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Archiv "Was ist Wahrheit in der Medizin?" (14.09.1978)

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Die Information:

Bericht und Meinung

THEMEN DER ZEIT

Eine Preisverleihung wie diese war noch vor wenigen Jahren undenkbar

— jedenfalls bei einem Ärztekongreß.

Damals galt das Wort eines Tages- journalisten nicht viel in den Ohren jener Entrückten, die auf dem Thron medizinischer Majestät diese Wis- senschaft zu repräsentieren hatten.

Von ihrer Bastion aus gesehen, troll- ten wir Journalisten uns im vulgä- ren, unteren Niveau, irgendwo ange- siedelt zwischen Naserümpfer und Naseweis, zwischen Spitzweg und Spitzbube.

Inzwischen sind dreizehn Jahre ver- gangen, seit sich einige Freunde mit mir zu einem „Kollegium der Medi- zinjournalisten" zusammenschlos- sen — und zu einem Experiment. Wir wollten Gesundheit und Krankheit gemeinsam ins Wort nehmen: ins of- fene, treffende Wort. Wir wollten ge- gen ein Umfeld voller Mißtrauen und verschlossener Türen gemeinsam für eine Umwelt voller Begehren nach Wahrheit und Lebenshilfe eine gute und kritische Öffentlichkeit herstellen.

Unser Bemühen hatte Erfolg. Die medizinische Publizistik auch für sogenannte Laien fand ihren geach- teten Stellenwert. Mitunter fand sie sogar Respekt, teils bei heimlicher Bewunderung, teils mit öffentlichem Applaus wie bei dieser Preisverlei- hung. Ihr Anlaß erlaubt eine kurze, nachdenkliche Rast auf dem Weg zum gemeinsamen Ziel und auf ei- nem Rastplatz der Einmaligkeiten:

Beide Preisträger, beider Auszeich- nungen und die gleichzeitige Verlei- hung sind ebenso einmalig wie die Kulisse eines Weltkongresses, der nicht nur zum erstenmal in Deutsch- land, sondern als erster aller Ärzte- kongresse eine Thematik acht Tage lang diskutiert, die wir Medizinjour-

nalisten hartnäckig erst diskutabel und hoffähig gemacht haben: „Me- dizin und Massenmedien".

Medizin „in aller Öffentlichkeit"

Was man mit den Stichworten „Mas- senmedien" und „Medizin" empfin- det, wird unterschiedlich sein. Etwa so, wie bei geworfenen Würfeln: Der Arzt mag das Risiko beobachten, der Mathematiker sieht die Zahl, der Me- taphysiker den Zufall, aber der Jour- nalist fragt nach den Spielern. Im Blickfeld des Publizisten wandeln sich Abstrakta jeweils in mehr oder weniger große lebendige Fragezei- chen. Und „Massenmedien" nebst

„Medizin" entziffern ihm jene Nach- barn, die mit den Erscheinungen zu schaffen haben urid grundverschie- dene Eigeninteressen verbinden.

Bei den Massenmedien sind es pri- mär die Kollegen Journalisten und bei der Medizin ihre Ärzte.

Beide offenbaren mit ihrer sozialen Verpflichtung überraschend viel Ge- meinsames. Beide sind — gleicher- maßen neugierig — Diener am Mit- menschen. Beide verdingen sich als Helfer für jedermann mit Rat und Schutz, Klarheit und Wahrheit.

Andererseits profilieren sich beide im praktischen Tagesgeschäft kon- trovers: Der Journalist lebt vom Re- den und der Arzt vom Schweigen.

Der eine agiert im Vordergrund, der Schweigsame hält sich im Hinter- grund. Mehr noch als Ärzte schätzen Wissenschaftler ihre distinguierte Zurückgezogenheit. Auch deren In- teressen sind auf Marktplätze nicht ausgerichtet. Das heißt: Sie waren es über lange Zeit nicht.

