• Keine Ergebnisse gefunden

Archiv "Der Tag, an dem die rote Flagge fiel: London to Brighton Veteran Car Run" (24.10.1984)

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Archiv "Der Tag, an dem die rote Flagge fiel: London to Brighton Veteran Car Run" (24.10.1984)"

Copied!
3
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

41,

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Kulturmagazin

41

'7

K

lar, daß die Briten ein be- sonderes Verhältnis zu ih- ren Traditionen haben:

wer könnte das übersehen, wo man sie doch in regelmäßigen Abständen öffentlich zelebriert!

Zum Beispiel den offiziellen Ge- burtstag der Queen im Juni oder, wenigstens ebenso spek- takulär, den „London to Brigh- ton Veteran Car Run" im No- vember.

Auch dieser Veteranenkorso ist übrigens eine Art von Geburts- tagsfeier. Mit der Oldtimer-Ral- lye von London in den südengli- schen Badeort Brighton erinnert der Königliche Automobilclub RAC nämlich alljährlich an ein Stück progressiver Gesetzge- bung des britischen Parlamen- tes, den „Locomotives and Highways Act", mit dem den Au- tomobilisten die Freiheit der Straße gewährt wurde: endlich durfte man öffentliche Straßen benutzen, ohne daß ein Mann mit einer roten Warnflagge dem Fahrzeug vorauszugehen hatte!

Anläßlich des Inkrafttretens die- ses Gesetzes machten sich dem automobilistischen Fort- schritt verschworene Briten am 14. November 1896 mit ihren Fahrzeugen

auf den langen Weg nach Brighton, immerhin an- die 53 Meilen

Landstraße mit zahlreichen Stei- gungsstrecken vor sich. Diese Jubelfahrt hatte aber auch einen ernsten Hintergrund. Sie sollte der britischen Öffentlichkeit, Neuerungen gegenüber wie im- mer skeptisch, ein für alle Mal beweisen, daß den „pferdelosen Kutschen" die Zukunft gehöre.

Den Teilnehmern wurde denn auch dringend ans

Herz gelegt, daß „Au- tomobile in England im Versuchsstadium seien und daß jede Unbesonnen- heit oder

Der Tag, an dem die rote Flagge fiel

London to Brighton Veteran Car Run

Joachim Knuf

aufmerksamkeit der Industrie in diesem Lande schaden könne."

Disqualifikation ab 20 Meilen Höchstgeschwindigkeit

An dieser ersten Fahrt nach Brighton nahmen 39 Automobile teil, von denen immerhin 14 auch dort ankamen. Es wird allerdings gemun-

kelt, ein Wagen habe die Reise -• mit der

Dabeisein ist alles.

Den, Spaß, in einem Pope-Toledo (Baujahr 1903) zu sit- zen, kann auch der englische Regen nicht verderben;

Fotos (2):

Joachim Knuf

Ausgabe A 81. Jahrgang Heft 43 vom 24. Oktober 1984 (79) 3177

(2)

Die Tradition gängelt das Tempolimit, denn es schickt sich für die Helden im Napoleon von 1903, pünktlich zur Teezeit in Brighton zu sein

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Veteranen-Rallye

Bahn gemacht, und er sei erst kurz vor dem Ziel sorgfältig von Hand eingeschmutzt worden.

Wollte da ein Gentleman unbe- dingt eine Wette gewinnen?

Bis 1902 wurden diese sog.

„Emanzipationsfahrten" fortge- setzt, wobei man neben Brigh- ton auch Richmond, Southsea und Oxford anfuhr. Dann ent- stand eine lange Pause bis 1927, doch seit 1930 werden die Fahr- ten, nur durch den Krieg unter- brochen, jährlich vom RAC, Großbritanniens ältestem Auto- mobilclub, veranstaltet.

Der „Brighton Run" ist übrigens alles andere als eine Wettfahrt.

Vielmehr handelt es sich um ei- nen gemütlichen Ausflug unter Freunden, dessen Ablauf per- fekt geregelt ist. Abfahrt ist je- weils am ersten Novembersonn- tag, dieses Jahr also am 4. No- vember 1984, morgens zwi- schen 8 und 9 Uhr im Londoner Hyde Park, und die begehrten Teilnehmerplaketten gibt es für alle Fahrzeuge, die bis 16 Uhr die Promenade von Brighton er- reicht haben. Schieben und so- gar Blümchenpflücken während der Fahrt sind ausdrücklich er- laubt, Muskelkraft an den vielen Steigungen auch regelmäßig vonnöten.

