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DIE UNESCO UND IHR PROJEKT ÜBER DEN "DIALOG DER KULTUREN"
(Reformbestrebungen der Orientalistik) Von Paul Harb, Iserlohn
Während des 29. internationalen Orientalistentages in Paris 1973 zeigte
sich eine Strömung, die ihre Unzufriedenheit mit der Orientierung der bis¬
herigen "Orientalistik" zum Ausdruck brachte. Trotz des Erfolges dieser
internationalen kulturellen Veranstaltung - über 5.000 Teilnehmer - hatte
man den Eindruck, daß die klassische "Orientalistik" ihre letzten Stunden
in Paris erlebte. Die Entscheidung in der Schlußsitzung des Kongresses, den
"Orientalistentag" umzubenennen, zeigte diese Tendenz deutlich. Aber ge¬
nügt es, eine Tagung umzubenennen, um den Geist einer mehrere hundert
Jahre alten Institution zu ändern ? Zahlreiche Professoren aus verschieden¬
en Ländern waren sich darüber nicht im klaren. Deshalb traf sich eine Grup¬
pe von Teilnehmern des Kongreßes in Paris. Sie wollten ihre Bemühungen
koordinieren, um neue Orientierungsmöglichkeiten für die Anpassung der
Orientalistik an den "Dialog der Kulturen" zu finden, dessen Notwendigkeit
immer deutlicher wird.
Als die Unesco von dieser Bewegung informiert wurde, zeigte sie daran
ein grosses Interesse. Der Generaldirektor und sein Stellvertreter nahmen
an den Treffen teil und sprachen die volle Unterstützung dieser internatio¬
nalen kulturellen Organisation aus.
Es blieb aber nicht nur bei allgemeinen Glückwünschen. Als die Profes¬
sorengruppe sich entschlossen hatte, ein "Colloque preparatoire" vom 3.
bis 8. April dieses Jahres an der Universität Skopje in Jugoslavien zu or¬
ganisieren, übernahm die Unesco die Schirmherrschaft dieses Treffens und
beauftragte zusätzlich Experten, den Ablauf der orientalischen Studien wäh¬
rend der letzten zwei Jahrhunderte zu analysieren. Diese Untersuchungen
führten zu den folgenden Ergebnissen:
a) Die Orientalistik ist aus einer Wissbegier des Abendlandes entstanden,
die fremden Kulturen kennenzulernen. Diese war für die Humanisten, de¬
ren geograpische Entdeckung ihre Imagination reizten, ein rein intellektuel¬
ler Genuss. Die Philosophen des 18. Jahrhunderts gingen in die weitentfern¬
ten Regionen des fernen Orients, um dort an utopischen Modellen ihre Kri¬
tik an den politischen Systemen ihrer eigenen Länder herausmodellieren zu
können.
b) Der intellektuellen Genuss der Humanisten und die philosophischen Be¬
trachtungen der Regimekritiker waren aber doch harmlos im Vergleich zu
den Kolonialinteressen der abendländischen Mächte, die Religion und Wis¬
senschaft für ihre politischen und merkantilen Zwecke benutzten. Die Er¬
forschung des "Orients" hat sich im XIX. Jahrhundert in die imperialisti¬
sche Politik des "Abendlandes" integriert und wurde vor allem ein Mittel der
wirtschaftlichen, politischen und kulturellen Expansion der europäischen
Länder.
