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Illuminierte Urkunden

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Academic year: 2022

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Gabriele Bartz, Markus Gneiß (Hg.)

Illuminierte Urkunden

Beiträge aus Diplomatik, Kunstgeschichte

und Digital Humanities

(2)

ILLUMINIERTE URKUNDEN. BEITRÄGE AUS DIPLOMATIK, KUNSTGESCHICHTE UND DIGITAL HUMANITIES ILLUMINATED CHARTERS. ESSAYS FROM DIPLOMATIC,

ART HISTORY AND DIGITAL HUMANITIES

(3)

Archiv für Diplomatik Schriftgeschichte

Siegel- und Wappenkunde

Begründet durch

EDMUND E. STENGEL

Herausgegeben von

IRMGARD FEES und ANDREA STIELDORF

Beiheft 16

(4)

BÖHLAU VERLAG KÖLN . WEIMAR . WIEN

Illuminierte Urkunden.

Beiträge aus Diplomatik, Kunstgeschichte und Digital

Humanities

Illuminated Charters.

Essays from Diplomatic, Art History and Digital Humanities

herausgegeben von

GABRIELE BARTZ

und

MARKUS GNEISS

(5)

Austrian Science Fund (FWF): Projektnummer P 26706-G21

Die Texte wurden durch die Herausgeber des Bandes, die Reihenherausgeber und Dritte auf ihre wissenschaftliche Qualität geprüft (Peer-Review-Verfahren).

Umschlagabbildung: König Edward III. für die Stadt Ipswich (1. Juli 1338).

Suffolk Record Office, Ipswich, Ipswich City Charters C/1/1/7.

Bibliografische Information der Deutschen Nationalbibliothek:

Die Deutsche Nationalbibliothek verzeichnet diese Publikation in der Deutschen Nationalbibliografie; detaillierte bibliografische Daten

sind im Internet über http://dnb.d-nb.de abrufbar.

© 2018 by Böhlau Verlag GmbH & Cie, Köln Weimar Wien Lindenstraße 14, D-50674 Köln, www.boehlau-verlag.com

Dieses Material steht unter der Creative-Commons-Lizenz Namensnennung 4.0 International. Um eine Kopie dieser Lizenz zu sehen, besuchen Sie

http://creativecommons.org/licenses/by/4.0/.

Satz: Bettina Waringer, Wien

ISBN 978-3-412-51238-5

(6)

Inhalt

Vorwort

Illuminierte Urkunden als Forschungsthema: Zur Genese eines interdisziplinären Projekts und einleitende Worte zum Tagungsband

Gabriele Bartz & Markus Gneiß

unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister . . . 11 Automatic Detection of Illuminated Charters

Vincent Christlein . . . 45 Bilder, Metadaten und unterschiedliche Quellen: Über Herausforderungen bei der Zusammenführung von heterogenen Objekten des kulturellen Erbes unter besonderer Berücksichtigung illuminierter Urkunden

Lisa Dieckmann . . . 53 Möglichkeiten und Grenzen gedruckter und digitalisierter

Urkundenpublikationen in der Erforschung von Urkunden-Initialen Péter Kóta. . . 73 Die Subskriptionszeichen in den Schreiberzeilen der St. Galler

Privaturkunden des frühen Mittelalters: Eine Erstaufnahme

Bernhard Zeller . . . 91

„Emblematische“ Notarssignete der Frühen Neuzeit

Magdalena Weileder . . . 103 Das Aufkommen verzierter Initialen in den Papsturkunden

des hohen Mittelalters

Otfried Krafft . . . 125 Scribes, Pen-flourishers and Illuminators in Papal Charters from the Great Western Schism to the Age of the Councils (1378–1447)

Francesca Manzari . . . 153

(7)

Illuminierte Ablassurkunden im spätmittelalterlichen Westfalen

Étienne Doublier . . . 179 Le diplomatiste et les chartes ornées

Olivier Guyotjeannin . . . 201 Formes et fonctions de l’emblématique dans les chartes ornées:

L’exemple du corpus français

Laurent Hablot . . . 215 Some Illustrated French Documents (13th and early 14th centuries)

and their Cultural Contexts

Alison Stones . . . 233 The Study of Illuminated Charters, Past, Present and Future:

Some Thoughts from England

Elizabeth Danbury . . . 259 The Illuminated Charters of the Visconti and Sforza:

Commissions, Artists and Workshops

Laura Alidori Battaglia . . . 281 Pergamene dalla cancelleria dei Visconti e Sforza negli archivi del

Canton Ticino (Svizzera)

Marina Bernasconi Reusser . . . 301 Visualizing the Promise to the Serenissima in Venetian

Fourteenth-Century Illuminated Documents: Image, Text, and Ritual Marina Vidas . . . 319 Painting in Documents: The case of Venice

Helena Szépe . . . 333 Überlegungen zur Entstehung des Braunschweiger

Wappenbriefs von 1438

Henning Steinführer . . . 357

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Visuelle Strategien der Authentifizierung in hochmittelalterlichen Urkunden(-abschriften) Nordspaniens: Illuminierte Urkunden als Instrumente der Rechtssicherung und der Erinnerung

Susanne Wittekind . . . 381

Political and Artistic Trends in Late Medieval and Early Modern Georgian Illuminated Charters Eter Edisherashvili . . . 405

The Functions of Illuminated Charters from Latvian and Lithuanian Archives in a European Context Anastasija Ropa and Edgars Rops . . . 431

Illuminierte Urkunden zwischen Diplomatik, Kunstgeschichte und Digital Humanities: Ergebnisse und Perspektiven Torsten Hiltmann . . . 453

Abbildungsnachweis . . . 470

Siglen und Abkürzungen . . . 472

Verzeichnis der Autorinnen und Autoren . . . 474

Tafelteil . . . 481

(9)
(10)

Vorwort

Im vorliegenden Band sind Aufsätze versammelt, die aus Referaten der Wie- ner Tagung „Illuminierte Urkunden. Von den Rändern zweier Disziplinen ins Herz der Digital Humanities/Illuminated Charters. From the Margins of two Disciplines to the Core of Digital Humanities“ vom 12. bis 14. Sep- tember 2016 im Haus-, Hof- und Staatsarchiv entstanden sind, welche vom Projekt „Illuminierte Urkunden“ organisiert wurde. Thomas Just hatte sich freundlicherweise unserem Anliegen aufgeschlossen gezeigt und darüber hi- naus den Teilnehmerinnen und Teilnehmern der Tagung mit seiner Führung durch das Magazin einen unvergesslichen Eindruck vermittelt.

Ein Tagungsband ist immer ein Gemeinschaftsunternehmen; allen Auto- ren, die sich geduldig – und auch schnell – unseren Wünschen nach Fer- tigstellung und Überarbeitung gestellt haben, sei an dieser Stelle herzlich gedankt. Wir freuen uns, dass wir nach zwei Jahren den gedruckten Band vorlegen können, was bei der Vielzahl der beteiligten Akteure keineswegs selbstverständlich ist. Auch die Leiter unseres Projekts „Illuminierte Urkun- den“, Georg Vogeler, Martin Roland und Andreas Zajic, haben durch das in uns gesetzte Vertrauen und durch gelegentliches Intervenieren in schwieri- gen Situationen entscheidend zum Gelingen beigetragen. Unsere Kollegin Martina Bürgermeister vom Zentrum für Informationsmodellierung der Karl-Franzens-Universität in Graz ist schnell zur Hilfe gekommen, als wir uns ein paar fachspezifische Erläuterungen zu den Funktionalitäten unse- rer Datenbank in monasterium.net (ICARUS-Konsortium) gewünscht ha- ben; dafür sei ihr herzlich gedankt. Auf besondere Weise sind wir Alison Stones verpflichtet, die es sich zur Aufgabe gemacht hatte, die englischen Beiträge der Nicht-Muttersprachler gegenzulesen; auch Sean Winslow hat sich diesbezüglich verdient gemacht. In gleichem Maße danken wir Veronica Dell’Agostino für ihre sprachliche und inhaltliche Mithilfe.

Die Aufsätze der Tagung konnten dank der freundlichen Bereitschaft der beiden Herausgeberinnen, Irmgard Fees und Andrea Stieldorf, als Beiheft des Archivs für Diplomatik, Schriftgeschichte, Siegel- und Wappenkunde erscheinen. Ihnen sei für die kritische Lektüre der Beiträge, ihr Zutrauen in unsere Tätigkeit und die unkomplizierte Zusammenarbeit gedankt. Ohne die finanzielle Unterstützung des österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) hätte dieser Band nicht publiziert wer-

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den können. Ohne die kompetente Begleitung und Nachsicht von Johannes van Ooyen, Lena Krämer-Eis und Bettina Waringer vom Böhlau Verlag hätte er nicht so erscheinen können, wie er sich nun präsentiert.

