Dr. rer. nat. Ronnie Gueta
LABOKLIN GmbH & Co. KG, Bad Kissingen, Deutschland
Das Mikrobiom des Hundes –
Grundlagen, Diagnostik und Therapieansätze
Darmbarriere
Mukus mit wandständiger Mikroflora
• Selbstverdauungsschutz, Barriere gegen Fremdkeime Sekretorisches IgA
• Bildung von Antigen-Antikörperkomplexen Schleimhautzellen mit Tight Junctions
• Mechanische Barriere
Gut associated lymphoid tissue (GALT)
• Intraepitheliale Lymphozyten, Antigenaufnahme, Immunologisches Training
Intestinales Mikrobiom
• Darmlumen, -schleim und andere mukosalen Oberflächen mit Mikroorganismen besiedelt → Mikrobiom
• 60 % Fäkalmasse durch Bakterien, 2 % Anteil am Körpergewicht
• Dünndarm: 10
3- 10
6Zellen/g Kot, Dickdarm: 10
9- 10
12Zellen/g Kot
• 99,9 % Anaerobier, < 0,1 % Aerobier
• 10x mehr Bakterien als Körperzellen
• Dichtest besiedelte bakterielle Ökosystem der Welt!
Bacterial biofilm with microbiota. Image courtesy of the Lewis Lab at Northeastern University. Image created by Anthony D'Onofrio, William H. Fowle and Kim Lewis.
Funktion und Bedeutung
Förderung des Stoffwechsels und Durchblutung der Darmmukosa
• Enzymatische Synthese von Vitaminen und anderen Mikronährstoffen bspw. B12
• Verstoffwechslung von Kohlenhydraten und unverdaulichen Oligosacchariden
• Synthese kurzkettiger Fettsäuren wie Butyrat, Propionat und Acetat
Antimikrobielle Schutzfunktion
• Bildung einer Schleimhaut - Mechanische Barriere
• Aufbau der Kolonisationsresistenz
• Produktion antimikrobieller Stoffwechselprodukte (H202, Bakteriozine)
Funktion und Bedeutung
Immunomodulation
• Stimulation des darm-assoziierten Immunsystems (GALT)
• Sekretion von sIgA, ß-Defensinen, Lactoferrin uvm.
Instandhaltung der Schleimhautbarriere
• Regulation der Zell-Zellverbindungen (Tight junctions)
Noth, Rainer & Lange-Grumfeld (2011),
BMC gastroenterology. 11. 109. 10.1186/1471- 230X-11-109.
Klinische Beschwerden bei
Darmdysbiosen
Darmdysbiose und Gastrointestinaltrakt
• Chronisch- und akut-entzündliche Darmerkrankungen
• Blähungen, Durchfall, Verstopfung
• SIBO, Reizdarmsyndrom
• Maldigestion, Malabsorption, Mikronährstoffdefizite
• A, D, E, K, B12 ↓ und/oder
Folsäure ↑
Kurzkettige Fettsäuren - Funktion
• Acetat, Propionat, Butyrat
• Aufrechterhaltung der Schleimhautintegrität
• Glukose-Homöostase
• Lipid-Metabolismus
• Regulation des Appetit- und Energiestoffwechsels
• Immunregulation und
Entzündungsantwort
Morrison DJ, Preston T. Formation of short chain fatty acids by the gut microbiota and their impact on human metabolism. Gut Microbes.2016;7(3):189-200.
Dysbiose und Schleimhautbarriere
• Futtermittelunverträglichkeiten
• Allergien
• Neurodermitis, Juckreiz
• Akne, Urtikaria, Ekzeme
• Psoriasis, Mykosen, Schuppen
• Fell- und Haarverlust
Leaky Gut – Silent Inflammation
• Vermehrte Invasion von Bakterien und Viren → Öffnung der Zellverbindungen zur Deckung erhöhten Energiebedarfs
• Entzündungsreaktionen durch Übertritt von Allergenen und Mikroorganismen führt zu Schäden an anderen Zellen
• Verteilung von Entzündungsmediatoren über Gefäßkreislauf in den gesamten Organismus
→ Initiierung oder Verstärkung verschiedenster Pathomechanismen
Darmdysbiose und Immunsystem
• Immunabwehrschwächen
• Chron. Asthma, Rhinitis, Bronchitis
• Chronische Harnwegs- und Unterleibsentzündungen
• Darm- und sonstige Schleimhautmykosen
• Rezidivierende Parasitosen
Abbildungen aus KENNEDY et al. 1987
REM von der Caecal-Schleimhaut einer unbehandelten Maus nach Gabe von Candida albicans.
REM von der Caecal-Schleimhaut einer Penicillin-behandelten Maus nach Gabe von Candida albicans.
