• Keine Ergebnisse gefunden

DEUTSCHEN HANDWERKS E. V. ARBEITGEBERVERBÄNDE E. V. Mohrenstr. 20/21 Breite Str Berlin Berlin

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "DEUTSCHEN HANDWERKS E. V. ARBEITGEBERVERBÄNDE E. V. Mohrenstr. 20/21 Breite Str Berlin Berlin"

Copied!
10
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

1/3

DEUTSCHER INDUSTRIE- UND BUNDESVERBAND DER DEUTSCHEN

HANDELSKAMMERTAG E. V. INDUSTRIE E. V.

Breite Str. 29 Breite Str. 29

10178 Berlin 10178 Berlin

ZENTRALVERBAND DES BUNDESVEREINIGUNG DER DEUTSCHEN

DEUTSCHEN HANDWERKS E. V. ARBEITGEBERVERBÄNDE E. V.

Mohrenstr. 20/21 Breite Str. 29

10117 Berlin 10178 Berlin

BUNDESVERBAND DEUTSCHER GESAMTVERBAND DER DEUTSCHEN

BANKEN E. V. VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT E. V.

Burgstr. 28 Wilhelmstr. 43/43G

10178 Berlin 10117 Berlin

HANDELSVERBAND DEUTSCHLAND (HDE) E. V. BUNDESVERBAND GROSSHANDEL,

Am Weidendamm 1A AUSSENHANDEL, DIENSTLEISTUNGEN E. V.

10117 Berlin Am Weidendamm 1A

10117 Berlin

Frau MDin Tanja Mildenberger Leiterin Abteilung III

Bundesministerium der Finanzen 11016 Berlin

Per E-Mail: Tanja.Mildenberger@bmf.bund.de

17. Dezember 2021

Keine Anwendung der Vollverzinsung bei der Umsatzsteuer

Sehr geehrte Frau Mildenberger,

aufgrund des Urteils des Bundesverfassungsgericht zu § 233a in Verbindung mit § 238 Abs. 1 Satz 1 AO muss der Gesetzgeber die Zinsregelung des § 233a AO überarbeiten. Diese Gele- genheit sollte genutzt werden, die Problematik der Vollverzinsung bei der Umsatzsteuer von Grund auf zu lösen. Die Vollverzinsungsregeln werfen bei der Umsatzsteuer Fragen der sachli- chen Angemessenheit und Unionsrechtskonformität auf, die konsequent nur durch Heraus- nahme der Umsatzsteuer aus dem Anwendungsbereich des § 233a AO gelöst werden könnten.

Die Streichung der Umsatzsteuer in den entsprechenden Regelungen würde zudem eine erheb- liche Vereinfachung bei der Steuerfestsetzung bedeuten: Damit würde auch eine Vielzahl von Rechtsbehelfsverfahren entfallen. Das entspräche dem Ziel der neuen Bundesregierung, Steu- erbürokratie spürbar zu verringern.

(2)

2/3

Die Zinsregelungen des § 233a AO widersprechen im Bereich der Umsatzsteuer dem Unions- recht. Zum einen, weil ihre Festsetzung nicht von einer im Rahmen einer Gesamtbetrachtung zu ermittelnden Minderung des Steueraufkommens abhängt. Zum anderen, weil bei der Fest- setzung nicht berücksichtigt wird, ob ein Verschulden des Steuerpflichtigen vorliegt oder nicht.

Die Verzinsung stellt in isolierender Betrachtung allein auf eine eventuell zugeflossene Liquidität im Steuerschuldverhältnis ab. Hierbei wird nicht beachtet, dass durch unterschiedliche Entste- hungszeitpunkte von Steueransprüchen und -verbindlichkeiten Zinsen im Regelfall zu Lasten der Steuerpflichtigen entstehen bzw. dass andere Effekte, die durch eine geänderte Beurteilung steuerlicher Sachverhalte entstehen, eventuelle Liquiditätsvorteile (über -)kompensieren. Häufig entstehen unterm Strich bei den Steuerpflichtigen keine Liquiditätsvorteile, die es „abzuschöp- fen“ gilt.

