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EINIGES ÜBER ITALIENISCHE
BEMALTE TRUHEN -
VORTRAG,
GEHALTEN AM
7.
GESELLSCHAFTSABEND
DESWINTERS
1904—1905,20.
MÄRZ = VON KARL
GRAFEN LANCKORONSKI
ALS MANUSKRIPT GEDRUCKT
EINIGES ÜBER ITALIENISCHE
BEMALTE TRUHEN -
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ALS MANUSKRIPT GEDRUCKT
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7.* //
VORTRAG,
GEHALTEN AM
7.
GESELLSCHAFTSABEND
DESWINTERS
1904—1905,20.
MÄRZ = VON KARL
GRAFEN LANCKORONSKI
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DRUCK VON FRIEDRICH JASPER IN WIEN
Alles wiederholt sich nur im Leben, Ewig jung ist nur die Phantasie,
Was sich nie und nirgends hat begeben, Das allein veraltet nie.
Schiller.
Der
Hausrat, auch der Reichenund Vor' nehmen,
inden
KulturländernEuro^
pas vor
500 und
vor400
Jahrenwar
nur auf verhältnismäßigwenige Gegenstände
beschränkt.
Unsere bequemen
Armsesselund
Ruhebetten, unsere Tische mit ver' sperrbarenLaden und
Aufsätzen, unsere vielenSchränke und Kasten
in allen For^men
sindProdukte
einerVermehrung und
größeren Differenzierung unserer praktix sehen Lebensbedürfnisse,
welchen
beiden
angelsächsischenVölkern wegen
ihres gro^ßen Wohlstandes am
meistenRechnung
ge^tragen
werden
konnte,und
entsprechen dem, wie dasWort,
ausEngland
importierten Begriff des Komforts, der ein relativmo/
derner,
wohl
nicht älter als dasXVIII.
Jahr«/hundert ist.
1*
Heute noch kommt
uns der glücklicheBe^
wohner
der Mittelmeerländer, welchermehr im
Freien lebt als wir armen, das halbe Jahr auf dieerwärmte Stube Angewiesenen,
inbezug
auf seineWohnungseinrichtung
spar' tanischgenügsam
vor, aber auch in unseren Breitenwar
es vor etwaeinem
Jahrhundertkaum
anders. Jeden, der dasGoethehaus
inWeimar
besucht hat, brauche ich nur an die fast ärmlich ausgestattetenengen Zimmer
zu erinnern,
wo Goethe
gearbeitet hatund
gestorben ist.
Kein
Gymnasiallehrervon
heute
würde
mit denRäumen
vorliebnehmen,
in denen der Staatsminister
und von
der ganzenWelt
gefeierteund
vergötterte Dicrvter, der sonst keineswegs in seiner Lebens^
führung kärglich war, sich
wohl
fühlte.Hier
möchte
ichIhnen
vorerst einigeInnenräume
zeigen, die auf italienischenGemälden und
Reliefs des Quattro'und
des Cinquecento sich finden. Ich
entnehme
dieselben der ausgezeichneten, der ver^
storbenen deutschen Kaiserin Friedrich
gc
widmeten
Publikationvon
Leinhaas:Wohn^
räume
desXV. und XVI.
Jahrhunderts.Sie
werden
leicht erkennen, daßkaum
etwasden Renaissancezimmern, wie sie bei uns vor ungefähr 30 Jahren zur
Makart^ und
GedonzeitMode
waren, unähnlicher sein konnte als diese Innenräume.Ich zeige
Ihnen
zweiZimmer von
inVenedig
befindlichen Bildern des Carpaccio ausdem Ende
des Quattrocento.Das
einevon
dem, „der heiligeHieronymus
in seiner Zelle" genannten Bilde inSan
Giorgio dei Schiavoni, der letzten einer Reihe köstlicher Heiligenszenen in diesem Kirchlein, welcheich aber gerade
wegen
der zu individuellen Details desInnenraumes
für das Porträt eines Prälaten,wohl
desBestellers des ganzen Zyklus,und
seines Arbeitszimmers zu hal' ten geneigt bin.Mit
einer Treue, die des uns eben entrissenenRudolf
Altwürdig
ge^wesen
wäre, sindMöbel, Bücher und
In^strumente darauf verewigt.
