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Universität Vechta. Institut für Soziale Arbeit, Bildungs- und Sportwissenschaften. Bachelor of Arts. Erstguterachter_in:

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Rassismus unter Kindern Perspektiven der Sozialen Arbeit

Universität Vechta

Institut für Soziale Arbeit, Bildungs- und Sportwissenschaften Bachelor of Arts

Erstguterachter_in:

Prof. Dr. Christine Hunner-Kreisel Zweitgutachter_in:

Dipl.-Päd. Jana Wetzel

Nils Freye

Kettelerstraße 10 49377 Vechta Matrikelnr.: 868841

21.12.2016 Vechta

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Inhaltsverzeichnis

1. Einleitung S. 1

2. Rassismus und Differenz S. 4

2.1 Definition/ Abgrenzung S. 4

2.1.1 Normalität und Rassismus S. 8

2.2 Stereotype, Diskriminierung und Soziale Kategorisierung S.10

3. Kindheit und Differenz S. 13

3.1 Critical Childhood Studies S. 13

3.2 Sprache als performative Praxis der Differenzherstellung S. 15

3.2.1 Subjektivierung S. 16

3.2.2 Re-Signifizierung und Subjektivierung als Grundlage

rassistischer Unterscheidungspraxen S. 18

3.3. Theorie und Praxis: Rassismus im Alltag S. 19

4. Differenzrelevante Positionierungspraktiken S. 22

4.1 Allgemeine Praktiken S. 23

4.1.1 Bedeuten als Wahr-sprechen S. 23

4.1.2 Policy and Agency S. 24

4.1.3 Der Körper im Einsatz S. 27

4.2 Rassistisch relevante Differenzierungspraktiken und

die Frage nach dem Warum S. 28

5. Pädagogischer Ausblick S. 30

5.1 Kindliche Wahrnehmung von Umwelt und Literatur S. 31

5.2 Vorurteilsbewusste Erziehung S. 34

6. Fazit S. 36

7. Literaturverzeichnis/ Internetverzeichnis/ Filmverzeichnis 8. Anhang

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1. Einleitung

Die frühe Kindheit spielt im elementarpädagogischen Kontext eine zentrale Rolle im Hinblick auf bildungspolitische (Un-)Gleichheiten. In dieser Zeit kristallisieren sich bereits Unterschiede in allen Lebensbereichen von Kindern heraus. Die folgende Abhandlung zielt auf die Bedeutung von Interaktions- und Bildungsprozessen im frühkindlichen Stadium ab.1 Vor diesem Hintergrund geht es hier vor allem um den Bereich der Reproduktion und Bewältigung sozialer Ungleichheiten. Konkret stellt sich dabei die Frage nach dem Miteinander. Welche Bedeutung haben interpersonale Konflikte zwischen Kindern und Kindergruppen, in welchen Dimensionen finden diese statt und wie wirken sie sich auf eine gerechte, bildungsrelevante Pädagogik aus?

Dabei interessant sind insbesondere ungleichheits-, herrschafts-, kräfte- oder machtrelevante2Unterscheidungen, die sich anhand von Geschlecht, Generation, Ethnizität oder Rasse erkennen lassen. Die letzten beiden Aspekte sollen als Thema dieser Arbeit zugrunde liegen.

Rassismus und Differenz, hier wahrgenommen als praktische Bereiche einer Lebenswelt, als Fortführung der oben genannten Kategorien Ethnizität und Rasse, nehmen als einflussreiche Faktoren im soziokulturellen Gefüge, beispielsweise einer Grundschulklasse, einen festen Platz ein. Differentielles, selektiertes Konstruieren von Menschenbildern gehört bereits im Kindesalter dazu, weshalb es herauszufinden gilt, wie solche Einstellungen geformt werden und wozu sie führen können. Aus welchen

1 Von Interesse ist hier die Altersgruppe der drei- achtjährigen.

2 Macht-, Herrschafts- und Kräfteverhältnisse werden in diversen Publikationen häufig einzeln genannt und unzureichend erläutert. Die drei verwobenen Termini beziehen sich auf eine Herstellung von Ungleichheiten. Speziell Macht- und Herrschaftsverhältnisse sind keine

Parameter, die auf die soziale Arbeit einwirken, vielmehr handelt es sich hierbei um Faktoren, in die die Akteure der sozialen Arbeit selbst verstrickt sind und die von ihnen permanent (re-) produziert werden. Max Weber (1920/1995) bezeichnet Macht als "Chance innerhalb einer sozialen Beziehung den eigenen Willen auch gegen Widerstreben durchzusetzen" (S. 204). Die Quelle der Möglichkeitsoption eine Situation beeinflussen zu können liegt letztendlich immer auch in der Fokussierung von Herrschaftsverhältnissen. Macht und Herrschaft sind somit allgegenwärtig verbunden und implizieren sowohl historisch- spezifische Machtpraktiken, wie auch Kräfte- und Gewaltformationen (vgl. Kessl 2013, S. 71f). Foucault begreift Macht in seinen späteren Werken als Beziehungsverhältnis zwischen Individuen oder Personengruppen und nicht bloß als Gewaltakt einzelner Personen oder Institutionen, da diese wandelbar sind. Ferner basieren Machtpraktiken ebenso auf einer wechselseitigen Relation zu einem angeeigneten Wissen. Das gesellschaftliche Macht- Wissen entspringt aus dem, was innerhalb einer Gesellschaft als richtig und wahr erachtet wird (vgl. Rosa et al. 2007, S.285). Macht- und Herrschaftsverhältnisse hängen schließlich eng zusammen mit einer individuellen, politischen Subjektkonstitution. Konkret führen Subjekte dabei etwas auf andere Subjekte aus, was im Sinne des Herrschaftsgedanken in institutionalisierte Befehlsabläufe eingebunden wird, um eine abgesicherte Unterwerfung zu etablieren. Die Bestimmung von Macht als Herrschaft in

spezifischer Form der Willensdurchsetzung zeigt eines instrumentelle Form des Machtdenkens auf (vgl. Flügel-Martinsen 2014, S. 43/45).

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Motiven heraus, mit welcher Absicht und auf welche Art und Weise reproduzieren und bewerkstelligen Kinder Differenzpraktiken im Alltag und positionieren sich inmitten einer Machtkonstellation? Spannend ist hierbei besonders die Abstufung der beiden Termini (Rassismus und Differenz) die zu Beginn dieses Absatzes genannt werden.

Beide basieren auf der Benennung des Fremden oder des Unterschiedlichen, sind jedoch begrifflich schwer voneinander zu trennen. Ob Kinder dabei lediglich öffentliche Diskurse3 imitieren und somit einem rassistischen Kontext unterworfen sind und für rassistische Differenzpraktiken verantwortlich gemacht werden können, ist fraglich. Im Zentrum der Diskussion steht jedoch die Frage nach dem wie und warum in Anbetracht rassistischer Handlungen unter Kindern.

Vor welche Aufgaben diese Herangehensweise die soziale Arbeit stellt und wie sie versuchen kann gesellschaftliche Markierungen in diesem Rahmen zu dekonstruieren und zu reflektieren ist zusätzlich zu klären. Hier ist demzufolge das Ziel etwaigen Vorurteilen bis hin zu Stigmatisierungen und ungleichen Herrschafts- und Machtverhältnissen vorzubeugen und diese mithilfe verantwortungsvoller Methoden abzubauen. Konkret werden zum Ende des Textes Vorgehensweisen zur pädagogisch- didaktischen Arbeit mit Kindern angesichts vermeintlich oder tatsächlich rassistischen Materials (bspw. Kinderlieder, Kinderbücher, Kinderspiele) bearbeitet.

Das erste Kapitel befasst sich mit grundlegenden Gegebenheiten der zu untersuchenden Materie. Was bedeutet Differenz im Hinblick auf gesellschaftliches Zusammenleben, Sprache, soziale Kategorisierungen oder gemachte Konstruktionen von Menschen. Unterscheidungen zu treffen und Stereotype im Kopf zu haben ist gewissermaßen menschlich, jedoch gibt es sehr viele Formen von Differenzherstellung, die von subtiler Natur bis hin zu ausgelebtem Rassismus reichen.

Anschließend werden konstitutive Merkmale rassistischen Handelns im elementarpädagogischen Bereich verdeutlicht, um dann Subjektivierungsprozesse junger Kinder genauer zu betrachten. Dies soll hinführend zur Beantwortung der Frage dienen, aus welchem Grund Kinder Differenzlinien vollziehen und wie solche Praktiken in der Realität aussehen und einzuordnen sind. Der dritte Teil befasst sich praktisch mit Handlungs- und Denkmustern, die bei Kindern zu einer Differenzierung führen. In diesem Abschnitt soll zudem die eingangs gestellte Frage nach dem wie und warum in

3 Diskurs gilt in dieser Arbeit als Schlüsselbegriff und soll daher kurz erläutert werden. Gemeint ist damit eine Verkettung, Ordnung oder Formation von Aussagen, die zu einem bestimmten Zeitpunkt einen bestimmten Raum strukturieren. Es handelt sich also um eine Menge von Aussagen, die einem spezifischen System zugeordnet werden können (z.B. Klinik, Psychiatrie, Ökonomie). Grob meint Foucault damit das in der Sprache aufscheinende Verständnis von Wirklichkeit. Die Regeln innerhalb eines Diskurses legen fest, was in einem Kontext gesagt werden kann oder soll. Die diskursive Praxis beinhaltet dabei zudem auch die nichtsprachlichen Aspekte (vgl. FU Berlin 2016, Glossar).

