Situation der Land- und Ernährungswirtschaft in der Republik Ungarn (Ungarn)
I. Aktuelle wirtschaftliche Situation in Ungarn
Die Situation der ungarischen Ernährungs-, Land-, Forst- und Fischereiwirtschaft ist vor dem Hintergrund der Auswirkungen der Finanz- und Wirtschaftskrise zu betrachten. Als kleine und offene Volkswirtschaft mit internationaler Verflechtung hat Ungarn die realwirtschaftlichen Auswirkungen der Wirtschaftskrise stark zu spüren bekommen, deutlich sichtbar am Wirt- schaftswachstum. Während 2007 ein Wachstum des Bruttoinlandsprodukts (BIP) von 1,1 % und 2008 von 0,6 % erreicht werden konnte, wird nun für 2009 mit einem Rückgang von bis zu 6 % gerechnet. Ungarn verfolgt derzeit einen strengen Spar- und Reformkurs, um die Finanz- und Wirtschaftkrise zu bewältigen. Nach derzeitiger Einschätzung wird für 2010 von einem weiteren Absinken des BIP ausgegangen, eine Konjunkturbelebung von mindestens 4 % wird ab 2012 erwartet. Zentrales wirtschaftspolitische Ziel Ungarns bleibt die Euro-Einführung.
Von den Auswirkungen der Krise wird 2009 auch der Agrarsektor - insbesondere bei weiter fallenden Agrarpreisen - nicht unberührt bleiben. 2008 lag der Beitrag der Landwirtschaft zum BIP bei 4 % und hatte damit entscheidend zur Verbesserung des Jahresdurchschnitts beigetra- gen. Nach Einschätzung der Germany Trade and Invest – Gesellschaft für Außenwirtschaft und Standortmarketing mbH (gtai) - hätte Ungarn ohne den Agrarsektor schon länger im Zeichen der Rezession gestanden.
Entwicklung der ungarischen Landwirtschaft gemessen an der Gesamtwirtschaft Anteil Landwirtschaft
BIP Verbrauch Export Investitionen Beschäftigung Jahr
%
Außen- handels- volumen
Mrd Ft
2004 4,1 26,1 6,9 4,3 5,3 275,8
2005 3,7 25,1 6,6 4,5 5,0 227,9
2006 3,7 25,1 6,3 4,2 4,9 264,5
2007 3,6 25,0 7,0 3,7 4,7 401,8
2008* 4,0 25,0 7,9 5,0 4,6 482,0
Quelle: Zentrales Amt für Statistik (KSH), Forschungsinstitut für Agrarökonomie (AKI)
*vorläufige Angaben
I. Landwirtschaft
Der Agrarsektor genießt in Ungarn traditionell sehr hohes öffentliches Ansehen, 2007 gab es in der bipolar strukturierten ungarischen Landwirtschaft 1,3 Mio. registrierte landwirtschaft- liche Produzenten, davon 619.000 Einzelbetriebe. Dies bedeutet eine Beteiligung von über ei- nem Drittel der ungarischen Haushalte an der Landwirtschaft, wenngleich zunehmend im Ne- benerwerb.
Die Anbaustruktur wird in Ungarn von Getreide und Mais dominiert. Im Rekorderntejahr 2008 kam es zu einer Produktionswertsteigerung um 43 % der ungarischen Landwirtschaft (basierend auf dem durch Dürre und Frost sehr schlechten Erntejahres 2007). Gleichzeitig ist ein deutlicher Rückgang bei der Tierproduktion (Schweine, Puten, Rinder) zu verzeichnen.
Ungarn ist - nach der Französischen Republik – nach eigenen Angaben der zweitgrößte Saat- guthersteller und verfolgt eine strikte Anti-GMO-Politik, um seinen Standortvorteil und hö- here Gewinne bei der Saatgutproduktion nicht zu gefährden.
Als Teil der nationalen ungarischen Sparpolitik wird 2008 für den Agrarsektor eine Kür- zung des nationalen Budgets von 33 Mrd. Forint (HUF) - nationale top-ups - im Auszahlungs- zeitraum Dez. 2009 – Jan. 2010 vorgenommen. Dennoch erhalten ungarische Landwirte 2009 durch das progressive Ansteigen der SAPS-Zahlungen 2009 auf 60 % insgesamt höhere Beihil- fen als 2008. Die nationalen Fördermaßnahmen gelten vorrangig dem Viehzuchtbereich, die Kürzungen betreffen vor allem die Getreide, Ölsaaten, Eiweiß- und Faserpflanzen anbau- enden Landwirte. Zur Unterstützung für in Liquiditätsprobleme geratene ungarische Land- wirte hat die Regierung bei der Ungarische Entwicklungsbank (MFB) 60 Mrd. HUF zur Ver- fügung gestellt. Zudem soll die Auszahlung der Fördergelder im Rahmen des nationalen Pro- gramms „Neues Ungarn - Ländliche Entwicklung“ beschleunigt werden.
