Vorschläge für die Sammlung von Urkunden
zur islamischen Geschichte Persiens *
Von Hans Robeet Roemeb, Mainz
Seit der Benediktiner Jean Mabillon im Jahre 1681 mit seinem Buch
De re diplomatica die Grundlage der Diplomatik schuf, stehen unter den
primären QueUen der abendländischen Geschichtsforschung die Urkun¬
den an erster Stelle. Daß sie für die Erkenntnis der Geschichte des
Orients die gleiche Bedeutung haben, steht außer Frage. Tatsächlich ist
auch die Benutzung von Urkunden für die Geschichte des Orients in is¬
lamischer Zeit nicht ohne Tradition^. Freihch sind es vornehmhch ara¬
bische und türkische Urkunden, die in größerer Zahl veröffentlicht vor¬
hegen oder in Archiven nachgewiesen wurden. Anders hegen die Dinge
auf dem Gebiet der islamischen Geschichte Persiens. Hier sind Original-
mkunden selten imd für weite zeithche Bereiche sogar ganz unbekannt^.
Der Grund dafür hegt nicht nur in der unzureichenden Erforschung der
persischen Geschichte, sondern vor ahen Dingen darin, daß überhaupt
nur wenige Urkunden erhalten zu sein scheinen. Ohne Frage haben Um¬
stände wie die häufige Verlegung der Hauptstadt sowie sich ständig wie¬
derholende Invasionen und Kriegsläufte die Entstehung von Archiven
oder deren Erhaltung im Lande beeinträchtigt, wenn nicht sogar völhg
hintangehalten.*
1 Deutscher Text eines am 25. August 1954 auf dem 23. Internationalen
Orientalistenkongreß zu Cambridge in englischer Sprache gehaltenen Vor¬
trags.
2 Als ein Beispiel für mehrere sei auf Hammbk-Purgstaix, QOR IX, S.
335—680, verwiesen: Verzeichnis von viertausend osmanischen Staats- und
Geschäftsschreiben, Diplomen und anderen Urkunden aus Briefsammlungen und Staatsarchiven.
3 Vgl. Sptjler, Iran in früh-islamischer Zeit, S. 361 f., mid für eine spätere Zeit desselben Verfassers Quellenkritik zur Mongolengeschichte Irans in ZDMQ 92 (1938), S. 218f., sowie Die Mongolen in Iran, S. 4.
* In diesem Zusammenhang sei auf eine (uns unzugängliche) Arbeit W. W.
Babtol'ds verwiesen: Chranenie dokumentow w stranach musuVmanskogo
wostoka. Archiumye kursy. Petrograd 1920.— Der nach Schurhammer, Die
zeitgenössischen Quellen zur Geschichte Portugiesisch-Asiens . .., S. XLVI, um 1930 in The Aryan Path erschienene Artikel ,,über das Archiv in Teheran"
existiert nicht. Es wird sich um eine Verwechslung mit Hadi Hassans Auf¬
satz Rare Manuskripts inPersia in Bandll (1931) jener Zeitschrift (S.830fE.) handeln.
Sammlung von Urkimden zur islamischen Geschichte Persiens 363
Infolge dieses Mangels an Urkunden ist der Historiker bei der Erfor¬
schung der persischen Geschichte in der Hauptsache auf darstellende
Quellen, vor ahem also auf Chroniken angewiesen. Wenn auch die Quel¬
lenkritik ein taughches Mittel an die Hand gibt, die bekannten Nachteüe
derartigen Materials auszuschalten, so bleibt doch die Tatsache, daß sich
aus ihm in der Regel keine oder doch keine ausreichenden Aufschlüsse
gerade über diejenigen Sachverhalte schöpfen lassen, auf die es der
historischen und vor allem der kulturgeschichthchen Forschung an¬
kommt: über die Institutionen sagen die Chroniken meistens nichts
aus, weil sie diese als bekannt voraussetzen^. In dieser Hinsicht ist also
das Fehlen von Urkunden besonders nachteihg.
