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195 A . R I E G I. Z u r E n t s t e h u n g d e r a l t c h r i s t l i c h e n B a s i l i k a I96

Zur Entstehung der altchristlichen Basilika

1.

A u f österreichischem R e i c h s b o d e n stehen heute noch D e n k m a l e des altchristlichen Basilikenbaues aufrecht, die zu den vollkommensten und bester­

haltenen zählen; und w e n n m a n dazu die E r g e b ­ nisse der A u s g r a b u n g e n der letzten Jahrzehnte, ins­

besondere jener v o n Salona, in Betracht zieht, wird man, ohne W i d e r s p r u c h befürchten zu müssen, die B e h a u p t u n g w a g e n dürfen, daß heute, wenigstens innerhalb des A b e n d l a n d e s , nächst Italien die österreichische Monarchie die meisten und wichtig­

sten Zeugnisse des altchristlichen Basilikenbaues aufzuweisen hat. D a r a u s m a g es sich rechtfertigen, w e n n mit nachstehendem ein V e r s u c h zur L ö s u n g der immer noch umstrittenen F r a g e nach der G e ­ nesis der altchristlichen Basilika gerade in diesen, der Beschreibung österreichischer K u n s t d e n k m a l e g e w i d m e t e n Blättern niedergelegt werden soll.

D a ß die christliche Basilika zur Zeit ihrer E n t s t e h u n g (etwa im III. J h . n. Chr.) nicht außer­

halb aller B e z i e h u n g e n zu der gleichzeitigen B a u ­ kunst im römischen R e i c h e überhaupt — sei es der

profanen, sei es der heidnisch-sakralen — gedacht werden könne, ergab sich schon aus den Säulen­

hallen und den halbrunden Nischen, die beiden Gebieten in so h e r v o r r a g e n d e m und charakteri­

stischem Maße gemeinsam gewesen sind. Man schloß daraus v o n A n b e g i n n ganz richtig, daß die Christen in dem A u g e n b l i c k e , da es die S c h a f f u n g eines den spezifischen A n f o r d e r u n g e n ihres K u l t u s entsprechenden Gotteshauses g'alt, nicht auf die Erfindung neuer, bis dahin nicht dagewesener T y p e n ausgegangen wären, sondern sich der be­

reitstehenden F o r m e n der damaligen B a u k u n s t des römischen W e l t r e i c h e s bedient hätten. Nur faßte man das P r o b l e m im Sinne der materialistischen A n s c h a u u n g , die in der zweiten Hälfte des X I X . J h . alle K u n s t f o r s c h u n g beherrscht hat, als ein rein utilitarisches: die Christen hätten sich lediglich ge­

fragt, welches der bei den H e i d e n vorgefundenen Bausysteme die größte äußere B e q u e m l i c h k e i t für die A u s ü b u n g des christlichen K u l t u s , insbesondere der Zeremonien des Meßopfers darböte? S o hätten

sie nach den E i n e n in der Marktbasilika, nach den A n d e r n in der Privatbasilika, oder allein schon, in der gemeinen antiken Wohnhausanlag'e usw. das zweckmäßigste V o r b i l d des gesuchten christlichen K u l t u s h a u s b a u e s erkannt, und das hie- nach g e w ä h l t e V o r b i l d lediglich gemäß den B e ­ dürfnissen des neuen K u l t u s aus- und weiterge­

bildet. Zum Beispiel dachte sich die älteste dieser Entstehungshypothesen — die auch heute im Grunde noch i m m e r die größten Chancen hat, sobald man überhaupt an den soeben formulierten V o r a u s ­ setzungen festhält — daß die christliche Basilika auf das V o r b i l d der profanen Marktbasilika zu­

rückgehe, deren G r u n d f o r m die Christen aus Z w e c k ­ mäßigkeitsgründen hauptsächlich nur in d e m einen P u n k t e g'eändert hätten, daß sie die Säulenstellungen an den beiden Schmalseiten hinwegließen.

Bei einer solchen A u f f a s s u n g , die man als eine rein antiquarische bezeichnen darf, ist aber eines zu kurz g e k o m m e n : die K u n s t . I m Zeitalter des K u n s t m a t e r i a l i s m u s hat m a n das freilich über­

sehen; denn diesem galt ja das Schöne als eine n o t w e n d i g e F o l g e e r s c h e i n u n g des Z w e c k m ä ß i g e n , das K u n s t w e r k als mechanisches P r o d u k t aus Zweck, R o h s t o f f und T e c h n i k . Seit einem J a h r ­ zehnt haben wir j e d o c h allmählich wieder deutlicher scheiden g-elernt zwischen dem Zweckmäßigen, das der B e f r i e d i g u n g sinnlicher Bedürfnisse ent­

spricht, und dem Schönen, das gefällt. K a u m hat m a n sich auf den B o d e n einer solchen dualisti­

schen A u f f a s s u n g gestellt, erhebt sich auch schon die F r a g e : was hat den Christen an der Basilika gefallen, daß sie dieselbe v o n A n b e g i n n durchaus bevorzugt, und im weiteren V e r l a u f wenigstens im A b e n d l a n d ein volles Jahrtausend hindurch so gut w i e ausschließlich festgehalten haben?

A l l e r d i n g s könnte gleich v o n vornherein der Versuch unternommen werden, dieser F r a g e die B e r e c h t i g u n g zu entziehen, indem man geltend machte, daß die Altchristen der bildenden K u n s t mindestens gleichgültig, w o nicht feindselig g e g e n ­ übergestanden wären. D i e ältesten Christen waren in der T a t von eschatologischen Vorstellungen Originalveröffentlichung in: Jahrbuch der K. K. Zentral-Kommission für Erforschung und Erhaltung der Kunst- und Historischen Denkmale, NF 1 (1903), Sp. 195-216

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197 A . RIEGT. Zur Entstehung der altchristlichen Basilika

erfüllt und auch später noch, als sie mit der W e l t sich abzufinden und im Sinne dieser K o n z e s s i o n eine K i r c h e einzurichten begannen, treffen wir bei ihnen öfter auf asketische Neigungen, die den M a n g e l an Interesse, w o nicht eine ausgesprochene A b n e i g u n g gegenüber der bildenden K u n s t verraten.

A b e r es wäre gefehlt, den Geltungswert dieser S y m p t o m e zu überschätzen. H a t j a doch selbst das polytheistische Heidentum, das m a n in gewisser Hinsicht als eine V e r g ö t t l i c h u n g der bildenden K u n s t auffassen darf, aus seiner Mitte Geister hervorgebracht, die der K u n s t alle erlösende B e ­ deutung und damit die Existenzberechtigung ab­

sprachen: und zwar begeg-nen wir in dieser R e i h e nicht allein den Neuplatonikern, die man vielleicht, weil sie der Spätzeit angehören, nicht für voll­

k o m m e n beweisgültig halten könnte, sondern vor allen d e m großen Plato selbst, der in so vielen B e z i e h u n g e n die klassische H ö h e des Hellenen- tums vertritt. Schon die reiche Coemeterialkunst der primitiven Christen hätte uns daran hindern sollen, ihnen eine tiefere N e i g u n g für die bildende K u n s t abzusprechen. Man halte nur die analogen Verhältnisse bei uns Modernen daneben, die w i r in so vieler Hinsicht einen förmlichen K u l t u s der bildenden K u n s t zu treiben uns bemühen, aber in B e z u g auf die künstlerische B e h a n d l u n g der G r a b ­ stätten uns nicht entfernt mit den Altchristen messen können. D i e Altchristen empfanden also wenigstens in ihrer überwiegenden Masse ein aus­

gesprochenes Bedürfnis nach bildendem K u n s t ­ schaffen und genießendem Wiederschaffen und traten damit als vollberechtigte Mitschöpfer der damaligen K u n s t im römischen W e l t r e i c h e neben die Heiden, denen man früher allein die aktive R o l l e in diesem Prozeß zugewiesen hatte. W i r stehen nun vor der F r a g e : wodurch unterscheidet sich dieses vermutliche christliche K u n s t w o l l e n v o n dem gleichzeitigen heidnischen? W i e war ihr wechselseitiges Verhältnis beschaffen?

