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Strafbarkeit eines Arztes wegen gefährlicher Körperverletzung durch Manipulation bei der Vergabe postmortal gespendeter Organe

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LG München I, Beschluss v. 14.11.2017 – 3 KLs 120 Js 203762/12 Titel:

Strafbarkeit eines Arztes wegen gefährlicher Körperverletzung durch Manipulation bei der Vergabe postmortal gespendeter Organe

Normenketten:

TPG § 16 Abs. 1 Nr. 2, Nr. 5

StGB § 22, § 23, § 212 Abs. 1, § 223, § 224 Abs. 1 Nr. 5 Leitsatz:

Einem Arzt, der zugunsten eigener Patienten im Rahmen der Vergabe postmortal gespendeter Organe manipuliert, kann, wenn er die tatsächlichen Grundlagen des Transplantationsverfahrens kennt, ein ernstliches Vertrauen darauf, dass es zu keiner Schädigung übergangener Patienten kommen werde, und damit ein Fehlen des Willenselements des bedingten Tötungs- bzw.

Verletzungsvorsatzes unterstellt werden (vgl. BGH BeckRS 2017, 121843). (Rn. 33 – 35) (redaktioneller Leitsatz)

Schlagworte:

Totschlag, gefährliche Körperverletzung, Organspende, Transplantation, Richtlinie, Warteliste, Manipulation, Kausalität, bedingter Vorsatz, Willenselement, Versuch

Fundstelle:

BeckRS 2017, 143145  

Tenor

1. Das Hauptverfahren wird nicht eröffnet.

2. Die Staatskasse trägt die Kosten des Verfahrens und die dem Angeschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen.

Gründe 1

I. 1. Die Staatsanwaltschaft München I legt dem Angeschuldigten mit der Anklageschrift vom 12. Februar 2015 nachfolgendes tatsächliches Geschehen zur Last:

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Zu den Zeitpunkten der dem Angeschuldigten vorgeworfenen Handlungen sei die Verteilung postmortal gespendeter Lebern nach Maßgabe von auf der Grundlage des Transplantationsgesetzes mit der Stiftung Eurotransplant (im Folgenden: Eurotransplant), einer privatrechtlichen Stiftung nach niederländischem Recht mit Sitz in L. (Niederlande), geschlossenen Verträgen durch diese durchgeführt worden. Dabei sei Eurotransplant zur Vergabe der Organe nach bestimmten - durch eine auf Grundlage des § 16 Abs. 1 Nr. 2 und 5 TPG in seiner damals gültigen Fassung erstellten Richtlinie der Bundesärztekammer zur

Organtransplantation (hier: in deren Fassung vom 14. Februar 2003) festgelegten - Kriterien verpflichtet worden. Die Vergabe von Leber-Transplantaten sei danach „in erster Linie nach dem ,Model for Endstage Liver Desease', kurz MELD-Score“, erfolgt. Hierzu sei aus drei Blutlaborwerten (Serumkreatinin,

Serumbilirubin und Blutgerinnung) ein Wert auf einer Skala von eins bis 40 Punkten errechnet worden, wobei dieser die wahrscheinliche 3-Monats-Mortalität des Patienten abbilde, die bei einem Wert von sechs Punkten noch ein Prozent, bei Werten zwischen 37 und 40 Punkten bereits 90 bis 98 Prozent betrage.

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Die Verteilung sei unter den durch zugelassene Transplantationszentren auf eine durch Eurotransplant geführte Warteliste gemeldeten Patienten erfolgt. Hierbei sei bei Meldung eines Spenderorgans durch ein Entnahmezentrum computergesteuert eine sogenannten Match-Liste erstellte worden, auf welche diejenigen gelisteten Patienten, die als Empfänger (medizinisch) in Betracht kommen, in absteigender Reihenfolge der für sie ermittelten MELD-Scores aufgenommen werden. Das Organ sei sodann dem für den

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rangersten Patienten zuständigen Transplantationszentrum zur Transplantation bei diesem angeboten worden, wobei das Zentrum das Angebot auch ablehnen habe können, etwa wenn kein

Transplantationsteam rechtzeitig zur Verfügung stand. Im Falle einer Absage sei das Organ - zunächst - dem für den im Rang nachfolgenden Patienten zuständigen Zentrum angeboten worden.

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Der Angeschuldigte sei seit Juli 2007 Oberarzt in der Chirurgischen Klinik des Klinikums gewesen, das zum Zeitpunkt der dem Angeschuldigten vorgeworfenen Handlungen als Transplantationszentrum zugelassen gewesen sei. In dieser Funktion habe der Angeschuldigte regelmäßig selbst Lebertransplantationen durchgeführt und Patienten betreut, bei welchen eine solche geplant war und die hierzu bei der

Eurotransplant gemeldet waren. Der Angeschuldigte, der mit eigener Zugangskennung bei Eurotransplant registriert gewesen sei, habe zudem maßgeblich die klinikinternen Entscheidungen über Listungen von Patienten bei Eurotransplant mitbestimmt.

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Im Wissen um das bei der Organvergabe durch Eurotransplant angewendete Verfahren habe der Angeschuldigte in drei Fällen „bewusst für den Patienten nicht zutreffende, also ,falsche' Daten an

Eurotransplant [gemeldet], um einen höheren MELD-Score seiner Patienten vorzuspiegeln“. Ihm sei dabei jeweils bewusst gewesen, „dass hierdurch schwerstkranke andere Patienten mit tatsächlich höherem MELD-Score, die ebenfalls auf der Liste standen, von ,ihrem Rang' verdrängt werden und daher zum gegebenen Zeitpunkt kein Organangebot erhalten“. Auch sei ihm bewusst gewesen und er habe zumindest billigend in Kauf genommen, „dass die übergangenen Patienten in Folge dessen erst zu einem späteren Zeitpunkt ein Organangebot erhalten und transplantiert werden können, so dass in der Zwischenzeit ihr Leiden verlängert wurde“. Für „diese Patienten“ habe - dem Angeschuldigten bekannt und von ihm zumindest billigend in Kauf genommen - abstrakte Lebensgefahr bestanden. Es sei „jedoch anzunehmen, dass der Angeschuldigte darauf vertraute, dass die übergangenen Patienten noch rechtzeitig ein weiteres Organangebot erhalten und daher nicht versterben würden.“

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Im Einzelnen legt die Staatsanwaltschaft dem Angeschuldigten dabei nachfolgende Manipulationen zur Last:

„1. Patientin K.