Es ist nun dieFrage zu steUen, ob der Mangel an persischen Urkunden^
ein für aUemal als gegeben hingenommen werden muß, oder ob es nicht
vieUeicht Möghchkeiten gibt, ihm abzuhelfen. Der Zweck vorliegender
Ausführungen besteht darin, einige Hinweise für die Schheßung der be¬
stehenden Lücken zu geben sowie einige Amegungen für die praktische
Arbeit. Wir hoffen, zeigen zu können, daß sich Urkunden zur islamischen
Geschichte Persiens in nennenswerter Anzahl beibringen lassen. FreUich
bedarf es dazu der gemeinsamen Bemühungen aher an der Sache interes¬
sierten Gelehrten. Einer der Hauptzwecke internationaler Kongresse
besteht in der wissenschafthchen Zusammenarbeit auf internationaler
Basis, und so ist wohl auch die Versammlung, der wir unsere Anregungen
vorzutragen uns die Freiheit nehmen, der rechte Ort für die uns vor¬
schwebende Initiative.
I
Schon bei der Durchsicht orientahstischer Zeitschriften und sonstiger
Veröffenthchimgen, die im Laufe der letzten Jahrzehnte erschienen sind,
zeigt sich, daß es keineswegs völhg an persischen Urkunden fehlt.* Wenn
1 Werke persischer Autoren, die auf die staatliche Verwaltungspraxis ein¬
gehen, wie die Resälä-ye falakiyyä (ed. W. Hinz, Wiesbaden 1953) oder die
Tadhkirat al-mulük (ed. und bearbeitet von V. Minorsky, London 1943)
sind äußerst selten.
* Als „persisch" möchten wir nicht nur Urkunden in persischer Sprache
aufgefaßt wissen, sondem auch solche in anderen Sprachen, soweit sie sich
auf persische Verhältnisse beziehen ; z. B. gehören dazu auch die einschlä¬
gigen Stücke der özbekisch geschriebenen Urkunden des Archivs von
Chiwa, über deren Bearbeitung jüngst M. Ju. JuldaSew berichtet hat, vgl.
Oosudarstwennyj Archiv) feodaVnoj Chiwy XIX weka in Doklady Sowetskoj
Delegatsii na XXIII mezdunarodnom Kongresse Wostokowedow, Sektsija
Irana, Armenii i Srednej Azii (russisch und enghsch), besonders S. 211/223.
3 W. Hinz zählt allein 14 Soyürgäle auf (Zwei Steuerbefreiungs-Urkunden
in Documenta islamica inedita = Festschrift Richard Hartmann, Berlin
1962, S. 212); die Reüie heße sich um die beiden von Miß Lambton in BSOAS
364 BL4.NS Robert Roemer
man aber orientalische Periodica, insbesondere persische, in den Kreis
der Betrachtungen einbezieht, so erweist sich die Zahl der veröffenthch¬
ten Urkunden nicht einmal als ganz gering^. Freihch sind die einschlägi¬
gen Veröffenthchungen an so verstreuten und entlegenen SteUen er¬
schienen, daß ihre Auffindung und Benutzung auf große Schwierigkeiten
stößt. SoUen sie der Wissenschaft in voUem Ausmaß nützhch sein, so
müßten sie ihr erst einmal zugänghch gemacht werden. Dafür bietet sich
das in anderen historischen Disziplinen bewährte Sammelbuch veröffent¬
lichter Urkunden^ als geeignetes Mittel an. Bei der gegebenen Situation
sohte sich dieses Sammelbuch freihch nicht auf den bibhographischen
Nachweis der einzelnen Veröffentlichungen beschränken, vielmehr soU¬
te es auch den wesenthchen Inhalt der Urkunden in regestenartiger Form
enthalten. Aus praktischen Gründen dürfte es sich empfehlen, das Sam¬
melbuch an einer zentralen Stelle zu führen, wo es bis zu seiner Veröf¬
fentlichung, die natürlich erst erfolgen könnte, wenn ein gewisser Grad
der Vollständigkeit erreicht ist, als AuskunftssteUe interessierten Ge¬
lehrten zur Verfügung stehen könnte. SoUten sich für diese Arbeit Mit¬
arbeiter finden, so hätte natürlich jeder einzelne die wissenschafthche
Verantwortung für seinen Beitrag zu übernehmen; dieser Bedingung
wäre bei der Publikation durch die Beifügung des Autorennamens bei
jedem Beitrag Rechnung zu tragen.
n
Von größerer Bedeutung als die Sammlung veröffenthchter Urkunden
ist die Ermittlung und Erschheßung unveröffenthchter Dokumente.
