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Buchbesprechungen Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch Beraten.

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Academic year: 2022

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Sigmund Freud wird die Aussage zugeschrieben, dass menschliche Gesundheit sich darin manifestiert, lieben und arbeiten zu können. Auch wenn dieses Zitat nicht belegt werden kann und auch wenn man Sigmund Freud nicht unbedingt mit der systemischen Beratung assoziiert, ist doch unbestreitbar, dass Lieben und Arbeiten – das Leben nicht zu vergessen – zu den Grundpfeilern mensch- lichen Daseins zählen. Die Herausgeber beginnen ihre Reiheninformation mit folgendem Satz: »Die Reihe ›Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch beraten‹ be- fasst sich mit Herausforderungen menschlicher Existenz und deren Bewälti- gung.« Grundsätzlicher kann man kaum werden und dieser Beginn weckt hohe, wenn nicht höchste Erwartungen an die ausgewählten Themen der schmalen, im Schnitt 80 Seiten starken Bände. Die ersten im Herbst 2017 herausgegebenen Bücher widmen sich dann der Trauer, der Armut, elterlichen Ängsten und be- ruflichen Dilemmata – und erfüllen somit rein von der Themenwahl den An- spruch existenzieller Bedeutsamkeit.

Der Band »Trauer in Familien – wenn das Leben sich wendet« von Petra Re- chenberg-Winter beschreibt in höchst feinfühliger und verdichteter Art und Weise familiäre Trauerprozesse und deren individuelle Bewältigungsmöglich- keiten. Tanja Kuhnerts »Leben in Hartz IV – Armut und Menschenwürde« setzt sich u. a. mit der grundsätzlichen Frage auseinander, wie politisches Denken und Handeln in Beratungsprozesse einzubringen sind. »Die Angst der Eltern vor ihrem Kind« von Barbara Ollefs pointiert den in Systemikerkreisen recht bekannten Ansatz der elterlichen Präsenz und des gewaltlosen Widerstandes von Haim Omer und erläutert familiäre Deeskalationsstrategien, die der kind- lichen und elterlichen Not in heftigen Konfliktsituationen gleichermaßen Rech- nung tragen. Julika Zwaack und Ulrike Bossmann entpathologisieren in »Wege aus beruflichen Zwickmühlen« die scheinbar individuell zu verantwortenden Dilemmata mit dem schönen Satz: »Potenziell grenzenlosen Anforderungen stehen begrenzte Ressourcen gegenüber« (11) und entwickeln kluge Reflexi- onsmöglichkeiten, um sich mit den bestehenden beruflichen Dilemmata aus- einanderzusetzen. Auch die im Frühjahr 2018 herausgegebenen Bände (»Kom- petenzorientiert systemisch beraten lernen« von Marc Weinhardt, »Familien im Medienzeitalter« von Joachim Wenzel sowie »Wohnungslos« von Marion Lud- wig) widmen sich gleichwohl aktuellen wie auch essenziellen Thematiken.

Insgesamt sind alle Bände prinzipiell in drei Teile gegliedert. Nach einem He- rausgebervorwort werden im ersten Teil unter der Überschrift »Kontext« die relevanten Hintergründe und die zentralen Begriffe für das jeweilige Thema ge-

Leben. Lieben. Arbeiten: systemisch Beraten. Buchreihe. Herausgegeben von Jochen Schweitzer und Arist von Schlippe. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

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rahmt und erläutert. Der zweite Teil beschäftigt sich dann sehr konkret mit den jeweiligen systemischen Beratungsmöglichkeiten, hier werden Methoden, Tools und Fallvignetten geschildert, die die im ersten Teil angeführten theoretischen Überlegungen illustrieren und verdeutlichen. Der dritte Teil nennt sich »Am Ende« und beinhaltet neben den Quellen auch vertiefende Internetlinks oder weitere praktische Hinweise. Die Ausführungen sind auf Grund der bereits be- schriebenen begrenzten Seitenanzahl knapp und bündig, was den Lesegenuss in keiner Weise mindert. Im Gegenteil – dieses Format zwingt die Autor/innen dazu, das Wesentliche ihrer wesentlichen Themen prägnant und schnörkellos zu beschreiben. Das ist bislang wirklich gut gelungen und man darf als Leser/in gespannt auf die folgenden Bände dieser systemischen Buchreihe sein.