Sucht man die A n t w o r t hierauf unmittelbar aus den D e n k m a l e n zu gewinnen, so wird m a n wenigstens bei dem heutigen Stande der F o r s c h u n g nicht weit k o m m e n . Unsere O r g a n e b e m e r k e n noch immer, wie schon vor Jahrzehnten, hauptsächlich bloß die ikonographischen Unterschiede in den luguren- darstellungen; am auffallendsten tritt da die Unter­

drückung anstößiger heidnischer Motive entgegen,

aber selbst diese wurden keineswegs mit rigoroser Strenge durchgeführt. K l e b t sonach schon die ikonographische V e r g l e i c h u n g mehr am Äußern, Stofflichen des Inhalts, ohne in die A u f f a s s u n g einzudringen, so weiß vollends über die Unter­

schiede in der Behandlung" von F o r m und F a r b e heute noch niemand Aufschluß zu geben. A b e r selbst dieses negative Ergebnis allein schon ent­

behrt nicht einer gewissen aufklärenden Bedeu­

tung: wären die Unterschiede hier wirklich sehr namhafte und tiefgehende, dann müßten doch schon einige darunter den Forschern aufgefallen sein.

Zu der gleichen Erkenntnis werden wir auch durch E r w ä g u n g e n allgemeiner Natur geleitet.

E s ist unsere tiefgewurzelte und unausrottbare Überzeugung, daß zwischen ethischem und ästheti­

schem W o l l e n ein inniger Zusammenhang besteht.

Sie gelangt unter anderen darin zum A u s d r u c k e , daß wir uns fortwährend versucht fühlen, zwischen Erscheinungen der Kunstgeschichte und solchen aus der gleichzeitigen Kulturgeschichte Verbindungen herzustellen, die ersteren durch die letzteren als die allgemeineren bedingt zu erklären. D i e strengen Kritiker, die solche Versuche fast ausnahmslos zu finden pflegen, haben allerdings leichtes Spiel, in­

dem sie regelmäßig dagegen die F r a g e ins Feld führen, welche Verbindungsglieder denn zwischen den beiderlei Erscheinungen vorhanden wären.

Sie beweisen damit aber nur, daß der Mensch hiebei einem unwiderstehlichen und daher w o h l richtigen D r a n g e folgt, etwa wie der elektrische Strom — wenn ein V e r g l e i c h verstattet ist — der im gewaltsamen W e g e des Kurzschlusses die nächste V e r b i n d u n g mit dem Ziele sucht, um sich den U m w e g über die normale, aber umständlichere L e i t u n g zu ersparen. M a n w i r d vielleicht selbst die B e h a u p t u n g w a g e n dürfen, daß es k a u m einen unter den so k l u g e n und vorsichtigen Kritikern geben möchte, der nicht das eine oder das andere Mal in der gleichen R i c h t u n g gesündigt hätte.

E s möchte heute vielleicht sogar schon möglich sein, die inneren Beziehungen zwischen dem Verhält­

nisse des altchristlichen K u n s t w o l l e n s zum gleich­

zeitigen heidnischen einerseits und jenem des alt­

christlichen religiösen W o l l e n s zum gleichzeitigen heidnischen religiösen W o l l e n anderseits des G e ­ naueren aufzudecken, denn wenigstens in den extre­

men Fällen, w o die wechselseitigen Beziehungen 13*

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199 A . RlEGT. Zur Entstehung der altchristliciien B a s i l i k a 2 0 0

sich bis zur Negation des einen steigern, w i e im Bildersturm, liegen dieselben unmittelbar offen zutage. D a aber ein bezüglicher V e r s u c h zu umständlich ausfallen müßte, u m an dieser Stelle Einschaltung finden zu k ö n n e n , muß es dies­

mal im wesentlichen noch mit dem A p p e l l an die innere instinktive Ü b e r z e u g u n g des Lesers sein B e w e n d e n haben. W i e stellt sich nun im Lichte der heutigen F o r s c h u n g das V e r h ä l t n i s der altchristlichen zur gleichzeitigen heidnischen R e l i g i o n ?

E i n e r unbefangenen E r k e n n t n i s dieses V e r ­ hältnisses ist bisher hauptsächlich der Offenbarungs­

glaube, zwar nicht als solcher, aber u m gewisser Nebenvorstellungen willen die m a n damit verknüpft hat, entgegengestanden. A u s g e h e n d v o n der E r ­ w ä g u n g , daß eine Botschaft, die v o m H i m m e l ge­

spendet werden mußte, durch die M e n s c h e n selbst auf keine W e i s e hätte gefunden w e r d e n können, meinte m a n auf eine unüberbrückbare K l u f t zwischen dem A l t c h r i s t e n t u m und d e m gleich­

zeitigen H e i d e n t u m schließen zu müssen. D i e stets fortschreitende historische E r k e n n t n i s hat aber allmählich jene K l u f t mehr und mehr eingeengt, ohne daß der Offenbarungsglaube darunter Schaden gelitten hätte. E s widerspricht diesem auch in keiner W e i s e die A n n a h m e , daß die H e i d e n in der römischen Kaiserzeit nach dem gleichen ge­

meinsamen Ziele gestrebt hätten als die Christen und daß die letzteren eben durch die geoffenbarte Botschaft die begehrte E r l ö s u n g g e f u n d e n haben, die den H e i d e n als solchen versagt blieb. D i e G e m e i n s a m k e i t des religiös-ethischen Grundzieles aller V ö l k e r und K u l t e im römischen W e l t r e i c h der Kaiserzeit erscheint heute durch zu viele Zeugnisse gestützt, als daß m a n sich ihrer E r ­ kenntnis noch länger verschließen könnte.

D a s religiöse L e b e n w ä h r e n d der drei ersten Jahrhunderte der römischen Kaiserzeit charak­

terisiert die wachsende A u f k l ä r u n g über die U n ­ zulänglichkeit des ü b e r k o m m e n e n polytheistischen Glaubens für das ethische Erlösungsbedürfnis der damaligen zivilisierten Menschheit. B e i den G e ­ bildeten hatte diese A u t k l ä r u n g freilich schon J a h r ­ hunderte früher mit dem M o m e n t e b e g o n n e n , seit welchem die griechische P h i l o s o p h i e dasjenige w o ­ für der Glaube versagte, mit d e m V e r s t ä n d e zu be­

greifen versuchte. D i e s e Bevölkerungsklassen waren im II. J h . n. Chr. bei der Skepsis, das ist beim Zweifel an der M ö g l i c h k e i t einer E r l ö s u n g durch die P h i l o s o p h i e und die W i s s e n s c h a f t selbst an­

g e l a n g t ; die große M e n g e aber, die ohne einen imperativen G l a u b e n nicht zu existieren vermochte, hatte um diese Zeit längst das V e r t r a u e n in die Kultfo'rmen des griechischen Zwölfgötterglaubens eingebüßt und dafür nach anderen K u l t e n gegriffen.

D e r R ö m e r der Kaiserzeit verehrte w o h l noch die alten Staats- und Familiengötter, etwa w i e m a n eine vorgeschriebene staatsbürgerliche Formalität er­

füllt; aber in seinem inneren Herzensbedrängnis und seinem Erlösungsbedürfnis w a n d t e er sich nicht mehr an Zeus oder Hera, A p o l l o n oder A t h e n e , sondern an Isis oder Attis, Serapis oder Mithras u. s. w. A l l e n diesen, der äußern F o r m nach den orientalischen K u l t e n e n t n o m m e n e n Gottheiten w a r g e m e i n s a m : erstens ein Z u g zum Monotheismus, zweitens ein zeremoniöser Mysterienkult, endlich eine B e z i e h u n g zur Unsterblichkeit, in deren B e ­ wußtsein der spätantike Mensch mehr und mehr die eigentliche E r l ö s u n g erblickte. In allen diesen B e z i e h u n g e n tritt aber der Gegensatz zu den klassisch-polytheistischen A n s c h a u u n g e n ebenso scharf u n d deutlich hervor als die V e r w a n d t s c h a f t mit dem Christentum.

