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Lahmheit bei Milchkühen frühzeitig erkennen

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Lahmheit bei Milchkühen frühzeitig erkennen

Liege-, Bewegungs- und Fressverhalten bei mässig lahmen Kühen

Autorinnen und Autoren Joan-Bryce Burla 1 Heide Weigele 1 Lorenz Gygax 1 Adrian Steiner 2 Beat Wechsler 1

1 Bundesamt für Lebensmittelsicherheit und Veterinärwesen (BLV), Zentrum für tiergerechte Haltung: Wiederkäuer und Schweine, Agroscope, Tänikon

2 Wiederkäuerklinik, Vetsuisse-Fakultät, Universität Bern

Agroscope Transfer | Nr. 244 / September 2018

Eidgenössisches Departement für Wirtschaft, Bildung und Forschung WBF Agroscope

Schweizerische Eidgenossenschaft Confédération suisse

Confederazione Svizzera Confederaziun svizra

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Impressum

Herausgeber Agroscope, Tänikon 1, 8356 Ettenhausen www.agroscope.ch

Auskünfte Joan-Bryce Burla

joan-bryce.burla@agroscope.admin.ch +41 58 480 33 81

Redaktion Erika Meili

Titelbild Joan-Bryce Burla, Bundesamt für Lebensmittel- sicherheit und Veterinärwesen (BLV), Bern Satz und Druck Sonderegger Publish AG, Weinfelden Abonnement Die Reihe «Agroscope Transfer», Rubrik Tiere,

kann kostenlos abonniert werden.

E-Mail: verkauf.zivil@bbl.admin.ch Download www.agroscope.ch/transfer Copyright © Agroscope 2018

ISSN 2296-7206 (print), 2296-7214 (online)

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Inhaltsverzeichnis

Zusammenfassung ... 4

Problemstellung ... 4

Untersuchungen auf Praxisbetrieben ... 5

Betriebe und Kühe ... 5

Datenerhebung und Auswertung ... 6

Ergebnisse und Diskussion ... 7

Liegeverhalten und Bewegungsaktivität ... 7

Fress- und Wiederkauaktivität ... 8

Nutzung von Katzbürsten und Kraftfutterstationen ...10

Melkreihenfolge ...11

Schlussfolgerungen ...11

Literatur ...12

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Zusammenfassung

Klauenerkrankungen und dadurch bedingte Lahmheiten sind bei Milchkühen in Laufställen stark verbreitet und gehören zu den drei häufigsten Ursachen für frühzeitige Abgänge. Sowohl für das Tierwohl als auch aus wirtschaft- lichen Gründen ist es daher wichtig, lahme Kühe zuverläs- sig zu identifizieren und schnellstmöglich zu behandeln. In verschiedenen Studien konnte nachgewiesen werden, dass es bei deutlicher Lahmheit zu Veränderungen im Ver- halten von Kühen kommt. Hingegen wurden die Auswir- kungen von mässiger Lahmheit auf das Verhalten erst wenig untersucht. Ziel der vorliegenden Studie war es des- halb, Verhaltensänderungen von mässig lahmen Kühen im Vergleich zu nicht lahmen Kühen zu untersuchen. Der Fokus lag insbesondere auf automatisiert erfassbaren Ver- haltensweisen, die in Zukunft eine zuverlässige und pra- xistaugliche Früherkennung von Lahmheiten bei Milch- kühen ermöglichen könnten.