Barbara Bräutigam, Neubrandenburg

Luise Reddemann nennt den Text (Prediger 3, »Ein jegliches hat seine Zeit«) einen der »schönsten und wichtigsten Texte zur Vergänglichkeit« (S. 12). So hat vielleicht auch das Thema Vergänglichkeit, Sterben und Tod seine Zeit. Zwei Aspekte beschäftigen mich in diesem Zusammenhang: zum einen die zuneh- menden Herausforderungen unserer Gesellschaft(en), hochbetagten Menschen ein würdevolles Leben im Alter zu ermöglichen, und zum anderen die Fragen, die sich rund um das Thema (aktive) Sterbehilfe stellen.

Mit welchem Selbstverständnis und welcher Haltung begegne ich als Thera- peutin diesen Themen? Lade ich meine Klienten dazu ein, darüber zu sprechen, wenn es an der Zeit ist? Wie könnte eine aufmerksame, wertschätzende, zum Klienten passende und angemessen achtsame Sprache gefunden werden? Auch wenn sich die hier vorgestellten Titel grundlegend voneinander unterscheiden, befassen sie sich doch mit den gleichen Themen: Vergänglichkeit, Schwere, Leid und Not, Werden und Vergehen und (schließlich) Abschied (auch vom Leben).

In ihrem sehr persönlich angelegten Buch verknüpft die heute 75-jährige Lui- se Reddemann musikalische Werke von Bach, Brahms, Schubert und Schostako- witsch mit den jeweils lebensbiografischen Themen der Komponisten und deren Verbindung zu religiösen Botschaften. Sie kommt zu dem Schluss, dass gerade das Erfahren von Schmerz, Leid und Endlichkeit der Komponisten eine beson- dere Art von Musik hervorzubringen vermag. Und sie vermutet in der Komposi- tion eine Art Botschaft an die Mitwelt – diese versucht sie auf die therapeutische Arbeit zu übertragen. Daraus entstehen an verschiedenen Stellen Kontrapunkte,

Reddemann, L. (2018). Schlussstücke – Gedanken über Vergänglichkeit und Tod.

Stuttgart: Klett-Cotta , 180 Seiten, 18,00 €.

Giger-Bütler, J. (2018). Wenn Menschen sterben wollen – Mehr Verständnis für einen selbstbestimmten Weg aus dem Leben. Stuttgart: Klett-Cotta, 224 Seiten, 18,95 €.

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die, so verstehe ich die Autorin, durchaus in therapeutischen Prozessen wirksam werden. Eine Beschäftigung mit diesen Kontrapunkten kann zu einem tieferen Verständnis (auch) der schweren Momente im Leben unserer Klienten (aber auch im therapeutischen Prozess) beitragen. So betrachtet, befasst sich Redde- mann eben nicht nur mit den Themen Vergänglichkeit und Tod – sondern auch damit wie Leid und Lebenslust, wie Tod und Leben zusammen gehören.

»Schlussstücke« ist explizit kein theoriebasiertes Fachbuch – es lädt dazu ein, inne zu halten, sich zu vergegenwärtigen, sich liebevoll den eigenen Aufgaben zu stellen und ebenso achtsam mit dem Vergänglichen umzugehen. Zum »Werden« gehört

»Vergehen« und daraus kann Neues entstehen. Das Leben besteht eben aus hellen und dunklen Momenten und »ein jegliches hat seine Zeit« (Prediger 3, S.12). Für die therapeutische Arbeit finden sich zahlreiche Anregungen und Hinweise, wie schwe- re Themen angemessen gerahmt und gewürdigt werden können (und sollten), ohne den Blick auf das Leben (und Lebenswerte) zu verlieren. »Wenn wir uns keine Zeit nehmen für unseren Schmerz, wenn wir uns dem Diktat unterwerfen, ihn wegzulä- cheln, kann das unserer Seele Schaden zufügen« (S. 182).

Wenn ich beschreiben sollte, wie »Schlussstücke« auf mich wirkt, so würde ich sagen, es betrachtet Leben und Sterben mit liebevoller Güte, tiefgründiger Akzeptanz und menschenfreundlicher Achtsamkeit. Es enthält eine Vielzahl bedeutsamer kleinerer Anregungen und ist geeignet Trost zu spenden, wenn Angst, Verzweiflung und Endlichkeit um sich greifen. Ein wichtiges Buch – für Jedermann und -frau, für Therapeutinnen, Pastoren, Seelsorger, Mediziner und alle, denen existenzielle Themen am Herzen liegen.