Beginnt man mit der Suche außerhalb des heutigen Persiens, so er¬
weisen sich die Nachbarländer als besonders ertragreich, darunter vor
aUen Dingen die Sowjetunion, die mit Sammlungen von teüweise be-
trächthchem Umfang aufzuwarten hat. Wir verweisen nur auf die 385
14 (1952), S. 44—54, veröffentlichten safawidischen Soyürgäle sowie um ein
weiteres, auf Uzun Hasan zurückgehendes Stück vom Jahre 1471 vermeh¬
ren, das Khän Maiek in Athär-e Irän III (1938), S. 203—206, in Faksimile
veröffentlicht hat. Weitere Publikationen haben wir in unseren Staatsschrei¬
ben der Timuridenzeit (Wiesbaden 1952), S. 17—20, nachgewiesen; s. auch
unten S. 365 Anm. 3.
1 Man vergleiche die auch diesem Zweck dienlichen Inhaltsangaben ori¬
entalischer Zeitschriften im Oriens, besonders von Yädgär Bd. I — ^V (Oriens
I [1948], S. 139f.,undVII [1954], S. 200—217) sowie von Tarih Vesikalari
(Oriens I [1948], S. 113—117 und 344f.).
2 Etwa das von Friedrich Preisigke hegründete Sammelbuch griechischer
Urkunden aus Ägypten oder das im Entstehen begriffene Sammelbuch demo¬
tischer Urkunden W. Erichsbns, s. Jahrbuch 1950 der Akademie der Wissen¬
schaften und der Literatur (Mainz), S. 58.
Sammlimg von Urkunden zur islamischen Geschichte Persiens 365
Dokumente des 16. Jahrhunderts, die Beethels aus dem Archiv der öüy-
bäri-Scheiche veröffentlicht hat^ und auf die HO Urkunden umfassende
Sammlung des Archivs von Eömiadzin^. Nicht weniger ertragreich dürfte
die Suche in Istanbid, wahrscheinhch auch in Pakistan* und Indien sein.
1 Wir kennen die Arbeit nur aus einem Zitat bei Minobsky, Tadhkirat
al-mulük, S. 207: E. A. Bebthels, From the archives of the Jüybärl shaykhs.
Documents on land-tenure in Central Asia in the 16 th century A. D. Published
by the Academy of Sciences of the USSE, 1938, 492, 9 pages. Contauis 385
legal documents. — Während der Drucklegung dieses Artikels erhielten wir
die unter dem Titel Chozjajstwo d&ujbarskich äejchow, k istorii feodal'nogo
zemlewladenija w Srednej Azii w XVI—XVII ww. 1954 im Verlag der So¬
wjetischen Akademie, Moskau-Lenüigrad, veröffentlichte russische Über¬
setzung jener Urkunden, die dem verstorbenen Pawel Pbtbowiö Iwanow zu
verdanken ist. Aus der Einleitung ergibt sich der Originaltitel der Text¬
veröffentlichung: Iz archiwa Sejchow Diujbari, materialy po zemel'nym i
torgowym otnoSenijam Srednej Azii w XVI w. Freilich hat es den Anschein,
als handle es sich nicht um Originalurkunden, sondern um ein Kopial- oder
ein Formular buch. Gegebenenfalls wäre also dieses Werk in den unten zu
III behandelten Zusammenhang zu verweisen.
2 Sie stammen in der Hauptsache aus der Zeit zwischen 1548 und 1749.
Das MABB-Institut der georgischen Filiale der sowjetischen Akademie hat
diese Urkunden, die sich jetzt im Staatsarchiv der armenischen SR be¬
finden, 1935 aufgenommen und gemeinsam mit dem historischen Institut
der armenischen Filiale der sowjetischen Akademie ihre Veröffentlichung
vorbereitet. Ob die Publikation inzwischen erfolgt ist, wissen wir nioht.
I. P. PetbuSewskijs Buch Oöerki po istorii feodaVnich otnoSenij w Azer-
bajdiane i Armenii w XVI — naöale XIX unv., Leningrad 1949, dem diese
Angaben entnommen sind, weist (in Kapitel 1) auch noch folgende Ur¬
kunden nach: (a) 8 safawidisohe Farmäne aus dem 17. und 18. Jahrhundert
im historischen Archiv zu Eriwan, (b) eine Sammlung von Schäh- und Chäns-
urkunden in russischer Übersetzung, die im historischen Archiv der Äzar-
baigänischen zentralen Archivverwaltung aufbewahrt werden, (c) von B.