Da die Liquiditätswirkung nach der Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs in der Ge- samtwirkung zu betrachten ist, erlangt die Verzinsung im Bereich der Umsatzsteuer eine äußerst hohe Komplexität und ist damit extrem streitanfällig. Rechtssichere Zinsfestsetzungen sind in vielen Fällen kaum möglich.

Dem stünde im Zweifel bei einem gem. den Vorgaben des BVerfG abgesenkten Zinssatz allen- falls ein geringes Aufkommen des Fiskus gegenüber. Es würde sich die Frage stellen, ob der hohe Aufwand für Verwaltung und Wirtschaft, der sich aus den Zinsfestsetzungen und den hie- raus resultierenden vielfältigen Rechtsbehelfsverfahren ergibt, noch Sinn macht.

Zudem wird in anderen Ländern, wie z. B. Österreich, bei der Umsatzsteuer bewusst auf eine Vollverzinsung verzichtet. Insofern entsteht durch die abweichenden Regelungen in Deutsch- land auch ein Wettbewerbsnachteil für die hiesigen Unternehmen. Es wird daher vorgeschlagen, die Umsatzsteuer aus den Vorschriften über die Verzinsung herauszunehmen.

Da der Gesetzgeber die Zinsregelungen ohnehin überarbeiten muss, wäre dies ein günstiger Zeitpunkt für die unionsrechtskonforme Gestaltung. Die Streichung der Umsatzsteuer in den entsprechenden Regelungen würde eine erhebliche Vereinfachung bei der Steuerfestsetzung bedeuten und eine Vielzahl von Verfahren obsolet machen. Dies würde auch für die Finanzver- waltung zu erheblichen Einsparungen führen.

Für Rückfragen stehen wir Ihnen gern zur Verfügung.

Mit freundlichen Grüßen

(3)

3/3

DEUTSCHER INDUSTRIE- UND BUNDESVERBAND

HANDELSKAMMERTAG E. V. DER DEUTSCHEN INDUSTRIE E. V.

Dr. Rainer Kambeck Dr. Monika Wünnemann

ZENTRALVERBAND DES DEUTSCHEN BUNDESVEREINIGUNG DER DEUTSCHEN

HANDWERKS E. V. ARBEITGEBERVERBÄNDE E. V.

Carsten Rothbart Renate Hornung-Draus

BUNDESVERBAND DEUTSCHER GESAMTVERBAND DER DEUTSCHEN

BANKEN E. V. VERSICHERUNGSWIRTSCHAFT E. V.

Joachim Dahm Sabine Weber Dr. Volker Landwehr Markus Kunz

HANDELSVERBAND DEUTSCHLAND BUNDESVERBAND GROSSHANDEL,

(HDE) E.V. AUSSENHANDEL, DIENSTLEISTUNGEN E. V.

Ralph Brügelmann Michael Alber

(4)

DIHK BDI ZDH BDA BdB GDV HDE BGA Eingabe zur Vollverzinsung in der Umsatzsteuer

vom 17. Dezember 2021

1/7

Unsere Forderung, die Umsatzsteuer aus den Regelungen zur Vollverzinsung herauszu- nehmen, basiert im Wesentlichen auf den folgenden Überlegungen:

1. Neutralität der Umsatzsteuer – Keine Schädigung des Steueraufkommens Im zwischenunternehmerischen Bereich soll es nach der Systematik der Umsatzsteuer im Regelfall nicht zu Belastungen kommen. Der leistende Unternehmer hat als Steuerschuld- ner die Steuer an den Fiskus zu entrichten, wälzt sie aber – dem Prinzip der Mehrwertsteuer als Verbrauchsteuer folgend – auf den Leistungsempfänger ab. Dieser kann den Betrag der an den Leistenden zu zahlenden Steuer im Regelfall als Vorsteuer geltend machen. Das europäische Mehrwertsteuersystem gewährleistet auf diese Weise die Neutralität der Mehr- wertsteuer im zwischenunternehmerischen Bereich. Ob die Neutralität gewahrt ist, ist auf dem Wege einer Gesamtbetrachtung der steuerlichen Belastung aller Beteiligten zu ermit- teln.

