Bibliothek der
; Deutschen
1 Moraentändischen
! Gesellschaft
zPi In memoriam
Wolfgang Bauer
23.02.1930-14.01.1997
Von Helwig Schmidt-Glintzer, Wolfenbüttel
Mit dem Tod von Wolfgang Bauer ist das Leben eines Ge¬
lehrten zuendegegangen, der ein halbes Jahrhundert die China¬
wissenschaft begleitet und wesentlich geprägt haL Die Sinologie
in Deutschland hat nach dem Zweiten Weltkrieg trotz des Verlu¬
stes großer Gelehrter während der Zeit des Nationalsozialismus
einige bedeutende Vertreter gehabt, und zu ihnen ist ganz gewiß
Wolfgang Bauer zu rechnen.
Im Wintersemester 1948/49 hatte er sich an der Ludwig-Maxi¬
milians-Universität München im Fach Sinologie eingeschrieben
und damit für ein Studium entschieden, für das dort erst zwei
Jahre zuvor eine Professur eingerichtet worden war. Bevor er sich
diesem Fach verschrieb, hatte er zwischen Medizin und Malerei
als Studiengebieten geschwankt, wie er später selbst bekundete.^
Seine ersten Lehrer waren Erich Haenisch, Walter Fuchs und
Herbert Franke, und nicht zu vergessen der Lektor, der koreani¬
sche Schriftsteller Mirok Li. Daneben studierte er Japanologie
bei Horst Hammitzsch sowie Mongolistik und Philosophie; und
auch mit dem Mandschurischen, das damals in München zur si¬
nologischen Ausbildung gehörte, beschäftigte sich Wolfgang
Bauer, sowie mit Sanskrit und Tibetisch. Die Anfänge waren also
noch ganz von dem seit einem Jahrhundert in Deutschland gülti-
' Siehe Wolfgang Bauer: Die „Geradheit" in den „Liedern". Erinnerungen an das Studium mit Günther Debon, in: Rooerich Ptak, Siegfried Englert (Hrsg.):
Ganz allmählich. Aufsätze zur ostasiatischen Literatur, insbesondere zur chinesi¬
schen Lyrik. Festschrift für Günther Debon. Heidelberg 1986, S. 13-25, hier S. 15. - Günther Debon erinnerte sich selbst an die frühe Münchener Zeit in seinem Bei¬
trag Schwabing und China, in: Helwig Schmidt-Glintzer (Hrsg.): Das andere
China. Festschrift für Wolfgang Bauer zum 65. Geburtstag. Wiesbaden 1955, S. 17- 31. Diese Festschrift enthält auch ein Verzeichnis der Schriften Wolfgang Bau¬
ers, S.67 1-686.
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gen umfassenden Orientalistik-Verständnis geprägt, wie es sich
in der Deutschen Morgeniändischen Gesellschaft und ihrer Zeit¬
schrift niedergeschlagen hat. Es folgte dann eine zunehmende
Konzentration auf China. Und es ist an dieser Stelle der Ort, dar¬
auf hinzuweisen, daß eine solche „orientalistische" Ausgangslage
letztlich vielleicht doch viel produktiver ist als die Beschränkung
auf lediglich an neuen nationalen Grenzen orientierte Regional¬
wissenschaften.
Am 23. Februar des Jahres 1930 war Wolfgang Bauer in Halle
als Sohn des Semitisten Hans Bauer und seiner Ehefrau Eugenie,
geb. Kerschbaumer, zur Welt gekommen. Sein Vater, der nach
einem Studium der Katholischen Theologie am Germanicum in
Rom sich 1912 in Halle im Fach Semitistik habilitierte und 1923
daselbst zum ordentlichen Professor ernannt wurde, hatte zusam¬
men mit dem schwedischen Gelehrten Pontus Leander (dem
Wolfgang Bauer auch seinen zweiten Vornamen Leander ver¬
dankt) eine Historische Grammatik der Hebräischen Sprache des
Alten Testaments (1922) und eine Grammatik des Biblisch-Ära-
maischen verfaßt. Im Geburtsjahr seines Sohnes Wolfgang war
ihm die Entzifferung der ugaritischen Keilschrifttexte von Ras
Schamra gelungen.