Um eine möglichst leichte Lektüre auch der Anmerkungen zu ermöglichen, haben wir uns entschlossen, in der Druckversion die in unserer Sammlung

„Illuminierte Urkunden“ in monasterium.net vorkommenden Urkunden lediglich mit einem Asterisk zu markieren, um unschöne URLs zu ver- meiden. In der elektronischen Version des Bandes sind diese Verweise ver- linkt und führen zu den jeweiligen Einträgen. Die Links zu der Sammlung „Illuminierte Urkunden“ wurden im Laufe des Jänner 2018 überprüft. Die Datumsangaben des letzten Zugriffs auf alle anderen angegebenen Web sites finden sich direkt in den Fußnoten. Es schien verlockend, eine Gesamt- bibliographie zusammenzustellen, doch haben wir uns dagegen entschieden, um die Benutzbarkeit der einzelnen Aufsätze nicht zu erschweren.

Gabriele Bartz & Markus Gneiß Wien, im Jänner 2018

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Illuminierte Urkunden als Forschungsthema:

Zur Genese eines interdisziplinären Projekts und einleitende Worte zum Tagungsband

von

Gabriele Bartz & Markus Gneiß

unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister

Der Unterschied von einer illuminierten zu einer gewöhnlich ausgestatteten Urkunde fällt sofort ins Auge – selbst wenn ihn nur wenige zierende Fe- derstriche ausmachen. Die Dekoration hat keinen Einfluss auf den Rechts- inhalt, denn dieser ist im Text enthalten. Der Frage, warum sich Aussteller und Empfänger aus ganz Europa (und darüber hinaus) dennoch dieser Mühe unterzogen und zusätzliche Kosten auf sich nahmen, um ihren Urkunden ein hervorstechendes Gepräge zu verleihen, geht dieser Tagungsband nach.

1. Definitionen

Einer gängigen Definition zufolge sind Urkunden Schriftstücke rechtlichen Inhalts, die nach bestimmten formalen Kriterien abgefasst sind, die zeitlich und regional bzw. den eingebundenen Personen nach verschieden sein kön- nen. Zu unterscheiden sind Urkundenausfertigungen, also die auf den Aus- steller zurückgehende bzw. von ihm beabsichtigte und beglaubigte authenti- sche Fassung des Schriftstücks1, von Konzepten und Formularbüchern sowie von in (Kopial-)Büchern oder Registern überlieferten Abschriften dieser Texte. Auch Konzepte und Abschriften können mitunter Nachzeichnungen gewisser formaler Charakteristika, vornehmlich Beglaubigungsmittel, ent- halten2, doch galten sie im Allgemeinen nicht als rechtsbindend3.

1 Vgl. zur Definition z. B. Beck/Henning (Hg.), Quellen S. 41.

2 Siehe dazu unten S. 13.

3 Siehe für einige Beispiele gneiss/Zajic, Imagery S. 48–50. Ausnahmen sind mitunter Stadt- bücher, in denen die Eintragung per se rechtsetzend war und beglaubigte Abschriften an die beteiligten Personen ausgehändigt wurden, siehe mit mehreren Beispielen rezent gneiss,

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12 Gabriele Bartz & Markus Gneiß unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister

Selbstverständlich gibt es bei dieser Definition einige Zwischenstufen und Graubereiche4, auf die an dieser Stelle nicht näher eingegangen werden kann.

Illuminierte Urkunden nehmen einen Sonderbereich ein, treten neben den Rechtsinhalt des Textes und den üblichen Beglaubigungsmitteln wie Siegeln noch „bildliche“ Elemente hinzu, die bei der Analyse zu berücksichtigen sind.

Doch was versteht man unter diesem Begriff? Im allgemeinen Sinn handelt es sich bei illuminierten Urkunden nach der Definition von Martin Roland und Andreas Zajic um „Urkunden mit graphischen oder gemalten Elemen- ten, die nicht der Kontextschrift zuzuordnen sind“. Dazu gehören „aufwen- dige Auszeichnungsschriften und graphische Zeichen und Symbole bzw.

Beglaubigungselemente wie Chrismon, Monogramme und Notarssignete“.

Hervorzuheben aber sind Urkunden, bei denen der figürliche Schmuck auf Inhalt, Aussteller, Empfänger oder Rezipienten abzielt, wozu auch Wappen- bilder gehören. Hierfür dient der der Buchmalereiforschung entlehnte Be- griff der Historisierung5. Doch auch Urkunden mit farbigem Dekor ohne Bezug auf Text und Rezipienten gilt das Interesse. Als Richtschnur zur Beur- teilung von Dekor illuminierter Urkunden dient das in der betrachteten Zeit oder der untersuchten Kanzlei Übliche6.

Aus dieser Definition ergibt sich eine Hierarchisierung des Urkunden- schmucks, die Martin Roland in drei Stufen eingeteilt hat7. Das aufwändigste Ausstattungsniveau (Niveau 1) bezeichnet Urkunden, die historisierten De- kor aufweisen, also Miniaturen, historisierte Initialen, Randdekor oder Wap- pen. Dieser Schmuck kann gezeichnet oder gemalt sein. Die in diese Katego- rie fallenden dekorierten Urkunden gehören zu den im Projekt „Illuminierte Urkunden“ vornehmlich gesammelten Objekten; man kann davon ausge- hen, dass wohl weniger als 1 % der erhaltenen mittelalterlichen Urkunden auf diese Weise geschmückt sind. Weil Farbe auf Urkunden, anders als im Buchwesen, fast nie vorkommt, werden auch farbige Elemente hier einbe- zogen. Die zweite Stufe (Niveau 2) umfasst Urkunden, die nur gezeichnete Ausstattung aufweisen. Selten auftretende gegenständliche Motive (figürlich,

Handwerksordnungsbuch S. 54–57. Zur Diskussion um die Möglichkeit, Traditionsnoti- zen, die wiederum eine andere Kategorie als die Kopialbücher darstellen, vor Gericht als Beweismittel einzusetzen, siehe ZeHetmayer, Urkunde S. 64–74; Haider, Streitfälle S. 221 f., Anm. 67.

4 So sind etwa Notariatsinstrumente beglaubigte Abschriften einer anderen Urkunde und in jedem Fall als Ausfertigungen zu werten.

5 roland/Zajic, Urkunden S. 244 f.

6 roland, Illuminierte Urkunden S. 260. Mit dieser vermeintlichen Unschärfe ermöglicht es diese Definition, die jeweiligen zeitlichen und lokalen Entstehungsbedingungen zu berück- sichtigen.

7 Ebd. S. 267.

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Illuminierte Urkunden als Forschungsthema 13 zoomorph) haben keinen Bezug auf Inhalt oder Rezipienten. Dieser Dekor besteht oft aus floralen oder anderen Motiven; das aus dem Buchwesen be- kannte „Fleuronnée“ wird oft verwendet. Auch Stücke mit dekorativen Aus- zeichnungsschriften werden hier eingereiht. Umfang und Form des Dekors ändern sich nach zeit- oder lokalspezifischen Besonderheiten, was jeweils zu berücksichtigen ist. Niveau 3 schließlich bezeichnet die graphischen (Beglau- bigungs-)Zeichen, also Chrismon, Monogramm, Rota, Rekognitions- und Notariatszeichen sowie andere urkundenspezifische graphische Zeichen.

Tatsächlich zeigt sich anhand dieser Aufteilung die Schwierigkeit einer Unterscheidung von rein dekorativen Elementen und jenen, die die Authen- tizität des Stücks optisch verstärken. Nur selten sind graphische Zeichen für die Rechtsgültigkeit von Urkunden notwendig. Zweifelsohne aber haben graphische Zeichen einen dekorativen Wert, werden bewusst eingesetzt und unterliegen graphisch-typologischen Entwicklungen. Peter Rück hatte in diesem Zusammenhang von Sprach- und Buchstabenunabhängigkeit gespro- chen8, weshalb es mehr als legitim erscheint, sich graphischen Symbolen in einer Hierarchisierung illuminierter Urkunden zu widmen, zumal sich ihre optische Evidenz klar von den reinen Textelementen abhebt.

Diese in drei Stufen unterteilte Ausstattungshierarchie wird in der Samm- lung „Illuminierte Urkunden“ auf monasterium.net verwendet9. Sie hat glei- chermaßen als roter Faden für die Gliederung der Beiträge im vorliegenden Band gedient.

In der auf monasterium.net publizierten Sammlung sind – der Defini- tion von Roland und Zajic entsprechend – hauptsächlich Urkundenausfer- tigungen versammelt. Diese Einschränkung ist für ein für einen bestimmten Zeitraum bewilligtes Projekt auch sinnvoll. Diplomatikerinnen und Diplo- matiker arbeiten selbstverständlich mit allen möglichen Ausformungen ur- kundlicher Quellen, also sowohl mit in Ausfertigung als auch mit in Abschrift vorliegendem Material. Deswegen schien es sinnvoll, das Themenspektrum der einzelnen Aufsätze für den vorliegenden Tagungsband zu erweitern und auch Beiträge aufzunehmen, die die Wechselwirkung zwischen Illumina- tion in Büchern und auf ausgefertigten Urkunden untersuchen. Gerade in den Beispielen aus dem französischsprachigen Raum10 ist zu sehen, wie ge-

8 rück (Hg.), Symbole S. 23.