Diese Neutralität ist aber z. B. dann nicht gewährleistet, wenn vom leistenden Unternehmer nachberechnete Umsatzsteuer verzinst wird. Zu einer solchen Nachberechnung kann es beispielsweise kommen, wenn der Leistende Umsätze als steuerfrei behandelt, einen zu niedrigen Steuersatz für anwendbar hält oder sich über die Person des Steuerschuldners irrt, sich diese Behandlung aber im Nachhinein als nicht zutreffend erweist. In diesem Fall führt das Auseinanderfallen des Fälligkeitszeitpunkts der vom Leistenden nachzuentrich- tenden Steuer (rückwirkend) und des Zeitpunkts, in dem der Leistungsempfänger nach Auf- fassung von nationaler Rechtsprechung und Verwaltung ggf. die Vorsteuer abziehen darf (nicht rückwirkend), bei Überschreiten der Karenzzeit zu einer Verzinsung zu Lasten der Unternehmer. Den Zinsen zu Lasten des Leistenden stehen nämlich keine Zinsen zu Guns- ten des Leistungsempfängers gegenüber. Der Verstoß gegen die Neutralität kann sich – wie der Europäische Gerichtshof (EuGH) im Fall Senatex aufgezeigt hat – auch aus den Zinsen ergeben.

Der EuGH betont in seiner Rechtsprechung (jüngst wieder in seinem Urteil vom 15. April 2021, C935/19 in der Rechtssache Grupa Warzywna) stets die Geltung der allgemeinen Grundsätze der Mehrwertsteuer (z. B. Grundsatz der Neutralität der Mehrwertsteuer und der Verhältnismäßigkeit) auch für steuerliche Nebenleistungen/Sanktionen, zu denen er auch die Verzinsung zählt. Diesen Grundsätzen trägt aber die Anwendung pauschaler Re- gelungen zur Zinsfestsetzung, wie in § 233a AO, ohne Berücksichtigung der steuerlichen Folgen bei allen Beteiligten keine Rechnung.

(5)

DIHK BDI ZDH BDA BdB GDV HDE BGA Eingabe zur Vollverzinsung in der Umsatzsteuer

vom 17. Dezember 2021

2/7

Bei Korrekturen von Steuerbeträgen i.S.d. § 14c UStG (z. B. bei irrtümlicher Behandlung von Umsätzen als steuerpflichtig bzw. bei Anwendung eines zu hohen Steuersatzes oder wenn der Leistende irrig für den Steuerschuldner gehalten wird) gilt das vorstehend Ge- sagte wegen des Auseinanderfallens des Zeitpunkts, in dem die Korrektur wirksam wird (nicht rückwirkend), und des Zeitpunkts, zu dem der Leistungsempfänger den Vorsteuerab- zug zu berichtigen hat (rückwirkend), entsprechend.

Die wirtschaftlichen Tätigkeiten der Beteiligten werden dadurch – dem mehrwertsteuerli- chen Neutralitätsgrundsatz widersprechend – mit einer aus der Umsatzsteuer resultieren- den Belastung belegt. Die Verzinsung widerspricht insoweit unionsrechtlichem Primärrecht.

2. Kein Liquiditätsvorteil der Steuerpflichtigen

Bei den Unternehmen entstehen in der Regel keine Liquiditätsvorteile; der EuGH spricht in diesem Zusammenhang von Bereicherung. Steuerbeträge, die der Leistende vom Leis- tungsempfänger vereinnahmt, führt er an den Fiskus ab. Der Leistungsempfänger zahlt die Beträge, die er als Vorsteuer geltend macht, an den Leistenden. Unabhängig davon, ob ein Umsatz irrtümlich als steuerpflichtig behandelt worden oder ob ein falscher Steuersatz zur Anwendung gekommen ist, stellt die Steuer bei den Beteiligten wirtschaftlich einen „durch- laufenden Posten“ dar. Sie sind nicht bereichert.