Die Patientin K. wurde am 22.12.2009 im Klinikum aufgenommen und am 23.11.2009 bei Eurotransplant gelistet, es wurde ihr die Eurotransplant-Nummer ... zugewiesen. Die Patientin lag auf der Station 2/3 der 2.

Medizinischen Klinik und litt unter primärer biliärer Cholangitis (PBC). Noch am 14.01.2010 hatte die Patientin einen MELD-Score von 17.

Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt am 15.01.2010, zwischen 13.30 Uhr und 15.52 Uhr beauftragte der Angeschuldigte im Labor der Klinischen Chemie des Klinikums die Wertbestimmung einer Blutprobe, wobei er das Blutprobenröhrchen einer unbekannten dritten Person, das er zuvor bewusst wahrheitswidrig mit dem Aufkleber der Patientin K. versehen hatte, einreichte. In der Folge wurden die Blutwerte bestimmt und die für die Patientin K. nicht zutreffenden Blutwerte - dem Tatplan des

Angeschuldigten entsprechend - in dem SAP-System des Klinikums unter dem Namen der Patientin K.

erfasst. Die Laborauswertung ergab einen im Vergleich zum letzten Vorwert von 0,5 deutlich erhöhten Kreatinin-Wert von 3,5. Der Bilirubin-Wert war mit 14,6 (im Vergleich zum letzten Vorwert von 12,7) erhöht, auch der Kaliumwert war mit 6,4 erhöht. Aufgrund des festgestellten erhöhten Kaliumwertes erfolgte durch das Labor ein Anruf in der Station, um - wie in solchen Fällen üblich - auf die erhöhten Werte und die aus diesen zu folgende ggf. lebensbedrohliche Lage der Patientin hinzuweisen. Aufgrund der starken Differenz zu den bekannten Vorwerten der Patientin wurde, ebenso wie bei dem u.g. Patienten H., festgestellt, dass die Blutwerte für die Patientin K. nicht zutreffend sind. Der Anruf wurde auf der Station entgegengenommen, der Zeuge B. informierte daraufhin den Angeschuldigten hierüber. Der Angeschuldigte berief sich

wahrheitswidrig auf das Vorliegen einer Verwechslung. Der Zeuge B. forderte den Angeschuldigten auf, die Werte im System löschen zu lassen und das Labor über die Probenverwechslung zu informieren.

Dieser Aufforderung kam der Angeschuldigte nicht nach. Vielmehr meldete der Angeschuldigte am Morgen des 16.01.2010 die, wie er wusste, für die Patientin K. nicht zutreffenden Werte an Eurotransplant.

Hierdurch erreichte die Patientin K., wie vom Angeschuldigten beabsichtigt, einen MELD-Score von 33.

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Infolge dieses erhöhten MELD-Scores erhielt die Patientin K., wie vom Angeschuldigten durch seine Manipulation beabsichtigt, am 17.10.2010 zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt vor 20.00 Uhr ein Organangebot von Eurotransplant. Das Spenderorgan wurde durch den Angeschuldigten - in Kenntnis sämtlicher vorgenannter Umstände - angenommen und der Patientin K. am 18.10.2010 transplantiert.

Welcher weitere, der Patientin K. auf der Liste vorgehende, Patient hierdurch das Organ nicht erhielt, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden.

2. Patient H.

Der Patient H. wurde am 01.01.2010 im Klinikum aufgenommen. Er war bereits seit 2005 bei Eurotransplant gelistet und hatte der Eurotransplant-Nummer ... Der Patient lag auf der Station 2/3 der 2. Medizinischen Klinik und litt unter Leberzirrhose bei chronischer Hepatitis C. Noch kurz zuvor hatte der Patient einen MELD-Score von max. 20.

Zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt am 15.01.2010, zwischen 13.30 Uhr und 15.52 Uhr beauftragte der Angeschuldigte im Labor der Klinischen Chemie des Klinikums die Wertbestimmung einer Blutprobe, wobei er das Blutproben Röhrchen einer unbekannten dritten Person, das er zuvor bewusst wahrheitswidrig mit dem Aufkleber des Patienten H. versehen hatte, einreichte. Dabei handelte es sich, wie der Angeschuldigte wusste, um das gleiche Blut der unbekannten dritten Person wie bei der Patientin K. In der Folge wurden die Blutwerte bestimmt und die für den Patienten H. nicht zutreffenden Blutwerte - dem Tatplan des Angeschuldigten entsprechend - im SAP-System des Klinikums unter dem Namen des Patienten H erfasst. Die Laborauswertung ergab einen deutlich erhöhten Kalium-Wert von 6,6. Es erfolgte daraufhin durch das Labor ein Anruf in der Station, um - wie in solchen Fällen üblich - auf die erhöhten Werte und die aus diesen folgende ggf. lebensbedrohliche Lage des Patienten hinzuweisen. Aufgrund der starken Differenz zu den bekannten Vorwerten des Patienten wurde festgestellt, dass die Blutwerte für den Patienten H. nicht zutreffend sind, zudem wurde über eine Nachfrage bei dem Patienten festgestellt, dass diesem aktuell kein Blut abgenommen worden war, die Blutprobe also nicht von dem Patienten H stammen konnte. Der Anruf aus dem Labor wurde auf der Station 2/3 entgegengenommen, der Zeuge B. informierte daraufhin den Angeschuldigten hierüber. Der Angeschuldigte berief sich gegenüber dem Zeugen B.

bewusst wahrheitswidrig auf das Vorliegen einer Verwechslung. Der Zeuge B. ließ die Werte des Patienten H. durch einen Anruf im Labor stornieren.