2. Ernährungswirtschaft und Lebensmitteleinzelhandel
Ebenso wie die Landwirtschaft wird die Lebensmittelindustrie als traditionell wichtiger Wirt- schaftsbereich angesehen, jedoch sind bereits 2008 die Investitionen in der ungarischen Le- bensmittelindustrie um 5 % zurückgegangen. Die Branche gilt als stark veraltet und dringend modernisierungsbedürftig, um wettbewerbsfähig bleiben zu können. Einige der größeren Fleisch verarbeitenden Betriebe sowie mehrere kleinere Fleischproduzenten mussten in den letzten Monaten Insolvenz anmelden bzw. sich auf eine deutlich verkleinerte Produktpalette konzentrieren. Um diesem Trend entgegenzusteuern, hat die ungarische Regierung ein Kredit- paket von 37,5 Mrd. HUF bei der MFB für die in Finanz-Liquiditätsprobleme geratene Le- bensmittelindustrie bereitgestellt.
Der ungarische Lebensmitteleinzelhandel weist einen recht hohen Konzentrationsgrad auf.
Die sogenannten „big five“ des ungarischen Lebensmittelhandels Tesco, CBA, Coop, Spar und Real kontrollieren etwa die Hälfte des Marktes bei fortschreitendem Konzentrationsprozess.
Nach Angaben von Analysten stammen derzeit ca. 70 % der in Ungarn konsumierten Lebens- mittel aus inländischer Produktion. Es gibt Bestrebungen, diesen Anteil auf 80 % zu steigern.
Nach ersten Einschätzungen wird für den nationalen Lebensmittelmarkt in diesem Jahr ein Rückgang um 2-4 % prognostiziert, die Verbraucher werden vorrangig zu billigeren Lebens- mitteln greifen. Jüngsten Umfragen zufolge sind Preis, Qualität und die (nationale) Herkunft des Produktes bei der Kaufentscheidung für ungarische Konsumenten entscheidend. Die Erhö- hung der Lebensmittelpreise wird für 2009 unter dem Niveau der Inflation erwartet.
II. Chancen und Risiken für Exporteure aus Deutschland
1. Agrarhandel
2008 war ein sehr erfolgreiches Jahr für den ungarischen Agrarhandel: Der Export ungarischer Agrarprodukte erhöhte sich 2008 auf insgesamt 5,7 Mrd. Euro, dies entspricht 7,8 % vom Ge- samtexport. Der Import betrug 3,8 Mrd. Euro, d.h. 5,2 % des Gesamtimportes. Für 2009 ent- spricht die Erwartung dem weltweiten rückläufigen Trend. Für die offene und exportorientierte ungarische Volkswirtschaft sind sowohl bei Im- als auch bei Exporten die EU-Staaten aus- schlaggebend. Deutschland ist innerhalb der EU Ungarns wichtigster Agrarhandelspartner.
Das bilaterale Handelsvolumen lag 2008 bei 1,67 Mrd. Euro. 21 % der ungarischen Agrarim- porte (819,1 Mio. Euro) kamen aus Deutschland, 15 % der ungarischen Agrarexporte (858,3 Mio. Euro) gingen nach Deutschland, womit Ungarn eines der wenigen Länder ist, mit denen Deutschland eine negative Handelsbilanz aufweist. Die deutsch-ungarischen Wirtschaftsbe- ziehungen im Agrarbereich sind weiterhin sehr eng und gut.
Deutsche Produkte genießen in Ungarn einen guten Ruf und werden als hochwertige Qualitäts- produkte wahrgenommen. Die wichtigsten Importe aus Deutschland sind Milchprodukte (Butter, Joghurt, Sahne, Käse und Milchpulver), Schweinefleisch sowie Süßwaren. Hier hat sich in den vergangenen Jahren ein intensiver Handel etabliert, der auch in der Finanz- und Wirtschaftkrise Bestand haben dürfte. Ungarn wird mittelfristig als sehr guter Exportmarkt mit Wachstumsprognose insbesondere für hochwertige deutsche Qualitätsprodukte einge- schätzt. Eine Präsenz deutscher Aussteller auf landwirtschaftlichen Messen in Ungarn ist weiterhin zu empfehlen, um die Chancen auf einen Marktzugang für deutsche Markenprodukte außerhalb ihrer Listung bei den Lebensmitteleinzelhandelsketten zu erhöhen.