Das
andere, dasZimmer
der heiligen Ursulavon dem
Bilde in derAkademie
derschönen
Künste, aufwelchem
der schlafenden Heiligen derEngel
mit derMärtyrerpalme
erscheint.Die
dritte Ansicht istvon einem etwa
ein halbesJarnv hundert jüngeren Relief an der Kathedralevon
Pisavon
Gianbologna.Trotz
der schon üppigerenFormen
sehen Sie indem
darx gestelltenSchlafzimmer
eine große Spar' samkeitim
Hausrat.Um
Ihnen aber endlichTruhen
zuzeigen,habe ich
den
Hintergrund einesweltberühmt
ten Bildes eigens
aufnehmen
lassen, der so'genannten Venus von
Tizian inderTribuna
der Uffizien
von
Florenz. DieseVenus
istdas Porträt der
schönen Herzogin von Ur'
bino, welche auch zu
dem
als Bella del Tizi^ano bekannten
BildnisModell
gestandenund
auchnoch
in einer späteren Altersstufevom
Meister gemalt
worden
ist. Sie sehen zwei Dienerinnen,von denen
die eine vor einer geschnitztenTruhe
kniet, offenbarum
einGewandstück herauszunehmen. Eine
zweite, ganz gleicheTruhe
steht daneben.In ganz
Europa
gehörten Jahrhunderte hindurch derartigeTruhen
zuden
gebrauche lichsten Möbelstücken, siewaren
i Vi bis 1V4m
lang, V2 bis 3/4m
breitund immer
etwas höher als breit,
manchmal
miteinem
Schloß versehen. Siewaren
fastimmer an
der
Wand
aufgestellt, oft zwei ähnliche, gleiche,wie
hier aufdem
Bildevon
Tizian, nebeneinander oder einander gegenüber. Sie standen unmittelbar aufdem
Boden,was
schon daraus erhellt, daß die meisten mitFüßen
versehen waren.Hie und
damag
es
wohl
für dieTruhen
Gestelle gegeben haben, wie für die Koffer in unseren Gast>höfen.
Die Rückwand und
meistens der Deckel blieben unverziert, auf letzterem lagen oft Polsterzum
Sitzen.Die
Vorder^seite
und
die kurzenSeitenwände
dagegenschmückte man
in mannigfacherWeise,
bald malerisch, bald plastisch, bald aufbeide
Arten
zugleich,und
natürlich hat Italien diekünstlerisch hervorragendsten
Truhen
auf>zuweisen.
Hier
einige italienische ausmeinem
Be^sitz. Zuerst eine aus
dem XV.
Jahrhundert mit Malereien inUmrahmungen
aus einer vergoldeten Teigmasse.Dann
eine mit ein^gelegtem Holz,
wohl
ausdem Ende
des Quattrocento, eine mit einer Holzschnitzerei in Reliefbedeutend jüngerenDatums,
zuletzt eine mitrotem Sammt und
Verzierungenin vergoldetem Holz.
So
edelund vornehm
sehen die unbe'quemen
Behälter aus, welche jenen, in be^zug auf ihren
Anzug,
mit uns verglichen, soviel anspruchsvollerenMenschen
unsereKommoden und
Kleiderschränke ersetzenmußten. Mit
besonderer Sorgfaltwurden
jene
Truhen
verziert, welche die Brautaus' stattungenaufzunehmen bestimmt
waren,und
derenAusschmückung
denerstenKünst-
lern übertragen.
Am
beliebtestenwaren
die bemaltenTruhen, und
ein typisches Beispiel dafürwar
jene, deren Vorderbrett in derAka^
demie
der bildendenKünste
in Florenz aufbewahrt wird, das ich in drei Teilen hier zeige. Sie sehen darauf einevornehme
Florentiner Hochzeit dargestellt, die der Adinari
und
der Ricasoliausdemjahre
1422.Als
Maler
nenntman
Dello Fiorentinodem
man man
zahlreiche andere, ähnlicheWerke
zuschreibt. Vielleicht diente die
Truhe
für die Brautausstattung eben derDame,
derenHochzeit
darauf dargestellt war.Daß Gemälde, wie
das eben beschrie' bene Truhenstück, unmittelbar überdem Boden
standen, so daßman
sichbücken
oder niederknien mußte,um
es zubetrachten, hängt mitdem
ganzen Verhältnis derKunst zum
damaligenLeben zusammen,
welches dasselbe war, wie in jeder wirklich künstv lerisch fühlenden Epoche, z. B.noch im
heutigen Japan.
Die Kunst im
alten Italienwar
nichts außerdem Leben
Stehendes,dem man
als einer scheu verehrten Gott>heit in ihren
Tempeln,
als da sindMuseen und
Ausstellungsräume, eineHuldigung
dar^bringt, welche die meisten
Menschen
unter' lassen, sondern sie durchdrang dasLeben
selbst
und machte den
damaligenMenschen,
wieMax
Piccolominidem
Wallenstein, dieWirklichkeit
zum Traum. Es
gab bis in dasXVI.
Jahrhundert in Italienweder Museen noch
Kunstausstellungen, nicht einxmal
eigentliche Staffeleibilder, einigewenige
Porträts vielleicht
ausgenommen. Was
außerden Fresken und
denherrlichen Buchillustra^tionen aus jenenZeiten an
Gemälden
aufunsgekommen
ist, sind vor allem Altartafeln, 8dann
Teilevon
Betten,Kasten
oder, wie dieseStücke hier,
von Truhen. Sowie
Künstler oder Dichter sein, nicht eigentlich ein Berufist, wie der des Soldaten, des Lehrers, des
Beamten
oderHandwerkers,
sondern viel'mehr
eine Eigenschaft der Seele, ebenso wie tugendhaft oder verliebt sein, so gibt es in ästhetischgesunden Epochen
kein Artpour
l'Art nach
dem
vielmißbrauchten
Schlage wort, sondern dieKunst
istimmer Zweck'
kunst, weil eben
Kunst und Leben
sichdecken, wie
Sprache und Gedanke.
Die Museen und
Ausstellungsräume jener Zeit sind die Straßenund
Plätze mit ihren Bauten, Fresken, Statuen, Reliefs, es sind dieHöfe und
Säle der Stadthäuserund
Paläste, die bürgerlichen
Wohnungen und
vor allemdie Kirchen.