9 Mittlerweile ist es möglich sich die unter monasterium.net in unserer Sammlung befindli- chen Urkunden nach Ausstattungskriterien anzeigen zu lassen: http://monasterium.net/

mom/index/illurk-vocabulary (19/01/2018).

10 Siehe die Beiträge von Olivier Guyotjeannin, Laurent Hablot und Alison Stones in diesem Band.

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14 Gabriele Bartz & Markus Gneiß unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister

winnbringend ein über die Urkundenausfertigung hinausgehender Blick sein kann – speziell auch für die Untersuchung illuminierter Urkunden.

2. Forschungsgeschichte: Ein kurzer Abriss

Schon in den bis in das 18. Jahrhundert zurückreichenden Anfängen der Diplomatik als eine wissenschaftliche Arbeitsmethode11 wurden die äuße- ren Merkmale von Urkunden als essentieller Bestandteil der diplomatischen Analyse betrachtet. Der Fokus lag dabei mehrheitlich auf graphischen Be- glaubigungsmitteln wie Herrschermonogramm, Rekognitionszeichen und Ähnlichem. Das Interesse galt vor allem der Frage nach der Echtheit des Schriftstückes: Um eine Fälschung zweifelsfrei auszuschließen, musste so- wohl der inhaltliche als auch der paläographische Befund mit den vorhan- denen Beglaubigungsmitteln – Siegel und graphische Symbole – abgeglichen werden12. Graphische bzw. bildliche Elemente, die nicht dazu dienen, den Rechtsinhalt des Stücks auch visuell zu beglaubigen, wurden dabei in der Re- gel vernachlässigt13. Besonders herausragende Ausstattung wurde aber auch schon im 18. Jahrhundert zur Kenntnis genommen. So sind beispielsweise in den im Jahr 1725 veröffentlichten „Excerptorum genealogico-historicum libri duo“ des Raimund Duellius, Regularkanoniker im Augustiner-Chor- herrenstift St. Pölten, auch Details des Stiftbriefes Ottos von Maissau für die Augustiner-Chorherren von Dürnstein von 1410 abgebildet14.

Auch im 19. Jahrhundert sind den einschlägigen diplomatischen Untersu- chungen Illuminationen auf Urkunden selten eine Erwähnung wert. Trotz- dem gibt es Ausnahmen. So veröffentlichte schon 1847/48 Louis Douët d’Arcq eine Studie zu „chartes à vignettes“15. Desgleichen gab Arthur Giry in seinem „Manuel de diplomatique“ einen konzisen Überblick zu diesem

11 An dieser Stelle sei zum Beispiel auf Jean Mabillon und Gottfried Bessel verwiesen. Vgl.

dazu relativ rezent die Beiträge in leclant/VaucHeZ/Hurel (Hg.), Dom Jean Mabillon;

zusammenfassend: gneiss/Zajic, Imagery S. 45–47.

12 Zum Fälschungsbegriff vgl. z. B. Barnes, Fälschung passim. Aus der Fülle an Literatur zu diesem Thema sei noch immer auf den Band zu der von den MGH im Jahr 1986 veran- stalteten Tagung verwiesen, der dieses Phänomen umfassend beleuchtet: Fälschungen. Vgl.

auch den Beitrag von Rops/Ropa im vorliegenden Band.

13 gneiss/Zajic, Imagery S. 50.

14 duellius S. 361, Nr. XXIV f. Siehe dazu auch gneiss/Zajic, Imagery S. 50 f. Die Ausferti- gung liegt in Herzogenburg, Stiftsarchiv, D n. 147 (1410 Februar 17, Dürnstein). Zu dieser Urkunde siehe auch umfassend Zajic/roland, Urkundenfälschung; sie ist auch Teil der Sammlung http://monasterium.net/mom/IlluminierteUrkunden/collection (19/01/2018).

Alle weiteren Urkunden dieser Sammlung werden mit einem Asterisk gekennzeichnet.

15 douëtd’arcq, Chartes.

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Illuminierte Urkunden als Forschungsthema 15 Phänomen16. Dass man in der französischen Forschung schon verhältnis- mäßig früh auf illuminierte Urkunden aufmerksam wurde, beweist auch die Einrichtung eines eigenen Selekts mit „chartes à vignettes“ an den Pariser Archives nationales um die Mitte des 19. Jahrhunderts17.

In der deutschsprachigen Forschung finden sich zu dieser Zeit nur we- nige Nachweise von der Kenntnisnahme gemalten (Buch-)Schmucks auf Ur- kunden. Wilhelm Wattenbach machte beispielsweise in der dritten Auflage seines Überblicks zum Schriftwesen im Mittelalter kurze Bemerkungen zu den Initialen auf päpstlichen Urkunden des 14. und 15. Jahrhunderts und zu der Ausstattung einiger Urkunden Ludwigs des Bayern18. Joseph Bernhard Nordhoff setzte sich bereits 1880 mit illuminierten Sammelindulgenzen aus Avignon auseinander19. Andere Fall- und auf gewisse Regionen bezogene Überblicksstudien stammen aus dem 20. Jahrhundert20. Einen systemati- schen Zugang zu speziellen Typen illuminierter Urkunden verfolgte Dénes Radocsay, der in mehreren Publikationen einen Überblick über (ungarische) Wappenbriefe vor allem aus kunsthistorischer Perspektive gab21. Radocsay beschäftigte sich auch mit in Wiener Archiven aufbewahrten illuminierten Bischofsammelindulgenzen22. Zu diesem Thema konnten auch Homburger und von Steiger einen profunden Beitrag liefern, indem sie zwar von zwei illuminierten Ablassbriefen aus Bern ausgingen, in ihrem Aufsatz aber auch eine allgemeine diplomatische und kunsthistorische Einordnung dieser Ur- kundengattung versuchten23. Die bisher ausführlichste diplomatische Studie zu Bischof- und Kardinalsammelindulgenzen stammt von Alexander Seibold,

16 giry, Manuel 2 S. 502–507; zu den Anfängen der französischen Forschung zu illuminierten Urkunden siehe auch den Beitrag von Olivier Guyotjeannin in diesem Band.

17 Brunel, Images S. 35 f.; roland, Illuminierte Urkunden S. 245 f., Anm. 1.; gneiss/ Zajic, Imagery S. 53. Hervorzuheben ist in diesem Zusammenhang auch die Einrichtung des Musée des Archives nationales, mit der früh Publikationen einhergingen, beispielsweise (mit Nachstichen von Urkunden): Musée des Archives nationales. Documents originaux de l’histoire de France exposés dans l’Hôtel Soubise, introduction par Alfred maury, Paris 1872.

18 WattenBacH, Schriftwesen S. 383 f.

19 nordHoff, Urkunden.

20 Beispielsweise estienne, Affiche; rest, Ablaßurkunden; Brockmann, Urkunden; grun-

ZWeig, Lettre d’indulgence; faBian, Prunkbittschriften; Bock, Wappenbrief; Hocquet, Portraits; kisky, Urkunden; Bascapé, Diplomi miniati; fournier, Affiches 1; ders., Affi- ches 2; Harrsen, Ornament; santifaller, Illuminierte Urkunden; cHeney, Indulgences;

danBury, Decoration; oliVer, Herkenrode Indulgence; ZutsHi, Indulgences.

21 radoscay, Gótikus magyar címereslevelek; ders., Wappenbilder 1 u. 2.; ders., Wappen- briefe; ders., Renaissance letters patent; ders., Stil; ders., Illuminierte Urkunden; ders., Wiener Wappenbriefe.

22 ders., Ablaßbriefe.

23 HomBurger/Von steiger, Ablassbriefe.

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16 Gabriele Bartz & Markus Gneiß unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister

der jedoch kaum auf die Ausstattung der Stücke einging24. In einer späteren Publikation setzte er sich jedoch ausführlicher mit dem plakathaften Charak- ter der Sammelindulgenzen auseinander25. Eine kunsthistorische Einordnung der verzierten Urkunden Ludwigs des Bayern gelang Christa Wrede, die Leonhard von München als deren maßgeblichen Illustrator identifizierte26.

In den letzten fast zwei Jahrzehnten scheint die Diskussion über bildlichen Schmuck auf Urkunden sowohl bei Diplomatikerinnen und Diplomatikern als auch bei Kunsthistorikerinnen und Kunsthistorikern in verstärktem Aus- maß angekommen zu sein27. Zu graphischen Symbolen auf Urkunden, die verschiedene Funktionen – darunter auch beglaubigende – einnehmen kön- nen, liegt mit einem von Peter Rück herausgegebenen umfangreichen Sam- melband ein grundlegendes Werk vor, das diese Thematik aus verschiedenen Blickwinkeln beleuchtet28.