D ü r f e n wir hienach das religiöse Endziel der Christen und H e i d e n in der früheren Kaiserzeit als ein gemeinschaftliches fassen, dessen Erreichung allerdings beiderseits mit verschiedenen Mitteln ang'estrebt wurde, so möchte m a n auf G r u n d des vorhin angedeuteten Analogieschlusses das Gleiche v o m K u n s t w o l l e n a n n e h m e n : auch in der bildenden K u n s t hätten Christen und H e i d e n im G r u n d e das Gleiche gewollt, aber mit verschiedenen Mitteln zu erreichen gestrebt. Nach einem Beispiele hiefür brauchen w i r nicht weit zu suchen: es bietet sich von selbst in der B a s i l i k a dar. D a ß die christliche wie die heidnische (forensische) Basilika nahver­

wandten, w o nicht identischen ästhetischen Grund­

forderungen entsprochen haben müssen, beweist die enge Ü b e r e i n s t i m m u n g in den meisten ihrer Teile. A b e r auch eine Verschiedenheit ist vor­

handen: keine christliche B a s i l i k a gleicht ganz genau der Marktbasilika und dasselbe gilt in um­

gekehrtem Sinne.

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2 0 1 A . RIEGT. Zur Entstehung der altchristlichen Basilika 2 0 2

II.

D i e vorstehenden Betrachtungen hatten bloß den Zweck, die Hindernisse hinwegzuräumen, die eine frühere in materialistischen Vorurteilen be­

fangene A n s c h a u u n g der Erkenntnis v o m W e s e n und Entstehung der christlichen Basilika in den W e g gelegt hatte. E s wurde damit den A l t ­ christen imputiert, sie hätten die bildende K u n s t etwa gleich einem R o c k e behandelt, den man an­

zieht oder ablegt, je nachdem m a n warm oder kalt haben will, ohne dabei im geringsten auch seine F ä h i g k e i t das Gefallen des Besitzers oder anderer zu erwecken, zu würdigen. D a s wichtigste E r g e b n i s besteht aber darin, daß wir nun nicht mehr g e ­ z w u n g e n sind, nach einem festen B a u s y s t e m e bei den H e i d e n zu suchen, das die Altchristen fertig h e r ü b e r g e n o m m e n und für ihre praktischen Z w e c k e adaptiert hätten. W i r dürfen vielmehr die christ­

liche B a s i l i k a als eine freie künstlerische Schöpfung der Altchristen, allerdings aus Elementen, die ihnen mit den H e i d e n , v e r m ö g e des sie mit diesen hin­

sichtlich der letzten Ziele verknüpfenden K u n s t ­ wollens, gemeinsam waren, auffassen und ent­

sprechend zergliedern.

V o r allem haben wir uns den praktischen Zweck klar zu machen, dem die christliche B a s i l i k a zu dienen hatte; denn w e n n der Z w e c k auch nicht, w i e die Kunstmaterialisten gemeint hatten, das Schöne mechanisch hervorbringt, so liefert er doch den äußeren Anstoß, daß das Schöne ins L e b e n trete, und bedingt dadurch wenigstens teilweise seine Erscheinung. W i l l m a n nun dasjenige rein erfassen, was a m K u n s t w e r k e auf R e c h n u n g des K u n s t w o l l e n s zu setzen ist, so muß m a n das durch den praktischen Zweck bedingte daran v o n der Gesamterscheinung abzuziehen wissen; darum muß der praktische Zweck, dem das christliche K u l t h a u s zu dienen hatte, noch vor B e g i n n der künstleri­

schen Untersuchung reinlich ausgemacht werden.

D a b e i darf v o n den Verhältnissen der primitiven Zeit, die noch von eschatologischen E r w a r t u n g e n erfüllt gewesen war und die man vielleicht am zutreffendsten als die kommunistische bezeichnen darf, gänzlich abgesehen werden. D i e V o r b e d i n ­ g u n g e n für die A u s b i l d u n g eines allgemein ver­

bindlichen Gotteshaustypus waren bei den Christen erst von dem A u g e n b l i c k e an gegeben, als sie sich auf einen dauernden Aufenthalt in dieser irdi­

schen W e l t bis zu ihrem unbekannten E n d e einzu­

richten begannen, was aus verschiedenen Gründen k a u m vor der zweiten H ä l f t e des H. J h . n. Chr.

anzunehmen ist. Dieser U m s c h w u n g hat zugleich auch eine innere F o l g e für den K u l t u s mit sich gebracht, die, w i e sofort gezeigt werden soll, von nicht zu unterschätzender B e d e u t u n g für die all­

gemeine Gestaltung des Gotteshauses werden mußte.

D a s christliche Kulthaus, wie es sich ungefähr seit dem E n d e des I L J h . allmählich herausgebildet haben mochte, war gedacht als die Stätte, an welcher die G e m e i n d e an der erlösenden W i r k u n g des von den Priestern dargebrachten Meßopfers teilnahm. U n d zwar sollte dieser A k t zwischen geschlossenen W ä n d e n vor sich gehen: nicht aus Heimlichkeitstrieb, sondern sozusagen aus einem Reinlichkeitsbedürfnis, denn es sollte niemand Zeuge des Opfers sein, der nicht innerlich dazu vorbereitet war, selbst nicht der flüchtigste Zu­

schauer aus der Ferne. D a s Opfer hatte gegen­

über denjenigen der polytheistischen K u l t e eine durchaus mystische Bedeutung, wie sie auch den gleichzeitigen heidnischen Mithrasopfern und an­

deren zukam; und es lag ganz im Sinne dieses Mysteriums, daß der einzelne Gläubige, wenngleich er v o n der leiblichen Beteiligung a m Opfer nie­

mals ausgeschlossen blieb, doch auch dann der erlösenden G n a d e n desselben teilhaftig wurde, w e n n das Opfer lediglich v o m Priester als dem geistlichen Oberhaupt der G e m e i n d e dargebracht wurde und er — der G l ä u b i g e — bloß der D a r ­ b r i n g u n g im selben nach außen abgeschlossenen R ä u m e , mit entsprechender innerer A n d a c h t an­

wohnte. Diese A u f f a s s u n g hat aber erst v o n der Konstituierung einer K i r c h e an platzzug'reifen be­

gonnen, während in der kommunistischen Zeit die leibliche A n t e i l n a h m e am Opfer (seine D a r ­ b r i n g u n g und seine Entgegennahme) für jeden Gläu­

bigen obligatorisch gewesen war. Mit der also ge­

änderten A u f f a s s u n g mußte auch die Stellung des Priesters, dessen Funktion in der kommunistischen Zeit gewissermaßen diejenige eines — w e n n das allerdings nicht ganz zureichende W o r t gestattet ist — geschäftlichen Vermittlers gewesen war, gegenüber der G e m e i n d e eine viel ausgezeichnetere und respektheischendere werden, als ehedem. D a s christliche K u l t h a u s erforderte hienach einen R a u m , in welchem das Opfer durch die Priester darge-

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203 A . RiEGI. Z u r E n t s t e h u n g der altchristlichen B a s i l i k a 204

bracht wurde, und einen zweiten, mit d e m ersten zusammenhängenden, aber anderseits doch respekt­

voll davon getrennten R a u m für die V e r s a m m l u n g der Gemeinde, be;de R ä u m e jedoch durch g e ­ schlossene W ä n d e geschützt v o r der Zeugenschaft Unberufener, die nicht zur G e m e i n d e gehörten, oder der T e i l n a h m e an den G n a d e n des Opfers unwürdig waren.

D e n einen der beiden R ä u m e , denjenigen in dem sich das M y s t e r i u m vollzieht, mit Opferaltar und Priesterschaft, bildet die halbzylindrische, ursprünglich fensterlose und mit einer H a l b k u p p e l überwölbte A p s i s . Sie ist nichts anderes als die Hälfte einer R o t u n d e mit R u n d k u p p e l u n d somit ein Erzeugnis des Zentralbaues, das für die B a u ­ kunst der römischen Kaiserzeit vielleicht das am meisten charakteristische B a u m o t i v g e w o r d e n ist.

E s scheint nun einschaltungsweise n o t w e n d i g , sich Sinn und B e d e u t u n g des römischen Zentralbaues (dessen vermutlichen hellenistischen Vorläufer wir zu w e n i g kennen, u m darüber Bestimmteres sagen zu können) klar zu machen.