Gleiches gilt für Steuerbeträge, die der Leistende irrtümlich nicht an den Fiskus zahlt (z. B.

weil er seinen Umsatz für steuerfrei hält). Diese vereinnahmt er auch nicht vom Leistungs- empfänger. Zahlt der Leistungsempfänger mangels ausgewiesener Umsatzsteuer keinen Steuerbetrag an den Leistenden, kann er diese Steuer auch nicht als Vorsteuer abziehen.

Weder haben die Unternehmen also Liquiditätsvorteile noch kann im Regelfall – wegen der Korrespondenz von Umsatzsteuerschuld des Leistenden und Vorsteueranspru ch des Leis- tungsempfängers – im zwischenunternehmerischen Bereich eine Minderung des Steuerauf- kommens eintreten (vgl. oben 1.).

Auch der BFH hat bereits in einzelnen Entscheidungen anerkannt, dass die Unternehmen keinen Liquiditätsvorteil erlangen und deswegen bejaht, dass die festgesetzten Zinsen zu erlassen sind (BFH v. 26.9.2019 – V R 13/18; BFH v. 27.9.2018 – V R 32/16).

(6)

DIHK BDI ZDH BDA BdB GDV HDE BGA Eingabe zur Vollverzinsung in der Umsatzsteuer

vom 17. Dezember 2021

3/7

3. Auch lt. Bundesverfassungsgericht Berücksichtigung des Gesamtzusammen- hangs

Auch das Bundesverfassungsgericht hat in seinem Beschluss vom 8. Juli 2021 (Rz. 243), insbesondere bei den Ausführungen zu den Zinsen nach den §§ 234, 235 und 237 AO, nicht nur das einzelne Steuerschuldverhältnis (also die Beziehung zwische n Steuerpflichtigem und Finanzbehörde) berücksichtigt. Es stellte fest, Steuerpflichtige hätten bei diesen Zinsen die Option, die Steuerschuld zu tilgen und sich die erforderlichen Geldmittel zur Begleichung der Steuerschuld anderweitig zu beschaffen. Es werden also durchaus für die Beurteilung der Liquidität die Gesamtzusammenhänge und Alternativszenarien beachtet.

Mit diesen Ausführungen tritt das BVerfG mittelbar auch der (älteren) Auffassung des BFH entgegen, bei der Betrachtung des Liquiditätsvorteils sei nicht die Liquiditä t des Steuer- pflichtigen auf Grund seines vorschriftswidrigen Verhaltens mit der fiktiven Liquidit ät zu ver- gleichen, die er besessen hätte, wenn er sich vorschriftsgemäß verhalten hätte (BFH v.

24.2.2005 – V R 62/03).

4. Auswirkungen der Vorsteuern und anderer Faktoren auf die Bereicherung des leistenden Unternehmers

Fragen der Neutralität und Liquidität stellen sich auch im Zusammenhang mit ggf. vom Leis- tenden geltend gemachten bzw. nicht geltend gemachten Vorsteuerbeträgen.

Muss z. B. der leistende Unternehmer ausgangsseitig Steuerbeträge berichtigen, weil sich ein als steuerpflichtig behandelter Umsatz (gesonderter Umsatzsteuerausweis auf der Rechnung) später als steuerfrei herausstellt, sind die Auswirkungen auf seine Eingangs- leistungen entspr. § 15 Abs. 2 UStG zu berücksichtigen. Umsatzsteuer, die er an seine Lieferanten gezahlt und bislang als Vorsteuer geltend gemacht hat, darf er rückwirkend nicht mehr als Vorsteuer geltend machen und muss diesen Betrag verzinsen.