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Bezug auf Rassismus unter Kindern abschließend beantwortet werden. Der sozialpädagogische Bezug wird im letzten Punkt hergestellt. Der Verkettung von kindlicher Wahrnehmung, rassistischem Handeln und erziehungs- und bildungswissenschaftlichen Interventionen, in Anbetracht allgemein zugänglicher, kindheitsrelevanter Materialien soll hier bearbeitet werden, um finale Rückschlüsse von kritisch zu betrachtenden, normierten Gesellschaftsstrukturen auf kindliches Denken und Handeln ziehen zu können.

2. Rassismus und Differenz 2.1 Definition/ Abgrenzung

Differenz wird in der Erziehungswissenschaft nach zwei verschiedenen Ansätzen untersucht. Zum einen wird Differenz als Merkmal von Wissen, unterschiedlichen Lebensmodellen, Vielfalt und Pluralisierung von Lebenslagen verstanden, zum anderen, und diese Perspektive eröffnet zugleich das Themenfeld der sozialen Ungleichheit, gibt es einen weiterführenden Strang, der darunter die Punkte race, class und gender subsummiert (vgl. Machold 2013, S. 22). Aspekte wie Ethnizität, Kultur, Behinderung oder Geschlecht rückten in den 60er/70er Jahren in den Vordergrund der Differenz Debatte. In Anbetracht einiger Untersuchungen4 in diesem Feld, sowie es auch die Natur der Sache hervorruft, ist hier ein enges Verhältnis zu sozialen Bewegungen wie zum Beispiel der Frauenbewegung oder der Schwarzenbewegung festzustellen. Somit wurden Macht, Herrschaft und Ungleichheit mit in das Nachdenken über Differenz einbezogen, wodurch der Faktor der Egalität in diesem Zusammenhang ausgeschlossen ist. Differenzlinien entstehen daran anknüpfend immer entlang von zwei hierarchischen Grundelementen.5 Es geht dabei um den Unterschied zwischen zwei Parteien, wobei sich dieser Unterschied auf eine ungleiche Verteilung von (im-) materiellen Ressourcen in der Gesellschaft bezieht und stets von Machtverhältnissen beeinflusst wird (vgl. Machold 2013, S.22). Kessl und Plößer (2010) vergleichen Differenz zudem mit Andersheit, Abweichendem Verhalten, Desintegration oder Armut, führen diesbezüglich den Normalitätsbegriff ein und sprechen weiter von einer

„Differenz als Ungleichheit“ (S.7). Erfahrungen von Gewalt, Ausgrenzung oder Abwertung zählen anhand der beiden Autoren ebenfalls zu Erscheinungsmerkmalen von Differenzverhältnissen (vgl. ebd., S.8).

4 Bspw.: Gender Studies, Cultural Studies, Disability Studies, Diversity Studies

5 Bspw.: Hautfarbe: weiß-schwarz, Ethnizität: dominante Gruppe-ethnische Minderheit

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Anfänglich kam im Text bereits der Ausdruck race als Kategorie der Differenzherstellung vor. Demzufolge kann Differenz als Charakteristikum verschiedener gesellschaftlicher Erscheinungen genannt werden; Rassismus oder die Rassenforschung im Allgemeinen sind dadurch als Erscheinungsformen von Differenzpraktiken aufzufassen. Rassismus im Speziellen deutet Iman Attia während einer Podiumsdiskussion, ihres Zeichens Erziehungswissenschaftlerin an der Alice Salomon Hochschule Berlin, als tatsächliche oder vermeintliche Unterschiede, die in ihrer Konstruktion gesehen zum Wesen einer bestimmten Gruppe gemacht werden.

Der Konstruktionsprozess hat gemäß Frau Attia an dieser Stelle das Ziel Machtverhältnisse zu legitimieren. Ohne Macht-, Ungleichheits- und Herrschaftsverhältnisse findet demnach kein Rassismus statt, wobei diese stets auf die Konstruktion von Menschengruppen abzielen. Häufig bestehen diese Unterscheidungen in Bezug auf biologische oder kulturelle Kennzeichen von Individuen, wobei soziale Kriterien dabei auch meist von Bedeutung sind, allerdings dies eher dem Klassizismus zuzuordnen ist. Gemein ist den angesprochenen Aspekten immer die Diskriminierung in verschiedenen Formen, entlang bestimmter Merkmale. An diesem Punkt ist erneut darauf hinzuweisen, dass die vorgenommene Konstruktion des Anderen, auch im Falle einer tatsächlichen Unterscheidung als Wesensmerkmal dieser Gruppe fungiert. Maureen Maisha Eggers knüpft im selben Kontext daran an und benennt Rassismus als Ordnungssystem, reguliert durch Kräfteverhältnisse, welches versucht eine gewisse Stabilisierung von Ressourcenzugängen zu erreichen und diesen Zugang als legitim anzusehen (vgl. Attia et al. 2010a, Min. 5-10). Die von den Wissenschaftlern erwähnten Schlagwörter Macht und Konstruktion, letzteres meint die Projektion von gemachten Bildern/Vorstellungen auf Menschen oder Menschengruppen, womit diese durch eine von außen hergestellte Darstellung markiert sind6, gelten im Bewusstsein von Rassismus und Differenz als essentiell und sind dementsprechend ausschlaggebend im Diskurs der gesamten, vorliegenden Arbeit. Fortan in der Debatte was Rassismus ausmacht, erklärt Paul Mecheril in seinem Werk Migrationspädagogik das Phänomen als gesellschaftlich produzierte und vermittelte Handlungsbereitschaft in der Herrschaftsverhältnisse zum Ausdruck kommen. Er sieht rassistische Praktiken ganzheitlich, wie auch Eggers, in Form eines

6 Noah Sow veranschaulicht in ihrem Buch Deutschland Schwarz Weiß ein Beispiel von Konstruktion: Sie listet allgemeingültige Wörter mit „schwarz“ und Assoziationen zu diesem Begriff auf und vergleicht dies mit dem Wort „weiß“. Heraus kommt eine stark einseitige und negative Aneinanderreihung schwarzer Bezeichnungen (schwarzes Schaf, Schwarzmarkt, schwarze Magie, finster, dunkel, böse etc.), während bei Weiß ausschließlich positive

Assoziationen entstehen (weiße Weste, hell, Sauberkeit, etc.). Dadurch entsteht ein gemachtes, gesellschaftlich verfestigtes Bild (Konstruktion) von einer Menschengruppe („Schwarze“) (vgl.

Sow 2009, S. 107/108).

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gesellschaftlich-strukturellen Systems und nicht als konstituierendes Element der oder des Einzelnen. Die bestimmenden Elemente rassistischen Tuns liegen in diesem Szenario keinem „rassistischen Charakter“, so Mecheril (2010) zugrunde, vielmehr (re- )generiert sich Rassismus auf allen Ebenen der gesellschaftlichen Wirklichkeit und kann als eine Art strukturelle Logik angesehen werden. Dabei durchdringt Rassismus die Ebenen der Diskurse, Strukturen, Institutionen, Interaktionen und Subjektivierungsprozesse innerhalb des soziologischen Ordnungssystems und steht jedem Subjekt als Deutungs-, und Handlungsoption zur Verfügung.7 Die Option rassistisch zu unterscheiden wird durch die Vielzahl der Funktionen von Rassismus8, sowie durch die Ausdifferenziertheit der gesellschaftlichen Rahmenbedingungen9 definiert (vgl. S.6).

Die in der Einleitung aufgeworfene Frage ab welchem Zeitpunkt eine Unterscheidungshandlung als rassistisch klassifiziert werden kann beansprucht eine komplex geführte Auseinandersetzung, die hier jedoch kurz gehalten werden soll. Hat der Mensch das Recht eine Aversion oder Anti-Haltung gegen etwas ihm offenkundig fremdes zu haben? Jedes Individuum kommt typischerweise immer wieder in Kontakt mit etwas ihm unbekannten oder fremden. Die bloße Unterscheidung, dass jemand rote Haare hat und die Person, die diese Unterscheidung trifft eine Abneigung gegen rote Haare verspürt, soll nicht als Rassismus ausgelegt werden, da es sich hierbei nicht um angestrebte legitimierte Machtpositionen handelt, sondern um die schlichte Benennung von Unterschieden, so der Soziologe Michal Bodemann (vgl. Attia et al.

2010b, Min. 7f). Verglichen zur obigen Definition wäre dies allerdings spätestens ab dem Aussprechen jener Abneigung als diskriminierender Akt zu erklären.