DoBN nach den Originalen verfertigte Abschriften von 9 safawidischen Par¬
mänen (1547—1667) aus Baku, die in der Handschriftenabteilung des Ori¬
entalischen Instituts der sowjetischen Akademie (IW AN) aufbewahrt wer¬
den, (d) Verleihungsurkunden aus Nordwestäzarbaigän, veröffentlicht in
Akty sobrannye Kawkazskoj Archeografiöeskoj Komissiej ed. An. BeeJe
(Tiflis seit 1866), Bd. II, Suppl. II (Nr. 1—22), (e) drei Farmäne Nädu
Schahs an die Fürsten von Sekl, im Faksimile und mit russischer Über¬
setzung veröffentlicht bei Abd-al-Chamid, Rodoslownaja iekinskich chanow
i ich potomkow, azerb. tekst i russkij perevod A. Subchanwebdichanowa,
Baku 1930, (f) Urkunden verschiedenen Inhalts, persischer Text und russi¬
sche Übersetzung, veröffentlicht in Nachiöewanskie rukopisnye dokumenty
ed. Ju. N. Maeb (Ausgabe des Mabb -Institutes der georgischen Füiale der
sowjetischen Akademie), Tiflis 1936, (g) verschiedenartige Urkunden aus der
Zeit zwischen 1706 und 1820, persischer Text, russische Übersetzung und
Kommentar (MAER-Institut), Tiflis 1937, (h) Verleihungsurkunden der
Chäne des Qarabäg sowie Verordnungen der Chäne von Kuba, aufbewahrt
im Historischen Archiv der Äzarbaigänischen zentralen Archiwerwaltung.
* In dem Beiheft (zanUmä) von Februar/Mai 1954 zu dem von der Arabic
24 ZDMG 104/2
366 Hans Bobebt Roemeb
Während von Urkunden aus den Nachbarländern unmittelbare Auf¬
schlüsse über die Institutionen sowie über soziale und wirtschaftliche
Verhältnisse Persiens zu erwarten sind, besonders dann, wenn sie aus
hmitrophen Gebieten stammen, die einmal unter der Herrschaft Per¬
siens oder seinem kulturehem Einfluß gestanden haben, werden die Ur¬
kunden, je weiter ihr Fundort von Persien entfernt ist, vorwiegend Sach¬
verhalte aus den internationalen Beziehungen des Landes widerspiegeln*,
daneben aber auch Aufschlüsse über die noch wenig bekannten formalen
Elemente sowie über die Kanzleipraxis geben. Was auf diesem Gebiet
von einer systematischen Durchforschung europäischer Sammlungen zu
erwarten ist, läßt sich aus der Arbeit Khänbäbä Bayänis über die Be¬
ziehimgen des safawidischen Irans zu Westeuropa vermuten^. Das British
Museum verfügt über eine Anzahl persischer Farmäne*, ebenso mehrere
Archive und Bibhotheken in Rom.* Jean Aubin hat in Portugal mit Er¬
folg nach persischen Urkunden gesucht^ und auch die spanischen Archive
dürften eine Durchmusterung lohnen. Das Haus-, Hof- und Staatsarchiv in
Wien besitzt ebenso wie das Hauptarchiv in Dresden persische Urkunden.*
Sie fehlen ebensowenig im Schwedischen Reichsarchiv' wie in polnischen
Archiven®, und auch auf dem Balkan läßt sich auf eine Ausbeute hoffen.»
and Persian Society der Pandschab-Universität zu Lahore herausgegebenen
"Oriental College Magazine", S.58 —72, hat Muhammad SAEi'ein Soyürgäl
des Schahs Tahmäsp vom Jahre 974/1541 mit Faksimile und in Urdu ge¬
schriebenem Kommentar veröffentlicht und dabei auf weitere in Pakistan
befindliche Urkunden Bezug genommen. Der Freundlichkeit des verdienten
Gelehrten verdanken wir ein Exemplar jener VeröfEentlichung.
1 Das muß aber nicht immer so sein : Das von Minobsky in BSOS IX
(1937/39), S. 927 ff., veröffentlichte Immunitätsdiplom, also eine rein inner- persische Verhältnisse betreffende Urkunde, wurde in Bosnien aufgefunden.
2 Les relations de l'Iran avec l'Europe Occidentale ä I'epoque safawide, Paris 1937.
* z. B. Or. 4934, 4936 und 4935. Die 15 safawidischen Farmäne der zuletzt
genannten Nummer hat Minobsky in Tadhkirat al-mulük, S. 199 ff., kurz
behandelt, vgl. auch Rieu, Suppl. 255.