Nach dem frühen Tod der Eltern war Wolfgang Bauer zusam¬
men mit seinem Bruder 1937 nach München gekommen, wo er
1948 am humanistischen Wilhelms Gymnasium das Abitur ab¬
legte und dann auch sein Studium begann. In seinem Fach folgte
er der durch den Lehrer Haenisch gesetzten Tradition und setzte
doch bald eigene Akzente. Persönlichkeit und Individualität be¬
schäftigten ihn ebenso wie die pulsierenden und merkwürdigen
Erscheinungen hinter dem auf den ersten Blick so oft geordnet
anmutenden offiziellen, konfuzianischen, neuerdings kommuni¬
stisch sich nennenden China. Indem er sich neuen Fragestellun¬
gen öffnete und die weiterhin gültigen Fragen dabei nicht ver¬
warf, prägte er die Chinawissenschaft in Deutschland wie kaum
ein anderer.
Es war auch für jene Zeit außergewöhnlich, daß Wolfgang
Bauer 1953, also mit 23 Jahren, promoviert wurde. Es folgte eine
Forschungsarbeit am Münchner Institut, gefördert durch eine
Sachbeihilfe der Deutschen Forschungsgemeinschaft (DFG), je¬
ner Institution, an deren förderlichem Wirken Wolfgang Bauer
später in mehreren Funktionen selbst aktiven Anteil nehmen
sollte, seit 1970 als Fachgutachter und seit 1973 dann als Fach-
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ausschußvorsitzender. Von 1976 bis 1993 war er Mitglied des
Ausschusses für Internationale Angelegenheiten der DFG.
Während seiner Assistentenzeit in München (1954-1960) habi¬
litierte sich Wolfgang Bauer im Jahre 1959 für „Sinologie und
verwandte Gebiete" und lehrte von da an das Fach, nicht nur in
München, sondern auch in Frankfurt am Main. Im Herbst 1960
ging er für ein Jahr als Gastprofessor nach Amerika, an die Uni¬
versity of Michigan, Ann Arbor. Dorthin, aber auch an andere
Universitäten Nordamerikas, unter anderem Harvard, Berkeley,
Yale, Prineeton, Columbia und Seattle, zog es Wolfgang Bauer
auch später häufiger wieder. Ostasien, für einen Ostasienwissen¬
schaftler ganz natürlich, wenn auch in jener Zeit nicht immer
selbstverständlich, besuchte er im Jahre 1962 mit Unterstützung
durch die Ford und die Carnegie Foundation, und später dann
regelmäßig. Inzwischen hatte er einen Ruf auf den Lehrstuhl für
Sinologie an der Universität Heidelberg erhalten, wo er seit
Herbst 1962 das Sinologische Seminar aufbaute. Dort blieb er
keine vier Jahre. 1966 folgte er einem Ruf nach München, wo er
nun neben Herbert Franke den neu eingerichteten zweiten Mün¬
chener sinologischen Lehrstuhl übernahm.