Dennoch meldete der Angeschuldigte am Morgen des 16.01.2010 die, wie er wusste, für den Patienten H.

nicht zutreffenden Werte an Eurotransplant. Hierdurch erreichte der Patient H., wie vom Angeschuldigten beabsichtigt, einen MELD-Score von 34. Infolge dieses fälschlich erhöhten MELD-Scores erhielt der Patient am 18.01.2010, zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt vor ca. 12 Uhr, ein Organangebot von Eurotransplant. Dieses wurde jedoch, entgegen dem Tatplan des Angeschuldigten und erst nachdem durch den Zeugen U. festgestellt wurde, dass das Organangebot auf den falschen Werten basierte und dieser daher die Ablehnung des Organs forderte, vom Angeschuldigten zwangsläufig abgelehnt und der Patient H.

daher nicht transplantiert. Das Organ konnte entgegen dem Willen des Angeschuldigten dem nächsten ordnungsgemäß gelisteten Patienten nach den Eurotransplant-Vorgaben zugeteilt werden.

3. Patient R.

Der Patient R. wurde am 22.12.2009 im Klinikum aufgenommen, er war bereits seit 10.11.2009 bei Eurotransplant gemeldet und hatte die Eurotransplant-Nummer ... Der Patient lag auf der

Intensivmedizinischen Station IS/2 und litt unter Leberzirrhose bei chronischer Hepatitis C. Am 23.12.2010 [gemeint: 2009] hatte der Patient einen MELD-Score von 28.

Im Zeitraum zwischen dem 23.12.2009 und dem 05.01.2010 manipulierte der Angeschuldigte die Daten des Patienten R. in folgender Weise, um eine Erhöhung des MELD-Score des Patienten und somit ein zeitnahes Organangebot zu erreichen: Zu nicht genau bestimmbaren Zeitpunkten am 24.12.2009 und am 27.12.2009 beauftragte der Angeschuldigte zwei mal im Labor der Klinischen Chemie des Klinikums die

Wertbestimmung von Blutproben, die jeweils zuvor, wie der Angeschuldigte wusste, mittels Beimischung von Urin verfälscht worden waren. In der Folge wurden die Blutwerte bestimmt, aufgrund der Beimischung des Urins ergab sich jeweils ein deutlich erhöhter Wert von Kalium und Kreatinin. Diese Werte meldete der Angeschuldigte in der Folge jeweils an Eurotransplant, wodurch, wie vom Angeschuldigten beabsichtigt, eine fälschliche Erhöhung des MELD-Score auf 38 erfolgte.

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Weiter meldete der Angeschuldigte am 29.12.2009 um 03.09 Uhr und zu einem nicht genau bestimmbaren Zeitpunkt am 05.01.2010 unter der Kennung der Zeugin Be. die Durchführung von Dialysen bei dem Patienten R. an Eurotransplant, obwohl - wie der Angeschuldigte wusste - diese Dialysen weder durchgeführt worden waren noch klinisch veranlasst gewesen wären. Durch diese falschen

Dialysemeldungen erhöhte sich der MELD-Score des Patienten R. wiederum, so dass der Patient R. - wie vom Angeschuldigten beabsichtigt - am 05.01.2010 bei einem MELD-Score von 40 ein Organangebot erhielt. Das Organangebot wurde angenommen und der Patient R. am 05.10.2010 durch den

Angeschuldigten und den Zeugen Prof. F. transplantiert. Welcher weitere, dem Patienten R. auf der Liste vorgehende, Patient hierdruch das Organ nicht erhielt, kann nicht mit Sicherheit festgestellt werden.“

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2. Die Anklageschrift würdigt dieses Verhalten als versuchte gefährliche Körperverletzung in drei Fällen gemäß §§ 223, 224 Abs. 1 Nr. 5, Abs. 2, 22, 23, 53 StGB.

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Dem Angeschuldigten habe zwar aufgrund seines Wissen über die Organvergabe bewusst gewesen sein müssen, dass durch die Manipulationshandlungen ein „eigentlich höher stehender“ Patient das Organ nicht erhalten werde, weshalb das Wissenselement eines (auch) Tötungsvorsatzes gegeben sei. Es könne aber nicht ausgeschlossen werden, dass der Angeschuldigte darauf „vertraute, dass auch die überholten Patienten noch rechtzeitig vor einem Versterben ein rettendes Organ erhalten“. Dagegen erfolge aber

„[j]ede Manipulation der Dringlichkeitsreihenfolge […] in dem sicheren Wissen und Wollen, dass durch die .Wegnahme des zeitnächsten Organs' eine Transplantation bei dem Patienten, dem ein Organ hätte eigentlich zugeteilt werden müssen, zwangsläufig erst zu einem - wie kurz auch immer - späteren Zeitpunkt erfolgen kann“, so dass das Leiden dieses Patienten jedenfalls verlängert werde.

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Weil der weitere Verlauf der Organvergabe, die Übermittlungen sachlich unzutreffender Blutwerte

hinweggedacht, nicht hinreichend sicher habe rekonstruiert werden können, sei freilich auch in den Fälle 1 und 3 ein Erfolgseintritt nicht nachweisbar, weshalb insgesamt von Versuchstaten ausgegangen werde.

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3. Der Angeschuldigte hat durch seinen Verteidiger Stellungnahmen zur Sache übermittelt, in denen er bestreitet, die ihm zur Last gelegten Manipulationshandlung vorgenommen zu haben. Er hat darüber hinaus auch hilfsweise Einwände gegen die rechtliche Beurteilung des ihm zur Last gelegten Verhaltens als Straftat erhoben und hierzu auch ein für dieses Verfahren erstattetes Rechtsgutachten durch Prof. Dr. S. vom 20.

Mai 2015 vorlegen lassen (vgl. zu dessen Rechtsansichten auch Schroth, NStZ 2013, 437;

Schroth/Hofmann, NStZ 2014, 486; Schroth/Hofmann, FS Kargl, 2015, S. 526).

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II. Die Eröffnung des Hauptverfahrens war aus tatsächlichen Gründen abzulehnen, weil der Angeschuldigte wegen der ihm zur Last gelegten Lebenssachverhalte der Begehung einer Straftat nicht hinreichend verdächtig ist (§§ 203, 204 Abs. 1 StPO).