* Hier wird es sich weitgehend um Briefe der persischen Herrscher an die
Päpste handeln ; deren fünf und ein Farmän, alle aus safawidischer Zeit, sind
mit Faksimile, Transkription und englischer Übersetzung publiziert in A
Chronicle of the Carmelites in Persia and the Papal Mission of tlie XVIIth and XVIIIth centuries, 2 Bde, London 1939, s. besonders Bd. II, S. 1347. Weiter vgl. man V. Pontecobvo, Relazioni trä lo sciä 'Abbäs e i grandwhi di Toscana
Ferdinande I e Cosimo II in Rendiconti .... Lincei III/4 (Rom 1949), S. 157
bis 182. ' Mündliche Mitteilung.
' Beispiele bei Layos Fekete, Iran Sahlarm iki türkfe mektubu in Tür¬
kiyat Mecmuasi V (1936), S. 269—274.
' Zettebstäen, Türkische, tatarische und persische Urkunden im Schwe¬
dischen Beichsarchiv, Uppsala 1945.
* Neun persische Urkunden aus polnischen Archiven, wovon zwei im Fak¬
simile, bringt H.S. ^ZA.VB7J.i^,Wyobrazeniaswietychmuzulnian8kich,'V7\\nB,\9'i'i:.
» Wofür die oben in Anm. 1 genannte Veröffentlichung spricht.
Sammlimg von Urkimden zur islamischen Geschichte Persiens 367
Das wichtigste Gebiet für die Suche nach Urkunden von historischem
Belang ist natürlich Persien selbst. Archivbestände gibt es dort wohl
kaum aus vorqagarischer Zeit.* Dagegen fehlt es, wie schon die soeben
erwähnten Veröffenthchungen in Zeitschriften zeigen, nicht an kleineren
Sammlungen und Einzelurkunden in privatem Besitz oder in Bibliothe¬
ken. Wir haben, um nur ein Beispiel zu nennen, im letzten Frühjahr bei
einer Studienreise sieben derartige Sammlungen verschiedenen Umfan¬
ges in Teheran, Tabriz, Isfahän und Mashad ermittelt^, haben aber noch
von manchen anderen gehört, die wir nicht zu Gesicht bekamen. Häufig
handelt es sich bei solchen Sammlungen um ererbten Famihenbesitz oder
um die Ergebnisse aUgemeinen Sammeleifers, dem mitunter wissenschaft¬
liche Interessen, häufiger dagegen ästhetische Motive zugrunde hegen:
besonders schöne Stücke werden mit Vorhebe gerahmt als Wandschmuck
verwendet.
Im ahgemeinen wird es schwierig sein, Originalurkunden aus privater
Hand zu erwerben. Dagegen haben wir die Erfahrung gemacht, daß die
meisten Eigentümer gegen eine Aufnahme zu wissenschaftlichen Zwecken
nichts einzuwenden haben. Schon der mitunter beträchtliche Umfang,
vor ahem aber die paläographischen Schwierigkeiten und die Besonder¬
heiten der äußeren Form, lassen es wenig ratsam erscheinen, solche
Urkunden an Ort und SteUe abzuschreiben oder zu exzerpieren. Im Hin¬
bhck auf die spätere Veröffenthchung sollte man unter aUen Umständen
danach trachten, photographische Aufnahmen herzustellen, die noch am
ehesten den Verzicht auf das Original erlauben. Da dem reisenden Ge¬
lehrten nur ausnahmsweise die HUfe eines geschulten Photographen zu
Gebote stehen dürfte, wird er in der Regel mit eigener Hand zu Werke
gehen müssen, sollte sich dafür aber beizeiten eine gewisse technische
Übung zu eigen machen. Im aUgemeinen werden sich schon mit verhält¬
nismäßig bescheidenem Gerät brauchbare Ergebnisse erzielen lassen.
Da die Mehrzahl der Urkunden beträchthche Dimensionen aufweist,
wird man gewöhnhch jedes Stück in mehreren Partien photographieren,
wobei freüich nicht nur darauf zu achten ist, daß von Aufnahme zu Auf¬
nahme der Abstand zwischen Kamera und Objekt gleich bleibt, sondern
auch darauf, daß aneinander anschheßende Aufnahmen sich an den
* In der Hof bibliothek im Gulistan-Palast zu Teheran (Kitäbhänä-yi
ealtanati) soll es eine Sammlung von Urkunden geben. Sie ist aber nicht zu¬
gänglich, und wir haben nicht ermitteln können, was sich dort befindet.
