F
SEKTION IV: CHRISTLICHER ORIENT UND BYZANZ
SEKTIONSLEITER: F. VON LILIENFELD
ZUM GOTTESBEGRIFF DES TRACTATUS TRIPARTITUS (Nag Hammadi 1,4)
von Alexander Böhlig, Tübingen
Die Nag-Hammadi-Schrift 1,4 befaßt sich in ihrem ersten Teil mit der jenseitigen Welt; dieser Teil (p. 51-104) wird deshalb auch mit „de supernis" bezeichnet. Da¬
von wiederum der Anfang behandelt die präexistente und transzendente Trinität.
Der Charakter des christlich-gnöstischen Denkens hat sie ganz bezeichnend geprägt.
Zugleich wird versucht, mit logischen Schlüssen das, was man eigentlich nicht er¬
schließen kann, herauszuarbeiten. Der Verfasser ist sich allerdings dessen bewußt,
daß er abhängig ist von der Gnade Gottes, die ihm überhaupt erst Erkenntnis er¬
möglicht. Er kommt hier dem credo, ut intellegam des Augustin sehr nahe.
Im Gegensatz zu anderen gnostischen Texten handelt es sich bei dieser Trinität
nicht um eine solche von Vater, Mutter und Sohn, sondern um eine solche, die der
christlichen Trinität Gott - Sohn - Geist entspricht; nur tritt an die Stelle des Gei¬
stes die präexistente Kirche, bei deren Erwähnung allerdings auch einmal ein Hin¬
weis auf die Kirche der Menschheit erscheint (58,29 f.). In der Schilderung nimmt
die des Vaters den weitaus größten Raum ein. Es muß erst herausgesteUt werden,
daß unser Vater-Begriff deshalb nicht der eigentlichen Vater-Vorstellung entspricht, wie sie der Verfasser fordert; denn ein weltlicher Vater hat nicht nur Kinder, son¬
dern auch selber einen Vater; der präexistente Vater dagegen hat keinen Vater. Er
ist anfanglos und endlos, von da aus unübertrefflich in seinen Qualitäten, so daß er die höchste Qualität wird. Als mangellos Guter ist er „vollkommen voll", „er ist das AU", so daß er aUes in allem ist. Dadurch übersteigt er unser Begriffsvermögen, und wir können ihn nur mit einer negativen Beschreibung erfassen. Ja, er kennt sich nur aUein. Er kann aber Erkenntnis vermitteln. Er ist auch Schöpfer in sich selber, hier
wird der Vergleich von der Einheit von Wurzel und Früchten eines Baumes heran¬
gezogen. Insofern ist der Sohn zwar ein Sohn, besitzt gleichzeitig aber alle Qualitä¬
ten des Vaters, ist also auch als Erstgeborener und Einziggeborener anfanglos und
endlos. Er ist der Erstgeborene, weh es keinen vor ihm gibt, und zugleich der Einzig¬
geborene, weil es keinen nach ihm gibt. Aber „nicht nur der Sohn ist von Anfang an da, sondern auch die Kirche ist von Anfang an da" (57,33ff.). Sie stammt aus dem Überschuß, der als Gottes Neidlosigkeit bezeichnet wird. Auch die Kirche befindet sich in Gott. So wie der Sohn Sohn des Vaters ist, so ist die Kirche Bruder des Soh¬
nes und der Sohn sich damit selbst Bmder. Mythologisch wird die Entstehung der
Kirche aus dem Überschuß des Küssens zwischen Vater und Sohn erklärt.