Diesbezüglich stellt sich vielmehr die Frage nach dem Empfinden des vermeintlichen Opfers in der Situation. Eggers nimmt in dieser Grundsatzdebatte im Wesentlichen eine metaperspektivische Haltung ein, da sie den Fokus weg vom individuellen Handeln lenkt und Fremdheit als etwas Gemachtes ansieht. Ihrer Ansicht nach ist Fremdheit ursprünglich gleichzusetzen mit etwas Vertrautem, sodass es als Reflex aufgefasst werden kann, jemanden oder etwas als fremd einzustufen. Inwieweit Menschen mit anderen Menschen hingegen Beziehungen eingehen oder sympathisieren ist losgelöst von der vorigen Erläuterung (vgl. ebd., Min. 8f). An diesem Punkt ist erkennbar, dass schon die bewertende Unterscheidung als unrechtmäßig zu

7 Sobald im Verlauf des Textes von Rassismus gesprochen wird, bezieht sich dieser somit auch auf kindliches Denken und Handeln, da Differenz alle Individuen betrifft.

8 (politisch: z. B. Sicherung von Herrschaft; sozial: z. B. Schaffung von Sündenböcken; individu- ell: z. B. Aufwertung der eigenen Person)

9(strukturell/institutionell: z. B. Gesetzgebung, Benachteiligung bei Wohnungs- und Arbeitssu- che; kulturell: z. B. medial vermittelte Bilder und Stereotype; individuell: z. B. rassistische Sozia- lisation)

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erklären ist und Differenz hier bereits beginnt. Rassismus funktioniert demzufolge auch ohne die Behauptung von Höher-und Minderwertigkeit, sondern bezieht sich auf die bloße Unterscheidung von Menschen, sowie auf das Zugehörigkeitsgefühl zu einer bestimmten biologischen und/oder kulturellen, festgeschriebenen Gruppe. Es geht daher nicht erst um eine negative Reaktion oder Bewertung, stattdessen ist das Statement des Unterschieds von Belangen (vgl. Sow 2009, S. 78).

Die Facetten rassistischen Denkens und Handelns sind vielschichtig und mit der gesellschaftlichen Ordnungsstruktur verbunden. Solch fest verankerte, latente Konstitutionen des Alltagsrassismus lassen sich als subtile, individuell praktizierte und schwer erkennbare Formen von differentiellem Denken deuten. Stellvertretend hierfür sind Forschungen, die das Selbstverständnis von Rassismen analysieren. Weiße beschreiben zum Beispiel farbige Menschen als Menschen mit Rasse, nehmen somit eine Kategorisierung vor, thematisieren dies allerdings nicht für sich selbst (vgl.

Mecheril 2010, S.8f). Auch Noah Sow ist über die vorherrschende Meinung über den Rassebegriff verärgert. Für Sow dreht es sich hier um einen Forschungsirrtum, der mithilfe ideologischer Thesen der Weißen fest in der deutschen Bevölkerung verwurzelt ist.10 Die Annahme, einer Gruppe von Menschen liegt etwas besonders im Blut, ist ebenfalls durch Weiße entstanden und dient der Konstruktion von Anderen, die als Projektionsfläche für alles Böse, Unheimliche oder auch Begehrte genutzt werden11 (vgl. Sow 2009, S.72f).

„,Weiß‘ weist hierbei nicht auf eine (Haut-)Farbe hin, sondern bezeichnet vielmehr die gesellschaftliche Position derer, die in einem ethnisch und rassistisch

strukturierten Raum symbolisch und faktisch privilegierte Positionen einnehmen. (Mecheril 2010, S.9)

Um hier einen kurzen Überblick geben zu können, ist mit dem Wort Differenz in diesem Werk folglich eben auch eine rassistische Grundidee gemeint. Rassismus ist demnach eine Form von Differenz, wohingegen Differenz auch in anderen Erscheinungsformen (bspw. Gender) zum Ausdruck kommen kann. Entscheidend für die Auslegung von

10 Toni Morrison (1992) beschreibt in ihrem Werk Playing in the dark die weiße, hegemoniale Struktur als „Fishbowl“ (S. 17), da in ihr die weiße Norm als allgegenwärtige, unmarkierte Sinnhaftigkeit fungiert. Unmarkiert meint die als normal angesehene, nicht vorurteilsbehaftete oder stilisierte Struktur weißer Denkweisen, von der aus alle übrigen Auffassungen als

abweichend markiert werden. Morrison versucht somit einen Perspektivwechsel vom Dienenden zu den Bedienten zu schaffen (ebd., S. 125).

11 Der Dokumentarfilm Fuck white tears veranschaulicht die Konsequenzen dieser Konstruktion auch für weiße Menschen. Bereits am Anfang der Durchführung des Films wird Annelie Boros, die ursprünglich einen Beitrag zur Ungleichheit der Bildungszugänge in Südafrika leisten wollte, schnell selbst zum Ziel wütender Anfeindungen, weil sie weiß ist (vgl. Boros 2016).

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Rassismus und Differenz ist das Verständnis von der Verwobenheit der verschiedenen Unterscheidungslinien, die Überschneidung unterschiedlicher Diskriminierungsformen wie Rassismus, Sexismus oder Klassismus, die sich in einer Person addieren, sowie die mehrdimensionale12 Ordnungsstruktur, die von gegenseitigen Abhängigkeiten bestimmt wird. Diese Faktoren lassen sich im Ansatz der Intersektionalität wiederfinden.13

2.1.1 Rassismus und Normalität

Wie im vorigen Teil angedeutet, ist Rassismus fester Bestandteil der heutigen Gesellschaft und kann insofern als normal gesehen werden. Paradoxerweise steht diesem Standpunkt eine in Deutschland mehrheitlich geteilte Grundhaltung gegenüber, die Rassismus ablehnt. Ob nun die Ablehnung oder die rassistische Grundstruktur als Normalität ausgelegt werden können ist fraglich. Deutschland gilt als hochgradig normalisierte Gesellschaft, in der alle gesellschaftlichen Sektoren erfasst werden. Die Grenzziehung, was normal ist und was nicht, unterliegt dabei einer dynamischen Entwicklung. Massenmedien und Politik generieren und repräsentieren angesichts des Normalitätsbegriffs eine latente Angst vor einer Denormalisierung. Aufgrund der Bedeutsamkeit des Terminus` für die Wissenschaft, muss er an dieser Stelle auch getrennt von dem Begriff der Alltäglichkeit betrachtet werden (vgl. Eggers 2010, S.27ff).

Birgit Stammberger (2011) beschreibt Normalität in ihrer Dissertation als eine regelgeleitete, gesellschaftliche Wissensformation, die über Normalisierungspraktiken stabilisiert wird. Sie benennt Normalität als eines der großen Machtinstrumente, die durch die jeweiligen soziokulturellen Vorstellungen der historisch entwickelten Abweichungen resultieren. Das daraus entstandene System der Differenzierung, Hierarchisierung und Regulierung, führt gemäß Foucault zu neuen Grenzziehungen,

12 Hierzu gibt es eine. Veranschaulichung der intersektionalen Mehrebenenanalyse von Degele und Winker 2009, S.97 (S.1 Anhang, Tabelle)

13 Der Intersektionalitätsansatz schafft eine Sichtweise auf den zu untersuchenden Forschungsgegenstand und seiner kontextuellen Umgebung. Er soll hiermit kurz erläutert werden, da er thematisch grundlegend für die Analyse rassistisch orientierter Praktiken im gesellschaftlichen Ordnungssystem ist. Intersektionalität nimmt die Mehrdimensionalität von gesellschaftlich relevanten, interdependenten Macht- und Ungleichheitsverhältnissen (hier Rassismus) und ihre Relevanz und Wirksamkeit auf verschiedenen sozialen Ebenen, in den Blick. Diese Arbeit zeigt differenzrelevante Interaktionen und Interdependenzen auf und erforscht Rassismus unter Einbezug gesellschaftlicher, sozialer, situativer und teils institutioneller Voraussetzungen im rassistischen Bedeutungszusammenhang. Diese

intersektionale Analyseperspektive ermöglicht eine offene Rekonstruktion von Grenzziehungen, Kategorisierungen und Differenzkonstruktionen in ihrem Zusammenwirken, sowie eine

Strukturierung der von Ungleichheit geprägten Aspekte. Die Herausarbeitung dieses

vorliegenden Textes beruht auf der intersektional gedachten Annahme, dass Individuen nicht autonom handeln, sondern durch verschiedene internalisierte Denk- und Handlungsstrukturen und Diskurse konstituiert sind (vgl. Riegel 2016, S. 137ff).

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durch die die Zugehörigkeit eines Individuums zu einer Ordnungsstruktur mittels einer gemeingültigen Vorentscheidung über Normalität sichtbar gemacht wird und somit Menschen „im Hinblick auf diese Gesamtregel differenziert“ (Stammberger 2011, S.

155).

Die Stilisierung von Denen, als nicht dem Kern der Gesellschaft zugehörig, produziert eine kollektive Symbolik von allgemeingültigen Deutungsmustern. Man muss beispielsweise kein ausweitendes Wissen über die Krankheit Krebs haben, um zu verstehen, was mit der Aussage Terror ist der Krebs der Gesellschaft gemeint ist (vgl.