Giger-Bütler, selbst erfahrener Psychotherapeut in Luzern, widmet sich dem The- ma Suizid oder Freitod. Um es vorweg zu nehmen: das Buch ist ein eindeutiges Plä- doyer für die Möglichkeit, den Zeitpunkt des Sterbens selbst bestimmen zu dürfen und durch angemessene Begleitung in dem Sterbewunsch unterstützt zu werden.

Giger-Bütler bezieht sich in seinen Überlegungen vor allem auf zwei Perso- nengruppen: die Depressiven und die Hochbetagten. Beiden spricht er, wenn auch aus unterschiedlichen Gründen, ein explizites Recht zu, ihr Leben selbstbe- stimmt und (wie er es nennt) »würdig« zu beenden. Dazu gehören nach Ansicht des Autors die Möglichkeit, sich angemessen von Angehörigen und Freunden zu verabschieden, wichtige Angelegenheiten im Vorfeld einvernehmlich zu regeln und schließlich auch im Sterben in Gemeinschaft sein zu dürfen. Giger-Bütler zeigt sich parteiisch – an der Seite derjenigen, die dem Leben nichts mehr abge- winnen können, die ein selbstbestimmtes Lebensende wollen und sich bewusst entschieden haben. Weil »immer mehr Menschen über ihren Tod selbst bestim- men wollen, darf der Suizid kein Schritt sein, den die Betreffenden verstecken und die Angehörigen später verheimlichen müssen« (S. 15).

Seinen Plädoyers schickt der Autor eine ausführliche Beschreibung depres- siver Erkrankungen und Lebensbedingungen alter Menschen voran. In diesen

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Beschreibungen widerspricht der Autor vielen (landläufigen) Meinungen: so sieht er Depressive nicht per se als suizidal, sondern meint eher gegenteilige Verhaltensweisen zu beobachten. Seiner Ansicht nach kämpfen Depressive über viele Jahre um’s Überleben – trotz Erschöpfung, Müdigkeit, Antriebslosigkeit verbleiben sie im Leben und stellen sich täglich wieder den Herausforderungen, denen sie sich nicht gewachsen fühlen – häufig nahestehenden Anderen zuliebe.

Aus seiner Erfahrung heraus seien es die wenigsten, die sich am Ende für einen Suizid entscheiden und diesen vollziehen, auch wenn die allermeisten häufig daran denken. Ähnliches gilt seiner Ansicht nach für das hohe Alter – trotz größter Erschöpfung und manchmal hoffnungsloser Perspektiven halten sich alte Menschen im Leben – auch wenn sie nahezu nichts mehr von diesem er- warten. Ausgehend von diesen Grundannahmen postuliert Giger-Bütlers, dass diejenigen, die entschlossen seien, ihr Leben zu beenden, dies auch würdevoll und selbstbestimmt tun dürfen sollten.

Das Buch bietet vielfältige, ausgesprochen hilfreiche Anregungen für Ge- spräche mit Menschen, die über einen Freitod nachdenken und darüber spre- chen mögen. Wie respektvoll mit dem Sterbewunsch umgegangen werden kann, welche Themen dabei relevant sein können und mit welchen Fragen sich Ge- sprächspartner befasst haben sollten, wird nachvollziehbar.

Einige grundlegende Fragen bleiben auch bei Giger-Bütler offen: wie kann ich bei allem Respekt, aller Achtung der Selbstbestimmtheit meines Gegenübers entscheiden, ob und wie ernst ihm dieser (letzte) Wille ist? Und sollte ich nicht doch, wenn ich nur den leisesten Zweifel hege, aktiv für das (Weiter-)Leben plä- dieren? Und ab wann ist ein Mensch alt? Welches Alter sollte »genügen«, um eine Berechtigung zum Sterben zu haben? Und wer entscheidet darüber?

Auch wenn Giger-Bütler sich manchmal geradezu missionarisch aufmacht, seine Leser zu überzeugen, und sich dabei häufig wiederholt, so stecken doch viele bedeutsame und ernst zu nehmende Aspekte zu einem immer noch tabui- sierten Thema in dem Buch – gerade und auch für Berater und Therapeuten!

