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Archiv "Klinische Pädiatrie im Wandel der letzten zehn Jahre: Dargestellt am Krankengut der Universitätskinderklinik Kiel 1968 bis 1977" (08.02.1979)

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Fortschritte der Medizin und rück- läufige Geburtenzahlen haben zu ei- nem erheblichen Wandel der klini- schen Pädiatrie geführt. Der — auch ärztlichen — Öffentlichkeit ist dabei vor allem die Tatsache bekannt ge- worden, daß die Kinderkliniken häu- fig nur noch zu 55 bis 70 Prozent ausgelastet und damit unterbelegt sind. Aufgabe dieser Analyse soll es sein, aufzuzeigen, daß hier eine sehr differenzierte Problematik vorliegt.

Dabei kann diese Darstellung — da sie sich auf ein begrenztes Kranken- gut bezieht — nicht umfassend sein, und manche Zahl ist sicherlich nur mit Vorbehalt zu verallgemeinern, vieles dürfte aber eine prinzipielle Entwicklung der Kinderheilkunde widerspiegeln.

Trotz Geburtenrückgang Zunahme der Patientenzahl Wenn man den Wandel der klini- schen Pädiatrie am Krankengut ei- ner Klinik demonstrieren will, so kann man das sicherlich nur vor dem Hintergrund einiger demogra- phischer Daten:

In der zur Diskussion stehenden Zeitspanne von 1968 bis 1977 haben wir in der Bundesrepublik Deutsch- land eine Abnahme der Geburtenra- te um 40,2 Prozent von 969 840 im Jahre 1968 auf 580 000 Neugebore- ne (vorläufige Zahl) in 1977 zu ver- zeichnen. In dieser Zahl sind die

Ausländergeburten bereits enthal- ten. Die Säuglingssterblichkeit ist in dieser Zeit in Schleswig-Holstein — einem Land, in dem sie immer etwas niedriger als im Bundesdurchschnitt lag — von 2 Prozent auf 1,35 Prozent gesunken.

Bekanntlich wird der Säuglingsster- beziffer eine Indikatorwirkung für die Güte der allgemeinen medizini- schen Versorgung eines Landes zu- geschrieben, so spiegelt dieser Rückgang von 0,65 Prozent sicher- lich die Fortschritte der Geburtshilfe und Pädiatrie in globaler Weise wider.

Der Geburtenrückgang führte in Kiel

— dem direkten Einzugsgebiet der Klinik — natürlich auch zu einem Rückgang der Kinderzahl. So redu- zierte sich beispielsweise die Zahl der bis zu 5jährigen, die ja erfah- rungsgemäß einen großen Teil des Klientels einer Kinderklinik stellen, von 20 605 auf 10 461.

Es ist daher zu erwarten — und dieser Erwartung wird allgemein in den Medien, in den Gesprächen mit Poli- tikern und Verwaltungsbeamten, aber auch in Unterhaltungen mit Vertretern der Erwachsenenmedizin Ausdruck gegeben —, daß die Bele- gungszahlen der Kinderkliniken in den letzten zehn Jahren ebenfalls drastisch zurückgegangen sind oder anders ausgedrückt, daß die Kinder- kliniken beschäftigungslos zu wer- den drohen.

Die prozentuale Belegung fast aller Kinderkliniken ist in den letzten Jahren rückläufig. Die Ursache dieser Entwicklung ist aber nicht allein im Gebur- tenrückgang sondern sehr viel stärker in der erwünschten Verkürzung der durchschnitt- lichen Liegezeit zu suchen.

Das Spektrum der Krankheits- bilder hat sich in den letzten 10 Jahren erheblich gewan- delt. Manche früher gefürch- tete Krankheiten sind durch Vorsorgemaßnahmen zur Sel- tenheit geworden, bestimmte Krankheitsgruppen wie bei- spielsweise psychosomati- sche Leiden sind in den Vor- dergrund getreten. Neue Mög- lichkeiten der Diagnostik und Therapie haben zu verbesser- ten Lebenschancen von be- drohten Früh- und Neugebo- renen, schwerkranken Kin- dern und schließlich auch von Krebspatienten geführt. Eine Vielzahl struktureller Maßnah- men haben das Bild der klini- schen Pädiatrie in den letzten Jahren zusätzlich verändert.