Jäger 2010, S. 31). Parallel zu den in den Medien propagierten Veröffentlichungen14, hat sich unter anderem in fünf Interview Staffeln des Duisburger Instituts für Sprach- und Soziallforschung ergeben, dass stereotypisierte, negativ bewertete Personen oder Personengruppen im Alltag zur Normalität in Deutschland gehören. Den Grundstein dafür legen die Auffassungen, dass Einwanderer als Fremde angesehen werden, nicht zu kontrollieren sind, die eigene Bevölkerungsgruppe verdrängen und vermeintlich kriminell15 sind (vgl. Jäger 2010, S. 31-35). Besonders problematisch ist dabei die Zunahme negativer Auswirkungen und Effekte innerhalb sozialer Strukturen. Angriffe auf Flüchtlingsheime16 finden aufgrund ihrer hohen Frequenz in den Jahren 2015/2016 kaum noch mediale Präsenz und die rechtspopulistische Partei AfD bekommt sowohl in Internetforen, sozialen Netzwerken oder Fernsehberichterstattung, als auch in Bundespolitischer Sicht hohe Aufmerksamkeit. 17 Hinsichtlich gesellschaftlicher Denkprozesse führt eine zunehmende Normalisierung rassistischer Bilder im öffentlichen Diskurs im selben Moment zu einer Relativierung der Vorstellung der Problematik des Einzelnen und zu einer höheren Toleranzschwelle solch negativ behafteter Bilder. Eggers (2010) erklärt, dass Diversität18 zunehmend als normal angesehen wird und es zeitgleich zu einer problematisch zu betrachtenden

„Entpolitisierung“ (S.60) von Ungleichheitsverhältnissen kommt. Es existiert

14 Das Schlagwort des Flüchtlingsstroms ist bspw. negativ bewertet und findet weiten Anklang in den Großen Medien (vgl. Broden 2010, S.33)

15 In der Arte Dokumentation Drogen: Amerikas längster Krieg, wird die Kriminalisierung von Ausländern aufgezeigt. Da diese nicht gewollt wurden, wurden sie aufgrund ihres Cannabis Konsums als kriminell eingestuft. Dies geschah bei vielen Minderheiten, sodass das generell verbreitete Bild von kriminellen Einwanderern bestätigt wird (vgl. Arte 2009, Min.52ff)

16 Im Jahr 2015 gab es fünf Mal mehr Anschläge auf Flüchtlingsunterkünfte, als im Jahr zuvor (1027 gezählte Angriffe). Aufgeklärt werden diese rechtsmotivierten Straftaten nur in jedem vierten Fall (vgl. Von Osten 2016).

17 Ein Jahr nach seiner Gründung bei den Europawahlen Ende Mai 2014 gelang der AfD mit 7,1 Prozent der Stimmen ein eindrucksvoller Erfolg. Noch weitaus bessere Ergebnisse erzielte die AfD bei den im Spätsommer folgenden Landtagswahlen in Sachsen, Brandenburg und Thüringen. Darauf folgten weitere Erfolge bis ins Jahr 2016, sowie zahlreiche

Massendemonstration im Jahr 2015 der Formation PEGIDA (vgl. bpb 2015).

18 Hier bezogen auf eine Pluralisierung von Lebensformen und gesellschaftlichen Ungleichheitsstrukturen (vgl. Eggers 2010, S. 59)

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demzufolge ein vorherrschendes, jedoch nicht offenkundiges Differenzdenken, welches einer Tabuisierung und Skandalisierung von Rassismus in der Gesellschaft gegenüber steht (Messerschmidt 2010, S. 42f).

2.2 Stereotype, Diskriminierung und Soziale Kategorisierung

Fremdenfeindlichkeit zeigt sich in Deutschland aufgrund der nationalsozialistischen Vergangenheit als besonders brisant und wird unterteilt in gewaltförmige gruppenfeindliche Erscheinungsformen, sowie rassistische, nationalistische, antisemitische und ethnozentrische Äußerungen und Orientierungsmuster (vgl. Münch und Glaser 2011, S.52). Dieses Gedankengut entspringt aus der Unterscheidung von Menschen aufgrund ihrer Abstammung, Nationalität, Ethnizität 19 und kulturell- territorialen Zugehörigkeit. Wie schon gesagt werden im Rassismus Menschen eindeutige Plätze und Positionen zugewiesen. Die dabei vorgenommene Bewertung ist stets negativ im Sinne einer Minderwertigkeit oder Nicht-Zugehörigkeit, währenddessen die eigene „Mentalität“ (Mecheril und Melter 2010, S.156) als fraglos zugehörig verstanden wird. Auf Rassismuserfahrungen, die auf strukturell- institutioneller oder auch medialer Ebene stattfinden, soll nicht weiter eingegangen werden (vgl. ebd., S.7f).

Die erwähnte Vereinheitlichung innerhalb der Majorität hat ganzheitlich betrachtet einen sozialen Kategorisierungsvorgang zur Folge, indem zwischen wir und die Anderen (Beelmann und Jonas 2009, S.42) differenziert wird. Die zusätzliche Bewertung anderer Gruppen (bspw. Europäer sind gebildeter als Amerikaner) führt zu einer festen Verankerung und Verortung in der eigenen Gruppe, wodurch dahingehend tendiert wird, die eigene Gruppe zu bevorzugen und besser zu behandeln. Die Bevorzugung der Eigengruppe ist demnach unmittelbar verbunden mit dem herabwürdigen der Fremdgruppe. Eine Steigerung der Ressourcen, höhere Anerkennung oder materieller Zugewinn gehen in der Regel einher mit einem Verlust für die Fremdgruppe. So hängen auch Vaterlandsliebe und Nationalstolz tendenziell zusammen mit einer Schlechterstellung derjenigen, die nicht der Eigengruppe angehören. Zwischen der Vertrautheit und der Zusammengehörigkeit der Eigengruppe und der negativen Bewertung der anderen Gruppe muss jedoch nicht zwangsläufig eine Verknüpfung herrschen (vgl. Beelmann und Jonas 2009, S 41f).

19 Ethnizität ist nicht wie Nationalität an Staaten gebunden, sondern bezeichnet die individuell empfundene Zugehörigkeit zu einer Volksgruppe, deren gemeinsame Merkmale unter anderem.

gemeinsame Traditionen sein können (vgl. bpb 2016, Ethnizität)

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Als Basis von Diskriminierung und Ausgrenzung liegen in aller Regel zunächst einmal Vorstellungsbilder über eine öffentliche Meinung vor. Aus sozialkognitiver Sicht korrelieren Stereotype und Vorurteile vor allem mit der Fähigkeit Menschen und Dinge aus der Umwelt in überschaubare Kategorien einzuteilen. Gruppierungen werden dabei auf der Basis wahrgenommener Gemeinsamkeiten oder Unterschiede (Alter, Geschlecht, Beruf, Klasse, Kultur, Gesundheit, Sexualität, Staatsbürgerschaft und Behinderung 20 ) hergestellt. Mit diesem Vorgang geht die Hervorhebung und Vernachlässigung verschiedener Merkmale, sowie die Ergänzung neuer Informationen und Bedeutungszuschreibungen einher. Ein alter Mann an der Kasse des Supermarktes wird demzufolge vornehmlich, aufgrund des vorerst wichtigsten Merkmals (Alter) als Rentner eingestuft, sodass sein Kleidungsstil zum Beispiel außen vor bleibt. Weiterhin wird dieser Mann stilisiert als wohlmöglich nicht berufstätig und langsam denkend, wodurch der Beobachter Rückschlüsse zieht auf das Verhalten an der Kasse (er braucht lange zum Bezahlen). Solche auf Erfahrungen zugespitzte Stigmata verursachen voreingenommene Assoziationen auf eine soziale Gruppe mit typischen Eigenschaften (Stereotyp), auf die eine meist negative Bewertung folgt (Vorurteil). Diese beiden Abläufe müssen jedoch nicht aneinander gekoppelt sein (vgl.

Beelmann und Jonas 2009, S 70f).

Ebenso relevant, angesichts des kindlichen Blickwinkels, ist die Entstehung dieser Gedächtnisrepräsentationen, da niemand mit Stereotypen oder Vorurteilen im Kopf geboren wird. So wird also das Gerüst für soziale Kategorisierungen im frühkindlichen Alter gebaut. Direkt oder indirekt vermittelte Einstellungen von Eltern oder Bekannten, wie auch die Darstellung sozialer Gruppen in den Medien spielen hierbei eine wichtige Rolle. Aber auch interpersonale Erfahrungen von Einzelnen können objektive Vorstellungen über andere erzeugen. Obwohl besonders direkt produzierte Bilder aus wahrheitsgemäßen, verfügbaren Informationen stammen, ist es nicht selten, dass hier Verzerrungen in der Deutung passieren. Ein häufig gemachter Fehler ist die sogenannte Korrespondenzverzerrung, in der aus beobachtbarem Verhalten auf nicht sichtbare, stabile Eigenschaften einer Persönlichkeit geschlossen wird. Spannend ist hier erneut die enge Verzahnung mit der fremden und der eigenen Gruppe. Positive Verhaltensweisen von Mitgliedern der eigenen Gruppe, sowie negative Verhaltensweisen von fremden Gruppen werden meist als stabile und interne Charakteristiken des/der Akteurs/Akteurin gedeutet. 21 Verläuft das Szenario

20 Vgl. Heite 2010, S.194

21 Eggers spricht hierzu von Markierungen (People of Colour werden bspw. als

Einkommensschwach markiert) (vgl. Attia et al. 2010a, Min.7), die an Menschen gemacht werden; Ulrich Gerke (1975) bezeichnet den Vorgang, in dem Personen oder Gruppen bestimmte Wesensmerkmale zugeschrieben werden als Typisierung (vgl. S. 55); eine weitere

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Andersherum werden die Abläufe des/der Handelnden eher auf außerhalb liegende, vorübergehende Einflüsse zurückgeführt. Diese, unabhängig von tatsächlichen Informationen vorgenommenen Zuschreibungen, verstärken in vielen Fällen Vorurteile und Stereotype (vgl. Beelmann und Jonas 2009, S 72f).