Ilke Crone, Bremen

Der Untertitel der Veröffentlichung – »Eine praktische Orientierungshilfe für pädagogische Fachkräfte« – fasst das vorliegende Buch in einem Satz treffend zu- sammen. Es bietet eine praktische Orientierungshilfe im Umgang mit sexueller Gewalt in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche, die durch Praxisbeispiele abgerundet wird und mit hilfreichen Anhängen versehen ist. Schwerpunkte des

Allroggen, M., Gerke, J., Rau, T., Fegert, J.M. (2018). Umgang mit sexueller Gewalt in Einrichtungen für Kinder und Jugendliche. Eine praktische Orientierungshilfe für pädagogische Fachkräfte. Göttingen: Hogrefe, 110 Seiten, 19,95 €.

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Buches sind vorrangig der Einbezug pädagogischer Fachkräfte in die Prävention von sexuellem Missbrauch in Einrichtungen der Kinder- und Jugendhilfe, sowie der Umgang mit sexualisierter Gewalt.

Das Buch ist in drei Kapitel untergliedert. Im ersten Kapitel führen die Autoren mithilfe von Definitionen, Daten und Fakten zur sexuellen Gewalt ins Thema ein und setzen diese Begriffe in den Kontext der Veröffentlichung. Die Autoren ge- hen auf Schutz- und Risikofaktoren des Einzelnen und der Institution sowie den Einfluss der Leitungsstrukturen ein und weisen darauf hin, die Machtverhältnisse innerhalb einer Einrichtung gut zu reflektieren und Leitlinien zum Umgang mit Nähe und Distanz zu formulieren. Auf die Wichtigkeit von Beziehungsarbeit in der pädagogischen Arbeit wird betont mit dem Hinweis eingegangen, dass sexual- pädagogische Konzepte in gemeinsamer Arbeit von Leitung und Mitarbeitenden festgelegt werden sollten. Die Inhalte sind sehr nützlich, um die eigene Haltung zu reflektieren und Handlungssicherheit zu gewinnen.

Im zweiten Kapitel mit dem Titel »Handlungsempfehlungen« werden Präven- tions- und Interventionsmaßnahmen vorgestellt. Neben der Alltagsprävention werden spezifische Präventionsmaßnahmen aufgezeigt und die Individualität eines guten Präventionskonzeptes hervorgehoben. Die Autoren rufen die Wah- rung des Kindeswohls, die Individualität eines jeden Falles und überlegte, be- sonnene Handlungsweisen ins Gedächtnis.

Wer in der Praxis mit Fällen der sexuellen Gewalt zu tun hat(te), der weiß, wie häufig das Thema Schweigepflicht mit Unsicherheiten behaftet ist. Stär- kend gehen die Autoren ausführlich auf dieses Thema ein und geben auch der Selbstfürsorge Raum, welche nach sexuellen Übergriffen häufig zu kurz komme.

Anschließend werden Handlungsschritte bei Vermutungen oder einem Fall se- xualisierter Gewalt angeführt. Die Gesprächsführung spielt in dieser Situation eine wichtige Rolle, und so wird neben der Haltung auf die Vorbereitung und die offene, suggestionsfreie Kommunikation mit allen Beteiligten hingewiesen.

Im Buch finden sich wertvolle Tipps für die Führung der Gespräche und darauf folgende Schritte im Hilfeprozess.

Ein Fall des Missbrauchs stellt eine Belastung für das Team und die Einrich- tung dar. Ein Konzept zu erstellen, ist im Vorfeld mit Blick auf verbindliche Re- gelungen und eine gemeinsame Haltung nötig. Im Buch gibt es nützliche Anre- gungen zur Entwicklung eines solchen Konzepts.

Im dritten Kapitel finden sich Fallbeispiele. Dabei wird der/die Leser/in dazu angeregt, sich nach dem Lesen des Beispiels Gedanken über sein/ihr eigenes Handeln zu machen, bevor er/sie sich der Darstellung eines möglichen Vorge- hens widmet. So kann er/sie sich seiner/ihrer Haltung und der gelesenen Inhalte bewusst werden.

Der umfangreiche Anhang umfasst unter anderem Flussdiagramme, die eine Orientierungshilfe in akuten Situationen bieten. Es finden sich zudem Listen

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mit Hilfsangeboten, die mit Blick auf die eigene Einrichtung ausgearbeitet wer- den können.

