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Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung sind keineswegs exkommuniziert! (Papst Franziskus)

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(1)Archiv für Katholisches Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 brill.com/ak. „Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung sind keineswegs exkommuniziert!“ (Papst Franziskus) Zur Problematik des c. 915 CIC im Lichte des nachsynodalen Apostolischen Schreibens Amoris Laetitia Von Martin Rehak Die Frage, ob ein männlicher oder weiblicher Katholik, der nach einer kirchlich gültigen Eheschließung und späterer Scheidung nach staatlichem Recht noch zu Lebzeiten des ersten Ehegatten erneut eine rein standesamtliche Ehe eingegangen ist, zur Kommunion gehen darf, bewegt und erregt seit Jahrzehnten die Gemüter.1 So konnte es nicht ausbleiben, dass auch auf den beiden 1 Der vorliegende Beitrag geht zurück auf einen Vortrag, den der Verfasser am 1. 6. 2016 auf Einladung der Theologischen Fakultät Fulda sowie am 11. 11. 2016 bei der Promotionsfeier der Katholisch-Theologischen Fakultät der Ludwig-Maximilians-Universität München gehalten hat. Für die Veröffentlichung wurde das Manuskript um eine breitere Darstellung der Rechtslage gemäß CIC/1917 sowie um den Anmerkungsapparat ergänzt.  Ein besonderer Dank gilt den Salzburger Studierenden, die im Wintersemester 2015/2016 an der Lehrveranstaltung „Aktuelle Rechtsfragen“ teilgenommen haben.  Diese Lehrveranstaltungen hatte der Analyse und Diskussion einschlägiger Veröffentlichungen der letzten Jahre gedient: Klaus Lüdicke, Wieso eigentlich Barmherzigkeit?, in: Herder-Korrespondenz 66 (2012) 335–340; Gerhard Ludwig Müller, Zeugnis für die Macht der Gnade, in: Die Tagespost, Nr. 72 vom 15. 6. 2013, 6–8, sowie online: http://www.vatican. va/[…]/rc_con_cfaith_20130615_tagespost_ge.html [21. 1. 2017]; Walter Kasper, Das Evangelium von der Familie. Die Rede vor dem Konsistorium, Freiburg 2014; ders., Nochmals: Zulassung von wiederverheiratet Geschiedenen zu den Sakramenten? Ein dorniges und komplexes Problem, in: Stimmen der Zeit 233 (2015) 435–44; Paul Josef Cordes, Geistige Kommunion. Befreit vom Staub der Jahrhunderte, Kisslegg 2014; dazu als Verständnishilfe ferner Johann Auer, Geistige Kommunion. Sinn und Praxis der communio spiritualis und ihre Bedeutung für unsere Zeit, in: Geist und Leben. Zeitschrift für christliche Spiritualität 24 (1951) 113–132; Markus Graulich, Die Ehe erfreut sich der Rechtsgunst. Kirchenrechtliche Anmerkungen zum Umgang der Kirche mit wiederverheirateten Geschiedenen, in: ders., Martin Seidnader (Hg.), Zwischen Jesu Wort und Norm. Kirchliches Handeln angesichts von Scheidung und Wiederheirat, Freiburg 2014, 145–171; Martin M. Lintner, Geschieden und wiederverheiratet. Zur Problematik aus theologisch-ethischer Perspektive, in: ebd., 193–215; Winfried Aymans, Sakramentale Ehe. Ein Plädoyer für eine Neubesinnung auf den religiösen Sinn des kirchlichen Ehrverständnisses – Ein Zwischenruf zu den Bischofssynoden 2014/2015, in: AfkKR 183 (2014) 123–130; Andreas Wollbold, Pastoral mit wiederverheirateten. © Verlag Ferdinand Schöningh, 2019 | doi:10.30965/2589045X-1850205 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(2) 482. Rehak. Bischofssynoden der Jahre 2014 und 2015 über Ehe und Familie das Thema der wiederverheirateten Geschiedenen auf der Tagesordnung stand. In dem vorliegenden Beitrag soll es um einen eng begrenzten Ausschnitt aus dem dornenreichen und komplexen Problem der Wiederverheirateten gehen, nämlich um die Auslegung und Anwendung des c 915 CIC und damit um die aus der Perspektive des Kommunionspenders im Raum stehende Frage, wann, warum und mit welchem Recht die Kirche bestimmten Gläubigen die eucharistische Mahlgemeinschaft verweigert. Es geht so gesehen also nicht um die großen theologischen Streitfragen, die sich um das Thema wiederverheiratete Geschiedene ranken.2 Sondern es geht um eine Detailfrage der Pastoral, nämlich um die kanonistische Reflexionsfrage, ob die pastorale Wunschvorstellung des Gesetzgebers handwerklich einwandfrei gelöst und in einen problemlos anwendbaren normativen Text ausformuliert ist. In Erörterung dieser Frage gilt es, sich zunächst mit c. 916 und c. 915 des geltenden Kodex vertraut zu machen, um sodann eine außerhalb des Kodex, nämlich in dem von Papst Johannes Paul II. verfassten nachsynodalen Apostolischen Schreiben Familiaris Consortio aus dem Jahre 1981 geregelte Ausnahme, sowie die Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte zu c. 915 aus Geschiedenen – gordischer Knoten oder ungeahnte Möglichkeiten?, Regensburg 2015, 177–182. Ein längerer Exkurs hatte sich dem Problem des 7. Kanons des Konzils von Trient über die Ehe (DH 1807) gewidmet, vgl. dazu Piet Fransen, Ehescheidung bei Ehebruch. Die theologischen und geschichtlichen Hintergründe der ersten Stellungnahme zum 7. Kanon in der 24. Sitzung des Trienter Konzils, in: Scholastik 29 (1954) 537–560; ders., Ehescheidung bei Ehebruch. Die endgültige Fassung des 7. Kanons auf der 24. Sitzung des Trienter Konzils in ihren theologischen und geschichtlichen Gründen, in: Scholastik 30 (1955) 33–49; ders., Das Thema „Ehescheidung nach Ehebruch“ auf dem Konzil von Trient (1563), in: Concilium 6 (1970) 343–348; Theobald Freudenberger, Das Konzil von Trient und das Ehescheidungsrecht der Ostkirche, in: Ernst Christoph Suttner (Hg.), Wegzeichen. Festgabe zum 60. Geburtstag von Prof. Dr. Hermenegild M. Biedermann OSA, Würzburg 1971, 149–187; Bernhard Bruns, Der tridentinische Kanon über Ehescheidung und Wiederheirat im Fall von Ehebruch, in: Annuarium historiae conciliorum 6 (1974) 376–398; Hans Jorissen, Die Entscheidung des Konzils von Trient zu Ehescheidung und Wiederheirat und ihr Hintergrund, in: Theodor Schneider (Hg.), Geschieden, wiederverheiratet, abgewiesen?, Freiburg u.a. 1995, 112–126; Nicolás Álvarez de las Asturias Bohorques, Das Konzil von Trient und die Unauflöslichkeit der Ehe. Überlegungen zur Reichweite seiner Lehraussagen, in: Forum katholische Theologie 31 (2015) 81–101. 2 Zu denken wäre etwa an die exegetische Frage nach der Auslegung und dem Entwicklungspotenzial der matthäischen Porneia-Klausel, oder die dogmatischen Fragen nach der Möglichkeit oder Unmöglichkeit nichtsakramentaler Ehen unter Getauften sowie nach der Rolle des Glaubens für die Sakramentalität der Ehe; oder die große moraltheologische Streitfrage der Gegenwart, ob maßgebliches Kriterium für die sittliche Güte sexueller Aktivitäten das äußere Kriterium des Personenstands der Akteure – also ledig oder kirchlich gültig verheiratet – ist, oder vielleicht doch das innere Kriterium der Sexualität selbst und ihrer Auswirkungen auf die Beziehung der Akteure.. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(3) Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung. 483. dem Jahre 2000 kennenzulernen. Anschließend soll geprüft werden, welche Impulse sich dem nachsynodalen Apostolischen Schreiben Amoris Laetitia von Papst Franziskus, veröffentlicht im April 2016, entnehmen lassen. I. Zum Regelungsgehalt der cc. 915, 916 CIC. Über die kirchliche Disziplin in Sachen Gewährung und Verweigerung der Kommunion geben in erster Linie c. 915 und c. 916 des Kodex des kanonischen Rechts Auskunft.3 Die Norm des c. 916 CIC hat einen zweifachen Adressatenkreis; sie wendet sich zum einen an den Zelebranten der Eucharistiefeier; sie richtet sich aber auch an jeden Gläubigen, welcher die Kommunion empfangen möchte und lautet insoweit: Wer sich einer schweren Sünde bewusst ist, darf ohne vorherige sakramentale Beichte […] nicht den Leib des Herrn empfangen, außer es liegt ein schwerwiegender Grund vor und es besteht keine Gelegenheit zur Beichte; in diesem Fall muss er sich der Verpflichtung bewusst sein, einen Akt der vollkommenen Reue zu erwecken, der den Vorsatz miteinschließt, sobald wie möglich zu beichten.4 3 Über die (sakramenten-)theologische Lehre in Sachen Gewährung und Verweigerung der Kommunion wäre zu sagen, dass diese in Bezug auf Sünder von einer gewissen Ambivalenz gekennzeichnet ist: Jenen, die eine lässliche Sünde begangen haben, empfiehlt die Kirche den Empfang der Eucharistie als Heilmittel, vgl. statt anderer DH 1638; 3375; 3381; sowie, unter Verweis auf Ambrosius und Kyrill von Alexandrien, unlängst Franziskus, Apostolisches Schreiben Evangelii gaudium vom 24. 11. 