Mehr Aufnahmen — Kürzere Liegezeiten

Aus Tabelle 1 sind die Patientenzahl, die Liegedauer und die prozentuale Belegung, ausgehend von der Ge- samtbettenzahl von 180, zu ersehen.

Betrachtet man zunächst die Ent- wicklung der Patientenzahl, so stellt man zu seiner Überraschung fest, daß es statt eines Rückganges eine kontinuierliche Zunahme von über 500 Fällen gegeben hat. Geht man anschließend zur dritten Spalte über, dann findet man die oft geäu- ßerte Vermutung bestätigt, daß die prozentuale Belegung der Kinderkli- nik sich verringert habe. Sie betrug im letzten Jahr nur noch knapp 60 Prozent. Des Rätsels Lösung für die- sen scheinbaren Widerspruch ergibt sich aus der mittleren Spalte. Sie zeigt die durchschnittliche Liege- dauer. Hier sieht man eine Verkür- zung der Liegezeit um praktisch 50

Klinische Pädiatrie

im Wandel der letzten zehn Jahre

Dargestellt am Krankengut der Universitätskinderklinik Kiel 1968 bis 1977

Günter Mau

Aus der Abteilung Allgemeine Pädiatrie der Universität Kiel (Leiter: Professor Dr. Hans-Rudolf Wiedemann)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 6 vom 8. Februar 1979 347

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Tabelle 1: Zahl der stationären Patienten, durchschnittliche Liege- dauer, prozentuale Belegung und Zahl ambulanter Patienten (Kran- kenscheine) in den Jahren 1968, 1972, 1977

Jahr stationäre Liegedauer prozentuale ambulante Patienten in Tagen Belegung Patienten

1968 2 560 24,2 94,4 7 433

1972 2 660 19,9 80,8 8 616

1977 3 106 12,6 59,8 10 368

Tabelle 2: Zahl der Analysen im Hauptlabor und der Röntgenleistungen

Jahr Analysenzahl Röntgenuntersuchungen Durch- Hauptlabor stationär ambulant leuchtung

1968 75 450 8 658 7 140 240

1972 86 329 7 525 7 692 288

1977 107 964 7 394 6 090 577

Prozent von 24,2 Tagen im Jahre 1968 auf 12,6 Tage im Jahre 1977.

Auch die steigende Zahl der Patien- tenaufnahmen konnte die Auswir- kung dieser drastischen Reduzie- rung der durchschnittlichen Liege- zeit nicht auffangen.

Bereits aus diesen Zahlen läßt sich erahnen, wie sich auch der Arbeits- rhythmus des Personals einer Kin- derklinik geändert hat. Nicht die Langlieger mit chronischen Leiden charakterisieren den Ablauf auf der Station, sondern der hohe Patien- tendurchgang. Bekanntlich sind ar- beits- und kostenintensiv aber die ersten Tage nach der Aufnahme ei- nes Kranken, die Tage, in denen die Diagnostik durchgeführt wird. An die Diagnostik fügt sich die Phase der beginnenden, intensiven Thera- pie nahtlos an; die Nachbehandlung oder die Dauerbehandlung auf der Kinderstation werden eher zur Sel- tenheit.

Nun fragt man sich natürlich, ob bei allgemein sinkenden Kinderzahlen die zunehmende Patientenzahl im stationären Bereich durch eine hö- here Morbidität unserer Kinder zu erklären sei. Diese Frage ist in dieser

Form zu verneinen. Die Ursache ist wohl im wesentlichen in drei ande- ren Faktoren zu sehen: Einmal ist das Gesundheitsbewußtsein der El- tern sehr viel ausgeprägter gewor- den, so daß früher nicht behandelte Störungen heute zur Diagnostik und Therapie führen. Als zweites macht sich mehr und mehr der übergeord- nete Charakter einer Universitätskli- nik bemerkbar, so daß in einigen Teilbereichen der Klinik bis zu 50 Prozent der Patienten nicht aus dem direkten Einzugsbereich der Klinik stammen. Die dritte und wahr- scheinlich wichtigste Ursache in diesem Zusammenhang aber dürfte darin zu sehen sein, daß viele Pa- tienten mit einem chronischen Lei- den nach kurzer stationärer Erstbe- handlung zu weiteren kürzeren Kon- troll- und Behandlungsphasen er- neut aufgenommen werden, wäh- rend sie früher über den gesamten Zeitraum stationär betreut wurden.