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Unter Berücksichtigung namentlich auch derjenigen Rechtsansicht, die der 5. Strafsenat des

Bundesgerichtshofs in seinem vergleichbare Fallgestaltungen betreffenden Beschluss vom 28. Juni 2017 (5 StR 20/16) vertreten hat, erscheint es nach der Bewertung der Kammer (weit) überwiegend wahrscheinlich, dass der Angeschuldigte als Ergebnis einer Hauptverhandlung freizusprechen sein würde.

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1. Dabei folgt die Kammer zunächst der Bewertung der Staatsanwaltschaft, dass auf Grundlage der bisherigen Ermittlungsergebnisse in den Fällen 1 und 3 der Anklageschrift nicht festzustellen ist, „welcher Patient als nächstes sicher das Organ bekommen hätte (und ob dieser damit überlebt hätte)“

(Anklageschrift S. 116). Darüber hinausgehend fehlt es aufgrund bestehender Unwägbarkeiten des

Allokationsvorgangs (dazu näher unten 2.b.bb.(1)) zudem an einem (hinreichend sicheren) Nachweis dafür, dass (mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit) jedenfalls für einen (gegebenenfalls auch:

irgendeinen; vgl. dazu etwa Böse, ZIS 2014, 117, 118) der bei regelmäßigem Verlauf bevorrechtigten Patienten die zeitlichen Verschiebungen in der Unterbreitung eines Organangebots mit jedenfalls der Verlängerung oder Intensivierung bestehender Leiden verbunden gewesen wäre. In Übereinstimmung mit

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der Staatsanwaltschaft vermag auch die Kammer keine erfolgversprechenden Ermittlungsansätze zu erkennen, die insoweit noch zu einer weiteren Sachverhaltsaufklärung beitragen könnten.

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Da jedenfalls aus diesem Grund der Nachweis der kausalen Herbeiführung eines Körperverletzungs- oder gar Tötungserfolges durch den Angeschuldigten auch in diesen Fällen vorhersehbar nicht möglich sein wird, besteht - wovon auch die Staatsanwaltschaft ausgeht - kein hinreichender Verdacht für die Begehung eines vollendeten Körperverletzungs- oder gar Tötungsdelikts durch den Angeschuldigten.

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2. Aber auch hinsichtlich der von der Staatsanwaltschaft angenommenen versuchten (gefährlichen) Körperverletzungen würde es - ebenso wie hinsichtlich denkbarer versuchter Totschlagstaten - jedenfalls unter Berücksichtigung der im erwähnten Beschluss des 5. Strafsenats erörterten Gesichtspunkte zumindest an der Feststellbarkeit eines darauf gerichteten Tatentschlusses vorhersehbar mangeln.

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a) Allerdings vermag die Kammer der Rechtsansicht des Bundesgerichtshofs nicht in allen Punkten zu folgen.

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aa) So führt der Senat in Zusammenhang mit - im hiesigen Verfahren nicht relevanten - Fällen der richtlinienwidrigen Aufnahme von Pateinten mit alkoholinduzierter Leberzirrhose („Wartelistenfälle“) und ausgehend davon, dass - insoweit zustimmungswürdig - das Transplantationsgesetz jedenfalls in seiner zu den Tatzeitpunkten geltenden Fassung keinen „annähernd bestimmten gesetzgeberischen Auftrag für die Normierung eines strikten und mit repressiver Sanktion zu bewehrenden Ausschlusstatbestand betreffend Alkoholkranke“ enthalten habe und daher ein Blankettstrafgesetz, welches den entsprechenden

Richtlinienverstoß unter Strafe gestellt hätte, den verfassungsrechtlichen Vorgaben der Art. 103 Abs. 2, 104 Abs. 1 Satz 1 GG nicht genügt haben würde, weiter Nachfolgendes aus (amtlicher Umdruck Rn. 35):

„Diese Umstände können bei der Interpretation des § 212 StGB nicht außer Acht bleiben. Zwar trifft es zu, dass das vorsätzliche Tötungsdelikt des § 212 Abs. 1 StGB (ebenso wie das vorsätzliche

Körperverletzungsdelikt nach § 223 StGB) keine spezielle Form der Tatbegehung voraussetzt (vgl. Rissing- van Saan, NStZ 2014, 233, 239; Bülte, aaO, S. 753). Da die "Alkoholkarenzklausel" keinem medizinisch- naturwissenschaftlichen Erfahrungssatz entspringt, wonach die Lebertransplantation bei alkoholinduzierter Zirrhose vor Ablauf von exakt sechs Monaten Alkoholabstinenz medizinisch nicht sinnvoll ist […], könnte eine Strafbarkeit des Angeklagten wegen (versuchter) Tötungs- oder Körperverletzungsdelikte vorliegend nur mit der formalen Verletzung der Richtlinien begründet werden. Es kann aber nicht in Betracht kommen, im Wege der Auslegung der §§ 212, 223 StGB eine allein an den Formalverstoß anknüpfende Bewehrung der - nach den vorbezeichneten Grundsätzen nicht strafrechtlich bewehrbaren - Richtlinienbestimmung herbeizuführen und insbesondere den Totschlagstatbestand hierdurch bei sehr hohen Strafdrohungen gleichsam als durch die Richtlinienbestimmung ausgefülltes Blankett auszugestalten (vgl. auch Schroth/Hofmann, FS Kargl, aaO, S. 539). Eine Auslegung in diesem Sinne würde Art. 103 Abs. 2 GG verletzen.“

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An anderer Stelle (aaO Rn. 43 f.) führt er zu den „Manipulationsfällen“ - wie sie auch hiesiges Verfahren betrifft - aus, auch hier könne „eine Strafbarkeit […] wegen (versuchten) Totschlags oder (versuchter) Körperverletzung […] gleichfalls nur mit der formalen Verletzung von Bestimmungen in den Richtlinien der Bundesärztekammer begründet werden“, wobei auch insoweit möglichweise die „Basis für eine

strafrechtliche Absicherung der vorgegebenen Regularien“ fehle.