Nicht gestattet ist hingegen ein Überschreiten der Höchstge- schwindigkeit von 20 Meilen in der Stunde: wer zu früh an der Küste ankommt, wird gnadenlos disqualifiziert.

Teilnahmeberechtigt sind nur wirklich alte Veteranen, die alle vor 1905 gebaut sein müssen.

Trotzdem finden sich Jahr für Jahr mehr Enthusiasten an der Start- und auch der Ziellinie ein;

vor zwei Jahren waren es schon 353 Fahrzeuge, von denen viele aus dem Ausland kamen. Den größten Teil des Auslandskon- tingents aus neun Nationen stellte wie immer die USA, ge- folgt von den Commonwealth- Staaten Australien und Neusee-

land. Aber natürlich sind auch jedes Jahr wieder deutsche Mel- dungen zu verzeichnen.

Pferde in Reserve

1982 war ein Lutzmann, Baujahr 1896, der langsamste Wagen. Er kam aus Berlin nach London an den Start, und zwar schon zum dreißigsten Mal. Leider aber sprang er zweimal gar nicht erst an und blieb dann in acht weite- ren Fahrten auf der Strecke lie-

gen. Für solche Fälle ist dieser Typ gerüstet. Der Lutzmann ist die einzige noch existierende

„pferdelose Kutsche": an der Vorderachse finden sich für ge- rade solche Notfälle nämlich Deichselhalterungen!

Die jährliche Fahrt von London nach Brighton, die jedesmal et- wa zwei Millionen Zuschauer an die Strecke lockt, ist im übrigen ein Festtag für die königstreuen Briten. Seit 1977 nimmt Prinz Michael von Kent, der Präsident 3178 (80) Heft 43 vom 24. Oktober 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

(3)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Veteranen-Rallye FEUILLETON

des RAC, an ihr teil. Sein Tem- perament wird er allerdings et- was zügeln müssen, war er doch früher ein international bekann- ter Rallyefahrer. Besondere Hö- hepunkte in der Geschichte die- ser Emanzipationsfahrt waren die Jahre 1956 und 1971. 1956, zur 60-Jahr-Feier dieses Ereig-

nisses, wurde eine große Parade auf der Uferpromenade von Brighton veranstaltet, angeführt vom damaligen Präsidenten des RAC in seinem Benz von 1901.

Ihm voran ging ein Mann mit ei- ner roten Flagge, die dann am Ende der Parade zeremoniell verbrannt wurde. Erinnerung an den Earl von Winchilsea, der diesen symbolischen Akt vor Be- ginn der ersten Fahrt im Jahre 1896 ausführte und an einen er- hebenden Augenblick in der Au- tomobilgeschichte.

1971 meldete Königin Elisabeth II., die Patronin des RAC, erst- mals einen 70 Jahre alten Daim- ler an, den ihr Vater, König Ge- orge VI., gefahren hatte. Es wird sich hierbei wohl um ein gut ge- pflegtes Garagenfahrzeug han- deln, das zur Enttäuschung ihrer Untertanen zu diesem Anlaß je- doch nicht von königlicher Hand gesteuert wurde.

Um also auf die Traditionsliebe der Briten zurückzukommen:

solche Nationalstereotype sind zwar mit Vorsicht zu genießen, aber immer wieder unausweich- lich. Oldtimer fahren tatsächlich noch im täglichen Verkehr auf Englands Straßen, von keinem TÜV behelligt. Und wenn der Wagen vom Großvater noch funktioniert, gibt es eigentlich keinen vernünftigen Grund, sich schon wieder einen neuen anzu- schaffen! Energiekrisen hin oder her — man kann sicher sein, daß der „Brighton Run" auch in den kommenden Jahren kaum an Attraktivität einbüßen wird.

Anschrift des Verfassers:

Joachim Knuf

Luth.-Kirch-Straße 61-63 4150 Krefeld 1

Die

Verwandlung des

Leutnants Calley

Beispiel einer

ethnopsychoanalytischen Betrachtung

Paul Parin

A

m Werdegang des ameri- kanischen Leutnants Cal- ley kann relativ einfach gezeigt werden, wie sich gesell- schaftliche Verhältnisse in seeli- sche Veränderungen umsetzen.

Die gesellschaftlichen Verhält- nisse sind so extrem, daß auch der Unbeteiligte ohne weiteres einsehen kann, daß sie nicht oh- ne Schaden ertragen werden können. Die psychischen Folgen sind dementsprechend auffällig und schwerwiegend. Das

„Nachspüren", von dem Jacoby spricht, beschränkt sich auf den Prozeß der Umsetzung gesell- schaftlicher Vorgänge in psychi- sche, auf die eigentliche Aufga- be der Psychoanalyse.