Es ist in diesem Zusammenhang mit einer negativen Interpretation das Wort von der Drehtürmedizin gefal- len. Wir glauben nicht, daß eine ne- gative Interpretation dieser Behand- lungsstrategie am Platze ist. Sie de- monstriert lediglich, wie groß das

Bemühen der Pädiatrie ist, auch den psychischen Bedürfnissen der klei- nen Patienten gerecht zu werden.

Parallel zu der Entwicklung im sta- tionären Bereich — zur Zunahme der

Patientenzahl und zur Abnahme der Pflegedauer — trat zwangsläufig eine Ausweitung des poliklinischen Be- triebes ein (Tabelle 1). Von 1968 bis 1977 nahm die Zahl der erfaßten Pa- tienten um beinahe 40 Prozent zu, die Zahl der Poliklinikbesuche liegt sogar noch höher, da sich die immer wiederkommenden, chronisch kran- ken Patienten nicht nur einmal, son- dern mehrfach im Quartal in den Sondersprechstunden vorstellen.

Die Palette der angebotenen Son- dersprechstunden für diese Kinder ist inzwischen vielfältig geworden.

Aber auch die Tatsache, daß inzwi- schen in jedem größeren Ort Schles- wig-Holsteins ein Kinderarzt ordi- niert, der die zwischenzeitliche Be- treuung mancher chronisch kranker Kinder übernimmt, hat zu der Ver- kürzung der Liegezeiten erheblich beigetragen.

Intensivierung der Diagnostik Um wieviel intensiver die Diagnostik in den letzten Jahren geworden ist, ist aus Tabelle 2 beispielhaft zu erse- hen. Die Analysenzahl des Hauptla- bors ist um gut 30 000 in den letzten zehn Jahren gestiegen. Für die Spe- ziallaboratorien gilt im Prinzip das gleiche. Diese Entwicklung ist nur durch eine weitgehende Rationali- sierung und Mechanisierung mög- lich gewesen. Daß diese Entwick- lung aber nicht auf alle Bereiche der Diagnostik unbesehen zu übertra- gen ist, veranschaulicht die Zahl der Röntgenuntersuchungen (Tabelle 2). Sie ist sowohl bei den stationären wie bei den ambulanten Fällen ge- sunken. Lediglich die Zahl der Durchleuchtungen ist durch die In- stallation der Fernsehkette gering gestiegen. Die Intensivierung des Strahlenschutzes hat hier ihren Nie- derschlag gefunden.

Diese wenigen allgemeinen Beispie- le mögen genügen, den prinzipiellen Wandel in der Klinik zu demonstrie-

348 Heft 6 vom 8. Februar 1979 DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

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ren. Im folgenden sollen anhand ein- zelner Krankheitsbilder die Verände- rungen im klinischen Bereich para- digmatisch veranschaulicht werden.

Untergewichtige Neugeborene Ganz besonders deutlich wird dieser Wandel bei den Kleinsten unseres Klientels, bei den untergewichtigen Früh- und Neugeborenen. Die Gren- ze in der Tabelle 3 ist bewußt bei 2000 g angesetzt, da im Gegensatz zu früher mehr und mehr Frühgebo- rene mit einem Gewicht knapp unter 2500 g in der Frauenklinik verblei- ben; auch ein Zeichen unseres sich wandelnden Bewußtseins gegen- über Mutter und Kind. Die Zahl der Frühgeborenen hat auch unter Be- rücksichtigung eines Geburtenrück- ganges um rund die Hälfte — es wä- ren dann immer noch ungefähr 72 Frühgeborene zu erwarten gewesen

— drastisch abgenommen. Diese Re- duzierung ist vor allem das Ver- dienst der Geburtshelfer, die durch Verbesserung der Schwangerenvor- sorge und Einführung neuer thera- peutischer Techniken, wie beispiels- weise der Tokolyse, zu erklären ist.

Aber nicht nur die Zahl der Frühge- borenen ist drastisch zurückgegan- gen, auch die Mortalität ist auf weni- ger als ein Drittel des Ausgangswer- tes von 1968 gesunken. Der Parame- ter der Frühgeborenensterblichkeit muß hier stellvertretend auch für de- ren Morbidität stehen, da wir aus ausgedehnten Untersuchungen wis- sen, daß auch die Früh- und Spät- morbidität in entsprechendem Um- fang abgenommen haben. Möglich wurde dieser starke Rückgang der Mortalitäts- und Morbiditätsziffern nur durch Einführung der Intensiv- pflege mit Atemhilfen bis zur ma- schinellen Beatmung, der Verbesse- rung der parenteralen Ernährung und der antiinfektiösen Therapie, er- kauft allerdings durch einen hohen apparativen und personellen Auf- wand.

