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VON HIER NACH DA ATELIERSTIPENDIEN UND KÜNSTLERRESIDENZEN

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Unabhängige Monatszeitschrift für die Zentralschweiz mit Kulturkalender N

O

1 Januar 2 01 8 CHF 8.– www .null 41.ch

VON HIER NACH DA

ATELIERSTIPENDIEN UND KÜNSTLERRESIDENZEN

KANNST DU DEN SPIELEN?

BESUCH BEI DJ MICHEL RICHTER

?!?!

FRAGEN, DIE DIE KULTUR BEWEGEN

(2)

BEST ANIMATED FILM SHANGHAI INT'L

FILM FESTIVAL PRIX DU PUBLIC

ANNECY 2017

Ein Film von Robert Müller

ARTWORK GIJS KUIJPER PHOTOGRAPHY SIMON MEYER

Alte Kunst neu entdeckt – eine fi lmische Reise in die spektakuläre Welt der Köhler im Luzerner Entlebuch

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Ab 11. Januar im Kino

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Zum Krippengang in die strahlende Klosterkirche Engelberg erwartet Sie prächtige Musik: Monastisch, sinnlich, bethaft, tänzerisch – sie verspricht ein Highlight in der langen Tradition der Dreikönigskonzerte.

jUB iL äU m S 40.

DREiKöNiGS KoNZERT

40. DREi KöNiGS KoNZERT

SAmSTAG6.1.2018, 20.30 UHR

KLoSTERKiRCHE ENGELBERG

WERKE voN GERSHWiN, BiZET, ABBA, SCHoSTAKoWiTSCH, RUTTER UND GREGoRiANiSCHER CHoRAL STifTS-ENSEmBLE KLoSTER ENGELBERG • PATER BENEDiKT LoCHER, SoLoSTimmE UND LEiTUNG ToUCHANT A CAPPELLA fRAUENENSEmBLE • jESSiCA mARTy, LEiTUNG • joSEPH SiEBER, KLAviER ALESSANDRo vALoRiANi, oRGEL • PASCAL UEBELHART, SAxoPHoN • mARKUS GÜDEL, LiCHTDESiGN CHRiSTof ESTERmANN, PERKUSSioN • WoLfGANG SiEBER, oRGEL UND GESAmTLEiTUNG

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Amine & Hamza

The band beyond

borders

Live Kon zert mit Afrik a-Dinner

Tropenha us Wolh usen

27. Janua r 2018

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3 E DI T OR I A L

Es klingt zu gut, um wahr zu sein: in ein anderes Land reisen, dort eine Wohnung und ein monatliches Gehalt zur Verfügung gestellt bekommen, sich intensiv seiner kreativen Arbeit widmen können.

Dies versprechen Atelierstipendien, und dies halten sie ein, wie Sie in unserem Januar-Schwerpunkt lesen können. Kulturschaffende aus verschiedenen Sparten berichten von ihren Erfahrungen, die sie in der Ferne gemacht haben. Zudem stellen wir hiesige Residenzen vor, in denen Kulturschaffende von auswärts leben und arbeiten.

Atelierstipendien polarisieren, mehr noch als andere Kulturförder- gefässe. Vor einem Jahr sprach ein Berner SVP-Stadtrat in diesem Zusammenhang von «Wohlfühl-Ferien». Es gibt aber auch ernsthafte Kritik wie jene von Yeboaa Ofosu, Leiterin Literaturförderung des Migros-Kulturprozents, die im Oktober der «NZZ am Sonntag»

erklärte, dass sie die Atelierstipendien eingestellt habe, weil nur wenige talentierte Leute wirklich reisen wollten. «Sie haben Familie, Kinder, einen Beruf. Sie sind nicht mehr ungebunden.»

Und das ist das Dilemma: Die Verpflichtungen, die Fixkosten zu Hause bleiben, während man sich in der Ferne seinem Werk wid- met. Anderseits entstanden und entstehen, in Luzern besonders mit Chicago, internationale Verbindungen, Inspiration, Austausch.

Letzteres wird auch in unseren Kulturfragen gestreift, in denen wir Themen aufgreifen, die das Kulturjahr 2017 geprägt haben. Neun Kulturmenschen beantworteten uns, ob man Applaus versteuern soll, was gegen das Wort «gratis» in der Kultur einzuwenden ist und vieles mehr.

2018 wird im Kanton Luzern ein weiteres Sparjahr sein. Ein Kollektiv besorgter Bürgerinnen und Bürger sammelt auf funders.ch Geld, um einen Film zu realisieren, der sich mit der finanzpolitischen Situa- tion des Kantons Luzern auseinandersetzt und der Frage nachgeht, warum Mehreinnahmen, die Ziel der vom Kantonsrat verfolgten Tiefsteuerstrategie sind, ausbleiben, während öffentliche Leistungen konsequent abgebaut werden. Bereits (Stand: 18. Dezember) sind über 39 200 Franken zusammengekommen, die Funding-Schwelle liegt bei 120 000 Franken. Weitere Informationen dazu finden Sie auf Seite 25. Helfen Sie mit, dieses spannende und wichtige Projekt zum Gelingen zu bringen.

Wenn jemand eine Reise tut ...

Ivan Schnyder

schnyder@kulturmagazin.ch

Bild: Mart Meyer, Luzerner Atelier in Chicago, 2006

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PROGRAMME DER KULTURHÄUSER 48 Kleintheater

50 HSLU Musik

52 LSO / Luzerner Theater / Stattkino 54 Kulturlandschaft

56 Neubad / Südpol

62 Museum Bellpark / Kunsthalle 64 Nidwaldner Museum / Kunsthaus Zug 66 Historisches Museum / Natur Museum 13 ER SIEHT SCHWARZ

Cambridges königlicher Astronom an der Luzerner Wissenschaftsbiennale 15 MICHEL RICHTER

Der wohl dienstälteste DJ der Schweiz 24 VIELFÄLTIGE PROJEKTE

Isa Wiss erhält den Jazzpreis Luzern KOLUMNEN

6 Doppelter Fokus: Circus Royal

8 Meier/Müller bi de Lüt: Mit Parmelin und Toblerone fürs Väterland

9 Lechts und Rinks: Volk ex machina 28 Gefundenes Fressen: Popcorn-Tee 45 40 Jahre IG Kultur: Volljährig 46 041 – Das Freundebuch: Radio 3fach 70 Käptn Steffis Rätsel

71 Comic: Ein Hund mit Migrationshintergrund

SERVICE

29 Bau. Wiener Moderne 31 Kunst. Einzigartige Galerie 33 Musik. Veritable Sensation 36 Kino. Bildschöner Dokumentarfilm 39 Bühne. Skandalöse Geschichte 42 Wort. Rigoroses Kunstverständnis 68 Kultursplitter. Tipps aus der ganzen Schweiz

69 Ausschreibungen, Namen, Preise KULTURKALENDER

47 Kinderkulturkalender 49 Veranstaltungen 63 Ausstellungen Titelbild:

Matthias Jurt

DJ Michel Richter in seinem Habitat

INHALT

20 FERNES SCHAFFEN

Peter Stobbe über seinen Atelieraufenthalt in Chicago

Bild: Mart Meyer, Luzerner Atelier in Chicago, 2006

10 SOLL APPLAUS BESTEUERT WERDEN?

Kulturfragen und -antworten

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SC HÖN G E SAGT

G U T E N TAG AU F G E L I S T E T

GUTEN TAG, TUNNELDORF (EBIKON)

Du bist wahrlich nichts Schönes. Amplikon nennt man dich auch. Du bist ein Schlauch. Eine Durch- fahrtsstrasse, die mit Häusern gesäumt ist. Es ist ja nichts Neues, dass man dich passiert, weil man woanders hin will. Was dir nun aber angetan werden soll, schon: Die Strasse soll die Häuser verlassen, Richtung Hügel verlegt und überdacht werden. Der Gemeinderat holt bereits Offerten für eine Machbarkeitsstudie ein. Ebikon, du warst wahrlich nicht Miss Zentralschweiz. Aber du warst da, immerhin. Wenn man im Stau stand und dich verfluchte. Und nun? Untertunnelt und aus der Wahrnehmung verschwunden. Wirst du das Bielefeld der Schweiz – dessen Existenz von Verschwörungstheoretikern infrage gestellt wird?

Ebi-was war das noch mal?

Subterrane Grüsse, 041 – Das Kulturmagazin

Jubiläumsjahr 2018 Die Exotischsten:

– 100 Jahre Brotfrieden (Ukraine) – 100 Jahre Kieler Matrosenaufstand – 100 Jahre Twin Peaks Tunnel, inzwischen Teil der Muni Metro (San Francisco)

– 200 Jahre «Stille Nacht» (Salzburg) – 300 Jahre Enthauptung des Piraten Blackbeard (Portsmouth)

– 400 Jahre Snelliussches Brechungs- gesetz (Niederlande)

– 2000 Jahre Aufstand der Roten Augenbrauen (China)

«Gemachte Prognosen sind nicht eingetreten und bereits werden neue verkündet.»

MARCO LIEMBD ZUR FINANZPOLITIK DES KANTONS LUZERN, SEITE 25

ANZEIGE

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Die beiden Luzerner Fotografen Patrick Blank und Mischa Christen zeigen zwei Blicke auf einen Zentralschweizer Anlass, den «041 – Das Kulturmagazin» nicht besuchen würde.

Circus Royal, Abendvorstellung im Weihnachtscircus, Emmenbrücke, 6. Dezember 2017 Bild oben Mischa Christen, rechte Seite Patrick Blank

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8 Es ist zu befürchten, dass dies der letzte Beitrag von

Meier/Müller ist. Ja, es ist zu befürchten, dass Sie die- ses Magazin zum letzten Mal in den Händen halten.