Vor dem Hintergrund der Stereotypisierung und seiner Entstehung, der angeführten Begriffsklärungen, des Alltagsrassismus und der mehrfach getätigten Verortung von Rassismus als allgemeingültiges Ordnungssystem soll hiermit von einem rassistisch strukturierten gesellschaftlichen Kontext, der sich immer wieder selbst reproduziert22, ausgegangen werden (vgl. Attia et al. 2010c, Min. 5). Dies bewirkt einen Perspektivwechsel weg von der individualistischen Sichtweise, hin zu der Ansicht des unbewussten, subversiven Rassismus, der die Ebene der Fairness, Vertrautheit und Normalität unterwandert und dem vorerst alle Menschen unterworfen sind. Durch die Vergesellschaftung von hierarchisierten Interaktionspraxen und propagierten, festgelegten Differenzkonstruktionen ist Rassismus als eine etablierte Alltagspraxis anzusehen, was zu differentiellen Denkstrukturen aller Menschen führt.23 Somit können auch Kinder rassistische Handlungen vollziehen, ohne die Zusammenhänge und Konsequenzen rassistischen Handelns und Denkens zu kennen. Dieses Dilemma resultiert gemäß Maureen Maisha Eggers (2005, S.56/57) aus vier Ebenen, die Machtdifferenz als gesellschaftliches Phänomen analysieren24.Im Kern geht es ihr dabei um Machtbotschaften, die auf diskursivem Weg verbreitet, und anschließend

Theorie dazu ist der Etikettierungsansatz (Labeling approach). Dieses Erklärungsmodell für Differenzierungspraktiken legt ein Bewusstsein über abweichendes Verhalten voraus, welches nicht nur norm-, sondern auch situationsabhängig ist (vgl. Kleckeisen 1974, S.36). Bezogen auf Kriminalität als Wesensmerkmal, werden Menschen hier nicht von ihrer Persönlichkeit und ihrem Umfeld aus als kriminell beurteilt, demgegenüber stehen strafverfolgende Staatsorgane, die festlegen, was als kriminell einzustufen ist, und was nicht. Dadurch erscheint die Ursache einer kriminellen/abweichenden Handlung als Nebensächlich. Von Belangen hingegen ist, welche sozialen, politischen und gesellschaftlichen Aushandlungsprozesse dazu geführt haben, dass gewissen Handlungen als kriminell gedeutet werden. Die Ursachen unabhängige

Denkweise macht es einfach bestimmten Personen oder Personengruppen bestimmte

Merkmale zuzuschreiben (vgl. Lamp 2010, S. 205). Der Etikettierungseffekt hat weitreichende Folgen auf das Selbst- und Fremdbild des betroffenen (vgl. bpb 2012).

22 Bspw. das stetige Wiederholen oder Abnicken von Konstruktionen (über Witze lachen , auf Bezeichnungen reagieren)

23 Erol Yildiz beschreibt passend hierzu ein auf Grundschulen bezogenes, anderweitiges Phänomen; dass des sogenannten Sprachrassismus. Der Kern dieser Art der Ausgrenzung besteht in der mittlerweile normalisierten Ansichtsweise, dass die Muttersprachen von Schülern mit Migrationshintergrund desintegrierend wirken. Das Leistungsniveau wird in erster Linie an den Deutschkenntnissen gemessen, obgleich die Kinder eine weitere Sprache fließend beherrschen. Die aufgezeigte Doppelmoral zeigt sich auf negativer Seite in der Abwertung von Mehrsprachigkeit bei Migrantenkindern (vgl. Yildiz 2010, S.68).

24 Eggers belegt vier konstitutive Ebenen rassifizierter Machtdifferenz mit der Beziehung einer hegemonialen weißen Gruppe zu einer anderen Gruppe, der Eigenschaften zugeschrieben werden. Dies hat Markierungs-, Naturalisierungs- und hierarchische Positionierungspraxen zur Folge und führt schließlich zu einer natürlich erscheinenden Ordnung, die eine Ausgrenzung zur logischen Realität werden lässt (vgl. Eggers 2005, S.57)

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interaktionistisch im gesellschaftlichen Handlungsgefüge ausgehandelt werden. Mittels ihrer Alltäglichkeit tragen sie zu einer „Normalisierung der vermeintlichen Natürlichkeit hierarchischer Positionierungen und Ordnungen bei“ (ebd., S.56).

In Anlehnung an die einleitende Fragestellung ist hier die Entscheidung getroffen worden, dass auch Kinder als aktiver Teil des gesellschaftlichen Lebens, durch ihr geteiltes Wissen über die normative Auffassung machtstruktureller Gegebenheiten, rassistisch zu denken und zu handeln fähig sind.

3. Kindheit und Differenz

Kinder stehen im stetigen Austausch mit ihrer Umwelt und sind unzähligen Anforderungen hinsichtlich ihrer individuellen Entwicklung und Sozialisation ausgesetzt. Die Persönlichkeitsstruktur eines Kindes ist in erster Linie geprägt durch Erfahrungen mit Familie, Freunden und den Institutionen Schule und Kindergarten. An diesen Stellen machen die Kinder die ersten elementaren Erfahrungen mit anderen Menschen. Als Zwangsmitglied in sozialen Gruppen (Schulklassen) lernen Kinder schnell sich innerhalb einer sozialen Gemeinschaft zu bewegen und Regeln und Ordnungen des Zusammenlebens wahrzunehmen. Hier entstehen Gruppendynamische Prozesse, wo Kinder ausgegrenzt, und sich hierarchische Ordnungen entwickeln können. Diese Lebenszeit kann aus interaktionistischer Sicht im Sinne eines „sozialen Trainingslagers“ (Andresen 2010, S. 108) betrachtet werden, indem eine intensive und nachhaltige Auseinandersetzung mit seinem Gegenüber erfolgt (vgl. Andresen 2010, S.79/107f). In Anlehnung an diese Einführung soll im ersten Punkt dieses Kapitels ein Forschungsfeld zum Thema vorgestellt werden.

3.1 Critical Childhood Studies

Critical Childhood Studies steht für einen Zusammenschluss vieler Forschungen und Analysen über die Etablierung einer interdisziplinären Kindheitsforschung. Sie gehen kritisch mit den vorhandenen entwicklungspsychologischen Studien über Kinder um und beziehen sich auf differenzrelevante Handlungen des werdenden Subjekts, sowie auf das als konservativ betitelte Bildungssystem (vgl. Machold 2013, S. 25f).

Das Kind, hier als Subjekt gesehen, wird ebenfalls als Mensch innerhalb hegemonialer, machtvoller Strukturen seiner selbst interpretiert. In Hinsicht auf pädagogische Diskurse und kindliche Praktiken wird von den Autor_innen herausgearbeitet, dass Kinder schon früh Differenz lernen und anwenden. Sie haben dabei eine aktive Rolle als Akteur, aber auch eine kritische Rolle in der Beschaffenheit sozialer Ungleichheiten