2013, Nr. 47, dt. in: VApSt 194, 40: „Die Eucharistie ist, obwohl sie die Fülle des sakramentalen Lebens darstellt, nicht eine Belohnung für die Vollkommenen, sondern ein großzügiges Heilmittel und eine Nahrung für die Schwachen“. Jenen, die eine Todsünde begangen und diese noch nicht gebeichtet haben, verbietet die Kirche hingegen den Empfang der Eucharistie, vgl. statt anderer DH 1647; 1661; 3381. Ein zwar theoretisch gelöstes (vgl. dazu etwa KKK 1854–1863), aber dennoch praktisch schwieriges Problem ist angesichts der eben beschriebenen Ambivalenz die rechte Abgrenzung zwischen Tod- und lässlichen Sünden. Die kirchliche Praxis vergangener Epochen hat aus der hieraus resultierenden pastoralen Not eine spirituelle Tugend gemacht und die häufige und regelmäßige Andachtsbeichte empfohlen, um so „auf Nummer sicher“ zu gehen (vgl. dazu auch c. 988 § 2 CIC). Ferner hatte – in Auseinandersetzung mit dem Rigorismus der Jansenisten – die Kirche versucht, etwa mit S. Congregatio Concilii, Dekret Cum ad aures vom 12. 2. 1679, in: DH 2090–2095, die Entscheidung über den Kommunionempfang vom Gewissen der Gläubigen weg hin zum Rat ihrer Beichtväter zu verlagern. 4 An dieser Stelle im Anschluss an Johann Auer ein Wort zu Sinn und Unsinn der Diskussion um die Geistige Kommunion für die Wiederverheirateten: Auer, Geistige Kommunion (wie Anm. 1), 119, fasst die geschichtliche Entwicklung des Konzepts bis zum Tridentinum so zusammen: „Man unterscheidet die bloß sakramentale Kommunion, unter der man die. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016)Downloaded 481–502from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(4) 484. Rehak. Die Norm des c. 915 CIC hat den Kommunionspender zum Adressaten und lautet wie folgt: Zur heiligen Kommunion dürfen nicht zugelassen werden Exkommunizierte und Interdizierte nach Verhängung oder Feststellung der Strafe sowie andere, die hartnäckig in einer offenkundigen schweren Sünde verharren. Die Norm des c. 915 CIC führt dabei die Regelung aus can. 855 § 1 CIC/1917 fort, gemäß der offenkundig infame Personen vom Kommunionempfang abzuhalten waren. II. Zur Rechtslage gemäß CIC/1917. Um den alten can. 855 CIC/19175 richtig zu verstehen, genügt es nun allerdings nicht, etwa die Kommentierung bei Heribert Jone zu konsultieren, der mit unwürdige und unfruchtbare Kommunion verstand, die bloß geistige Kommunion, worunter man den vollen Anteil an den Opferfrüchten durch Glauben und Sehnsucht und Liebe zum eucharistischen Christus faßte, und die sakramentale und zugleich geistige Kommunion, womit man die würdige und fruchtbare sakramentale Kommunion meinte.“ Die inneren Voraussetzungen einer geistigen Kommunion setzt Auer, a.a.O., 123 f., sehr hoch an: „Die geistige Kommunion ist angebracht für alle, die im Stande der Todsünde sind und einer heiligen Messe beiwohnen, […]. Sie gibt die Möglichkeit einer wirklichen und fruchtbaren Teilhabe am heiligen Meßopfer auch für den Sünder. Doch wäre es untragbar, die geistige Kommunion auf diesen Fall einzuschränken oder darin auch nur ihren Hauptsinn zu sehen. Im Gegenteil ist zu diesem Fall, wo das klare Gewissensurteil einer schweren Sünde vorliegt, zu sagen, daß hier die Gewissenspflicht vorliegt, so bald als möglich über das Bußgericht der Kirche sich um den Gnadenstand zu bemühen. Die geistige Kommunion wäre nur angebracht, wenn und solange die Beichte nicht möglich ist. Selbstverständlich ist aufrichtige (wenn möglich vollkommene) Reue vorausgesetzt, soll es überhaupt zu einer geistigen Kommunion kommen. Der Mensch, der bewußt an der schweren Sünde festhält, der nicht zu einer seelischen Haltung kommt, die zur Reue gehört, wird erst recht nicht zu einer seelischen Haltung finden, die Voraussetzung für die geistige Kommunion ist.“ Folgt man dieser Auffassung, so bedeutet dies: Wer wahrhaft geistig kommunizieren kann, ist sich entweder keiner schweren Sünde bewusst oder hat zumindest einen Akt der vollkommenen, d.h. der aus Liebe zu Gott motivierten Reue erweckt, so dass er gemäß c. 916 CIC durchaus auch physisch-sakramental kommunizieren könnte. Die Problematik der Wiederverheirateten lässt sich damit auf die Frage fokussieren, ob sie das Geschehene aufrichtig bereuen können, ohne dafür die neue Beziehung bzw. die dort gelebte Sexualität aufzugeben. 5 Vgl. dazu can. 855 § 1 CIC/1917 in eigener Übersetzung: „Abzuhalten vom Eucharistieempfang sind öffentlich unwürdige Personen, worunter Exkommunizierte, Interdizierte, sowie. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(5) Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung. 485. einer wohl durchaus zeitbedingten Diktion und Weltsicht ausführt: „Offenbar infam sind z. B. öffentliche Dirnen, Konkubinarier, nicht aber alle Liberalen und alle Sozialdemokraten, weil sich nicht alle Mitläufer auch zu den falschen Grundsätzen ihrer Partei bekennen, und weil bei manchen auch der gute Glaube vorhanden ist.“6 Vielmehr muss man wissen, dass der Kodex von 1917 die Sühnestrafe der Infamie, d.h. der kirchlichen Ehrlosigkeit kannte.7 Diese Sühnestrafe wurde unter anderem dadurch automatisch verwirkt, dass man die kirchliche Straftat der Bigamie beging, d. h. die Straftat der versuchten neuerlichen Eheschließung zu Lebzeiten des kirchlich gültig angetrauten Gatten.8 Auf diese Weise wurde also das Verbot der Kommunionspendung an den Sachverhalt einer versuchten zweiten Eheschließung angeknüpft, wenn und weil die hierdurch zugezogene Strafe der Infamie offenkundig war. Dies wiederum war immer dann der Fall, wenn die versuchte Eheschließung selbst offenkundig war.9 Die Frage, ob die neue Eheschließung, vom moraltheologischen offensichtlich Infame zu verstehen sind, es sei denn, dass ihre Buße und Besserung feststeht und sie zuvor Genugtuung für das von ihnen erregte öffentliche Ärgernis geleistet haben.“ 6  H eribert Jone, Gesetzbuch der lateinischen Kirche. Erklärung der Kanones, Bd. 2, Paderborn 21952, 104. 7 Vgl. dazu can. 2291 Nr. 4; 2293; 2294; 2295 CIC/1917. 8 Vgl. dazu can. 2356 CIC/1917 in eigener Übersetzung: „Bigamisten, d. h. Personen, die – obwohl durch ein bestehendes Eheband gehindert – versucht haben, eine neue Ehe, und sei es auch nur eine Ehe nach bürgerlichem Recht, zu schließen, sind ohne weiteres infam; und wenn sie, trotz Ermahnung des Ordinarius, weiterhin in der unerlaubten nichtehelichen Lebensgemeinschaft verharren, sollen sie je nach der unterschiedlichen Schwere des Falles exkommuniziert werden oder ein personales Interdikt über sie verhängt werden.“ Die Strafnorm diente dabei ersichtlich nicht nur dem Schutz der Ehe als tatsächlicher Lebensgemeinschaft, sondern auch dem Schutz der Ehe als Sakrament. Kaum zufällig wird das Eheband ausdrücklich erwähnt. Wegen dieser sakramententheologischen Verknüpfung hat die Situation der Wiederverheirateten auch eine besondere Qualität gegenüber anderen bislang so genannten irregulären Situationen, in denen also sexuelle Aktivitäten außerhalb einer kirchlich gültigen Ehe stattfinden. Dies kann im Einzelfall zu Ungleichbehandlungen führen, die auf der Ebene einer rein ethischen Betrachtung kaum einsichtig zu machen sind: Denn in Bezug auf einen Kommunionausschluss nach c. 915 CIC kann es denkbarer Weise passieren, dass ein Partner, der durch aktiven Ehebruch das Scheitern einer Ehe ausgelöst hat und anschließend nicht nochmals heiratet, besser dasteht als der unschuldige Teil, der danach eine zweite zivile Ehe schließt. 9  H eribert Hallermann, Abgewiesen – geduldet – eingeladen? Zur Rechtsstellung von geschieden und zivil wiederverheirateten Katholiken, in: Dominik Burkard (Hg.), Die christliche Ehe – erstrebt, erlebt, erledigt? Fragen und Beiträge zur aktuellen Diskussion im Katholizismus, Würzburg 2016, 183–216, hier 190 f., hat die Anwendbarkeit des can. 855 CIC/1917 auf Bigamisten generell mit der Erwägung ausgeschlossen, es hätten dazu die Tatstrafe, die sich der Bigamist zugezogen hat, sowie die Fortdauer des illegitimen Verhältnisses und gegebenenfalls die bei hartnäckiger Widersetzlichkeit vom Ordinarius verhängte Exkommunikation. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016)Downloaded 481–502from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(6) 486. Rehak. Standpunkt aus betrachtet, zugleich eine schwere Sünde darstellte, spielte für das schlussendliche Ergebnis – Verbot der Kommunionspendung – keine Rolle. Erhellend war außerdem die Norm des can. 855 § 2 CIC/1917, in der differenziert geregelt war, in welchen Konstellationen die Spendung der Kommunion an einen geheimen Sünder – dessen Sünde (nicht Straftat oder kirchliche Ehrlosigkeit) also nicht offenkundig, wohl aber dem Kommunionspender bekannt war – gestattet bzw. verboten war. Wollte ein geheimer Sünder unter Ausschluss der Öffentlichkeit die Kommunion empfangen, so war sie ihm zu verweigern. Eine „Ausnahme“ bestand freilich immer dann, wenn die Sünde des Kommunionempfängers dem Kommunionspender nur aufgrund einer Beichte bekannt gewesen wäre, da der kommunionspendende Beichtvater von diesem seinem Beichtwissen nicht außerhalb der Beichte Gebrauch machen konnte. Die Kommunionspendung an einen geheimen Sünder war hingegen dann erlaubt, wenn der Sünder in der Öffentlichkeit um die Kommunionspendung bat. Das ausschlaggebende Argument hierfür war, dass der Kommunionspender die Erregung von Ärgernis zu vermeiden hatte; und zwar insbesondere Ärgernis bei unbeteiligten Gläubigen, die sich als Zeugen einer solchen Kommunionverweigerung hätten Sorgen machen können, demnächst selbst ohne äußerlich erkennbaren Grund bei der Kommunionspendung übergangen zu werden. Can. 855 § 2 CIC/1917 setzte damit eine lange theologischkanonistische Tradition fort, als deren bedeutendste Vertreter hier nur Thomas von Aquin und Papst Benedikt XIV. genannt seien.10 Der CIC/1917 war also beim Thema Kommunionverweigerung in keiner Weise von einem moralischen Rigorismus geprägt, sondern statuierte eine in sich konsequente und konsistente Disziplin, bei der (nur und immer) öffentlich bekanntes Fehlverhalten öffentlich sichtbare Konsequenzen nach sich zog. Wie die Norm des can. 855 § 2 CIC/1917 belegt, wurde hingegen nicht die öffentlich bekannt sein müssen. Diese Auslegung des alten Kodex erscheint zweifelhaft. Es gibt nämlich keinen Rechtssatz, wonach Strafen latae sententiae als solche bis zu ihrer eventuellen Feststellung nicht offenkundig sein könnten. Vielmehr kommt es zunächst einmal darauf an, ob der Sachverhalt, durch den die Strafe verwirkt wird, offenkundig ist oder nicht. Dies ist im Falle einer Eheschließung als tatsächlichem Anknüpfungspunkt für die Strafe prinzipiell möglich. In einem solchen Fall wäre dann als notwendige Konsequenz aus der Rechtslage auch die Infamie des Täters offenkundig, ohne dass es dazu noch einer förmlichen Feststellung der Strafe bedürfte. Zugleich spielt, sobald der Täter sich die Strafe zugezogen hat, es auch keine Rolle mehr, ob er die illegitime Beziehung fortsetzt oder nicht; entscheidend wird vielmehr, ob die Strafe erlassen wird oder nicht. 10 Vgl. Thomas von Aquin, Summa Theologiae, pars 3, qu. 80, art. 6; Benedikt XIV., Rundschreiben Ex omnibus vom 16. 10. 1756, in: S. D. N. Benedicti Papae XIV. Bullarium, Bd. 4, Rom 1762, 208–210, hier 209 (§ 9).. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(7) Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung. 487. Linie verfochten, dass Sünder in ihrem wohlverstandenen eigenen Interesse (ewiges Seelenheil) kategorisch vom Kommunionempfang auszuschließen seien; vielmehr wurde eine Kompromisslösung zwischen den widerstreitenden Interessen (Heilssorge und Vermeidung von Ärgernis) gefunden, mit der auf typische Situationen differenziert reagiert werden konnte. Soweit es um wiederverheiratete Geschiedene ging, knüpfte ein Verbot der Kommunionspendung letztlich an die Tatsache an, dass die zweite Eheschließung als solche (gegebenenfalls) offenkundig war. III. Die normative Logik des c. 915 CIC und die Einwände gegen seine praktische Anwendbarkeit. Was ist nun aber der Telos, also das Ziel des heute geltenden c. 915; was die Methode zur Erreichung des Ziels; und was ist also kurz gesagt die innere Logik dieser Norm? C. 915 pickt aus der großen Schar der Sünder in der Kirche einige heraus, die proaktiv – nämlich indem dem Kommunionspender untersagt wird, ihnen die Kommunion zu reichen – von der eucharistischen Mahlgemeinschaft ferngehalten werden sollen. Das zentrale Kriterium ist dabei die Offenkundigkeit der Tatsache, dass die fraglichen Personen reuelose Sünder sind.11 Diese Normlogik ist intuitiv einsichtig: Wenn jemand sich öffentlich erkennbar von der Kirche und ihren Lehren entfernt und danach noch nicht mit Gott und der Kirche versöhnt hat, dann wäre es ein innerer Widerspruch, wenn diese Person am eucharistischen Mahl als dem intimen Ausdruck der kirchlichen 11 Dabei generiert erst der Aspekt der mangelnden Reue das spezifische Problem der wiederverheirateten Geschiedenen. Denn nach traditioneller Auffassung indiziert das Festhalten an der neuen Beziehung die Reuelosigkeit der Betroffenen in Bezug auf die Nicht-Fortsetzung der ersten Ehe. In der Folge wird die Beendigung der neuen Beziehung als vom Grundsatz her unabdingbare Voraussetzung dafür angesehen, dass die Schuld, die der Einzelne im Zusammenhang mit dem Scheitern seiner ersten Ehe gegebenenfalls auf sich geladen hat, in einer sakramentalen Beichte vergebbar wird. Diese moraltheologische Dogmatik bringen cc. 980, 987 CIC so auf den Punkt: Ein Aufschub oder eine Verweigerung der Absolution kommt grundsätzlich (Ausnahme: c. 982 CIC) nur dann in Betracht, wenn der Beichtvater Zweifel an der rechten Disposition seines Beichtkinds hat. Die rechte Disposition allerdings schließt Reue und Vorsatz der Besserung in sich ein.  Eine zentrale Herausforderung für die theologische Nachbereitung bestimmter Spitzenaussagen von Amoris laetitia besteht von daher darin, neues Licht darüber zu verbreiten, dass und warum es theologisch möglich ist, die eigene Schuld am Scheitern einer Ehe zu bereuen und in Bezug auf einen etwaigen fortgesetzten Bruch der gescheiterten Ehe auch dann einen eigenen Besserungsvorsatz zu haben, wenn man nicht sexuelle Enthaltsamkeit in der neuen Beziehung verspricht. Videant moralistae!. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016)Downloaded 481–502from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(8) 488. Rehak. Gemeinschaft teilnähme. Die Offenkundigkeit des Daseins als Sünder kann sich dabei zum einen daraus ergeben, dass die fragliche Person eine Sünde begangen hat, die so schwer ist, dass sie zugleich als eine Straftat des kirchlichen Rechts geahndet wird und dort die Beugestrafen der Exkommunikation oder des Interdikts nach sich zieht. Dies gilt allerdings nur dann, wenn wegen der fraglichen Straftat auch ein kirchliches Strafverfahren geführt wurde und dabei die Beugestrafe verhängt oder festgestellt worden ist. Zum anderen werden sodann jene Sünder den mit einer kirchlichen Beugestrafe belegten Straftätern gleichgestellt, die hartnäckig in einer schweren Sünde verharren, wenn und weil dieser Sachverhalt offenkundig ist. Man wird einräumen müssen, dass mit dieser Umschreibung seit jeher auch und besonders die wiederverheirateten Geschiedenen in den Blick genommen werden sollten.12 Denn – um es mit den Worten Papst Johannes Pauls II. aus dem schon erwähnten Lehrschreiben Familiaris Consortio zu sagen – „ihr Lebensstand und ihre Lebensverhältnisse stehen in objektivem Widerspruch zu jenem Bund der Liebe zwischen Christus und der Kirche, den die Eucharistie sichtbar und gegenwärtig macht.“13 Es steht jedoch einem Gläubigen nicht wie ein Kainsmal auf die Stirn geschrieben, ob er bei bestehendem Eheband eine weitere, rein zivile Ehe geschlossen hat. Von daher resultierte ein erster Einwand gegen die Praktikabilität des c. 915 CIC daraus, dass der Kommunionspender einen genauen Einblick in die persönlichen Lebensverhältnisse der Kommuniongänger haben müsse, um zu wissen, wer erneut zivil geheiratet hat, obwohl der Ehegatte aus erster Ehe noch lebt. In früheren Zeiten war die Pfarrseelsorge gekennzeichnet durch Pfarreien von überschaubarer Größe; Pfarrer, die oft jahrzehntelang in ein- und derselben Pfarrei blieben; und eine geringere Mobilität der Gläubigen sowie wegen des so genannten Pfarrzwangs auch eine geringere Fluktuation über die Pfarreigrenzen hinweg. In früheren Zeiten mag daher ein Einblick in die persönlichen Lebensverhältnisse leicht möglich gewesen sein. Doch die Voraussetzungen und Kontexte der pfarrerlichen Seelsorge haben sich zur Gegenwart hin gravierend verändert. Ein zweiter Einwand setzte bei der Frage nach der Sünde an, die von den Wiederverheirateten begangen sein sollte. Dazu wurde problematisiert, worin genau die persönlich vorwerfbare Schuld etwa in jenen denkbaren Einzelfällen liegen sollte, in denen die Betroffenen in erster Ehe schuldlos verlassen 12 Vgl. dazu auch Communicationes 15 (1983) 194 zu c. 867 SchemaCIC1980: „Certo certius textus respicit etiam divortiatos et renuptiatos.“ 13 Johannes Paul II., Apostolisches Mahnschreiben Familiaris Consortio vom 22. 11. 1981, in: AAS 74 (1982) 92–149, hier in dt. Übersetzung zitiert aus VApSt 33, 138 (Nr. 84).. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(9) Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung. 489. wurden und sich die neue Ehe gleichsam einer Verkettung unglücklicher Umstände verdankte, so dass man den Willensakt der erneuten Eheschließung nur schwerlich als eine absichtliche Auflehnung gegen die Gebote Gottes und der Kirche deuten konnte. Dazu wurden ferner jene denkbaren Einzelfälle problematisiert, in denen die erste Ehe objektiv ungültig war, dies jedoch mangels hinreichender Beweise in einem Ehenichtigkeitsverfahren nicht für den äußeren Bereich nachgewiesen werden konnte. IV. Die Ausnahme gemäß Familiaris Consortio, Nr. 84. Ein weiteres Problem in der Auslegung und Anwendung von c. 915 war schließlich darin zu sehen, dass es seit jeher eine außerhalb des kodikarischen Rechts geregelte Ausnahme vom strikten Verbot der Kommunionspendung an wiederverheiratete Geschiedene gab. Denn Papst Johannes Paul II. hatte in seinem nachsynodalen Apostolischen Schreiben Familiaris Consortio unter Nr. 84 erklärt, dass die Versöhnung wiederverheirateter Geschiedener im Sakrament der Buße, nebst nachfolgender Zulassung zur Kommunion, solchen Gläubigen, die an der neuen Beziehung und der neuen zivilen Ehe festhalten, ausnahmsweise dann gewährt werden könne, wenn sie sich verpflichten, völlig enthaltsam zu leben, das heißt, sich der Akte zu enthalten, welche Eheleuten vorbehalten sind14. Das heißt im Klartext: Die Sünde, die durch den Bruch der alten Ehe und/oder das Eingehen einer neuen Ehe zu Lebzeiten des alten Gatten begangen wurde, wird auch ohne vollständige Lösung der neuen Verbindung dann vergebbar, wenn die Partner in der neuen Beziehung nicht geschlechtlich miteinander verkehren. Diese Lehre ist problematisch.15 Die in der Diskussion in den Vordergrund gerückte Frage, ob es richtig sein kann, solche Personen, denen das Charisma der Ehelosigkeit nicht gegeben ist, zu asketischen Höchstleistungen aufzufordern, sei hier nicht weiter vertieft. Lediglich der Vollständigkeit halber sei angemerkt, dass sich Papst Franziskus in Anmerkung 329 seines nachsynodalen 14 Johannes Paul II., Apostolisches Mahnschreiben Familiaris Consortio vom 22. 11. 1981, in: AAS 74 (1982) 92–149, hier in dt. Übersetzung zitiert aus VApSt 33, 138 (Nr. 84). 15 Milder im Urteil Dietmar Kretz, Freiheit und Liebe – eine Signatur des Ehesakraments, in: Burkard (Hg.), Christliche Ehe (wie Anm. 9), 135–157, hier 150: „Papst Johannes Paul II. hat in Familiaris consortio im Umgang mit den wiederverheiratet Geschiedenen und der theologischen Bewertung einen dogmatischen Fortschritt getan.“. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016)Downloaded 481–502from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(10) 490. Rehak. Apostolischen Schreibens Amoris Laetitia kritisch zu dieser Thematik geäußert hat.16 Das theologische Problem der „Bruder und Schwester“-Klausel von Familiaris consortio besteht zuerst und vor allem darin, dass hier an jenes vorkonziliare Eheverständnis angeknüpft wird, welches die Ehe als einen Vertrag der Ehegatten auffasste. Der zentrale Inhalt dieses Vertrages war das ius in corpus, also die exklusive Verpflichtung, seinen eigenen Leib ausschließlich dem Ehepartner und ausschließlich zum Zwecke der gemeinschaftlichen Zeugung von Kindern zur Verfügung zu stellen.17 Diese Verpflichtung bzw. dieses Recht des anderen Ehegatten soll – so die Logik von Familiaris consortio – dann nicht mehr verletzt sein, wenn und weil der Wiederverheiratete verspricht, seinen Leib dem neuen Partner nicht mehr zum Zwecke des geschlechtlichen Verkehrs zur Verfügung zu stellen. Diese Logik ist in zweifacher Hinsicht zu kritisieren: Erstens begnügt sie sich damit, dass in einer keuschen Außenbeziehung des einen Ehegatten zwar wenigstens das Recht des anderen Ehegatten nicht durch faktisches Tun negiert wird; blendet aber aus, dass damit dieses Recht des anderen Ehegatten noch lange nicht positiv erfüllt wird.18 Es wird also mit anderen Worten hingenommen, dass der verlassene Ehegatte gegebenenfalls einsam, unbefriedigt und kinderlos zurückbleibt. Und zweitens wird damit sowohl die erste Ehe als auch die neue Beziehung auf den darin möglicherweise ausgeübten Geschlechtsverkehr reduziert. Dies jedoch entspricht in keiner Weise der 16 Vgl. Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia vom 19. 3. 2016, in dt. Übersetzung in: VApSt 204, hier 211 mit Anm. 329. Ähnlich bereits 1 Kor 7,5.9; ferner Gerhard Ludwig Müller, Unauflöslichkeit der Ehe – Scheidung – Wiederheirat, in: MThZ 42 (1991) 45–68, hier: 67: „Man wird unter gegebenen Voraussetzungen dieser Zweitverbindung einen echten Ehewillen nicht absprechen können, aus dem man auch die sexuelle Gemeinschaft nicht einfach ausklammern muß, zumal sie eben von den meisten Menschen nicht eingehalten werden kann und auch nicht apriori verlangt werden muß. Das Verhalten vieler alter Kirchenväter und auch die Nichtverurteilung dieser pastoralen Praxis durch das Konzil von Trient läßt der Kirche durchaus die Option offen, diese Zweitehen um der Verhinderung ‚eines größeren Übels willen‘ (in den verschiedenen Formen des Sozialen und Psychologischen) gleichsam als eine Not wendende Lösung zu tolerieren. Es wird hier nicht eine allgemeingültige Regelung solcher möglichen Fälle von vornherein geben können. Dies schließt schon der Charakter dieser Zweitehen als einer Not-Lösung aus.“ 17 Diese Doktrin verfügt über eine profunde biblische Grundlage aus 1 Kor 7,3 f. 18 Mutatis mutandis begegnet hier erneut jene aus der Rechtsprechung der Römischen Rota bekannte, gewiss äußerst feinsinnige, aber vielleicht gerade deshalb leider auch nicht gut nachvollziehbare und weltfremde Auffassung, dass man in Bezug auf die eheliche Treue zwischen einem Nichtverpflichtungswillen (der die Einheit der Ehe und den sittlichen Wert der Treue unmittelbar leugnet) und einem Nichterfüllungswillen (d.h. der Mentalreservation punktueller Verstöße gegen die im Großen und Ganzen als Wert an sich und für einen selbst bejahte eheliche Treue) zu unterscheiden habe.. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(11) Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung. 491. Ehetheologie des Zweiten Vatikanischen Konzils, gemäß welcher die Ehe eine innige Gemeinschaft des Lebens und der Liebe ist (vgl. Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 48). Dieses konziliare Eheverständnis verpflichtet in integraler Weise auf das Wohl des anderen Ehegatten – weswegen allerdings eine so verstandene Ehe auch auf vielfältige andere Weise gebrochen werden kann, ohne dass es zu genitalem Sex mit einem neuen Partner kommen müsste. Aber auch für die Kanonistik und die Anwendbarkeit des c. 915 CIC ist die Keuschheitsklausel aus Familiaris Consortio problematisch. Denn der entscheidende offenkundige Anhaltspunkt dafür, dass man es mit Wiederverheirateten zu tun hat – nämlich die im öffentlichen Raum stattfindende standesamtliche Eheschließung – wird in ihrer Bedeutung relativiert und es kommt entscheidend auf die Frage eines eventuellen Geschlechtsverkehrs an, der jedoch, nach aller Lebenserfahrung, gerade nicht im öffentlichen Raum stattfindet. Und für den – um einen ebenso cleveren wie kasuistischen Einwand meiner Salzburger Studierenden aufzugreifen – eine eventuelle Schwangerschaft der Frau in der neuen Beziehung zwar ein gewichtiges Indiz darstellt, welches Indiz aber wiederum nicht mehr hinreicht, um den wiederverheirateten Partner in dieser Beziehung einfach so von der Kommunion auszuschließen. Denn erstens – um die Kasuistik auf die Spitze zu treiben – könnte man sich im Fall, dass der Mann der Wiederverheirate ist, auf den Standpunkt der alten römischen Rechtsweisheit zurückziehen: „mater semper certa, pater semper incertus“19. Und zweitens, pastoral und theologisch gehaltvoller: Der Kommunionspender muss mit der Möglichkeit rechnen, dass der oder die Wiederverheiratete zunächst ein Versprechen im Sinne von Familiaris consortio abgegeben hat; es dann zu einem, nennen wir es „Ausrutscher“ gekommen ist; und die hierdurch verwirkte aktuelle Schuld bereits Gegenstand einer neuerlichen Beichte war.20. 