Ferner dürften sich in den Archiven verschiedener Teheraner Müusterien
neben Archivalien aus jüngster Zeit auch ältere Stücke finden.
2 Hier seien davon nur die im Museum der armenischen Kirche zu Gulfa
(bei Isfahan) ausgestellte Sanamlung, einige Stücke im Öüiil-Sutün-PaviUon zu Isfahan und eine zahlreichere Sammlung in der Bibliothek des Heiligtums zu MaShad erwähnt.
24*
368 Hans Robert Roemer
Rändern überschneiden. Nur auf diese Weise ist es möghch, später durch
Aneinanderkleben der Positivabzüge eine maßstabgerechte Wiedergabe
der ganzen Urkimde zu erhahen. Freihch reicht die photographische
Aufnahme (von Vorder- und Rückseite) ahein für den vdssenschafthchen
Zweck noch nicht aus, man sohte vielmehr daneben die Ausmaße jedes
einzelnen Stückes sowie alle äußeren Merkmale wie Papierart und -färbe,
Erhaltungszustand, Aufbewahrungsort usw. notieren. Nach vorliegenden
Erfahrungen lassen sich auf diese Weise brauchbare Ergebnisse erzielen.
Das Ziel derartiger Aufnahmen sollte natürhch die Veröffenthchung
der festgestellten Stücke sein, wobei bewährten Vorbildern zu folgen ist.
Immerhin wird in Fällen, in denen sich die Veröffentlichung in die Länge
zieht, eine regestenmäßige Inhaltsangabe in einer orientahstischen Fach¬
zeitschrift durchaus von Nutzen sein.
m
Wie groß die Zahl der auf diese Weise zu ermittelnden Urkunden sein
dürfte, läßt sich auch nicht annähernd übersehen. Sicher ist nur, daß sie
mit zunehmender zeithcher Entfernung geringer wird. Während aus
safawidischer Zeit noch verhältnismäßig zahlreiche Urkunden erhalten
sind, finden sich solche aus der Timuridenzeit sehr viel seltener, und aus
noch früheren Epochen wird nur wenig erhalten sein. Die bisher beschrie¬
bene Sammelarbeit wird auf keinen Fah zu einer mit den abendländischen
Verhältnissen vergleichbaren Dokumentation der persischen Geschichte
führen. Mögen der Suche auch noch so große Erfolge beschieden sein, für
weite Zeiträume wird es immer an Originalurkunden fehlen, weil diese
eben nicht erhalten geblieben sind.*
1 Die Grenze, jenseits deren persische Originalurkunden nahezu versiegen, ist der Mongoleneinfall. Was aus der Zeit vor 1220 erhalten ist, hat Minorsky
in Some early documents in Persian (JRAS 1942, S. 181—194, und 1943,
S. 86—99) zusammengestellt und, soweit noch nicht von anderer Seite be¬
handelt, mit gewohnter Meisterschaft untersucht. Bs sind ganze sieben Num¬
mem, von denen die früheste, wie es scheint, aus dem 8. Jahrhundert n. Chr.
und die jüngste vom Jahre 1217 stammt. Eine davon umfaßt sechs sehr in¬
teressante Stücke aus Bämi3'än. Wenn auch die Hoffnung neuer Funde aus
vormongolisoher Zeit nicht groß ist, so braucht sie doch nicht ganz aufge¬
geben zu werden. Zu einem gewissen Optimismus berechtigen nämlich zwei
sehr alte Handschriften, die jüngst ans Licht gekommen sind: eine 1950 er¬
worbene Hs. der Hidäyat al-muta'allimln fl t-tibb vom Jahre 478/1085 (be¬
schrieben unter Nr. 2841 bei Beeston, Catalogue of the Persian etc. Manu¬
scripts in the Bodleian Library, Part III, Oxford 1954) und eine vor eimgen
Jahren in Persien aufgetauchte, jetzt in Amerika befindliche Hs. des sog.
Qäbüs-nämä vom Jahre 483/1090 (Näheres bei Fbye, The Andarz Näme of
Käyüs h. Iskandar b. Käpüs b. Vu^ämglr in Serta Cantabrigiensia, Wiesbaden 1954, S. 7—21).