Denn vielleicht sind Sie in ein paar Monaten entweder kriegsgefangen oder bereits an der Front gefallen. Es ist haarsträubend. Der Bundesrat hat uns die ganze Zeit in falscher Sicherheit gewiegt. Bis Guy Parmelin nun in einem Interview zum Thema Vaterschaftsurlaub die Wahrheit herausgerutscht ist. Welchen Sinn, meinte er, habe ein Vaterschaftsurlaub, wenn es derzeit primär da- rum gehe, die Sicherheit der Schweiz zu gewährleisten?!

Ohne neue Kampfjets werde es nicht möglich sein, die Zivilbevölkerung zu schützen! Uns droht Krieg!

Guy, ich habe Angst. Welches unserer Nachbarländer will uns derart bös? Deutschland, Österreich, Italien oder Frankreich können es nicht sein, denn die können sich einen Vaterschaftsurlaub leisten. Es muss Liechtenstein sein! Der Fürst ist für seine absolutistischen Tendenzen bekannt und der letzte Staat, der der Schweiz offiziell den Krieg erklärt hat, war Libyen unter Gaddafi. Aller- dings hat Liechtenstein keine Armee. Halt! Offiziell hat Liechtenstein in Friedenszeiten keine Armee. Schweiz, wach auf! Helvetia, wirf den kümmerlichen Speer weg und hoch das Maschinengewehr!

Die Autorin ist sich des Risikos, das sie mit diesem Text eingeht, bewusst. Es ist anzunehmen, dass sich der Geheimdienst des Fürstentums umgehend an ihre Fersen haften wird. Doch Meierin wie Müllerin erheben sich und zeigen stolz ihre typisch helvetischen niederen Stirnen gen Osten. Spontan flattern hinter ihnen zwei Dennersäcke mit Schweizerfahnen drauf vorbei. Und nein, niemand soll sagen, sie hätten ihr Heimatland (wer dieses Wort während Kriegszeiten als Ausdruck des Unmutes brauchen wird, wird übrigens wegen Lan- desverrates verhaftet werden) nicht verteidigt. Deshalb machen sie sich schon heute zu Fuss auf den Weg an die Grenze. Nachts werden sie laut an Türen klopfen.

Sie werden sagen, sie kämen vom Zeughaus, um so an

Mit Parmelin und Toblerone fürs Väterland

die Waffen des gemeinen Wehrdienstlers zu kommen.

(Leider gibt es neuerdings nicht mehr ganz so viele zu er- beuten.) Damit werden sie unterwegs Autobahnraststätten ausrauben. Mit den so erbeuteten Tobleronen werden sie sich Camouflage-Muster ins Gesicht schmieren. Das wird niemand komisch finden, da heutzutage jeder dritte Au- tofahrer bei Ackermann oder Veillon Camouflage bestellt, wird man sie lediglich als modebewusst einstufen. Sie werden sich die Guyrilla nennen, denn in Parmelins Sinne kämpfen sie. Patriotische junge Schweizerinnen bekommen heutzutage keine Kinder, sie ziehen auf eigene Faust in den Krieg und überfallen Migrolino Dépendancen. Warum Kinder bekommen, wenn zuerst unser Land verteidigt werden muss? Schwestern, wir treffen uns in zwei Wochen auf der Rückseite der BP-Raststätte Rheintal Ost bei den Containern. Es werden sich uns viele anschliessen, denn beim Militär bekommen sie nur bleiche Militärguetsli, bei uns hingegen gibt es Toblerone. Und Sie, lieber Guy Parmelin, denken Sie jetzt nicht, «die hätten sich besser schwängern lassen». Das machen wir gern, aber erst in friedlichen Zeiten mit Vaterschaftsurlaub.

Text: Anaïs Meier, Illustration: Sarah Elena Müller

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Haltung (und ob überhaupt eine Haltung) sie vertrete – am Ende mache das Volk in Pfaffnau und in Malters unten ja sowieso, was es wolle. Das aber ist Herrliberger Ideologie.

Die Kantonsrätinnen und Regierungsräte wurden gewählt, damit sie Verantwortung übernehmen für diesen Kanton, damit sie sich Strategien für ihn ausdenken und diese Strategien auch wieder überprüfen. Sobald sie dies ehrlich und kompetent tun, werden sie für die Schlüsse, die sie daraus ziehen, auch wieder Mehrheiten finden. Politik ist ein System, in dem bestimmte Handlungen bestimmte Wirkungen haben, die wiederum die Handlungen verändern. Das, was man als Volkswillen bezeichnet, existiert nicht ausserhalb dieses Systems.

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L E C H T S U N D R I N K S

Text: Christoph Fellmann, Illustration: Raphael Muntwyler

Volk ex machina

Der Luzerner Finanzdirektor ist ein Mann, der das Regierungsgebäude durch den Hin- tereingang betritt, wenn beim Haupteingang die Menschen gegen seine Finanzpolitik pro- testieren. Und Marcel Schwerzmann erklärt sich auch nicht gerne in Interviews – und wenn doch, wie kürzlich in der «Luzerner Zeitung», lieber schriftlich. Entsprechend kurz angebunden waren denn auch sei- ne Antworten zum Budget 2018, das der Kantonsrat zuvor gutgeheissen hatte. Das neuerliche Abbaubudget verteidigte er mit dieser lapidaren Kausalkette: «Die Stimm- bürger haben sich im Mai gegen höhere Steuern ausgesprochen. Die darauf folgende Volksbefragung hat gezeigt, dass die Finanzen auf der Ausgabenseite zu sanieren sind. Das heisst: Wir müssen weiter sparen.»

Es sind zwei Grundannahmen, die dieser Aussage zugrunde liegen. Volkes Wille ist erstens eindeutig und zweitens eine Art von Naturgewalt, auf die Regierung und Parlament keinen Einfluss haben. Beide Grundannahmen sind falsch. Denn die vom Finanzdirektor angesprochene Befragung der Stimmbevölkerung hatte im Frühling ein widersprüchliches Bild ergeben: Ja, die Leute wollten die Steuern nicht erhöhen und stattdessen die Ausgaben senken. In fast allen Bereichen – nur nicht in der Ver- waltung und im Asylwesen – aber lehnten dieselben Leute eine Ausgabenkürzung ab.

Zudem verstanden viele der Befragten ihr Nein zur Steuererhöhung auch als Kritik an der Finanzpolitik der letzten Jahre: 67 Prozent erklärten die Tiefsteuerstrategie für gescheitert. «Ihr Credo (der Linken, Red.), dass die Steuerpolitik scheitern möge, kann nicht im Sinne der Menschen sein», sagte Schwerzmann. Er irrt sich.

Aber Marcel Schwerzmann ist nicht der Einzige, der die Abbaupolitik mit einem Volkswillen legitimiert, der widersprüchlich ist und darum zur Hälfte ausgeblendet wird.

Im Gegenteil, der parteilose Finanzdirektor ist dabei noch am glaubwürdigsten: Er betreibt nun mal eine neoliberale Agenda, mit der

er nicht verlieren kann – Steuersenkungen sind gut, der Abbau von öffentlichen Dienst- leistungen ist genauso gut. Verstrickter ist die Lage der bürgerlichen Mitte im Kanton- sparlament, namentlich der CVP. Je länger die Steuerstrategie am Werk ist, umso mehr Mühe hat die am stärksten staatstragende Luzerner Partei, diese Strategie ihrer soli- den, menschenfreundlichen, pragmatischen Wählerbasis zu verkaufen. Immer wieder geriert sie sich darum als Opfer genau jener steuerpolitischen Sachzwänge, zu denen sie wesentlich beigetragen hat: Man müsse halt sparen, nur schon, damit der Kanton überhaupt ein Budget bekomme.

Mit anderen Worten tut die bürgerliche Politik so, als besitze sie bei den bürgerlichen Wählerinnen und Wählern keinerlei Au- torität. So, als spiele es keine Rolle, welche

Luzerner Kantonspolitiker verstecken sich hinter dem vermeintlichen Volkswillen. Anstatt zu tun,

wofür sie gewählt worden sind.

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Das vergangene Jahr war global wie lokal von Irritation und Entrüstung geprägt. Es liess wenig Raum zur Reflexion, zu Behutsamkeit, zu Fragen – die manchmal die besseren Antworten sind. Für den Einstieg ins Jahr 2018 schauen wir mit Kulturmenschen, die uns in den letzten zwölf Monaten aufgefallen sind, zurück auf Themen, die das Kulturjahr 2017 geprägt haben.

Wo soll das bloss noch alles enden?

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K U LT U R F R AG E N

«Was ist gegen das Wort ‹gratis› in Verbindung mit Kultur einzuwenden?»

«In Zeiten, in denen unter anderem bei der Kultur massiv gespart wird und Regierungsräte der Meinung sind, dass der Applaus der Lohn der Künstlerin, des Künstlers sei (siehe Frage rechts), finde ich es zynisch, wenn man Kultur ‹GRATIS› verhökert. ‹GRATIS› wirkt wertmindernd und suggeriert, dass Kulturschaffende für ihre Arbeit (ja, Arbeit!) kei- nen Lohn brauchen, die können ja froh sein, auftreten (oder ausstellen oder wie auch immer ...) zu dürfen, um bekannter zu werden.»

Domi Meyer, Kulturwirt und Musiker

«Soll Applaus besteuert werden?»

«Was für eine Frage! Regierungsrat Reto Wyss hat die Antwort in seiner unlängst gemachten Aussage ‹der Lohn des Künstlers ist der Applaus›

bereits selber gegeben. Wenn Applaus Lohn ist, dann wird Applaus auch besteuert, denn Lohn wird immer besteuert. Ohne Wenn und Aber!