Eine
Folgevon
diesem mittenim Leben Stehen
der Erzeugnisse derKunst war
es, daß die größten Meisterwerkeoft so angebracht waren,
daß man
sie nur schlecht sehen konnte, daß inden
mitden
interessantesten Fresken bedeckten Teilen
mancher Kirchen
Dunkelheit herrscht, fastwie in ägyptischen oder etruskischen, eben^
falls reichbemalten
Grabkammern, und
daßman
dieunbequemsten
Stellungenannehmen muß, um
MichelangelosDeckengemälde
inder Sixtinischen Kapelle zu betrachten. Erst
als die
Kunst
aufhörte, der adäquateAus^
druck des
Lebens
zu sein, als sie auseinem
Bedürfnis, wie die Luft
zum Atmen,
wieNahrung und
Kleidung, einLuxus
gewor^den
war, dessenman
auch entraten konnte, verlangten die Künstlersowohl
als die Be^schauer eine nur aufdie beste
Wirkung
einesKunstwerks und
die Bequemlichkeit zu dessen Betrachtung bedachte Aufstellung.Diese
Durchdringung von Kunst und Leben
zeigte sich aber auch in derBehand'
lung der malerischen Vorwürfe,und
wie auf denkleinen Predellenbildernunterden
Altar' tafelnim Gewände von
biblischen odervon
Begebenheiten der Heiligenlegenden dieMaler
uns das Leben, das sieumgab,
in naiver, anheimelnderWeise
schildern, so finden wir aufden Truhen
oder Cassoni dasx selbe zeitgenössischeLeben
wiedergegeben, aber meist unterdem Vorwand von Szenen
ausdem
Altertume,wohl
auch aus zeitge^nössischen, aber
von
antikem Geist durch' tränkten Dichtungen, wie dieTriomphi
des Petrarca."WeildieCassoni profanenZwecken
dienten,
begegnen
wir daraufreligiösenDar^
Stellungen nur äußerst selten,
am
ehestennoch
gewissenSzenen
ausdem
alten Testatmente.
Ganz
wie die Heiligengeschichten auf den Kirchenbildern aber,werden
uns aufdenCassoni
dieErlebnisse antikerHelden
nicht als etwas feierlichFremdes, längst
dem
1
Leben
Entrücktesvorgeführt.Für
denKunst'
ler jener
Tage
in Florenz oder Ferrara stanxden Orpheus und Odysseus
mitten drin in der ihnumgebenden
W^elt, geradesowie Domenico
Ghirlandaio aufdem berühmten
Fresko inMaria Novella
dievornehmen
Damen
des Florenzvon
1490 in der damalsmodischen Tracht
die heiligeAnna
zurGe^
burtder Gottesmutter
beglückwünschen
läßt.Wie dem
gebildetenDeutschen
zwischen 1820und
1870 etwa— denn
für das heute lebende Geschlecht trifft das ja leidergewiß
nicht
mehr
zu—
dieDichtungen
Schillersund
Goethes,
wohl
auch Lessingund Shake'
speare so vertraut waren, daß er alles,
was ihm
in seiner Alltagsexistenz begegnete, mit diesenDichtungen
inBeziehung
brachte, so begleiteten denvornehmen
oder gelehrten Italienervon Dante
bis Michelangelo dieGe'
staltenderBibel
und
die des heidnischenAlterntums
aufseinem Lebenswege.Im
Unterschied zurKlassikerverehrungindeutschenLändern im
vergangenen Jahrhundert aber, welcherdie
Helden
derDichtung
in unerreichbarerHöhe
überdem Leben schwebend
erschiennen, formte
im
italienischen Mittelalterund
in der Frührenaissance dieKunst
alsAusdruck
des jugendlich pulsierenden Le^bens die antiken
und
Heiligengestaltenum
und machte
sieden Kindern
jenerTage
zuZeitgenossen. 1
1
Von
solchen Cassonestückennun habe
ich auf
meinen Wanderungen
durch Italien eine ganze Reihe erworben. Vieledavon
sind roh gearbeitetund haben
bloß eigentümlichen kulturhistorischen Reizund
denZauber wahrer
Naivität,anderesindauchkünstlerischvon hohem
Range.Hier
zunächsteineReihekleinerCassone^teile aus
dem XV.
Jahrhundert. Zuerst das Seitenteil einerTruhe,
welches die Verteil digung des Tiber gegen die Etrusker durch HoratiusCodes
zeigt,von
welcherim
zwei"ten
Buche
des Livius dieRede
ist.Mehr
einem Drachenschwanz
alseinem
Flusse gleichend ergießt sich der Tiber aus der StadtRom
heraus, derenMauern und Bauten
wirim
Hintergrunde erblicken.Der
Held, in mittelalterlicherRüstung
einenSchimmel
reitend, verteidigtden Eingang
derBrücke, die hinter
ihm
abgebrochen wird.Hier
das Gegenstück:Des Marcus
CurtiusSprung
in denAbgrund
in den ersten Zeitender römischen Republik,
von dem
Liviusim
siebentenBuche
erzählt.Zwei
andere, ziemlich roh gearbeitete Gegenstände:Der Tod
des LiebespaaresPyramus und
Thisbe,dem
Mittelalter durch Ovid, uns aus derHandwerkerposse
in ShakespearesSommernachtstraum
vertraut.1
2
Thisbe
istzuerstzum
Stelldichein erschienen,Cassonescitcnbrctt. Florentinisch,
XV.