Rh-Inkompatibilität

Die Entwicklungen in der Geburts- hilfe haben sich noch auf ein weite-

res, von uns früher gefürchtetes Krankheitsbild segensreich ausge- wirkt: auf die Rh-Erythroblastose, die früher häufig zum Tod oder zu Dauerschäden der Kinder durch den Kernikterus führte. Durch die Ein- führung der Anti-D-Prophylaxe An- fang der 70er Jahre sank die Zahl der Rh-Erythroblastosen bei uns von 61 Fällen im Jahre 1968 auf 8 im Jahre 1977. Durch die Verhütung der Rh-Erythroblastosen einerseits und die Einführung einer neuen Thera- pie des unspezifischen Ikterus gra- vis in Form der sogenannten Photo- therapie andererseits wurde die frü- her zur Verhinderung eines Kernik- terus so häufig notwendig werdende Austauschtransfusion eher eine Sel- tenheit. 1968 waren es noch 109 Fäl- le, bei denen ein- oder mehrmals

diese mit einer Mortalitätsziffer von 1 . bis 1,5 Prozent belastete Behand- lungsform durchgeführt werden mußte, 1977 nur noch 7 (Tabelle 4).

Mißbildungen

Betrachtet man die Mißbildungszif- fern der beiden Jahrgänge, so kann man beispielsweise bei den Ge- sichtsspalten (1968: 7, 1977: 4) erse- hen, daß sich ihre Zahl entspre- chend dem allgemeinen Geburten- rückgang bewegt. Das gleiche gilt auch für andere, hier nicht weiter zu demonstrierende Fehlbildungsty- pen. Die Rötelnembryopathie als klassisches Beispiel einer exogenen Fehlbildung, 1968 noch dreimal zu verzeichnen, dürfte in Zukunft auf- Tabelle 3: Frequenz und Sterblichkeit untergewichtiger

Neugeborener

Jahr Neugeborene mit einem Geburtsgewicht bis zu 2000 g

19d8 135 davon 34,5% verstorben

1977 39 davon 10,3% verstorben

Tabelle 4: Häufigkeit von Rh-Inkompatibilitäten und Austauschtransfusionen (auch anderer Ursache)

Jahr Rh-Inkompatibilität Austauschtransfusion

1968 61 109

1977 8 7

Tabelle 5: Zahl der Aufnahmen insgesamt, der Erstaufnahmen und der durchschnittlichen Liegedauer in Tagen bei Meningomyelozelen und Fallotscher Tetralogie

Jahr Aufnahmen Erstaufnahmen Liegedauer insgesamt

Meningomyelozelen

1968 30 16 58

1977 27 6 20

Fallotsche Tetralogie

1968 41 10 22

1977 39 3 15

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Heft 6 vom 8. Februar 1979 349

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Tabelle 6: Jahr Häufigkeit und durch-

schnittliche

Liegezeit 1968 verschiedener 1977 Infektions-

krankheiten

Anzahl Liegedauer Coli-Dyspepsie

97 34

7 34

Salmonellen

1968 5 15

1977 11 20

Angina lacunaris

1968 18 21

1977 7 6

Pfeiffersches Drüsenfieber

1968 4 23

1977 13 7

Pseudocroup

1968 25 10

1977 32 3

Grippaler Infekt

1968 283 10

1977 243 9

Pertussis

1968 16 23

1977 21 12

Mumps 1968 9 ( 3 neurologisch) 18 1977 40 (15 neurologisch) 12 grund der durchgeführten Schutz-

impfung hoffentlich zur Rarität wer- den.