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bb) Der Kammer erscheint es insoweit schon als jedenfalls sprachlich missglückt, von einem

„Formalverstoß“ oder einer „formalen Verletzung“ der Richtlinienbestimmungen zu sprechen, weil dadurch der Eindruck entstehen kann, den in Zusammenhang mit dem sogenannten Transplantationsskandal strafrechtlich verfolgten Transplantationsmedizinern lägen Verstöße zur Last, die den materiellen Kern der Allokationsbestimmungen nicht berühren. Tatsächlich hat zwar das von der Richtlinie normierte Verfahren der Dringlichkeitsabschätzung „formalen“ Charakter insoweit, als es diese auf den aus Blutwerten

errechnete MELD-Score stützt, obwohl ein solches Verfahren nach medizinischem Erfahrungswissen nicht

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uneingeschränkt geeignet ist, die Dringlichkeit in jedem Einzelfall zutreffend abzubilden. Dies ändert indes nichts daran, dass (insbesondere) die Übermittlung unzutreffender Blutwerte unmittelbar dem Ziel einer (gleich) gerechten Verteilung von Spenderorgangen widerstreitet, indem eine willkürliche Bevorzugung der eigenen Patienten - gerade durch Ausnutzung des Verfahrensformalismus - erzwungen werden soll.

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cc) Es erscheint der Kammer auch in der Sache jedenfalls nicht zwingend, dass etwaige Defizite der (gesetzlichen und untergesetzlichen) Regelungen der Organzuteilung sich auf die Interpretation der §§ 212, 223 StGB (sc. wohl das diesen Normen zugrundeliegende Kausalitätskonzept oder auch die bei ihrer Anwendung gegebenenfalls zu berücksichtigenden Grundsätze „objektiver Zurechnung“) auswirken müssen. Jedenfalls vom Standpunkt einer Zurechnung aufgrund eines (unerlaubten) Eingriffs in einen

„rettenden Kausalverlauf“ wäre - jedenfalls solange nicht höherrangiges Recht den konkreten Eingriff sogar gebietet, wie dies bei den „Wartelistenfällen“ freilich sogar der Fall sein mag - nicht ohne weitere

Begründung einsichtig, dass und warum es von Belang sein könnte, ob die rechtliche Basis von durch gesetzliche Bestimmungen (mit) determinierten „rettenden Kausalverläufen“ Einwänden ausgesetzt ist, soweit sie im Zeitpunkt der Tat nur tatsächlich geeignet waren, auf die an ihm Beteiligten motivierend Einfluss zu nehmen. Ebenso wenig erscheint von diesem Standpunkt aus ohne weiteres nachvollziehbar, warum dem „Schutzzweck“, den die den Rettungsvorgang (mit) determinierenden Normen verfolgen, für die Erfolgszurechnung durchgreifende Bedeutung zukommen könnte (vgl. auch den Hinweis bei Kudlich, NJW 2017, 3255; einen bedenkenswerten Erklärungsansatz bietet freilich Haas, HRRS 2016, 384, 388 ff., siehe auch bereits ders., Kausalität und Rechtsverletzung, 2002, S. 221 ff.).

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dd) Der Senat hat sich dadurch möglicherweise auch den Blick darauf verstellt, dass es sich beim Eingriff in einen „rettenden Kausalverlauf“ um ein hier einschlägiges eigenständiges, in seinen normativen

Voraussetzungen aber nicht vollständig geklärtes Zurechnungsinstitut handeln könnte (vgl. zur eigenständigen Bedeutung des Zurechnungstopos insbesondere Gimbernat Ordeig, Schünemann-

Symposium, 2005, S. 163, 178 ff.; siehe auch Haas, Kausalität und Rechtsverletzung, 2002, S. 217 ff. und passim).

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Die Kammer selbst neigt der Ansicht zu, dass die Annahme der (tatsächlich gegebenen oder jedenfalls vom Tatentschluss des Angeklagten umfassten) Kausalität der verfahrensgegenständlichen

Manipulationshandlungen für die Herbeiführung eines tatbestandsmäßigen Erfolgs (allein) nach Maßgabe solcher (unterstellter) Grundsätze über die Verhinderung eines oder den Eingriff in einen „rettenden Kausalverlauf“ erfolgen könnte. Sie ginge darüber hinaus davon aus, dass diese Grundsätze hierzu nicht nur in einem Sinn begriffen werden müssten, dass sie eine weitgehende Konkretisierung des „rettenden Kausalverlaufs“ nicht erfordern (vgl. krit. dazu Bülte, StV 2013, 749, 757) und stattdessen sogar Eingriffe vor dessen initialer Ingangsetzung (hier: jedenfalls nicht vor dem Vorliegen eines konkreten Organs) umfassen.

Erforderlich erschiene vielmehr auch ein Verständnis dahin, dass „rettende Kausalverläufe“ - allgemein oder jedenfalls im Falle ihrer rechtlichen Zuordnung zu einem Hilfsbedürftigen (vgl. dazu insbesondere Haas, HRRS 2016, 384, 388 f.) - auch (strafrechtlichen) Schutz gegen solche Beeinflussungen genießen, die den potentiellen Retter allein in dessen Auswahl unter mehreren Hilfsbedürftigen beeinflusst.

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Die Kammer ginge insoweit auch davon aus, dass jedenfalls die zuletzt genannte Frage nicht allein anhand eines vom Gesetzgeber vorausgesetzten und ihm vorgegebenen Kausalitätsmaßstabs beantwortet werden kann, sondern es insoweit eigenständiger normativer Bewertungen bedürfte, welche dem

parlamentarischen Gesetzgeber vorbehalten und von diesem mit der von der Verfassung geforderten Bestimmtheit (Art. 103 Abs. 2 GG) vorzunehmen sind. Sie hätte insoweit (wohl) durchgreifende Bedenken, dass eine diesen Anforderungen genügende gesetzliche Grundlage im Zeitpunkt der

verfahrensgegenständlichen Taten existierte (für eine ausreichende Fundierung - freilich: seines bisher in Rspr. und Lit. kaum aufgegriffenen Konzepts - in den §§ 13 Abs. 1, 25, 26 StGB zugrundeliegenden Prinzipien aber Haas, HRRS 2016, 384, 394 f.).

