• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Pathogenese und Klinik der Hyperurikämie" (12.08.1976)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Pathogenese und Klinik der Hyperurikämie" (12.08.1976)"

Copied!
5
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Pathogenese und Klinik der Hyperurikämie

I. Epidemiologie

Ingo Neu

Aus der Neurologischen Klinik und Poliklinik der Universität München, Klinikum Großhadern (Direktor: Professor Dr. A. Schrader)*)

Nach dem Diabetes mellitus erlangt die Hyperurikämie in hochzivili- sierten Ländern als zweithäufigste Stoffwechselerkrankung zuneh- mende Bedeutung. Während die Gicht schon von Hippokrates be- schrieben wurde, ist die Hyperurikämie als Wegbereiterin der Gicht zuerst nach labortechnischen Fortschritten in den Bereich ärztlich- therapeutischer Bemühungen gerückt. zumal die Hyperurikämie schon in ihrer symptomlosen Form einen Risikofaktor für Niere, Ge- fäßsystem, Herz, Hochdruck und Leber darstellt. Genetische, ge- schlechtsspezifische und psychosoziale Aspekte machen die Hyper- urikämie zu einem interessanten Forschungszweig. Bei 27 Prozent der ambulanten Patienten und 29 Prozent der internistischen statio- nären Patienten ist mit einer Hyperurikämie zu rechnen. Die Be- stimmung der Harnsäure sollte zur Basisuntersuchung gehören, zu- mal Wechselbeziehungen zu den verschiedensten — oft unklaren

— Krankheitsbildern bestehen, bei denen die Hyperurikämie einen direkten oder indirekten pathogenetischen Faktor darstellen kann.

Die Gicht trat schon frühzeitig in verschiedenen, räumlich und zeit- lich getrennten Kulturbereichen auf. Fast wie zu erwarten wurde sie erstmals von Hippokrates (460-377 v. Chr.) (15)**) beschrieben, der bereits zwischen chronischen Ent- zündungen, die von Anfang an mehrere Gelenke betreffen, und solchen mit Bevorzugung des Großzehengrundgelenkes zu unter- scheiden wußte. Prophylaktisch und therapeutisch empfahl er bei Monarthritis — offenbar mit Erfolg

— Mäßigung in der Lebensführung.

ÜBERSICHTSAUFSÄTZE:

Pathogenese und Klinik der Hyperurikämie Zytologische

Zervixuntersuchungen bei Frauen

bis zum dreißigsten Lebensjahr

Tollwut:

Prophylaxe besonders wichtig

— Ergänzende Mitteilung —

KONGRESS- NACHRICHTEN:

Latente Virusinfektionen — Psychosen und Sucht

NOTFALL IM

BEREITSCHAFTSDIENST:

Verätzungen des Auges

Weniger beweisend erscheint die Auffassung von Stukely (1734), der eine Gichtanamnese von König Asa bereits im 10. vorchristlichen Jahrhundert aus dem zweiten Buch

k) Die klinischen Untersuchungen wurden von 1972 bis 1975 an der II. Medizini- schen Abteilung des Städtischen Kran- kenhauses München-Harlaching durch- geführt. Damaliger Chefarzt Prof. Dr.

Adolf Schrader, Direktor der Neurologi- schen Universitätsklinik München. Zu- letzt kommissarischer Leiter: Oberarzt Dr. med. H. Begemann.

**) Die Klammerzahlen beziehen sich auf das in den Sonderdrucken mitveröffent- lichte Literaturverzeichnis.

(2)

HN —CO I I H OC C—N N

I II ,C0 HN—C—N'

Harnsäure

Abt

Allant.inasc

Harnsiel

Uresse

Ammoniak

H 2 N I 0 H CIC C —N N

I 1 ,C0 HN—C—N'

H H

Allantoin

,..,stettere te.kl Prtra.stect, C, as!rupuda Insekten trtur Dtpter,

H 2 N NH, I 0 I OC COH CO

I I I HN—C —N

H H

Allantoinsäure

Ftst.hc tetnrge Telectstet)

Fische (Im allgewesnen) Arnph■b■en Larnell■branch. (Sufvamer)

Crustacea Lunellibranchia (Meerwasser)

Geplayria (Bonelba)

Abbildung 1: Der Purinkörperab- bau bei ver- schiedenen Tier- gruppen (modi- fiziert nach Flor- kin und Dücha- deau) (Aus D. P.

