrten, was diese dem autonomen Fahren einen großen Schritt näherbringt.

Ein paneuropäischer Streamingdienst bietet hochwertige Filme und Serien an, während ein deutsch-italienischer Mittel- ständler mit In-Ear Real-Time Translation eine Synchronübersetzung auf den Markt bzw. ins Ohr bringt. Beides zusammen treibt über den effektiven Abbau von Sprachbarrieren die Entwicklung einer europäischen Öffentlichkeit weiter vo- ran. Europa entwickelt sich zu einem ernstzunehmenden Spieler im digitalen Sektor mit direkten Auswirkungen auf die Gesellschaft.

Die immer deutlicher spürbaren glo- balen Herausforderungen verstärken das Interesse der EuropäerInnen (insbe- sondere der jüngeren) an europapoliti- schen Fragestellungen. Berufsbild und Einkommensquellen des Journalismus werden vielfältiger; das Prinzip öffent- lich-rechtlich verfasster Medien erlebt in vielen Mitgliedstaaten eine Renaissance.

Desinformationen kursieren zwar reich- lich, doch fallen sie nicht auf fruchtba- ren Boden. Vielmehr wird der Streit über zentrale Fragen wie Klimaschutz und so- ziale Sicherung nicht mehr entlang der Landesgrenzen geführt, sondern zwi- schen den politischen Lagern Europas.

Die digitale Erfolgsgeschichte Europas setzt sich politisch fort.

Gründe für unterschiedliche Verläufe

Wie die Grafiken in diesem Text zeigen, unterscheiden sich diese Szenarien deut- lich sowohl in ihrem jeweiligen Verlauf als auch in ihrem Endzustand im Jahr 2030. Es macht offensichtlich einen Un- terschied für das digitale Europa, wie sich das Kräfteverhältnis zwischen Chi- na und den USA oder die Einstellung der EU-BürgerInnen zur europäischen Integ- ration entwickeln wird. Ebenso wichtig sind die Fähigkeit zur Technologieinno- vation, die journalistische Qualität und die mediale Vielfalt. Allerdings kann keiner dieser Faktoren für sich alleine Europas Weg in die Zukunft bestimmen.

Zudem unterscheiden sich die Szenarien auch in ihrer jeweiligen Dynamik. Dabei gibt es keine einfachen und leicht zu ver- gleichenden Wirkungszusammenhänge.

Gleichwohl lassen sich eine Reihe von möglichen Maßnahmen identifizieren, die unter verschiedenen Szenarienbe- dingungen wünschenswerte Effekte im Sinne der zuvor genannten Ziele – also der Herstellung bzw. Wahrung der Hand- lungsfähigkeit und Einheit Europas im digitalen Bereich sowie der Stärkung der Resilienz demokratischer Gesellschaften im digitalen Wandel – erzielen können.

So ist die Solidarität der europäischen Staaten untereinander essenziell, wenn es um die Bewältigung der wirtschaftli- chen Folgen der Corona-Krise geht. Der wirtschaftliche Wiederaufbau sollte tech- nologische Innovationen fördern und die Bedingungen für digitale Teilhabe verbes- sern. Gerade civic tech an der Schnitt- stelle von Forschung, Unternehmen und Gesellschaft kann dazu beitragen, eigene europäische Lösungen für mehr digitale Teilhabe und bessere Datenstrategien zu entwickeln.

Auch die Stärkung europäischer Medi- en, beispielsweise durch eine europäische

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Plattform für Qualitätsjournalismus, ist ein wichtiger Beitrag. Schließlich sollte Europa auf Technologien setzen, die dazu beitragen können, auch Sprachbarrieren abzubauen – wie beispielsweise Echtzeit- übersetzung. Diese hilft, die der Online- kommunikation (bislang) inhärente Ten- denz zur gesellschaftlichen Polarisierung zu überwinden.

Umgekehrt sind sowohl erhöhte Abhän- gigkeiten von dominanten nichteuropäi- schen Anbietern als auch die Spaltung Eu- ropas in zwei Technosphären nach Kräften zu vermeiden. Hier ist die Integrität des EU-Binnenmarkts, im analogen wie im di- gitalen Bereich, von zentraler Bedeutung.

Entsprechend sollte die EU vermehrt auf den „Brussels effect“ setzen, mit dem sie

auch die digitalen Regeln für 400 Millio- nen KonsumentInnen und BürgerInnen gegenüber den Global Players festlegt.

Gerade wenn (persönliche, aber auch un- ternehmerische) Daten mehr und mehr zu einer Ware werden, muss die Hoheit über deren Nutzung im europäischen Rechts- gebiet liegen. Dies kann wiederum einen klaren Innovationsimpuls für die europä- ische Digitalwirtschaft geben.

Der Wandel politischer Öffentlichkeit vollzieht sich vor unseren Augen, noch- mals beschleunigt durch ein Jahrhundert- ereignis wie die gegenwärtige Pandemie.

Die Zukunft kommt, soviel ist sicher; und manchmal scheint es, als wäre sie schon da. Umso wichtiger ist der Blick auf mög- liche Variationen dieser Zukunft, wie sie sich in den hier dargestellten Szenarien erkennen lassen.

Handlungsfelder und Optionen

Ihre Wirkung können Szenarien nur dann entfalten, wenn sie auch auf ihre prakti- schen Implikationen hin überprüft wer- den. So nützt die beste Analyse nichts, wenn sie von ExpertInnen und Praktiker- Innen ignoriert wird.

Die AutorInnen dieses Heftes disku- tieren deshalb Handlungsfelder und Op- tionen, die sich aus den Zukunftsbildern ableiten lassen. Die folgenden Texte sollen das strategische Denken stimulieren, ei- nige enthalten auch direkte Handlungs- empfehlungen. Natürlich sind diese im- mer von dem konkreten Themenfeld bzw.

dem Entscheidungskontext eines Akteurs oder einer Organisation abhängig.

In der Summe ermöglichen sie indes einen breiten Überblick über mögliches politisches Handeln, über das es jetzt zu streiten gilt – damit Europa im Jahr 2030 digital handlungsfähig ist und die euro- päischen Öffentlichkeiten demokratisch und resilient sind.

Es geht um Europas

Handlungs­

fähigkeit und seine

demokratische

Resilienz

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