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Archiv "Biografische Miniaturen: Kollegiale Spurensuche" (19.02.2010)

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Deutsches Ärzteblatt

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Jg. 107

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Heft 7

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19. Februar 2010 A 293

B

iografien vermitteln die wirkliche Zeitgeschichte oft unmittelbarer als die großen wis- senschaftlichen Werke. Nehmen wir Fritz Demuth (1892–1944). Am Kaiser-Wilhelm-Institut für Gewe- bephysiologie erlebte er die wissen- schaftlich fruchtbarsten Jahre sei- nes Lebens. Unter Albert Fischer arbeitet er hier mit an „einer Metho- de, die es gestattet, Gewebe außer- halb des Körpers lebend und wach- send zu erhalten“. Nebenbei be- treibt der junge Gewebeforscher eine Kinderarztpraxis in Berlin.

Denn die Zeiten sind schwierig, erst recht, als sich nach 1933 der Wind völlig dreht. Denn Demuth ist Jude, wie viele seiner Berliner Kollegen.

Bald ist er allein auf seine Kinder- arztpraxis angewiesen. Die läuft zu- nächst erstaunlich gut, Arbeiter wie NS-Größen gehören unterschieds- los zur Klientel. Demuth, der ge- tauft und mit einer „arischen“ Frau verheiratet ist, fühlt sich sicher. Ein Irrtum. 1939 flieht er mit seiner Fa- milie nach Holland und kann hier sogar wieder wissenschaftlich ar- beiten: Gewebezüchtung, Polio und Fleckfieber. Doch 1943 werden die Demuths in Amsterdam festgesetzt.

Frau und Sohn kommen frei, er ge- langt 1944 vom KZ Westerbork als Transportarzt nach Auschwitz. Dort stirbt er 1944 – an Fleckfieber. Frau und Sohn – sie sollte sich scheiden lassen, der Sohn sterilisiert werden – tauchen bis Kriegsende unter.

Demuths Geschichte hat sein Kollege, der Kinderarzt Thomas Lennert, sorgfältig recherchiert und so nüchtern wie berührend aufge- schrieben. Er stieß im Archiv für Kinder- und Jugendmedizin in Ber- lin auf einen Briefwechsel zwi- schen Demuth und einer Kollegin, forschte weiter und entdeckte schließlich in Holland Demuths Sohn Anton.

Lennerts kleine Demuth-Biogra- fie umfasst 64 Seiten. Sie erschien in der Reihe „Jüdische Miniaturen“

des Berliner Verlages Hentrich &

Hentrich, einem ganz ungewöhnli-

BIOGRAFISCHE MINIATUREN

Kollegiale Spurensuche

chen verlegerischen Unternehmen.

Verlagsgründer Hentrich betrieb das Verlegen aus Passion und nicht um der Rendite willen. Er starb im September 2009 im Alter von 85 Jahren, verlegerisch aktiv bis zu- letzt. Immerhin hat er kurz vor sei- nem Tod noch die Nachfolge gere- gelt. Die neue Inhaberin, Nora Pes- ter (32), verspricht inhaltliche Kon- tinuität.

Verlag will Sparte ausbauen

Bisher ging der mutige kleine Ver- lag unermüdlich Spuren jüdischen Lebens nach und veröffentlichte eben solche Miniaturen und gele- gentlich auch größere Werke „ge- gen Verdrängen und Vergessen“.

Unter diesem Obertitel, der auch Verlagsprogramm sein könnte, do- kumentierten der Rechtsmediziner Volkmar Schneider und der Psy- chiater Werner E. Platz 2008 ärztli- che Verstrickungen in die „Eutha- nasie“-Morde in der thüringischen Anstalt Stadtroda. Ende des Jahres 2009 erschienen bei Hentrich &

Hentrich die Ergebnisse des von der Kassenärztlichen Vereinigung (KV) Berlin initiierten Forschungsprojekts zur Berliner KV im Nationalsozia- lismus (Judith Hahn und Rebecca Schwoch: „Anpassung und Aus- schaltung“) und das Gedenkbuch

„Berliner jüdische Kassenärzte und ihr Schicksal im Nationalsozialis-

mus“ (herausgegeben von Rebecca Schwoch).

Im Frühjahrsprogramm kündigt der Verlag nun drei weitere ärztliche

„Miniaturen“ an, zwei zu Pionieren der Gastroenterologie, die Internisten Hermann Strauß (er starb 1944 im KZ Theresienstadt) und Ismar Boas (der sich 1938 beim Einmarsch der Nazis in Wien das Leben nahm), ver- fasst von ihrem Fachkollegen Harro Jenss, der im Hauptberuf als Gastro- enterologe in einer Klinik im Badi- schen arbeitet. In der dritten „Minia- tur“ stellt die Publizistin Dietlinde Peters den Sozialmediziner Curt Be- jach vor. Bejach, Mitgründer des

„Gesundheitshauses am Urban“, war im NS-Sinne mit dem doppelten

„Makel“ behaftet, sowohl jüdisch als links zu sein. Auch das waren nicht wenige. Bejach wurde 1933 als Stadtarzt von Berlin-Kreuzberg ent- lassen, er starb 1944 in Auschwitz.

Der Verlag will solche „Minia- turen“ auch künftig verlegen, ja die biografische Sparte noch ausbauen.

Das Programm soll indes um litera- rische Titel wie auch Sachbücher zu Kultur, Wissenschaft und Alltagsle- ben im jüdischen Kontext ergänzt werden. Zum Verlagsprogramm passt der neue Verlagssitz: in der Berliner Wilhelmstraße, zwischen

„Topographie des Terrors“ und Jü-

dischem Museum. ■

Norbert Jachertz Thomas Lennert:

Fritz Demuth.

Hentrich & Hentrich, Berlin 2009,

64 Seiten, broschiert, 5,90 Euro

K U L T U R

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