DIE STUDIE
Die Volkswirtschaft 6 / 2017 41 DIE STUDIE
Schweizerische Gesellschaft für Volkswirtschaft und Statistik Société suisse d’économie et de statistique
Società svizzera di economia e di statistica Swiss Society of Economics and Statistics
S
eit der Jahrtausendwende sind die Preise von Schweizer Wohnimmobi- lien stark gestiegen (siehe Abbildung 1).Die Preisentwicklung ähnelt immer mehr dem rasanten Wachstum der Häuser- preise in den Achtzigerjahren, als diese Wachstumsraten von bis zu 10 Prozent pro Jahr verzeichneten. Damals endete der Hauspreisboom mit dem Platzen der Immobilienblase zu Beginn der Neunzi- gerjahre und hatte gravierende Folgen für die Schweizer Wirtschaft. Um frühzeitig auf eine erneute Blasenbildung zu reagie- ren, beobachtet die Schweizerische Na- tionalbank heute die Entwicklungen am Immobilienmarkt aufmerksam.
Veränderungen am Immobilienmarkt
In den letzten 40 Jahren haben einige strukturelle Veränderungen die Entwick- lung der Schweizer Häuserpreise beein- flusst. So flossen nach der Einführung der obligatorischen betrieblichen Alters-
Wohnungspreise reagieren wieder stärker auf Zinssenkungen
Die Immobilienpreise werden laut einer KOF-Studie immer noch hauptsächlich durch Angebot und Nachfrage beeinflusst. Doch auch der aktuell tiefe Hypothekarzins treibt die Immobilienpreise an – besonders Eigentumswohnungen reagieren wieder stärker auf Zinsänderungen. Anne Kathrin Funk, Dirk Drechsel
Abstract Schweizer Immobilienpreise sind seit der Jahrtausendwende stark gestie
gen. Eine Studie der KOF Konjunkturforschungsstelle der ETH Zürich untersucht den Einfluss des Hypothekarzinses, der Veränderungen von Angebot und Nachfrage nach Wohnraum und des wirtschaftlichen Umfelds auf die Immobilienpreisentwick
lung. Die Hälfte der Immobilienpreisbewegungen kann durch Veränderungen von Angebot und Nachfrage erklärt werden. Nach der Immobilienkrise in den Neunzi
gerjahren ist der Einfluss des Hypothekarzinses auf die Immobilienpreise gesunken, seither ist er konstant geblieben. Seit dem Jahr 2002 reagieren die Wohnungspreise wieder stärker auf den Zinssatz. Regionale Effekte sind besonders am Genfersee und in Zürich zu beobachten.
vorsorge im Jahr 1985 hohe Investitions- summen von Schweizer Pensionskassen in den Markt. Das hat die Preise von An- lageklassen und Immobilien in die Höhe getrieben. Auch aktuell investieren insti- tutionelle Investoren im Niedrigzinsum- feld auf der Suche nach Rendite wieder vermehrt im Immobiliensektor. Das kann insbesondere die Preise von Mehrfami- lienhäuser in die Höhe treiben.
Ausserdem haben das Bevölkerungs- wachstum – welches beispielsweise von der Einführung des Personenfreizügig- keitsabkommens1 beeinflusst wurde – und die Umsetzung der Masseneinwan- derungsinitiative einen Einfluss auf die Nachfrage und damit auf die Preise von Wohnraum.
Zudem haben sich der Hypothekar- zinssatz und die Vorgaben zur Kredit- vergabe seither stark verändert. In den Achtzigerjahren war ein Grossteil der
1 Vertragsunterzeichnung 1999, erste Schritte 2002, vollständige Liberalisierung 2007.
Hypotheken variabel verzinst, was bei steigenden Zinsen zu einer Schieflage vieler Kreditnehmer und Kantonalbanken führte. Die Einführung von Eigenkapital- vorschriften wie Basel I und II, von Risiko- managementsystemen sowie jüngst auch die selbstregulierenden Massnahmen der Banken beeinflussten die Kreditvergabe seit der Schweizer Immobilienkrise An- fang der Neunzigerjahre.
Diese Rahmenbedingungen können das Zusammenspiel der Immobilienpreise und deren Einflussfaktoren über die Zeit verändern. Aber auch auf regionaler Ebe- ne gibt es Unterschiede, wie etwa Raum- planungsgesetze, die teils stark voneinan- der abweichen und so einen Effekt auf das Angebot von Wohnungen haben. Deswe- gen können Immobilienpreise auch regio- nal unterschiedlich reagieren.
Preise hauptsächlich von An- gebot und Nachfrage beeinflusst
In einem Umfeld stark steigender Immo- bilienpreise ist es besonders wesentlich, ob die Preisentwicklung auf fundamenta- len Faktoren, wie etwa dem Angebot und der Nachfrage nach Wohnraum, basiert
Von der Forschung in die Politik
Die «Volkswirtschaft» und die «Schweizerische Zeitschrift für Volkswirtschaft und Statistik»
verbessern den Wissenstransfer von der For schung in die Politik: Aktuelle wissen
schaftliche Studien mit einem starken Be zug zur schweizerischen Wirtschafts poli tik erscheinen in einer Kurzfassung in der «Volkswirtschaft».