Kolonisationsresistenz
Autenrieth et. al (2011)
Darm-assoziiertes Immunsystem (GALT)
Rasterelektronische Aufnahmen von
Dünndarmzotten und Follikel-assoziiertem Epithel mit M-Zellen
Immunologische Schleimhautvernetzung
• Aufnahme von Antigenen durch M-Zellen, Abgabe an adaptives Immunsystem
• Umwandlung von Lymphozyten in Lymphoblasten, Übertritt in Blutkreislauf
• Homing, Wandlung in sIgA produzierende Plasmazellen
Quelle: www.basicmedicalkey.com/immunity-in-the-gut-mechanisms-and-functions
Darmdysbiose und Vegetativum
• Stoffwechselstörungen, Adipositas, Diabetes mellitus
• Migräne, Rheumatische Erkrankungen
• Depression, Erschöpfungszustände
• Konzentrationsstörungen, Reizbarkeit
• Autismus, Demenz, Parkinson, MS …
Darm-Hirn Achse (Neuropsychobiologie)
Dehhaghi, Mona et al. “Microorganisms, Tryptophan Metabolism, and Kynurenine Pathway: A Complex Interconnected Loop InfluencingHuman Health Status.” International journal of tryptophan research : IJTRvol. 12 1178646919852996. 19 Jun. 2019
Nachweis von
Darmdysbiosen
Mikrobiologische Verfahren
Mikrobiologische Analyse
• Einfach, günstig, lange etabliert
• Nachweis lebender, vermehrungsfähiger Mikroorganismen
• Gut geeignet zum Nachweis obligat enteropathogener Keime
• Serotypisierung und Resistenztestung möglich
• Alle Tierarten können getestet werden!
Mikrobiologisch-kulturelle Analyse
• Keine signifikanten Unterschiede bei klinisch gesunden und Tieren mit chronischer Diarrhö
• Mikrobiologische Analyse der Keimzahlen von Enterokokken, Bifidobakterien und Laktobazillen zum Nachweis von Darmdysbiosen nicht geeignet!
n=27, no significance
Molekularbiologie
Molekularbiologische Analyse
• 16S-rDNA-Sequenzierung
• Kulturunabhängig, aus Nativpräparat möglich
• Hohe Spezifität & gute Quantifizierbarkeit
• Auch anaerobe Keime & Bakterien mit unbekannten Wachstumsbedingungen
• Alle Mikroorganismen nachweisbar!
Kubinyi, E.; Bel Rhali, S. Animals 2020, 10, 1488.
Dysbiose-Analyse
MK AlShawaqfeh, B Wajid et al. A dysbiosis index to assess microbial changes in fecal samples of dogs with chronic inflammatory enteropathy, FEMS Microbiology Ecology, Volume 93, Issue 11, November 2017
Darmdysbiose in praxi
Chronische Durchfälle
• Signifikant verringerte Kopienzahlen mukosa-protektiver Bakterien
• Faecalibacterium prausnitzii, Blautia spp. und Turicibacter spp.
• erhöhte Prävalenzraten für kolonäre Entzündungsprozesse und Störungen des enterohepatischen Kreislaufs
Dysbiose und chronische Diarrhö
*p<0.05, Wilcoxon-Mann-Whitney-Test
Fallbeispiel 1
• Hund Leia, Mischling, wk, 5 Jahre
• Chronisch rezidivierende Durchfälle seit mehr als 3 Jahren
• Kot oft hell verfärbt
• Differenzialdiagnostisch alles abgeklärt, unklare Genese
• Antibiotika responsiv (Enrofloxacin)
• Kein offensichtlicher Zusammenhang mit bestimmten
Futtermitteln
Fallbeispiel 1
Entzündung ↑
Anaerobier ↓
Fallbeispiel 1
Anaerobier ↓ Anaerobier ↓
Allgemeine Therapieempfehlung
• Futtermittelumstellung, leichtverdaulich, geringer bis gemäßigter Fettgehalt
• Kein Rohfutter und allergenreiche Futtermittelbestandteile!
• Ballaststoffhaltige Zusätze zum Futter (z.B. in Wasser gequollene Flohsamen) wirken präbiotisch
• Nach Abklingen der akuten Symptomatik täglicher Einsatz von qualitativ hochwertigen Probiotika
• Zusätzlich kurweise orale Immuntherapie mit Autovakzinen
Maldigestion
Dysbiose & Maldigestion
• Exokrine Pankreasstörungen mit dysbiotischen Veränderungen assoziiert
• Vermehrter Gehalt von hochverdaulichen Kohlenhydraten, Proteinen und Fetten in Dünndarm und Kolon → Höhere Zahl fakultativ pathogener
proteolytischer Keime
*p<0.05, Wilcoxon-Mann-Whitney-Test
Fallbeispiel 2
• Hund Maddox, Schäferhund, m, 2 Jahre
• Untergewichtig trotz vermehrter Nahrungsaufnahme, Flatulenzen
• Voluminöser Kot mit häufiger Absatzfrequenz (3-4x tgl.)