D e r Zentralbau ist ein R e s u l t a t der E m a n z i ­ pation der Tiefendimension in der antiken K u n s t . D i e s e E m a n z i p a t i o n verrät sich nicht allein in der äußeren F o r m der D i n g e , deren tastbare A u ß e n ­ flächen sich nun in auffallender, durch starke Lichter und Schatten markierter W e i s e g e g e n den Beschauer vor- oder von ihm zurückwölben dürfen, sondern auch in der Zulassung des freien L u f t ­ raums als einer ästhetischen P o t e n z u n d darin beruht ihre eigentliche, epochemachende B e d e u ­ tung. Jetzt erst, nachdem die klassische P h a s e der E n t w i c k l u n g überwunden war, b e g a n n man den Innenraum als ein künstlerisches Element zu betrachten; v o n diesem A u g e n b l i c k e an k a n n erst v o n einer eigentlichen, monumentalen R a u m k u n s t die R e d e sein. D i e L ö s u n g des P r o b l e m s aber, einen A u s g l e i c h zwischen dem unfaßbaren, unendlichen, formlosen Tiefraum einerseits u n d der begrenzten, tastbaren, mehr oder minder symmetrisch ge­

schlossenen F o r m anderseits herzustellen, l a g im Zentralbau. Betritt man z. B. das Innere des rö­

mischen Pantheon, dann fühlt man sofort, daß die in der E b e n e nicht zu messende und daher störende T i e f e seines R a u m e s ungefähr gleich ist der in der E b e n e meßbaren Breite u n d H ö h e ; und die R u n d k u p p e l , welche dem gleichem R a d i u s folgend,

alle unbehaglichen W i n k e l ausgleicht, vollendet den Eindruck der Sicherheit im Beschauer. Man empfindet die äußere, tastbare, geschlossene F o r m auch im I n n e n r a u m und vergißt den unmeßbaren Freiraum über d e m E i n d r u c k der ihn begrenzen­

den festen Form. D i e G r u n d l a g e des Zentralbaues bildet w i e jene der klassischen K u n s t die S y m ­ metrie, aber nicht m e h r die S y m m e t r i e der Ebene, sondern jene des R a u m e s , die man seit S e m p e r als E u r h y t h m i e zu bezeichnen pflegt.

D e r Zentralbau ist nun der ausgesprochene Monumentalbau der R ö m e r geworden. D a s be­

weist schon der Umstand, daß die M o n u m e n t e par excellence, die Grabmäler wenigstens der V o r ­ nehmsten, seit dem A u s g a n g e der republikanischen Zeit als Zentralbauten aufgeführt wurden. A b e r das sind Male, das heißt gewissermaßen W e r k e der Skulptur, die sich bloß nach außen als ge­

schlossene, tastbare und dabei allerdings eurhyth- misch g e w ö l b t e F o r m e n darstellen sollten. D o c h auch den Innenräumen, sobald sie durch g e w ö l b t e Zentralbauten hergestellt waren, w o h n t e eine m o ­ numentale B e d e u t u n g inne. E i n e solche k a m in der antiken W e l t jeder sakralen F u n k t i o n zu u n d solcher g a b es eine Fülle, da j a das ganze antike L e b e n v o m sakralen W e s e n durchdrungen war.

A u c h R ä u m e n v o n nichtmonumentaler B e s t i m m u n g und daher v o n einfacher, nutzbaulicher A n l a g e w u r d e n mit V o r l i e b e T e i l r ä u m e angefügt, denen m a n irgend eine sakrale B e d e u t u n g beilegen mochte und auf G r u n d dessen das beliebte K u n s t ­ m o t i v des geformten Freiraumes verlieh; in vielen F ä l l e n m a g dann selbst das künstlerische Bedürf­

nis die eigentliche Veranlassung gegeben haben und die sakrale B e d e u t u n g dafür nur der V o r ­ w a n d gewesen sein. Solche angefügte Zentral­

räume erhielten nun naturgemäß nicht die voll­

ständige, sondern bloß die halbierte Zentralform:

das war die halbrunde Nische mit H a l b k u p p e l darüber.

S o versteht man, daß die Altchristen dem Innenraume, der durch das M y s t e r i u m selbst und durch die A n w e s e n h e i t der Vermittler des Myste­

riums ausgezeichnet war, im Sinne der damaligen A u f f a s s u n g v o n der B e d e u t u n g der A r c h i t e k t u r ­ formen g a r keine andere Gestalt geben k o n n t e n als jene eines Zentralbaues, und weil die A n ­ f ü g u n g eines zweiten damit kommunizierenden

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205 A . R i E G l Zur Entstehung der altchristlichen Basilika 2o6

R a u m e s vorausgesetzt war, diejenige eines hal­

bierten Zentralbaues: der Apsis. *)

D e r zweite R a u m war gedacht als V e r s a m m ­ lungsraum der Gemeinde. D i e B e s t i m m u n g war jener des Mysterienraumes gegenüber entschieden eine untergeordnete. D i e G l ä u b i g e n hatten ja mit dem Mysterium selbst in der R e g e l unmittelbar nichts mehr zu t u n ; hätte man den für sie bestimmten R a u m ebenfalls als monumentalen ausgezeichnet, so wäre dadurch der V o r r a n g des Mysterienraums verwischt worden. D e r R a u m für die G l ä u b i g e n sollte daher behandelt werden, wie die gewöhnlichen V e r s a m m l u n g s r ä u m e da­

maliger Zeit: R ä u m e zum Zirkulieren von Men­

schen, zum K o m m e n und Gehen, ohne alle monu­

mentale Geschlossenheit. Solche R ä u m e waren die Säulenhallen.

D i e antike Halle (crtoa, porticus) bildete einen G a n g , der w o m ö g l i c h nach allen Seiten, mindestens aber an einer Seite mit einer Säulenreihe durch­

brochen war. E s lag ihr der G e d a n k e zugrunde, einen begrenzten R a u m zur V e r s a m m l u n g und zum Zirkulieren von Menschen zu schaffen und doch nicht den Eindruck eines geschlossenen Innenraumes a u f k o m m e n zu lassen. W a s das A u g e sehen sollte, waren lediglich die Säulen: das ist begrenzte, tastbare, stoffliche Individuen, die im freien R ä u m e gleich R e l i e f g e b i l d e n auf ebenem G r u n d e standen, und den F r e i r a u m in seiner E x i ­ stenz ebenso zurückdrängten und künstlerisch un­

sichtbar machten, wie das R e l i e f den Grund, über den es sich erhebt. D a ß nun diese H a l l e n auch in der römischen Kaiserzeit den gewissermaßen ordinären T y p u s für V e r s a m m l u n g s r ä u m e gebildet haben, lehrt am besten die Marktbasilika.

D i e römische Marktbasilika war in der Grund­

anlage nichts anderes als eine K o m p o s i t i o n von vier Säulenhallen, die sich nach einem gemein­

samen oblongen H o f e öffneten. D a s künstlerische

l) Mit der Beschränkung des Zentralbaues auf Innen-' räume von monumentalem Charakter hängt es u. a. zu­

sammen, daß die Baptisterien regelmäßig als Zentral­

bauten errichtet worden sind. Sie waren eben monu­

mentale Einfassungen der Piscina, d. h. der weihevollen Stätte, an der sich die A u f n a h m e in die christliche G e ­ meinde vollzog. D a ß Grabmäler und Grabkirchen das gleiche Schema befolgten, wird dann vollends nicht wunder­

nehmen können.

E l e m e n t der Basilika bildeten im Innern die Säulen­

reihen, d. h. tastbare, begrenzte und stoffliche F o r m e n in rhythmischer W i e d e r h o l u n g . A u s Gründen, über die uns die A l t e n keine A u f k l ä r u n g ­ hinterlassen haben, wurde der dem ursprünglichen G e d a n k e n nach offene H o f überdeckt. D i e K u n s t ­ materialisten hätten sich für die E r k l ä r u n g dieser folgenschweren Neuerung wahrscheinlich mit einem M o m e n t e praktischer Zweckmäßigkeit begnügt, das darin lag, den V e r s a m m l u n g s r a u m zu Sommers­

und Winterszeit und zu jeder W i t t e r u n g behaglich zu erhalten E i n solcher äußerer G r u n d dürfte wohl auch mitgespielt haben; aber es lief gewiß eine künstlerische E r w ä g u n g mindestens parallel mit jener praktischen. E s liegt nahe zu denken, daß jener zunehmende D r a n g nach räumlicher A b - schließung, wie er sich in der Pflege des Zentral­

baues ausprägt, sich auch im Nutzbau bemerkbar gemacht hat. D i e Mittelmeervölker, die zur klassi­

schen Zeit überall gleichsam den ebenen G r u n d des freien R a u m e s als n o t w e n d i g e F o l i e für die in ästhetischem Sinne allein gültigen, tastbaren I n ­ dividuen gesucht hatten, begannen allmählich ein Bedürfnis der A b s c h l i e ß u n g in einem beschränkten Bezirke zu empfinden; oder ganz platt gesprochen:

sie fühlten sich dadurch geniert, daß unberufene Zu­

schauer v o n allen Seiten (auch v o n oben) in ihren W a n d e l in den Markthallen hereinblicken könnten und schlössen darum nicht allein die äußern Seiten der H a l l e mit gemauerten W ä n d e n sondern auch den H o f nach oben hin ab, w a s schon des erforder­

lichen Lichtes halber mit einer Ü b e r h ö h u n g der H a l l e n m a u e r n über den Säulen verbunden sein mußte. Daß damit der H o f tatsächlich aufhörte ein offener zu sein, und daß mit dieser w e n n auch zu­

nächst bloß latenten E i n f ü h r u n g eines geschlosse­

nen, v o n Säulenhallen umgebenen Innenraums der A u s g a n g s p u n k t für eine neue, auf wesentlich un­

klassischen Voraussetzungen aufgebaute E n t w i c k ­ lung g e g e b e n war, wird niemand leugnen wollen.