Der Gedanke der präexistenten Kirche ist der ältesten Kirche durchaus nicht
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen
1^
144 Alexander Böhlig
fremd; er findet sich z.B. 2. Clem. 14,1 oder Hirt des Hermas, vis. 2,4,1, auch Cle¬
mens Alexandrinus, Strom. IV 49. Eine solche Vorstellung geht darauf zurück, daß
die Kirche im Alten Testament als Versammlung Gottes angesehen wird und für das
spätere Judentum und Christentum in eine mythische Vergangenheit gerückt ist,
zugleich aber auch eine eschatologische Größe darstellt. Von hier aus liegt die Vor¬
verlegung in den Himmel nahe, ebenso wie vom Urbild-AbbUd-Schema des Platonis-
mus. In den Dauteropaulinen wird das Problem Vater — Sohn — Kirche oder haupt¬
sächlich Christus und die Kirche für die Kirche insgesamt behandelt; im Kolosser- brief wird der präexistente Christus als das Haupt des Leibes der Kirche angesehen, im Epheserbrief wird die vorweltliche Erwählung der Gläubigen in Christus, der das Haupt der Kirche ist, die sein Leib ist, erwähnt, zugleich Christus als das von Ewig¬
keit in Gott verborgene Geheünnis und das Verhältnis von Christus und Kirche als
Mysterium bezeichnet. Man möchte annehmen, daß der Verfasser von Nag Ham¬
madi 1,4 von solchen Stellen mit angeregt war und ein System schaffen wollte.
•
NESTORIANISCHE KOMMENTARE ZU DEN PAULUSBRIEFEN
AN DER WENDE VOM 8. ZUM 9. JAHRHUNDERT*
von Lutz Brade, Hagen
Z.Z.wird von drei nestorianischen Theologen gesprochen, die an der Wende vom
8. zum 9. Jahrhundert die Bibel, dJi. speziell die Paulusbriefe auslegten*.
Nach Assemani' verfaßte ThbK ein Scholienbuch, eine Kirchengeschichte, In¬
struktionen für Asketen und Grabreden. Nach einem Eintrag in zwei von z.Z. sechs
zugänglichen Handschriften* wurde das Scholienbuch im Jahre 791 jl n.Chr. verfaßt.
In einer Handschrift ist vermerkt, daß sie im Jahre 802 n.Chr. entstanden ist'. Diese
Angabe wurde von mir bei einer Arbeit über ThbK gefunden. Auf sie wie die gen.
Explizite stützt sich die Datierung des ThbK. Mit diesen Ausführungen und dem
Zusatz, daß ThbK im Lande Kaschkar gewirkt hat, sind gegenwärtig die Kenntnisse über das Leben und Werk des ThbK erschöpft.
Über das Leben und Werk des IbN kann bei E. G. Clarke nachgelesen werden. In
diesem Zusammenhang interessiert, daß IbN im Jahre 828 n.Chr. im achtzigsten
Lebensjahr starb , „Fragen zum gesamten Text der Bibel in zwei Teilen"* formulier¬
te, die in einer Handschrift in Cambridge vorliegen. Über die Abfassungszeit dieses Werkes wie auch der übrigen literarischen Zeugnisse des IbN können keine konkre¬
ten Angaben gemacht werden.
Vergleichbar spärlich wie zu ThbK fallen die Arüialtspunkte zur Datierung von
IvM aus. E. G. Clarke führt aus: „We know next to nothing about his hfe. Mari ibn
Matta record the fact that after the death of the Catholicus Abraham II. who died
on September 16, 850 A.D., Ishodad was one of the candidates for the patriarchal
throne. His election was successfully obstmcted by the powerful physician Bokhi-
sho"'.
1 Die Veröffentlichung des vollständigen Aufsatzes einschließlich des zetematischen Kom¬
mentars des Isho bar Nun zu den Paulinen ist im Verlag O. Hanassowitz vorgesehen.
2 Vgl. E. G. Clarke, The selected questions of Isho bar Nun on the Pentateuch. Studia Post Bibhca V, Leiden 1962; zitiert Clarke mit Seitenangabe. Ich nenne Theodoros bar Konai (ThbK), Isho bar Nun (IbN) und Ishodad von Merv (IvM).
3 J. S. Assemani, Bibliotheca Orientalis Qementino-Vaticana, Bd. 111,1, Rom 1728, S. 198f.;
vgl. L. Brade, Untersuchungen zum SchoUenbuch des Theodoros bar Konai, GOF 1,8, Wies¬
baden 1975; zitiert Brade mit Seitenangabe.
4 J. Assfalg, Syrische Handschriften. Verzeichnis der orientalischen Handschriften in Deutschland V, Wiesbaden 1963.
5 Vgl. Brade, a.a.O. S. 20 f.
6 Clarke, a.a.O. S. 3.
7 Clarke, a.a.O. S. 13.
XX. Deutscher Orientalistentag 1977 in Erlangen