• Serum: TLI unauffällig; B12 niedrig, Folsäure erhöht
• Kot: Pankreas-Elastase erniedrigt
• Verdacht auf exokrine Pankreasinsuffizienz (EPI)
Fallbeispiel 2
Anaerobier ↓
Fallbeispiel 2
Anaerobier ↓
Anaerobier ↓
Inflammatory bowel disease -
IBD
Dysbiose & Intestinale Entzündung
• Calprotectin → Bestimmung gastrointestinaler Entzündungsgeschehen und zur Beurteilung des allgemeinen Schleimhautzustands
• Darmmikrobiota von Hunden mit erhöhten fäkalen Calprotectin-Werten
→ Unterrepräsentanz mukosaprotektiver Bakterien
• Hohe Kopienzahlen von fakultativ pathogenen, proteolytischen Keimen
*p<0.05, Wilcoxon-Mann-Whitney-Test
Fallbeispiel 3
• Hund Romeo, Mischling, mk, 10 Jahre
• Chronischer Durchfall, starke Flatulenzen
• Kot manchmal schleimumhüllt, Blutauflagerungen
• Schubweises Auftreten mit symptomfreien Perioden (> 1 Monat)
• Endoskopisch unauffällig
Fallbeispiel 3
Anaerobier Entzündung
Fallbeispiel 3
Anaerobier
Anaerobier
Anaerobier
Anhang
Humanes vs Hundedarmmikrobiom
Coelho LP, Roat J et al. Similarity of the dog and human gut microbiomes in gene content and response to diet. Microbiome 2018 6:72
Geographischer Einfluss
Yatsunenko et al., Nature 486, 222–227
Yanomami
• 32.000 Angehörige; besiedeln Regenwald und Berge Nordbrasiliens und Südvenezuelas
• 11.000 Jahre isoliert von westlicher Welt
• 2009 Kontaktaufnahme; 34 Proben aus Mund, Haut und Stuhl
• Mikrobiom mit doppelter Diversität, deutlich mehr als bei Ureinwohnern aus Südamerika und Afrika
Clemente JC et al. The microbiome of uncontacted Amerindians. Sci Adv. 2015 Apr 3;1(3). pii: e1500183.
Diversität ↑
=
Resilienz ↑
Gründe für Diversitätsverlust
• Art der Geburt
• mütterliches Mikrobiom
• Umwelt (Stadt vs. Land)
• Ernährung
• Medikamente (Antibiotika, PPI, Antidepressiva, Pille…)
• Reizdarm, CED, Fettleibigkeit, Depressionen, Autismus…
Turnbaugh et al., Nature 457, 480-484
Mikrobiom und Adipositas
schlanker Zwilling
keimfreie Maus
fettleibiger Zwilling fettleibige Maus
schlanke Maus
modifiziert nach Science 341 (6150): 1069-1070
Mikrobiom und Psyche
• Transfer der Darmflora von aggressive Mäusen auf keimfreie scheue Tiere
→ Verhalten neugieriger und aktiver
• Transfer der Darmflora von scheuen Mäusen auf aggressive Tiere
→ Verhalten scheuer und zurückhaltender
Bercik et al., Gastroenterology. 2011 Aug;141(2):599-609, 609
Mikrobiom und Depression
• Mäuse wurden drei Stunden jeden Tag von ihren Müttern getrennt → Stress
• normale Mäuse mit Darmflora →
nach Trennung Angst- und Depressionsverhalten
• keimfrei aufgezogene Mäuse →
keine Anzeichen von Angst oder Depression
• Transfer von Bakterien aus normalen Mäusen in keimfreie → Angst und Depression
• Ohne Darmflora kein depressives Verhalten!
McMaster University, Nature Communications; Juli 2015
Fäkaltransplantation bei Clostridium-difficile-assoziierter Kolitis
• Erste Versuche einer Übertragung von Stuhl über Nasensonden in den Dünndarm erkrankter Patienten zeigten 92 % therapeutischen Erfolg
• Stuhltransplantation bei einer randomisierten kontrollierten nicht verblindeten niederländisch-finnische Studie deutlich überlegen
→ Vorzeitiger Abbruch
• 42 Studienpatienten mit einem bis neun Rückfälle einer Clostridium- difficile-Enterokolitis
• Stuhltransplantation mittels nasoduodenaler Sonde bei 16 Patienten nach viertägiger Vancomycin-Gabe und Darmreinigung
Van Nood E, Vrieze A. Duodenal Infusion of Donor Feces for Recurrent Clostridium difficile. N Engl J Med 2013; 368:407-415
Fäkaltransplantation bei Clostridium-difficile-assoziierter Kolitis
• Therapie bei 13 Patienten (81 %) im ersten Anlauf, mit zweiter Stuhltransplantation bei zwei der verbliebenen drei Patienten erfolgreich
• In Kontrollgruppen (Vancomycin und Darmreinigung bzw. nur Vancomycin) nur drei von dreizehn Patienten (23 %) rezidivfrei
• Bio-Diversität des Stuhls bei antibiotikaassoziier- ter Kolitis im Vergleich zu normalem Stuhl deutlich reduziert
• Geschädigte Darmflora begünstigt Rückfälle dank verminderter Kolonisationsresistenz
Van Nood E, Vrieze A. Duodenal Infusion of Donor Feces for Recurrent Clostridium difficile. N Engl J Med 2013; 368:407-415