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c) Indem der abendländische Imperialismus das Gefühl der Überlegenheit
Europas verstärkte, gab es den Europäern die Uberzeugung, daß "sich Orient
und Okzident niemals begegnen könnten". Was man von den Orientalisten er¬
wartete, so meinen die Unesco-Experten, war einfach eine Beschreibung die¬
ser "seltsamen Länder", "exotischen Kulturen" und "wunderlichenReligionen"
als unterentwickelte Formen eines abendländischen Wahrheitsmonopols.
d) Aber als sich Japan 1868 plötzlich auf die internationale Scene drängte
und seine Entschlossenheit zeigte, mit den abendländischen Mächten paritä¬
tisch und mit denselben Methoden zu verhandeln, wurde große Empörung im
Abendland ausgelöst. Das Problem war aber zur Diskussion gestellt, und
viele Orientalisten begannen, nachdenklich zu werden. Nicht umsonst wurde
der erste Orientalistentag 1873 in Paris von dem Japanologen Leon de Rosny
zusammengerufen. Das Unbehagen der Orientalistik begann bereits 1873 in
Paris. Danach wurde das Bewußtsein über die Notwendigkeit von Reformen
in der Orientalistik immer größer. Obwohl zahlreiche Fachwissenschaftler
des Orients seit langem neue Betrachtungsweisen und Methoden auszuarbei¬
ten versuchten, blieb die Struktur der Orientalistik doch an den abendländi¬
schen Universitäten fast unverändert.
Diese Ablehnung der klassischen Orientalistik, sich den kulturellen Pro¬
blemen der modernen Welt anzupassen, gab der Unesco den Anlass, auf dem
Gebiet entscheidend zu intervenieren und an dem Colloquium von Skopje teil¬
zunehmen. Die folgenden Themen wurden in der maJtedonischen Universität
diskutiert:
1. Definition der "Kulturgebiete".
2. Analyse der Relationen zwischen den Kulturgebieten in der Vergangenheit.
3. Die Erforschung von neuen Relationen.
4. Die praktischen Mittel für einen effektiven Dialog zwischen den Kulturen.
Die Teilnehmer des Treffens von Skopje stellten fest, daß der Eintritt der
Mehrheit der Weltbevölkerung in die Modernität tiefe Veränderungen mit
sich brachte. Denn die Zahl der aus dem Orient stammenden Orientalisten
wurde immer größer. Der Begriff "wissenschaftliche Objektivität" abend¬
ländischer Prägung wurde bestritten und relativisiert.
Die Unesco ist der Meinung, daß die Zeit gekommen ist, die verschiede¬
nen Kulturen der Menschheit, einschließlich der abendländischen, in eine
neue Betrachtungsweise einzubeziehen, die die Merkmale jeder Kultur be¬
wahren soll, um gemeinsam ihre Zukunft bauen zu können. Die Orientalistik
soll einen neuen Inhalt bekommen.
DieHegemonialtendenzder Orientalistik muß beendet werden. Auch sollte
die Selbsterkenntnis jeder Kultur gefördert und die Vorurteile, die das Bild
der orientalischen Kulturen verfälscht haben, beseitigt werden. Man sollte
mehr Kontakte zwischen den verschiedenen Völkern pflegen. Hier bei haben
die Massenmedien eine wichtige Aufgabe, daß zu übernehmen. Die Experten
der Unesco vertreten die Ansicht, daß der reine "Stubengelehrte" seinen
großen Einflußbereich zugunsten moderner Aspekte der Orientalistik ein¬
schränken muß. Der Orientalist wird in Zukunft ein "Fachmann des Aus-
tauches" sein.
In ihrem Schlußbericht haben die Experten der Unesco folgende Empfeh¬
lungen an die internationalen kulturellen Organisationen gegeben:
1. Die Integration der fremden Kulturen in die nationalen Schulprogramme.
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2. Die Begründung eines internationalen Zentrums, dessen Aufgabe die Zen¬
tralisierung der Informationen über die orientalischen Kulturen und ihren Aus
tausch zwischen den Spezialisten sein soll.
3. die Verbilligung der Fachbücher und bessere Kontakte zu den Massenme¬
dien, um die Forschungsergebnisse auch der Allgemeinheit zugänglich zu
machen.
4. Die Gründung einer Gesellschaft, deren Aufgabe es sein soll, den Geist
und die Ziele des Colloquiums von Skopje fortzusetzen.