Das Buch liefert eine wichtige Hilfestellung zur Entwicklung eines Konzepts, da das Thema von vielen Seiten und aus verschiedensten Perspektiven beleuch- tet wird. Auch zur Überprüfung bestehender Konzepte bieten sich viele Ansatz- punkte. Die Leserschaft profitiert von der Expertise, die das Autorenteam ge- sammelt hat und der großen Praxisnähe des vorliegenden Werkes.

Christian Hoverath, Wesel

In den gegenwärtigen Zeiten, die durch Globalisierung, starke Migrations- und Flüchtlingsströme sowie der damit steigenden Anzahl an Menschen mit Migrati- onshintergrund in Deutschland geprägt sind, sind Interkulturalität, der Umgang mit herausfordernden kulturellen Überschneidungssituationen sowie daraus ent- stehende Konflikte allgegenwärtig. Dies verändert zwangsläufig auch die therapeu- tische, pädagogische und soziale Arbeit in der Praxis – dieses hochaktuelle Thema greift das Buch von Ali Kemal Gün auf. In der Türkei geboren, kam Gün selbst zum Studium nach Deutschland und arbeitet inzwischen als bilingualer Psycho- logischer Psychotherapeut. Er erarbeitet hier die Alltäglichkeit, aber insbesondere auch die Herausforderungen und Besonderheiten im Kontakt mit Patienten mit fremdkulturellem Hintergrund. Auf Grundlage seiner empirischen Studie zeigt er kritische Punkte auf, die verdeutlichen, wie es zu Missverständnissen in der Praxis und damit zu möglicherweise unzureichender psychotherapeutischer Versorgung von Migrant/innen kommt.

Im ersten Kapitel führt er zunächst in das Konzept der »Interkulturellen thera- peutischen Kompetenz IKTK« ein, welcher er als Querschnittkompetenz kognitive, affektive sowie verhaltensbezogene Dimensionen zuschreibt. Die Anforderungsli- ste an interkulturell kompetente Psychotherapeuten mag die/den Leser/in zunächst etwas überwältigen, umfasst sie doch über mehrere Seiten hinweg zahlreiche As- pekte bezüglich der Grundhaltung, Reflexionsfähigkeit, Kommunikation und an- deres mehr. Dies unterstreicht die Diskrepanz zwischen der Aktualität des Themas auf der einen Seite sowie der Vernachlässigung in der Aus- und Weiterbildung von Therapeut/innen und anderen Fachkräften auf der anderen Seite.

Im zweiten Kapitel kommt Gün auf seine eigene Untersuchung zu sprechen, die Interviews mit Psychotherapeuten sowie Patient/innen mit Migrationshintergrund umfasste. Gün kommt direkt zur Ergebnisdarstellung, die er unter kulturelle, reli- giöse, sprachliche und ethnische Missverständnisse zusammenfasst. Zitate und In-

Gün, A. K. (2018). Interkulturelle therapeutische Kompetenz. Möglichkeiten und Grenzen psychotherapeutischen Handelns. Stuttgart: Kohlhammer, 243 Seiten, 39,00 €.

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terviewausschnitte werden durch Hintergrundinformationen zu wissenschaftlichen Studien und Theorien untermauert und eingebettet. Wünschenswert wäre hier eine ausführlichere Übersicht über die verwendete Methodik (insb. eine Stichprobenbe- schreibung) gewesen, die beim Lesen bessere Orientierung geben würde.

Eine Darstellung der aktuellen Gesundheitsversorgung der Migranten in Deutschland folgt im dritten Kapitel. Gün fasst die besondere Situation dieser Bevölkerungsgruppe gekonnt zusammen, unterstreicht die hohe Relevanz der Thematik und gleichzeitig die Schwierigkeiten auf unterschiedlichen Ebenen. Ab- schließend stellt er in Form einer Checkliste Leitkriterien für die interkulturelle Öffnung von Institutionen im Gesundheitsbereich dar.

In den zwei folgenden Kapiteln konzentriert sich der Autor auf ausgewählte Bei- spiele: Zunächst beschäftigt er sich mit Türkeistämmigen und deren Familienbild, anschließend mit den Krankheits- und Gesundheitsvorstellungen im Islam. Hier wird deutlich, wie heterogen und verwoben religiöse, ethnische, politische und soziale Einflüsse wirken und jeweils im Einzelfall betrachtet werden müssen. Im sechsten und letzten Kapitel führt uns Gün in eine kurze historische Abhandlung der Arbeitsmigration in Deutschland ein.