Jahrh,Pyramus und
Thisbe.sieht eine
Löwin
einRind
verzehren, sie flieht,und
dieLöwin
besudeltden
ihr ent' glittenen Schleier mitdem
Blute des Rindes.Diesen Schleier findet
Pyramus
und, wieRomeo
die Geliebte totwähnend,
erstichter sich.
Thisbe
erblickt ihn als Leicheund
tötet sich mit demselben Schwert.
Unser Maler
läßt beide wie Trüffeln oderHühner'
lebern
am
selbenSchwert
aufgespießt sehen,im
Hintergrunde dieLöwin,
links dieSchuhe, welcheThisbe
bei ihrer Flucht verlor,Ge^
genstück
vom
selben Cassone: Narciss, der in der Quelle seine Gestalt erblickt.Ein
anderes Bild:von
einer befestigten Stadt herab wird einKind von einem
Dienerarmen Leuten
übergeben, offenbarum Nach'
Stellungen oder ein durch Orakelspruch ver' kündetes Unheil zu vermeiden.
Nun
zweiPendant'Gassoneteile, auf deren
einem
eineTraumszene
dargestellt ist.Der
links schlau fende Jüngling träumt die Erscheinung der dreiam Brunnen
schaffenden Frauen.Das Gegenstück
zeigt eineEntführung
auseinem Tempel, man
könnte sie aufdieEntführung
der
Helena
deuten, jedenfalls hat siemitdem
diese
Entführung
vorstellenden Cassone^stück
von Benozzo
Gozzoli in englischemPrivatbesitz, das ich hier zeige, einige
Ver'
wandtschaft.Es
folgen drei beliebte Richterszenen: 13Erstens
Salomos
Urteil.Dann
das häufigvorkommende Gegenstück
dazu, derSohn,
der,
um
sich vor anderen Prätendenten alsErbe
zu legitimieren, aufgefordert wird,dem Leichnam
seinesVaters einen Pfeil insHerz
zu schießen,
und
sich dessen weigert, gerade^so wie die echte
Mutter
vorSalomo
ihrKind
nicht teilen lassen will.
Von
derselbenHand
behandelteinedritteRichterszene die Geschichte der Vestalin Tuccia, welche, der Unkeuschheit angeklagt,
zum
Tiber hinabging, vor allemVolk
dortWasser
in ein Sieb schöpfteund
aufdem Forum
diesesWasser
vordem
Richter aus/«goß.Valerius
Maximus und
Plinius berichten über diesenVorgang. Wasser
ineinem
Sieb bewahren, das bei vielen altenVölkern
ein heiliges Gerät war,dem man Wunder
bei^legte,
war
ein der Feuerprobe ähnlicherBeweis
derUnschuld
oder derWahrheit
einerBehauptung.
EineSage
erzähltvon einem
alten polnischen
Herzog
Wladislaus, der in ein Sieb geschöpftesWasser
als göttliches Siegesversprechendem Heere
voraustragenließ.
Der Vorwurf
des vierten Bildes dieser Reihe, das mir leider fehlt, dürftewol
diekeusche
Susanna
vor Danielgewesen
sein.Hier
noch
ein solchermehr
roh behandelter Cassoneteil,Herkules
oder vielleichtSim^
14
son,den Löwen
bezwingend.Wir kommen nun
zu künstlerisch her^vorragenderen Stücken»
Vor
allem habe ich dieRuine
eines Cas^sonevorderteiles hergebracht, auf
welchem
eine Schlacht dargestellt ist, mit
kühnen Ver^
kürzungen, höchst interessanten Details in
Waffen und Beiwerk und
prächtigenKöpfen.
Wir
seheneinen Hügel, dervon
Kriegern zuFuß und
zu Pferde verteidigt wird.Auf
deren
Fahne
ist einHahn
abgebildet, dieFahnenstange
aber gebrochenzum
Zeichen der Niederlage, vorn nackteMänner, wol
Riesen, die bei derVerteidigung ihnen Hilfe
leisten.
Von
rechtsund
links stürmen dieFeinde heran mit
Fahnen,
aufdenen
S. P.Q.
R. zu lesen ist,und
links sehen wir aufeinem Rappen, den
Stab in derHand,
den kahlköpfigen Feldherrn einhersprengen.Es
wird damitwohl
Cäsar gemeint seinund
mit der Schlacht eine zwischenRömern und
Galliern,
worauf
derHahn
auf derFahne
deutet.
Was nun
denMaler
betrifft, weist allesauf Paolo Ucelli hin, der
von
1396 bis 1470 ungefähr lebte,neben
Masacciound Andrea
di
Castagno
denjenigen Florentiner, derim
Gegensatz zur damals
noch
bestehenden Giottoschule, welche längst in äußerlicherManier
erstarrtwar, der naturalistischenRiclvtung in der Malerei
zum Durchbruch
verhalf. 15Hier
einigeWerke von
Ucelli, deren Verwandtschaft mitdem
in Frage stehenden Cassoneteile in dieAugen
springt.Die
ErschaffungAdams und
dieSund'
flut, Fresken
im
sogenannten Chiostro verdeneben
der Kirche St.Maria Novella
in Flo' renz.Ein
Schlachtbild in derLondoner Na
/tionalgalerie.