A b e r diejenigen, die die Neuerung (wohl schon in hellenistischer Zeit) eingeführt haben, dachten nicht an die K o n s e q u e n z e n , die wir heute so deutlich zu überschauen im stände sind. F ü r die R ö m e r der Kaiserzeit war die D e c k e des Hofes eine provisorische, denn sie ist, soviel wir wissen, nicht ein einzigesmal in der monumentalen W ö l ­ bungsform und nicht einmal in unvergänglichem

(7)

A . RiEGL Zur Entstehung der altchristlichen B a s i l i k a 2o8

Material ausgeführt worden, sondern stets als flacher, hölzerner Dachstuhl.x)

Jetzt werden wir auch verstehen, w a r u m die Altchristen ihrem der A p s i s v o r g e l e g t e n V e r s a m m ­ lungsräume die F o r m der drei- (oder mehr-)schiffi- gen L a n g h ä u s e r g e g e b e n haben. D e r obligatorische T y p u s für solche R ä u m e w a r e n eben die Säulen­

hallen und es l a g für die Altchristen kein G r u n d vor, d a v o n abzugehen. D a ß sie den dazwischen g e l e g e n e n H o f überdeckten, w a r ihnen geradezu zur N o t w e n d i g k e i t gemacht, da ja ihr K u l t u s die A b s c h l i e ß u n g nach außen z w i n g e n d forderte. D e r H i n w e g f a l l der Säulenhallen an den Schmalseiten, durch welchen sich die altchristliche Basilika so auffallend v o n der M a r k t b a s i l i k a unterscheidet, ist durchaus einleuchtend. Zwischen Mysterien­

raum und G e m e i n d e r a u m durfte k e i n e unmittel­

bare V e r b i n d u n g herrschen und der Mysterien­

raum mußte sich darum gewissermaßen selbständig ins Freie, d. i. nach dem (gedeckten) H o f e öffnen.

A n der entgegengesetzten Schmalseite h i n g e g e n hätten die Säulen w o h l stehen bleiben können, und das ist auch nachweislich da und dort geschehen;

aber es ist ganz natürlich, daß jene Hallen, die zu dem M y s t e r i u m hinleiteten, nun weitaus den V o r z u g g e w a n n e n , und infolgedessen für eine Querhalle am E i n g a n g e kein rechter Sinn v o r ­ handen blieb. D a m i t erscheint allerdings ein R i c h t u n g s m o m e n t zugegeben, das schon in der Marktbasilika latent v o r h a n d e n , nun in der christ­

lichen B a s i l i k a in verstärktem Maße sich geltend gemacht hat. A b e r das muß auf das entschiedenste bestritten werden, daß dieses R i c h t u n g s m o m e n t sich in einem mit perspektivischen A b s i c h t e n

J) D i e Maxentiusbasilika am römischen Forum m i t ihrer W ö l b u n g steht ganz vereinzelt da, zeigt schon im Grundriß fundamentale A b w e i c h u n g e n v o m typischen B a ­ siliken-Schema und ist höchstens als R u d i m e n t einer Ent­

wicklung aufzufassen, die in der damit eingeschlagenen Richtung keine Fortsetzung finden konnte, ähnlich w i e die Religionspolitik Diokletians und seiner Gesinnungsgenossen mit demselben Maxentius ihr jähes E n d e ohne Spur einer Nachfolge gefunden hat. D a ß die R ö m e r oblonge A n l a g e n ebenso leicht zu wölben wußten, w i e zentrale, ist durch zahllose Denkmale bewiesen. Monumentale L a n g r ä u m e haben sie aber nach Aussage der Monumente (namentlich der römischen Thermensäle) in der Regel gewissermaßen in Zentralräume, d. h. wenigstens in quadratische Räume mit Kreuzgewölben darüber unterteilt.

k o m p o n i e r t e n Mittelschiffe ausgesprochen hätte:

es gelangte künstlerisch einzig und allein in der K o r r i d o r f o r m der Seitenschiffe, u n d in deren überragender L ä n g e g e g e n ü b e r der Breite z u m A u s d r u c k e . A u c h hier müssen wir uns hüten, die künstlerischen A b s i c h t e n , die spätere Zeiten mit der B a s i l i k a zu verwirklichen unternommen haben, schon den Altchristen zuzuschreiben.

A u s dieser B e t r a c h t u n g ergibt sich, daß das konstitutive E l e m e n t des L a n g h a u s e s ursprünglich bloß die beiden Seitenschiffe gebildet haben. D a ­ mit soll natürlich durchaus nicht gesagt sein, daß die G l ä u b i g e n nicht auch ins Mittelschiff heraus­

traten, wie ja g e w i ß auch in den A t r i e n , die ganz zweifellos einen offenen H o f zwischen vier Säulen­

hallen besessen haben, die G e m e i n d e m i t g l i e d e r ebensogut diesen H o f wie die H a l l e n selbst be­

treten haben werden. A b e r wenigstens für einen T e i l des Mittelschiffes — begreiflichermaßen für jenen, der dem A l t a r e zunächst l a g (Schola can- torum) — war der Zutritt der M e n g e nachge­

wiesenermaßen ausgeschlossen. D a s künstlerische E l e m e n t der altchristlichen Basilika bildeten noch i m m e r hauptsächlich die Säulen. Nicht der per­

spektivische B l i c k v o m , Mittelschiffe aus g e g e n die A p s i s , sondern der gerade D r a u f b l i c k v o n einem Seitenschiffe aus quer über den überdeckten H o f hin nach der F r o n t des andern Seitenschiffes mit ihren Säulenreihen u n d Malereien an der W a n d darüber w a r es, der die künstlerische W i r ­ k u n g des L a n g h a u s e s in der altchristlichen B a s i ­ l i k a bedingte. Nicht eine einzige unter den zahl­

losen altchristlichen Basiliken, die w i r im Orient und O k z i d e n t ü b e r k o m m e n oder doch in R e s t e n erhalten haben, hat eine W ö l b u n g oder auch nur eine K a s s e t t e n d e c k e aus Stein aufzuweisen: aus­

nahmslos ist es die v o m künstlerischen Stand­

p u n k t e provisorische A b d e c k u n g mit einem höl­

zernen Dachstuhl (mit oder ohne V e r t ä f e l u n g ) gewesen, die v o n -der H a l b k u p p e l des m o n u ­ mentalen Mysterienraumes so bedeutungsvoll ab­

sticht.