Die Studie wurde auf 17 Schweizer Milchviehbetrieben durchgeführt. Die Betriebe wurden zu zwei Zeitpunkten im Abstand von 6 bis 10 Wochen besucht, wobei jeweils über 48 Stunden kontinuierlich Daten aufgezeichnet wur- den. Durch eine Beurteilung des Gangbildes wurden auf jedem Betrieb mässig lahme und nicht lahme Kühe ausge- wählt. Insgesamt wurde das Verhalten von 66 mässig lahmen und 142 nicht lahmen Kühen zum ersten Zeitpunkt sowie von 53 mässig lahmen und 128 nicht lahmen Kühen zum zweiten Zeitpunkt miteinander verglichen. Im Fokus standen Verhaltensweisen des Liegeverhaltens, der Bewe- gungsaktivität, der Fress- und Wiederkauaktivität, die

Häufigkeit der Nutzung an rotierenden Kratzbürsten und Kraftfutterstationen sowie die Melkreihenfolge.

Im Vergleich zu nicht lahmen Kühen hatten mässig lahme Kühe eine längere Liegedauer sowie eine geringere Bewe- gungsaktivität als nicht lahme Kühe. Des Weiteren hatten mässig lahme Kühe eine kürzere Fressdauer und eine geringere Anzahl Kauschläge als nicht lahme Kühe. Keine Unterschiede gab es bei der Fressgeschwindigkeit, der Wiederkaudauer und der Wiederkaugeschwindigkeit. Hin- gegen wurden Kratzbürsten und Kraftfutterstationen von mässig lahmen Kühen weniger häufig aufgesucht, und sie standen in der Melkreihenfolge weiter hinten als nicht lahme Kühe.

Die Resultate zeigen, dass sich das Verhalten von mässig lahmen und nicht lahmen Kühen in verschiedenen Aspek- ten unterscheidet. Bereits eine mässige Lahmheit führt zu Veränderungen im Liege-, Bewegungs- und Fressverhalten und kann sich negativ auf das Tierwohl und die Tierge- sundheit auswirken. Aktuelle Arbeiten bei Agroscope wer- den zeigen, ob die automatisiert erfassten Daten zu Ver- haltensänderungen bei lahmen Kühen weiterverarbeitet und dem Tierhalter oder der Tierhalterin in praxistaugli- cher Form zur Verfügung gestellt werden können.

Problemstellung

Lahmheit zählt bei Milchkühen zu den drei häufigsten Ursachen für frühzeitige Abgänge (Juarez et al. 2003). In der Schweiz liegt die Prävalenz bei 14,8 % betroffenen Tie- ren und 80,8 % betroffenen Betrieben (Becker et al. 2014a).

Abb. 1: Nicht lahme Kühe zeigen eine gerade Rückenlinie (linke Seite), während die Rückenlinie von mässig lahmen Kühen (rechte Seite) gekrümmt ist (Foto: Joan-Bryce Burla, BLV).

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Die Ursachen für Lahmheit sind zu mehr als 90 % Klau- enerkrankungen (Phillips 2002). Risikofaktoren sind das Haltungssystem (z. B. Liegeboxen, Bodenbelag), das Management (z. B. Weidegang) sowie die Genetik des Ein- zeltiers (Barker et  al. 2010), aber auch die Stallhygiene (bakterielle Infektionen), die Zusammensetzung der Futt- erration und eine ungenügende oder fehlerhafte Klauen- pflege (Becker et al. 2014b).

Durch die bei Klauenerkrankungen auftretenden Schmer- zen kommt es zu Veränderungen im Gangbild der Kühe (Dyer et al. 2007). Zur Beurteilung des Gangbilds werden sowohl die Bewegung der Gliedmassen als auch die Hal- tung des Rumpfes während des Gehens berücksichtigt. Je nach Ausprägung dieser Veränderung kann die Lahmheit in verschiedene Schweregrade eingeteilt werden. Mit zunehmendem Lahmheitsgrad wird nicht nur das Tierwohl beeinträchtigt (Whay et al. 2003), sondern auch die Milch- leistung reduziert (Green et al. 2002) und die Fruchtbarkeit (Sogstad et al. 2006) verringert. Neben den Behandlungs- kosten führt dies zu zusätzlichen finanziellen Einbussen und kann zum frühzeitigen Abgang der Tiere beitragen (Kossaibati und Esslemont 1997).

