Deutsches ÄrzteblattJg. 104Heft 92. März 2007 A533
P O L I T I K
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ie Ergebnisse des Projekts„Closing the Gap – Gesund- heitliche Ungleichheit in Europa re- duzieren“ – bestätigen nach Auffas- sung von Dr. Klaus Theo Schröder,
„dass Deutschland auf einem guten Weg ist, Prävention und Gesund- heitsförderung so auszubauen, dass sozial Schwächere erreicht werden“.
Diese Auffassung vertrat der Staats- sekretär im Bundesgesundheitsmi- nisterium Mitte Februar in Berlin während der nationalen Abschluss- konferenz des von der Europäischen Kommission geförderten Projekts
„Closing the Gap“.
Schröder verwies darauf, dass mithilfe des GKV-Wettbewerbsstär- kungsgesetzes beispielsweise Vater- Mutter-Kind-Kuren zu Pflichtleis- tungen der Krankenkassen be- stimmt wurden. Sie seien gerade für sozial schwache Eltern hilfreich.
Lobend erwähnte er auch den Kin- der- und Jugendlichen-Survey des Robert-Koch-Instituts, der Beispiel für eine „vorbildliche Datenlage“
sei, an der es vielerorts mangelt.
Darüber hinaus betonte der Staats- sekretär, dass das geplante Präventi- onsgesetz ein wichtiger Ansatz auch zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheit sei.
Die Bundeszentrale für gesund- heitliche Aufklärung (BZgA) als Ver- treter Deutschlands hat das EU-Vor- haben „Closing the Gap“ zwischen 21 Ländern drei Jahre lang koordi- niert. Ziel war es, effektive Strategi- en zur Reduzierung gesundheitlicher Ungleichheit ausfindig zu machen und fundierte Informationen bezie- hungsweise vorbildliche Projekte in einer Datenbank zu sammeln (www.
health-inequalities.eu). Wer das In- ternet-Portal anklickt, erhält nicht nur grundsätzlich Informationen über das EU-Vorhaben, sondern auch Daten zu mittlerweile 90 vorbildlichen Praxis-
projekten, darunter fünf aus Deutschland (mehr Praxisbei- spiele unter: www. gesundheitliche- chancengleichheit.de).
„Ein Vergleich zwischen den Part- nerländern macht deutlich, dass es kein Einheitsrezept gibt“, betonte BZgA-Direktorin Elisabeth Pott. Um mehr Chancengleichheit im Gesund- heitsbereich zu erzielen, müssten zugleich Akzente am Arbeitsmarkt, im Sozial-, Umwelt-, Stadtplanungs-, Verkehrs-, Familien- und Bildungs- bereich gesetzt werden. So führten in Schweden beispielsweise verkehrs- politische Maßnahmen zur Unfallre- duzierung, von der besonders sozial Benachteiligte profitierten, erläuterte Pott. Denn diese Gruppe habe – in al- len europäischen Ländern – ein statis- tisch erhöhtes Unfallrisiko.
Zu den bislang gelisteten fünf nachahmenswerten Projekten aus Deutschland zählen ganz unter- schiedliche Vorhaben. Eines davon
ist das Projekt „Schutzengel“ des gleichnamigen Fördervereins, der im Jahr 2000 in Flensburg gegrün- det wurde. Seine Mitglieder, Privat- personen wie Institutionen, unter- stützen und koordinieren Angebote für Familien mit kleinen Kindern in einem sozialen Brennpunkt, und zwar bereits während der Schwan- gerschaft der Mütter beziehungs- weise von Geburt an.
Zweites Projekt ist „Ich geh zur U! Und Du?“ der BZgA. Mithilfe von Postern und Broschüren wird in Kindergärten in sozial benachteilig- ten Gebieten für die Teilnahme an den Kinder-Früherkennungsunter- suchungen U 7 bis U 9 geworben.
Für die lückenlose Beteiligung er- hält jedes Kind ein T-Shirt. Sobald der ganze Kindergarten zu den „Us“
erschienen ist, wird die Gruppe fo- tografiert und beteiligt sich an ei- nem Fotowettbewerb der BZgA.
Ebenfalls aufgeführt ist das Pro- jekt „Gesund essen mit Freude“, das sich an türkischstämmige Mütter wendet und mithilfe von Kochkur- sen und Diskussionsrunden mehr Bewusstsein für gesunde Ernährung schaffen soll. Aus der praktischen Arbeit heraus sind ein zweisprachi- ges Kochbuch und ein Kursmanual entstanden.
Die zwei weiteren Projekte umfas- sen das Bund-Länder-Programm
„Soziale Stadt“, das 1999 startete, und ein Modellprojekt der Betriebs- krankenkassen. Dafür wurde eine be- rufliche Eingliederungs- und Arbeits- maßnahme für Langzeitarbeitslose im Ennepe-Ruhr-Kreis um ein ge- sundheitsbezogenes Modul erweitert.
Nach Ansicht von Elisabeth Pott kann Deutschland mit den Ergebnis- sen des Projekts „Closing the Gap“
durchaus zufrieden sein. Gleich- wohl mangelt es nach ihrer Über- zeugung noch an der Vernetzung verschiedener Politikbereiche und an aussagekräftiger Forschung dar- über, welche Ansätze in der Be- kämpfung gesundheitlicher Un- gleichheit tatsächlich erfolgreich sind. Und wie so oft bleibt die Fi- nanzierung ein Problem: „In vielen Fällen sind gute Projekte heute be- grenzt und gehen nicht in die Regel- versorgung“, bedauerte Pott. n Sabine Rieser
ARM = KRANK
Dass sich auch in Deutschland nach wie vor soziale Unter- schiede auf Gesundheit und Lebenserwartung auswirken, belegen Daten, auf die die BzgA im Rahmen der Abschluss- konferenz von „Clothing the Gap“ hinwies. Zwei Beispiele:
cDie Lebenserwartung von Männern im oberen Ein- kommensbereich ist um zehn Jahre höher als die bei Männern mit niedrigem Einkommen; bei Frauen beträgt der Unterschied rund fünf Jahre.
cHerzinfarkte treten bei Männern einer niedrigen so- zialen Schicht ungefähr doppelt so häufig auf wie bei Männern, die sozial gut gestellt sind. Ähnlich ist das Ver- hältnis bei Männern und Frauen mit Diabetes.
Foto:dpa