Mertz:

Hippokrates [Stuttg.]

39 [1968] 5)

011 2 CO NI12

NH 3

Mensch und Anchroputden lindrepulten, Vogel Insekten (exkl. Dtptera)

' f

Aktuelle Medizin Hyperurikämie

der Chronik im Alten Testament herauslesen wollte. Dort heißt es nämlich: Und Asa ward krank an den Füßen im 39. Jahr seines König- reichs und seine Krankheit nahm sehr zu; und er suchte auch in sei- ner Krankheit den Herrn nicht, son- dern die Ärzte (29). Übrigens wurde die Gicht auch schon in den indi- schen Veden erwähnt und in der Inkazeit schon bildlich dargestellt.

Erst Sydenham (1624-1689) be- schrieb exakt die Symptomatik des akuten Gichtanfalles und die Diffe- rentialdiagnose zwischen akutem Rheumatismus und Gicht (30).

Entscheidende neue Kenntnisse über die Entstehung der Gicht waren die Darstellung der Harn- säure durch Scheele (1776) (26) und der Nachweis von erhöhter Harn- säure bei Gichtpatienten durch Garrod (1853) (8), von dem auch der bekannte Fadentest stammt.

Kaum 20 Jahre später isolierte Wollaston im Jahre 1797 Harnsäure aus Gichtknoten (33). Schließlich verdanken wir Emil Fischer (1907)

wichtige Erkenntnisse über die Pu- rinkörper und die Synthese der Harnsäure (7).

So alt wie die Geschichte der Gicht ist auch die des einzigen gichtspezifisch wirksamen Medika- mentes Colchicin. Die Anwendung von colchicinhaltigen Drogen da- tiert aus dem siebten vorchristli- chen Jahrhundert und ist dank der Papyroskunde sogar in Form einer Rezeptierung aus dem Jahr 1500 v.

Chr. dokumentiert (5). Durch seine drastisch abführende Nebenwir- kung war Colchicin seit Alexander dem Großen, der wahrscheinlich selbst Gichtkranker war, bis zu sei- ner Wiedereinführung durch den französischen Chirurgen Pare im

16. Jahrhundert obsolet.

Obgleich offenbar schon frühzeitig gute Kenntnisse über das Wesen der Gicht vorlagen, führte noch das preußische Regulativ von 1835 die Gicht unter den ansteckenden Krankheiten auf.

Purinkörpermetabolismus bei verschiedenen Tiergruppen Möglicherweise spielte die Harn- säure bei der Entwicklung und An- passung des Lebens von Wirbeltie- ren an neue Umweltbedingungen eine große Rolle. Entwicklungs- geschichtlich waren zunächst Am- moniak und Kohlendioxid End- produkte von Purinkörpern. Wie Abbildung 1 zeigt, gingen die hier- zu notwendigen Enzyme Urease, Allantoinase, Allantoicase und vor allem Uricase mit der Höherent- wicklung wechselseitig verloren.

Die oft auch heute noch vertrete- ne Auffassung, daß unter den Säu- getieren ausschließlich der Mensch und die anthropoiden Affen das En- zym Uricase entbehren, muß als überholt gelten, nachdem bei Affen der Neuen Welt Harnsäurekonzen- trationen im Serum und Urin gefun- den wurden, die mit denen des Menschen vergleichbar sind. Folg- lich sind bei allen Wirbeltierarten, bei denen Harnsäure Endprodukt des Purinstoffwechsels ist, hyper- urikämische Veränderungen mög- lich und auch bekannt, so zum Bei- spiel die Vogelgicht über die Grzi- mek 1957 berichtete (11).