In Tabelle 5 sind die Zahlen der Pa- tienten mit zwei verschiedenen Miß- bildungen aufgeführt, an deren Bei- spiel einige Phänomene gut zu de- monstrieren sind. Die Zahl der Auf- nahmen sowohl für Meningomyelo- zelen wie auch für die Fallotsche Tetralogie sind in den beiden Jahr- gängen weitgehend gleich geblie- ben. Die Zahl der Fälle, die erstmalig

in unsere Klinik kamen, hat 1977 ge- genüber 1968 für beide Krankheits- bilder deutlich abgenommen. Hier- aus wird ersichtlich, wie bei chro- nisch kranken Kindern die lange, chronische Liegedauer durch wie- derholte Aufnahmen mit kürzeren Liegedauern ersetzt worden ist. Vor allem bei Meningomyelozelen hat sich die Liegezeit beinahe auf ein Drittel reduziert. Neben der Tatsa- che, daß die Patienten nicht nur ein- mal lange, sondern mehrfach in der Klinik aufgenommen werden — mit

zwischengeschaltetem Aufenthalt zu Hause — wird weiterhin deutlich, daß sich bei früher häufig tödlichen Krankheitsbildern die Überlebens- zeit der Patienten sehr erhöht hat.

Durch die längere Überlebensdauer, wie sie anhand dieser beiden Krank- heitsbilder klassisch zu demonstrie- ren ist, werden immer wieder erneu- te Kontrolluntersuchungen und Be- handlungen neben der fortlaufen- den poliklinischen Betreuung auch im stationären Bereich notwendig.

Durch die Erfolge operativer und konservativer Techniken vergrößert sich somit die Gruppe bestimmter chronisch kranker Kinder, die eine permanente intensive medizinische Betreuung benötigen, von Jahr zu Jahr.

Infektionskrankheiten

Ein wesentlicher Wandel ist bei der Krankheitsgruppe der Darminfektio- nen festzustellen (Tabelle 6). 1968 wurden noch 97 Säuglinge wegen der früher so gefürchteten Coli-Dys- pepsie stationär behandelt, 1977 wa- ren es nur noch 7 Fälle. Im Gegen- satz zu manchen der bisher demon- strierten Krankheitsbilder finden sich aber auf den Tag genau die gleichen Liegezeiten. Die Verände- rung des Krankheitsbildes ist hier wohl weniger den Verbesserungen medizinischer Umstände als allge- meiner Lebensbedingungen wie ver- besserter Hygiene, reichlichem An- gebot von Säuglings-Fertignahrun- gen und vor allem auch der Ände- rung des Genius epidemicus zu ver- danken. Die Entwicklung bei den Salmonellosen ist gegenläufig. Eine Zunahme auf das Doppelte ist zu verzeichnen. Die Liegezeit hat zuge- nommen, das vor allem durch die Erkrankung von Säuglingen.

Eine eigenartige Differenzierung fin- den wir bei den Krankheitsbildern Angina lacunaris und Pfeiffersches Drüsenfieber. Wie aus Tabelle 6 er- sichtlich, ist die Angina lacunaris seltener geworden, die Erkrankun- gen an Pfeifferschem Drüsenfieber haben dagegen zugenommen. Wäh- rend die Abnahme bei der Angina durch die bessere kinderärztliche

350 Heft 6 vom 8. Februar 1979 DEUTSCHES ARZIEBLATT

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Tabelle 7: Zahl der Aufnahmen inklusive Wiederaufnahmen aller Patienten mit Malignomen (inklusive Leukosen) und Frequenz von osteogenen Sarkomen (ohne Wiederaufnahmen)

Jahr Malignome insgesamt Knochentumoren

1968 71 keine

1977 143 5

Tabelle 8: Jahr Häufigkeit und Verweildauer einiger neuro-

pädiatrischer 1968 Krankheits- 1977 bilder

Anzahl Liegedauer BNS-Anfallsleiden

13 40

15 39

Psychomotorische Anfälle

1968 6 15

1977 21 11

Migräne

1968 4 18

1977 22 8

Kopfschmerzen ohne Migräne

1968 6 11

1977 30 6

Versorgung in der freien Praxis zu erklären ist, lassen sich für die Zu- nahme des Pfeifferschen Drüsenfie- bers spekulativ zwei Gründe anfüh- ren: Einmal mag es insgesamt 1977 eine stärkere Durchseuchung mit der Mononukleose in der Bevölke- rung gegeben haben, die dann auch zwangsläufig zu einer häufigeren Einweisung geführt haben dürfte.

Teilweise ist die Zunahme aber auch dadurch zu erklären, daß etliche Pa- tienten, die unter der normalen und üblichen Penicillintherapie nicht spontan entfieberten, zur weiteren Abklärung unter der Verdachtsdia- gnose einer Leukose eingewiesen wurden.