Das Grau
inGrau
al frescoim
Dom
zu Florenz gemalte,im
vorigen Jahr' hundert aufLeinwand
übertrageneund an
derselben Stelle angebrachte
Grabmal
des CondottiereJohn Hawkwood.
Dieserwar
1392von
denFlorentinerninSoldgenommen worden und
beschirmte alsGiovanni Aguto
getreulich die Republik.
Der Kampf
des heiligenGeorg
mitdem
Drachen,wohl
ur^sprünglich in ein größeres
Möbel
eingesetzt, ausmeinem
Besitz.Lange
vordem Ankauf
der Gallier' schlacht hatte ich schon zwei Cassoneteile erworben, Ritter wiezum
Turnier heran^sprengend, die mit der
Malweise
des Ucellinahe Verwandschaft
zeigen.Wir kommen nun
zu den zwei Cassone/teilen, die ich ebenfalls
im
Originale mit' gebracht habeund
auf derenjedem
wir eineReihe
von Szenen
ausderOdyssee
abgebildetfinden.SolcheDarstellungen mehrerer
Szenen
aufeinem
Blatt oder Brettwaren
in alter16 Zeit ziemlich häufig, wie ja auch die mittel'
Cassonevorderbrett von Paolo Ucelli 1396 bis nach 1469. Florent'nische Schule.
Schlacht zwischen Römern und Galliern.
alterliche
Mysterienbühne
mehrere Schaumplatze zugleich zeigte. Hier z. B.
haben
Sie in zwei Abteilungen die in den Offizien auf'bewahrten
Erlebnisse heiliger Einsiedlervon Ambrogio
Lorenzetti,dem
großen SieneserMaler
desXIV.
Jahrhunderts,und
hiereinen japanischenWandschirm
ausmeinem
Besitz, in ähnlicherWeise
mit kleinen figürlichen Darstellungen bedeckt.Zweimal
dieselbePerson
auf demselben Bilde findet sich sehr häufig,und noch Andrea
del Sarto läßt uns aufeinem
Freskoim Vorhof
der Annunziatakirche in Florenzneben einem
toten
Kinde
dasselbe Kind,zum Leben
er^weckt, sehen.
Die
beiden Cassoneteile hier wurden, der eine voretwa
fünfzehn Jahren beiBardini in Florenz, der andere vergangenenSommer
beider
Auktion Somze
in Brüssel erworben, siezeigen dieselben
Maße und
dieselbeHand.
Odysseus
trägt auf beiden die gleichenZüge und
die gleiche Kleidung, ebensoMerkur,
der auchauf beidenStücken vorkommt ;derMaß'
stab der Figuren auf
dem
spätererworbenen
ist etwas größer als auf
dem
andern, aufwel'chem
auchmehr Episoden
abgebildet sind, es enthält nämlich alle wichtigenMomente
derOdyssee
mitAusnahme
desPolyphem',
Kirke'und
Skyllaabenteuers, die wir aufdem
zweiten Stücke finden.
Auf
letzterem sind 17einige
Köpfe
leider übermalt,während
das ersteStück
ganz intakt ist.Das
Landschaftlicheund
die ganzeMal'
weise deuten trotz einer nicht zu leugnendenVerwandtschaft
mitden Fresken im
Palazzo Schifanoia zu Ferrara auf Florenz alsUr^
sprungsort. Entstehungszeit etwa
um
1430oder 1440.
Um
Ihnennun den
ganzen Unterschied zu zeigen, der zwischen derArt
besteht, wie wir der Antike gegenüberstehen,und
der,wiedie
Menschen
der Renaissance ihr gegen^überstanden,will ich
Ihnen
einige derberühmt
ten odysseeischen Landschaften vorführen, die Friedrich Preller vor
etwa
vierzigJahren malteund
die sichim Weimarer Museum
befinden, Sie
beruhen
aufrottmannschen
Traditionenund
gehörenzum
Besten,was
um
die Mitte des vorigen Jahrhunderts in derArt
geleistet wurde.Ich will Ihnen
immer
eines odermehrere
PrellerscheBilderzeigen
und
unmittelbardar' auf dieselbenSzenen
aufmeinen
Cassone' stücken. Preller:Die
Sirenen, Leukothea,Odysseus
bei Kalypso,und nun
diese dreiVorgänge
aufdem
ersten Cassonestück.Preller:
Nausikaa und Odysseus und die
selbe
Episode
aufdem
Cassone. Preller:Eumaios und
Odysseus, dieselbe Episode, 18daneben
der Freiermord,man
beachteden
Odysseus bei Kalypso
Leukothea
Odysseus mit Nausikaa
aufdem Wagen Odysseus bei Alkinoos
Fahrt nach Ithaka Nausikaafindetden
Odysseus
Odysseusbetritt als Penelope PilgerseinenPalast amWebstuhl
Odysseus und Eumaios
DieSchaffnerinerkennt den Odysseus Freiermord
Polyphemabenteuer <t Kirkeabenteuer
Zwei Cassonevorderbretter. Florentinisch, um 1430
—
1440 (?).Szenen aus der Odyssee.
kleinen
O-beinigen Telemach,
rückwärtsPenelope am Webstuhl und
dieErkennung
des
Odysseus
durch die Schaffnerin.Nun
die
Polyphemszenen
bei Prellerund
aufdem
zweiten Cassonestück, hier
noch
das Gastrmahl
derKirke und
die Skylla, für welchesich Äquivalente bei Preller nicht finden.