Vergleichbare Verhältnisse gelten für Landreptilien und Primaten. So gesehen, sind die primäre Gicht und deren Wegbereiter, die Hyper- urikämie, als ein Ergebnis des Verlustes einer nicht näher defi- nierten Enzymgruppe anzusehen, wodurch der endogene Mangel an Uricase überlagert wird. Mit Wak- ker kann man die für den Men- schen daraus resultierenden Situa- tionen so formulieren: „Man: Sa- pient, but gouty" (32).

Psychosoziale Aspekte

Ausgehend von der letztlich unbe- wiesenen These von Orowan (25), wonach Harnsäure gleichermaßen wie andere Purinkörper (Coffein, Theobromin) die Fähigkeit zur Sti- mulierung der Großhirnrinde besit- zen soll, folgerte Haldane, daß die überlegenen geistigen Leistungen von Menschen und Primaten auf

2112 Heft 33 vom 12. August 1976

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(3)

die hohe Harnsäure dieser Spezies zu beziehen sind und daß gichtige Personen durchschnittlich intelli- genter seien als andere (12). Bei den zahlreichen epidemiologischen Studien fanden die Überlegungen von Orowan Zustimmung und Ab-

lehnung, je nach den untersuchten Populationen. Zwar wurde bei der Mehrzahl der Probanden eine feste Korrelation zwischen erreichtem Sozialstatus und Serumharnsäure- spiegel gefunden, jedoch konnte in einer neueren Erhebung an 51 Pro- fessoren der Universität Michigan diese These nicht mehr gehalten werden. Hohe Harnsäurespiegel scheinen aber dennoch ein Hin- weis für einen hohen Grad an Er- regbarkeit und Aktivität zu sein.

Ein Kuriosum war, daß sich das Verantwortungsgefühl umgekehrt proportional zur Harnsäurekonzen- tration einer anderen Versuchs- gruppe verhielt.

In einem Zeitraum von zweieinhalb Jahren haben wir bei 206 stationä- ren Patienten im Alter von 19-84 Jahren eines unausgewählten Krankengutes eine Hyperurikämie diagnostiziert. In dieser Zahl sind 32 konservativ behandelte nierenin- suffiziente Patienten enthalten. Da- bei war kein statistisch signifikan- ter Unterschied des Sozialstatus gegenüber dem übrigen Kranken- kollektiv zu eruieren. Hier sind je- doch zwei wesentliche Einschrän- kungen in der Wertigkeit derartiger Aussagen zu machen. Einmal un- terscheidet sich ein hospitalisiertes Krankengut wesentlich von der All- gemeinpopulation, und zum ande- ren sind sich die Soziologen nicht über den Begriff des Sozialstatus und der Sozialklasse einig. Hält man es mit Max Weber, so ist eine Klasse eine Gruppe von Menschen mit vergleichbaren Lebenschan- cen, wobei die Chance im Leben eine ökonomische Grundlage ha- ben kann (22).

Epidemiologie

Wie bereits erwähnt, war die Gicht schon bei den alten Völkern be- kannt. Während sie bevorzugt bei den wohlhabenden Persern, Grie-

chen und Römern, also Völkern mit hohem Fleischkonsum auftrat, war sie bei den überwiegend vegeta- risch lebenden Ägyptern und Hin- dus fast bedeutungslos. Paradoxer- weise wurde der älteste, heute be- kannte Nierenstein, der zudem harnsäurehaltig war, in einer etwa 7000 Jahre alten ägyptischen Mu- mie gefunden.

Im Jahr 1903 berichtete Minkowski über eine Gichtmorbidität von 0,33 Prozent der gesamten Reichsbe- völkerung, während nach den bei- den Weltkriegen ein Abfall auf 0,1 bis 0,2 Prozent beschrieben wurde.

Heute nimmt man an, daß 2 bis 3 Prozent der Personen, die das 60.