Sammlung von Urkunden zur islamischen Geschichte Persiens 369
Doch auch gegenüber solchen Lücken braucht die Forschung noch
nicht zu verzagen, denn es gibt noch eine weitere QueUe, aus der sich Ur¬
kunden oder doch deren Surrogate schöpfen lassen. Es sind die/w5ä-
Werke, die man beUäufig mit den europäischen Formularbüchem ver¬
gleichen kann. Sie enthalten Urkundenabschriften, die unter gewissen
Voraussetzungen geeignet sind, die verlorenen Originale zu ersetzen. Die
abendländische DiplomatUt hat den Grundsatz aufgesteUt, daß Ab¬
schriften in dem Maße dokumentarischer Wert beizumessen sei, wie sich
ihre Echtheit erweisen lasse.* Dieser Grundsatz hat auch gegenüber den
in /w^ä-Werken enthaltenen Kopien vohe Geltung. Für seine Bedeutung
können die seiner Zeit von Mükeimin Halil zu gewissen Urkundentex¬
ten in den MünSe'ät es-selätin des Feridün Beg getroffenen FeststeUungen als Schulbeispiel dienen.^
Einzelheiten über den QueUenwert der /»isä-Werke und die bei ihrer
Benutzung zu beachtenden Grundsätze können wir uns hier ersparen,
da wir vor einiger Zeit an anderer SteUe ausführhcher darüber gehandelt
haben.* Hier muß der Hinweis genügen, daß diesen Sammlungen an¬
gesichts der unzureichenden Zahl von Originalurkunden innerhalb der
islamischen Geschichte Persiens besondere Bedeutung zukommt.
Freüich erheischt die Erschheßung der /wSä-Literatur, die in den Bi¬
bhotheken Europas und des Orients reichhch vertreten ist, noch beträcht¬
hche Arbeit. Auf diesem Gebiet ist internationale Zusammenarbeit be¬
sonders notwendig, denn die Zahl derjenigen Werke, die eine Bearbei¬
tung verdienen, ist so groß, daß sie ein Forscher oder auch eine Gruppe
von Gelehrten nicht zu vollbringen vermag. Es wird sich in der Regel
um regestenmäßige Zusammenfassung handeln, die als Monographien
oder in Zeitschriftenaufsätzen zu veröffenthchen sind.* Jan Rypkäs
Arbeit über den Briefwechsel der Hohen Pforte mit den Krimchanen nach
Pebidün Beg könnte als Muster für derartige Untersuchungen dienen.*
IV
Schheßhch sei hier noch eine Möghchkeit zur Erschheßung primären
QueUenmaterials erwähnt, die aber nur bedingt in den Bereich der Ur¬
kundenforschung gehört. Es ist die in Persien nicht selten anzutreffende 1 Vgl. Bbesslau, Urkundenlehre II, S. 225ff.
» Feridün Bej münSe'äty in TOEM Br. 62—77 (Istanbul 1336—1339).
3 Staatsschreiben der Timuridenzeit, Einleitung.
* Wir bekemien gern, daß die freimdlichen Worte, die Claude Cahen für
unsere soeben genannte Arbeit in seiner Besprechung im Joumal Asiatique
240 (1952), S. 524f., gefunden hat, uns zu den hier vorgetragenen Anregungen ermutigt haben.
" In der Festschrift für Georg Jacob, hsg. von Theodor Menzel, Leipzig 1932, S. 241—269.
370 Hans Robert Roemeb, Urkunden zur Geschichte Persiens
Veröffentlichung könighcher Erlasse in Form von Inschriften an Mosche¬
en oder anderen öffenthchen Gebäuden.* Freüich berühren sie in erster
Linie das Gebiet der Epigraphie, das hier nicht zu erörtern ist. Da es sich
aber tatsächhch um Erlasse handelt, spielen sie auch für die Urkunden¬
forschung eine RoUe, z. B. im Hinbhck auf die verwendeten Formen. In¬
soweit sind sie als Vergleichsmaterial von Bedeutung, ganz zu schweigen
von dem historischen Inhalt. Freihch bringen die epigraphischen Beson¬
derheiten neue Schwierigkeiten mit sich, von denen nicht weiter die Rede
sein soll.
*
Wir haben uns bei unseren Darlegungen äußerster Kürze befleißigen
müssen und sind uns bewußt, manche Frage offen gelassen zu haben.