Eine möglichst frühe Erkennung von Lahmheiten ist sehr wichtig, da sie ein frühes Handeln ermöglicht und dazu beiträgt, schwerwiegendere Klauenerkrankungen zu ver- meiden. Dadurch können die mit der Lahmheit verbunde- nen Kosten gesenkt und insbesondere auch das Tierwohl verbessert werden. Praxiserfahrungen zeigen jedoch, dass die zuverlässige Erkennung von lahmen Kühen oftmals schwierig ist (Whay 2002).

In wissenschaftlichen Studien an Kühen mit deutlicher Lahmheit konnte nachgewiesen werden, dass diese nicht nur zu einer Veränderung des Gangbildes führt, sondern auch zu Verhaltensänderungen. So haben deutlich lahme Kühe beispielsweise eine längere Liegedauer (Solano et al.

2016), eine geringere Bewegungsaktivität (Thorup et  al.

2015) oder eine reduzierte Futteraufnahme (Bareille et al.

2003) als nicht lahme Kühe. Bisher ist jedoch nur wenig über Verhaltensänderungen bei mässig lahmen Kühen bekannt. Ziel der vorliegenden Studie war es deshalb, Ver- änderungen im Verhalten von mässig lahmen im Vergleich zu nicht lahmen Kühen zu untersuchen. Der Fokus lag ins- besondere auf automatisiert erfassbaren Verhaltenswei- sen, da diese in Zukunft vielleicht genutzt werden können, um eine zuverlässige und praxistaugliche Früherkennung von Lahmheiten bei Milchkühen zu ermöglichen.

Untersuchungen auf Praxisbetrieben

Betriebe und Kühe

Die Studie wurde von Oktober 2015 bis März 2016 auf 17 Schweizer Milchviehbetrieben durchgeführt. Die Be - triebe verfügten über Liegeboxen-Laufställe (15 Betriebe mit Tiefboxen, 2 mit eingestreuten Hochboxen) mit per- manent zugänglichem Laufhof und einem Melkstand, in dem zweimal täglich gemolken wurde. Raufutter wurde auf allen Betrieben ad libitum am Fressgitter gefüttert, Kraftfutterstationen waren auf 16 Betrieben vorhanden, und alle Betriebe verfügten über mindestens eine automa-

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links) und 2−7 mässig lahme (Lahmheitsgrad 3; Abb. 1 rechts) Kühe ausgewählt. Davon ausgeschlossen wurden Kühe mit offensichtlichen Erkrankungen (ausser Lahm- heit) und solche, die in den vorangehenden vier Wochen tierärztlich behandelt wurden. Die ausgewählten Kühe waren im Alter von 2 bis 15 Jahren (Ø 5,9 Jahre), in ihrer 1.−12. Laktation (Ø 3,7 Laktationen) und zwischen dem 14.

und 694. Laktationstag (Ø 174. Laktationstag).

Datenerhebung und Auswertung

Die Betriebe wurden zu zwei Zeitpunkten im Abstand von 6 bis 10 Wochen besucht, wobei jeweils über 48 Stunden kontinuierlich Daten erhoben wurden. Zwischen den bei- den Datenerhebungen, jedoch mindestens zwei Wochen vor dem zweiten Zeitpunkt, wurde auf 16 der 17 Betriebe eine funktionelle Klauenpflege durch einen erfahrenen tisch rotierende Kratzbürste. Auf 15 Betrieben wurde

regelmässig geweidet, jedoch erhielten die Kühe mindes- tens drei Tage vor Beginn und während der Datenerhe- bung keinen Weidegang.

Die Herdengrösse der Betriebe variierte zwischen 31 und 91 laktierenden Milchkühen (Durchschnitt Ø: 56 Tiere) der Rassen Braunvieh, Fleckvieh, Holstein, Red Holstein und deren Kreuzungen. Um Lahmheiten festzustellen, wurde bei allen Tieren der Herde eine Beurteilung des Gangbil- des nach einem modifizierten Schema von Sprecher et al.