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b) Die Kammer kann aber im Ergebnis die sich aus dem Vorerwähnten ergebenden Fragen offen lassen, da sie der vom 5. Strafsenat geäußerten Auffassung zur Beurteilung eines (Tötungs- oder)

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Körperverletzungsvorsatzes jedenfalls in seinem wesentlichen Gehalt folgt, was im hiesigen Verfahren bedingt, dass - entgegen der von der Staatsanwaltschaft mit der Anklageschrift vertretenen Ansicht - auch ein allein auf die Begehung von Körperverletzungstaten gerichteter Tatentschluss nicht feststellbar sein wird. Insoweit gilt:

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aa) (1) Bedingt vorsätzliches Handeln setzt nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesgerichtshofs voraus, dass der Täter den Erfolg als möglich und nicht ganz fernliegend erkennt (Wissenselement) und ihn billigt oder sich um des erstrebten Zieles willen zumindest mit der Tatbestandsverwirklichung abfindet, mag sie ihm auch unerwünscht sein (Willenselement; vgl. zum Ganzen nur BGH, Urteile vom 09.02.2017- 3 StR 415/16, NStZ 2017, 342, 343 f.; vom 11.01.2017 - 5 StR 409/16, NStZ 2017, 281; vom 08.12.2016 - 1 StR 344/16, StV 2017, 532, 534; und vom 22.11.2016 - 1 StR 194/16, jeweils mwN). Dabei kann das

Willenselement des Vorsatzes fehlen, wenn der Täter trotz erkannter objektiver Gefährlichkeit der Tat ernsthaft auf das Ausbleiben des Erfolges vertraut, sofern er begründeten Anlass zu solchem Vertraue hatte (vgl. etwa BGH, Urteile vom 22.11.2016 - 1 StR 194/16; und vom 21.12.2011 - 1 StR 400/11, NStZ-RR 2012, 105). Eine bloß vage Hoffnung des Täters reicht insoweit nicht aus (vgl. etwa BGH, Beschluss vom 12.12.2000 - 5 StR 294/00; Urteil vom 15.06.2000 - 4 StR 172/00, NStZ-RR 2000, 327, 328; siehe auch BGH, Urteil vom 18.10.2007 - 3 StR 226/07, NStZ 2008, 93, 94). Einem etwaigen Vertrauen des Täters auf einen glücklichen Ausgang fehlt eine hinreichende Basis namentlich dann, wenn auch nach dem

Vorstellungsbild des Täters der Erfolg nur noch durch einen glücklichen Zufall zu verhindern ist (BGH, Urteil vom 22.03.2012 - 4 StR 558/11, NJW 2012, 1524, 1526).

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Zur Feststellung beider Vorsatzelemente bedarf es einer Gesamtbetrachtung aller objektiven und subjektiven Umstände, in welche vor allem auch die objektive Gefährlichkeit der Tathandlung und die Motivationslage des Täters einzubeziehen sind. (BGH, Urteile vom 09.02.2017 - 3 StR 415/16, NStZ 2017, 342, 343 f.; vom 08.12.2016 - 1 StR 344/16, StV 2017, 532, 534; und vom 22.11.2016 - 1 StR 194/16, jeweils mwN).

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(2) Die Anforderungen die an das Wissenselement zu stellen sind, hat der 5. Strafsenat in seinem Beschluss vom 28. Juni 2017 für Fälle, in denen der Täter in einen von Dritten initiierten „rettenden

Kausalverlauf“ eingreift, nunmehr dahin konkretisiert, ihm müsse „bewusst sein, dass der Rettungserfolg mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit eintreten würde“; dass er dies allein für möglich gehalten hat, wie das Tatgericht es hinsichtlich der Auswirkungen auf „erstüberholte“ Patienten festgestellt hatte, hat er dagegen ausdrücklich als nicht ausreichend angesehen (aaO Rn. 55, 64).

28

Die Annahme, der an die Prüfung der („Quasi“)Kausalität anzulegenden Maßstab einer „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ der Erfolgsverhinderung (vgl. dazu bereits RG, Urteil vom 25.06.1917 - III 213/17, RGSt 51, 127; so auch BGH, Beschluss vom 06.03.2007 - 3 StR 497/06, NStZ 2007, 469) müsse (unverändert) „in die Prüfung des Tatentschlusses im Rahmen der Versuchsprüfung einbezogen werden“

(aaO Rn. 55), ist zwar nach Ansicht der Kammer durchgreifenden Bedenken ausgesetzt. Wie dargelegt bewertet es die Rechtsprechung regelmäßig als für die Bejahung des Wissenselements ausreichend, wenn der Täter den Erfolgseintritt für möglich und nicht ganz fernliegend hält. Dass sie in Unterlassens-Fällen - ausgehend von einer hier zu beachtenden „Quasikausalität“ - tatsächlich anders verfahre, lässt sich nicht ohne weiteres erkennen (vgl. etwa BGH, Urteil vom 07.11.1991 - 4 StR 451/91, NStZ 1992, 125; zum bedingten Vorsatz beim Unterlassen auch LK/Weigend, 12. Aufl., § 13 Rn. 73 mwN; unklar BGH, Beschluss vom 06.03.2007 - 3 StR 497/06, NStZ 2007, 469; siehe aber auch BGH, Beschluss vom 02.03.1962 - 4 StR 355/61, NJW 1992, 1212, 1214). Es liegt insgesamt näher, die überkommende Forderung nach einer „an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit“ als bloße Umschreibung des für die richterliche Überzeugung erforderlichen Beweismaßes zu verstehen (so für unechte Unterlassungsdelikte auch BGH, Urteil vom 06.07.1990 - 2 StR 549/89, NStZ 1990, 587, 591 [Lederspray]; vgl. auch Haas, HRRS 2016, 384, 395 f.;

Kudlich, NJW 2017, 3255, 3256; Verrel, MedR 2014, 464, 466 f; im Ergebnis ebenso Rissing-van Saan, NStZ 2014, 233, 242; aA aber Jäger, JA 2017, 873, 875).