Leutnant Calley ist der amerika- nische Offizier, der mit seinen Leuten am 16. März 1968 in ei- nem unerhörten Massaker alle Bewohner des Dorfes My Lai 4, Frauen und Männer, Kinder und Greise getötet hat. Er wurde später in den Vereinigten Staa- ten vor ein Militärgericht gestellt und verurteilt. Als er auf das Ge- richtsverfahren wartete, erzähl- te er seine Geschichte, hundert Tage lang als Antwort auf etwa 1000 Fragen, dem Journalisten John Sack. Calley besprach 13 km Tonbänder. Er sprach gerne über sich, John Sack hat alles registriert und Auszüge aus den

Protokollen veröffentlicht. Diese Interviews ermöglichen eine dif- ferenzierte psychologische Ana- lyse, deren Gang ich hier nicht wiedergeben kann. Ich muß mich auf das Ergebnis be- schränken.

Der junge, intelligente und nicht unsensible Mann war bei seiner Aushebung zum Rekruten und während der Ausbildungszeit ei- nem außerordentlich starken, unausweichlichen und psycho- logisch lückenlos geplanten Druck ausgesetzt, der zum Ziel hatte, aus ihm einen guten Sol- daten und Offizier zu machen.

Das gelang so gut, daß er nach- träglich meinte, er hätte sich freiwillig zum Dienst in Vietnam gemeldet, während er in Wirk- lichkeit zwangsrekrutiert wor- den war. Während des Einsatzes in Vitnam kam zum gezielten Erziehungsprozeß noch einiges hinzu: eine große Unsicherheit, wer eigentlich der Feind war, den er zu bekämpfen hatte, so daß er es als Erleichterung emp- fand, als die Heeresleitung die Parole ausgab: Alle Vietname- sen sind VC, alle sind VietCong (und müssen demnach unschäd- lich gemacht werden). Auch war Calley nie sicher, ob seine Ka- meraden und Soldaten ihn ak- zeptieren würden. Dies war für

ihn um so wichtiger, als er mo- natelang unter dem Einfluß ei- ner zunehmenden Angst lebte.

Diese durchaus berechtigte Angst führte schließlich an je-

nem entscheidenden Tag des Massakers dazu, daß er sich in Ratlosigkeit und Panik an seinen vorgesetzten Offizier, den Hauptmann Medina, wandte. Als dieser, der selber verwirrt und unsicher war, ihm keinen Befehl gab, sondern sagte: „Tun Sie, was Sie wollen", schlug diese Angst in jene amokartige Rase- rei um, in der er begann, alles Lebende in My Lai zu vernich- ten, und seiner Kompanie den Befehl dazu gab.

Vorher waren wichtige Verände- rungen in ihm vorgegangen.

3180 (82) Heft 43 vom 24. Oktober 1984 81. Jahrgang Ausgabe A

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Dabei beschränkt der Autor seine Analyse nicht auf eine bestimmte Res- source, eine Region oder ein Land, sondern bietet einen Überblick über gegenwärtige

Aber vielleicht beschleunigt sich auch unse- re Einsicht, wenn wir merken, daß es ans Portemonnaie geht, denn längst ist nicht nur der Honorartopf der Kas- senärzte gedeckelt..

Aufforstung kann die biologische Vielfalt nicht vollständig schützen, wenn wir weiterhin fossile Brennstoffe fördern und verbrennen, die den Planeten immer mehr erhitzen und

am ersten Tag Ausflüge durch die masurische Seenplatte, über Allenstein — Hohenstein —Nei- denburg — Orteisburg und zurück nach Sensburg unternommen. Juni, ist ein Aus- flug

standen. Viertausend Tilsiter Käse mußten im Molkereikeller zurückgelassen werden. Seine Flucht ging über Labiau nach Brauns- berg, wobei die Fuhrwerke unterwegs durch

Dieses Ge- denken soll uns aber nicht nur a n den Tod, sondern weit darüber hinaus zu seinem Höhe- punkt i n der christlichen Hoffung führen, daß unsere Toten nicht für ewig

] als Fein- de der Regierungen; der Ruhe und Ordnung, wie als Träger der Leidenschaften der Revolution sich ouszeichneten.« 4 Ihre Verfolgung durch die

Das Bundesinstitut für gesundheitlichen Verbraucherschutz und Veterinärme- dizin äußerte jedoch „erhebliche Be- denken”, dass das Melatonin auch über die Haut ins Blut