Insbesondere Paragraph 30 1a. des Luzerner Steuergesetzes lässt keine Fragen und keinen Spielraum zu. Die Frage ist nicht, ob Applaus besteu- ert werden soll. Es bedarf gar keiner Frage, sondern es bedarf nur der unverzüglichen Umsetzung. Hat da wer geschlampt? Also, lieber Regie- rungsrat Reto Wyss, sofort an die Einführung der Applaussteuer unter Zuhilfenahme allen fachmännischen Wissens Ihrer Sparmitstreiter im Gremium. Selbstverständlich ist bei der Einführung der Applaussteuer darauf zu achten, dass keine Applaussteuerhinterziehung oder kein Applaussteuerbetrug möglich ist (Schlupflöcher, Applaushinterziehung, Schwarzapplaus, Manipulation zur Minderung des Applauses, vor lee- ren Rängen spielen ...). Eine Applauspauschalbesteuerung für grössere Darbietende von Kultur soll aber im Sinne der möglichst schlanken Ad- ministration geprüft werden. Das Einsetzen von Mitteln zur Steigerung des Applauses wie Verteilen von Freikarten, Manipulation am Applaus- messer, Applausstimulation gelten nicht als Applaussteuerbetrug oder Applaussteuerhinterziehung. Das Selbstwertgefühl der Kulturschaf- fenden und der Applaussteuerertrag sollen auf keinen Fall geschmälert werden.»

Peter Bühler, Treuhänder

Diese Antwort wurde gekürzt. Die ausführliche Version finden Sie auf null41.ch.

«Weshalb fühlt sich jeder und jede Zentralschweizer Kulturschaffende immer sofort betüpft?»

«Betüpft? Die Kulturschaffenden? Also bitte! Was das wieder für eine Frage ist.

Ts, typisch Feuilleton! Im Gegenteil: Kulturschaffende sind hart im Nehmen.

Immerhin halten sie dem Kanton Luzern die Stange und brechen ihre Zelte nicht ab, auch wenn dieser seinerseits die Zelte der Kulturförderung abbricht und sich durch einen betüpften Umgang mit Steuern und öffentlichen Finanzen hervortut.»

Adrian Albisser, Ex-Präsident IML

«Warum gibt es keine Luzerner Slamszene?»

«Als ich 2011 in Luzern zu studieren begann, stand ich seit vier Jahren von der Nordsee bis nach Wien mehrmals wöchentlich auf Poetry-Slam-Bühnen. Dennoch konnte ich meine bisherigen Zen- tralschweizer Auftritte an einer halben Hand abzählen. Obwohl in der Loge und im La Fourmi viele Spoken-Word-Veranstaltungen stattfanden und obwohl der Verlag Der gesunde Menschenver- sand von Luzern aus die Schweiz mit Spoken Word versorgte, gab es keine Luzerner Szene. Um dies zu ändern, initiierten wir den Neubadslam. Die eskalative Stimmung und die Publikumszahlen zeigen, dass Poetry Slam in Luzern definitiv keine dumme Idee ist.

Die Hemmschwelle, den ersten Auftritt vor 300 Leuten und neben Profis aus der Szene abzuhalten, war aber doch zu gross. Deshalb begründeten wir in der Bar 59 einen Open-List-Slam. Alle, die wol- len, können sich melden und mitmachen. Mittlerweile haben sich am Slam 59 mehrere frische Luzerner Poetinnen und Poeten auf die Bühne getraut – einige davon treten bereits öfters auf. Dass Lu- zern keine Poetry-Slam-Szene hat, stimmt so also nicht mehr, auch wenn wir am Slam 59 – jeweils am letzten Donnerstag des Monats – nach wie vor genügend Platz für weitere mutige Schreiberinnen und Schreiber haben. Für 2019 holten wir uns übrigens die Poetry- Slam-Schweizermeisterschaft nach Luzern. Darauf kann man sich definitiv freuen.»

Valerio Moser, Slam-Poet, Kabarettist, Workshop-Geber, Organisator

Tobi Gmür, Peter Bühler, Domi Meyer,

Valerio Moser, Sandro Hofstetter, Marc Unternährer, Heinz Stahlhut, Adrian Albisser, Kilian Mutter (v. l. n. r.) Zeichnungen: Mart Meyer

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«Trägt Heinz Stahlhut auch Wollmützen?»

«Für mich gibt es eigentlich nur Gründe gegen Wollmützen:

1. Ob mit oder ohne Bommel – sie sehen scheusslich aus.

2. Meine Haare reagieren auf Mützen einfach allergisch: Sie sind dann einerseits wie angeklatscht und andererseits stehen sie elektrisch aufgela- den hoch, wenn ich die Mütze abziehe.

3. Für die Haarwurzeln ist ein wenig Kälte ganz gut, und schliesslich 4. Für’s Hipsteraussehen bin ich einfach zu alt.

Darum: Kühlen Kopf bewahren und schönen Winter oben ohne wünscht Euch allen Heinz»

Heinz Stahlhut, Sammlungskonservator Kunstmuseum Luzern

«Spielt der FCL weiterhin so schlecht, rückt er dann wieder näher an die Freie Fussball- szene Innerschweiz?»

«Welch schönes Szenario: Der FCL steigt Liga um Liga abwärts.

Die Investoren verlassen das Schiff. Die Swissporarena wird zer- legt, nach Zürich verfrachtet und den Grasshoppers geschenkt.

Auf der Allmendbrache fusioniert der FCL mit Inter Amore. Prä- sident wird Marco Liembd. Höher als 2. Liga Inter spielt der neue Verein nicht mehr, dafür freut sich ganz Luzern auf die Derbys gegen den FC Kickers und den SCOG. (Was ist eigentlich die Freie Fussballszene Innerschweiz?)»

Tobi Gmür, Musiker und unverbesserlicher FCL-Fan

«Wäre es rein zahlenmässig noch möglich, 245 Alter- native in den Sonnenberg zu sperren?»

«Es gibt bestimmt immer noch mehr als 245 Alternative und Radikale in Luzern.

Sie schlummern vor sich hin und warten aufs nächste Ereignis, an dem sich ein Auftritt lohnt. Dabei bräuchten die Kulturschaffenden, die sich gegen die kanto- nale Sparerei wehren, dringend Unterstützung. Alles eine Frage der Organisati- on! Ich bespreche dies gleich mit meineR NachfolgerIn SimonE Steiner. Denn ...

nun ja, zehn Jahre danach können wir mit der Wahrheit rausrücken: Es war alles inszeniert damals, am 1. Dezember! Ich erkannte, dass die Szene schwächelt, und dachte mir ein Ereignis aus, das Energie freisetzt. Und es klappte: Die Aktion Freiraum und die Kulturoffensive prägten den Stadtluzerner Kulturdiskurs für fast fünf Jahre. Die Gelegenheit war günstig: Die Boa war frisch geschlossen, und dann diese EM-Auslosung im KKL! Die Juso bemühte sich noch, eine Bewilli- gung zu bekommen. Hätten die nur gewusst, dass ich der Polizei eine anonyme Bombendrohung zukommen liess, mit dem Hinweis, die Demo diene nur zur Tarnung, um die Auslosung zu attackieren. Dabei war uns diese völlig egal. Es war ein grosses Opfer, doch es zeigte Wirkung. Ich hoffe, man verzeiht mir diese dreiste Tat ... Ich tat es nur für die Gemeinschaft.»

Sandro Hofstetter, ehemaliger Pressesprecher Aktion Freiraum / Kulturoffensive

«Wie steht es um die Luzerner Altstadt?»

«Damals, als in der Eisengasse das rote Licht der Schmiedeöfen noch die einzigen Steinhäuser der Stadt erhellte, als im Löwen- graben die Löwen fauchten, in der Rössligasse die Rössli gum- peten und die Hirsche, Schwäne und Falken in ihren Gassen und auf ihren Plätzen noch zu Hause waren, gab es auch eine wilde Horde Affen, die keinen eigenen Ort hatte und deshalb laut hepend und pralaggend um die Häuser zog. Man hört sie heute noch ab und zu. Ansonsten ist es in der Nacht ausser dem Plätschern der Brunnen ruhig geworden. Allerdings: Ein paar Jahre lang begann ein einziger Singvogel jeweils morgens um vier mit seinem irren Gezeter. Ein Vogelkenner meinte, um diese Zeit sängen nur Nachtigallen, aber diese seien unwahr- scheinlich in der Luzerner Altstadt. Nachforschungen ergaben, dass es sich um einen gewöhnlichen, aber verrückt gewordenen Buchfinken handelte, der sich am Widerhall seiner Stimme in den engen Gassen erfreute – oder daran verzweifelte, dass sein einsamer Ruf nicht erwidert wurde. ‹Gegen die Liebe ist kein Kraut gewachsen›, steht auf Lateinisch am ehemaligen Apothe- kerhaus und man erinnert sich daran, dass die Altstadt auch ein Lebensraum ist, für Menschen, die länger bleiben als ein paar Stunden. Über den Weinmarkt ist früher der Teufel geflogen, wohl eher ein armer Teufel, der an den Passionsspielen an einem Strick hoch über dem Platz hing. Wenn alle Stricke reissen, gibt es immer noch die Magdi-Bar.»

Marc Unternährer, Tubist

«Was sagt das über die hiesige Musikszene aus, wenn der gebürtige Aargauer Mario Hänni alias Rio, der in Zürich lebt, zum Luzerner Musiker erklärt wird?»

«Was ihr hören wollt: Die Anzahl Luzerner Projekte, in denen ein ausser- kantonaler Musiker wie Mario Hänni mitwirkt, sprechen für die Qualität des lokalen Musikschaffens.

Was ich tatsächlich denke: Luzern hat offensichtlich ein zu grosses Herz für dahergelaufene kleine Wesen mit überschüssiger Energie.»