W i e stellt sich hienach das V e r h ä l t n i s der altchristlichen B a s i l i k a zur Marktbasilika? H a b e n wir in letzterer das unmittelbare und bewußt be­

folgte V o r b i l d der ersteren zu erblicken? In d e m Sinne, daß die A l t c h r i s t e n nach reiflicher Ü b e r ­ l e g u n g unter den vorhandenen B a u t y p e n - eine

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2og A . R I E G L Z u r E n t s t e h u n g der a l t c h r i s t l i c h e n B a s i l i k a 2 1 0

W a h l getroffen hätten, die dann auf die Markt­

basilika gefallen wäre, ist es g e w i ß nicht der F a l l gewesen. D a s verbietet sich schon aus der Übereinstimmung, die in dieser Hinsicht im ganzen römischen W e l t r e i c h geherrscht hat, soweit über­

haupt christliche G e m e i n d e n Gotteshäuser gebaut haben. Daß da und dort S c h w a n k u n g e n v o r g e ­ k o m m e n sind, ist so selbstverständlich, daß m a n eher das G e g e n t e i l nicht begreifen würde; aber im allgemeinen ist binnen kurzer Zeit die K o m ­ bination der A p s i s mit zwei Säulenhallen und einem H o f e dazwischen überall durchgedrungen, was gewiß nicht möglich gewesen wäre, wenn man sich zuerst an irgend einem Orte (und wäre es selbst in R o m ) für die Vorbildlichkeit der Marktbasiliken entschieden hätte und das übrige R e i c h erst diesem Beispiele gefolgt wäre. D i e betonte U b e r e i n s t i m m u n g läßt sich vielmehr einzig auf die W e i s e erklären, daß eben überall w o im R ö m e r r e i c h e gebaut wurde, jene A u f f a s s u n g v o n den Architekturformen gegolten hat, w i e sie vorhin auseinandergesetzt wurde, und es daher auch zwin­

gendermaßen im ganzen R e i c h e zur A d a p t i o n der gleichen K u l t h a u s f o r m k o m m e n mußte, ohne daß es eines Anstoßes v o n einer maßgebenden Seite dazu bedurft hätte. Letztere V e r m u t u n g würde auch mit der Zurückhaltung, die sich die K i r c h e , nach allem was wir wissen, in B e z u g auf D i n g e der bilden­

den K u n s t in den ersten Jahrhunderten auferlegt hat, übel stimmen. A b e r anderseits ist auch die Verwandtschaft der christlichen u n d der Markt­

basilika v o n den Altchristen gewiß nicht übersehen worden, denn nur so kann man es erklären, - daß der N a m e B a s i l i k a dafür so gebräuchlich geworden ist. Diese Verwandtschaft gründete sich nicht allein auf die Säulenhallen, die einen mittleren H o f um­

gaben bezw. flankierten, sondern auch auf die Apsis. D e n n auch die Marktbasilika mußte über einen monumentalen Teilraum verfügen, der w o h l mit dem Ganzen zusammenhing, aber durch seine ausgezeichnete F o r m sich aus dem übrigen heraus­

h o b : die T r i b u n a des Richters, die in der Grund­

form vollständig mit der A p s i s übereinstimmte, aber allerdings entsprechend ihrer geringeren Be­

deutung weit geringere Maße hatte und keines­

w e g s den Zielpunkt der A n d a c h t aller V e r s a m m e l ­ ten bildete, sondern lediglich den gelegentlichen Interessen W e n i g e r zu dienen hatte, weshalb die

Jahrbuch der k. k. Zentral-Kommisston I 1903

Säulenhallen davor keine Unterbrechung zu er­

leiden brauchten.1)

III.

W a s an der im vorstehenden entwickelten A n s c h a u u n g v o n der E n t s t e h u n g der altchristlichen Basilika und insbesondere ihres Langhauses V i e l e n auf den ersten Blick befremdlich erscheinen dürfte, ist die A b s e t z u n g des Mittelschiffs v o m R a n g e eines Hauptschiffs. D e n n das eigentlich V o r h a n d e n e sind gemäß dieser A n s c h a u u n g die beiden Seiten­

schiffe; das Mittelschiff ist bloß gleichsam R e l i e f ­ grund, architektonisch gefaßt ein Nichts, ein form­

loser, leerer R a u m , und nur provisorisch überdeckt.

W i r sind heute auf G r u n d unserer eigenen Kultus­

gewohnheiten derart gewöhnt, das Mittelschiff als den eigentlichen K i r c h e n r a u m , die Seitenschiffe hingegen bloß als Z u g ä n g e zu den Seitenkapellen zu fassen, daß uns für das umgekehrte Verhältnis

') Nach dem Gesagten wird man es ohne weiters ver­

ständlich finden, daß die Frage nach dem engeren Bezirke, in welchem die altchristliche Basilika zuerst bestimmte Gestalt gewonnen haben könnte, im obigen gar nicht auf­

geworfen wurde. Säulenhallen und Apsiden in einer end­

gültig wohl von den Griechen geschaffenen Form begegnen im ganzen römischen Weltreiche; und wenn von einer römischen Weltkunst gesprochen werden kann, so betrifft sie diese Grundelemente der römischen Architektur. A b e r die Frage: Orient oder R o m , die heute so temperament­

voll erörtert wird, erscheint v o m Standpunkte jener For­

schung, der mit vorstehenden Ausführungen gehuldigt sein soll, dermalen überhaupt ganz gleichgültig. W a s fördert es unsere Erkenntnis, wenn wir uns entschließen — wie dies in der anmaßendsten W e i s e von uns gefordert wird — die all­

gemeine Bezeichnung „Spätrömisch" durch „Orientalisch"

zu ersetzen, wo doch niemand behaupten kann, die Kunst des I V — V I I I . nachchristlichen Jahrhunderts wäre mit der altägyptischen, altmesopotamischen oder altpersischen ein­

fach identisch gewesen? W a s hilft uns selbst zu wissen, ob ein Motiv früher im Osten oder im Westen des Weltreichs gehraucht wurde, wenn wir es nicht aus seiner künstleri­

schen Bedeutung und aus der Entstehung dieser Bedeutung heraus verstehen? Und von einem solchen Verständnis sind wir in der frühmittelalterlichen Kunst im allgemeinen noch sehr weit entfernt. Es anzubahnen ist seit Jahrzehnten das allerdings nicht bequeme Streben des Verfassers dieser Untersuchung und er wird sich in der Beharrlichkeit und Zuversicht, mit der er das ihm vorschwebende Ziel einer wirklichen, historischen Erkenntnis der spätantiken Kunst verfolgt, weder durch die fortgesetzten leidenschaftlichen Angriffe einzelner, noch durch die Teilnahmslosigkeit der übrigen Forscher beirren lassen.

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(9)

A . RTEGT. Zur Entstehung der altchristlichen B a s i l i k a 2 1 2

zunächst alles Verständnis fehlt. W i r versammeln uns während des Meßopfers im Mittelschiff, w i r wollen den Blick auf den Hauptaltar und den zele­

brierenden Priester stets frei haben u n d selbst während wir im Gebetbuche lesen, leben wir in dem beruhigenden Bewußtsein, in jedem A u g e n ­ blicke die P h a s e der Opferhandlung- durch einen V o r b l i c k feststellen zu k ö n n e n . U n d da sollten die Altchristen sich hauptsächlich in den Seitenschiffen g e d r ä n g t haben, so daß fast nur diejenigen, die unter den A r k a d e n standen, die D a r b r i n g u n g des Meßopfers mit ihren A u g e n zu schauen vermochten!

W a s nun zunächst die den K u l t u s betreffende Seite dieses E i n w a n d e s betrifft, so wird durch den Umstand, daß die orientalische Christenheit bis zum heutigen T a g e v o m A l t a r und Priester durch die Ikonostasiswand getrennt ist, zur E v i d e n z be­

wiesen, daß der ungehinderte B l i c k auf A l t a r und Priester kein unbedingtes Erfordernis des christ­

lichen K u l t u s gebildet hat; und d e m Mysterien­

charakter, der die Erlösung mehr auf die innere A n d a c h t , als auf äußere, sinnliche W a h r n e h m u n g e n basiert, scheint diese Erkenntnis sehr w o h l zu ent­

sprechen. *) Ferner bezeugen die E m p o r e n , die ja auch nichts anderes sind als Seitenschiffe, daß gerade diese nach moderner V o r s t e l l u n g untergeordneten R ä u m e zum Aufenthalte der G l ä u b i g e n bestimmt gewesen sind. Daß die E m p o r e n namentlich für A u f n a h m e der A n g e h ö r i g e n des einen Geschlechtes zu dienen hatten, macht mindestens sehr w a h r ­ scheinlich, daß auch mit den beiden Seitenhallen des Erdgeschosses ursprünglich und l a n g e Zeit die T r e n n u n g der zwei Geschlechter v e r b u n d e n ge­

wesen ist.

