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Brief an Lord Chandos

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Academic year: 2022

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Brief an Lord Chandos 137 Friederike Mayröcker

Brief an Lord Chandos

mit groszer Anteilnahme habe ich Ihre Klagen aufgenommen und möchte zu Ihrer Tröstung bekennen, dasz es mir vor einiger Zeit ähnlich ergangen ist: ich hatte in dieser meiner Krise aller Welt vorgemacht, ich sei an der Arbeit, muszte mir jedoch eingestehen, dasz ich in Wahrheit völlig ausgebrannt war, ja, dasz die Vorstellung mich verfolgte, ich hätte noch nie auch nur I Wort aufgeschrieben, ich würde nie wieder Pläne oder Ahnungen von Gedanken empfangen können, am allerwenigsten jene so wundertätigen Verbalträume, die mich jederzeit mitten hinein in die Produktion katapultiert hatten. Aber dann versuchte ich mich selbst aufzufangen, indem ich den Gründen meines Versagens nachzuforschen begann, und ich entdeckte, warum es mir so elend erging. Ich fand das Heilmittel, das da war: ich stand niemandem mehr zur Verfügung, ich liesz mich nicht mehr erweichen, diesem und jenem zu Gefallen zu sein, ja, ich liesz mich von meinem Freund verleugnen, sobald jemand mich aufsuchen wollte, ging nicht mehr zu Veranstaltungen, hielt keine Termine mehr ein, schlug Einladungen aus und vergrub mich in meine Papiere. Dazu kam noch, ich sprach tagelang kein Wort, es sei denn, dasz mir I Fluch entfuhr oder dasz ich zu I Stoszgebet mein Herz aufhob, sobald alles wieder zusammenzustürzen drohte. Ich ging viel spazieren, notierte unterwegs, sprach zu niemandem, der mir entgegenkam, I Wort, ja, wurde ich eines Bekannten ansichtig, wechselte ich auf die andere Straszenseite, um I Begegnung zu vermeiden. Ich vernachlässigte meine Erscheinung, weil ich ja nur mit mir selber zu tun hatte, ich beantwortete keine Briefe, ging nicht ans Telefon, so dasz sich – und das konnte ich gut erkennen – mein Zustand von Tag zu Tag besserte. An I sehr frühen Morgen, es war gegen 5, fi elen mir Worte ein, ganze WORTG EWI M- M E L und WORTG E STÖB E R, so dasz ich mit dem Notieren kaum nachkam, ich sprang aus dem Bett, lief zur Maschine und schrieb alles auf. Es mochte wohl der halbe Vormittag vergangen sein, als ich mehrere Seiten niedergeschrieben hatte, ich ging einigen Geschäften nach und setzte mich darauf wieder an die Maschine. Dies ging nun einige Tage so und ich disziplinierte mich strengstens, dasz ich nun alle Morgenstunden an der Maschine verbringen konnte und die gröszte Lust daraus bezog.

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Aus diesem neuen Aufschwung erwuchs mir I neuer Mut und etwas wie I Ungeduld, immer weiter und weiter zu schreiben, so dasz sich die schwarze Stichfl amme der Eingebung (Leidenschaft) immer heftiger in mir regte und ich, zu Bett gehend, kaum den nächsten Morgen erwarten konnte, der mich wieder an die Maschine treiben würde.

So kam es schlieszlich, dasz ich mich wieder unermüdlich meinem Denken, Phantasieren und Schreiben zuwenden konnte.

(4. 12. 01)

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