Auch für das Phänomen, daß unter dem Krankheitsbild des Pseudo- krupps 1977 mehr Kinder aufgenom- men wurden als 1968, läßt sich nur schwer eine eindeutige Erklärung finden (Tabelle 6). Neben einer all- gemeinen Zunahme der Virusinfek- tionen erscheint am ehesten noch die Begründung stichhaltig, daß jün- gere Eltern mit dem ersten Kind bei dem bedrohlich werdenden Krank- heitsbild nachts häufig von sich aus die Klinik aufsuchen. Tröstlich ist angesichts der absoluten Zunahme dieser Fälle in der Klinik, daß die Liegezeiten sehr verkürzt worden sind. Auch das Phänomen, daß die Zahl der Kinder mit grippalen Infek- ten nur unwesentlich geringer ge- worden ist, findet keine befriedigen- de Erklärung (Tabelle 6). Beide Jah- re waren frei von Grippeepidemien.

Ob manches Kind bei der heutigen Familienkonstellation mit berufstäti- gen Müttern auch unter einer sozia- len Indikation zur Einweisung kommt, ist ungeklärt.

Auch der Keuchhusten (Tabelle 6) hat zugenommen. Hier bleibt die Frage offen, inwieweit auf diese Ent- wicklung die Zurückhaltung bei der Pertussisimpfung in den letzten Jah- ren einen Einfluß gehabt hat. Die Zunahme der Mumpserkrankungen (Tabelle 6) ist eindeutig durch eine größere Epidemie im Jahre 1977 zu erklären. Der relative Anteil der neu- rologischen Komplikation hat sich etwa konstant gehalten. Die Zahlen demonstrieren aber auch sehr deut-

lich die Bedeutung der inzwischen ja zur Verfügung stehenden Mumps- impfung.

Wenn drei Viertel dieser Mumpser- krankungen 1977 durch Impfung verhütet worden wären, hätten die Kostenträger rund 75 000 DM ein- sparen können. Für dieses Geld hät- te man bereits knapp 3000 Patienten impfen können, das entspricht un- gefähr dem Geburtsjahrgang der Stadt Kiel.

Malignome

Ein Kapitel mit zunehmender Be- deutung ist das der Malignome im Kindesalter. Die Zahl der Aufnahmen von Kindern mit Malignomen insge- samt hat sich in der erfaßten 10- Jahres-Frist praktisch verdoppelt, wobei die Tendenz gerade in den

letzten Jahren steigend ist (Tabelle 7)! Während die Überlebenszeit der Leukosen 1968 ein halbes bis ein ganzes Jahr betrug, kann man 1977 mit einer durchschnittlichen Überle- benszeit von 4 bis 5 Jahren rechnen, rund 40 Prozent überschreiten die 5- Jahres-Grenze. Diese Patienten kommen natürlich immer wieder ne- ben der intensiven poliklinischen Betreuung zur stationären Aufnah- me für die Intervalltherapie. Der be- reits vorhin geschilderte Mechanis- mus, daß durch die verlängerte Überlebenszeit das Gesamtkollektiv der behandelten Patientengruppe sich von Jahr zu Jahr vergrößert, da die Zahl der Zugänge die der Todes- fälle übersteigt, trifft für die Mali- gnompatienten in ganz besonderem Ausmaß zu.

Durch die schnelle Entwicklung the- rapeutischer Techniken und die ex-

DEUTSCHES ARZ'I'EBLATT

Heft 6 vom 8. Februar 1979 351

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Tabelle 9: Jahr Häufigkeit und durch-

schnittliche

Liegedauer 1968 verschiedener 1977 psycho-

somatischer Krankheits-

bilder 1968

1977

Anzahl Liegedauer Rumination

7 30

1 6

Acetonämisches Erbrechen

34 9

16 4

Anorexia nervosa

1968 1 25

1977 8 02 x 11

Asthma bronchiale

1968 21 13

1977 44 10

Obstipation

1968 15 17

1977 24 10

Enuresis noct. + diurna

1968 8 14

1977 34 14

Colitis ulcerosa

1968 3 11

1977 4 12

Adipositas

1968 17 22

1977 41 12

treme Spezialierung auf diesem Ge- biet wird außerdem eine Zentralisie- :ung im Interesse des Patienten ge- fördert. Die Auswirkungen lassen sich besonders markant anhand der Patientenzahlen mit Knochentumo- ren zeigen (Tabelle 7). Nicht eine wirkliche Zunahme von osteogenen Sarkomen dokumentiert sich in die- sen Zahlen, sondern lediglich eine Sammlung von entsprechenden Pa- tienten im Onkologischen Zentrum.