(1997; Tab. 1) vorgenommen, wobei die Kühe in fünf Lahm- heitsgrade eingeteilt wurden: 1 = nicht lahm, 2 = leicht lahm, 3 = mässig lahm, 4 = lahm, 5 = schwer lahm. In den 17 Herden wurde bei 9,4−72,3 % (Ø 29,8 %) der Kühe eine Lahmheit festgestellt. Für die Datenerhebung wurden auf jedem Betrieb 5−11 nicht lahme (Lahmheitsgrad 1; Abb. 1

Tab. 1: Definition der Lahmheitsgrade für die Beurteilung des Gangbildes von Milchkühen (modifiziert nach Sprecher et al. 1997).

Lahmheitsgrad Definition

nicht lahm Die Kuh steht und geht mit gerader Rückenlinie. Das Gangbild ist normal.

schwach lahm Die Kuh steht mit gerader Rückenlinie, geht jedoch mit gekrümmter Rückenlinie. Das Gangbild ist kaum beeinträchtigt.

mässig lahm Die Kuh steht und geht mit gekrümmter Rückenlinie. Das Gangbild ist leicht beeinträch- tigt, die Kuh zeigt eine Schrittverkürzung auf einer oder mehreren Gliedmassen.

lahm Die Kuh steht und geht mit gekrümmter Rückenlinie. Das Gangbild ist beeinträchtigt, die Kuh tritt bewusst auf und reduziert die Belastung auf einer oder mehreren Glied- massen.

schwer lahm Die Kuh steht und geht mit gekrümmter Rückenlinie. Das Gangbild ist stark beein- trächtigt, die Kuh zeigt extremen Widerwillen oder Unvermögen, eine oder mehrere Gliedmassen zu belasten.

Abb. 2: Zu Beginn und am Ende jeder Datenerhebung wurde das Gangbild der Kühe beurteilt, um sie den definierten Lahmheitsgraden zuzuordnen (Foto: Joan-Bryce Burla, BLV).

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Landwirt oder Klauenpfleger durchgeführt. Die Bestim- mung des Lahmheitsgrades wurde auf jedem Betrieb und an beiden Zeitpunkten sowohl zu Beginn als auch am Ende der Datenerhebungen vorgenommen (Abb. 2). Dadurch konnte sichergestellt werden, dass sich der Lahmheitsgrad einer Kuh im Zeitraum der Datenerhebung nicht verändert hatte. Insgesamt wurden zum ersten Zeitpunkt bei 66 mässig lahmen und 142 nicht lahmen Kühen und zum zweiten Zeitpunkt bei 53 mässig lahmen und 128 nicht lahmen Kühen Daten zum Verhalten aufgezeichnet.

Am Morgen des ersten Tages der jeweils viertägigen Datenerhebung wurden die Kühe kurzzeitig im Fressgitter fixiert, so dass sie individuell mit einem Tiermarkierungs- spray gekennzeichnet und die Messgeräte angebracht werden konnten. Die Angewöhnungszeit an die Messge- räte betrug mindestens 12 Stunden. Anschliessend wurden ab Mitternacht kontinuierlich für 48 Stunden (zweiter und dritter Tag) Daten aufgezeichnet, bevor die Messgeräte am Morgen des vierten Tages wieder entfernt wurden.