DIE STUDIE
42 Die Volkswirtschaft 6 / 2017
oder ob der Immobilienmarkt überhitzt ist. Zudem kann sich das Zusammenspiel zwischen den fundamentalen Einflussfak- toren und den Immobilienpreisen über die Zeit verändern und regional sehr unter- schiedlich sein.
Eine Studie der KOF Konjunkturfor- schungsstelle der ETH Zürich untersuch- te nun, inwiefern seit 1983 das Angebot und die Nachfrage nach Wohnraum, der Hypothekarzinssatz und das wirtschaft- liche Umfeld die Preise von Wohnimmo- bilien beeinflussen.2 Der Fokus lag dabei auf der Veränderung der Zusammenhän- ge über die Zeit, Unterschieden zwischen dem Häuser- und dem Wohnungsmarkt sowie auf regionalen Effekten (siehe Kas- ten).
Die Analyse zeigt, dass die Häuserprei- se wie erwartet auf Veränderungen der fundamentalen Faktoren reagieren: Ist beispielsweise das Bevölkerungswachs- tum (Nachfrage) kleiner als das Wachs- tum des Wohnungsbestands (Angebot), sinken die Häuserpreise. Auch eine Ver- schlechterung des wirtschaftlichen Um- felds, gemessen am Bruttoinlandprodukt (BIP), lässt die Häuserpreise sinken. Bei einem Rückgang des Hypothekarzins- satzes reagieren die Häuserpreise hin- gegen mit einem Anstieg. Das Angebot und die Nachfrage nach Wohnraum erklä- ren dabei fast die Hälfte der Variation der Häuserpreise, während der Hypothekar- zinssatz für nur 20 Prozent der Immobi- lienpreisbewegungen verantwortlich ist.
Am geringsten ist der Einfluss des wirt- schaftlichen Umfelds: Nur 5 Prozent der Hauspreisänderungen können mit Verän- derungen des BIP erklärt werden.
Zinseffekt auf Wohnungspreise wieder stärker
Über die Zeit hinweg reagierten die Häu- serpreise relativ stabil auf Änderungen der Nachfrage und des Angebots nach Wohnraum. Allerdings hielt der Effekt eines Nachfrage- oder Angebotsschocks in den Achtzigerjahren länger an als in den Neunzigerjahren. Ausserdem hatten Veränderungen des Hypothekarzinssat- zes in den Achtzigerjahren einen stärke- ren Effekt auf die Schweizer Häuserpreise als nach der Immobilienkrise der Neun- zigerjahre. Hingegen hat das wirtschaft- liche Umfeld seit den frühen Neunzi-
2 Drechsel, Dirk und Anne Kathrin Funk (2017).
Time-Varying and Regional Dynamics in Swiss Housing Markets. In: Swiss Journal of Economics and Statistics.
gerjahren einen persistenteren Einfluss auf die Immobilienpreise als noch in den Achtzigerjahren.
Nach der Immobilienkrise der Neunzi- gerjahre scheinen sich die Effekte der Ein- flussfaktoren auf die Häuserpreise verän- dert zu haben und sind seither konstant.
Wie die Untersuchung zeigt, reagierten nach der Immobilienkrise auch die Prei- se von Eigentumswohnungen schwächer auf den Hypothekarzinssatz (siehe Ab-
bildung 2). Allerdings steigt dieser Effekt des Zinssatzes seit dem Jahr 2002 wie- der an. In Anbetracht der verstärkten In- vestitionen von institutionellen Anlegern in solche Mehrfamilienhäuser mit Eigen- tumswohnungen und aufgrund des tiefen Zinsumfelds ist dies eine wichtige Beob- achtung. Denn die Preise von Eigentums- wohnungen reagieren nun auf eine Zins- senkung mit einem stärkeren Preisanstieg als vor 2002.
Abb. 1: Entwicklung der Schweizer Immobilienpreise (1982–2013)
WÜEST PARTNER / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Abb. 2: Effekt des Hypothekarzinssatzes auf die Preise von Eigentumswohnungen
EIGENE BERECHNUNGEN DRECHSEL UND FUNK / DIE VOLKSWIRTSCHAFT
Die Abbildung stellt die Veränderung der Impulsantwortfunktion über die Zeit dar. Gemessen wird die Antwort der realen Eigentumswohnungspreise auf einen negativen Schock der Hypothekarzinsver
änderung nach fünf Quartalen. Die dunkelblaue Linie stellt den Median dar, während die hellblau ein
gefärbte Fläche das Fehlerband mit der Standardabweichung zeigt.