19 Frei übersetzt: Man sieht es einer Schwangeren nicht an, wer der Vater des Kindes ist. 20 Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 13), Nr. 311 mit Anm. 364 = VApSt 204, 224, erklärt in diesem Zusammenhang, dass hinsichtlich des für die Beichte erforderlichen Besserungsvorsatzes „die Vorhersehbarkeit eines neuen Fallens der Echtheit des Vorsatzes keinen Abbruch“ tue. Damit bezieht er sich auf Johannes Paul II., Lettera al Cardinale William W. Baum ed ai partecipanti al corso annuale sul foro interno organizzato dalla penitenzieria apostolica, in: Insegnamenti 19,1 (1996) 585–590, hier: 589: „Conviene peraltro ricordare che altro è l’esistenza del sincero proponimento, altro il giudizio dell’intelligenza circa il futuro: è infatti possibile che, pur nella lealtà del proposito di non più peccare, l’esperienza del passato e la coscienza dell’attuale debolezza destino il timore di nuove cadute; ma ciò non pregiudica l’autenticità del proposito, quando a quel timore sia unita la volontà, suffragata dalla preghiera, di fare ciò che è possibile per evitare la colpa.“. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016)Downloaded 481–502from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(12) 492 V. Rehak. Die Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 24. Juni 2000. Der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte sah sich daher im Jahre 2000 dazu aufgerufen, zu den kursierenden Anfragen und Zweifeln in Bezug auf c. 915 CIC Stellung zu nehmen. In seiner Erklärung wies er unter anderem darauf hin, dass es der Kirche zum Schaden gereiche, wenn Personen, deren Unwürdigkeit öffentlich bekannt ist, die Eucharistie gereicht würde.21 Dabei wurden wiederverheiratete Geschiedene als doppelt unwürdig angesehen, weil sie erstens das Ehesakrament missachteten und zweitens, offenbar infolge eines verformten Gewissens, sodann auch noch das Eucharistiesakrament missachten wollten. Der Päpstliche Rat bekräftigte sodann, dass solche Interpretationen des Kanons, die der Norm ihre Anwendbarkeit auf die Wiederverheirateten rauben, als Bruch mit der kirchlichen Tradition in dieser Frage unzulässig seien. Dazu wurde erläutert, dass der Begriff der „schweren Sünde“ in c. 915 CIC in einem objektiven Sinn zu verstehen sei, „denn die subjektive Anrechenbarkeit kann der Kommunionspender nicht beurteilen.“22 Im sonstigen fachsprachlichen Gebrauch sind unter schweren oder Todsünden jene Sünden zu verstehen, die im objektiven Bereich eine schwerwiegende Materie zum Gegenstand haben – mit denen also, vereinfacht gesagt, gegen die zehn Gebote des Dekalogs verstoßen wird – und die im subjektiven Bereich mit vollem Bewusstsein und bedachter Zustimmung begangen werden. Abweichend hiervon statuiert der Rat in seiner Erklärung also einen speziellen Sündenbegriff, bei dem es allein auf die Schwere der Materie ankommt. Oder anders gesagt: Der Rat konfiguriert hier die Rechtsfigur des rechtlich anzunehmenden Sünders. Dabei gilt als ausgemacht, dass das Eingehen einer zweiten Ehe 21 Vgl. Päpstlicher Rat für die Interpretation von Gesetzestexten, Erklärung über die Kommunion für wiederverheiratete Geschiedene vom 24. 6. 2000, mit dt. Übersetzung, in: AfkKR 169 (2000) 135–138; Franz Kalde (Hg.), Authentische Interpretationen zum Codex Iuris Canonici II (1995–2005), Metten 2007, 18–27. 22 Päpstlicher Rat für die Interpretation von Gesetzestexten, Erklärung (wie Anm. 21), Nr. 2, 137 bzw. 23. Diese Interpretationsmöglichkeit hatte bereits Heribert Schmitz, Taufe, Firmung, Eucharistie. Die Sakramente der Initiation und ihre Rechtsfolgen in der Sicht des CIC von 1983, in: AfkKR 152 (1983) 369–407, hier 401, diskutiert und zurückgewiesen; denn zum einen deute die Genese der Norm auf einen anderen Sinn der Formel von der „offenkundig schweren Sünde“ hin, und zum anderen sei die subjektive Haltung so oder so spätestens bei der Frage nach der Hartnäckigkeit des Verharrens zu berücksichtigen. Von Letzterem könne nur dann die Rede sein, wenn die schwer sündhafte Lebensweise „trotz Hinweis und Ermahnung mit unveränderter Entschlossenheit, bewußt und willentlich, vorsätzlich und ohne jeden Entschuldigungsgrund beibehalten und nicht aufgeben“ wird (ebd., 401 u. 403 f.).. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(13) Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung. 493. zu Lebzeiten des ersten Gatten eine Verletzung des sechsten Gebots bedeutet, die – solange die neue Verbindung fortdauert – auch ein hartnäckiges Verharren in der Sünde dokumentiert.23 Das Problem, dass Familiaris Consortio den Anknüpfungspunkt für die Kommunionverweigerung von der zweiten Eheschließung weg und zum Geschlechtsverkehr in der neuen Beziehung hin verlagert, versuchte der Päpstliche Rat mit der zusätzlichen Verpflichtung für alle keusch lebenden Wiederverheirateten zu lösen, nur dann zur Kommunion zu gehen, wenn dadurch kein Ärgernis erregt wird. Denn die Tatsache eines Zusammenlebens wie Bruder und Schwester sei naturgemäß den übrigen Gläubigen verborgen, nicht jedoch ihre Lebenssituation als Wiederverheiratete. VI. Kritik und Zwischenergebnis. Ob mit diesen Erklärungen die Anwendungsprobleme des c. 915 CIC wirklich gelöst und der insgeheime Normzweck erreicht war, die Spendung der Kommunion an die Wiederverheirateten zu unterbinden, sei dahingestellt. In 23 Im Einzelnen bestimmt Päpstlicher Rat für die Interpretation von Gesetzestexten, Erklärung (wie Anm. 21), Nr. 2, 137 bzw. 23 f., die genaue Bedeutung und den Sinn der Formel „hartnäckig in einer offenkundigen Sünde verharren“ in drei Stufen, die augenscheinlich aufeinander aufbauen.  Auf der ersten Stufe ist von einer „Sünde im objektiven Sinn“ die Rede, vgl. a.a.O., lit. a). Damit soll – unter Ausklammerung subjektiver Komponenten, um die nur das handelnde Subjekt weiß und wissen kann – ersichtlich das äußere Geschehen bezeichnet sein, wie es für einen Dritten, d. h. konkret den Kommunionspender, wahrnehmbar ist. Das äußere Geschehen umfasst dabei zum einen die menschliche Handlung, durch die eine Sünde begangen wird, als solche; sie muss aber auch die Qualifikation als sündhaft umfassen, d. h. der Dritte muss erkennen können, dass die Handlung im Gegensatz zu einer Tugend oder im Widerspruch zu einem Gebot steht (vgl. dazu KKK 1751).  Auf der zweiten Stufe wird augenscheinlich der Begriff der „Sünde im objektiven Sinn“ mit dem Terminus der „objektiven Situation der Sünde“ gleichgesetzt und sodann der Begriff des hartnäckigen Verharrens definiert. Dieses liegt dann vor, wenn die besagte Situation in der Zeit fortdauert, ohne dass der Sünder sich um Abhilfe bemüht.  Auf der dritten Stufe, in der es um die Offenkundigkeit geht, ist dann von einer „Situation der schweren habituellen Sünde“ die Rede. Augenscheinlich ist damit die Synthese der Elemente der beiden ersten Stufen („objektive Situation der Sünde“ plus „zeitliche Fortdauer ohne Änderungsabsicht“) bezeichnet.  Zumindest näherungsweise entspricht damit der Begriff der „habituellen Sünde“, wie der Päpstliche Rat ihn in seiner Erklärung verwendet, dem Verständnis des nämlichen Begriffs in älteren Handbüchern der Moraltheologie; dort bezeichnet der Begriff der „habituellen Sünde“ in etwa der Zustand des Gesündigt-Habens und deshalb zu weiterem Sündigen besonders Geneigt-Seins.. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016)Downloaded 481–502from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(14) 494. Rehak. jüngerer Zeit hat vor allem der emeritierte Münsteraner Kirchenrechtler Klaus Lüdicke mit deutlichen Worten gegen die vom Päpstlichen Rat propagierte Lösung Einspruch erhoben, in c. 915 CIC mit einem speziellen Sündenbegriff zu operieren, der allein auf eine objektive Situation abstellt und nicht auch die Frage nach der subjektiven Anrechenbarkeit einbezieht.24 Mit Lüdicke wird man festhalten können: Nachdem ein Kommunionspender selbst dann, wenn er um die objektive Lebenssituation eines Wiederverheirateten weiß, noch nicht weiß und auch nicht wissen kann, ob die Betroffenen vielleicht ein Versprechen im Sinne von Familiaris consortio abgegeben haben, ist die Norm des c. 915 CIC für den Kommunionspender nicht sinnvoll anwendbar. Die Prüfung, wer zum Kommunionempfang würdig ist, ist vielmehr gemäß c. 916 CIC dem Gewissen der Gläubigen anheimgestellt. Dieses Gewissen gilt es zu stärken und zu schärfen – eingedenk des Schriftwortes 1 Kor 11,27–29: Wer also unwürdig von dem Brot isst und aus dem Kelch des Herrn trinkt, macht sich schuldig […]. Jeder soll sich selbst prüfen […]. Denn wer davon isst und trinkt, ohne zu bedenken, dass es der Leib des Herrn ist, der zieht sich das Gericht zu!25 Lüdicke wendet sich in seinem Beitrag also dagegen, die geltende kirchliche Disziplin so zu gestalten, dass durch eine zu engmaschige Auslegung des c. 915 CIC auch jene Personen als Sünder erfasst und wie Sünder behandelt werden, die sich an und für sich nichts vorzuwerfen haben (oder vielleicht besser formuliert: die – objektiv betrachtet – keine Todsünde begangen haben). Man könnte nun bei Lüdicke den Eindruck gewinnen, als versuche er in seinen Ausführungen die Frage zu überspielen, ob das theologische und kirchenrechtspolitische Interesse und Anliegen des c. 915 CIC, „echte“ Todsünder, sofern ihr Status offenkundig ist, vom Kommunionempfang fernzuhalten, nicht an und für sich berechtigt und eben nur c. 915 CIC zur Umsetzung dieses Interesses handwerklich schlecht ist.26 Um jedoch die Gegenfrage, welche alterna24 Vgl. Lüdicke, Barmherzigkeit? (wie Anm. 1). 