Kilian Mutter, Connaisseur

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a

13 B I E N N A L E

Martin J. Rees, in Ihrem Buch «Unsere letzte Stunde» geben Sie der Menschheit eine Chance von 50 Prozent, dass sie dieses Jahrhundert überleben wird. Was sind die hauptsächlichen Bedrohungen?

Rees: Die Menschen werden immer zahlreicher, verbrauchen mehr Energie und Ressourcen und beeinträchtigen das Klima und die Biodiversität der Erde. Wir riskieren, bestimmte Wendepunkte auszu- lösen, die irreversibel sind. Zum andern wachsen Bedrohungen aus den neuen Technologien. Die Bereiche Bio, Cyber und Künstliche Intelligenz sind trotz ihrer Verdienste extrem bedrohlich. Eine kleine Gruppe oder ein einzelnes Individuum könnten aufgrund einer Fehlleistung oder auch mit Absicht eine Katastrophe auslösen, die schnell zu einer globalen Kettenreaktion führen würde. Wir stehen vor einer ungemütlichen Fahrt durch den Rest des Jahrhunderts. Uns selber auszu- löschen wäre das grösste Desaster, weil damit ein ungeheures Potenzial vernichtet würde: hier auf der Erde und far beyond.

Sie gingen im Buch sogar davon aus, dass bis ins Jahr 2020 eine Million Menschen zugrunde gehen werden aufgrund von Bioterror oder einem zufällig ausgelösten Ereignis mit Bio-Erregern. Halten Sie noch immer daran fest?

Ja. Ich habe darüber mit Stephen Pinker eine Wette abgeschlossen. Pinker ist Autor von «The Better Angels of our Nature»

und ein wenig optimistischer als ich, was die menschliche Natur betrifft. Ich mache mir Sorgen sowohl was «bio-terror» wie

«bio-error» betrifft. Natürlich hoffe ich vehement, dass ich die Wette verlieren werde!

Glauben Sie, dass die Menschen in maschi- nenähnliche Wesen mutieren könnten, zu Cyborgs, Robotern? Ist dieser Prozess schon im Gang?

Die Möglichkeit ist real, dass wir genug über Genetik verstehen, um Menschen zu modifizieren und Cyborgs zu kreieren. Ich denke und hoffe, dass hier auf der Erde solche Entwicklungen aus vernünftigen oder ethischen Gründen reglementiert werden. Aber wenn dereinst Pioniere oder kleine Gruppen von Menschen auf dem Mars oder auf Asteroiden leben, werden

Der Engländer Martin J. Rees ist königlicher Astronom an der Universität Cambridge. Er nimmt an der Biennale zum Rätsel des menschlichen Bewusstseins teil, die René Stettler in Luzern veranstaltet. Wie denkt Rees über die Zukunft des Menschen? Der prominente Astrophysiker und Buchautor

gibt Auskunft im E-Mail-Interview.

Von Pirmin Bossart

Hier

auf der Erde und

far beyond

Bild: zvg

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14 diese Regelungen nicht mehr greifen. Im

Gegenteil dürften dann solche Techniken zwingender werden, um sich überhaupt an die lebensfeindliche Umgebung anzu- passen. So werden sie in eine neue Spezies evolutionieren. Die posthumane Ära wird nicht auf der Erde, sondern anderswo in unserem Sonnensystem beginnen. Und die Erdlinge, die sich auf unserem Plane- ten wohlfühlen, werden sie anfeuern und Hurra rufen!

Werden diese Maschinen-Menschen eine Intelligenz entwickeln, lernfähig werden und vielleicht viel mehr verstehen als wir mit unseren Hirnen?

Es wird nur noch Dekaden dauern, vielleicht Jahrhunderte, um eine dem Menschen ebenbürtige künstliche Intelli- genz zu entwickeln. So oder anders: Das ist ein Klacks im Vergleich zur kosmi- schen Zukunft, die vor uns liegt und die von einer elektronischen Intelligenz dominiert werden könnte. Während organische Gehirne ihre chemischen und metabolischen Grenzen haben, unterlie- gen elektronische Computer und auch Quantencomputer viel weniger solchen Einschränkungen.

Sie gehen von einem Quantensprung in der kognitiven Entwicklung aus?

Das Potenzial dieser Entwicklung könnte so dramatisch sein wie die Evolution der präkambrischen Organismen zum Menschen. Egal, wie man Denken defi- niert: Menge und Intensität von kogniti- ven Prozessen, wie sie organisch-mensch- liche Hirne leisten, werden von den künftigen Möglichkeiten der künstlichen Intelligenz total in den Schatten gestellt werden. So wie die Erde für uns «Organi- sche» die passende Umgebung ist, sind es

die interplanetarischen und interstellaren Räume für die zukünftigen Wesen: Dort werden sich die Roboterfabrikationen vorzugsweise entfalten und nicht-biologi- sche «Hirne» eine Power entwickeln, die wir Menschen uns gar nicht vorstellen können.

Was denken Sie über Science-Fiction?

Interessieren Sie diese Storys, sind sie gar relevant für Ihre Überlegungen oder betrachten Sie das alles nur als Fantasy?

Ich rate meinen Studenten immer, dass sie besser erstklassige Science-Fiction lesen als zweitklassige Wissenschaftsbücher.

Ernsthaft: Ich denke, dass die Lektüre der grossen Science-Fiction-Autoren unsere wissenschaftliche und soziale Imagination nährt und unsere Perspektive erweitert.

Die Biennale in Luzern widmet sich erneut dem Thema «Das Rätsel des Bewusstseins».

Glauben Sie, dass Bewusstsein lediglich ein Produkt des Gehirns ist? Oder könnte es eine Art «kosmisches Bewusstsein» geben, das unabhängig davon existiert?

Es ist klar, dass unsere Gedankenprozesse mit den elektrochemischen Verhältnissen in bestimmten Gehirnregionen verlinkt sind. Die aktuellen Untersuchungen auf diesem Gebiet sind höchst faszinie- rend. Aber die Details sind vorläufig ein Geheimnis, etwa die Frage, wie das Gehirn daraus ein subjektives Bewusst- sein kreiert. Vielleicht wird das immer ein Mysterium bleiben, weil das Gehirn schlicht nicht leistungsfähig genug ist, um sich selber völlig verstehen zu können.

Eine andere Frage, die sich dabei stellt, ist, wie weit Roboter sich etwas bewusst sein können, falls sie einmal eine dem Menschen vergleichbare Intelligenz erreicht haben. Wie sie auf diesen Level kommen, darüber gibt es verschiedene Ansichten. Einige glauben auch, dass Bewusstsein strikt an das organische Gehirn gebunden ist und demnach Robo- ter, selbst bei Super-Intelligenz, keine Selbst-Bewusstheit oder ein inneres Leben haben werden. In einer fernen Zukunft, die von elektronischer Intelligenz domi- niert sein wird, kann man sich durchaus vorstellen, dass separate «Gehirne» ihre Individualität verlieren und ein gemeinsa- mes Bewusstsein teilen.

Wie beurteilen Sie die Forschungsme- thoden von Buddhisten, die mit Kontem- plation, Meditation und andern Techniken ebenfalls zu einem tieferen Verständnis des menschlichen Geistes beitragen? Kann ein Naturwissenschaftler dieses subjektive Vor- gehen ernst nehmen?

Viele Menschen – darunter vor allem buddhistische Mönche – sind fähig, mentale Zustände zu erfahren, wie das nur wenige können, die einen grossen subjektiven Wert haben. Sie sind zwei- fellos real, wenn auch «privat». Neurolo- gen versuchen herauszufinden, was für Muster im Gehirn mit solchen Erfahrun- gen korrelieren. Das ist natürlich nicht das Gleiche, wie die Erfahrungen selber zu machen. Die Wissenschaft fokussiert sich auf Phänomene und Konzepte, die geteilt werden können. Von daher ist Wissen- schaft die universalste Kultur, die alle Nationalitäten und Glaubensrichtungen umfasst.

Was haben Sie für eine Beziehung zur Religion? Ist die Vorstellung eines Gottes für Sie relevant?

Ich wurde konventionell in England erzo- gen und schätze weiterhin die musikali- schen, ästhetischen und sozialen Werte der anglikanischen Kirche. Ich habe keinen religiösen Glauben, obwohl ich mir vorstellen kann, dass ich mich besser benehmen würde, wenn ich einen hätte.

Ich habe in der Wissenschaft gelernt, dass es für die meisten von uns schon sehr schwierig ist, zu verstehen, was ein einzelnes Atom ist. Das macht mich skep- tisch und auch unempfänglich für jegli- che religiösen Dogmas, die eine spezielle

«Wahrheit» für sich beanspruchen. Wäre ich im Iran erzogen worden, würde ich mit dem gleichen Spirit in die Moschee gehen wie in England in eine Kirche. Und wäre ich als Buddhist sozialisiert worden, hätte ich wahrscheinlich Zugang zu mentalen Zuständen, die mir jetzt – leider – verschlossen sind.

Schweizer Biennale zu Wissenschaft, Technik und Ästhetik: «Das Rätsel des menschlichen Bewusstseins», SA 20. Januar, 9 bis 18 Uhr, Verkehrshaus der Schweiz, Luzern

www.neugalu.ch/d_bienn_2018.html Kartenbestellung via E-Mail: info@neugalu.ch

«Ich rate meinen Studen- ten immer, dass sie besser erstklassige Science-Fiction lesen als zweitklassige Wissenschaftsbücher.»

Martin J. Rees

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Michel Richter besitzt nicht nur über 40 000 Tonträger, sondern haucht als DJ altehrwürdigen Hits neues Leben ein. Zu Besuch beim wohl dienstältesten Plattenaufleger der Schweiz.