Hervorzuheben ist der starke Praxisbezug, die konkreten Anregungen für In- stitutionen und Fachkräfte sowie die lebendigen Fallbeispiele. Hier findet die/

der Praktiker/in einen Einblick in die Lebenswelt ihrer/seiner Patient/innen. Der Komplexität des Themas und der Vielfalt aller Kulturen und Religionen ist es ge- schuldet, dass Gün uns hier lediglich allgemeine Anregungen geben kann und einige wichtige Aspekte wie der Umgang mit Geflüchteten nur angerissen werden können. Wie interkulturelle Weiterbildung sowie eine zielführende interkulturelle Öffnung in der Praxis konkret umgesetzt werden könnten, kann lediglich kurz beleuchtet werden. Konkrete Frage- und Problemstellungen bedürfen einer ein- zelfallbezogenen eingehenden Betrachtung, die hier nicht geleistet werden kann.

Dennoch gelingt es dem Autor, die/den Leser/in dazu anzuregen, die eigene Tä- tigkeit und den Umgang mit kulturellen Einflüssen zu reflektieren, sowie interkul- turelle Kompetenz als wichtigen, nicht zu unterschätzenden Faktor für den Erfolg einer therapeutischen Behandlung wahrzunehmen.

Sarah Franziska Tran-Huu, München

Das Buch ist für all diejenigen geeignet, die sich professionell mit Inter*- und Trans*themen auseinandersetzen wollen und/oder Menschen mit diesem Hin- tergrund beraten beziehungsweise behandeln. Die Grundlage unserer Wahr- nehmung auf das Geschlecht ist das alltagsweltliche Geschlechterwissen, das

Scheunemann, K. (2018). Expert_innen des Geschlechts? Zum Wissen über Inter*- und Trans*-Themen. Bielefeld: transcript, 206 Seiten, 32,99 €.

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auf binären Geschlechterkategorien fußt. Diese gilt es dringend zu hinterfra- gen und hinter sich zu lassen, um Inter*- und Trans*personen in der Beratung professionell helfen zu können. Die Lektüre dieses Buches gibt dabei wichtige Impulse und Hilfen. Kim Scheunemann hat im Rahmen seiner Dissertation Interviews mit Expert_innen zu Trans*- und Inter*themen durchgeführt und ausgewertet. Im ersten Teil wird eine Einführung in die unterschiedlichen Ar- ten von Geschlechterwissen und eine Definition des Expert_innenstatus’ ge- geben. Geschlechtersonderwissen wird in seiner Komplexität beschrieben. Es wurden für die Interviews ein Leitfaden und Kernsätze genutzt, um spontane Stellungnahmen von den Expert_innen generieren zu können. Kim Scheune- manns Hauptarbeit bei der Studie bestand in der aufwendigen empirischen Rekonstruktion des Geschlechterwissens von Expert_innen, die im zweiten Teil beschrieben wird. Hier erfahren wir, wie Deutungsmuster des Geschlechts von Normal*-, Trans*- und Inter*personen genau aussehen und welche Unter- schiede dabei bestehen. Das Dilemma von Personen, deren Geschlecht nicht anerkannt wird, wie es bei Trans*- und Inter*personen der Fall ist, erfährt eine ausführliche Untersuchung. Die Notwendigkeit der gegenseitigen Anerkennung des Geschlechts wird ausführlich dargelegt, Bewältigungsstrategien im Umgang mit Unsicherheit herausgearbeitet und wertvolle Anregungen für die Beratung von Trans*- und Inter*personen gegeben. Die Gefühlsarbeit im Umgang mit Unsicherheiten auf Seiten der Expert_innen wie Nichtexpert_innen wird eben- falls thematisiert. Die Notwendigkeit, aktiv in der Gesellschaft dort zu werden, wo Bedarf an Wissensvermittlung und Unterstützung gesehen wird, ist ein wichtiges Fazit der Studie. Außerdem werden die Chancen der Einsamkeit und das damit verbundene positiv-schöpferische Potenzial aufgezeigt. Diese beste- hen darin, sich Freiheiten zu erschließen, anders zu leben und eigene Wege zu gehen. Eine weitere Quintessenz ist, dass Trans*- und Inter*personen geholfen werden soll, in die Gesellschaft integriert zu werden und damit auch eine Än- derung der Gesellschaft zu denken. Hier spielen die Auseinandersetzung mit der hegemonialen und davon abweichenden Normen als Ordnungssysteme un- serer Gesellschaft eine entscheidende Rolle. Die Sonderrolle, die Trans*- und Inter*personen zugeschrieben wird, gilt es zu hinterfragen, um sich mit der da- mit verbundenen Faszination sowie Ambivalenz auseinanderzusetzen.