25 Dies war auch der Ansatz des Konzils von Trient, vgl. DH 1646. 26 In diesem Zusammenhang erscheint zunächst einmal aus theologischer Sicht die Entscheidung des Gesetzgebers richtig, im CIC/1983 in dieser Frage auf (verurteilte Straftäter und) Sünder abzustellen, und nicht auf (verurteilte Straftäter und) offenkundig Infame. Denn auch wenn die Kategorie der kirchliche Ehrlosen durch das Strafrecht des CIC/1917 genau konkretisiert und so handhabbar gemacht worden war, bleibt dennoch Ehrlosigkeit im Ansatz eine Kategorie, die von einem vorausgehenden gesellschaftlichen Konsens abhängig erscheint und so im Wandel der Zeit Moden und Veränderungen unterworfen ist. Davon abgesehen ist die Entscheidung des Gesetzgebers im Kontext des CIC/1983. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(15) Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung. 495. tive Konzeption und Formulierung einen so definierten Normzweck besser zu Geltung bringen könnte, zu beantworten, müsste man eine Auflösung für die innere Aporie des c. 915 CIC finden: Wie kann eine Sünde offenkundig sein, wenn erst (regelmäßig nicht offenkundige) subjektive Komponenten aus einer bestimmten Handlung eine Sünde im theologischen Sinn machen?27 Mit Blick auf die generelle Diskussion um die Zulassung der Wiederverheirateten bzw. einzelner Wiederverheirateter zu den Sakramenten der Kirche wäre an dieser Stelle noch anzumerken, dass diese Diskussion bisweilen den fatalen Eindruck zu vermitteln vermag, die Sorge um das ewige Seelenheil dieser Personen beginne erst in dem Moment, in dem sie an die Kommunionbank hintreten. Es zählt wohl zu den Stärken und zum großen Anliegen des nachsynodalen Apostolischen Schreibens Amoris Laetitia, einen Aufbruch und Ausbruch aus dieser Fixierung einzufordern. VII. Zur Positionierung von Papst Franziskus im nachsynodalen Apostolischen Schreiben Amoris Laetitia vom 19. März 2016. In den vergangenen Jahrzehnten hat sich die Tradition herausgebildet, den Versammlungen der Bischofssynode päpstlicherseits ein nachsynodales Apostolisches Schreiben folgen zu lassen, welches gleichsam eine Synthese der auf auch alternativlos, weil hier das Konzept der kirchlichen Ehrlosigkeit aufgegeben wurde und es somit an einer diesbezüglichen Legaldefinitionen fehlt. 27 Der Päpstliche Rat für die Gesetzestexte, Erklärung vom 24. 6. 2000 (wie Anm. 21), hat hierzu als Lösung vorgeschlagen, dass die subjektive Komponente gleichsam durch das hartnäckige Verfahren in einer objektiven Situation der Sünde indiziert bzw. substituiert werde. Aber auch dies greift – jedenfalls im Lichte der Definition von Hartnäckigkeit, die Schmitz, Sakramente der Initiation (wie Anm. 22), vorgelegt hat – zu kurz: Denn um Hartnäckigkeit zu bejahen, genügt dem Päpstlichen Rat die zeitliche Fortdauer einer objektiven Situation der Sünde, sprich der neuen Beziehung eines Geschiedenen, ohne dass insoweit nach den Motiven des Geschiedenen und etwaigen Entschuldigungsgründen gefragt würde. So geraten erneut nur äußerlich wahrnehmbare Tatsachen in den Blick, die eine Widersetzlichkeit des inneren Willens zwar indizieren mögen, aber nicht sicher beweisen können.  Es hat so gesehen seine guten und tiefen Gründe, dass Sünden (anders als Straftaten) per modum accusationis, also im Wege der Selbstbezichtigung (vgl. c. 988 § 1 CIC), und nicht per modum inquisitionis, also dank entsprechender Nachfragen des Beichtvaters, angeklagt werden. Eine derartige Gesamtkonzeption der kirchlichen Lebenspraxis setzt freilich voraus, dass alle Beteiligten das Gewissen des Menschen als höchste moralische Instanz ernst nehmen, vgl. dazu Vat. II, Pastoralkonstitution Gaudium et spes, Nr. 16. Damit ist durchaus vereinbar, in jenen Fällen, in denen das Gewissen der Gläubigen trotz nachweislich schwerer Verfehlungen nicht anschlägt, mit den Mitteln des kirchlichen Strafrechts nachzuhelfen.. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016)Downloaded 481–502from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(16) 496. Rehak. der Bischofssynode gepflegten Beratungen bieten möchte. Würde man in textkritischen Vergleichen eine genaue Analyse der Entstehungsgeschichte des von Papst Franziskus nach den Bischofssynoden von 2014 und 2015 verfassten Lehrschreibens Amoris Laetitia unternehmen, so ließe sich vermutlich feststellen, dass das nachsynodale Schreiben beim Thema der Wiederverheirateten im Wesentlichen die Aussagen der relatio finalis, also des Schlussdokuments der Bischofssynode, übernimmt,28 wobei die relatio finalis ihrerseits stark vom Zwischenbericht des deutschen Sprachzirkels beeinflusst ist,29 welcher wiederum unter den Zwischenberichten der übrigen Zirkel in Sachen Problembewusstsein und theologischer Innovationskraft herausragt.30 Zugleich ist es wohl kein Zufall, dass auch der Kardinalerzbischof von Wien, Christoph Graf Schönborn, zu jenem vierköpfigen Team gezählt hat, das Amoris Laetitia bei der offiziellen Vorstellung des Schreibens am 8. April 2016 im Pressesaal des Vatikans der Öffentlichkeit präsentiert hat. Die pastorale Sorge um die nach ziviler Scheidung Wiederverheirateten wird in zwei Abschnitten von Amoris Laetitia angesprochen. Zunächst eher knapp in Nr. 243, wo es im Kontext der Nummern 241 bis 246 allgemein um die pastorale Herausforderung geht, das Scheitern der Ehen von Gläubigen zu begleiten.31 Danach bezieht sich das gesamte achte Kapitel, welches die Nummern 291 bis 312 umfasst, auf unsere Thematik.32 Dieses Kapitel ist unter die Zwischenüberschrift: „Die Zerbrechlichkeit begleiten, unterscheiden und eingliedern“ gestellt und nimmt neben den Wiederverheirateten auch sonstige Fallgruppen eheähnlicher Verbindungen in den Blick, die das christliche Eheideal nur graduell verwirklichen. Dabei ist es ein überdeutliches Anliegen des Papstes, dass diese Gläubigen, soweit es nur irgendwie möglich ist, in das kirchliche Leben integriert und nicht davon ausgegrenzt werden. Die Aussage: „Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung sind keineswegs exkommuniziert!“, stellt dabei kein wörtliches Zitat im strengen Sinn dar, sondern bietet 28 Die relatio finalis ist u. a. veröffentlicht in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Die Berufung und Sendung der Familie in Kirche und Welt von heute. Texte zur Bischofssynode 2015 und Dokumente der Deutschen Bischofskonferenz, (Arbeitshilfen 276), 136–230. 29 Der einschlägige Zwischenbericht ist u.a. veröffentlich in: Sekretariat der Deutschen Bischofskonferenz (Hg.), Texte zur Bischofssynode 2015 (wie Anm. 28), 127–135. 30 Alle einschlägigen Zwischenberichte sind veröffentlicht im Bulletin des Vatikanischen Pressesaales vom 21. 10. 2015, vgl. http://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/ pubblico/2015/10/21/0803/01782.html [21. 1. 2017]. 31 Vgl. Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 16), Nr. 243 = VApSt 204, 172. 32 Vgl. Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 16), Nr. 291–312 = VApSt 204, 205–225.. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(17) Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung. 497. die kompakte Formulierung eines Gedankens, den Papst Franziskus zuerst in der Generalaudienz vom 5. August 2015 ausgesprochen hatte.33 Der Gedanke begegnet in Amoris laetitia insgesamt dreimal, nämlich in den Nummern 243, 246 und 299, wobei als Quelle bald die besagte Generalaudienz, bald der Text der relatio finalis angegeben ist.34 Hieraus zieht Amoris laetitia freilich keine unmittelbaren rechtlichen Konsequenzen, sondern erklärt in Nr. 300, dass man den unterschiedlichen Einzelfällen kaum durch allgemeine Gesetze gerecht werden könne, weshalb man von der Synode auch „keine neue, auf alle Fälle anzuwendende generelle gesetzliche Regelung kanonischer Art erwarten durfte.