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inne. Claudia Machold25 (ebd., S.27ff) beschreibt Kinder dabei nicht als autonom Handelnde, sondern vielmehr als diskursiv verstrickte Wesen, die bei ihrem Werdegang vom Individuum zum Subjekt an ihrer Selbst-Konstitution, wie auch an der Konstitution anderer beteiligt sind. Davis und MacNaughton veröffentlichen weiteres Material zum Verständnis von Kindern zum Thema „race“ (ebd., S.29). Die Fähigkeit und das Verlangen von Kindern andere Menschen zu vergleichen oder klassifizieren, resultiert aus ihrer Sicht aus der Politisierung von Hautfarben in spezifischen Gegebenheiten.26 Die beiden Forscher gehen, wie auch die vorigen, davon aus, dass die Identität eines Kindes in und durch gesellschaftliche Diskurse erzeugt wird. Der Prozess des Subjektwerdens verläuft zunehmend unter Spannungen, wenn das Kind Zugang zu verschiedenen Diskursen (Rasse, Geschlecht, Klasse) erlangt, diese für sich selbst aushandelt und dabei klärt, welche Form des Werdens möglich und wünschenswert ist. Eine ähnliche Forschung, die die Überlegenheit weißer, männlicher Kinder untersucht, belegt eine Dominanz spezifischer Kinder, die sich herausnehmen solch eine Positionierung einzunehmen. Ein Kind spielt mit seinen Freunden in ihrem selbst gebauten Haus, währenddessen ein weiteres Kind sie dabei beobachtet. Zurg, der in den Fokus der Analyse genommene Protagonist reagiert sofort auf den Neuankömmling, indem er den anderen vermittelt das Haus zu bewachen und ihn nicht herein zu lassen. Dieses Verhalten zeigt eine kraftvolle und dominante Positionierung dieses Jungen, wodurch er manche Haltungen der Wesensmerkmale weiß und männlich verkörpert hat: Den selbstverständlichen Anspruch zu haben das eigene Territorium zu bewachen und zu verteidigen. Somit beansprucht Zurg sein Landstück als vorrangig geltend und vermittelt damit eine hierarchische Ordnung. Diese kommt in der beobachteten Szene auch durch die Ausgrenzung eines sich nicht ebenbürtig machtvoll inszenierenden Jungen, eines Mädchens und eines weiteren Jungen mit vermeintlich anderer Rasse zum Vorschein. Dieses Beispiel (Verteidigen des Territoriums) bringen die Wissenschaftler unter anderem mit der Geschichte und Gegenwart Australiens, wo dieses Projekt durchgeführt wurde, in Verbindung (vgl.

Machold 2013, S. 30/31).

Mit Hilfe dieser kurzen Illustration sollte einmal mehr deutlich gemacht werden, dass gesellschaftlich (re-) produzierte Ungleichheits-, Herrschafts- und Machtverhältnisse in der Kindheit durchaus eine Rolle spielen.

25 Das Buch Kindheit und Differenz von Claudia Machold, gilt inhaltlich für den gesamten Text als grundlegend und wird dementsprechend im weiteren Verlauf häufig als Quelle genutzt.

26 In bestimmten Ländern, Regionen oder Staaten zu einer bestimmten Zeit

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3.2 Die Sprache als performative Praxis der Differenzherstellung

Die obige, erste Veranschaulichung der Praxis (Bsp. Zurg) zeigt auf, wie der Akt des Sprechens die soziale Wirklichkeit konstituiert und konstruiert. Machold bezieht sich in ihren Ausführungen über Sprache als handlungsmächtige Praktik auf Judith Butler, einer US- Amerikanischen Professorin für Rhetorik und Komparatistik27, deren Arbeiten, wie auch im Fall von Machold, dem Poststrukturalismus28 zuzuordnen sind.

Ausgangspunkt hierfür ist das Verständnis von Performativität in Sprechakten hinsichtlich der Konstruktion von Unterschieden. Performativ meint wörtlich das Vollziehen einer Handlung29, was in Bezug auf einen Sprechakt bedeutet, dass jemand, der eine differenzrelevante Äußerung von sich gibt, damit auch gleichzeitig eine Tat vollbringt. Die performative Äußerung beinhaltet weitaus mehr, als das schlichte Sagen, also der Textinhalt einer Botschaft. Der Sprechakt kann mit einer Handlung gleichgesetzt werden, in der das Beschriebene im selben Moment hervorgebracht und vollzogen wird. Es wird davon ausgegangen, dass ein Wort also

„etwas tut“ (Butler 2006, S. 73), wodurch die bloße Bezeichnung nicht nur benennenden Charakter hat, sondern parallel auch etwas ausführt.30 Am Beispiel der Geschlechtsidentität weist Butler auf eine, durch wiederholende Praxen des Sprechens, sich selbst bestimmende Form der Identitätsentwicklung hin. Die Geschlechtsidentität wird demnach im Sprechen selbst hervorgebracht und konstituiert sich erst im Anschluss des Tuns. Eine Identität kann in diesem Punkt nicht vor einer Äußerung existieren, was ferner etwas über die Art und Weise der Konstruktion einer persönlichen Einstellung oder Haltung aussagt. Letzteres wird diesbezüglich durch die wiederholende Äußerung ihrer Selbst erst hervorgebracht und bestätigt (vgl. Machold., S.64f).

Hinzu kommt die Verstrickung des Sprechaktes in Rituale und Konventionen. Eine Äußerung gilt daher nicht nur für den Augenblick des Aussprechens, sondern tritt in der Regel in einem Wirkungsfeld wiederholt getätigter Verhaltensnormen auf. Im Sprechakt werden gesellschaftliche Normen zitiert und reproduziert, sodass permanent erneut festgelegt wird, was als Norm gilt. Das Wiederholen von Normen und Verhaltensregeln in der sozialen Praxis führt damit zum weiteren Bestehen einer Norm. Dabei wird letzteres einerseits durch stetige Annäherung versucht zu verkörpern, andererseits unterliegen Normen auch dem Potential der Veränderung, da sie nicht von Individuen

27 Literaturwissenschaft

28 Sozial-und geisteswissenschaftliche Ansicht, dass Sprache die soziale Wirklichkeit nicht nur abbildet, sondern auch herstellt.

29 Englisch: to perform = vollziehen

30 Z.B. „ich gratuliere dir“ (Duden 2016, performativ)

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internalisiert, stattdessen aber (re-)produziert werden. Da jede Sprachhandlung diesem Wiederholungszwang unterliegt, besteht auch die Handlungsmacht des Subjekts in dem von Machold betitelten Moment der Re-Signifizierung. Wie zu Beginn des Abschnitts erwähnt, unterliegt der Sprache also die Macht, die soziale Wirklichkeit herzustellen und in ihr Unterscheidungen zu vollziehen und zu etablieren (vgl. ebd., S.66ff).

3.2.1 Subjektivierung

Diese theoretische Explikation soll helfen zu verstehen, inwiefern Rassismus und der Vorgang, indem aus Individuen Subjekte werden, miteinander verknüpft sind. Mecheril (2010) versteht das Subjekt als Resultat der Summierung von individuell gemachten Erfahrungen in sozialen Strukturen. Die Ordnung des Rassismus ist ein strukturierter und strukturierender Raum, der als Kontext der Subjektivierung aufgefasst werden kann. Innerhalb dieser Ordnung entstehen aus Individuen Subjekte, deren Handlungsfähigkeit und Selbstwahrnehmung an die Ordnung gebunden ist und sie bestätigt, transformiert, aber auch verändern kann (vgl. Mecheril 2010, S.8).

Thomas Alkemeyer31 befasst sich mit dem Subjekt zur Zeit des Nationalsozialismus und bezeichnet dieses als angepasst, unterwürfig und den ideologischen Ansprüchen, Normen und Erwartungen des Regimes entsprechend (vgl. Alkemeyer 2015, Min. 1-3).

Hier wird zwar bereits ein Exempel für Anpassung an eine Ordnung/Institution statuiert, jedoch ist die enge, an diesem Punkt eher einseitige Relation zwischen Ordnung und Individuum ebenfalls deutlich. Auch für Michel Foucault, einen der bedeutendsten Philosophen der Geschichte, ist das Subjekt ein Produkt von Normen und Problematiken der jeweiligen Epoche, die letztendlich den spezifischen Subjekttypus erst herstellt. Er schreibt dem geschichtlichen Kontext dabei eine wichtige Rolle zu und benennt das Subjekt, wie auch Machold (2013) als nicht souverän (vgl. S.68). Vielmehr ist die Subjektivierung geprägt durch eine Aneinanderreihung verschiedener soziokultureller Konstellationen, deren Wandlung keine Entwicklungslogik folgt (vgl.

Paulus 2009, Kap. 2). Hinzu kommt das entscheidende Merkmal der Unterwerfung und Ermächtigung im wechselseitigen Verhältnis. Die Namensgebung, sowie der Spracherwerb sind existenzielle Bedingungen für die Teilhabe am gesellschaftlichen Leben und werden von außen zugeteilt oder beigebracht. Diese Unterwerfung legt vorerst den Grundstein für das Dasein eines werdenden Subjekts, welches sich durch Wiederholung der Sprache weiterentwickeln kann. Zurück zur Praxis lässt sich an

31 Der Sprecher des Graduiertenkollegs „Selbst-Bildungen. Praktiken der Subjektivierung in historischer und interdisziplinärer Perspektive” an der Universität Oldenburg.

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dieser Stelle aufs Neue die Sprache, als einflussreiches Ritual zur Bildung und Reformierung eines Subjekts feststellen. Andere Menschen zu beschreiben, anzureden oder zu benennen, macht diese zu Subjekten, da sie angehalten sind zu reagieren.