Eine Übersicht über die erfassten Verhaltensweisen des Liegeverhaltens, der Bewegungsaktivität, der Fress- und Wiederkauaktivität, der Besuche an den Kratzbürsten und Kraftfutterstationen sowie der Melkreihenfolge wird in Tabelle 2 gegeben. Das Liegeverhalten und die Bewe- gungsaktivität wurden mittels einem Beschleunigungs- sensor (MSR145 Datenlogger, MSR Electronics GmbH,

Seuzach, Schweiz) am linken Hinterbein aufgezeichnet (Abb. 3). Dieser zeichnete die Beschleunigung der Bein- achse in horizontaler, vertikaler und lateraler Richtung auf. Ein weiterer Beschleunigungssensor wurde zur Erfas- sung der Halsaktivität am Halsband mit dem Transponder für die Kraftfutterstation angebracht (Abb. 4). Zur Erfas- sung der Fress- und Wiederkauaktivität trugen die Kühe ein Halfter mit einem Drucksensor im Nasenband (Rumi- Watch Halfter, ITIN + HOCH GmbH, Liestal, Schweiz;

Abb. 4). Die durch Kaubewegungen entstehenden Druck- veränderungen wurden aufgezeichnet und erlaubten es, Fressen und Wiederkauen zu identifizieren. Die Besuche an den rotierenden Kratzbürsten und den Kraftfuttersta- tionen sowie die Melkreihenfolge wurden per Videoauf- nahmen oder über das betriebseigene Transpondersystem erfasst.

Die statistische Auswertung erfolgte mittels linearen gemischten Effekte-Modellen. Für die einzelnen Verhal- tensweisen wurde analysiert, ob sich mässig lahme und nicht lahme Kühe voneinander unterscheiden. Da die Lak- tationsnummer und der Laktationstag das Verhalten der Kühe innerhalb einer Herde mitbeeinflussen können, wur- den diese bei der Analyse als Störvariablen mitberücksich- tigt.

Ergebnisse und Diskussion

Liegeverhalten und Bewegungsaktivität

Mässig lahme Kühe hatten eine längere Liegedauer pro 24 Stunden als nicht lahme Kühe (Tab. 2; Abb. 5A), aber eine vergleichbare Anzahl Liegeperioden pro 24 Stunden (Tab. 2; Abb. 5B). Dies führte bei mässig lahmen Kühen zu einer längeren durchschnittlichen Liegedauer pro Liege- periode verglichen mit nicht lahmen Kühen (Tab. 2). Die durchschnittliche Bewegungsaktivität pro Stunde (Tab. 2;

Abb. 6A) und die durchschnittliche Bewegungsaktivität während der ersten Stunde nach einer Fütterung (frische Futtervorlage oder Nachschieben; Tab. 2) waren bei mäs- sig lahmen Kühen geringer als bei nicht lahmen Kühen.

Keinen Unterschied gab es in der durchschnittlichen Bewe- gungsaktivität pro Stunde während Nicht-Liegeperioden (Tab. 2). Des Weiteren hatten mässig lahme Kühe eine geringere durchschnittliche Halsaktivität pro Stunde (Tab. 2; Abb. 6B) als nicht lahme Kühe.

Die um rund 40 Minuten längere durchschnittliche Liege- dauer pro 24 Stunden und die um rund 10 % geringere durchschnittliche Bewegungsaktivität lassen darauf schliessen, dass mässig lahme Kühe die erkrankten Klauen zu entlasten versuchen, um Belastungsschmerzen zu ver- meiden (Walker et al. 2008). Die verringerte Bewegungs- aktivität während der ersten Stunde nach einer Fütterung legt zudem nahe, dass leicht lahme Kühe weniger dazu bereit sind, für frisches Futter aufzustehen und zum Fress- gitter zu gehen. Im Vergleich zu Messungen der Bewe- gungsaktivität am Bein liefert die Halsaktivität keine detaillierten Informationen über Liegen, Stehen und Gehen. Dennoch zeigten sich bei der Halsaktivität deutli- che Unterschiede zwischen mässig lahmen und nicht lah- men Kühen. Im Vergleich zur Bewegungsaktivität am Bein könnte die Halsaktivität für die Früherkennung von Lahm- heiten von Vorteil sein, weil der Beschleunigungssensor Abb. 3: Befestigung des Beschleunigungssensors am linken

Hinterbein zur Erfassung des Liegeverhaltens und der Be- wegungsaktivität (Foto: Joan-Bryce Burla, BLV).