Dadurch verteuert sich der Leistungsbezug zulasten seiner Marge, die er der Preiskalkula- tion zugrunde gelegt hat. Infolge der Korrektur müssen zum einen sowohl der Leistungs- empfänger (rückwirkender Wegfall des Vorsteuerabzugs aus der Rechnung des leistenden Unternehmers) als auch der leistende Unternehmer (rückwirkender Wegfall des Vorsteuer- abzugs aus den Rechnungen seiner Lieferanten) Beträge verzinsen. Zum anderen wird der leistende Unternehmer durch die Kostenwirksamkeit der eingangsseitigen Umsatzsteuer belastet. Hätte er nämlich gewusst, dass der Umsatz steuerfrei ist, hätte er die Vorsteuern nicht geltend gemacht und deren Nichtabziehbarkeit im Entgelt, das er seinem Kunden

(7)

DIHK BDI ZDH BDA BdB GDV HDE BGA Eingabe zur Vollverzinsung in der Umsatzsteuer

vom 17. Dezember 2021

4/7

berechnet, berücksichtigt (entsprechend höherer Nettopreis, vgl. z. B. Vorschlag der Euro- päischen Kommission für eine Änderung der Richtlinie 77/388/EWG v. 5.5.2003, KOM(2003) 234 endgültig, Ziff. 2.). Da er dies nicht getan hat, verschlechtert sich seine Marge. Er ist also nicht bereichert. Es gibt nichts, was „abzuschöpfen“ wäre.

Beispiel 1: Unternehmer U vereinbart mit seinem nicht zum Vorsteuerabzug berechtigten Kunden einen Preis von 1.000 (zzgl. MwSt) pro Liefergegenstand. Im Jahr 01 liefert U 1.000 Waren für insgesamt 1.190.000. U stellt für die Lieferungen jeweils Rechnungen über 1.000 zzgl. MwSt 190 und erklärt – den Verwaltungsanweisungen, die seine Lieferungen als steu- erpflichtig qualifizieren, folgend – MwSt i.H.v. 190.000 in seiner MwSt-Erklärung für das Jahr 01. Im Zusammenhang mit den Lieferungen macht er in 01 Vorsteuern i.H.v. 160.000 geltend. Im Jahr 05 entscheidet ein Gericht, dass die Lieferungen in 01 steuerfrei waren.

Der Kunde verlangt von U den Betrag von 190.000 zurück. U seinerseits verlangt vom Fi- nanzamt nach der Korrektur der Rechnungen gem. § 14c Abs. 1 Satz 2 UStG die Erst attung der in 01 abgeführten MwSt i.H.v. 190.000. Das Finanzamt erstattet die Steuer – allerdings erst für das Jahr 05. Die Geltendmachung der Vorsteuern i.H.v. 160.000 versagt das Fi- nanzamt aber im Jahr 01 und setzt auf den zurückzuzahlenden Betrag Zinsen i.H.v. 30.000 fest. Eine Bereicherung des U liegt aber gar nicht vor. Im Gegenteil verliert er Vorsteuerbe- träge i.H.v. 160.000. Hätte er gewusst, dass seine Umsätze steuerfrei sind, hätte er die Vorsteuern nicht geltend gemacht und die Waren für 1.160/Stück verkauft (was auch für den Kunden preiswerter gewesen wäre).

Im umgekehrten Fall (ein als steuerfrei behandelter Umsatz stellt sich später als steuer- pflichtig heraus) muss der leistende Unternehmer rückwirkend Umsatzsteuer zahlen (zzgl.

Zinsen), darf aber rückwirkend ggf. Vorsteuern im Zusammenhang mit diesem Umsatz gel- tend machen (zzgl. Zinsen). Hier stellt sich nicht nur die Frage, ob der Kunde dem Anspruch des Unternehmers auf (Nach-)Zahlung der Umsatzsteuer möglicherweise Gegenrechte ent- gegenhalten kann, weil die Grundlagen für die Preiskalkulation nicht mehr zutreffen (dies hängt u. a. von den vertraglichen Vereinbarungen ab). Fraglich ist vielmehr auch, ob dem Unternehmer dadurch, dass er die Vorsteuern nicht geltend gemacht hat und daher nicht für eine günstigere Preisgestaltung nutzen konnte, Umsatzeinbußen entstanden sind.

Beispiel 2: Unternehmer U liefert Waren an einen vorsteuerabzugsberechtigten Kunden K.