Auch das Feld der illuminierten Urkunden im engeren Sinn wurde im- mer umfangreicher beforscht. In diesem Zusammenhang ist besonders der im Jahr 2005 erschienene, von Ghislain Brunel bearbeitete Auswahlkatalog von illuminierten Urkunden hervorzuheben, die in den Pariser Archives na- tionales aufbewahrt werden29. Der Band bereitet die einzelnen Stücke sowohl diplomatisch als auch kunsthistorisch auf und stellt sie in ihren historischen Kontext. Vor allem haben sich aber Andreas Zajic und Martin Roland in den letzten etwas mehr als zehn Jahren verstärkt zu diesem Thema geäußert. Im Jahr 2005 veröffentlichten sie eine Studie zum illuminierten Stiftbrief des Au- gustiner-Chorherrenklosters Dürnstein und damit in Verbindung stehenden illuminierten Urkunden, darunter auch eine Fälschung30. Zwar machten sie bereits in diesem Aufsatz einige allgemeine Bemerkungen zu dieser Thema- tik, doch erst acht Jahre später publizierten sie einen umfassenden Überblick

24 seiBold, Sammelindulgenzen.

25 ders., Ablassurkunden.

26 Wrede, Leonhard von München. Vgl. auch acHt, Prunkurkunden, und allgemein suckale, Hofkunst.

27 Vgl. z. B. kölZer, Farbiges Mittelalter; pani, Lettera collettiva; danBury, Décoration et enluminure.

28 rück (Hg.), Symbole. Besonderes Interesse haben beispielsweise bereits Notarssignete in der Forschung erfahren, siehe unter anderem: scHmidt-tHomé, Notarsignet; ders., Deutsches Notarsignet; scHuler, Geschichte; ders., Notarszeichen; reckenZaun, Kunst- geschichte; Härtel, Urkunden; materialreich vor allem: kern (Bearb.), Notare; dies./

Weileder (Bearb.), Notare. Vgl. auch den Beitrag Magdalena Weileders im vorliegenden Band. Auch beglaubigende graphische Mittel auf Papsturkunden waren bereits Thema der rezenteren Forschung, siehe vor allem krafft, Bene Valete.

29 Brunel, Images.

30 Zajic/roland, Urkundenfälschung.

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Illuminierte Urkunden als Forschungsthema 17 zu mittelalterlichen illuminierten Urkunden31. Neben früh- und hochmittel- alterlichen illuminierten Einzelstücken legten sie ihren Schwerpunkt dabei vor allem auf die spätmittelalterlichen urkundlichen Massenprodukte, also auf Bischofsammelindulgenzen und Wappenbriefe32.

Auf den Studientag vom Mai 2007 in den Archives nationales in Paris („Moyen Age en images: les chartes ornées dans l‘Europe romane et go- thique“) folgte 2013 ein Ergebnisband, in dem Martin Roland und Andreas Zajic eine gekürzte französische Version ihres Überblicksartikels zu illumi- nierten Urkunden publizierten33. Neben dieser von Roland und Zajic vorge- legten grundlegenden Typologie illuminierter Urkunden geben die weiteren Beiträge dieses Bandes schwerpunktmäßigen Einblick in andere Epochen und Räume. So untersucht Robert A. Maxwell ausgewählte ausgefertigte illumi- nierte Urkunden bzw. kopiale Überlieferungen aus England, Frankreich, Ita- lien und Spanien vom 10. bis zum ausgehenden 12. Jahrhundert (S. 11–39).

Ghislain Brunel gibt einen Überblick zu illuminierten Urkunden aus Frank- reich vom Ende des 13. bis zur Mitte des 15. Jahrhunderts (S. 41–77). Bis in das 15. Jahrhundert reicht auch der überblicksartige Aufsatz Elizabeth Dan- burys, jedoch nicht ohne auf die auch in der zweiten Hälfte des 20. Jahr- hunderts noch übliche Praxis der Ausstellung illuminierter Urkunden durch die englische Königin Elisabeth II. hinzuweisen (S. 79–107)34. Über städti- sche illuminierte Urkunden am Beispiel der sogenannten Schwörbriefe aus Straßburg, die den jährlichen Eid der Stadtgemeinschaft auf die städtische Verfassung beurkundeten, handeln Olivier Richard und Benoît-Michel Tock (S. 109–128). Verzierte Initialen auf Urkunden, die zwischen 1351 und 1456 durch die Grafen von Cilli ausgestellt wurden, nimmt Nataša Kavči in den Blick (S. 129–150). Olivier Guyotjeannin schließt den Band ab mit Gedanken zur grundsätzlichen Funktionsweise von illuminierten Urkunden, zur Wirk- kraft des Bildes, zum Verhältnis von Text und Bild sowie zur Motivation, Urkunden mit bildlicher Ausstattung zu versehen. In Summe stellen also die Aufsätze von Martin Roland und Andreas Zajic sowie der von Ghislain Bru- nel und Marc H. Smith herausgegebene Band die ersten umfassenden länder- übergreifenden Studien zu dem Phänomen illuminierter Urkunden dar.

In den letzten Jahren scheinen vor allem die beiden Hauptgruppen illu- minierter Urkunden – Sammelablässe und Wappenbriefe – wieder vermehrt in den Blick der Forschung gerückt zu sein. Interdisziplinäre Zugänge zu dieser Thematik dominieren mittlerweile; sowohl die historisch-hilfswissen-

31 roland/Zajic, Urkunden.

32 Zu Wappenbriefen allgemein vgl. auch unter anderem pfeifer, Wappenbriefe.

33 Brunel/smitH (Hg.), Chartes Ornées; speziell: roland/Zajic, Chartes médiévales.

34 Vgl. auch ihren grundlegenden Aufsatz: danBury, Decoration.

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18 Gabriele Bartz & Markus Gneiß unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister

schaftliche als auch die kunsthistorische Perspektive treten oftmals als gleich- berechtigte Forschungsansätze entgegen35.

3. Interdisziplinarität als Notwendigkeit und Chance: Das Projekt

„Illuminierte Urkunden als Gesamtkunstwerk“

Martin Roland und Andreas Zajic waren auch maßgeblich für die Ausar- beitung des Konzepts für ein Projekt verantwortlich, das sich zum ersten Mal in der Geschichte der historischen Forschung systematisch und unter Heranziehung von Expertinnen und Experten aus mehreren wissenschaftli- chen Disziplinen mit illuminierten Urkunden beschäftigen sollte. Im Herbst 2013 wurde dieses von Georg Vogeler geleitete Projekt vom österreichischen Fonds zur Förderung der wissenschaftlichen Forschung (FWF) bewilligt.

Das in Wien am Institut für Mittelalterforschung der Österreichischen Akademie der Wissenschaften und in Graz am Zentrum für Informations- modellierung in den Geisteswissenschaften der Karl-Franzens-Universität angesiedelte Projekt „Illuminierte Urkunden als Gesamtkunstwerk“ hat sich zum Ziel gesetzt, die illuminierten Urkunden des Mittelalters zu sammeln, auf der Plattform monasterium.net zur Verfügung zu stellen und umfassend zu untersuchen36. Es ist gesamteuropäisch ausgerichtet, bewusst interdiszip- linär und versteht die Verwendung von Informationstechnologie als zentrale Komponente. Ziel des Projekts ist eine europaweite Text-und Bilddatenbank zu illuminierten Urkunden37. Der zeitliche Rahmen der hier veröffentlichten Urkunden erstreckt sich vom 9. bis in das 16. Jahrhundert (weitere frühneu- zeitliche Beispiele müssen derzeit großteils noch ausgeklammert bleiben).

Geographisch betrachtet können alle Regionen in Europa aussagekräftige

35 Zu den Sammelindulgenzen vgl. zuletzt vor allem den Ausstellungskatalog Frömmigkeit, in dem illuminierte Sammelablässe aus Mühlhausen (Thüringen) sowohl historisch-diplo- matisch als auch kunsthistorisch eingehend untersucht werden. Weiters zu nennen ist der ebenfalls interdisziplinär ausgelegte Aufsatz moZer/scHedl, Ablassurkunde, über einen Kardinalsammelablass für die Sebastiansbruderschaft in Mainz von 1484. Einen prosopo- graphischen Zugang zu den Sammelablässen liefert klare, Ablassprivilegien. Zu den Wap- penbriefen vgl. etwa roland, Wappen, und rezent den Sammelband Hiltmann/HaBlot

(Hg.), Heraldic Artists.

36 Das Projekt ist von Mai 2014 bis Oktober 2017 vom (FWF) mit drei wissenschaftlichen Mitarbeitern in den Disziplinen Digital Humanities, historische Hilfswissenschaften und Kunstgeschichte gefördert worden (Projekt-Nummer 26706). Bis zum Oktober 2018 wird es im Rahmen des Förderprogramms go!digital der Österreichischen Akademie der Wis- senschaften weitergeführt (Projekt-Nummer 0706).

37 Auf http://www.monasterium.net (19/01/2018), betrieben vom International Center for Archival Research ICARUS.

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Illuminierte Urkunden als Forschungsthema 19 Urkunden beisteuern, wie es eindrucksvoll dieser Tagungsband zur Schau stellt.