Durch die Anrede, die in der Regel einem konventionellen Muster folgt, erhält das Subjekt Anerkennung, wird aber gleichzeitig mithilfe der sprachlichen Instrumente kategorisiert. Sprechakte sind somit Rituale, die „oftmals durch Ausschluss und Gewalt über die sprachlichen Bedingungen einer Überlebensfähigkeit der Subjekte entscheiden“ (Butler 2006, S.16). Um als Subjekt anerkannt zu werden, ist es nun den gesellschaftlichen Normen und Konventionen, wie auch dem Anredenden unterworfen, andersherum schließen diese Normen jedoch auch Individuen oder Verhaltensweisen aus. Die Begrifflichkeiten Subjekt und Individuum unterscheiden sich laut Butler (2001) wie folgt: „Das Subjekt ist die sprachliche Gelegenheit des Individuums, Verständlichkeit zu gewinnen und zu reproduzieren, also die sprachliche Bedingung seiner Existenz und Handlungsfähigkeit“ (S.15). Soziale Einordnungen, wie zum Beispiel die Bezeichnung als Mensch mit Migrationshintergrund32, sind hiermit sowohl Bedingungen der Unterordnung, sowie der Existenz des Bezeichneten selbst, der in diesem Moment durch die Anerkennung der gesellschaftlichen Existenz Ermächtigung erlangt und zum Subjekt wird. Subjektivierung meint demnach die Zuordnung durch Anrede von Individuen in eindeutige Positionen und Merkmalszuschreibungen, wodurch der nicht als autonom betrachtete Adressat durch das Erwidern als konstruiertes Subjekt dargestellt wird (vgl. Machold 2013, S.68ff).

Diese, hier auf die Kindheit bezogenen, komplexen Abläufe, sollen eine Vorstellung davon schaffen, wie Differenzen zwischen Menschen oder Menschengruppen entstehen. Wenn Rassismus, wie in der Einleitung dargelegt, einer gesellschaftlichen Grundordnung zuzuordnen ist und alle Individuen betrifft und sich Subjektivierung an gesellschaftlichen Normen und Konventionen bedient, dann kann hier aus sozialisatorischer und interaktionistischer Sicht eine enge Verzahnung von gelebtem Rassismus und gesellschaftlichen Strukturen festgestellt werden, was ferner zur Normalität von Differenz im Alltag aller Individuen führt.

3.2.2 Re-Signifizierung und Subjektivierung als Grundlage rassistischer Unterscheidungspraxen

Wenn es darum geht, wie Kinder Differenzpraktiken vollziehen, können Subjektivierung

32 Unter Menschen mit Migrationshintergrund werden „alle nach 1949 auf das heutige Gebiet der BRD Zugewanderten, sowie alle in Deutschland geborenen Ausländer und alle in

Deutschland als Deutsche Geborenen mit zumindest einem zugewanderten oder als Ausländer in Deutschland geborenen Elternteil“ (Statistisches Bundesamt 2011, S.6).

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und Re-Signifizierung als wichtigste Faktoren angesehen werden. Ethnizität stellt beispielsweise eine gesellschaftliche Struktur dar, in der Individuen in bestimmte Subjektpositionen verwiesen werden und so erst zum Subjekt werden können. Welche sprachlichen Mittel dabei eingesetzt werden, hängt unter anderem von dem geschichtlichen und gesellschaftlichen Kontext der handelnden Personen ab.

Die soziale Differenzierung ist an Ungleichheits- und Machtverhältnisse gebunden, in denen eine Über- und Unterordnung stattfindet. Die Art der Markierung als zum Beispiel Kind, Migrant_in oder Mädchen ist dabei zweitrangig, da das Schema der Wiederholung und Zitation vorgängiger Diskurse und Normen nicht ein spezifisches, fixiertes Wesen der Kennzeichnung darstellt, sondern auf verschiedene Differenzmerkmale (Hautfarbe, Geschlecht) anwendbar ist. In jenem allgemeingültigen Vorgang des Unterscheidens wird die Norm einer speziellen Ordnungsstruktur festgelegt, woraus die Subjektpositionierung hervorgebracht wird, andere Seinsweisen gelten zeitgleich als ausgeschlossen. Trotz der Gemeinsamkeiten hinsichtlich einer sozialen Ungleichheit, ist ein Blick auf diejenigen Diskurse, Normen und Konventionen zu richten, die die verschiedenen Differenzlinien hervorbringen und erlauben. Das Wissen, aus dem Sie resultieren, die Mechanismen, durch die Sie durchgesetzt und verbreitet werden basieren auf teils unterschiedlichen geschichtlichen Gegebenheiten (vgl. Machold 2013, S.72f).

Im Moment der Anrufung eines Individuums als Kind, werden dadurch Normen wiederholt, die eine allgemeingültige Auffassung eines Kindes innehaben. Die Historie hierzu zeigt, dass Kindheit als generational abgetrennt von Erwachsenen verstanden wird. Kinder werden als „in Entwicklung“ (Machold 2013, S.73) gesehen, sodass eine Vorstellung über kindliche Entwicklung zu einer Norm generalisiert wird, die Vorentscheidungen über Diskurse und soziale Interaktionen kindlicher Denk-und Handlungsweisen beinhaltet. Dieses, in Generationen eingeteilte, soziale Konstrukt erzeugt eine auf Herrschafts-, Ungleichheits- und Machtverhältnissen beruhende Differenz zwischen Kindern und Erwachsenen. Auch hier werden Normen, Konventionen und Diskurse wiederholt, die etablieren, wie Kind- oder Erwachsenensubjekte positioniert werden (ebd., S.74).

Die intersektional gedachte Zusammenstellung von performativen, rassistischen Äuße- rungen zeigt am Beispiel des Kindes als Subjektform, das Ausmaß an Rassismen, de- nen Kinder unterworfen sind. Im Moment der Anrufung als Subjekt mit Migrationshin- tergrund vereinen sich historisch gebildete Erscheinungsformen der Kolonialisierung, des Imperialismus, der Migrationsbewegung und der Nationalstaatenbildung zu einer auf Nation, Kultur und Ethnizität beruhenden Zugehörigkeit. Mecheril (2010) schildert weiter, „dass die sozialen Zugehörigkeitsordnungen, für die Phänomene der Migration

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bedeutsam sind, von diffusen, auf Fantasien basierenden, unbestimmten und mehr- wertigen ‚Wir‘-Einheiten strukturiert werden“ (S.14). Die Positionierung basiert also nicht auf der Wesenshaftigkeit der zum Beispiel als nicht- deutsch beschriebenen Indi- viduen, vielmehr aber auf Glauben, Vorstellungen und Fantasien, über jene nicht- deutschen Identitäten. Es besteht demzufolge selten eine rational verknüpfbare Ursa- che für die genannten Verhaltensmuster. Imaginationen bilden eine Wirkungsmacht für spezifische Unterscheidungen bspw. darüber, wer mehr Rechte hat. Insbesondere Re- Signifizierungsvorgänge etablieren und legitimieren den Zugang zu gesellschaftlichen Ressourcen, sowie eine konventionell verfestigte Norm über Menschen oder Men- schengruppen, die nicht zwangsläufig der Wahrheit entspricht. Natio-ethno-kulturelle Zugehörigkeitsgefühle, wie Mecheril (2010) es beschreibt, zielen nicht unabwendbar auf rassebezogene Differenzen zwischen schwarz und weiß ab, ferner regulieren sie als Teil des gesellschaftlichen Machtsystems die Teilhabe am soziokulturellen Leben eines Individuums. Ursächliche Rassevorstellungen wirken darüber hinaus in Form von kulturellen Vorstellungen fort. Wenn Rassismus als diskursive Größe also Einzug in die Gesellschaft, ihre Bilder, Erzählungen und Institutionen erhalten hat, können kulturelle Praxen als Äußerungen oder Tätigkeiten angesehen werden, in denen rassismusrele- vante Bedeutungen (re-)produziert werden (vgl. Machold 2013, S. 75f).

3.3 Theorie und Praxis: Rassismus im Alltag

Rassismus wird im öffentlichen Diskurs in den meisten Fällen rechtsextremen Gruppierungen zugeordnet, was Anhand der bis hierhin aufgeführten Argumentation kein ausreichendes Erklärungsmuster darstellt. Rassismus in Form einer omnipräsenten gesellschaftlichen Strukturordnung, als alltägliche Diskriminierungsform oder Weltbild vieler Menschen wird gerne verschwiegen. Es wird sehr häufig als Problem von anderen diskutiert, währenddessen eigene Nähen zu rassistischen Vorstellungen ignoriert werden (vgl. Messerschmidt 2010, S.41). Anhand einiger Praxisbeispiele einer postnationalsozialistischen Struktur soll die Normalität rassistischer Vorstellungen im Alltag, in Anlehnung an die zuvor analysierten Prozesse der Wiederholung und Zuschreibung, dargelegt werden.

In dem kritischen Medienmagazin ZAPP (2016) wird aufgezeigt wie die permanente Wiederholung brisanter Sprachgebrauche, speziell durch mediale, deutschsprachige Apparate, subversiv das individuelle Vokabular beeinflussen kann. Ursprünglich negativ konnotierte Bezeichnungen, wie Flüchtlingsansturm, Überfremdung oder Gutmensch, werden derart oft publiziert, dass diese gefährlichen Begriffe vielerorts inzwischen zum Sprachgebrauch wurden und somit die soziale Wirklichkeit erneut

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produzieren. Der sogenannte Flüchtlingsstrom ist unlängst in den Wohnzimmern der Bevölkerung angekommen, obwohl hier Geflüchtete metaphorisch als Wassermassen begreifbar gemacht werden, was eine Entmenschlichung33 der Situation bedeutet, sowie eine Verlagerung des Problems auf die Menschen des Aufnahmelandes projiziert, da ankommende Wassermassen Gefahr signalisieren. Die sprachlich, sowohl als auch gedankliche Opferrolle, die hier eingenommen wird, ist Ausdruck eines fortlaufenden Sprachwandels, der sich durch die vorhandenen kritischen Deutungsmuster im deutschsprachigen Raum als negativer Trend abgezeichnet hat.