In den letzten Jahren haben wieder- um wir Journalisten bei Ärzten und

Der Publizistik-Preis „Medizin im Wort" des Kollegiums der Medizinjournalisten und der Jugendbuch-Preis „Die Sil- berne Feder" des Deutschen Ärztinnenbundes wurden in diesem Jahr gemeinsam Ende August beim Berliner Kongreß des Weltärztinnenbundes ver- liehen, der sich dem Thema

„Massenmedien und Medizin"

widmete. Die begehrten Aus- zeichnungen erhielten die Journalisten Professor Dr.

med. Hoimar von Ditfurth und Dr. Barbara Bronnen*). In ei- ner Laudatio machte sich Dr.

med. Georg Schreiber, der er- ste „Medizin-im-Wort"-Preis- träger, einige „Gedanken zu einer Preisverleihung", die sich mit dem besonderen Ver- hältnis Medizin und Presse befassen; sie sind nachste- hend im Auszug wiedergege- ben.

Wissenschaftlern einen Lernprozeß und eine Wandlung eingeleitet — al- len voran jene leider noch zu weni- gen Kollegen, die beiden Berufen dienen. Inzwischen beginnen Arzt und Wissenschaftler erstens - zu er- kennen, daß auch sie einen Teil un- serer Gesellschaft ausmachen. Und daß man zweitens in dieser Gesell- schaft, also in aller Öffentlichkeit, sogar über Medizin reden kann. Daß man eben auch unter freiem Himmel fast alles besprechen kann, was an Krankheit und Gesundheit, For- schung und Versuch (mit und ohne Erfolg) bislang im ärztlichen Sprechzimmer oder im Hochschul- Hinterstübchen privilegiert blieb.

Soviel zu einigen Pluspunkten im Spiel um Medizin und Öffentlichkeit.

Bei der Gesundheit

„im Wort stehen"

Naturgemäß hält die unaufhaltsame Öffnung der Wissenschaft in die mo-

*) Barbara Bronnen, „Wie mein Kind mich be- kommen hat", 79 Seiten, 3,80 DM, Rowohlt Taschenbuch Verlag

Was ist Wahrheit in der Medizin?

Gedanken zur Verleihung des Publizistik-Preises „Medizin im Wort"

Georg Schreiber

2034 Heft 37 vom 14. September 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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IHM 1 1 1111•11M

Dr. med. Georg Schreiber bei seinem auf diesen Seiten wiedergegebenen Referat „Gedanken zu einer Preisver- leihung" Foto: Hendrik Heuser

Die Information:

Bericht und Meinung

dernen Medien auch Minuspunkte und ungelöste Probleme bereit.

Drei, speziell für den Medizinjourna- listen relevante, will ich nennen: Er braucht Erfolg, aber es gibt für ihn keinen meßbaren Erfolg. Er braucht die Wahrheit, aber es gibt sie nicht.

Und er braucht Unabhängigkeit, die es ebensowenig gibt.

Dies bedarf einer kurzen Erläute- rung. Zum ersten Punkt: Wenn das

„Kollegium der Medizinjournali- sten" jetzt zum vierten Mal den hochdotierten Preis „Medizin im Wort" vergibt und der „Deutsche Ärztinnenbund" zum zweiten Mal ei- ne „Silberne Feder" für außerge- wöhnliche Leistungen, die Gesund- heit im Wort haben und der Gesund- heit dienen, klingt das aufs erste Ge- hör recht gut.

Trotzdem sagen noch so hohe Fern- seh-Einschaltquoten und Buchauf- lagen nichts Wesentliches aus über den Erfolg einer publizistischen Arbeit.

Das heißt: Wir wissen gar nicht, was es in unserem (Journalisten-)Beruf letztlich bedeutet, bei der Gesund- heit im Wort zu stehen.

Gesundheit kennzeichnet ja, auf die kürzeste Formel gebracht, eine Übereinstimmung des Leibes mit der Seele — und umgekehrt. Wenn wir aber mit Feder und Wort (und mit Leib und Seele) noch so eifrig be- müht sind, dann wissen wir nicht, was unser Wort beim Endverbrau- cher auslöst, ob wir zur rechten Zeit das rechte Wort gefunden haben und wie mühelos Gesunde und Kranke, Kinder oder sogenannte Er- wachsene das von uns für gut be- fundene Wort auf welcher Goldwaa- ge abwägen und in sich aufnehmen.

Einiges können wir ahnen, aber was wir exakt geben oder nehmen und ob sich der ausgebildete Kranke mit unserem Wortschatz besser oder schlechter fühlt, wissen wir nicht.