Trotz mehrerer auswärtiger Rufe blieb Wolfgang Bauer der
Münchener Universität treu, deren Sinologie er zusammen mit
Herbert Franke geradezu verkörperte und bis zu seinem Tode
prägte. Wie in München, so war er in der Welt zu Hause, arbei¬
tete weiter in internationalen Organisationen und Ausschüssen
und folgte Einladungen zu Gastprofessuren, u.a. abermals nach
Ann Arbor, nach Canberra an die Australian National University
und an die japanische Tsukuba Universität, ohne seine Pflichten
in der Selbstverwaltung der Universität zu vernachlässigen. 1981
bis 1983 war Wolfgang Bauer Dekan der „Fakultät für Altertums¬
kunde und Kulturwissenschaften", 1983 bis 1984 war er Mitglied
des Senats, und immer wieder, im Wechsel mit seinen Kollegen,
war er geschäftsführender Vorstand des Instituts für Ostasien¬
kunde. Die Ehrungen blieben nicht aus. 1985 wurde er zum or¬
dentlichen Mitglied der Bayerischen Akademie der Wissenschaf¬
ten gewählt, 1991 wählte ihn die Rheinisch-Westfälische Akade¬
mie der Wissenschaften, Düsseldorf, zu ihrem Korrespondieren¬
den Mitglied. Noch kurz vor seinem Tode erhielt er das Bundes¬
verdienstkreuz I.Klasse. Solchen Würdigungen mußte er sich
nicht verschließen, auch wenn er sich über deren Charakter als
Menschenwerk nichts vormachte. Wichtig waren ihm solche Eh-
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rungen vor allem deswegen, weil er darin die Anerkennung des
von ihm vertretenen Faches sah, und so verstand er auch ehren¬
volle Einladungen zu Vorträgen im Inland wie im Ausland.
Wolfgang Bauer entdeckte Neues, interessierte sich für das
(scheinbar) „Unchinesische" an China, für das andere China,
und dies war auch der Anstoß für die Wahl des Titels der ihm zu
seinem 65. Geburtstag von seinen Schülern, Freunden und Kolle¬
gen gewidmeten Festschrift. Gerade den eher verborgenen Seiten
der chinesischen Kultur hat Wolfgang Bauer immer wieder nach¬
gespürt, zuletzt mit seinem Buch Das Antlitz Chinas. Die autobio¬
graphische Selbstdarstellung in der chinesischen Literatur von ihren
Anfängen bis heute (1990). Es handelt sich hier um ein Werk, an
dem er fast drei Jahrzehnte gearbeitet hat und dessen Thematik
bereits seine Heidelberger Antrittsvorlesung bestimmte, die
„Icherleben und Autobiographie im älteren China" überschrie¬
ben war. Zwischen diesem Werk und seinen früheren großen Ar¬
beiten, der 1959 erschienenen Habilitationsschrift über den chi¬
nesischen Personennamen und dem vielbeachteten Werk über
„Paradiese, Utopien, Idealvorstellungen in China" unter dem Ti¬
tel China und die Hoffnung auf Glück (1971), sah Wolfgang Bau¬
er durchaus einen roten Faden. So solide diese Arbeiten waren,
so lesbar waren sie doch auch. Auch wenn ihm vieles geradezu
mühelos zu gelingen schien, so hat er doch gerade auf seine Auf¬
sätze und Bücher größte Sorgfalt verwendet und um die ange¬
messenen Formulierungen gerungen. Mit großer Ernsthaftigkeit
widmete er sich auch den Forschungsleistungen und Forschungs¬
plänen anderer. Seine ungezählten, zumeist mehrseitigen Gut¬
achten zu Anträgen und zu den vielen von ihm betreuten oder
mitbetreuten Dissertationen und Magisterarbeiten atmeten trotz
eines stets hochgehaltenen wissenschaftlichen Anspruchs immer
auch den Geist der Aufgeschlossenheit und Wärme und lebten
von einer unstillbaren Neugierde und der Bemühung um ein
möglichst zutreffendes Verständnis des anderen.