U n s interessiert aber hier hauptsächlich die künstlerische Seite der Frage. W i r genießen heute bewußt oder unbewußt, aber mit vollen Zügen die R a u m w i r k u n g des Mittelschiffs als eines g e ­ schlossenen R a u m g a n z e n und seine perspektivi­

sche W i r k u n g , indem es unseren B l i c k nach dem Hauptaltar als Zielpunkt hinleitet. E s scheint uns

' ) D a r u m i s t a u c h d i e v o n F E L I X W I T T I N G ( D i e A n ­ f ä n g e c h r i s t l i c h e r A r c h i t e k t u r ) v e r s u c h t e E r k l ä r u n g f ü r d i e E n t s t e h u n g d e r B a s i l i k a , t r o t z m a n c h e r g u t e r G r u n d g e d a n k e n u n d v e r d i e n s t v o l l e r B e o b a c h t u n g e n e i n e v e r f e h l t e , w e i l s i e a u f d e r V o r a u s s e t z u n g e i n e s d u r c h m o d e r n e E i n d r ü c k e s u g g e r i e r t e n u n d a u s d e r G e s c h i c h t e n i c h t n a c h z u w e i s e n ­ d e n „ v i s u e l l e n E i n d r u c k s " b e r u h t .

ganz selbstverständlich, daß auch die Altchristen bereits die g-leiche W i r k u n g gesucht und genossen hätten. Einer historischen P r ü f u n g v e r m a g aber diese vorgefaßte M e i n u n g in keiner W e i s e stand zu halten.

Heute noch entsinne ich mich lebhaft der Stunden, die ich in meinen Lehrjahren am E i n ­ g a n g e v o n S. P a o l o fuori und v o n Sa. Maria M a g g i o r e zugebracht habe, um die künstlerische W i r k u n g ihrer Mittelschiffe voll zu erfahren und daraus auf die künstlerische Absicht ihrer einstigen Urheber Rückschlüsse zu ziehen. Natürlich suchte auch ich nach einer räumlichen und einer per­

spektivischen W i r k u n g . In S. P a o l o fuori (das wenngleich bloß K o p i e , für die Raumverhältnisse als gültiges Zeugnis angesehen werden darf) schien wenigstens ein M o m e n t der perspektivischen W i r k u n g vorhanden: die R u n d b o g e n a r k a d e n , die, wie in den H a n d b ü c h e r n zu lesen war, den B l i c k des Beschauers nach dem A l t a r e hin zu leiten hatten.

A b e r w a r u m denn dann die vaste Mauer über den schmalen, zierlichen A r k a d e n , und vollends die ungeheuere, u n b e w e g l i c h e D e c k e ? D i e s e B e d e n k e n suchte ich v e r g e b e n s mit G e d a n k e n an „Barbarei"

und bewußten „ K u n s t h a ß-' der Christen zu ver­

scheuchen: denn ich e m p f a n d innerlich sehr unbequem das Lächerliche und U n w a h r e solcher Ausflüchte, sobald ich nur den Fuß in andere I n n e n r ä u m e der späteren Kaiserzeit wie Sa. Maria degli A n g e l i oder in die Maxentiusbasilika setzte.

I n Sa. Maria M a g g i o r e h i n g e g e n versagten sogar die A r k a d e n . U n d seltsam: stellte ich mich etwa in die Mitte des Mittelschiffs, dann schwand all­

mählich das F r e m d e und Drückende, die Säulen gelangten zu ihrer W i r k u n g , die festen durch­

brochenen O b e r w ä n d e erschienen weniger lastend und mit ihrem W e c h s e l v o n W a n d und D u r c h ­ b r e c h u n g sogar in gewisser H a r m o n i e mit Säulen und I n t e r k o l u m n i e n darunter, ja selbst die D e c k e verlor ihre Starrheit- und Schwere, vielleicht, weil sie sich von diesem Standpunkte überhaupt wenig'er dem A u g e aufdrängte. S c h o n diese B e o b a c h t u n g hätte mich darauf f ü h r e n können, das künstlerisch W i r k s a m e nicht in einem geschlossenen R ä u m e von perspektivischer W i r k u n g , sondern in den ebenen Fronten der Seitenschiffe zu suchen. A b e r das V o r u r t e i l zu Gunsten des Mittelschiffs als ver­

mutlichen T r ä g e r s der künstlerischen Grundabsicht

f

(10)

213 A . R.IEGI, Zur Entstehung der altchristlichen Basilika 2 I4

w a r so groß, daß ich meine damaligen Studien mit dem entmutigenden Bekenntnisse abschloß, die Lö s u n g des Problems vergeblich gesucht zu haben.1)

D i e A u f k l ä r u n g sollte freilich nicht lange ausbleiben. D a ß ein perspektivischer A n b l i c k des A l t a r s nicht grundsätzlich beabsichtigt gewesen sein konnte, ergab sich einmal aus dem schon er­

wähnten V o r k o m m e n der Ikonastasis und sodann aus der W a h r n e h m u n g , daß allein schon die S c h r a n k e n mit A m b o n e n , Osterkerzen u. s. w. den B l i c k aus dem Mittelschiffe nach dem A l t a r e störend behindern mußten. Besondere A u f k l ä r u n g in dieser R i c h t u n g würde der Bauriß v o n St. Gallen gewähren, der das ganze Mittelschiff mit A l t ä r e n angefüllt zeigt, w e n n es a n g i e n g e von den Verhältnissen einer K l o s t e r k i r c h e s c h l a n k w e g auf jene einer G e ­ meindekirche zu schließen. A b e r auch die Betrach­

t u n g der kunstgeschichtlichen E n t w i c k l u n g im ganzen Mittelalter mußte mich bald zur Über­

zeugung bringen, daß perspektivische W i r k u n g e n in der altchristlichen Basilika unmöglich angestrebt ge­

wesen sein konnten, weil es damals noch an jedem Verständnis f ü r solche W i r k u n g e n gefehlt hätte.

W a s m a n dem altchristlichen Zeitalter imputieren möchte, ist erst im X V . J h . in voller Entfaltung nachzuweisen: in den K i r c h e n des Brunellesco, den R e l i e f s des Donatello, den Bildern des J a n van E y c k . W i e man einen geschlossenen länglichen Innenraum mit perspektivischen Absichten zu behandeln hatte, k o n n t e m a n aus dem barocken K i r c h e n b a u seit G i a c o m o della Porta erlernen — demselben B a r o c k ­ stil, der aus den altchristlichen Basiliken die den perspektivischen B l i c k h e m m e n d e n Einbauten ent­

fernt und die meisten Fenster ihrer Überwände vermauert, dafür einzelne größere für bestimmte malerische Effekte durchgebrochen hat. D a s Mittel­

schiff der altchristlichen Basilika konnte somit weder auf einen geschlossenen R a u m e i n d r u c k , noch auf eine perspektivische A n s i c h t des A l t a r s be­

rechnet gewesen sein. W a s hatte es aber dann in W i r k l i c h k e i t zu bedeuten?

A l s ich vor f ü n f Jahren den diese F r a g e be-

') Die persönliche Art der Schilderung mag man damit entschuldigen, daß dadurch die Schwierigkeiten sich heute in die Anschauung der spätantiken Welt zu versetzen, am anschaulichsten und überzeugendsten dargetan werden konnten.

treffenden A b s a t z in der „Spätrömischen K u n s t ­ industrie" x) niederschrieb, konnte ich bereits die Uberzeugung ausdrücken, daß das Mittelschiff gleich dem Mittelraume der forensischen Basilika ur­

sprünglich bloß die B e d e u t u n g eines offenen Hofes, der freiräumlichen Folie f ü r herumziehende Säulen­

hallen gehabt haben müsse. S o groß war aber die Befangenheit in dem bisherigen auf der modernen Ü b u n g und A n s c h a u u n g beruhenden Vorurteile, daß ich selbst damals noch nicht wagte, die letzte F o l g e r u n g zu ziehen und das Mittelschiff aus der Zahl der künstlerischen F a k t o r e n überhaupt zu streichen, sondern im offenbaren W i d e r s p r u c h e mit der soeben ausgesprochenen Erkenntnis, mir noch immer die F r a g e vorlegte, welche anderen künst­

lerischen Absichten an Stelle von R a u m w i r k u n g und Perspektive zur Gestaltung des Mittelschiffes geführt haben mochten. E s schien sich da die Beobachtung verwerten zu lassen, daß die R ö m e r der Kaiserzeit auch die R ä u m e v o n zweifelloser Ge­

schlossenheit, d. h. die Zentralräume nicht von prallen W ä n d e n , sondern von einer bestimmten freien R a u m s p h ä r e , analog den Randschatten der spätantiken R e l i e f s begrenzt sein ließen, wie die Ent­