Die Lieferungen sind aufgrund entsprechender Verwaltungsanweisungen als steuerfrei an- zusehen. Im Jahr 01 zahlt U im Zusammenhang mit seinen Lieferungen Steuerbeträge i.H.v.

100.000 an seine Lieferanten. Die gezahlten Steuerbeträge kann er wegen der

(8)

DIHK BDI ZDH BDA BdB GDV HDE BGA Eingabe zur Vollverzinsung in der Umsatzsteuer

vom 17. Dezember 2021

5/7

Steuerfreiheit seiner Umsätze nicht als Vorsteuer geltend machen. U liefert in 01 Waren für 1.100.000 an K. Später werden die Umsätze des U in 01 aufgrund einer Gerichtsentschei- dung als steuerpflichtig qualifiziert. U kann nun die an seine Lieferanten gezahlten Steuer- beträge i.H.v. 100.000 als Vorsteuer geltend machen. Hierauf werden Zinsen zu seinen Gunsten i.H.v. 20.000 festgesetzt. Die nachzuzahlende Steuer kann er K nicht mehr nach- belasten. U zahlt daher 175.630 an das Finanzamt. Hierauf werden Zinsen zu seinen Lasten i.H.v. 35.000 festgesetzt. Saldiert zahlt U für 01 Zinsen i.H.v. 15.000. Eine Bereicherung des U liegt aber nicht vor. Im Gegenteil muss er Steuer i.H.v. 175.630 zahlen, d ie er nicht abwälzen kann. Diesem Betrag stehen nur 100.000 mehr Vorsteuern gegenüber. Hätte U gewusst, dass seine Umsätze steuerpflichtig sind, hätte er die Vorsteuern in 01 geltend gemacht und die Lieferungen für 1.000.000 zzgl. MwSt 190.000 erbracht. Das wäre auch günstiger für den Kunden gewesen; in diesem Fall hätte K (der ein Jahresbudget für diese Leistungseinkäufe hat) auch Waren für 1.100.000 netto bestellt. U ist also auch Umsatz verloren gegangen (dieser Aspekt könnte selbst dann relevant sein, wenn U die Steuer an K nachbelasten könnte).

Auch solche wirtschaftlichen Auswirkungen sind nach der Rechtsprechung des EuGH bei der Beurteilung eventueller Be- bzw. Entreicherungen zu berücksichtigen. Kann also der leistende Unternehmer rückwirkend Vorsteuern nicht mehr geltend machen oder hat er zu wenig Vorsteuern geltend gemacht und dadurch mit zu hohen Margen kalkuliert, mindert dies seine „Bereicherung“. Insoweit müssen bei ihm keine „Liquiditätsvorteile abgeschöpft“

werden.

5. Auswirkungen der zivilrechtlichen Ansprüche auf die Bereicherung

Zu beachten ist auch der Einfluss des Zivilrechts auf die Umsatzsteuer. Wird z. B. Umsatz- steuer bei einem Unternehmer nacherhoben, weil sich ein als steuerfrei behandelter Umsatz später als steuerpflichtig herausstellt, sind seine Ansprüche auf Zahlung dieses Betrages gegen seinen Kunden evtl. bereits verjährt. Der Unternehmer muss also Umsatzsteuer an den Fiskus zahlen, ohne einen entsprechenden Betrag beim Kunden nacherheben zu kön- nen (vgl. oben 3., Bsp. 2). Er hat also einen Liquiditätsnachteil, muss aber gleichwohl auf den nachzuentrichtenden Steuerbetrag Zinsen zahlen.

Gleiches ergibt sich in Fällen, in denen der Leistungsempfänger aufgrund finanzieller Schwierigkeiten (insbesondere in Insolvenzfällen) nicht mehr in der Lage ist, den Steuerbe- trag an den Leistenden zu zahlen. Auch hier muss der Leistende trotz eines Liqui ditäts- nachteils Zinsen an den Fiskus zahlen.