Von Stefan Zihlmann, Bild: Matthias Jurt

menschliche Die

Jukebox

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er fast zehn Jahre vollberuflich als Plattenaufleger in verschiedenen Lokalitäten in der Innerschweiz. Wenn auch nicht als DJ, blieb er der Musik verpflichtet – als Radiojournalist und beim Musiklabel K-Tel. Seit zehn Jahren arbeitet Richter wieder hauptberuflich als DJ und gibt etwa hundert Auftritte pro Jahr.

Messlatte Massengeschmack

Seinen Erfolg verdankt der DJ unter anderem seiner langjährigen Erfahrung. Seit Anbeginn führt er minutiös Buch über die Musikwünsche seiner Besucher, die er in eine Datenbank auf seinem Computer einträgt. Die häufigsten Nachfragen? «Das sind defini- tiv Songs von Elvis und den Beatles, von denen habe ich über 80 verschiedene Lie- derwünsche registriert.» Mithilfe dieser Statistik nimmt Richter für jeden Anlass einen fixen Grundstock von etwa 1000 Platten mit. «Mit diesem Stock kann ich 95 Prozent aller Wünsche erfüllen», erzählt Richter nicht ohne Stolz. Das wollten wir ausprobieren und besuchten seine Rock’n’Roll-Circus-Veranstaltung, die jeweils jeden ersten Freitag im Monat in der Bar 59 stattfindet. Wir fragten nach «The Boys Are Back In Town» von Thin Lizzy. Das hatte er nicht dabei, schrieb sich den Song aber gleich in seine Notizen. Bei Richter entscheidet der Massenge- schmack. Der Song wird selten gewünscht, also bleibt die Platte zu Hause im Archiv. Seine Mission besteht darin, die Besucher mit Evergreens zu beglücken, wo alle mitsingen können. Er spielt Songs aus einer Zeit, als Hits noch Gassenhauer waren und nicht ein endloser Stream aus Bits und Bytes. Geschmackssicher erfüllt Michel Richter diese Sehnsucht nach Nostalgie. Denn seien wir ehrlich: Mit Blick auf die standardisierte Sülze, die heutzutage in den Hitparaden gespielt wird, hätte ein Song wie «Hotel California» keine Chance mehr.

Dies ist übrigens der Song, der von seinen Gästen am meisten gewünscht wird.

Rock’n’Roll Circus mit DJ Michel Richter, FR 5. Januar, 22 Uhr, Bar 59, Luzern

K

aum sind wir in der Wohnung von Michel Richter in Horw, bittet er uns in sein Archiv-Zimmer.

Dort stapeln sich bis unter die Decke über 20 000 Single-Platten in den Regalen. Alles alphabetisch und nach Musikstil geordnet. An den Wänden hängen Fan- Utensilien, Autogrammkarten und Dankeskarten seiner Fans. Es bleibt kaum Zeit, sich sattzusehen, schon hält uns der Jäger und Sammler stolz eine seiner Trouvaillen entgegen. Es ist die Single «Ninety Nine Years (Dead Or Alive)» von Guy Mitchell aus dem Jahr 1956. Vorsichtig legt er die Scheibe auf seinen von Holz ummantelten Plattenspieler. Ab dem ersten Takt wird klar, warum Richter an dieser Scheibe hängt. Sie klingt

wie das James Bond Theme, aber nur beinahe: John Barry, der Komponist der Erkennungsmelodie der 007-Filme, hat bei diesem Song schamlos abgekupfert. Wo heute schnell mal die Juristen vor der Tür stehen würden, war das zu dieser Zeit gang und gäbe. «Auch Polo Hofer hat geklaut», sagt Richter, und nennt als Beispiel den Song «Kiosk», den Polo National bis auf den Text nahezu eins zu eins von Little Feats «Dixie Chicken» kopierte.

Über nahezu jede seiner Platten kann

Richter eine Geschichte erzählen. Und dieses Wissen nutzt der 65-Jährige auch an seinen DJ-Auftritten, wo er, wie früher üblich, zwischen den Stücken Titel und Interpret ansagt. Bei gegebenem Anlass erzählt er auch mal Anekdoten zwischen den Liedern, etwa bei Senioren-Tanznachmittagen oder bei seinen Good Old(ies)-Sunday-Veranstaltungen, die er schon seit fünfzehn Jahren sonntags in der Bar im Hotel Montana durchführt. An Durchsagen zwischen den Songs hält er eisern fest, auch wenn sich die Abläufe der Tanzveran- staltungen seit seinen Anfangstagen verändert haben:

«Damals spielte man einige schnelle Songs, darauf folgten ruhige Songs, sogenannte Schmusesongs, bei denen die Gäste geschlossen tanzen konnten. Danach gabs eine zehnminütige Pause, bei denen die Besucher zu ihren Tischen zurückkehrten. Das ging stündlich so weiter bis um ein Uhr, dann war Zapfenstreich, an Werktagen bereits um Mitternacht», erzählt Richter.

Nach seiner Lehre in einem Reisebüro 1968 arbeitete

Er spielt Songs

aus einer Zeit,

als Hits noch

Gassenhauer

waren.

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AT E L I E R S T I P E N DI E N

Die Stiftung Haus am See betreibt im Park der Villa Krämerstein seit 1990 ein Künstlerhaus, das an Kulturschaffende sowie Wis- senschaftlerinnen und Wissenschaftler vermietet wird. Nebst den bezahlenden Gästen lädt der Stiftungsrat jährlich zwei bis drei Kulturschaffende für einen Aufenthalt von einer bis vier Wochen ein. Wenn immer möglich wird mit diesen ein öffentlicher Anlass durchgeführt. (red)

Haus am See,

Krämerstein (Horw)

Hiesige Residenzen

Zentralschweizer Kulturschaffende schwärmen aus in Atelierwohnun- gen von Chicago bis Buenos Aires, von Berlin bis Belgrad. Es gibt aber auch Kreative, die es hierhin zieht.

Wo wohnen und arbeiten diese?

Fünf Beispiele.

Bilder: Mik Matter

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Südpol, Luzern

Atelier für verfolgte Schriftsteller, Luzern

In der ehemaligen Schreibstube Otto Marchis bietet der Deutschschweizer Ableger des internationalen PEN Zentrums seit 2015 ein Stipendium plus Wohnmöglichkeit für verfolgte Schriftsteller an. Erster Gast war der eritreische Menschenrechtsanwalt, Autor und Lyriker Daniel Mekon- nen. (red)

Bilder: Mik Matter

Neben den verschiedenen Bühnen und dem Bistro verfügt der Südpol Luzern auch über eine eigene Künstlerwohnung.

Sie war in den vergangenen Jahren Ausgangspunkt und Schauplatz zahlreicher Projekte von lokalen wie auswärtigen Künstlerinnen und Künstlern vorwiegend aus den Sparten Tanz, Theater und Musik. (red)

Bilder: Mik Matter

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AT E L I E R S T I P E N DI E N

Gästezimmer Gelbes Haus Kloster Maria Opferung, Zug

Seit September 2017 wird das Gästezimmer des Gelben Hauses auch als längerfristige Künstlerresidenz genutzt, namentlich für Gäste aus Chicago und Stipendiatinnen und Stipendiaten von Istanbuluzern. Ansonsten wird es gehandhabt wie eh und je: Man kann beim Gelben Haus anfragen, ob das Zim- mer frei ist, und dort an seinem Projekt arbeiten. Die ersten zwei Wochen sind gratis, danach kostet es. Die maximale Aufenthaltsdauer beträgt sechs Wochen. (red)

Die Landis & Gyr Stiftung betreibt im Annexbau des Klosters Maria Opferung in Zug ein Atelierhaus mit drei Atelierwohnungen, einem Wohnstudio mit separatem Arbeitsraum und einem Atelier für visuelle Künstlerinnen und Künstler. Die Atelierwohnungen stehen osteuropäi- schen Schriftstellerinnen, Übersetzern und Geisteswissenschaftlerinnen sowie Schweizer Schriftstellern, Übersetzerinnen sowie Kunstschaffenden aus dem Tessin und aus der Romandie zur Verfügung. (red)

Bilder: Guido Baselgia

Bilder: Mik Matter Bilder: Mik Matter

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«Er steht am Küchenfenster und schaut auf Mauern aus ro- tem Backstein. Abgestorbene Bäume, Autos, überquellende Müllcontainer. Auf der Bank im Hof sitzen die Köchinnen von Cesar’s Deli und rauchen. Sie sprechen polnisch und tragen weisse Hauben. Die Familie im Haus gegenüber schaut TV. Von ihnen sind aber nur die Hinterköpfe auf Sofakissen zu sehen und Beine auf dem Tisch und manchmal Hände mit Gabeln und Löffeln, und bloss wenn jemand neues Essen hereinbringt, ein ganzer Körper. Lorraine’s Diner ist leer. Vor der Lava Lounge steht schon Oketch mit dem Pepitahut. Kenny sitzt auf den Stufen vor seinem Laden.

Ken schliesst das Rainbo auf. Die Bäume an der Strasse haben noch Blätter. Es ist windig. Es wird dunkel.»

Ich bin in Chicago und schreibe an einem Buch mit dem Titel «Das vierte Klima». Siehe oben, der Anfang des Ganzen. Erzählt wird die Geschichte eines Mannes, der Töne sucht für eine Wayang-Kulit-Schattenoper. Lautes, Leises, das Dazwischen und das hinter den Linien – das

903 North Damen Avenue

Klingen der Silbermünzen im Pappbecher eines Bettlers in der City, das apokalyptische Rattern der L, das akustische Sammelsurium des normalen urbanen Wahnsinns. Ohren und Augen, denn es ist auch ein visuelles Tagebuch meines Aufenthaltes im Atelier in der North Damen. Notabene eine recht grosszügige Wohnung. Ich habe mich da eingenistet fürs Schreiben, für das Malen und Zeichnen. Drin sein. In etwas Innerem. Drinnen.