Dieses Buch gibt eine fundierte Diskussionsgrundlage, um die Anerkennung von Expert_innen des Geschlechts wissenschaftlich zu verorten. Die Leser_in- nen erhalten einen aktuellen Stand über Deutungsmuster, Bedeutung der An- erkennung des Geschlechts und Geschlechtersonderwissen, Unsicherheit und Sicherheit in Zusammenhang mit Geschlechterwissen, Chancen und Risiken des Alleinseins und der damit verbundenen Einsamkeit sowie Faszination und Ambivalenz in Bezug auf die Fremdheit alternativer Geschlechter. Personen mit alternativen Geschlechtern verfügen über ein Geschlechtersonderwissen, das

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anerkannt werden muss. Das Buch eignet sich für alle Personen, die sich mit Geschlechtersonderwissen in Bezug auf Trans*- und Inter*personen ausein- andersetzen wollen. Wer mehr darüber erfahren möchte, einen angemessenen Umgang mit transidenten Menschen zu finden und sich mit der Frage der Ent- scheidungsmacht nicht nur über das Wissen von Trans*- und Inter*themen be- schäftigen möchte, dem sei das Buch von Kim Scheunemann ans Herz gelegt.

Thomas Beyer, Leipzig

Tanja Kuhnert zeigt in dieser Monographie eindrucksvoll, wie wichtig die Aus- einandersetzung mit der Thematik Hartz IV und Armut gerade im systemischen Kontext ist. Menschen in unsicheren finanziellen Verhältnissen sind anfälliger für psychische Notlagen sowie Erkrankungen und bilden einen Großteil der Klientel in der Beratung. Fast 2 Millionen Kinder leben in Hartz IV-Kontexten und werden dadurch in ihren Entwicklungsmöglichkeiten massiv begrenzt und gehemmt. Der Leistungsbezug von Hartz IV bedeutet auch die Offenlegung der eigenen Bedürftigkeit und Hilflosigkeit neben Autonomieverlust und das Einge- hen einer Abhängigkeitsbeziehung zum Staat.

Das Buch führt in diese Thematik fundiert ein. Infokästen bieten einen sehr gu- ten Überblick über die Themen und fassen das Wichtigste zu Armut, Entstehung von Hartz IV, Regelsätzen, Einkommen und Vermögen, Vermittlungshemmnis- sen, Wohnungsberechnung, Mehrbedarf für Schwangere, Maßnahmen zur Ak- tivierung und beruflichen Wiedereingliederung und zu getrennt lebenden und alleinerziehenden Eltern im SGB-II-Bezug zusammen.

Im ersten Kapitel werden die wichtigsten Begriffe erläutert und Definitionen ge- geben. Besonderheiten in der Beratung von Menschen, die in Hartz IV leben, sind Schwerpunkte des 2. Kapitels. Dort werden auch die Bedeutung von Scham, Trau- er und Schuldgefühlen in der Beratung den Lesern näher gebracht sowie Schwie- rigkeiten in der Auftragsklärung und im Umgang mit oben genannten Gefühlen vertieft. Fallbeispiele decken exemplarisch verschiedene Beratungsverläufe ab und geben Auskunft über eine Familie mit Migrationshintergrund, eine Frau mit einer schweren Persönlichkeitsstörung und einen Jugendlichen, dessen Eltern sich ge- trennt und der durch den Hartz IV-Kontext der Verschärfung von Ambivalenz- konflikten ausgesetzt ist. Diese Fallvignetten beleuchten dabei die verschiedenen Perspektiven von Beraterin, Klienten und Behörden.

Zudem werden konkrete Formulierungen von Fragen angeboten, die den ei- genen Methodenkoffer füllen können. Auch gibt die Autorin viele nützliche An- regungen und hilfreiche Querverweise auf Studien und Literatur. Wie mit der

Kuhnert, T. (2017). Leben in Hartz IV – Armut und Menschenwürde. Göttin- gen: Vandenhoeck & Ruprecht, 90 Seiten, 10,00 €.