Diese urkundenspezifische Open-Access-Plattform erfasst über den plattformeigenen Editor alle Forschungsdaten systematisch und speichert diese als XML in der Datenbank. Die einzelnen Urkunden-Datensätze werden nach dem Standard der CEI annotiert, die sich als TEI-P4-Dialekt in andere Datenstrukturen integriert38. Damit ist die Nachhaltigkeit der Daten sichergestellt, da sie öffentlich dokumentierte und in der Fachcom- munity geläufige Beschreibungsstandards verwenden. Der Editor ist nach dem WYSIWYM-Prinzip39 aufgebaut und ermöglicht nicht nur die struk- turierte Erfassung in Feldern, sondern auch das flexible Hinzufügen von Inline-Markups und Attributen, ohne die Benutzer den XML-Codes direkt auszusetzen. Aktuell ist die dritte Editorengeneration umgesetzt. Es handelt sich dabei um eine Javascript-basierte Editionsumgebung, die die Beschrei- bung der Urkunden intuitiv ermöglicht: Der Editor bietet eine Mischung aus strukturierten Eingabemasken und Freitextfeldern an, die auch den Zugriff auf kontrollierte Vokabularien sowie Text-Bild-Verknüpfungswerkzeuge bereitstellt (Abb. 1). Durch den benutzerfreundlichen Aufbau des Edi- tors können sich so Anwenderinnen und Anwender auf die Erfassung der Inhaltsdaten konzentrieren. Für das 2014 gestartete FWF-Projekt wurde der Standard-Editor von monasterium.net über eine interne Konfigurationsdatei projektspezifisch adaptiert40, um dem interdisziplinären Charakter der wis- senschaftlichen Arbeit gerecht zu werden. Da im sogenannten MOM-Editor kein eigener Bereich für eine ausführliche kunsthistorische Beschreibung der jeweiligen Urkunde vorhanden war, wurde ein solcher ergänzt.

Die digitalen Arbeitsoberflächen machen es möglich, dass Kunsthistori- kerinnen und Kunsthistoriker sowie Hilfswissenschaftlerinnen und Hilfs- wissenschaftler erstmals gemeinsam eine Quellengattung bearbeiten können, deren Erforschung keine der beiden Disziplinen allein leisten könnte. Die Kunstgeschichte profitiert von Kunstwerken, die bisher meist unbeachtet oder unverstanden geblieben sind und die in den meisten Fällen über eine Lokalisierung und eine Datierung verfügen. Besonderes Augenmerk wird dabei auf zwei Eigenschaften gelegt, die in der ursprünglichen Konzeption von Urkundendatenbanken nicht enthalten sind: Die Behandlung der Ur- kunden als Bilder und die in den Urkunden sich spiegelnden sozialen Bezie- hungen. Über den Editor von monasterium.net gelingt die Zusammenschau

38 http://www.cei.lmu.de/index.php (19/01/2018).

39 Steht für „What you see is what you mean“.

40 Diese Konfigurationsdatei ermöglicht die schnelle Anpassung des Editors an viele weitere Benutzungsszenarien.

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20 Gabriele Bartz & Markus Gneiß unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister

von Kunstwerk (das Bild) und wissenschaftlichen Metadaten. Letztere ver- knüpfen ihrerseits verschiedene Aspekte wie Personen (Aussteller, Schrei- ber, Künstler und Empfänger), Werkstätten, Bildinhalte und Ausstattungs- niveaus.

Der kunsthistorische Teil ist in zwei Abschnitte untergliedert, eine Be- schreibung der Ausstattung und eine Einordnung. Von Seiten der Diploma- tik werden ein (im Idealfall ausführliches) Regest und ein „Diplomatischer Kommentar“ geboten, der eine nähere diplomatische und historische Ein- ordnung der im jeweiligen Datensatz besprochenen Urkunde enthält. Die Datensätze zu jeder Urkunde enthalten auch eine Bibliographie, die mit einer durch die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter des Projekts gepflegten Gruppenbibliothek in Zotero verknüpft ist41: Während auf monasterium.net lediglich Kurzzitate zu finden sind, werden diese durch einen Link auf den Volltitel in der Zotero-Datenbank aufgelöst.

Da im Projekt „Illuminierte Urkunden“ die Vergleichbarkeit und Ver- netzung von Datensätzen für die Weiternutzung ein wesentlicher Faktor ist, wurde auch an einer generischen Erweiterung des Editors zur Nutzung von kontrollierten Vokabularien gearbeitet. Die Eingabemaske bietet über Dropdownmenüs eine Auswahl an genormten Begriffen an, die in Form von Attributen in den XML-Datensatz eingefügt werden können. Die so erfass- ten normierten Beschreibungen der Urkunden minimieren einerseits das Problem der Mehrsprachigkeit und erhöhen den Grad der Austauschbarkeit in diesem bewusst europäisch und interdisziplinär ausgerichteten Projekt.

41 https://www.zotero.org/groups/257864/illuminatedcharters (19/01/2018).

Abb. 1: Screenshot des Full-Editors.

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Illuminierte Urkunden als Forschungsthema 21

Als erstes wurde das von Martin Roland entwickelte mehrsprachige Voka- bular zur Klassifikation der illuminierten Urkunden in formalisierter Form in die Datenbank eingebaut, über den Editor benutzbar und über die Suche abfragbar gemacht42.

Weiters wurde eine Funktion programmiert, die die Vorschaulisten zu allen 630.000 Urkunden auf monasterium.net mit einem Thumbnail erwei-

42 http://monasterium.net/mom/index/illurk-vocabulary (19/01/2018).

Abb. 2: Screenshot von der monasterium-Datenbank mit der Image preview.

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22 Gabriele Bartz & Markus Gneiß unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister

tert43. Das großflächige und effiziente Durchscreenen nach äußeren Merk- malen wird so erstmals möglich.

3.1 Massenproduktion und Memoria:

Die Arbeitsschwerpunkte des Projekts

Das Projekt „Illuminierte Urkunden“ hat bisher schwerpunktmäßig zwei Bereiche untersucht: Französische Urkunden mit Fokus auf die erstaunliche Produktion der Kanzlei Karls V. (des Weisen)44 und Bischofsammelindul- genzen aus Avignon45. Auch lombardische Urkunden des Spätmittelalters46 sowie Wappenbriefe47 konnten mittels Werkverträgen als eigene Sammlung angelegt werden. Die Kollektion von Kardinalsammelindulgenzen ist noch im Aufbau begriffen48. Bei unserer Tagung konnten wir die Bekanntschaft von Susanne Wittekind vertiefen, die ihre Expertise bei spanischen Urkun- den freundlicherweise in die Datenbank einbrachte und eine Untersammlung spanischer und portugiesischer Urkunden („Iberica“) anregte49. Für die illu- minierten Urkunden der Lombardei konnten wir einen Weg beschreiten, der hoffentlich wegweisend sein wird, um die Zugänglichkeit der Forschungs- ergebnisse international zu erhöhen und die Mitarbeit von anderssprachi- gen Experten zu erleichtern. Ausgehend von den italienischen Regesten von Enrico Scaccabarozzi sowie kunsthistorischen Einordnungen von Laura Alidori Battaglia und Marina Barnasconi Reusser sind von Stephanie Ro- senkranz deutsche Übersetzungen angefertigt worden. Die kurz gehaltenen deutschen Beschreibungen sind mit den ausführlichen italienischen verlinkt.

Eine Sammlung, die den besonders bemerkenswerten Stücken gewidmet ist

43 Beispielsweise für die Sammlung „Illuminierte Urkunden“: http://monasterium.net/mom/

IlluminierteUrkunden/images?block=1 (19/01/2018).

44 Als Teilsammlung einsehbar unter http://monasterium.net/mom/IlluminierteUrkunden- Frankreich/collection (19/01/2018).

45 Als Teilsammlung einsehbar unter http://monasterium.net/mom/IlluminierteUrkunden- Bischofsammelablaesse/collection (19/01/2018).

46 Als Teilsammlung einsehbar unter http://monasterium.net/mom/IlluminierteUrkunden- Lombardei/collection (in deutscher Sprache) und http://monasterium.net/mom/Illumi- nierteUrkundenLombardeiit/collection (auf Italienisch, [19/01/2018]).

47 Als Teilsammlung einsehbar unter http://monasterium.net/mom/IlluminierteUrkunden- Wappenbriefe/collection (19/01/2018).

48 Als Teilsammlung einsehbar unter http://monasterium.net/mom/IlluminierteUrkun- denKardinalsammelindulgenzen/collection (19/01/2018).

49 Als Teilsammlung einsehbar unter http://monasterium.net/mom/IlluminierteUrkunden Iberica/collection (19/01/2018).

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Illuminierte Urkunden als Forschungsthema 23 („Cimelia“50), enthält die bisher knapp 100 wichtigsten Urkunden. Um an- derssprachigen Interessierten den Zugang zu erleichtern, werden englische Kurzregesten erarbeitet.