Draussen: laufen, Tag für Tag – quer durch die Stadt, nachts, im Hellen, im Morgengrauen und fort bis in die Zwischenzeiten. Ich bin auf eine Weise unterwegs, wie ich es mir lange schon gewünscht habe. Laufen. Sehen.

Sam Burckhardt, ein Schweizer, Saxofonist. Durch ihn komme ich auch abends in die Gänge: Musik hören, am liebsten im Smoke Daddy (Spare Ribs and Chips).

Oder auch so was – ich laufe zum Wicker Park, plötzlich fahren zwei Polizeiautos ganz langsam neben mir her, vor Kenny’s Laden keilen sie mich ein: «Hey, you, put your hands on the car.» Ein wütender kleiner männlicher Cop

Der Künstler, Schriftsteller und Kunsttheoretiker Peter Stobbe war im Winter 2003/04 im Luzerner Atelier für Kulturschaffende in Chicago zu Gast. An die- ser Stelle spürt er der damaligen Atmosphäre sowie seinem Tun nach – und vermittelt uns Daheimgebliebenen, was ein Atelierstipendium sein kann.

September 2003

Bild: Mart Meyer, Luzerner Atelier in Chicago, 2006

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AT E L I E R S T I P E N DI E N

Rückschau:

Chicago Winter 2003/4 – war eine richtig gute Zeit, für die ich heute noch dankbar bin.

Output (damals):

«Das vierte Klima» fertig, «Chicago Papers» und «Ding- Studien» umfangreich, Vasen gemalt.

Sonst noch:

«25 Or 6 To 4» von Chicago (früher eine Band) gehört (Autoradio), nachts schwer philosophierend durch die Stadt gefahren. Vorher Mexican Food und Margaritas.

Studs Terkel, der Schriftsteller, ist schon fast taub.

Bitte:

Ateliers weiterhin subventionieren und Leute, die was tun wollen mit sich und für sich und mit ihrem Kunst- zeugs, losschicken.

(«I don’t like artists», stellt das Kantenkinn nach oben und zieht reichlich Luft in die Nase) und eine etwas nettere Polizistin, die mich ermahnt, jetzt keine blöden Witze zu machen.

Oder farbenblind: Bin zu einer Neujahrsparty bei Künst- lerfreunden eingeladen und will vorher neue Klamotten kaufen. Ich gehe extra in einen noblen Laden und sage, ich sei farbenblind, der Verkäufer möge mir bitte eine Hose und ein passendes Hemd aussuchen. Das ist mir später sehr peinlich, aber eine knallgrüne Hose mit lila Hemd habe ich noch nie gehabt.

Dann wird es sehr kalt. Jonathan (wohnhaft nebenan auf der Treppe) braucht warme Kleider, die Homeless auf der Ashland brauchen Suppe. Ich gehe da hin und mache mit beim Kochen – «No homeless in Switzerland?».

Manchmal ist es einsam. Buchläden, Pinsel- und Papier- geschäfte gibt es reichlich. Kann sogar im Goethe-Institut die Chicago Papers ausstellen und eine Lesung aus meinem Buch «Nach Delft gehen» gibt’s da auch noch, auf Deutsch und Englisch. In der anderen Sprache hört sich der Text fremd an und unwirklich.

Und noch was für’s Ego – mit einer E-Gitarre und einem Verstärker vom Musikladen zurück ins Atelier durch Chicago laufen ... Like the boys from the band, yeah.

Phonetics: Der Physiklehrer im Gymi sagte «Tschikägo» – falsch. «Tschikago», landläufige Aussprache, stimmt auch nicht. Dort sagen sie «Schikago», wobei das «i» fast ein «ü»

ist und das «sch» so rund wie ein Suppenteller.

Dezember 2017

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Atelierstipendien sind ein Pfeiler der Kul- turförderung. Die Idee: Kreativschaffende sollen sich an einem neuen Ort für eine bestimmte Zeit, frei und ohne finanzielle Sorgen, ihrem Werk widmen können. Wir fragten einige ehemalige Stipendiatinnen und Stipendiaten, wie der Atelieraufent- halt auf ihr Schaffen wirkte.

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«Für mich das Beste, was mir passieren konnte.

Horizonterweiternd in jedem Fall! Viele neue gute Connections bis heute!»

Christoph Erb (Musiker), Atelier in Chicago 2011

«Der Atelieraufenthalt hat mich noch offener und neugieriger für andere Vorgehens- und Ausdrucksweisen innerhalb von Spoken Word gemacht.

Gleichzeitig interessiere ich mich seit dieser extrem inspirierenden Auszeit noch mehr für andere Kultursparten und den künstlerischen Austausch untereinander.»

André Schürmann (Autor und Kulturvermittler), Atelier in Chicago 2012

«Einerseits geht’s ums Geld: Wenn man seinen Lebensunterhalt nicht nur mit Kunst bestreitet, hat man selten die Gelegenheit, ohne Druck ein halbes Jahr an eigenen Projekten arbeiten zu können. Andererseits sind Atelieraufenthalte identitätsstiftend: Während ich sonst auch andere Rollen einnehme, bin ich während eines Atelieraufenthalts für eine gewisse Zeit ausschliesslich Künstler. Dieser Effekt hat mich nachhaltig beeinflusst, genauso wie die Arbei- ten, die zu dieser Zeit entstanden sind.»

Urs Hofer (Künstler und Programmierer), Atelier in Chicago 2005, zusammen mit Stefan Bischoff

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«Die Dynamik dieser Grossstadt, das Neben- einander von High and Low, das Vermischen der diversen Szenen haben mich extrem inspiriert – einem Schwamm gleich sog ich die unterschiedlichsten Aktivitäten auf: Ausstel- lungen, Filmfestivals, Konzerte in der ganzen Bandbreite von Klassik, Jazz bis zur zeitge- nössischen Musik, Theater, die wunderbaren Pubs und immer wieder die Begegnung mit der Architektur. Eine Horizonterweiterung, die mir ermöglichte, meine Arbeit als Kurato- rin zu reflektieren und zur Gruppenausstel- lung ‹London meets Altdorf› führte.»

Barbara Zürcher (Direktorin Haus für Kunst Uri), Atelier in London (sechsmonatiges Residenzstipendium der Landis & Gyr Stif- tung), 2017/2015

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«Die sechs Monate in Kairo haben mein Leben und mein Schaffen extrem geprägt. Ich habe erlebt, wie Bürger von einer willkürlichen Regierung kontrol- liert und unterdrückt werden. Mir wurde bewusst, was es heisst, ohne Meinungsfreiheit zu leben und unter Zensur künstlerisch arbeiten zu müssen. Ich schätze es nun viel mehr, hier in der Schweiz frei ar- beiten zu dürfen, zu sagen, was ich denke – sei es in meinen Arbeiten oder einfach so auf der Strasse.»

Corina Schwingruber Ilic´ (Filmemacherin), Atelier in Kairo 2014

«In meinem Aufenthalt in Chicago habe ich die Wechselwirkungen zwischen Städtebau, Architektur und Denkmalpflege neu zu sehen gelernt. Gentrifizierung ist für mich zum zentralen Faktor des Stadtumbaus geworden.»

Gerold Kunz (Architekt), Atelier in Chicago 2016

«In Luzern angekommen, stellen wir fest, dass in unseren Adern mehr Chicago fliesst als in unserer Musik.»

Shady and the Vamp (Band), Atelier in Chicago 2017

«Das Atelierstipendium war für mich und meine Arbeit genial und kam genau zum richtigen Zeitpunkt. Es ermöglichte mir nicht nur, meinen kreativen Denkraum durch eine andere Kultur, Sprache und ein neues künstlerisches Netzwerk zu erweitern, sondern ich konnte auch ganz konkret aus dem Moment heraus ein Filmessay entwickeln und drehen, das mit Buenos Aires verknüpft ist. Durch den (finanziellen, örtlichen und sozialen) Freiraum war es mir mög- lich, einen anderen Arbeitsprozess und eine verfeinerte Bildsprache zu entwickeln; davon habe ich viel mit nach Hause genommen. Die Kontakte pflege ich nach wie vor. Zurzeit arbeite ich am Schnitt dieses Filmessays («Freundschaft schliessen mit einer Stadt» (AT)), das im Frühling 2018 fertig werden soll. Auch dank der sehr guten Atelier- betreuung (Vermittlung von Kontakten und Anlässen) vor Ort konnte ich so stark vom Aufenthalt profitieren.»

Antonia Meile (Filmemacherin), Atelier in Buenos Aires 2015

«Es war ein Privileg, die Geburtsstunde einer neuen Türkei unter Erdogan fotografisch zu begleiten. Nach einer längeren Pause wegen meiner Kinder war es mir endlich wieder möglich, mich eingehend einem Thema im Ausland zu widmen. Danke an meine Frau!»

Fabian Biasio (Fotograf), Atelier in Istanbul (Istanbuluzern), 2017

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Die Sängerin und Stimmkünstlerin Isa Wiss erhielt im Dezember 2017 den mit 10 000 Franken dotierten Jazzpreis Luzern. In ihren vielfältigen Projekten verbindet sie Musik, Wort und Performance.

Von Pirmin Bossart

Eine Improvisatorin mit Power

Isa Wiss ist eine herausragende Impro- visatorin. Ob in technisch schwierigsten Klanggefilden oder in theatralischen Kon- texten: Sie findet stets einen Weg, sich mit ihrer Stimme so einzunisten, dass sie beim Publikum etwas berührt und auslöst. Ihre Lautsprachen und Silbentänze scheinen unerschöpflich. Zärtlich, rabiat, entrückt, knallig und in allen Spektren dazwischen mäandert sie auf der Bühne durch klangliche und szenische Welten. Sie sagt: «Die Stimme ist mein Instrument. Es gefällt mir, sie in ihren verschiedensten Facetten einzusetzen.»