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direkt am Halsband angebracht werden kann und dadurch keine Gefahr für Verletzungen oder Druckstellen am Bein darstellt (Kokin et al. 2014).

Fress- und Wiederkauaktivität

Die Fressdauer pro 24 Stunden (Tab. 2; Abb. 7A) von mäs- sig lahmen Kühen war kürzer und die Anzahl Kauschläge

pro 24 Stunden (Tab. 2) geringer als bei nicht lahmen Kühen. Die durchschnittliche Fressgeschwindigkeit (Tab. 2) unterschied sich jedoch nicht. Auch bei der Wiederkau- dauer pro 24 Stunden (Tab. 2; Abb. 7B), der Anzahl Wie- derkauschläge pro 24 Stunden (Tab. 2), der durchschnittli- chen Wiederkaugeschwindigkeit (Tab. 2) und der Anzahl Boli (Wiederkaubissen) pro 24 Stunden (Tab. 2) gab es

Abb. 5: Liegedauer pro 24 Stunden (A) und Anzahl Liegeperioden pro 24 Stunden (B) von nicht lahmen und mässig lahmen Kü- hen. Die Boxplots zeigen das untere und obere Quartil (Box), den Median (horizon- taler Strich) sowie die Spanne zwischen dem Minimal- und Maximalwert.

Abb. 4: Die Fress- und Wiederkauaktivität wurde durch ein Halfter mit Drucksensor im Nasenband aufgezeichnet. Am Halsband (zwischen Transponder und Halsbandnummer) wurde ein Beschleunigungssensor zur Erfassung der Halsaktivität angebracht (Foto: Joan-Bryce Burla, BLV).

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Abb. 6: Durchschnittliche Bewegungsakti- vität pro Stunde (A) und durchschnittliche Halsaktivität pro Stunde (B) von nicht lah- men und mässig lahmen Kühen.

Abb. 7: Fressdauer pro 24 Stunden (A) und Wiederkaudauer pro 24 Stunden (B) von nicht lahmen und mässig lahmen Kühen.

Abb. 8: Anzahl Besuche der Kraftfuttersta- tionen pro 24 Stunden (A) und Melkreihen- folge-Index (B; relative Position in der Her- de: 0 = erste Kuh, 1 = letzte Kuh) von nicht lahmen und mässig lahmen Kühen.

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keine Unterschiede zwischen mässig lahmen und nicht lah- men Kühen.

Die um rund 45 Minuten kürzere durchschnittliche Fress- dauer pro 24 Stunden lässt darauf schliessen, dass mässig lahme Kühe weniger Zeit mit Fressen verbringen, um die Dauer des Stehens und dadurch entstehende Belastungs- schmerzen an erkrankten Klauen zu reduzieren (Palmer et al. 2012). Aufgrund der geringeren Anzahl Kauschläge pro 24 Stunden bei unveränderter durchschnittlicher Fress- geschwindigkeit kann angenommen werden, dass mässig lahme Kühe entweder weniger Futter aufnahmen oder das Futter möglicherweise während dem Fressen schlech- ter zerkleinerten. Im Gegensatz zur Fressaktivität, die im Stehen erfolgt, war die Wiederkauaktivität bei mässig lah-

men und nicht lahmen Kühen nicht unterschiedlich. Da der grösste Teil des Wiederkäuens während des Liegens statt- findet (Schirmann et al. 2012), hat eine mässige Lahmheit auf das Wiederkäuen keinen Einfluss.