Lebensjahr erreichen, an Gicht er- kranken (13). So erlitten zum Bei- spie] in Framingham 2,8 Prozent al- ler Männer vor dem 65. Lebensjahr einen Gichtanfall, während bei den Frauen nur eine Häufigkeit von 0,4 Prozent angegeben wurde. Zöllner konnte diese Angaben nach eige- nen Beobachtungen bestätigen (34, 36). Babucke und Mertz fanden bei einer großen retrospektiven Studie ambulanter, poliklinischer Patienten, daß die maximale Häu- figkeit einer primären Hyperurik- ämie (Harnsäurekonzentration über 6,5 mg/100 ml, bei Männern und bei Frauen in der Menopause) bei 27 Prozent aller Fälle liegt. Das Verhältnis von Männern zu den Frauen beträgt 3 zu 1. Bemerkens- wert ist dabei, daß bei jedem 6.

Mann und bei jeder 21. Frau mit ei- ner primären Hyperurikämie eine manifeste Gelenkgicht bestand. Die Altersverteilung wies einen Gipfel

zwischen dem 31. und 40. Lebens- jahr auf. Abweichend von anderen Mitteilungen fanden die gleichen Autoren dabei die sekundäre Hy- perurikämie mit 5,1 Prozent (ge- genüber 3 Prozent) anteilig vertre- ten (20).

Wir fanden bei dem oben bereits angeführten stationären Kranken- gut im Vergleich zum gesamten Krankenkollektiv die Hyperurik- ämie mit 29 Prozent vertreten. Von dieser Zahl müssen 7 Prozent der sekundären Hyperurikämie, vorwie- gend der Niereninsuffizienz unter- schiedlicher Genese, Hämoblasto- sen und anderen Erkrankungen zu- gerechnet werden. Das Verhältnis von Männern zu Frauen war auch bei uns etwa 3 zu 1, wohingegen die Altersverteilung unserer statio- nären Patienten einen Gipfel zwi- schen dem 50. und 60. Lebensjahr aufwies. Auffällig war auch bei un- seren Probanden die hohe Rate an Gelenkgicht und Uratnephropathie sowie die relativ hohe Zahl jugend- licher Patienten mit Hyperurikämie im Alter zwischen 19 bis 30 Jahren.

Anamnestisch und klinisch ließen sich bei jedem 5. Mann und bei je- der 19. Frau eine manifeste Ge- lenkgicht und in einem noch weit höheren Prozentsatz andere Stoff- wechsel- und Begleiterkrankungen eruieren (2).

Bei den stationären Probanden mit sekundärer Hyperurikämie, bezie- hungsweise Niereninsuffizienz war das Verhältnis der Männer zu den postklimakterischen Frauen 1 zu 1.

Die Angaben über eine familiäre Gichtbelastung waren unsicher und statistisch nicht zu verwerten.

Interessanterweise wurde kein Pa- tient wegen eines akuten Gichtan- falles eingewiesen. Während der harnsäuresenkenden Therapie tra- ten jedoch bei zwei Patienten Gichtanfälle auf, obwohl der Harn- säurespiegel bereits normalisiert war. In Übereinstimmung mit den Angaben anderer Mitteilungen ist somit bei hospitalisierten Patienten die Hyperurikämie häufiger zu dia- gnostizieren als bei ambulanten Patienten oder gar im Vergleich zur Allgemeinpopulation. 1>

(4)

Aktuelle Medizin Hyperurikämie

Die Bewertung derartiger Statisti- ken ist nicht problemlos, bedenkt man, daß es sich bei der Frage nach normaler und pathologischer Serumharnsäure um mehr oder we- niger willkürliche Grenzen handelt.

Es ist nicht einfach, einen so hohen Anteil der Bevölkerung oder eines stationären Krankengutes mit dem Begriff einer so wichtigen Stoff- wechselstörung wie der Hyper- urikämie zu belasten. Folgt man dem Vorschlag von Brochner-Mor- tensen und setzt als obere Norm- grenze für die Harnsäurekonzen- tration einen Wert von 7 mg/100 ml bei Männern und von 6 mg/100 ml bei Frauen an, findet sich bei der Tecumseh-Studie nur noch bei 7,4 Prozent der Männer und bei 7,2 Prozent der Frauen eine Hyperurik- ämie. Vergleichbare Werte er- brachte die Framingham-Studie (13). Das Risiko, mit dem sich Gicht innerhalb von zehn Jahren bei diesen Personen entwickelt, beträgt etwa 1 zu 5. Hyperurikämie kommt demnach viel häufiger als Gicht und beide kommen mehr bei Männern als bei Frauen vor (23).