Der Aufsatz von Francesca Manzari in diesem Band (S. 153) hat Martin Roland dazu angeregt, eine eigene Sammlung von einem Bestand an gra- phisch aufwändig dekorierten Urkunden der Kurie aus der Zeit von 1378 (Papst Urban VI.) bis zu Papst Eugen IV., einschließlich von Urkunden der Konzilien, zusammenzustellen, die zusätzlich mit weiteren die Sammlung

„Papsturkunden“ bildet51.

Bei der Bearbeitung der Avignoner Bischofsammelindulgenzen, einer massenweise auftretenden Urkundengattung52, konnten neue Wege beschrit- ten werden, die der Erforschung des Materials gerecht werden und die so in gedruckten Publikationen niemals möglich wären und die auch für mo- nasterium.net eine Herausforderung darstellten. Um allfällige Redundanzen bei der kunsthistorischen Bearbeitung zu vermeiden und um auf übergrei- fende Erkenntnisse verweisen zu können, wurde ein Glossar entwickelt53. Es wurde im W3C-Standard SKOS54 formalisiert und auf generische Weise in die Datenbank implementiert. Es dient den Benutzerinnen und Benut- zern der Plattform als Nachschlagewerk. Gleichzeitig werden die Inhalte zu Aspekten wie Personen (Aussteller, Schreiber, Künstler und Empfänger), Werkstätten, Bildinhalte und Ausstattungsniveaus kontextualisiert. Das Ar- beiten mit dem Glossar ermöglicht es, neue Beurteilungen des Materials – die sich beispielsweise durch Neufunde einstellen – schnell in die Datenbank zu integrieren, ohne dass jedes Mal die einzelnen Einträge verändert werden müssen.

Innerhalb des Glossars besteht die Möglichkeit andere Urkunden, die etwa über ein ähnliches Layout verfügen oder von demselben Maler/Zeich- ner dekoriert worden sind, zum Vergleich heranzuziehen. Das Glossar ist damit sowohl Erläuterung von Phänomenen der Urkunden als auch über die im Projekt entwickelte Index-Applikation von monasterium.net ein Rechercheinstrument. Schließlich bieten diese, auch unabhängig von Ein-

50 Als Teilsammlung einsehbar unter http://monasterium.net/mom/IlluminierteUrkunden- Cimelia/collection (19/01/2018).

51 http://monasterium.net/mom/IlluminierteUrkundenKurie/collection (19/01/2018).

52 Wir haben bisher über 700 Ablässe erfasst. Hippolyte Delehaye, der zwischen 1926 und 1928 drei Aufsätze veröffentlichte, konnte über 1230 Dokumente aus der Zeitspanne 1281–

1547 ermitteln; deleHaye, Lettres. Gleichwohl schöpfte er seine Erkenntnisse auch aus Ur- kundenbüchern, sodass seine Nachweise eben nicht ausschließlich Originalüberlieferungen darstellen.

53 http://monasterium.net/mom/index/IllUrkGlossar (19/01/2018).

54 https://www.w3.org/2004/02/skos/ (19/01/2018).

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24 Gabriele Bartz & Markus Gneiß unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister

trägen zu Urkunden zu lesenden Erörterungen auch die Gelegenheit, allge- meinere Erkenntnisse zur Entwicklung des Urkundenschmucks darzulegen, wie man das sonst in einem Aufsatz erwarten würde. Somit ist ein Anfang gemacht, aus dem digitalen Karteikasten eine lebendige Forschungsplattform zu machen. Die inhaltlichen Erfordernisse geben die Richtung vor, mit der die Informationsmodellierung neue Wege beschreitet.

Zusätzlich dazu wurde auf Basis des Nachschlagewerks von Matthias Eu- bel55 eine Liste der zahlreichen diese Urkunden ausstellenden Erzbischöfe und Bischöfe erstellt, die grundlegende biographische Angaben und – falls möglich – eine Lokalisierung des jeweiligen Bischofssitzes enthält. Diese Liste wurde zum Anlass genommen, in monasterium.net eine in XML/TEI56 kodierte prosopographische Datenbank aufzubauen57. Durch die Ende 2017 angelaufene Projektförderung go!digital wird insbesondere am Ausbau der prosospographischen Datenbank und des Glossars58 sowie deren Integration in die Funktionalitäten des monasterium.net-Portals gearbeitet.

3.2 Inspiration und Vertiefung

Reisen zu den Archiven sind unerlässlich für das Aufspüren illuminierter Urkunden, da Archivdatenbanken Schmuck meist nur unsystematisch er- fassen59. Für die französischen Urkunden hat ein dreiwöchiger Forschungs- aufenthalt in Paris interessante Ergebnisse geliefert60. Auf der Grundlage von

55 euBel, Hierarchia.

56 http://www.tei-c.org (19/01/2018).

57 http://monasterium.net/mom/index/BischoefeAblaesse (19/01/2018).

58 Die bisher vergebenen Lemmata beziehen sich hauptsächlich auf die Urkundengattung der Bischofsammelindulgenzen; sie sind zur Erläuterung der sich innerhalb dieser Grup- pe vollziehenden Entwicklungen gedacht. Die Fortführung des Glossars soll auch für an- dere Urkundengruppen genutzt werden. Eine nach Sachthemen gegliederte Ansicht wird eine übersichtliche Orientierung ermöglichen und eine über den einzelnen Datensatz zur Urkunde geordnete Information zur Verfügung stellen. Innerhalb des Projekts „Illumi- nierte Urkunden“ handelt es sich dabei um ein „kontrolliertes Vokabularium“. Dass es bisher nicht ratsam war, dabei eingeführte Standard-Vokabularien zu verwenden, zeigt das Beispiel „Druck“: Hier geht es darum, ein Lemma zu definieren, das die Sonderform der gedruckten Urkunde – sowohl Einzelblatt oder Libell – umschreibt, also weder ein Ein- blattdruck, ein gedrucktes Buch oder eine gedruckte Illustration ist. Dieses Spezifikum ist ebenso wenig in Standard-Vokabularien zu finden wie das Auftreten von rahmenförmig um die Urkunde angeordnetem Schmuck bei Bischofsammelindulgenzen. Sollte es andern- orts dazu kommen, illuminierte Urkunden standardisiert zu beschreiben, wird man die Diskussion um Lemmata neu führen müssen.

59 Vgl. den Beitrag von Péter Kóta in diesem Band.

60 Gabriele Bartz möchte die Gelegenheit ergreifen Jean-Francois Moufflet, Marie-Adelaide

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Illuminierte Urkunden als Forschungsthema 25 Ghislain Brunels Publikation61 konnten zusätzliche Funde gemacht werden.

Erwartungsgemäß sind nur wenig neue historisierte Urkunden (Niveau 1) ans Licht getreten62. Doch konnte zum Beispiel das Vorkommen der Fleur- de-lys in den Urkunden von Philipp IV. (dem Schönen) um einiges früher nachgewiesen werden, als bisher angenommen63: Bereits kurz nach seiner Krönung, im Jänner 1286, findet man eine Urkunde64, bei der der Kürzungs- strich am „Ph“ als Fleur-de-lys gearbeitet ist.

Unter den Urkunden Philipps VI., dem ersten Valois unter den französi- schen Königen, sticht besonders diejenige hervor, mit der er die Morgengabe für seine Frau Johanna von Burgund festlegt (Abb. 3)65. Die gespaltenen Ini- tialen „Ph“ sind jeweils im Binnenfeld gefüllt mit einer Jagdszene vor schraf- fiertem Grund sowie einem Drachen und Drachenkopf in den sich durch ein Wellenornament ergebenden Freiräumen. Über dem Schaft des „h“ befindet sich eine Büste des Königs Philipp VI., der eine Urkunde (auf der geschrieben steht: „tenez vostre douaire“) zu einer Büste der Königin Jeanne de Bour- gogne herunterreicht, die über dem Schaft des „P“ erscheint. Der Balken, der einmal die Abbreviatur gewesen ist, läuft unten in eine Fleur-de-lys aus.

Die Initiale S(avoir) zu Beginn des Kontexts ist mit Palmetten geziert. Zwei Hasen in verschiedenen Ansichten und ein Tiergesicht en face markieren den Ort der Siegelanbringung. Die Urkunde ist nicht nur deshalb berühmt, weil es sich um die älteste bisher bekannt gewordene französische Königsurkunde handelt, die Bildnisse des Königs und der Königin zeigt, sondern weil sie auf erstaunlich selbstreferenzielle Weise den performativen Akt der Übergabe demonstriert. Die Autopsie des Originals konnte die Vermutung bestätigen,

Nielen, Pierre Jugie und Stéphanie Maillet von den Archives nationales und dem ange- schlossenen Musée ganz herzlich für ihre Offenheit meinem Anliegen gegenüber und für ihre große Hilfsbereitschaft zu danken.