Wie in Kapitel 3.2 aufgezeigt, kann hier der Vorgang eines Sprechaktes in mehrfach getätigter Form, bis zur gesellschaftlich bestätigten Norm verfolgt werden (vgl. ZDF 2016, Min. 12ff).

Die Internalisierung rassistischer Denkweisen bestätigt auch Günter Wallraff34 im Interview zu seiner Dokumentation schwarz auf weiß35. Offensichtlich negativ behaftete Differenzierungen werden laut Wallraff von den Akteur_innen abgetan, als normal aufgefasst und im eigenen Umfeld sogar beehrt. Diese Grundhaltung verweist auf eine verinnerlichte Ordnungsstruktur, in denen diese Menschen leben, da sie Ungerechtigkeiten nicht erkennen und die Handlungen als normal empfinden (vgl.

Lokalzeit 2009, Min. 2). In der Dokumentation sind mehrere Situationen zu beobachten, in denen der maskierte Journalist in kulturell verfestigte Positionen verwiesen wird.

Während einer touristisch organisierten Bootsfahrt mit etwa 15 Teilnehmern in einem Alter ab 40 Jahren, wird er bereits nach wenigen Sekunden etikettiert. Möglichst weit von ihm entfernt sitzend, spricht ihn sein Banknachbar nach kurzer Musterung an: „Ich hätt` gern zwei Bier“, sagt der Mann und lacht; ebenso Wallraff. Daraufhin fragt ein weiterer Mitfahrer: „Service, nicht Service?“, woraufhin Wallraff – auch normaler Fahrgast- verneint. Es folgen mehrere abwertende Sprechakte in Richtung des vermeintlich Fremden (vgl. Wallraff 2009, Min. 5). Hier geschieht exemplarisch die Anrufung eines Individuums gemäß Butler (vgl. Kap. 3.2.1) und die darauffolgende, sich als Subjekt bestätigende Resonanz des Opfers. Das hier nicht als eigenständig zu sehende Individuum unterwirft sich den Bezeichnenden und wird im Moment der Antwort als nicht autonomes Subjekt hervorgebracht. Die Zuschreibung als Service Kraft beinhaltet, eine durch Macht,- Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnisse beschaffene soziale Kategorisierung mithilfe sprachlicher Instrumente und ordnet sie zeitgleich in ein dichotomes Verhältnis eines übergeordneten Wir und der fremden Person. Die Legitimierung der performativen Äußerung („Ich hätt` gern zwei Bier“)

33 Wasser hat keine Gefühle, Probleme, inneren Konflikte, Traumata, Hoffnungen etc.

34 Investigativer Enthüllungsjournalist und Schriftsteller

35 Günter Wallraff tarnt sich ein Jahr lang als Schwarzafrikaner und filmt Diskriminierung und Rassismus in Deutschland, erfahren am eigenen Leib.

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befindet sich in der, für den Akteur als normal empfundene gesellschaftliche Ordnungsstruktur, sowie der historischen Kontinuität (ebd.). Rechtliche und institutionelle Diskriminierung, Stigmatisierung und ethnische Zuschreibung sind im Hinblick auf die Migrationsgeschichte in der BRD nichts Neues. Der Umgang mit emigrierten Bevölkerungsgruppen zeigt sich in Kulturalisierung, Ethnisierung, sowie in der pauschalisierten Unterstellung des Fremden (vgl. Yildiz 2010, S. 59). Die Verifizierung erhält der Handelnde im Widerhall der übrigen Gäste, die seiner Äußerung verbal und nonverbal zustimmen (vgl. WDR 2009, Min. 2).

In der nachstehenden, exemplarisch dargestellten Gegebenheit wird ein zehnjähriger, deutscher Junge von seinen muslimischen Mitschülern durch die Schule gejagt, da er erzählt hatte, dass er nicht an Gott glaube. Die Kinder hatten die Information über den deutschen Neuling weitererzählt, sodass umso mehr Schüler es wussten und ihn verfolgten, auslachten und schlagen wollten. Laut eigener Angaben des Kindes passiert so etwas häufig (vgl. NDR 2009, Min. 3). Die Differenzierungspraktik in Richtung deutscher Kinder belegt einen hohen Anteil an Kindern mit Migrationshintergrund, insbesondere im muslimischen Bereich, sowie ein Macht-, Herrschafts- und Ungleichheitsverhältnis welches diesem binären System zu Grunde liegt. Die Unterscheidungskraft von Sprache wird wiedermal deutlich im Akt des weitererzählens und den daraus folgenden Massen an Kindern, die die diskriminierende Handlung nachahmen, die der Junge beschreibt. Die Häufigkeit, wie auch das wiederholende Element, die Information weiter zu geben, zeugen von einer Re-Signifizierung, durch die eine Überzeugung verfestigt und legitimiert wird, die es erlaubt ein (zahlenmäßig) unterwürfiges Kind zu benachteiligen (vgl. Kap.3.2).

Kinder oder Menschen mit Migrationshintergrund36, um die es beim Thema Rassismus, sowie auch im obigen Beispiel, in der Regel geht, stehen insgesamt in einem höheren Spannungsverhältnis hinsichtlich ihrer situativen Lebenswelt37, als Menschen aus dem Inland (vgl. Andresen 2013, S. 39). Dies jedoch nur als Randnotiz. In verschiedenen Studien zum Gerechtigkeitsempfinden von Kindern lassen sich die beschriebenen Theoretischen Ansätze zum Thema Differenz ergänzen. 34% der befragten Kinder (6- 11 Jahre) geben in einer Veröffentlichung an, Angst davor zu haben, bedroht oder geschlagen zu werden38 (vgl. Andresen et al. 2013, S. 56). Kinder weisen einen

36 Mehr als ein Viertel der in Deutschland lebenden, jungen Bevölkerung (unter 25 Jahren) sind Personen mit Migrationshintergrund (vgl. Nauck 2008, S.128)

37 Zu nennen sind hier unter anderem strukturelle Risikofaktoren wie Einkommensarmut, Erwerbslosigkeit und niedriges Bildungsniveau/ Sprachkenntnisse der Eltern (vgl. Andresen 2013, S.39).

38 Dieser Kinderstudie arbeitet mit der Frage, wovor Kinder manchmal Angst haben.

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ausgeprägten, auf verschiedenen Ebenen gedachten Gerechtigkeitssinn auf (ebd., S.59), wodurch das Thema Benachteiligung im jungen Alter einen hohen Stellenwert einnimmt. 14% der Kinder fühlen sich aufgrund ihres Aussehens, 34% wegen ihres Alters, 20% der Mädchen wegen ihres Geschlechts und 12% der Kinder wegen der finanziellen Beschaffenheit ihrer Eltern, benachteiligt. Auch 21% der Kinder mit Migrationshintergrund fühlen sich im Alltag benachteiligt, da ihre Eltern nicht aus Deutschland kommen; Deutsche Kinder wurden zu diesem Punkt nicht befragt. Kinder, die die Gerechtigkeit in der Gesellschaft prinzipiell negativ bewerten, verweisen gleichermaßen öfter auf empfundene Ängste. 27% der Kinder mit negativer Bewertung zeigen Ängste vor weiterem Zuzug von Ausländern39 (vgl. Andresen et al. 2013, S.75ff).

Die realitätsbezogene Veranschaulichung im vorigen Teil dient dazu einen Überblick, sowie Praxisnahe Beispiele geben zu können, in welcher Art und Weise, an welchen Orten und aus welchen Motiven heraus Subjektkonstruktionen gebildet werden und welche Konsequenzen daraus entstehen können. Im Anschluss wird der Blick auf konkrete Denk-, und Handlungsweisen differenzrelevanter Positionierungspraktiken gelenkt.

4. Differenzrelevante Positionierungspraktiken

Die Positionierung von Kindern innerhalb ihres direkten, sozialen Umfelds, wie auch die Herstellung von Differenz im interpersonalen Bezug, erfolgt nach verschiedenen Mustern. Wie, warum, unter welchen Bedingungen und mit welchem Effekt Kinder Unterscheidungen vollziehen stellt die Leitfrage dieser Arbeit dar und soll im Folgenden greifbar gemacht werden. Wie angesprochen, ist Sprache als das Medium zu bezeichnen, welches durch das tun rassistischer bzw. differenzrelevanter Praktiken spezielle Bedeutungen hervorruft und somit eine kulturelle Wirklichkeit aufnimmt und zugleich produziert (vgl. Machold 2010, S. 163).

39 Nur 16% der Kinder, die die gesellschaftliche Gerechtigkeit positiv bewerten empfinden eine weitere Zuwanderung als beängstigend (vgl. Andresen et al. 2013, S.77).

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