(9)

DIHK BDI ZDH BDA BdB GDV HDE BGA Eingabe zur Vollverzinsung in der Umsatzsteuer

vom 17. Dezember 2021

6/7

6. Verschulden und Schadenshöhe

Außerdem tritt die Folge der Verzinsung unabhängig davon ein, ob den Steuerpflichtigen ein Verschulden trifft oder nicht. Zinsen sind also selbst dann festzusetzen, wenn sich der Steuerpflichtige bei der Beurteilung seiner Umsätze unter Anwendung der erforderlichen Sorgfalt an Verwaltungsanweisungen, Rechtsprechung oder anderen Quellen der Rechts- findung orientiert hat. Die Erhebung von Nachzahlungszinsen widerspricht nach der Recht- sprechung des BFH noch nicht einmal dann den Wertungen des § 233a AO, wenn die Nach- zahlung auf einem vorwerfbaren Verhalten der Finanzverwaltung beruht (BFH v.

13.12.2011 – VIII B 136/11; BFH v. 1.9.2008 – IV B 137/07).

Das ist nach Auffassung des EuGH nicht zulässig. Nach ständiger EuGH-Rechtsprechung müssen Sanktionen in angemessenem Verhältnis zur Art und Schwere eines Verstoßes stehen. So darf insbesondere ein gutgläubiger Steuerpflichtiger nicht mit Sanktionen belegt werden, wenn keine Schädigung des Steueraufkommens eingetreten ist. Darüber hinaus ist unabhängig von der Gutgläubigkeit die Höhe des Schadens für das Steueraufkommen zu berücksichtigen.

7. Ungleichbehandlung im geltenden Recht am Beispiel des Reverse Charge Ver- fahrens

Die Vollverzinsung der Umsatzsteuer führt sogar innerhalb der Mehrwertsteuersystems zu fragwürdigen Ergebnissen. Und zwar bei einem Vergleich der Fälle, in denen der Leistende die Umsatzsteuer schuldet („Regelversteuerung“), mit Fällen, in denen der Leistungsemp- fänger die Umsatzsteuer schuldet („RC-Versteuerung“). Hier kommt es bei Korrekturen zu Unterschieden bei der Verzinsung, obwohl vergleichbare Sachverhalte eigentlich gleich be- steuert werden sollten.

Stellt z. B. ein leistender Unternehmer im Fall der „Regelversteuerung“ einen Betrag von 10.000 zzgl. 1.900 MwSt in Rechnung und macht der Leistungsempfänger die MwSt als Vorsteuer geltend, ergeben sich – wenn sich später herausstellt, dass das Entgelt auch bereits ursprünglich tatsächlich nur 8.000 zzgl. MwSt betragen hat – folgende Konsequen- zen: Der Leistende muss dem Leistungsempfänger 2.380 zurückzahlen und erhält vom FA Steuer i.H.v. 380 zurück. Für den Steuererstattungsbetrag erhält er aber keine Zinsen, weil er die Steuer nach Auffassung der Finanzverwaltung bis zum Zeitpunkt der Steuerkorrektur schuldet. Der Leistungsempfänger hingegen muss seinen Vorsteuerabzug in Höhe von 380 rückwirkend korrigieren und muss den Rückzahlungsbetrag verzinsen. Auf der

(10)

DIHK BDI ZDH BDA BdB GDV HDE BGA Eingabe zur Vollverzinsung in der Umsatzsteuer

vom 17. Dezember 2021

7/7

Unternehmensebene ergäben sich also allein Zinsen zu Lasten der Unternehmen (zu Guns- ten des Fiskus).

Bei einem vergleichbaren Fall, der der RC-Versteuerung unterfiele, ergäben sich hingegen folgende Konsequenzen: Der Leistende müsste dem Leistungsempfänger 2.000 zurückzah- len. Der Leistungsempfänger würde rückwirkend die Versteuerung und den Vorsteuerbetrag jeweils in Höhe von 380 vermindern. Saldiert wären keine Zinsen zu zahlen.

Es ist eigentlich nicht nachvollziehbar, warum bei einem vergleichbaren Sachverhalt in dem einen Fall Zinsen zu Lasten der Unternehmen entstehen, in dem anderen Fall aber nicht.