Allgemein schätzt man im Mittel das Vorkommen der Gicht auf 0,3

Prozent, von manchen Autoren wer- den aber auch wesentlich höhere Zahlen angegeben. Obwohl die Hy- perurikämie im gewissen Sinn zur Gicht prädestiniert, ist es nicht möglich zu sagen, ob sie sich auch tatsächlich in jedem Fall entwickelt.

Aus der über 14 Jahre laufenden Framingham-Studie ergeben sich folgende statistische Mittelwerte:

Eine akute Gicht entwickelt sich bei einem Fünftel der Personen mit Harnsäurespiegel über 7 mg/100 ml, in etwa einem Drittel bei Wer- ten über 8,0 mg/100 ml und fast ob- ligatorisch bei Individuen mit einer Harnsäure über 9 mg/100 ml (Ab- bildung 2).

Zusammenfassend ist festzustellen, daß die Hyperurikämie in der Nachkriegszeit bei uns und in an- deren Industrienationen mit stei- gendem Luxuskonsum und körper- licher Inaktivität nach dem Diabe- tes mellitus zur zweithäufigsten Stoffwechselerkrankung geworden ist. Die Urikopathie kann nicht mehr als „the forgotten disease" angese- hen werden, wie sie 1936 noch von Herrick und Tyson bezeichnet wor- den ist.

Genetische Faktoren und geschlechtsspezifische Unterschiede

Es kann als gesichert gelten, daß bei entsprechender genetischer Penetranz die familiäre Häufung der Hyperurikämie manifest wird. Da bei allen derartigen Konstitutions- krankheiten die auslösenden Um- weltfaktoren erst einen bestimmten Schwellenwert überschreiten müs-

sen, bevor die Anlage wirksam wird, sind Umwelteinfluß und genetische Faktoren schwer voneinander zu trennen. Es bleibt zu überlegen, ob die Widerstandsfähigkeit einer Be- völkerung, die erst kurze Zeit gichtfördernden Einflüssen ausge- setzt ist, nicht geringer ist als bei einer Population, welche unter ei- nerh jahrhundertelangen Selek- tionsdruck resistenzfördernde An- lagen erworben hat. Untersuchun- gen bei Bewohnern polynesischer Inselgruppen zufolge haben diese höhere Harnsäurewerte als ver- gleichsweise westliche Bevölke- rungsgruppen. Dies könnte als eine Art „Anpassungsreaktion" und die dort häufiger auftretende Gicht als

„Anpassungsleiden" angesehen werden. Entsprechend fand Reed eine enge Korrelation zwischen Harnsäurekonzentration und täg- lich aufgenommener Kalorienmen- ge.

Es ist deshalb nicht verwunderlich, daß das Erkrankungsalter für die wichtigsten Stoffwechselerkran- kungen mit zunehmender Exposi- tion sinkt. Dies ist zumindest für die Hyperurikämie, beziehungswei- se Gicht einwandfrei erwiesen. So gesehen, hat der Harnsäureboom erst begonnen. Waren es früher die älteren Herren in den Fünzigern, so erkranken, wie Framingham bestä- tigt, heute mehr und mehr junge Männer in den Dreißigern. Die Be- deutung von Geschlechtsfaktoren an der Entstehung einer Gicht wur- de bereits von Hippokrates unter- sucht und hat auch heute noch Gültigkeit. So postulierte er, daß der heranwachsende Mann nicht vor der Geschlechtsreife gicht- krank wird und daß Kastraten nicht an Gicht erkranken. Im Hinblick 100 % - Gichthäufigkeit