Der Schlussbericht von Skopje wird als Unterlage benutzt, um konkrete
Vorschläge und Empfehlungen an den 30. internationalen Tag für Human¬
wissenschaften (ehemaligen internationalen Orientalistentag) in Mexico 1976
zu überreichen.
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WEIN UND WEINKONSUM IN 1001 NACHT
Von Peter Heine, Münster
Die Sammlung der Märchen aus 1001 Nacht ist nicht nur ein Werk, in dem
"kühnste Geistigkeit und vollkommenste Sinnlichkeit in eins verwoben" (l) ist,
sondern auch ein Spiegelbild der mittelalterlichen islamischen Gesellschaft
mit ihren Vergnügen, Abenteuern, Träumen, Ängsten und Obsessionen. Es
vermittelt uns eine Anschauung der Phantasie dieser Gesellschaft, aber nicht
nur der Phantasie, sondern auch ihrer Realität. Erscheinen manche Geschich¬
ten auch als unwahrscheinlich, so entsprechen Einzelheiten darin doch der
Wirklichkeit der Erzähler und Zuhörer. Die Kongruenz ist vor allem dort vor¬
handen, wo es um Kleinigkeiten geht, um Vorgänge des täglichen Lebens, die
in ihrer Selbstverständlichkeit, ihrer Realitätsnähe, das Außerordentliche der
phantastischen Handlung noch unterstreichen.
Fragen zum Wein und Weinkonsum möchte ich zu diesen Einzelheiten zäh¬
len. Die Sammlung erhält durch sie einen gewissen Quellenwert für eine Dar¬
stellung des Weins im islamischen Mittelalter. Da die Erzählungen in der Mehr¬
zahl die Beziehungen zwischen Personen darstellen, steht der soziale As¬
pekt auch in bezug auf den Wein im Vordergrund. Während Anbau und Produk¬
tion des Weins, selbst der Handel mit ihm nur unzureichend erwähnt werden,
spielt die Darstellung des Konsums in vielen Einzelheiten und seine Wirkung
eine große Rolle. In diesem Zusammenhang fällt auf, daß die koranischen Sank¬
tionen des Weingenusses zwar registriet worden sind, aber in den Handlungen
kaum ihren Niederschlag finden. Zwar geraten Personen in Folge des Wein¬
genusses in Schwierigkeiten und ins Unglück, zwar werden Ermahnungen und
Argumente gegen den Wein angeführt, in der Mehrzahl der Fälle jedoch ist
der Weingenuß durchaus etwas Selbstverständliches, das den Zuhörern gegen¬
über auch keiner näheren Erklärung oder Entschuldigung bedarf.
Wenn auch der soziale Aspekt des Weins im Vordergrund der Daten aus
1001 Nacht steht, gibt es doch die eine oder andere Angabe zum Anbau
und zur Produktion des Getränkes. So erfahren wir in der Geschichte von
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'Ala ad-Din AbT s-Sämät von der Existenz von Weinpflanzungen in der Umge¬
bung von Bagdad (2), ein Faktum, das durch eine Vielzahl anderer unterschied¬
licher Quellen bestätigt wird. Der Besitz von Weinbergen ist auch in 1001 Nacht
ein Zeichen von Wohlhabenheit (3). Vom Aussehen dieser Weingärten erhalten
wir keine ausführlichen Angaben. Wir erfahren lediglich, daß sie mit Mauern
zum Schutz gegen wilde Tiere umgeben waren, eine Tatsache, die Dalman für
die jüngste Vergangenheit ebenso beschrieben hat (4). Wir hören auch, daß die
Reben über Gitter gespannt waren (5). In den Erzählungen von Sindbad, dem
Seefahrer oder anderen Handelsreisenden ist ebenfalls von der Existenz von
Weinstöcken die Rede (6). Hier kann man sich allerdings fragen, ob Reisende
wirklich auf Weinstöcke auf den Inseln des Indischen Ozeans gestoßen sind.
Klimatische und hortikulturelle Erkenntnisse lassen sie jedenfalls fraglich
erscheinen.