Das
folgende Cassoneseitenstück,wenn
auch aus etwas späterer Zeit, ist den
Odys'
seebildern verwandt. Sie sehen
Psyche
mit Cerberus, Proserpinaund Charon,
die letzten beiden alsWesen
der Unterwelt als Teufel mitHörnern
dargestellt.Mit dem
beiSomze erworbenen Stück
fanden sichinUmrahmungen
ausvergoldeterTeigmasse
zwei leider schlecht erhaltene Seitenteile anderer Provenienz ineinem mo'
dernen, mit falschen
Wappen
aufgeputztenCassone
eingelassen, die zweifellos ferraresi^sehen
Ursprunges
sind und, frühestens aus der zweiten Hälfte desXV.
Jahrhunderts,dem
Ercole di Roberti Grande,einem
be'rühmten
Schüler des großen PaduanersMan'
tegna, zuzuschreiben sein dürften.
Zum Ver^
gleich, wie früher bei Ucelli, andere
Werke
dieses herben
und
scharfen Meisters.Eine
interessantePietä
im Museum
zuLiverpool, dieKreuzigung im
Hintergrunde bietet vieleAnalogienzu
meinen
Bildern,— und
die figür'lieh
und
landschaftlich hochinteressanteAma^
19
zonenschlacht in der
Casa Borromeo
zuMai'
land.
Das
vierte Cassonestück, das ichim
Ori^ginal mitgebracht habe, ist wieder florentix nisch, in späterer Zeit
etwa um
1480, ent' standen. ProfessorThode möchte
esJacopo
del Sellaio zuschreiben, der
dem
Botticellinahestand.
Orpheus,
als Asiateim Turban
dargestellt,
bezähmt
die Tiere durch sein Spiel auf der Viola,demselben
Instrument, das wir in denHänden
des „Apollo aufdem
Parnaß" von Raphael
finden.Die nahe um
Orpheus herumstehenden
oder gelagerten wirklichenund
Fabeltiere lauschen mit größterAufmerksamkeit den
die Leiden^schaften beschwichtigenden
Tönen,
derLöwe
neben dem Lamm,
dasReh neben
derDogge,
ein Panther, ein Greifund
ein lang' halsigerDrache
gehören zuden
hingebende sten Zuhörern.Das
Bild, das Sie sehen, istbloß die mittlere
Gruppe
des Cassoneteiles, die beidenEnden
zeigen, wie die Tiere sich zerfleischen, welche zu entfernt sind,um
dieMusik
zuvernehmen.
In das
neue XVI.
Jahrhundert hinein führen uns die folgenden zwei Bilder, diezum
Unterschiedvon
den anderen, inTem/
pera gemalten, Ölbilder sind,
und von
etwas größerenDimensionen,
beimir
als Suprax20
portes angebracht. Ichkann
sie aberwegen
C/2
Ph
o
der auf ihnen behandelten
Vorwürfe
hiererwähnen und
weil sie,wenn
auch nicht Teilevon Truhen,
so doch zweifellosMöbeln
teile bildeten; sie
waren
vermutlich dieRückbretter zweier nebeneinander stehender Betten.
Es
sind betrübendeAbenteuer
jener beiden großenWeisen
des Altertums, welchemehr
als alle anderen das ganze Mittelalterhindurchhochgepriesen
waren und um
welchesich eben
darum
ein bunter Sagenkreis ge^bildet hatte. Ich
meine
den großen Aristo^teles, der zur Zeit der Herrschaft der schola' stischen Philosophie
und
bis insXV,
Jarnv hundert hinein, Plato gänzlich verdunkelnd,als
der
griechische Philosoph par excellencegalt,
und
Virgil, der, in der mittelalterlichen Tradition auseinem
Dichterzum
Zauberer geworden, die Einbildungskraft der damalig genMenschen
auf das lebhafteste inAtem
hielt.