Bis zuletzt lehrte Wolfgang Bauer mit Leidenschaft und Hinga¬
be und mit nie nachlassendem Elan, und bis zuletzt war er den
Studierenden der zuhörende, nachfragende und anregende Ge¬
sprächspartner, den viele gerade deswegen als Gesprächspartner
wählten. Die Themen der letzten von ihm noch zum Druck ge¬
brachten Beiträge deuten auf eine Konzentration auf das Wesent¬
liche hin, um das es ihm zeitlebens gegangen war: Im Jahre 1995
erschienen noch die Beiträge Gläubigkeit und Rationalität. Über
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das Verblassen von Göttern und Geistern in der zweiten Hälfte des
1. vorchristlichen Jahrtausends ; Die Unbehaustheit des Wanderers
und der Aufbruch in eine bessere Welt. Die Reise als Ausdruck von
Hoffnung und Verzweiflung in der Kultur Chinas ; Mensch, Natur,
Fremdheit. Die Idee der Toleranz im Alten und im Neuen China.
Und im letzten Jahr dann schrieb er zum Thema Das Stirnrunzeln
des Totenkopfes. Über die Paradoxie des Todes in der frühen chine¬
sischen Philosophie?
Der Verlust dieses geistvollen und lebendigen Gelehrten reißt
eine Lücke. Die Geschichte der Sinologie in Deutschland in den
letzten Jahrzehnten ist ohne Wolfgang Bauer nicht zu denken,
dessen Werk und Stil weiter wirken werden.
^ Ein Nachtrag zum Schriftenverzeichnis von Wolfgang Bauer wird im
nächsten Band der Zeitschrift Monumenta Serica erscheinen.
Warum so viele Worte?
Ein Annäherungsversuch an arabische Stilnormen*
Von Kristina Stock, Leipzig
Vorbemerkung
So wie es noch keine von Nichtarabern verfaßte arabische Stil¬
kunde gibt, so sind auch Untersuchungen westlicher Sprachwis¬
senschaftler zu stilistischen Problemen des Arabischen nicht sehr
zahlreich. Berücksichtigung finden die Individualstile der
Schriftsteller und Dichter, kaum jedoch andere Funktionalstile,
wie die Alltagsrede, die Fachsprache oder der Zeitungsstil. Noch
seltener sind Versuche, allgemeine Stilnormen des Arabischen,
' „Stilnorm" ist in der Stilistik kein einheitlich definierter Begriff (vgl. San¬
dig, S. 35-42). Ich gebrauche ihn in der vorliegenden Untersuchung als terminus technicus für die wirkungsspezifische Seite des Stils, die durch rationale oder äs¬
thetische Bedürfnisse bestimmt wird und mit Hilfe ausgewählter sprachlicher Mit¬
tel (Stilmittel bzw. Stilfiguren bzw. rhetorische Figuren) realisiert wird. Da sich die Stilistik im allgemeinen vor Pauschalisierungen hütet, ist es ein gewagtes Un¬
ternehmen, stilistische Eigenheiten des Arabischen insgesamt herausfinden zu wollen, ohne weitere von der kommunikativen Situation abhängige Differenzie¬
rungen vorzunehmen. Beobachtet man aber den arabischen Sprachgebrauch in
verschiedenen kommunikativen Situationen (z.B. verschiedene Zeit- und Funktio¬
nalstile) und vergleicht ihn mit dem anderer Sprachen, so kann man feststellen, daß bestimmte Stilnormen in den einzelnen Sprachen eine unterschiedliche Aus¬
prägung erfahren haben, aber innerhalb einer Sprache in den verschiedensten kommunikativen Situationen gleichermaßen anzutreffen sind, also für die Ge¬
samtheit der Sprecher einer Sprache typisch sind. Zwar sind diese Stilnormen nicht im Sprachsystem selbst (langue) bedingt, doch prägen sie den allgemeinen Sprachgebrauch (parole). Abweichungen von den als typisch geltenden Normen sind dabei immer vorhanden, weil zum Akt der Stilschöpfung auch das Durchbre¬
chen von Normen gehört. Die Abweichung von der Norm kann absichtlich und
oft auch wegen anderer kommunikativer Erfordernisse unabsichtlich (vgl. Sandig, S.41) erfolgen.