“35 Obwohl jedoch dem Papst klar sein musste, dass die Integration der Wiederverheirateten in die Gemeinde ohne Zulassung zum Eucharistiesakrament notwendigerweise unvollständig bleibt, versucht Amoris laetita augenscheinlich eine Antwort auf die Frage zu vermeiden, ob Wiederverheiratete zu den Sakramenten der Buße und Eucharistie zugelassen werden können oder nicht. Das im Vorfeld des Bußsakraments angesiedelte Thema der Gewissenserforschung wird zwar ausführlich und anschaulich behandelt. Wie es jedoch nach einer solchen Gewissenserforschung und der Aufarbeitung der gescheiterten ersten Ehe unter geistlicher Begleitung für die Betroffenen weitergehen soll, bleibt zunächst einmal offen.36 Offen bleibt mit anderen Worten, ob Sünde und Schuld, die mit dem Scheitern einer Ehe und einer zweiten Eheschließung zu Lebzeiten des bisherigen Gatten einhergehen, vergeben werden können, ohne dass dazu – als unabdingbares äußeres Zeichen für Reue und Besserung – die neu eingegangene Beziehung gelöst werden muss. Der Papst warnt in diesem Zusammenhang freilich vor einer Doppelmoral und vor einer pastoralen Praxis, die den Eindruck erweckt, es könne „Ausnahmen“ vom kirchlichen 33 Vgl. Franziskus, Catechesi vom 5. 8. 2015. online publiziert: http://press.vatican.va/content/salastampa/it/bollettino/pubblico/2015/08/05/0600/01290.html [21. 1 2017], dt. Übersetzung in: OssRomDt 45 (2015), Nr. 34 vom 21. 8. 2015, 10.  Damit steht Papst Franziskus zugleich in Kontinuität mit der Lehre seines Amtsvorgängers, vgl. Benedikt XVI., Nachsynodales Apostolisches Schreiben Sacramentum caritatis vom 22. 2. 2007, in: AAS 99 (2007) 105–180, hier 129 (Nr. 29), nachstehend in dt. Übersetzung zitiert aus VApSt 174, 46: „Die wiederverheirateten Geschiedenen gehören jedoch trotz ihrer Situation weiter zur Kirche, die ihnen mit spezieller Aufmerksamkeit nachgeht, […]“. 34 Vgl. Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 16), Nr. 243 mit Anm. 261; Nr. 246 mit Anm. 270; 299 mit Anm. 334 = VApSt 204, 172; 174 f.; 212. 35 Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 16), Nr. 300 = VApSt 204, 213. 36 Vgl. Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 16), Nr. 300 = VApSt 204, 213 f.. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016)Downloaded 481–502from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(18) 498. Rehak. Gesetz geben, und zwar insbesondere dann, wenn diese Ausnahmen durch „Gefälligkeiten“ erkauft werden.37 Von großer Bedeutung sind an dieser Stelle nun allerdings die theologischen Klärungen zum Sündenbegriff, welche Papst Franziskus in Nummern 301 bis 303 von Amoris laetitia vornimmt. Der Papst ist in tatsächlicher Hinsicht davon überzeugt, dass sich in diesem oder jenem Einzelfall wiederverheiratete Geschiedene auf mildernde Bedingungen und Umstände berufen können. Er bezieht folgende Position: Daher ist es nicht mehr möglich zu behaupten, dass alle, die in irgendeiner sogenannten ‚irregulären‘ Situation leben, sich in einem Zustand der Todsünde befinden und die heiligmachende Gnade verloren haben.38 Dies wird sodann im Rückgriff auf den klassischen Sündenbegriff, der also neben der objektiven Komponente der schweren Materie auch die subjektive Komponente der frei gewollten und verstandesmäßig bewussten Auflehnung gegen die Gebote Gottes und der Kirche umfasst, näher begründet. Diese Überlegung wird mit einem Satz so zusammengefasst: Aus diesem Grund beinhaltet ein negatives Urteil über eine objektive Situation kein Urteil über die Anrechenbarkeit oder die Schuldhaftigkeit der betreffenden Person.39 Es entbehrt nicht einer gewissen Ironie, dass als Belegstelle hierfür ausgerechnet die vorhin besprochene Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte angegeben wird.40 Denn in der Erklärung des Rates dient diese Erwägung ja gerade dazu, die Anwendbarkeit des c. 915 CIC auf wiederverheiratete Geschiedene zu verteidigen. Dazu hatte der Rat argumentiert, dass jeder, der in einer objektiven Situation der Sünde lebt, schon deswegen gemäß der kirchlichen Disziplin wie ein Sünder zu behandeln ist; und zwar auch dann, wenn er sub specie aeternitatis doch kein Sünder sein sollte. Schon in der relatio. 37 Vgl. Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 16), Nr. 300 = VApSt 204, 214. 38 Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 16), Nr. 301 = VApSt 204, 215. 39 Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 16), Nr. 302 = VApSt 204, 216. 40 Vgl. Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 16), Nr. 302 mit Anm. 345 = VApSt 204, 216.. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(19) Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung. 499. finalis war der Päpstliche Rat hier gegen seine eigentliche Aussageabsicht zitiert worden. Der Papst fasst sodann in Nr. 305 von Amoris laetitia seine Überlegungen nochmals so zusammen: Aufgrund der Bedingtheiten oder mildernder Faktoren ist es möglich, dass man mitten in einer objektiven Situation der Sünde – die nicht subjektiv schuldhaft ist oder es zumindest nicht völlig ist – in der Gnade Gottes leben kann, dass man lieben kann und dass man auch im Leben der Gnade und der Liebe wachsen kann, wenn man dazu die Hilfe der Kirche bekommt.41 Die sich hieran anschließende Anmerkung 351 stellt klar, dass die „Hilfe der Kirche“ in gewissen Fällen auch die Sakramente der Buße und Eucharistie einschließt, dass es also denkbarer Weise Einzelfälle von Wiederverheirateten gibt, die nicht wie Bruder und Schwester zusammenleben und trotzdem zu den Sakramenten zugelassen werden können.42 41 Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 16), Nr. 305 = VApSt 204, 219. 42 Vgl. Franziskus, Nachsynodales Apostolisches Schreiben Amoris laetitia (wie Anm. 16), Nr. 305 mit Anm. 351 = VApSt 204, 219.  Der Kardinalpräfekt der Kongregation für die Glaubenslehre, Gerhard Ludwig Müller, hat hierzu in einem Vortrag, gehalten am 4. 5. 2016 im spanischen Oviedo, die Auffassung vertreten, dass es – angesichts der bisherigen Lehrtradition – bei den in Fußnote 351 angesprochenen Sündern gerade nicht um wiederverheiratete Geschiedene gehe. Müller wird in elektronischen Medien, vgl. etwa http://infocatolica.com/?t=noti-cia&cod=26555 [21. 1. 2017], folgendermaßen zitiert: „Algunos han afirmado estos días que Amoris Laetitia ha eliminado esta disciplina, permitiendo, al menos en ciertos casos, que los divorciados que viven en nueva unión pudieran recibir la Eucaristía sin necesidad de transformar su modo de vida. A esto habría que responder que si Amoris Laetitia hubiera querido cancelar una disciplina tan arraigada y de tanto peso, lo habría expresado con claridad, ofreciendo razones para ello. No hay, sin embargo, ninguna afirmación en este sentido en la exhortación apostólica post-sinodal, ni el Papa pone en duda en ningún momento los argumentos presentados por sus predecesores, que no se basan en la culpabilidad subjetiva de estos hermanos nuestros, sino en su modo visible, objetivo de vida, contrario a las palabras de Cristo“.  Demgegenüber haben die Bischöfe der Seelsorgsregion Buenos Aires in einem Schreiben an die Priester vom 5. 9. 2016 einige Criterios básicos para la aplicatión del capítulo VIII de Amoris laetita aufgestellt, in denen es bezüglich jener Fälle, in denen die Partner einer neuen Beziehung weder enthaltsam leben noch die Beziehung, insbesondere mit Rücksicht auf gemeinsame Kinder, beenden können, heißt: „[…] Amoris laetitia abre la posibilidad del acceso a los sacramentos de la Reconciliación y la Eucharistía (cf. Notas 336 y 351).“ Papst Franziskus hat sich mit Schreiben vom 5 9. 2016 für die Übermittlung. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016)Downloaded 481–502from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(20) 500. Rehak. VIII. Schlussbetrachtung. Damit lassen sich die wesentlichen Ergebnisse der vorstehenden Betrachtungen kurz folgendermaßen zusammenfassen: Es hat sich gezeigt, dass c. 915 CIC–obschon es die erklärte Absicht des kirchlichen Gesetzgebers war, damit kategorisch alle Wiederverheirateten vom Kommunionempfang fernzuhalten – diese Aufgabe nicht gut erfüllen kann. Seine Anwendbarkeit hängt nämlich von theologischen Vorfragen zum Eheund zum Sündenbegriff ab, die gerade im Lichte der päpstlichen Lehrschreiben Familiaris Consortio und Amoris Laetitia nicht als abschließend geklärt und einmütig rezipiert angesehen werden können. Denn die Norm knüpft – anders als die Vorgängernorm des can. 855 CIC/1917 – nicht an eine näher zu bestimmende Unwürdigkeit an, welche ihrerseits wiederum an die Offenkundigkeit für sich in Anspruch nehmende äußere Tatsache der versuchten kirchlichen oder standesamtlichen Eheschließung anknüpft. Sondern c. 915 CIC setzt eine schwere Sünde voraus. Diese wiederum muss für den Kommunionspender offenkundig sein. Der Kommunionspender kann jedoch, wenn überhaupt, nur die äußere Lebenssituation eines nach ziviler Scheidung wiederverheirateten Gläubigen wahrnehmen, nicht jedoch die Frage nach Schuld und Sünde beurteilen. Es gilt hier gleichsam der alte römische Grundsatz: „De internis non iudicat praetor.