80%-

60% -

40 % -

20% -

Harnsäure 1. S. 6 + + 8+ 9+ mg/100 ml

Abbildung 2: Entwicklung der Arthritis urica in Abhängigkeit vom Serum- harnsäurespiegel bei Männern (Aus: D. P. Mertz: MMW 114 [1972] 180)

2114 Heft 33 vom 12.

August 1976

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

(5)

Latente

Virusinfektionen

Latente Virusinfektion ist ein in sei- nen Umrissen noch sehr unschar- fes, aber dennoch höchst aktuelles Gebiet moderner Virologie. Es han- delt sich (M. R. Koch, Robert-Koch- Institut des Bundesgesundheitsam- tes Berlin):

einmal um Viren, die im Orga- nismus nach Überstehen einer aku- ten Infektion persistieren;

• zum anderen um Viren mit sehr langen Inkubationszeiten;

• schließlich um Viren, die — wahrscheinlich auf Grund beson- derer Reagibilität des Wirtsgewe- bes — subakut oder sehr chro- nisch verlaufende Krankheiten ver- ursachen, die man unter dem Sam- melbegriff „Slow Virus Diseases"

zusammenfaßt.

Das sind in erster Linie Erkrankun- gen des Gehirns, wo die zerstörten Zellen nicht wieder ersetzt werden (in anderen Organen würden sol- che sehr langsamen oder in sub- akuten Schüben ablaufenden Pro- zesse wohl vor allem die Regene- rationsrate erhöhen, vielleicht auch die Proliferationsrate maligner de- formierter Zellinien). — Zu den Slow-Virus-Infektionen werden ge- rechnet (Koch): subakute sklero- sierende Panenzephalitis (SSPE), multiple Sklerose, amyotrophe La- teralsklerose (ALS) und auch prä- senile Demenzen (Morbus Alzhei- mer oder Morbus Creutzfeld-Ja- kob) sowie schließlich die in Neu- guinea beheimatete Gehirninfek- tion namens Kuru.

Darüber hinaus gehören Tumorvi- ren zu den latenten Infekten mit langer Inkubationszeit (und sonsti- gen Eigentümlichkeiten). Schließ- lich persistieren nach primär aku- ter Infektion eine ganze Reihe von Virusarten mehr oder weniger obli- gat, so unter anderem (Koch,: Ep- stein-Barr-Virus, Zytomegalievirus, Herpesviren, Adenoviren und Papo- vaviren BK und IC, die beim im-

mundefizienten Patienten wahr- scheinlich die multiple fokale

Leu-

koenzephalitis verursachen. — Die Pathogenese der latenten Virus- infektionen wird weniger von den Erregern als vielmehr von endoge- nen (immunbiologischen, genetisch disponierenden) Faktoren des be- troffenen Kranken bestimmt.

(Wissenschaftliches Symposium des Bun- desgesundheitsamtes über „Bewertung von

Risiken für die Gesundheit", Mai 1976, Ber- lin)

Psychosen und Sucht

Schwer schizophrene Patienten können sich an Suchtmittel gewöh- nen, aber sie werden nicht abhän- gig. Sie bekommen nach Absetzen höherer Morphindosen gar keine oder nur außerordentlich geringe Entzugssymptome (Prof. Dr. 0.

Schrappe, Universitäts-Nervenkli- nik Würzburg). Auch bei endogener Zyklothymie wird nach Morphinge- wöhnung kein Entzugssymptom be- obachtet. Apomorphin kann jedoch gelegentlich manische Zustandsbil- der auslösen. Auch nach schwerer Hirnverletzung werden keine Ab- stinenzerscheinungen registriert.

wenn Opiate gegeben werden mußten. Weshalb bei schweren Psychosen und Hirnverletzten die Fähigkeit schwindet, drogenabhän- gig beziehungsweise süchtig zu werden, ist nicht bekannt. „Die Psychotiker erleben die Effekte der Suchtmittel, aber sie machen da- von keinen Gebrauch" (Schrap- pe). — Man darf sich also nicht von Charaktermerkmalen schizoi- der oder depressiver Gestaltung täuschen lassen, die man beim langfristig Suchtkranken zu sehen bekommt; denn das sind Prägun- gen aus der Laufzeit der Sucht, nicht die vorgegebenen Ursachen.