Bei diesen Patienten kann man auch sehr deutlich ersehen, wie häufig

Wiederaufnahmen erfolgen, durch- schnittlich 5- bis 6mal für 5,4 Tage.

Trotz des kurzen stationären Aufent- haltes führt die Behandlung dieser Patienten zu einer extremen Bela- stung von Personal und Medika- mentenetat. So ist allein die hochdo- sierte zytostatische Behandlung mit Methotrexat bei einem 40 kg wie- genden Patienten mit rund 100 000 DM belastet, wird eine Rezi- divbehandlung notwendig, so er- höht sich diese Summe auf gut 300 000 DM.

Neuropädiatrische Krankheitsbilder

Einen nicht unerheblichen Teil am gesamten Krankengut nehmen neu- ropädiatrische Krankheitsbilder ein.

Die Zahl der Blitz-Nick-Salaam- (BNS)-Anfallsleiden (Tabelle 8) und der psychomotorischen Anfälle ist gleich geblieben beziehungsweise hat zugenommen.

Hier dokumentiert sich eindeutig die überregionale Zentralfunktion der Neuropädiatrischen Abteilung unse- rer Klinik.

Erstaunlich ist die Konstanz der Lie- gezeiten bei den BNS-Anfallsleiden, über 10 Jahre hat sich hier praktisch kein Wechsel getan.

Eine erstaunliche Zunahme, die nur teilweise durch die Zentralfunktion der Universitätsklinik zu erklären ist, zeigt sich bei den Diagnosen Migrä- ne und Kopfschmerzen (Tabelle 8).

Die Zahlen zeigen, daß diese Krank- heitsbilder bei Kindern keine Selten- heit sind. Die Liegezeiten demon- strieren, daß diese Kinder im we- sentlichen nur zur Diagnostik und nicht zur anschließenden Therapie im Krankenhaus verbleiben.

Psychosomatische Krankheitsbilder

Während gewisse psychosomati- sche Krankheitsbilder wie beispiels- weise die Rumination und das aze- tonämische Erbrechen entweder

überproportional oder zumindest entsprechend dem Geburtenrück- gang bei gleichzeitig reduzierter Liegezeit seltener geworden sind (Tabelle 9), haben die Krankheitsbil- der der Anorexia nervosa und der Enuresis nocturna et diurna (Tabelle 9) eindeutig zugenommen.

Die Liegezeit einer Patientin mit Anorexia nervosa ist im Jahres- durchschnitt, da sie zweimal aufge- nommen wird, praktisch genauso lang wie 1968, für die Enuresis stimmt sie auf den Tag genau überein.

352 Heft 6 vom 8. Februar 1979 DEUTSCHES ÄRZ 1 EBL ATT

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Die spastischen Bronchitiden des Säuglings und des Kleinkindes und das Asthma bronchiale sind eben- falls häufiger geworden (Tabelle 9).

Auch die Zahl der Kinder mit einer schweren Obstipation (Tabelle 9), die zur Klinikeinweisung geführt hat, hat erheblich zugenommen. Die Fre- quenz der Colitis ulcerosa ist in etwa gleich geblieben.

Abschließend sei noch auf die Ver- doppelung der Patientenzahl mit ei- ner Adipositas (Tabelle 9) hingewie- sen. Ein Rechenexempel mag auch hier die sozialmedizinische Bedeu- tung des Krankheitsbildes demon- strieren. Die im Hinblick auf die dro- henden Spätfolgen indizierte Be- handlung, die allerdings nur bei ei- nem Teil der Fälle von einem anhal- tenden Erfolg gekrönt ist, hat die Krankenkassen 1977 ungefähr 100 000 DM gekostet.

Zusammenfassung

Faßt man diese wenigen Beispiele zusammen, läßt sich etwa folgendes konstatieren: Die Möglichkeiten der Intensivpflege haben die Überle- benschancen von Frühgeborenen und Schwerstkranken ansteigen las- sen; Krebs beim Kind ist heute kein zwangsläufiges Todesurteil mehr.

Viele Infektionskrankheiten sind im Klientel einer Klinik seltener gewor- den, andere haben aus nicht eindeu- tigen Gründen eher zugenommen.