Die stimmliche Vielseitigkeit und die Power ihrer Improvisationen brachten Wiss früh auf den Radar als herausragende Per- formerin. Zudem leistet sie mit ihren spe- zifischen Kinder-Projekten eine nicht zu unterschätzende Vermittlungsarbeit. Schon vor zehn Jahren spielte sie mit ihrer Band

Nacktmull interaktive Impro-Konzerte für Kinder. Inzwischen sind daraus Isa Wiss’

Frächdächs (mit Albin Brun, Markus Lau- terburg und Luca Sisera) geworden. Solche Konzerte erreichen viele kleine Menschen, die sich dann vielleicht auch später für freie künstlerische Prozesse begeistern lassen.

Isa Wiss (39) ist in Dinhard/ZH aufge- wachsen. Sie nahm klassischen Gesangs- unterricht am Konservatorium Winterthur und besuchte ein Jahr die Swiss Jazz School in Bern. 2005 schloss sie an der Jazzabtei- lung der Hochschule Luzern – Musik ihre Musikpädagogik-Ausbildung mit dem Master ab. Weiter ist sie Mitbegründerin des Mull- baus, dem Raum für improvisierte Musik.

Bei den Migma Performancetagen Luzern war sie bis 2017 als Kuratorin tätig. Seit ihrer Ausbildung lebt Wiss, mittlerweile mit Mann und zwei Kindern, in Luzern.

Musiktheater immer wichtiger

Neuerdings hat sich ihr kreativer Fokus ver- stärkt auf Bühnenprojekte gerichtet, in denen sie sowohl musikalisch mitmischt als auch selber spielt und performt. Mit der Equipe Wiss produziert sie verschiedenste Formate in den Bereichen Musik-Theater und Musik- Performance. Dieses Jahr kommt die neue Eigenproduktion «Die grosse Wörterfabrik»

(mit Vera Kappeler, Peter Conradin Zumthor und Luca Sisera) zur Aufführung. Und im Mai hat «Maul auf» (beim Forum Neue Musik Luzern) Premiere: Eine experimen- telle Stimmen-Sextett-Musik-Performance mit Urban Mäder, Mischa Käser, Dorothea Schürch, Irina Ungureanu, Urs Weibel und Isa Wiss.

In jüngster Zeit beschäftigt sich Wiss vermehrt auch mit musikalisch-literarischen Projekten. 2015 hat sie mit dem Hausquar- tett (Christoph Baumann, Hämi Hämmerli, Tony Renold) und dem Autor Guy Krneta die CD «Unger Üs» veröffentlicht und auf die Bühne gebracht. Regelmässig tritt sie mit der Schwyzer Autorin Martina Clava- detscher («Knochenlieder») auf, wo Wiss den musikalischen Part übernimmt. Ende November 2017 wirkte sie in Stans in der literarisch-musikalischen Hommage an die Schriftstellerin und Künstlerin Annemarie von Matt mit.

Wortreich und performativ ist auch die Zusammenarbeit mit dem Bassisten Luca Sisera, etwa, wenn sie zusammen Rezep- te aus Kochbüchern oder Anleitungen für Frisuren vertonen. Mit Luca Sisera spielt sie noch in anderen Kontexten, so etwa als Gast-Vokalistin in dessen Formation Roofer.

Ein regelmässiger Partner ist Albin Brun, mit dem sie sowohl im Duo als auch im Quartett spielt. Nochmals ganz anders ist ihr Engagement in der Freien Oper Zürich.

Nach einer ersten Produktion 2013 wird Wiss als «Opernsängerin» im März 2018 in

«Orpheus» auf der Bühne stehen.

Die Beispiele zeigen, dass das künst- lerische Wirken von Wiss nicht wirklich kategorisierbar ist. Sie selber komme gut mit dieser Vielseitigkeit klar, sagt die Stimm- künstlerin. «Ich suche sie auch, um meine Stimme und Vokaltechniken immer wieder neu auszuloten und die Stimme in all ihren Ausprägungen als Instrument einzusetzen.»

Bild: Ralph Kühne

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25 A K T U E L L

Als der Regierungsrat im Juni dieses Jahres existenzgefährdende Kürzungen in der Kulturförderung ankündigte, reagierte ein Kol- lektiv von Luzerner Kulturschaffenden in Form von selbstgemachten Kondolenzkarten. Diese wurden zu Hunderten an den Kultur- und Bildungsdepartements-Vorsitzenden Reto Wyss und die politischen Parteien versandt. Seither folgten weitere Aktionen. Bei den beiden

«Sichtbarmachungen» standen Dutzende Menschen in schwarzer Kleidung platschnass vor dem KKL respektive dem Regierungsge- bäude. Zudem gabs einen Kurzfilm, eine Landsgemeinde, einen Kulturstop und ein Manifest.

Die bisherigen Aktionen zeigen die Präsenz und Lebendigkeit der lokalen Kulturszene, reichen jedoch auch nicht über deren Grenzen hinaus, und somit stockt der Diskurs über die Sparpolitik, der nicht bloss die Kulturschaffenden, sondern die ganze Luzerner Bevölkerung betrifft. Das soll sich ändern. Ein Dokumentarfilm will objektiv der Frage nachgehen, wie es dazu kommt, dass seit Beginn der Tief- steuerstrategie nichts als Löcher in den Kantonskassen auftreten:

«Gemachte Prognosen sind nicht eingetreten und bereits werden neue verkündet», so Marco Liembd, einer der Initianten. Der Film soll überprüfen, einordnen und hinterfragen. Eine übergreifende Debatte, an der sich die gesamte Luzerner Bevölkerung beteiligt, will ausgelöst werden. «Initiiert wurde die Idee zu diesem Dokumentar- film von einem Kollektiv besorgter Bürgerinnen und Bürger», sagt Ursula Hildebrand, Regisseurin und Mitinitiantin, «wir wünschen uns eine zukunftsgerichtete, starke und offene Gesellschaft, in der die politische Debatte nicht durch den Spardruck erstickt wird.»

«Luzern – Der Film» soll rechtzeitig vor den Kantonsratswahlen 2019 erscheinen, als politische Entscheidungsgrundlage.

Ambitioniertes Crowdfunding

Auf funders.ch läuft noch bis zum 5. Februar 2018 ein Crowdfun- ding mit dem Finanzierungsziel von Fr. 150 000.–. Dieser Betrag wird benötigt, um eine fundierte Recherche, die die Meinungen aller involvierten Akteurinnen und Akteure berücksichtigt, sowie die professionelle Produktion dieses aufklärenden Zeitdokuments zu finanzieren. Bei jedem erreichten Meilenstein von Fr. 5 000.–

meldet sich Schüür-Geschäftsleiter und Kulturaktivist Liembd mit einem Blogeintrag zu Wort, der mit Argumenten aus der jüngsten Luzerner Politikgeschichte aufzeigt, wie ernst, aber auch wie bizarr die momentane finanzielle Lage ist. «Ich möchte betonen, dass in den Blogs ausschliesslich Zitate aus Medien oder Protokollen ver- wendet werden», so Liembd, «wir Initianten sagen eigentlich gar nichts, wir lassen lediglich gemachte Aussagen Revue passieren.»

So postete Liembd etwa eine kleine Auswahl von Beispielen, die in ihrer Absurdität die Dringlichkeit einer breit gestützten Bewegung seitens der Bevölkerung illustrieren:

«7.12.2017: Schwerzmann lobt die hervorragende Arbeit der Regierung und betont: ‹Wir müssen weiter sparen›.»

Bei Zustandekommen der Fundingschwelle von Fr. 120 000.–

werden professionelle Filmschaffende beauftragt, das Projekt zu realisieren. Die Initiantinnen und Initianten wollen eine Produk- tionsleitung und eine Regie einsetzen, die ausserhalb des Kantons Luzern leben und arbeiten und nicht von den Sparmassnahmen betroffen sind. «Aussage und Ende des Films werden nicht vor- gegeben. Endet der Film mit der Tatsache, dass die Regierung hervorragende Arbeit leistet, soll dies dann auch zum Ausdruck kommen», versichert Liembd die Objektivität des Films.

Geplant ist, den Film niederschwellig und so oft wie möglich zu zeigen. Auf die Kinopremiere soll eine Roadshow durch Dörfer und Städte des Kantons folgen. Der Film wird aber auch frei im Internet zur Verfügung stehen.

Anfang Dezember wurden die Kantonsparlamentarierinnen und -parlamentarier vor der Session in einer simulierten Filmpremiere von den Kulturschaffenden mit einem roten Teppich, Cüpli und Blitzlichtgewitter begrüsst. Bleibt zu hoffen, dass die echte Premi- ere zustande kommt. Und dass sie politisch etwas auslöst, was die unhaltbaren Zustände im Kanton Luzern aufhebt.

Wird die vom Luzerner Regierungsrat eingeschlagene Finanzpolitik irgendwann funktionieren? Wir wissen es nicht. Eine Filmrecherche soll nun aufzeigen, wieso die versprochenen Mehreinnahmen ausbleiben und öffentliche Leistungen kontinuierlich abgebaut werden.

Von Christian Löffel

Spare, spare? Filmle schauen!

www.funders.ch/projekte/luzern-derfilm

Empfang der Luzerner Kantonsparlamentarierinnen und -parlamentarier zum Auftakt der Budget-Session am 4. Dezember 2017. Bild: zvg

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Das Bildungsbürgertum, lange Zeit der Inbegriff einer funktionierenden Zivilgesellschaft, ist tot. Oder nüchterner formuliert: Es hat sich verändert. Das sollten auch Kulturschaffende und -institutionen ak- zeptieren, anstatt weiterhin auf ein Publikum hinzuarbeiten, das es nicht mehr gibt – und damit jene zu ignorieren, die zuhören, zuschauen, lesen und mitfiebern.