Nutzung von Kratzbürsten und Kraftfutterstationen Mässig lahme Kühe hatten eine geringere Anzahl Kratzbürs- tenbesuche pro 24 Stunden (Tab. 2) sowie eine geringere Anzahl Kraftfutterstationsbesuche pro 24 Stunden (Tab. 2;

Abb. 8A) als nicht lahme Kühe (Tab. 2). Der Anteil Kühe mit Kraftfutterresten (zugeteilte Tagesration nicht vollständig abgeholt; Tab. 2) unterschied sich hingegen nicht.

Für die Nutzung der Kratzbürsten und Kraftfutterstation müssen Kühe den Weg bis zu diesen Ressourcen zurückle- Tab. 2: Übersicht über die erfassten Verhaltensweisen mit dem Durchschnitt, dem minimalen und dem maximalen Wert von nicht lahmen und mässig lahmen Milchkühen sowie dem p-Wert aus der statistischen Analyse.

Verhaltensweise Nicht lahm Mässig lahm p-Wert

Durchschnitt Ø (Min.–Max.)

Liegeverhalten

Liegedauer pro 24 h [min] 655,8

(324,9–976,8) 696

(320,3–1089,6) p = 0,027 * Liegeperioden pro 24 h [Anzahl] 8,5

(2–20)

7,8

(3–27) p = 0,11

Ø Liegedauer pro Liegeperiode [min] 85,6 (29,9–245,9)

101,4

(25,8–335,5) p = 0,008 *

Bewegungsaktivität

Ø Bewegungsaktivität pro h [g] 315,2 (116,9–607,2)

288,5

(133,4–534,2) p = 0,007 * Ø Bewegungsaktivität während 1 h

nach Fütterung [g]

344,1 (88,8–1466)

315,1

(73,1–1333) p = 0,008 * Ø Bewegungsaktivität pro Stunde während

Nicht-Liegeperioden [g]

447,6 (247,3–1026)

416,1

(168,9–1107) p = 0,20

Ø Halsaktivität pro h [g] 654,9

(382,1–1166)

574,7

(373,8–1031) p ≤ 0,001 *

Fressaktivität

Fressdauer pro 24 h [min] 460,4

(243,2–909,6)

414,0

(255,3–605,7) p = 0,033 *

Kauschläge pro 24 h [Anzahl] 31920

(11850–55030)

28200

(14650–43820) p = 0,05 * Ø Fressgeschwindigkeit [Kauschläge pro min] 69,1

(43–86,1)

68,0

(52,2–86,3) p = 0,98

Wiederkauaktivität

Wiederkaudauer pro 24 h [min] 494,6

(84,62–677,4)

492,6

(285,5–663,5) p = 0,53 Wiederkauschläge pro 24 h [Anzahl] 31520

(5889–50440)

29870

(12940–48080) p = 0,86 Ø Wiederkaugeschwindigkeit

[Wiederkauschläge pro min]

70,0 (56,3–83,3)

66,1

(51,5–79,3) p = 0,17 Boli (Wiederkaubissen) pro 24 h [Anzahl] 530,0

(77–787)

513,5

(291–794) p = 0,46

Nutzung von Ressourcen

Kratzbürstenbesuche pro 24 h [Anzahl] 2,3 (0–11)

1,8

(0–10) p = 0,046 *

Kraftfutterstationsbesuche pro 24 h [Anzahl] 9,0 (0–26)

6,1

(0–17) p = 0,014 *

Kühe mit Kraftfutterresten [%] 17,9 (0–100)

27,7

(0–100) p = 0,21

Melkreihenfolge Melkreihenfolge-Index [relative Position] 0,47

(0,01–0,99)

0,63

(0,02–0,99) p ≤ 0,001 *

* Bei einem p-Wert von ≤ 0,05 gilt ein Unterschied als statistisch nachgewiesen.