Daß wir so ahnungsvoll unwissend bleiben, verdanken wir einer leider nicht ausreichenden bis nicht exi- stierenden wissenschaftlichen For- schung.

Was ist Wahrheit in der Medizin?

Der zweite Punkt: Wort und Wahr- heit sollten verschwistert sein, je- denfalls für den gewissenhaften Journalisten. Was aber ist Wahrheit in der Medizin? Wie unwiderlegbar kann sie ihr Wort von gestern heute noch halten?

Wie oft wird die Würde der medizini- schen Wissenschaft von neuer Wahrheit unterspült! Und wie oft setzt das vermeintlich Endgültige Geschichte an als das Ende jeder Gültigkeit. Weiter: Wie schnell kann sich die Wahrheit zwischen zwei Lehrstühle setzen! Und wo ist sie abgegrenzt zur Eitelkeit? Erkennbar abgegrenzt zu Schulmeisterei 'und klinischem Hochmut, zu Vorwitz und Vorurteil?

Wieviel angehimmelte Glaubwürdig- keit entpuppt sich in der Medizin als Dunst, und wieviel angeblich wahre und wissenswerte Neuigkeit ist plötzlich nichts mehr wert, weil de- maskiert als aufgeputzter Ladenhü- ter! Andererseits: Wie oft beschließt eine törichte Unwahrheit, wenn sie nur lange genug im Gebrauch bleibt, ihre Karriere als letzte Weisheit .

Vor diesem Hintergrund müßte zu verstehen sein, wie schwer Journali- sten etwas vermögen, was schon im wahrsten Wortsinn ein Unvermögen andeutet: sein Wort zu geben und das Wort zu halten!

Was soll er nun machen, der verun- sicherte Publizist? Er kann flüchten, und zwar am besten nach vorn mit einem befreienden Wort. Das heißt:

In aller Offenheit die volle Wahrheit mitteilen, wie fragwürdig die wieder- um medizinisch sein kann. Er kann heute aufklären, muß aber morgen notfalls gegenaufklären und endlich die Unerledigte Medizin und die Wandelbarkeit dieser Wissenschaft, ihr Nochnichtwissen und ihre Gren- zen hart in die Öffentliche Meinung schreiben.

Der Medizinjournalist muß Patienten und potentiellen Patienten einen chronisch-gesunden Argwohn aner- ziehen und sie vom ungesunden Glauben an medizinische Wunder ablenken auf den Glauben an eigene Beihilfe und an den unbezahlbaren Komplizen in sich selbst zum Ge- sundwerden und Gesundbleiben.

Bislang war es die Ferne der Wis- senschaft, die dem Gläubigen so na- heging. In Zukunft sollte, mit dem offenen Wort des Berichters, ihre ungeschminkte Nähe den Nach- denklichen von Illusionen fernhal- ten.

Verpflichtet

zu Rücksicht und Besonnenheit Zum dritten springenden Punkt: Der Medizinjournalist braucht, wie jeder andere gute Publizist, seine Unab- hängigkeit. Aber er hat sie, so gro- tesk es klingen mag, just von der Öffentlichkeit her nicht. Er ist ihr verpflichtet auf Rücksicht und Be- sonnenheit. Er muß seine Kenntnis- se und Wahrheiten gelegentlich ver- schweigen — wie ein Arzt.

So besehen ist der medizinische Fachjournalist eine Art Facharzt zum Schutz der Öffentlichkeit. Er muß eine Dienstleistung erbringen — der Christ nennt sie Nächstenliebe — die das Ausschließen von Herzklop- fen einschließt. Er muß wissen, wel-

DEUTSCHES ARZTEBL ATT Heft 37 vom 14. September 1978 2035

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EN WENIG ALLOTRIA GE TR E.ß E • UNP Cirl- DIESER ZELLE

Die Information:

Bericht und Meinung

„Gedanken zu einer Preisverleihung"

che Antwort er sich selbst mit wel- cher Verantwortung auf die Frage gibt, was seinen Aussagen Mauern setzen könnte? Zum Beispiel, daß er Angst nicht erzeugen und daß Angst keine Geschichte machen darf! Er muß die Macht seines Wortes ab- schätzen können, die sich vollelek- tronisch heute ins Übermächtige verstärkt, und wissen, was sein Ge- wissen ihm eingibt vor allem im un- gewissen einer scheinbaren, weil nicht nachprüfbaren Sensation. Er muß bedenken, daß Unhaltbares, wäre es leichtfertig beschrieben und an falsche Hoffnungen geknüpft, am Nachhaltigsten wirken kann.