Das Kulturschaffen und die inexistenten

«Bildungsbürger»

D

as Bildungsbürgertum war eine Ge- sellschaftsschicht, die sich bewusst vom Besitzbürgertum abgrenzte und sich durch eine kultivierte Lebensweise aus- zeichnete. Man kann es gegenüber dem alten Adel als Fortschritt erachten, dass über die Zugehörigkeit nicht die Geburt, sondern die Bildung entschied. Nichtsdestotrotz handelte es sich um eine Schicht und damit um Ab- grenzung von anderen. Personen, die den Fremdworten des abendlichen Salongesprächs nicht folgen konnten, die nicht wussten, was eine Klaviersonate ist oder die sich nicht für Malerei interessierten, waren ausgegrenzt.

Das Bildungsbürgertum wollte in seinen Kulturaktivitäten unter sich bleiben. Es ging darum, durch die eigene Kultiviertheit einen Status und ein damit verbundenes Ansehen zu erlangen. Glücklicherweise haben heute alle Teile der Gesellschaft das Kulturleben entdeckt, womit sich die Statusfrage erüb- rigt hat. Anstatt eines Bildungsbürgertums besitzen wir eine gleichberechtigte Vielfalt von Subkulturen, an denen man in beliebiger Anzahl partizipieren darf. Haben das die heu- tigen Kulturschaffenden und -institutionen schon bemerkt?

Angst vor «blosser Unterhaltung»

Es geht bis heute die Angst um, dass der Weg- fall von erkennbar bildenden und intellek-

tuellen Elementen das Ende des anspruchs- vollen Kulturschaffens bedeute. Doch «blosse Unterhaltung» und «anspruchsvolle Kunst»

sind die zwei Seiten der bildungsbürgerlichen Statusmedaille. Als ob es nur zwei Pole gäbe und als ob man von der Unterhaltung nicht zur Philosophie, von Hollywood nicht zur Kunst oder von «Globi» nicht zur Ethik kä- me. Das heutige Publikum besteht nicht aus passiven und dummen Konsumentinnen und Konsumenten. Es lässt sich eigenständig anregen und interessiert sich nicht zwingend für die von den Produzenten intendierten Inhalte. Scheinbar wird an vielen Orten aber eine unterwürfige und verehrende Haltung bevorzugt, welche nur funktioniert, wenn die betrachtende Person sich nicht anmasst, etwas mit der wahrgenommenen Kunst anzufangen.

Viele Kulturinstitutionen begannen sich in den letzten Jahren für ein diversifiziertes Publikum mit unterschiedlichen Interessen zu öffnen. Das KKL versucht junge Menschen in legerer Kleidung anzulocken und das Luzerner Theater erprobt neue Spielorte. So weit, so gut: Sind also alle verbliebenen Klassenun- terschiede bloss in unseren Köpfen? Ist es nur noch eine Frage des Abbaus von Hemmungen?

Nicht ganz: Die Räumlichkeiten, Qualitätskri- terien und Förderungsmittel sind noch stark auf die bildungsbürgerliche Kultiviertheit aus- gerichtet. Der «white cube», die Vitrine oder

die omnipräsenten Abstandsmarkierungen im Kunstmuseum zeugen immer noch von Heiligtümern, zu denen nur Eingeweihte im stillen intellektuellen Genuss Zugang haben.

Das Comixfestival Fumetto lebt nicht nur formal, sondern auch inhaltlich eine ganz andere Kulturpolitik. Kein Wunder gibt es deshalb immer noch Banausen, die Comics nicht für Kunst halten wollen – oder nota bene für schön, aber unmöglich ebenbürtig zu Malerei, Skulptur und Lyrik. Kultur muss heutzutage glücklicherweise nicht mehr dazu dienen, dass sich Bildungsbürger ihres Sta- tus versichern können. Sie muss auch nicht mehr so sein, dass sie nur im Setting kahler Räume, breiter Belesenheit und höchster Konzentration zur Geltung kommt. Sie kann, aber sie muss nicht.

Tobias Brücker

«Das Konzept von ‹Kultur› wird selbst demokratisiert und gesellschaftlich reflektiert.

Es besteht nicht länger aus der Summe des ‹Besten, was je gedacht und geschrieben wurde›, als der Höhepunkt einer entwickelten Zivilisation – das Ideal von Perfektion, nach dem in der früheren Bedeutung alle strebten.»

Stuart Hall*

* «Die zwei Paradigmen der Cultural Studies». In: Karl H. Hörning/Rainer Winter (Hg.), Widerspenstige Kulturen. Cultural Studies als Herausforde- rung, Frankfurt a. M.: Suhrkamp, S. 13-42: S. 17

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K U LT U R TA N K

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ie Bildungsbürger bildeten jenen spe- zifischen Teil des Kulturkuchens, der sich in den Stätten der Hochkultur wie Stadttheater, Konzertsaal oder Museum – beispielsweise mit einer Jahreskarte – eine kulturelle Grundversorgung erwarb. Damit sicherten sich die Bildungsbürger die Exklu- sivität, dazuzugehören. Und es gehörte auch zum guten Ton, «dort» dazuzugehören – sich abzugrenzen; dort zu stehen und fein gekleidet gesehen zu werden. Tempi passati? Kultur für alle? Keine Grenzen mehr zwischen der etablierten Hoch- und der oft belächelten Populärkultur?

Im Kulturförderungsgesetz des Kantons Luzern steht unter anderem geschrieben: «Der Kanton fördert das kulturelle und künstleri- sche Schaffen vor allem nach den Kriterien […]: Vermittlung an möglichst viele und verschiedene Bevölkerungsgruppen.»1 Ist mit dieser Aussage, genauer besehen, nicht ein kryptisches Kunst- und Kulturschaffen gemeint? Eine Kunst und Kultur, die auf Anhieb lediglich vom Bildungsbürgertum verstanden wird, muss der Restbevölkerung vermittelt und übersetzt werden. Damit wird ein Angebot alimentiert, das einen vergleichs- weise kleinen Bevölkerungsanteil anspricht.

Ein weiteres Ziel der kantonalen Kul- turpolitik besteht laut Planungsbericht des Regierungsrats an den Kantonsrat darin,

«allen Bewohnerinnen und Bewohnern des Kantons Luzern die Möglichkeit der Mitge- staltung von Kultur und Gesellschaft sowie den Zugang zu Kultur zu gewährleisten».2 Ist damit ein Kulturangebot und Kulturschaffen

«für alle» gemeint? Wieso fliessen dann aber die Fördermillionen der öffentlichen Hand unentwegt und hauptanteilig in die Tempel und die Kanäle der sogenannten und – mit Verlaub – manchmal etwas selbstverliebten

«Hochkultur»? In eine Kultur also, die dann aufwendig und teuer vermittelt werden muss, obwohl deren Formate allenfalls nicht mehr zeitgemäss oder gewünscht sind? Und als ob andersartiges Kulturschaffen weniger wertvoll wäre?

Nein, so simpel ist es auch wieder nicht.

Kultur-Subventionen sind ein wichtiger Be- standteil unseres Wirtschaftskreislaufs. Sie sind Investitionen in unsere Gesellschaft.

Es geht zudem um Standortmarketing, um Arbeitsplätze, um Bildung, um Renommee etc. Ja, davon profitiert dann letztlich die ganze Gesellschaft. Ebenfalls soll und darf nicht nur Massentaugliches gefördert werden!

Trotz all dem fühlen sich die öffentliche Kulturförderung und der gemeine Kulturkopf noch immer einem engen, tendenziell elitären Kulturbegriff verpflichtet. Dessen Qualitäts- kriterien bleiben gleich einem Tabuthema un- hinterfragt. Das geförderte kulturelle Angebot

und Schaffen peilt infolgedessen ironischer- weise an der eigentlichen, oben definierten Zielgruppe vorbei: an «den möglichst vielen und verschiedenen Bevölkerungsgruppen»

– uns allen nämlich.

Wir leben in einer zunehmend granula- ren Gesellschaft und Kultur, in der Ab- und Ausgrenzungen möglicherweise schwerer erkennbar werden. Aber sie existieren in unseren Köpfen und in der Praxis leider hartnäckig weiter. Es ist also an der Zeit, in einem ersten Schritt den eigenen, oft jahre- lang eingeschliffenen Kulturbegriff kritisch zu hinterfragen und zu diskutieren. Bereit und offen zu werden, diesen Kulturbegriff zu revidieren und weiterzuentwickeln.

Philipp Seiler

Im Kulturtank treffen sich Kulturmanager Philipp Seiler und Kulturwissenschaftler Tobias Brücker. Die beiden reflektieren ausgehend von einem konkreten Ereig- nis eine kulturelle Fragestellung in Theorie (Brücker) und Praxis (Seiler). Ihre Texte verstehen die beiden als Einladung zum Diskurs und als Beitrag zu einem reflektierten und kritischen Selbstverständnis des Kulturschaffens.

Einblick in das Kunst- und Kulturfestival «Neusicht», an dem sich Kunstformate wie Ausstellung, Live Art, Auktion, Urban Art mit Dialog, Wohltätigkeit, Musik und Party verknäueln.

Bild: Echromatique\Thomas Soddemann

1 Nr. 402 Kulturförderungsgesetz Kanton Luzern vom 13. September 1994 (Stand 1. Januar 2015)

2 Kanton Luzern: Planungsbericht des Regierungsrats an den Kantonsrat B 103 «Über die Kulturförderung des Kantons Luzern», 4. Februar 2014

Referenzen

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