wicklungsreihe P a n t h e o n — M i n e r v a M e d i c a — S a . C o - stanza, deutlich erkennen läßt. A u s ähnlicher A b ­ sicht dachte ich mir nun die Ö f f n u n g der Mittel­

schiffswände durchlnterkolumnien hervorgegangen, durch welche hindurch der dahinter zirkulierende freie R a u m wahrnehmbar wurde. D a ß damit weder die abweichende B e h a n d l u n g der Schmalseiten noch der D e c k e eine E r k l ä r u n g findet, ließ mir die H y p o t h e s e schon damals unzulänglich erschei­

nen. Seither habe ich sie vollständig' preisgegeben, unter anderm auch aus d e m Grunde, weil sie die V e r d o p p e l u n g der Seitenschiffe, die gerade an den größten und monumentalsten Basiliken begegnet, ganz unverständlich erscheinen läßt. Faßt man aber die Seitenschiffe als das konstitutive Element auf, dann erscheint ihre V e r m e h r u n g als das ein­

fachste und selbstverständliche Auskunftsmittel in Fällen, w o für besonders volkreiche Gemeinden größere V e r s a m m l u n g s r ä u m e geschaffen werden mußten; hätte das Mittelschiff diesen V e r s a m m ­ lungszwecken gedient, so hätte es ja genügt dieses

') D i e spätrömische Kunstindustrie nach den Funden in Österreich-Ungarn S. 30 f.

(11)

215 A . R i E G I . Zur Entstehung der altchristlichen B a s i l i k a 2 l 6

allein zu v e r lä n g e r n und zu verbreitern. U n d w a s v o n der V e r m e h r u n g der Seitenschiffe in der B r e i t e , gilt auch v o n ihrer V e r m e h r u n g in der H ö h e , das heißt v o n d e m E m p o r e n .

D i e E m a n z i p a t i o n des Mittelschiffs v o n der u n t e r g e o r d n e t e n F u n k t i o n der F o l i e o d e r des R e ­ l i e f g r u n d e s b e g i n n t m i t d e m M o m e n t e , w o die S c h o l a c a n t o r u m in d a s s e l b e v o n der A p s i s her v o r r ü c k t ; sie steigert sich m i t j e n e r A n f ü l l u n g durch A l t ä r e , w i e sie a m B a u r i ß v o n St. G a l l e n b e g e g n e t u n d in der D o p p e l c h ö r i g k e i t w o h l ihre H ö h e erreicht. A b e r im v o l l e n S i n n e als geschlosse­

ner I n n e n r a u m w u r d e das Mittelschiff erst v o n d e m A u g e n b l i c k e an e m p f u n d e n als es ü b e r w ö l b t w u r d e : die W ö l b u n g ist j a nichts a n d e r e s als der m o n u ­ mentale A u s d r u c k für j e n e W a n d l u n g in der A u f ­ fassung des christlichen K u l t h a u s e s . D e r G e m e i n d e ­ r a u m g e w i n n t n u n m o n u m e n t a l e B e d e u t u n g g l e i c h d e m v o n A n b e g i n n g e w ö l b t e n A l t a r r a u m . D a s Mittel ist g a n z v e r w a n d t d e m j e n i g e n , das die R ö m e r zu ä h n l i c h e n Z w e c k e n a n g e w e n d e t h a b e n : die Zer­

l e g u n g des L a n g r a u m e s in q u a d r a t i s c h e R ä u m e m i t K r e u z g e w ö l b e n , die z w i s c h e n Z e n t r a l r a u m und R i c h t u n g s r a u m die M i t t e einhalten. A u s ­ g e s p r o c h e n e R i c h t u n g k e n n t das Mittelalter bloß nach der H ö h e , nicht nach der L ä n g e .1) D i e G o t i k steigert stetig d i e B e d e u t u n g des Mittelschiffes und verrät s c h o n u n v e r k e n n b a r die N e i g u n g , d i e Seitenschiffe zu K a p e l l e n r e i h e n zu d e g r a d i e r e n . I n aller F o r m ist d a n n diese F o l g e r u n g v o n der B a r o c k k u n s t g e z o g e n w o r d e n : die r ö m i s c h e B a r o c k ­ k i r c h e k e n n t nur m e h r einen e i n z i g e n geschlosse­

nen u n d g e w ö l b t e n S a a l m i t A l t a r r a u m als per­

s p e k t i v i s c h e m A b s c h l u ß ; die Seitenschiffe sind v e r ­ s c h w u n d e n u n d a n ihre Stelle K a p e l l e n getreten, ähnlich w i e schon in den r ö m i s c h e n T h e r m e n s ä l e n . E s ist nicht zufällig, daß M i c h e l a n g e l o e i n e n solchen

l) Damit sei die mißverständliche Ä u ß e r u n g in der Spätrömischen Kunstindustrie S. 29 berichtigt, wonach be­

reits die romanische Kunst b e w u ß t auf perspektivische Wirkungen ausgegangen wäre.

S a a l zur K i r c h e S a . M a r i a degli A n g e l i e i n g e ­ richtet h a t ; a b e r die K r e u z g e w ö l b e h a b e n seine S c h ü l e r in den v o n i h n e n g e b a u t e n K i r c h e n d u r c h das in einseitiger R i c h t u n g v e r l a u f e n d e T o n n e n ­ g e w ö l b e ersetzt.

D i e a l l m ä h l i c h e E m a n z i p a t i o n des G e m e i n d e ­ r a u m e s , w i e sie sich g e m ä ß d e m v o r s t e h e n d e n i m A b e n d l a n d e v o l l z o g , hat der christliche O s t e n bereits viel früher d u r c h g e f ü h r t . Z w a r w a r a u c h hier u r s p r ü n g l i c h die dualistische B a s i l i k a der ordinäre K u l t u s h a u s t y p u s ; das b e w e i s e n v o r allem die s y r i s c h e n D e n k m a l e , die de V o g u e zuerst be­

k a n n t g e m a c h t hat. A b e r die cäsaropapistische T e n d e n z , die d a s orientalische Christentum alsbald ergriffen hat, ließ die S c h e i d u n g z w i s c h e n geistlich u n d w e l t l i c h sich nicht in so s t r e n g e n F o r m e n ausbilden w i e i m A b e n d l a n d e .2) D e r G e m e i n d e ­ raum floß d a h e r i m O r i e n t b a l d mit d e m P r e s b y t e r i u m z u s a m m e n , i n d e m beide in e i n e m g e m e i n s a m e n Z e n t r a l b a u P l a t z fanden. J e g-eringer aber die S c h r a n k e z w i s c h e n P r i e s t e r und G e m e i n d e , desto größer ist sie für d e n O r i e n t a l e n z w i s c h e n M e n s c h u n d G o t t ; im O r i e n t war es daher, w o der A l t a r als die Stätte in der sich die Gottheit offenbarte, v o r d e n A u g e n der M e n g e durch die I k o n o s t a s i s v e r b o r g e n blieb. M a n hat längst a u f d i e i n n e r e V e r w a n d t s c h a f t z w i s c h e n b y z a n t i n i s c h e m K i r c h e n ­ zentralbau u n d C ä s a r o p a p i s m u s h i n g e w i e s e n ; i m v o r s t e h e n d e n ist der P u n k t a n g e d e u t e t , v o n d e m aus der bisher bloß unklar e m p f u n d e n e Z u s a m m e n ­ hang- d u r c h eine R e i h e g r e i f b a r e r Z w i s c h e n g l i e d e r d a r g e l e g t w e r d e n k a n n .

2) Eine Erscheinungsform der strengeren Scheidung zwischen monumentalem Mysterienraum und profanem G e ­ meinderaum bildet auch das Querhaus, das offenbar keinen andern Z w e c k hatte, als eine stärkere räumliche Scheidung zwischen Apsis und Langhaus herbeizuführen und dessen A n w e n d u n g charakteristischermaßen auf das Abendland beschränkt geblieben ist. — Z u m Beweise für die Richtig­

keit der in diesem Aufsatze gebotenen Ableitung des B a ­ silikenschemas glaube Ich endlich in gewisser Hinsicht auch die ältesten Moscheeanlagen (z. B. des A m r u und des Ibn-Tulun zu Kairo) anführen zu dürfen.

ALOIS RIEGL

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