61 Brunel, Images.

62 Ein erstaunlicher Zufallsfund ist der Hochzeitsvertrag zwischen Gilbert de Bour- bon-Montpensier (1443–1496) und Clara Gonzaga (1464–1503) vom 24. Februar 1481 (P 1365, no 2) mit Malerei und Wappenbild in Gold und Farben.

63 Bislang hatte durch die Forschungen Ghislain Brunels eine Urkunde vom Juni 1313 (Rou- en, Archives départementales de Seine-Maritime, 55 H 8*) das Privileg; Brunel, Trésor S. 65.

64 Paris, Archives nationales, K 36A, no 9. Ab 1290 finden sich dann Beispiele mit halber Fleur-de-lys als das Kürzel oder oberer Schaft des „h“: Paris, Archives nationales (im Fol- genden AN), K 36A, no 5 (1290 August), K 36B, no 56 (1293 Juli) und no 59 (1293 April) sowie Paris, Bibliothèque nationale, Mélanges Colbert 345 (1293 August); online einsehbar unter: http://gallica.bnf.fr/ark:/12148/btv1b550082599/f1.image (19/01/2018).

65 Paris, AN, J 357 A, no 4bis * (1332 März); Brunel, Images S. 82–85, Nr. 7 (mit Abb., Edition, Übersetzung und Kommentar).

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26 Gabriele Bartz & Markus Gneiß unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister

dass die Gesichter von einer anderen, geübteren Hand ausgeführt wurden als der restliche Dekor.

Es ist bekannt, dass die Büsten auf der im Fleuronnée nur wenig ver- änderten Urkunde vom Oktober 133266 ausradiert wurden. In den Serifen des „h“ ist noch ein Hase sowie ein ihn jagender Hund hinzugekommen (Abb. 4). Die drei Urkunden, die nur die Büste des Königs allein zeigen, sind wohl vollständig in der Kanzlei gezeichnet worden67. Zu diesen bedeuten-

66 Paris, AN, J 357 A, no 7bis*; Brunel, Images S. 90 (Abb.).

67 Paris, AN, J 167, no 12bis* (1336 Juni); Brunel, Trésor Nr. 138; sowie Paris, AN, L 423, Abb. 3: Paris, Archives nationales de

France, J 357 A, no 4bis (1332 März).

Abb. 4: Paris, Archives nationales de France, J 357 A, no 7bis (1332 Oktober).

Abb. 5: Paris, Archives nationales de France, K 42 B, no 20quater (1332 Okto- ber).

Abb. 6: Paris, Archives nationales de France, K 42 B, no 20bis (1332 Novem- ber).

(28)

Illuminierte Urkunden als Forschungsthema 27

den Urkunden konnten im Zuge der Archivrecherche keine weiteren hin- zugefügt, wohl aber die Erkenntnis gewonnen werden, wie die Kanzlei mit Dekorationsaufgaben umgegan- gen ist. Letztlich werden die einzel-

nen Dekorationselemente nämlich versatzstückhaft verwendet. So findet sich die Namensabbreviatur „Ph“ mit nahezu denselben Aussparungen, aber ohne Fleuronnée bei einigen Urkunden als einfachste Form (Abb. 5)68. Die Initialen mit Perlenreihen zu begleiten und Binnenfelder mit ausgesparten Ranken oder grotesken Tieren zu füllen – im Sinn einer etwas stärkeren Aus- schmückung – bot sich nicht nur für die königlichen Initialen an69, sondern auch für Urkunden anderen Typs. Die Urkunde vom November 1332 stellt eine inter essante Mischform dar70, bei der die beiden Grotesken, die gewis- sermaßen als siamesische Zwillinge mit einem Kopf auskommen müssen und die sonst aus dem schraffierten Grund der Binnenfelder ausgespart werden, im Schaft des N(ous) erscheinen, während im Inneren eine florale Ranke von einer Schraffur freigelassen wurde (Abb. 6). Auch ein N(ous) kann im Bogen

no 2 (1338 Februar 23) und Paris, AN, J 357 B, no 15* (1347 Dezember); Brunel, Images S.

90 f., Nr. 9; Brunel, Trésor Nr. 141, Abb. S. 8–9.

68 Zum Beispiel Paris, AN, K 42 B, no 20quater (1332 Oktober 17) jedoch ohne Fleur-de-lys beim Kürzel, Paris, AN, K 42 B, no 30 (1336 April), Paris, AN, K 42 B, no 44 (1337 März) oder auch Paris, AN, K 44, no 5 (1345 Februar).

69 Bei anderen Aussparungen in den Buchstabenschäften zum Beispiel Paris, AN, K 42 A, no 11 (1332 April 30) mit einer ausgesparten Blumenranke oder Paris, AN, K 43 B, no 31 (1343 Mai) mit grotesken Tieren.

70 Paris, AN, K 42 B, no 20bis.

Abb. 7: Paris, Archives nationales de France, J 255, no 105 (1334 Juli 1).

Abb. 8: Paris, Archives nationales de France, K 43 B, no 3 (1334 Jänner 18).

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28 Gabriele Bartz & Markus Gneiß unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister

die Aussparungen enthalten, die bei den Morgengabe-Urkunden die Bögen von „P“ und „h“ zieren (Abb. 7)71. Bei der Dekoration des Binnenfeldes hat man sich für das Häschen auf einer Ranke entschieden, das bereits 1332 Ok- tober zum Einsatz gekommen war. Auch die Perlenreihen des Besatzes ver- binden die Urkunden vom März 1332 (Abb. 3) mit jener vom Oktober des gleichen Jahres. Selbst für das eher in Bezug auf Dekorationsmöglichkeiten undankbare „J(ehanne)“ hat man auf einer Urkunde der Königin mit einer solchen aus dem Schaft ausgesparten Ranke versehen (Abb. 8)72. So kann ein Blick gleichsam neben die bedeutenden Stücke Aufschluss über das Vorge- hen der französischen Königskanzlei verschaffen. In den vorgestellten Fällen wurden die herausragenden Dekorationen gleichsam als Musterbuch für an- dere, einfacher gestaltete Initialen verwendet. Dabei wurden die Versatzstü- cke so unterschiedlich eingesetzt, dass sich ein immer wieder anderes Bild ergibt.

4. Der Tagungsband

Der hier vorliegende Band enthält Beiträge, die bei der internationalen Ta- gung „Illuminierte Urkunden. Von den Rändern zweier Disziplinen ins Herz der Digital Humanities/Illuminated Charters. From the Margins of two Dis- ciplines to the Core of Digital Humanities“ vom 12. bis 14. September 2016 im Haus-, Hof- und Staatsarchiv in Wien präsentiert wurden. Es war ein Ziel des Projekts, das Forschungsfeld von illuminierten Urkunden inter- national bekannter zu machen und den Austausch über damit verbundene Fragestellungen zu ermöglichen. Wie sehr wir damit ein Desiderat getroffen haben, wurde durch die rege Beteiligung deutlich73: Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus Dänemark, Deutschland, England, Frankreich, Ge- orgien, Italien, Litauen, Österreich, Schweiz, Ungarn und den USA haben ihren Blick auf illuminierte Urkunden mit uns geteilt. Mit fünf Ausnahmen74

71 Paris, AN, J 255, no 105 (1334 Juli 1).

72 Paris, AN, K 43 B, no 35 (1334 Jänner 18).

73 Von insgesamt 26 Vorträgen wurden 21 für den Tagungsband verschriftlicht.

74 Folgende Vortragende haben ihre Beiträge aus Zeitgründen nicht zum Druck bringen kön- nen: Rahel Ackermann („Frühneuzeitliche Münzmandate“), Jessica Berenbeim („Art in the Archives: Decoration and Documents at The National Archives of the United King- dom“) und Irmgard Fees („Entstehung, Gestalt und Inhalt der Notarszeichen in Italien“).

Hendrik Baumbach („Die Bildarchäologie als Methode zur Erfassung, Analyse und zum Vergleich illuminierter Urkunden“) und Nadine Seidu („Umgang deutscher Archive mit dem Thema Open Data“) verzichteten auf eine Niederschrift ihrer Vorträge.

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Illuminierte Urkunden als Forschungsthema 29 liegen alle Beiträge in schriftlicher Form vor und sind im vorliegenden Band versammelt.

Die Gliederung der Beiträge richtet sich nach den Fragestellungen des Projekts „Illuminierte Urkunden“. Grundlage unserer Sichtbarkeit im In- ternet ist die Plattform monasterium.net, aber vor allem sind es die Digital Humanities, die es ermöglichen Forschungsansätze auf eine dem Publika- tionsmedium angemessene Weise darzustellen und die inhaltlichen Erforder- nisse der multidisziplinären Forschung mittels digitaler Lösungen zu vernet- zen. Deshalb sind Beiträge zu diesen Themen an den Beginn gestellt. Danach folgen Einzelstudien, die thematisch auf besondere Phänomene illuminierter Urkunden eingehen.