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Politik in der Beratung professionell umgegangen werden und wie Berater eine eigene Position dazu finden können, ist auch Gegenstand dieses Buches. Die vier verschiedenen Typen von Beratern runden das Kapitel ab und laden zur Ausei- nandersetzung mit der eigenen Position ein. Das 3. Kapitel enthält Kontaktadres- sen von Akteuren, Aktionsbündnissen und Vereinen.

Dieses Buch hält, was es verspricht, und stellt knapp, informativ und anregend die Thematik dar. Es ist sehr lesenswert und bietet eine hilfreiche Ergänzung zum systemischen Fachwissen. Nicht nur Kolleginnen im Beratungskontext werden von der Lektüre profitieren, sondern auch alle anderen Berufsgruppen, die in die- sem Feld tätig sind. Die Autorin lässt an ihrem erfahrungsbezogenen Wissen und dem praktischen Umgang mit der systemischen Perspektive auf das Thema Hartz IV teilhaben. Als Sprecherin der ehemaligen Fachgruppe Systemische Beratung mit Menschen in Hartz IV/SGB-II und aktives Mitglied in der Gesellschaftspo- litik der DGSF e. V. hat sie ein Buch vorgelegt, das auch nützliche Anregungen zum Mit- und Weiterdenken der politischen Dimension unserer psychotherapeu- tischen und beraterischen Arbeit gibt.

Thomas Beyer, Leipzig

Die folgenden Neuerscheinungen können zur Besprechung bei der Redaktion angefordert werden:

Anklam, S. et al. (2018). Didaktik und Methodik der Theaterpädagogik/ Szenisch-Systemisch:

Eine Frage der Haltung!? Seelze: Friedrich Verlag, Klett-Kallmeyer, 165 Seiten, 22,95 €.

Becker, U. et al. (2018). Eindeutig uneindeutig – Demenz systemisch betrachtet. Göttingen:

Vandenhoeck & Ruprecht: 280 S., 25,00 €.

Bliersbach, G. (2018). Mit Kind und Kegel. Ein Ratgeber für Patchworkfamilien. Gießen: Psy-

chosozial-Verlag, 188 Seiten, 19,90€.

Effinger, H. (2018). Beratung in der Sozialwirtschaft. Ungewissheiten als Chance kreativer Pro-

blemlösungsstrategien. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht: 114 S., 12,00 €.

Giernalczyk, T., Möller, H. (2018). Entwicklungsraum: Psychodynamische Beratung in Orga-

nisationen. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht: 112 S., 12,00 €.

Hüther, G. (2018). Etwas mehr Hirn, bitte. Eine Einladung zur Wiederentdeckung der Freude

am eigenen Denken und der Lust am gemeinsamen Gestalten. Göttingen: Vandenhoeck &

Ruprecht: 192 S., 12,00 €.

Kowarowsky, G., Puttkamer, C. v. (2018). Impact-Techniken. Weinheim: Beltz, 75 Therapiekar-

ten mit 36-seitigem Booklet, 49,95 €.

Neumann, E., Sachse, R. (2018). Persönlichkeit und Bindung in der therapeutischen Bezie-

hung. Eva Neumann und Rainer Sachse im Gespräch mit Uwe Britten. Göttingen: Vandenho- eck & Ruprecht, 145 S., 17,00 €.

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Schenke, J. et al. (2018). Pegida-Effekte? Jugend zwischen Polarisierung und politischer Unbe-

rührtheit. Bielefeld: transcript, ca. 434 S., 29,99 €.

Scholz, F. (2018). Stärken-Schatzkiste für Kinder und Jugendliche. Weinheim: Beltz, 120 Karten

mit 16-seitigem Booklet, 29,95 €.

Scholz, F. (2018). Stärken-Schatzkiste für Therapie und Beratung. Weinheim: Beltz, 120 Karten

mit 16-seitigem Booklet, 29,95 €.

Strauß, B., Willutzki, U. (2018). Was wirkt in der Psychotherapie? Bernhard Strauß, Ulrike Wil-

lutzki im Gespräch mit Uwe Britten. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht, 124 S., 17,00 €.

Sydow, K. v., Borst, U. (Hrsg.) (2018). Systemische Therapie in der Praxis. Weinheim: Beltz,

1064 S. 89,00 €.

Wegener, R. et al. (Hrsg.) (2018). Coaching-Prozessforschung. Forschung und Praxis im Dia-

log. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht: 236 S., 45,00 €.

Referenzen

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