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gen und in Kauf nehmen, dass sie dort anstehen und war- ten müssen und es zu Auseinandersetzungen mit Herden- mitgliedern kommen kann (Katainen et  al. 2005). Die geringe Anzahl Besuche durch mässig lahme Kühe weist somit darauf hin, dass diese Tiere eine kleinere Bereit- schaft haben, sich diesen Belastungen auszusetzen, ver- mutlich ebenfalls, um Schmerzen an erkrankten Klauen zu vermeiden. Dennoch waren bei mässig lahmen Kühen nicht vermehrt Kraftfutterreste zu verzeichnen. Dies weist darauf hin, dass mässig lahme Kühe die Kraftfutterstation ausreichend oft aufsuchten, um ihre vollständige Tagesra- tion abzuholen, jedoch zusätzliche Besuche vermieden.

Melkreihenfolge

Die Auswertung der Melkreihenfolge zeigte, dass mässig lahme Kühe einen höheren Melkreihenfolge-Index (rela- tive Position in der Herde: 0 = erste Kuh, 1 = letzte Kuh;

Tab. 2; Abb. 8B) aufwiesen, was bedeutet, dass sie in der Melkreihenfolge weiter hinten standen als nicht lahme Kühe. Dies dürfte darauf zurückzuführen sein, dass lahme Kühe für das Melken nicht so schnell aufstehen wie nicht lahme Kühe (Blackie et al. 2013) oder nicht selbstständig in den Wartebereich gehen. Des Weiteren bewegen sich lahme Kühe langsamer fort (Telezhenko und Bergsten 2005), weshalb sie bereits auf dem Weg zum Wartebereich an das Ende der Herde zurückfallen. Darüber hinaus könnte es sein, dass sie sich am Ende der Melkreihenfolge einordnen, um Auseinandersetzungen mit Herdenmitglie- dern zu vermeiden.

Die Resultate der vorliegenden Studie veranschaulichen, dass Lahmheit bereits in einem frühen Stadium zu deutli- chen Verhaltensänderungen führt. Diese Veränderungen entsprechen jenen, die in Studien an Kühen mit deutlicher Lahmheit beschrieben wurden (Solano et al. 2016; Thorup et al. 2015). Das Ausmass der Veränderungen ist bei mässig lahmen Kühen jedoch geringer.

Des Weiteren zeigen die Resultate der vorliegenden Stu- die, dass automatisiert erfassbare Verhaltensänderungen genutzt werden könnten, um Lahmheiten bei Milchkühen frühzeitig zu erkennen. Dies ist ein erster Schritt für die Entwicklung eines ganzjährig auf Praxisbetrieben anwend- baren Systems zur Früherkennung von Lahmheiten. Aktu- elle Arbeiten bei Agroscope werden zeigen, ob die auto- matisiert erfassten Daten zu Verhaltensänderungen bei lahmen Kühen weiterverarbeitet und dem Tierhalter oder der Tierhalterin in praxistauglicher Form zur Verfügung gestellt werden können.

Schlussfolgerungen

Das Auftreten einer Lahmheit wirkt sich bereits in einem frühen Stadium negativ auf das Verhalten von Milchkühen in Laufställen aus.

Mässig lahme Kühe reduzieren ihre Bewegungsaktivität, um Belastungsschmerzen an erkrankten Klauen zu vermei- den. Dies hat Auswirkungen auf das Liege- und Fressver- halten, die Nutzung von Kratzbürsten und Kraftfuttersta- tionen sowie die Position in der Melkreihenfolge.

Es ist damit zu rechnen, dass die beobachteten Verhaltens- änderungen im Liege-, Bewegungs- und Fressverhalten von mässig lahmen Kühen Nachteile in Bezug auf die Ener- gieversorgung und die Gesundheit mit sich bringen. Die Früherkennung von Lahmheit hat deshalb auch in wirt- schaftlicher Hinsicht eine grosse Bedeutung.

Im Hinblick auf das Tierwohl und die Tiergesundheit ist es daher wichtig, vorbeugend Massnahmen zu ergreifen, um bereits die Ursachen für die Entstehung von Lahmheiten zu beseitigen.

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Literatur

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