Bei der Reihung der Beiträge wurde die von Martin Roland entwickelte Hierarchie der Ausstattungsmerkmale berücksichtigt. Dabei gehen wir ge- wissermaßen vom eher Unscheinbaren, was Niveau 3 entspricht, zum Präch- tigen (Niveau 1), mit historisierenden Malereien. Um übersichtlich einen vertiefenden Einblick in regionale Urkundenlandschaften zu bieten, sind die Beiträge zu Niveau 1 wiederum nach Ländern gruppiert. Diese Gruppierung nach Ausstattungs- und geographischen Kriterien geht unausweichlich zu Lasten der Chronologie, die – freilich anders als bei stilkritisch-kunsthis- torischen Einordnungen – durch die zumeist festen Daten der Dokumente ersichtlich ist.

Am Beginn stehen Darstellungen allgemeineren Charakters. Frankreich macht den Anfang, gefolgt von England als Urkundenlandschaft. Die be- sondere politische Situation in Italien wird durch zwei Regionen in den Fo- kus genommen: die Lombardei und Venedig. Die Urkundenproduktion im nordalpinen Teil des Heiligen Römischen Reiches wird durch einen Beitrag repräsentiert, der in mehrfacher Hinsicht aus dem Rahmen fällt. Er steht beispielgebend für die reiche Produktion von Wappenbriefen und bietet gleichzeitig eine wichtige Leistung hilfswissenschaftlicher Arbeit, ohne die historische Forschung nicht auskommen kann: eine Edition. Weiterhin leitet er mit dem Empfängerort, der sich in Bezug auf die Verbreitung von Wap- penbriefen eher in der nördlichen Peripherie befindet, zu den vom Blick- winkel westeuropäischen Zentralismus her entfernteren Regionen. Während die Produktion von spanischen illuminierten Urkunden noch halbwegs im kulturellen Gedächtnis – wenn schon nicht im Fokus der Forschung zu illu- minierten Urkunden – ist, wird man mit illuminierten Urkunden aus Geor- gien und Litauen bzw. Lettland mit einem Material bekannt gemacht, das im Westen wohl weitgehend unbekannt ist.

Den Beginn der ersten thematischen Gruppe, die Fragen der Digital Humanities umfasst, macht der Beitrag von Vincent Christlein. Er präsen- tiert das vorläufige Ergebnis seiner ebenfalls im Umfeld des Projekts „Illu-

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30 Gabriele Bartz & Markus Gneiß unter Mitarbeit von Martina Bürgermeister

minierte Urkunden“ angesiedelten Arbeit. Auf Grundlage der bereits vor- gestellten, auf Martin Roland zurückgehenden Niveau-Einteilung versucht er auszuloten, wie zutreffend eine automatisierte Klassifikation illuminierte Urkunden den jeweiligen von Hand vergebenen Niveaus zuordnen kann.

Lisa Dieckmann wirft danach ihren Blick auf das digitale, online ge- gen Anmeldung zur Verfügung stehende Bildarchiv prometheus (http://

prometheus-bildarchiv.de [19/01/2018]). Diese Plattform verknüpft derzeit mehr als 90 Datenbanken, die alle online zu finden sind, und macht damit unge- fähr 1,5 Millionen hochauflösende Bilder über eine eigene Benutzeroberfläche recherchierbar. Damit funktioniert prometheus grundsätzlich anders als mo- nasterium, das alle dort zu findenden Bilder auf einem eigenen Server gespei- chert hat. Trotz dieses unterschiedlichen Aufbaus beider Datenbanken zeigt Dieckmann, wie beide Plattformen technisch voneinander profitieren könnten.

Péter Kóta führt anschließend gewissermaßen in einem Selbstversuch an- hand der Datenbank der Bestände des Ungarischen Staatsarchivs vor Augen, wie sich Recherchemöglichkeiten zu illuminierten Urkunden anhand einer spezifischen Fragestellung realisieren lassen: Sein Fokus liegt auf mehr oder weniger reich verzierten Initialen. Durch seine detaillierte Aufarbeitung des Rechercheprozesses zeigt Kóta auch, welche Vorteile sich für Forscherinnen und Forscher durch eine umfangreiche Bilddatenbank ergeben.

Drei Spezialstudien gehen auf einzelne Phänomene ein, deren Material sich unter der Ausstattungskategorie „Niveau 3“ wiederfindet. Bernhard Zeller führt in die Welt der St. Galler Privaturkunden des frühen Mittel- alters. Sein Untersuchungsgegenstand zeigt die vorsichtigen Anfänge von dekorativen und deshalb individualisierenden Elementen. Zeller kann durch eine systematische Erfassung der Subskriptionszeichen auf Urkunden dieses Bestandes die Entwicklung dieser Symbole vom 8. bis zum 10. Jahrhundert nachzeichnen, die neben der Tendenz zur Vereinfachung mitunter auch indi- viduelle Ausformungen erkennen lässt.

Zum nächsten Beitrag ist es ein großer zeitlicher Sprung, denn Magda- lena Weileder untersucht anhand von bayerischen Beispielen, wie sich im 16. Jahrhundert die Gestaltung von Notarssigneten veränderte. Sie zeigt, dass diesbezüglich gerade in diesem Zeitraum zahlreiche Neuerungen statt fanden.

So wurden beispielsweise die handgezeichneten Signete durch gestempelte abgelöst. Durch dem Zeichen beigefügte Devisen und die sich dadurch er- gebende Kombination von Sinnbild und Sinnspruch sind Notarssignete so- mit in die Nähe von Emblemen und Impresen zu rücken.

Nun folgen Beiträge zu Urkunden, die mit unserer Definition „Niveau 2“75 bezeichnet werden können. Mit dem Beitrag von Otfried Krafft geht

75 Siehe oben S. 12 f.

(32)

Illuminierte Urkunden als Forschungsthema 31 es zurück ins Hochmittelalter, an die päpstliche Kurie; er geht der Entwick- lung von Verzierungen in Papsturkunden nach. Die verzierte Anfangsinitiale bei Papsturkunden taucht erstmals zu Beginn des 12. Jahrhunderts auf. Sind es zunächst Individuen, die – auch an Buchkunst orientierte – Formen und Zier elemente verwenden, kommt es in Zeiten großen Bedarfs zu arbeitsteili- gen Prozessen. Bis um 1300 etablierten sich verzierte Initialen zu einer stan- dardmäßigen Ausstattung von Papsturkunden. Für Krafft haben die in ganz Europa verbreiteten päpstlichen Urkunden dann eine Vorbildwirkung für die lokale Gestaltung von Fleuronnée-Initialen im Buchschmuck.

Auch der materialreiche Beitrag von Francesca Manzari gehört wie der von Otfried Krafft zu den länder- und zeitenübergreifenden Studien zur Kurie. Sie widmet sich den aufwändig geschmückten Litterae, die nach der Rückkehr der Kurie nach Rom entstanden (1378–1447). Der von ihr bearbei- tete Bestand entspricht im Wesentlichen dem Niveau 2, aber auch der höchs- ten Ausstattungsstufe nach unserer Definition. Francesca Manzari verfolgt das Schaffen einzelner Schreiber, die auch das Fleuronnée zeichneten und ebenso als Illuminatoren in Handschriften tätig waren. Einige waren glei- chermaßen als Musiker an der Kurie beschäftigt. Diese Schreiber-Buchmaler prägten einen Stil, der – aus lokalen Einflüssen gespeist – charakteristisch für die römische Kurie wurde.

Das Gros der Beiträge behandelt Urkunden, die mit gemaltem Dekor versehen sind und die wir als „Niveau 1“ bezeichnen. Sammelindulgenzen sind ebenfalls Produkte aus dem Umfeld der Kurie; ihre Attraktivität und stetig anwachsende Nachfrage begann in den 1280er Jahren in Rom, erfuhr ihre eigentliche Blütezeit aber während der Avignoner Jahre bis 1364. Ab besonders der zweiten Hälfte des 15. Jahrhunderts nehmen Kardinalsammel- indulgenzen diese Tradition in Rom wieder auf. Étienne Doublier beschäftigt sich mit illuminierten Sammelindulgenzen, die für westfälische Empfänger von Bischöfen in Avignon und Kardinälen in Rom ausgestellt wurden, und untersucht dabei die zeitliche, räumliche und institutionelle Verteilung der überlieferten Dokumente in den Bistümern Münster, Paderborn, Minden sowie im westfälischen Teil des Erzbistums Kölns. Mit einem Bestand von 26 illuminierten Sammelindulgenzen in dieser Region erarbeitet er einen bei- spielhaften Zensus dieser Urkundengattung und ihrer Nachfrage.

Am Beginn der Beiträge zu illuminierten Urkunden einzelner Länder stehen Aufsätze mit übergreifenden Überlegungen zu französischen Urkun- den. Olivier Guyotjeannin beschäftigt sich mit grundlegenden Fragen aus diplomatischer Sicht: Warum Illuminierung, von wem und für wen. Laurent Hablot untersucht das Aufkommen von personalisierenden Zeichen und un- terstreicht die besondere Rolle von Hofkünstlern, wenn sie sich dieser Auf- gabe annehmen. Alison Stones führt anhand von Kopialbüchern und Urkun-

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