29

(8)

Die Kammer sieht in den Ausführungen des Senats aber einen zutreffenden Kern jedenfalls insoweit, als in Fällen - wie hier - komplexer, in ihrem Fortgang vom Täter nur abstrakt aufgrund Erfahrungswissens erfassbarer Kausalzusammenhänge der Verletzungsvorsatz bei demjenigen fehlen kann, der die tatsächlichen Grundlagen und Erfahrungssätze sowie die aus diesen rational ableitbare (objektive, frequentistische) Wahrscheinlichkeit einer kausalen Erfolgsbewirkung (im Wesentlichen) zutreffend erfasst und hierbei die zwar nicht überwiegende aber doch in einem (auch normativ zu bestimmenden Umfang) erhöhte Wahrscheinlichkeit eines solchen Verlaufs erkennt, der keine Zurechnung des Erfolgs zu seinen Handlungen erlauben würde. Es kann dabei vorliegend im Ergebnis auch dahinstehen, ob dies - wie der Senat annimmt - schon (dann: stets) wegen des Fehlens des Wissenselements der Fall ist, oder - was der Kammer vorzugswürdig erscheint - weil in diesen Fällen ein (dann freilich allein: tatsächlich gegebenes oder zugunsten des Angeklagten zumindest zu unterstellendes) Vertrauen auf einen strafbarkeitsirrelevanten Verlauf, nicht als bloß „vage Hoffnung“ ohne hinreichende Basis erschiene. Auch der Bewertung des Senats, dass jedenfalls in den von ihm zu beurteilenden Fällen für den Angeklagten eine in diesem Sinne

„hinreichende Vertrauensbasis“ bestanden habe (aaO Rn. 61), dass mit anderen Worten auch die hinreichend erhöhte Wahrscheinlichkeit eines strafbarkeitsirrelevanten Verlaufs im vorerwähnten Sinne gegeben war, folgt die Kammer.

30

bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen bieten die Ergebnisse der durchgeführten Ermittlungen keine ausreichende Grundlage für die Annahme, der Angeschuldigte habe bei Vornahme der ihm zur Last liegenden Handlungen jedenfalls hinsichtlich der Aufrechterhaltung von bei den übergangenen Patienten bestehenden Leiden zumindest bedingt vorsätzlich gehandelt.

31

(1) Die vom Einzelfall nicht abhängenden tatsächlichen Grundlagen des Transplantationsverfahrens zur Zeit der Vornahme der vorgeworfenen Handlungen werden sich vorhersehbar in hiesigem Verfahren ebenso darstellen, wie in dem vom Bundesgerichtshof beurteilten Fall. Insbesondere wird danach davon

auszugehen sein, dass für die betreffenden Patienten generell ein Risiko von fünf bis zehn Prozent bestand, in oder unmittelbar nach einer Transplantation zu versterben, und dass im Übrigen die Wahrscheinlichkeit des Eintritts eines „Rettungserfolges“ von einer Mehrzahl einzelfallabhängiger Umstände abhing, namentlich der Eignung des Organs, der Transplantabilität des potentiellen Empfängers zum Zeitpunkt des Angebots sowie der Operationsmöglichkeit im jeweiligen Transplantationszentrum, mit der Folge auch, dass es trotz eines im Tatzeitraum bestehenden „Überangebots“ an Lebern gerade für Patienten mit hohen MELD-Scores zu einem Versterben solcher Patienten „auf der Liste“ in einer nicht unerheblicher Anzahl kam.

32

Entgegen der Ansicht der Staatsanwaltschaft betreffen die Unwägbarkeiten in Bezug auf den Eintritt eines

„Rettungserfolges“, wovon auch der 5. Strafsenat zutreffend ausgeht (aaO Rn. 64), auch etwaige Körperverletzungsdelikte. Denn es besteht eine nicht ganz geringfügige Wahrscheinlichkeit auch dafür, dass sich der Zustand des bei unbeeinflusstem Verlauf behandelten Patienten durch die Durchführung der Transplantation sogar - bis hin zum Tode - verschlechtert haben würde. Dem kann auch nicht entgegen gehalten werden, dass der übergangene Patient mit dem „fremden Organ […] auch um den Preis des möglichen Versterbens [habe] leben“ wollen (so aber Jäger, JA 2017, 873, 875); Beeinträchtigungen allein der Entscheidungsmacht stellen keinen von den Köperverletzungsdelikten des Strafgesetzbuches erfassten Erfolg dar.

33

(2) Daneben wäre auch im vorliegenden Fall als Ergebnis einer Hauptverhandlung - die Vornahme der Manipulationshandlungen durch diesen unterstellt hochwahrscheinlich jedenfalls zu Gunsten des Angeschuldigten davon auszugehen, dass

– er bei Vornahme der Tathandlungen Kenntnis von den vorerwähnten tatsächlichen Grundlagen des Transplantationsverfahrens (jedenfalls im Wesentlichen) hatte,

– er aufgrund dieser Kenntnisse - schon wegen des Risikos, dass der Organempfänger unmittelbar bei der Transplantation verstirbt - davon ausging, dass eine nicht gänzlich unerhebliche Wahrscheinlichkeit dafür bestand, dass die Manipulationshandlungen ohne tatsächliche Auswirkungen auf die Lebenschancen oder das Fortbestehen von Leiden bei übergangen Patienten bleiben würden,

(9)

– und er ernstlich darauf vertraute, dass dies auch tatsächlich der Fall sein werde.

34

Insoweit hat der Angeklagte ausdrücklich vortragen lassen, dass er mit den tatsächlichen Grundlagen des Transplantationsverfahrens vertraut war. Dies liegt angesichts seiner Ausbildung und beruflichen Tätigkeit als Transplantationsmediziner ohnehin nahe und wird auch durch die Staatsanwaltschaft nicht etwa in Frage gestellt. Damit wird aber zugleich davon auszugehen sein, dass er bei den ihm zur Last gelegten Manipulationshandlungen - deren Vornahme durch ihn unterstellt - von einer nicht ganz unerheblichen Wahrscheinlichkeit eines nach dem dargestellten Kausalitätsmaßstab zu einem Körperverletzungs- oder gar Tötungserfolg nicht führenden weiteren Verlauf ausging. Nach der dargestellten Rechtsprechung des 5.

Strafsenats wäre schon aufgrund dieser Umstände vom Fehlen des Wissenselements (auch) eines Körperverletzungsvorsatzes auszugehen.