Die
beidenAnekdoten, um
die es sich hier handelt, illustrieren in parallelerWeise
die
Schwäche
unseres, fälschlich das starke genannten Geschlechtes, weiblicherSchöne
heit
und
Bosheit gegenüber,Aristoteles, so erzählt eine Sage,
war
so unvorsichtig,
seinem
Schüler Alexanx derdem Großen wegen
seiner Liebschaftmit der schönen Phillis eine Moralpredigt zu halten. Phillis,
um
sich zu rächen, habeden alten Philosophen in ihren
Netzen
21zu fangen
gewußt und
ihn sogar dahin gebracht, daß sieihm
einen Sattel auflegen durfte und, aufihm
reitend, ihndem
ver'sammelten Hofe
zurSchau
stellte. Ge/-wiß
einwarnendes
Beispiel auch fürden
weisestenMann,
sich mit einer schönenFrau
in keinenKampf
einzulassen.Der Ausgang
eines solchen ist nur zu gewiß.Das Gegenstück
hier zeigt den ZaubererVirgil,
von
einer schönen Kaiserstochter verlockt, in eine Kiste oder einenKorb
zusteigen, in
welchem
sie versprach, ihnzudem
Fenster des
Turmes, den
sie bewohnte, herx aufzuziehen.Die
Prinzessin läßt die Kiste in halberHöhe
baumeln, bis beiMorgengrauen
geladene
Zeugen
den törichtenWeisen
in dieser eigentümlichen Situation erblicken.Merkwürdig
ist dasPurpurgewand
mit Her-* ,melin verbrämt, das
sowohl
Aristoteles alsVirgil
und
einer derZuschauer
aufdem
zweiten Bilde tragen, eine mittelalterliche Rektorstracht, wie sie
zum
Beispielan
derKrakauer
Universität bei feierlichenAn^
lassen
noch
heute üblich ist.Man
liebte injenen Zeiten nichts so sehr in
Wort und
Bild wie Gegenstücke, Beispieleund
Aufzählun' gen derTugenden,
der Wissenschaften, derMonate,
der menschlichen Tätigkeiten, der Propheten, der Evangelisten usf.,und
wie22
wir früher eine Reihe Richterszenen vor^Rückbrett eines Bettes. Venezianisch,
um
1500.Phillis auf Aristoteles reitend.
führen konnten, so gehören diese Darstel' lungen in eine Serie
von
Beispielen für weib' liehen Verrat, wie sie inden
französischenReimen
einesAnonymus,
ineinem
mittele alterlichen Berner Manuskripte*)und
sonst vielfach angeführtwerden und
abwechselnddem
heidnischen Altertumund
der Bibelentnommen
sind, Virgilund
Aristoteleswerden
daerwähnt
inGesellschaftvon Adam,
Simson, Herkules, Hippokrates,
David und Salomo. Wie
schon gesagt, dürften die Bilder ausden
erstenJahren desXVI.
Jahr' hundertsstammen.
Sie sind venetianischenUrsprungs und
denWerken
des Giorgione,wenn
auch nur entfernt, verwandt.Nicht mehr
den bejahrten ZaubererVirgil, sondern Virgil
den
jugendlichen Dichter zeigt dieses aus etwas früherer Zeitstammende
Cassonestück, dasPendant
(und welcher andere Dichter alsDante könnte
damals aufeinem
solchenneben
Virgil gex maltworden
sein) befindet sichim wunder^
vollen
Heim meines
edlen Freundes, desGrafen Gregor
Stroganoff inRom.
*) „Par femmc fut
Adam
deceuet Virgile moque en fu,
David en fist faulx jugement
et Salomon faulx testament;
Ypocras en fu enerbe, Sanson le fort deshonnore;
femme chevancha Aristote,
il n'est rien que femme n'assote." 23
3*
Hier noch
rasch einige meiner Cassone' stücke aus späterer Zeit,wo
es mit der Naivität in derKunst
vorbei war,bewußte
Absichtund
Gelehrsamkeitan
Stelle der Harmlosigkeit gegenüberdem
darzustellen^den Vorgang
getreten war.Aus den Zwan'
zigerjahren des Cinquecento etwa stammt,
dem
Sienesen Baldassare Peruzzi verwandt,diese Schlacht,
wo
wir Perseus erblicken, der dasGorgonenhaupt
den Angreifern ent^gegenhält.
Dann
einesvon Andrea
Schiavoni,einem
hervorragenden Zeitgenossen des alternden Tizianund
des Paolo Veronese.Eine
figurenreicheKomposition,
deren rechte Seiteman
aufden Raub
der Sabine^rinnen deuten kann,
während
es mir bis jetztnicht gelungenist, die Richterszene linksund
denKampf
in derMitte zuerklären.Dann
noch vom
originellen, übermütigen Spätvflorentiner
Giovanni
diSan
Giovanni, schon ausderzweiten HälftedesXVI
Jahrhunderts,diese lustige Orgie kleiner Bacchusjünger.
Zum
Schlußmöchte
ich Ihnen drei indische Buchminiaturen vorführenund
Siebitten, dieselben nicht mit den
Cassonc
bildern aus
dem XVI.
Jahrhundert, sondern mit den früher gezeigten zu vergleichen.Auf dem Grunde
der Geschehnisse ruhen^de
Ursachen
lassen an verschiedenen Stel^24
len unseres Planetenund
zu verschiedenenZeiten gleiche Kulturzustände
und
aus ihnen hervorgehend gleiche Erzeugnisse derKunst
hervorreifen,und
so wird esden
nachdenklichen Beschauer nurim
ersten Augenblickwundern,
die Auffassungvon Welt und
Leben, dieBehandlung von
Figurenund
Landschaften, die Fehler in der Perspektive,denen
wir eben auf voreinem
halben Jahrtausend gemalten italienischen Bildern begegneten, auf Buchillustrationenund
Flugblättern wiederzufinden, wie siezwischen
dem Himalaja und
der InselCey>
Ion
noch
heute verfertigt werden.Sowie
inJapan noch
voreinem
halben Jahrhundert denen unseres Mittelalters analogeZustände
herrschten, so fühlt sich,
wer
Indien bereist, in den Radjputstaaten,wo
die altenGe'
brauche sicham
urwüchsigsten erhalten haben, in dasToskana
desXV. Jahrhun^
derts versetzt.