Gewichteter Index Einfamilienhäuser Mietwohnungen Eigentumswohnungen
Statistisches Fehlerband Median 250 Indexpunkte (1. Quartal 1982 = 100)
200
150
100 125 175 225
75
1985
1985
1990
1990
1995
1995
2000
2000
2005
2005
2010
2010 0,4
0,6 0,8 1,4
1,2
1
1,6 Reales Preiswachstum Eigentumswohnungen (in %)
DIE STUDIE
Die Volkswirtschaft 6 / 2017 43 Daten und Methode
Die Analyse verwendet Daten zur Dis
krepanz zwischen Wohnangebot und
nachfrage, Hypothekarzinsen, Brut
toinlandprodukt (BIP) sowie Häuser
preisen von 1983 bis 2013. Die Dis
krepanz zwischen Wohnangebot und
nachfrage wurde als Differenz zwi
schen dem Bevölkerungswachstum und dem Wachstum des Wohnungsbe
stands gemessen. Diese Daten stam
men vom Bundesamt für Statistik.
Der Hypothekarzinssatz stammt von der Schweizerischen Nationalbank
und entspricht dem Median der Ver
änderungsrate der neu abgeschlos
senen, variabel verzinsten Hypo
theken gegenüber dem Vorjahr. Die vierteljährliche BIPVeränderung wird vom Staatssekretariat für Wirtschaft (Seco) publiziert. Die Veränderungs
raten der Häuserpreise stammen aus dem Angebotspreisindex des Bera
tungsunternehmens Wüest Partner und sind mit den Konsumentenprei
sen deflationiert. Der berechnete Immobilienpreisindex ist mit 37,5%
Einfamilienhäusern, 37,5% Eigentums
wohnungen und 25% Mietwohnungen gewichtet. Die Analyse der regiona
len Effekte basiert auf den Schwei
zer Grossregionen, berücksichtigt die Arbeitslosenquote anstelle des BIP und beschränkt sich auf den Zeitraum von 1997 bis 2013.
Die Studie verwendet ein bayesia
nisches, zeitvariierendes vektorauto
regressives Model. Im Vergleich zu einem klassischen vektorautoregres
siven Modell lässt sich damit unter
suchen, ob sich die Zusammenhänge der Variablen über die Zeit verändert haben. Die Identifizierung der Schocks basiert auf einer CholeskyDekom
position, wobei die Variablen in der Reihenfolge wie oben beschrieben an
geordnet sind. Die regionale Analyse verwendet ein bayesianisches vektor
autoregressives Model für jede Gross
region.
Grosse regionale Unterschiede
In den Schweizer Grossregionen haben sich die Immobilienpreise in den letzten 15 Jahren sehr unterschiedlich entwickelt.
Den stärksten Anstieg der Häuserprei- se verzeichnen die Grossregionen Zent- ralschweiz, Südschweiz, Genferseeregion und Zürich. Nur einen moderaten Preis- anstieg verzeichnen die Nordwestschweiz und Bern. Ausserdem ist die Genferseere- gion das einzige Gebiet, in dem die Bevöl- kerungszahl durchschnittlich stärker zu- genommen hat als der Wohnungsbestand.
Die Studie zeigt, dass Häuserpreise in den einzelnen Regionen unterschied- lich auf Veränderungen der Einflussfak- toren reagieren: So sind in der Region Zü- rich die Effekte des Hypothekarzinses und der Arbeitslosenquote auf die Häuserprei- se ähnlich wie im gesamtschweizerischen Benchmark. Die Häuserpreise reagieren dort allerdings stärker auf Angebot und Nachfrage. Anders in der Genferseere- gion: Dort sind die Immobilienpreise be- sonders sensitiv auf Zinsänderungen so- wie auf das Angebot und die Nachfrage nach Wohnraum.
Hauptsächlich sind also Angebot und Nachfrage nach Wohnraum für Immo- bilienpreisfluktuationen verantwortlich.
Doch das Zusammenspiel zwischen An- gebot und Nachfrage, Zinsniveau, wirt- schaftlichem Umfeld und Immobilien- preisen verändert sich über die Zeit.
Wie die Studie zeigt, reagieren die Preise von Eigentumswohnungen aktuell wie- der stärker auf Zinsänderungen als vor 15 Jahren. Zusätzlich sind auch die gros- sen regionalen Unterschiede für die Um- setzung und die Entscheidungsfindung politischer Massnahmen relevant – ins- besondere im aktuell tiefen Zinsumfeld, das mit steigenden Immobilienpreisen gekoppelt ist. Die strikteren Anforderun- gen zur Hypothekarvergabe seit 2012, wie beispielsweise die Amortisations- pflicht, das Niederstwertprinzip und die strengeren Eigenkapitalanforderungen, erhöhen den von den Haushalten effek- tiv bezahlten Zins. Ausserdem könnten die Umsetzung der Masseneinwande- rungsinitiative und eine schwierigere Si- tuation am Arbeitsmarkt das Bevölke- rungswachstum in den nächsten Jahren abschwächen. Bei der Beobachtung des
Immobilienmarkts sind diese Erkenntnis- se für politische Entscheidungsträger be- sonders relevant.
Anne Kathrin Funk
Wissenschaftliche Mitarbeiterin, KOF Kon- junkturforschungsstelle ETH Zürich und Doktorandin am Graduate Institute, Genf
Dirk Drechsel
Dr. oec., Forschungsmitglied, KOF Konjunkturforschungsstelle ETH Zürich