35

Die Kammer würde aber - ausgehend von dem ihr vorzugswürdig erscheinenden rechtlichen Ansatz - auf Grundlage bereits dieser Feststellungen und Wertungen vorhersehbar auch dazu gelangen, dass ein (ernstliches, nicht nur vages) Vertrauen des Angeklagten darauf, dass es auch tatsächlich trotz der

vorgenommenen Manipulationen zu keiner Schädigung übergangener Patienten kommen werde, und damit ein Fehlen des Willenselements des Vorsatzes zu seinen Gunsten zu unterstellen ist. Denn obwohl der Angeklagte selbst - vor dem Hintergrund seiner Einlassung zwangsläufig - ein solches Vertrauen nicht behauptet hat, läge eine ausreichende objektive Grundlage für einen entsprechenden Rückschluss vor.

36

Zwar hätte der Angeklagte danach - nach Ansicht der Kammer für die Bejahung des Wissenselements ausreichend - die Möglichkeit jedenfalls einer Gesundheitsschädigung derjenigen übergangenen Patienten, die infolge der Verschiebung der Listenplätze nur noch zeitverzögert ein Organ angeboten erhalten konnten, als nicht ganz fernliegend erkannt. Die (objektive, frequentistische) Wahrscheinlichkeit eines dennoch glücklichen Verlaufs war nach dem Dargestellten auch so überschaubar, dass es kaum als rationaler Umgang mit der Risikolage beurteilt werden kann, die erkannten Gefahren für gewichtige Belange Dritter in Kauf zu nehmen. Sie war aber andererseits - wovon auch der 5. Strafsenat ausgeht - nicht etwa bereits so gering, dass jedes Vertrauen auf ihre Verwirklichung als bloßes Wunschdenken erschiene, dessen Bewertung als „ernstliches Vertrauen“ mangels hinreichender „objektiver Vertrauensbasis“ gänzlich fern läge.

37

Bei der Beurteilung von in diesem Sinne als irrational imponierenden Handlungsentscheidungen sind aus Sicht der Kammer zudem die zwischenzeitlich gut gesicherten Erkenntnissen der

Entscheidungspsychologie in den Blick zu nehmen, wonach auch professionelle Entscheidungsträger häufig die Wahrscheinlichkeit des Eintritts erwünschter Ergebnisse trotz Kenntnis der maßgeblichen Umstände subjektiv erheblich überbewerten und sich daher - gemessen an ihren eigenen Präferenzen - irrational risikoaffin verhalten. Eine dem entsprechende Entscheidungssituation wäre aber hier naheliegend gegeben gewesen, weil sich mit der Zuteilung des Organs zum eigenen Patienten ein greifbarer „Gewinn“ (an Handlungsmöglichkeiten zur Erreichung eines Heilungserfolges oder auch Prestige) für den

Angeschuldigten verbunden hätte, während sich ihm die Gefahren für unbekannte Dritten naheliegend weit abstrakter darstellten, wobei hier allerdings der Eintritt des „Gewinns“ nicht durch die Verwirklichung der Risiken (für allein Dritte) ausgeschlossen würde. Freilich lässt sich von der tatsächlichen Häufigkeit irrational risikoaffiner Entscheidungen in vergleichbarer Situation nicht ohne weiteres auf die bei den Handelnden vorliegenden mentalen Zustände schließen, ob also der Täter die Wahrscheinlichkeit eines

strafbarkeitsirrelevanten Verlaufs in solchem Maße überbewertete, dass er die mit seiner Handlung verbundenen Risiken weitgehende beiseite schob und auf einen glücklichen Verlauf tatsächlich vertraute, oder - wie beim Kauf eines Lotterieloses zu einem gemessen an der Gewinnchance irrational hohen Preis - die Risiken um der Chancen willen in Kauf nahm. Sie belegt aber aus Sicht der Kammer, dass in einer Entscheidungssituation wie sie hier gegeben gewesen wäre, dem Umstand, dass der Täter die objektiv mit seiner Entscheidung verbundenen Risiken erkannte, nur sehr begrenzte Bedeutung für die Vorsatzfrage beigemessen werden kann.

38

(10)

Nimmt man ausgehend davon für die Beantwortung der Frage, wie nahe oder fern es liegen kann, dass der Angeschuldigte auf einen strafbarkeitsirrelevanten Kausalverlauf auch tatsächlich vertraute, zusätzlich in den Blick, dass nach den Ermittlungsergebnissen besonders nahe liegt, dass dem Angeschuldigten eine tatsächliche Schädigung Dritter in hohem Maße unerwünscht war, und sich auch keine Anhaltspunkte dafür ergaben, dass er in seinem Entscheidungsverhalten von Anreizen für die bewusste Wahl hoher Risiken - etwa einer versprochenen Geldzahlung für die „Beschaffung“ eines Organs - beeinflusst worden sein könnte, erschiene der Kammer die Möglichkeit eines tatsächlich beim Angeklagten wirksam gewordenen Vertrauens auf einen für den eigenen Patienten positiven und Dritte nicht schädigenden Verlauf unter Beiseiteschieben der erkannten Risiken als weder bloß denktheoretisch noch so fernliegend, dass sie bei der Beweiswürdigung zu Lasten des Angeschuldigten übergangen werden könnte.

39

3. Auch der hinreichende Verdacht einer vom Angeschuldigten durch das ihm zur Last gelegte Verhalten begangenen Ordnungswidrigkeit besteht schließlich nicht. Hinsichtlich des insoweit in Betracht kommenden Tatbestands des § 20 Abs. 1 Nr. 4 TPG in der Fassung vom 4. September 2007 schließt sich die Kammer der Ansicht des Bundesgerichtshofs im Beschluss vom 28. Juni 2017 an, wonach hierdurch allein die Nichtbeachtung der Regeln durch die Vermittlungsstelle sanktioniert werden sollte (aaO Rn. 66).

40

III. Die Entscheidung über die Kosten des Verfahrens und die dem Angeschuldigten entstandenen notwendigen Auslagen folgt aus §§ 464 Abs. 1 und 2, 467 Abs. 1 StPO.

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