Hier
zunächst eine Göttin oder Prin^zessin,
denn
sowie Heilige finden wir in Indien fürstlichePersonen
mitdem Nimbus
abgebildet. Sie sitzt unter
einem Baum, um
dessen Äste
Schlangen
sich ringeln,und
bläst aufeinem
eigenartigen Instrumenteinem
jedenfalls musikalisch veranlagtenPfau etwas
vor.
Ein
Fürst, aufeinem
Elefanten reitend, zieht mit zahlreichem Gefolge auf die Jagd.Die
Landschaft ist hier interessantund
be^ 25sonders
den
altitalienischen ähnlich.Zwei
Frauen, aus
einem Hause
herausblickend,und
eineAnzahl Frauen
vor demselben deu^ten
und
schauen nach der blutrot hinterden Bergen
untergehenden Sonnenscheibe.Ich
könnte im Anschluß
hieranund im
Gegensatze zu
den
PrellerschenOdyssee^
landschaften
Ihnen
Bildervon
deutschen,poL
nischen
und
französischenMalern
ausjüngster Zeit vorführen,zum
Beweise, daß unsere ton^angebenden
Künstler sichvon
der ängstlichgenauen Wiedergabe
örtlichund
zeitlich be' dingter Einzelheiten wiederabgewendet und
einer der alten, naiven
Auffassung
ver'wandten zugewendet
haben,wenn
ich nicht fürchten müßte, dadurch gegen die weiseGe^
pflogenheit zu verstoßen, bei unseren
Zu' sammenkünften
hierjedem Thema
ausdem
Wege
zu gehen, das mit Streitfragen derGegenwart
aufdem
Gebiete der bildendenKunst
irgendwiezusammenhängt.
Suchen
wirnach Analogien
mitden
Cas^sonestücken, die wir vorhin gesehen haben, mit den Odysseebildern z. B., so fallen uns gewisse Shakespearesche
Dramen
ein,wo
zuKönig Johanns
Zeit eineFestung
mitKa^
nonen
beschossen wird,Böhmen
als meer^umflossene Inselgilt, oder wie inTroilus
und
Kressida dieHelden
der Ilias sich als eben26
solche blutgierige roheRaufbolde
geberdenwie die
Kämpfer
der Rosenkriege. Bei allerdem Namen
Shakespeare schuldigenErn>
furcht
können
wir nichtumhin,
über solche geographischeund
geschichtliche Schnitzer überlegen zu lächeln, sollten aber bedenken, ob die Sucht, aufeinem
sogenannten histori^sehen
Gemälde
ja alles recht zeit'und
ortS'gemäß
zumalen
oder einDrama
wieDon
Carlos mit sogenannten ganz stilgerechten
Kostümen und Dekorationen
auszustatten, nicht mindestens ein gleiches Lächeln ver^diente.
Mir
wenigstens will es scheinen, als ob wir den starkenAnachronismus
der großenRede Posas
vordem
König, welche ehereinem
Girondistenvon
1789 anstünde alseinem
Zeitgenossen desschweigsamen Ora'
niers,
noch
viel stärkerempfänden,
da wir sieunter
Kopien wohlbekannter
Porträtsvon
Herrschernund Päpsten
desXVI.
Jahrhun^derts
und
zwischen pedantisch der Zeit Phi' lipps ILentnommenem Hausrat
dahinbrau^sen hören.
Es
ist wahr, die Cassonebilder hierund
viele
von
ShakespearesStücken
enthalten schreiendeAnachronismen
und,man
gestattemir das neue
Wort, Anatopismen,
sie zeigen aber eben dadurch unverfälscht dieFärbung
des
Landes und
derEpoche
ihrer Entstehungund
sind nicht nur wertvolle Quellen für dieKulturgeschichte Italiens zur Zeit seiner 27
höchsten geistigen Blüte
und
für die des elisabethinischen England, sie sind auch alsKunstwerke umso
echterund
wirkungs'voller, je
mehr
sie sich alsKinder
ihrer Zeitund
ihresLandes
geben,denn wohl
vermöchteman
einwahres Kunstwerk einem Baume
zu vergleichen, derseineWurzeln
tiefin die hei' matlicheErde
senkt,während
die Lüfte desHimmels
seinenWipfel
umspielen.GeschichtlicheUngenauigkeiten
und
zeitvgenössisches
Kostüme
bei schon damalsJahr' tausende altenVorgängen
scheinen zunächst eine kindliche Beschränktheit, scheinenSub'
jektives an Stelle
von Objektivem
setzen zu wollen,während im
Gegenteil jenen äußere liehen Ungenauigkeiten eine instinktive Gleichgiltigkeitinnewohnt
gegen allesan Ort und
Zeit gebundene, das istNebensache
liehe,
und im
Gegensatze dazu dieVerlegung
des
Hauptgewichtes
auf diegetreue Wie'
dergabe, zugleich aber Vereinfachung und Vertiefung
derden Künstler um' gebenden Natur,
das ist dasweder
ort' liehnoch
zeitlich Bedingte, also Ewige, welchesausschließlich derGegenstand wahrer Kunst
ist.* *
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