“ Das Urteil über Sünde, Schuld und die eigene Unwürdigkeit zum Sakramentenempfang ist vielmehr jedem Gläubigen selbst zu überlassen, der all dies gegebenenfalls in der Beichte selbst zur Anklage bringt und sich gemäß c. 916 CIC selbst vor dem Empfang der Eucharistie zu prüfen hat. Die Lehre von Amoris Laetitia ist nach meinem Verständnis nicht mit dem Erwägungen des Päpstlichen Rates aus dem Jahre 2000 zu vereinbaren, wonach es für die schwere Sünde im Sinne des c. 915 CIC nur auf den äußeren Lebenssachverhalt, nicht hingegen auch auf die subjektive Anrechenbarkeit einer Abschrift der Criterios básicos bedankt und darin erklärt: „El escrito es muy bueno y explicita cabalmente el sentido del capitulo VIII de Amoris laetitia. No hay otras interpretaciones.“ Vgl. hierzu https://www.data.lifesitenews.com/images/pdfs/Criterios_ apli-cación_AL_-_Región_BA.pdf und https://www.data.lifesitenews.com/images/pdfs/ Car-ta_Francisco_en_respaldo_Criterios.pdf [21. 1. 2017] mit Faksimiles der besagten Dokumente.  Wie aus einem Reskriptum ex Audientia SS.mi des Kardinalstaatssekretärs Parolin vom 5. 6. 2017, in: AAS 108 (2016) 1074, hervorgeht, hat Papst Franziskus entschieden, dass die beiden vorgenannten Dokumente „velut Magisterium authenticum“ amtlich zu publizieren sind. Das Schreiben des Papstes ist daher abgedruckt ebd., 1071 f.; die Criterios básicos ebd., 1072–1074; beide Texte sind ferner auf den Webseiten des Vatikans elektronisch veröffentlicht: http://w2.vatican.va/content/francesco/es/letters/2016/do-cuments/papafrancesco_20160905_regione-pastorale-buenos-aires.html [15.02.2018].. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(21) Geschiedene Gläubige in neuer Verbindung. 501. ankommen soll.43 Man kann wohl trefflich darüber streiten, ob es in der Absicht des Papstes lag, mit seinen Ausführungen zugleich eine neue authentische Interpretation von c. 915 vorzulegen und mithin also die Erklärung des Päpstlichen Rates zu widerrufen. In meinem Augen scheint es jedoch so, als ob zu dem Chor jener, die dem c. 915 die Eignung abstreiten, wiederverheiratete Geschiedene vom Empfang der Kommunion fernzuhalten, eine gewichtige neue Stimme hinzugetreten ist. 43 An diesem Befund (ver)zweifeln vier Kardinäle, die diesen ihren Zweifel mit Schreiben vom 19. 9. 2016 – also wohl kaum in Unkenntnis des zeitnah an die Öffentlichkeit durchgestochenen Brief des Papstes vom 5. 9. 2016 an die Bischöfe der Seelsorgsregion Buenos Aires (vgl. dazu vorstehend Anm. 42) – zunächst dem Papst vorgetragen haben und – nicht ohne eine gewisse Selbstbeweihräucherung ihres gerechten und liebevollen Tuns – ein mehrwöchiges Schweigen des Papstes als hinreichenden Grund für die allgemeine Veröffentlichung ihrer fünf Dubia gewertet haben (vgl. dazu insbesondere die elektronischen Publikation: http://kath.net/news/57463 [21. 1. 2017]. Zwei Zweifelsfragen betreffen unmittelbar die Thematik des vorliegenden Beitrags.  Dubium Nr. 1 stellt die Frage, ob „der Ausdruck ‚in gewissen Fällen‘ der Anmerkung 351 (zu Nr. 305) des Apostolischen Schreibens ‚Amoris laetitia‘ auf Geschiedene in einer neuen Verbindung angewandt werden [kann], die weiterhin ‚more uxorio‘ zusammenleben?“ Im Lichte des Papstschreibens vom 5. 9. 2016 scheint geklärt: Ja, er kann.  Dubium Nr. 3 fragt danach, ob „es nach ‚Amoris laetitia‘ Nr. 301 noch möglich [ist], zu sagen, dass eine Person, die habituell im Widerspruch zu einem Gebot des Gesetzes Gottes lebt […], sich in einer objektiven Situation der habituellen schweren Sünde befindet?“ Diese Frage hat wohl zwei Ebenen. Auf einer eher oberflächlichen Ebene ist sie schlichtweg tautologisch und zirkelschlüssig: Kann man – gesetzt den Fall, eine Person lebt gewohnheitsmäßig in Sünde – über diese Person sagen, dass sie gewohnheitsmäßig in Sünde lebt? Versteht man die Frage so, so ist es für ihre Beantwortung völlig egal, was in Nr. 301 von Amoris Laetitia gelehrt wird. Die Antwort auf die so verstandene Frage muss immer lauten: Ja, natürlich kann man das sagen. Jedoch wäre das eine Antwort ohne jedweden Erkenntnisfortschritt, weil das Ergebnis ja bereits als Prämisse, d. h. als der als gegeben und erwiesen anzunehmende Sachverhalt, über den zu urteilen ist, vorausgesetzt wird.  Was umgekehrt die Frage anbelangt, was und wieviel an Sachverhalt zu erweisen ist bzw. (für die Anwendbarkeit des c. 915 CIC) offenkundig sein muss, um zu dem besagten Urteil zu gelangen – in dieser Frage möchten die vier Kardinäle offenbar alles bei dem status quo ante, d. h. der Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte vom 24. 6. 2000, belassen. Damit ist die tiefere Ebene des dubium Nr. 3 erreicht, auf der es exakt um das auch im vorliegenden Beitrag erörterte Problem geht: Genügt es für ein an den Kommunionspender gerichtetes Verbot der Kommunionspendung an bestimmte Gläubige, dass Letztere in einer bislang so genannten irregulären Situation leben?  Dabei wird auch von den vier Kardinälen nicht in Zweifel gezogen, dass die Erwägungen, die Papst Franziskus in Amoris laetitia, Nr. 301, anstellt, an und für sich theologisch korrekt sind. Denn die erläuternden Anmerkungen der Kardinäle zu Frage Nr. 3 schließen mit der Bemerkung, dass es Personen geben mag, die zwar in einer irregulären Situation leben, bei denen es jedoch dessen ungeachtet „aus gewissen Gründen nicht sicher ist, ob ihre habituelle Übertretung ihnen subjektiv zurechenbar ist.“. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016)Downloaded 481–502from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

(22) 502. Rehak. Zusammenfassung / Summary / Sommario Die Diskussion um das nachsynodale Apostolische Schreiben Amoris Laetitia aufnehmend, untersucht Verf. die für die Frage nach dem Kommunionempfang einschlägigen cc. 915 und 916 CIC hinsichtlich ihrer Anwendbarkeit auf wiederverheiratete Geschiedene. Dafür wird auf die Rechtslage des CIC/1917 zurückgeblickt und das nachsynodale Apostolische Schreiben Familiaris Consortio sowie die Erklärung des Päpstlichen Rates für die Gesetzestexte von 2000 kritisch ausgewertet. Nach eingehender Analyse von Amoris Laetitia zeigt Verf. auf, dass das Schreiben von Papst Franziskus im Gegensatz zur Erklärung von 2000 auch auf die subjektive Anrechenbarkeit der Sünde abstellt. Ob theologisch ein objektiver Sündenbegriff zugrundegelegt oder auch die subjektive Komponente berücksichtigt wird, erweist sich als entscheidend für die Anwendbarkeit des c. 915 CIC. Taking account of the discussion around the post-synodal apostolic exhortation Amoris laetitia, the author examines the relevant canons 915 and 916 in relation to their applicability to the question of the reception of communion by divorced and remarried Catholics. In that context, the legal status of CIC 1917 is reviewed. The post-synodal apostolic exhortation Familiaris consortio is critically assessed, as well as the Declaration of the Pontifical Council for Legislative Texts from 2000. After an in-depth analysis of Amoris laetitia, the author demonstrates that the writing of Pope Francis, in contrast to the Declaration from 2000, applies the subjective assessment of sin. Whether theologically the underlying concept is of objective or subjective sin proves to be decisive in the applicability of CIC 915. Riprendendo la discussione in merito all’esortazione apostolica postsinodale Amoris Laetitia, l’autore esamina i cc. 915 e 916 CIC–ossia quelli rilevanti per la questione dell’ammissione alla comunione – in quanto alla loro applicabilità ai divorziati risposati. A tal fine guarda al CIC/1917 e fa un’analisi critica dell’esortazione apostolica Familiaris Consortio nonché della Dichiarazione del Pontificio Consiglio per i Testi Legislativi del 2000. Dopo un esame accurato dell’Amoris Laetitia, l’autore mette in evidenza che l’esortazione di Papa Francesco, a differenza della Dichiarazione del 2000, fa riferimento anche all’imputabilità soggettiva del peccato. Per l’applicabilità del c. 915 CIC risulta decisivo discernere se teologicamente alla base vi è un concetto di peccato oggettivo oppure se viene considerata anche la componente soggettiva.. Archiv für KatholischeS Kirchenrecht 185 (2016) 481–502 Downloaded from Brill.com01/07/2022 05:16:57PM via free access.

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