Bei Schizophrenie ist ja bekannt- lich auch die Schmerzperzeption wesentlich vermindert (Prof. Dr. K.

Hartmann, Pädagogische Hoch- schule Rheinland, Abteilung Heil- pädagogik, Köln).

WP

(2. Wissenschaftliches Symposion der Deut- schen Hauptstelle gegen die Suchtgefah- ren, Mai 1976, Bad Kissingen)

auf den Gichtbefall des weiblichen Geschlechts machte er die Beob- achtung, daß Menstruation und Gicht oder Gicht und Schwanger- schaft zusammen nicht vorkom- men. Die Feststellung ist lediglich dahingehend einzuschränken, daß Frauen bis zum Eintritt der Meno- pause vor Gicht geschützt sind, so- fern nicht andere schwere Stoff- wechselstörungen oder Hämobla- stosen eine chronische Hyperurik- ämie hervorrufen.

Ursachen

der primären Hyperurikämie

Der Grund, weshalb auch der Harnsäurespiegel beim Luxuskon- sum unserer Zeit außer Kontrolle gerät, entspricht in jeder Hinsicht den Ursachen des Derangements anderer Stoffwechselparameter.

Fehl- und Überernährung werden genetisch verschieden toleriert. Ob aus den überschüssigen Kalorien Stoffwechselstörungen mit spezi- fisch pathogenen Potenzen entste- hen, hängt vom genetischen En- zymmuster ab. Die einen tolerieren die alimentäre Belastung bei man- gelnder körperlicher Aktivität mehr, die anderen weniger. Bei Verzicht auf übermäßigen Konsum genügt das Enzymmuster der mei- sten Menschen den Anforderungen.

Je mehr indes Luxuskonsum, Alko- hol, Bewegungsarmut und andere Störfaktoren überwiegen, desto mehr Individuen kommen stoff- wechselmäßig nicht mehr mit. Bei hoher Disposition genügt eine leichte durchschnittliche Über- schreitung der Toleranzgrenzen, bei geringer Disposition dauert es länger, bis der Stoffwechsel ent- gleist.

• Wird fortgesetzt

Anschrift des Verfassers:

Oberarzt Dr. med. Ingo Neu Facharzt für innere Krankheiten Neurologische Universitätsklinik Marchioninistraße 15

8000 München 70

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

In  plazebo-kontrollierten  und  offenen  Verlängerungsstudien  wurden  190  Patienten  im  Alter  von  1  Monat  bis  unter  4  Jahren  mit  Levetiracetam

Calciumfolinat kann die Effekte antiepileptischer Arzneimittel (Phenobarbital, Primidon, Phenytoin und Succinimid) vermindern und so zu einem Anstieg der Anfallshäufigkeit

Wenn Morphin über längere Zeit oder in hohen Dosen in der Schwangerschaft verabreicht wird, können sich eine Abhängigkeit und Entzugserscheinungen

oder Haut Aufgrund der verfügbaren Daten sind die Einstufungskriterien nicht erfüllt. Keimzell-Mutagenität Aufgrund der verfügbaren Daten sind die Einstufungskriterien

Wenn Sie möglicherweise mehr Epidyolex eingenommen haben, als Sie sollten, informieren Sie sofort einen Arzt oder Apotheker, oder wenden Sie sich an die

Männern, die mit Epirubicin behandelt werden, wird empfohlen, während der Behandlung und bis zu 6 Monate danach kein Kind zu zeugen und sich vor der Therapie über

In einer Phase-III-Studie wurden 1218 Pa- tienten mit nicht resezierbarem NSCLC im Stadium IIIB oder IV und einem Karnofsky- Index von 70 % oder größer, die vorher keine

oder Haut Aufgrund der verfügbaren Daten sind die Einstufungskriterien nicht erfüllt. Keimzell-Mutagenität Aufgrund der verfügbaren Daten sind die Einstufungskriterien