Ein letzter Gedanke noch und mit wenigen Andeutungen eine letzte Frage: Gibt es einen Sektor, auf dem sich der Medizinjournalist vom brei- ten Publikumsgeschmack bewußt abhängig machen sollte? In der Tat gibt es ein Reservat, das Wissen- schaftspublizisten noch gar nicht entdeckt haben. Sie könnten es — wenn sie es können! — als einziges sogar mit großem Vergnügen beset- zen: das Feld der Unterhaltung. Was Medizinjournalisten bislang für se- riös halten, ist wenig unterhaltsam.

Vis-ä-vis aber wächst das Bedürfnis nach gutgelaunter Unterhaltung als dringlichster Publikumswunsch.

Freiwillig nimmt eine altväterlich er- hobene Zeigefinger-Gesundheitsbe- lehrung nur an, wer unmittelbar in- teressiert, betroffen und schon krank ist.

Vielleicht fürchten Medizinjournali- sten, mit dem Seitensprung ins Un- terhaltsame und vermeintlich Lok- kere, ihr Gesicht zu verlieren. Dabei könnte ihnen gar nichts Besseres passieren, wenn sie aufbringen wür- den, was den meisten fehlt: der Mut zum Humor!

Medizinische Information, listig und locker verpackt in viel muntere Un- terhaltung, ist sicher kein Larifari. Es gibt auch schon Ansätze zur guten Einsicht in diesen Lichtblickwinkel zum Beispiel beim Gesundheitsma- gazin „Praxis" des Zweiten Deut- schen Fernsehens. Millionen, die das Magazin ihrer Gesundheit we- gen einschalten, bekommen sie oft sehr unterhaltsam geliefert. Warum sollte man nicht Abermillionen, die ihren Fernseher nur der Unterhal- tung wegen einschalten, eine dis- krete Dosis Gesundheit mitliefern?

Vielleicht lohnt es sich, über diesen Spaß einmal ernsthaft nach- und vorauszudenken. Ein wesentliches Ziel medizinjournalistischer Arbeit markiert die Absicht, ungesunde Angst abzubauen. Und auf dem mühsamen Weg dorthin kann ein Bundesgenosse Humor der viel- leicht hilfreichste Begleiter sein. Mit Sicherheit begründen ergötzliche Kurzweil und Heiterkeit ungeahnte weitere Chancen, ansteckende Ge- sundheit zu verbreiten.

Abschließend dazu eine kleine An- ekdote. Es war einmal vor vielen hundert Jahren ein Kardinal Salvia- ni, der sich aufs Totenbett legte und sein Ende nahe fühlte. Die Diener- schaft hatte den Sterbenden schon ausgeplündert und verlassen. Plötz- lich aber brach der alte Kardinal in schallendes Gelächter aus. Was war geschehen? Sein Affe, der dem Tod- kranken als letzter Gefährte verblie- ben war, hatte sich Salvianis roten, runden Hut aufgestülpt, war vor den Spiegel gehüpft und trieb seinen possierlichen Schabernack. Und von Stund an, so weiß es die Ge- schichte, brach das befreiende La- chen des Kardinals den Bann seiner Krankheit. Und wenn er damals in seiner geglaubten Sterbestunde noch nicht gestorben ist, verdankte er einem Sichtotlachen sein neues, noch einige weitere Jahre währen- des Leben.

Auch von diesem Histörchen gibt es eine Moral. Sie ist auf vieles an- wendbar, zum Beispiel auf weiland geringgeschätzte und auf Medizin- journalisten mit lockerer Feder: Es muß kein Mumpitz sein, was in an- deren Augen ein Affentheater ist ...

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Georg Schreiber Brünnsteinstraße 13 8203 Oberaudorf am Inn

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2036 Heft 37 vom 14. September 1978 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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