Der einzige Unterschied zwischen den Fällen ist der, dass die Steuer von unterschiedlichen Personen geschuldet wird. Es leuchtet nicht ein, dass das zu Unterschieden bei der Verzin- sung führen soll. Dem Steueraufkommen ist in keiner der beiden Konstellationen ein Scha- den entstanden.

8. Überverzinsung bei Fehlbehandlung und Korrektur in verschiedenen Veranla- gungszeiträumen

Im Übrigen ergibt sich aus den Regelungen der Verzinsung in bestimmten Fällen eine Überverzinsung.

Beispiel 3: A verkauft dem Unternehmer B im Dezember 01 ein Auto für 20.000 zzgl. 3.800 MwSt. Die Übergabe (und damit die Übertragung der Verfügungsmacht) sowie die Kauf- preiszahlung erfolgen aber erst im Januar 02. Die ordnungsgemäße Rechnung über die Lieferung im Januar 02 stellt A dem B bereits im Dezember 01 aus. B macht daher irrtümlich die in Rechnung gestellte MwSt bereits im Dezember 01 als Vorsteuer geltend. Nach einer Betriebsprüfung bei B versagt die Finanzbehörde daher im Juni 05 die in 01 geltend ge- machte Vorsteuer und setzt für den zurückzuzahlenden Vorsteuerbetrag Zinsen für 26 Mo- nate (ab 1.4.03 bis 31.5.05) zu Lasten des B fest; d. h., bei einem Zinssatz von 0,5 Prozent p.m., einen Betrag von 494. Gleichzeitig lässt die Finanzbehörde die Vorsteuer im Januar 01 zum Abzug zu und setzt auf den von B nicht geltend gemachten Vorsteuerbetrag Zinsen zu seinen Gunsten fest – und zwar für 14 Monate (ab 1.4.04 bis 31.5.05); d.h., bei selbigem Zinssatz, einen Betrag von 266. B bezahlt also dafür, dass er den Vorsteuerabzug einen Monat zu früh geltend macht, saldiert Zinsen i.H.v. 228. Das entspricht wirtschaftlich einem Zinssatz von sechs Prozent p.m., d. h. von 72 Prozent p.a.

Dies stellt eine unverhältnismäßige Überverzinsung dar.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Die Annahme wird auch der Tatsache nicht gerecht, dass Zeitschriften- und Ta- geszeitungsverlage längst nicht mehr Herausgeber nur gedruckter Medien sind.. Online sind sowohl

Autistische Kinder haben häufig Schwierigkeiten damit, Lernimpulse von außen anzu- nehmen und sich neuen Lernerfahrungen gegenüber zu öffnen. Vor allem jedoch in

► Januar 2007 „Handlungsempfehlungen für die psychosoziale Betreuung substituierter Eltern“ (Notdienst Berlin e.V. gemeinsam mit Vista gGmbH und Caritas).. ► 2007

 Im Rahmen einer weiteren Werbeaktion aus Restmitteln für den Patenschaftsverbund (biffy Berlin e.V., Kein Abseits e.V., Patenkinder Berlin, Wir gestalten e.V., In Via Berlin e.V.)

Ein Mitglied kann, wenn es gegen die Interessen des Vereins gröblich verstoßen hat, durch Beschluss des Vorstandes aus dem Verein ausgeschlossen werden.. Vor der

Sollten Sie eine Stellungnahme mit personenbezogenen Daten abgeben wollen, möchten wir Sie bitten, sogleich den Nachweis über die erteilte Einwilligung der betroffenen Personen

(2) Für den Nachweis der durchschnittlichen Pflegepersonalausstattung je Station und je Schicht für jeden pflegesensitiven Bereich werden alle Pflegefachkräfte nach § 2 Absatz 1 Satz

Die Vorschriften schießen in vielen Bereichen über das Ziel hinaus und lassen eine vernünftige und nachvollziehbare Differenzierung zwischen den verschie- denen Formen