Trotzdem glauben wir aber, die wichtigsten Punkte unseres Anhegens
vorgebracht zu haben, so daß die Klärung von Einzelheiten ohne Scha¬
den späteren Verhandlungen und Abmachungen überlassen bleiben mag.
Es kommt uns vor allen Dingen darauf an, die Mitarbeit unserer KoUegen
zu gewinnen, einerlei in welchem Lande sie ihrer Tätigkeit nachgehen.
Natürhch werden unsere orientalischen Fachgenossen, vor allen diejeni¬
gen aus Iran, in besonderem Maße in der Lage sein, auf imsere Anregun¬
gen einzugehen. Um so eindringhcher richtet sich unser Aufruf an sie.
Wir erlauben uns, als vorläufiges Zentrum der Arbeit die Akademie der
Wissenschaften und der Literatur in Mainz vorzuschlagen, deren Orienta¬
hsche Kommission sich bereit erklärt hat, dem Sammelbuch veröffent¬
hchter Urkunden eine Heimstatt zu geben und künftige Veröffenthchun¬
gen einschlägigen Inhalts nach Kräften zu unterstützen.
* Wir begnügen uns mit dem Hinweis auf Wilhelm Bartholds Ab¬
handlung über Die persische Inschrift an der Memer der Manüöehr-Moschee
zu Ani, deren deutsche Bearbeitung W. Hinz zu verdanken ist (ZDMO 101
[1951], S. 241—269).
"Joint- marks" im alten Indien
Von Willibald Kibfel, Bonn
Im Jahre 1951 hat Cabl Schusteb als Mededehng No. XCIV des
"Koninklijk Instituut voor de Tropen" in Amsterdam, Afdehng Cul-
turele en Physische Anthropologie No. 39 eine in mehrfacher Hinsicht
bedeutsame Abhandlung veröffenthcht. Sie trägt den Titel Joint-marks,
a possible index of cultural contact between America, Oceania and the Far
East und ist die leicht erweiterte Version des Vortrages, den der Ver¬
fasser unter dem Titel A significant Correspondence between OU- and New-
World Design, auf dem 29. internationalen Amerikanistenkongreß im
September 1949 in New York gehalten hat. Erläutert wurde der Gegen¬
stand durch eme Reihe von Photographien, die einen TeU der Ausstel¬
lung "Across the Pacific" im Vorraum des "Museum of Natural History"
büdete. Wendet sich das vorliegende vorzüghch ausgestattete und Ulu-
strierte Bändchen auch in erster Linie an Amerikanisten und Südsee¬
forscher, so hat es doch auch für die Indologie einige Bedeutung, da es,
wie sich weiter unten noch zeigen wird, dazu beitragen dürfte, aus ihrem
Bereich ein paar bisher ungelöste Punkte zu klären.
Die "Joint-marks", die Schuster unter Beifügung von 82 AbbUdungen
behandelt, sind im aUgemeinen von zwiefacher Art. Die erstere charak¬
terisiert sich dadurch, daß bei fetischartigen Schnitzwerken, Rehefs,
Keramiken oder dgl., ja sogar bei Tätowierungen die GelenksteUen durch
pflock- oder rosettenähnhche Verdickungen oder Zeichnungen hervor¬
gehoben werden, so etwa, als seien sie zusammengenagelt. Bei der zweiten
Art zeigen sich bei geschnitzten oder ihnen nachgebUdeten Tonfetischen
in sitzender SteUung stützenartige Verbindungen, die gewissermaßen
zwischen Ehbogen und aufgestemmtem Knie stehen gebheben sind.
Beide Arten finden sich an Museumsstücken, die beiderseits des Pazi¬
fischen Ozeans aufgefunden worden sind, und zwar hauptsächlich auf den
Südsee-Insehi und in Ozeanien (außer Austrahen) sowie in den zentralen
Ländern Amerikas. Ein ausführliches Verzeichnis nennt nicht nur die
Museen, in denen sich die Originale oder die zu Grunde gelegten QueUen
für die AbbUdungen befinden, sondern macht auch noch weitere Angaben
zu den einzelnen Nummern. Schheßhch vermittelt eine Kartenskizze noch
einen geographischen Überbhck der FundsteUen beiderseits des Pazifüi.
In ihrer Gesamtheit hefern die in dem Büchlein behandelten und ab-
gebUdeten Stücke ein beachthches Argument für einen alten transpazi-