Sogenannte Zivilisationskrankhei- ten und psychosomatische Krank- heiten sind häufiger geworden. Die fortschreitende Spezialisierung eini- ger Teilbereiche der Klinik hat zu einer vermehrten Einweisung spe- zieller Krankheitsbilder geführt.

Auch die allgemeinen Umweltbedin- gungen der Kinder im Krankenhaus und damit verknüpft die Arbeitsbe- dingungen des Personals haben sich in den letzten 10 Jahren dra- stisch verändert: Die allerwenigsten Kinder liegen ganztägig im Bett, die Mehrzahl steht nach Abklingen der akuten Symptomatik auf. Früher war ein krankes Kind im allgemeinen auch ein bettlägeriges Kind. Die Be- suchszeit, die den Eltern noch vor

einigen Jahren nur für wenige Stun- den an 2 bis 3 Nachmittagen ge- währt wurde, erstreckt sich heute praktisch ganztägig auf jeden Wo- chentag. Die Mütter sind an der Pfle- ge ihrer kranken Kinder beteiligt, so- weit sie die Zeit dafür aufzubringen vermögen. Während die Frühgebur- tenstation den Eltern früher ver- schlossen blieb, sind sie heute dort genau wie auf der Intensivstation willkommen.

Für das Personal der Klinik haben viele der genannten Veränderungen wie beispielsweise die Zunahme der Patientenzahl, die Intensivierung der Diagnostik, die Einrichtung von In- tensivstationen, die Zunahmen der Sondersprechstunden, die Erweite- rung der Besuchszeiten mit der all- gegenwärtigen Präsenz fragender Eltern trotz sinkender prozentualer Belegung ein Mehr an Arbeit ge- bracht.

Die Tatsache, daß auch heute noch bei der Berechnung des Personalbe- standes Anhaltszahlen, die 1969 er- arbeitet und lediglich an die 40- Stunden-Woche angepaßt worden sind, zugrundegelegt werden, ist mit den geschilderten Veränderungen im klinischen Bereich nicht mehr in Einklang zu bringen. Eine gegen- über 1969 schlechtere prozentuale Belegung der Kliniken darf deswe- gen nicht zu Stellungskürzungen führen. Im Gegenteil! Soll der der- zeitige Qualitätsstand gehalten oder weiter verbessert werden, dann müssen die Personalanhaltszahlen von 1969 entsprechend der fort- schreitenden Entwicklung der letz- ten zehn Jahre weiterentwickelt wer- den. Ein Bedarf an qualifizierter kli- nischer Kinderheilkunde ist auch in Zukunft vorhanden.

Anschrift des Verfassers:

Dr. med. Dr. habil. Günter Mau Universitätskinderklinik Schwanenweg 20 2300 Kiel 1

Bei Angina-pectoris- Symptomatik

an Motilitätsstörung der Speiseröhre denken

Eine Ballondehnung der Speiseröh- re kann zu solchen Schmerzen füh- ren, daß ein Herzinfarkt vorge- täuscht wird. Auf der anderen Seite sind Funktionsstörungen der Spei- seröhrenperistaltik bei Patienten mit einer koronaren Herzkrankheit keine Seltenheit.

Bei 64 Patienten mit heftigen retro- sternalen Schmerzen wurden er- stens manometrische Untersuchun- gen der Speiseröhre, zweitens ein Koronarangiogramm und drittens ein Belastungselektrokardiogramm durchgeführt.

Bei 52 Patienten ließ sich eine Bela- stungsangina nachweisen, 45 (89 Prozent) von ihnen wiesen ein pa- thologisches Koronarangiogramm und 22 (42 Prozent) Zeichen einer Ösophagusdysfunktion auf.

Bei 12 Patienten traten bei Bela- stung keine oder nur atypische Be- schwerden auf. Unter diesen 12 fan- den sich bei 11 (92 Prozent) Hinwei- se auf eine Ösophag usmotilitätsstö- rung.

Nur 5 (42 Prozent) dieser Patienten hatten eine pathologischen Befund an den Herzkranzgefäßen im Angio- gramm. Aus diesem Grund sollte bei allen Patienten mit retrosternalen Schmerzen zunächst auf jeden Fall ein Belastungs-EKG veranlaßt werden.

Treten hierbei keine typischen Be- schwerden auf, dann liegt wahr- scheinlich eine Ösophagusmotili- tätsstörung als Ursache der geklag- ten Beschwerden vor.

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Heft 6 vom 8. Februar 1979

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