Der 2009 im Vergleich zu 2008 deutlich abgewertete HUF verteuert derzeit deutsche und ande- re ausländische Produkte auf dem ungarischen Markt. Für 2009 rechnet die ungarische Natio- nalbank mit einem Kurs von etwa 290 HUF pro Euro.
2. Ungarn als Investitionsstandort
Deutschland ist mit Abstand der größte ausländische Direktinvestor in Ungarn. Auch weil sie ihren Arbeitnehmern eine Fachausbildung und Managementfähigkeiten vermitteln, genie- ßen deutsche Unternehmen in Ungarn hohes Ansehen. Vier von fünf Investoren würden, laut aktuellem Konjunkturbericht der Deutsch-Ungarischen Industrie- und Handelskammer
(DUIHK), ihre Investitionsentscheidung für Ungarn erneut so treffen. Für den Standort Ungarn sprechen u.a. das günstige Klima und die guten Bodenverhältnisse, das hohe Bildungsniveau der Arbeitskräfte, die positive Einstellung der Bevölkerungsmehrheit zur Landwirtschaft sowie die geostrategisch günstige Lage des Landes als Tor zu den Balkanstaaten und nach Osteuropa.
Deutsche Unternehmer, insbesondere KMU mit wenigen Mitarbeitern, sehen den in Ungarn notwendigen bürokratischen Aufwand sowie die ungarische Sprache als große Herausforde- rung an. Für beide Bereiche empfiehlt sich ein Engagement ungarischer Fachkräfte. Agrarun- ternehmern erschwert das bis Mai 2011 geltende Moratorium über den Erwerb von Acker- land durch Ausländer die Planungssicherheit, da auch Pachtverträge häufig nur eine Dauer von ca. 20 Jahren haben. In Ungarn wird die Ablehnung der Bodenmarktöffnung von einem breiten gesellschaftlichen Konsens getragen.
Zur Förderung der deutsch-ungarischen Wirtschaftsbeziehungen im Bereich der Agrar- und Ernährungswirtschaft verfügt die Deutsche Botschaft Budapest über ein engmaschiges Netz von Kontakten zur ungarischen Verwaltung, Verbänden, Organisationen und Kammern, das die Wirtschaft nutzen kann. Bei der Investorenberatung arbeitet die Botschaft eng mit der DUIHK und der Außenstelle der gtai in Budapest zusammen.
III. Aktuelle Entwicklungen in der ungarischen Agrarpolitik und Ausblick
Das Landwirtschaftsministerium hat am 5. Juni 2009 die landesweite Dürre als vis maior Si- tuation in Ungarn offiziell verkündet. Derzeit rechnet die ungarische Regierung für 2009 mit einem Ertragsausfall von ca. 30 % bei Getreide.
Die Krise auf dem Milchmarkt ist auch in Ungarn trotz nicht ausgeschöpfter Quoten auf- grund des Preisverfalls bei Rohmilch für die Milchproduzenten inzwischen Existenz bedrohend geworden. Ungarn setzt sich in Brüssel intensiv für weitere Stützungsmaßnahmen des Milch- sektors ein.
Zum 1. Juli 2009 ist die Einführung eines ermäßigten MWSt-Satzes für Brot und Backwaren (eventuell auch Milchprodukte) von 20 auf 18 % geplant, bei gleichzeitiger Erhöhung der sons- tigen Mehrwertsteuer von 20 auf 25 %.
Ungarn betrachtet die Unabhängigkeit der EU bei der Lebensmittelsicherung als wichtiges Ziel im Hinblick auf die steigende Nachfrage nach Agrargütern. Daher setzt sich Ungarn für ein weiteres Wachstum der EU-Agrarproduktion unter Einhaltung der hohen Qualitätsstandards sowie für die Erhöhung des Exports ein.
IV. Nennung von Ansprechpartnern
Deutsch-Ungarische Industrie- und Handelskammer (DUIHK)
Lövőház utca 30 1024 Budapest
(0036-1) 345-7624 (0036-1) 345-7600 (Z)
¬ (0036-1) 345-7614 info@ahkungarn.hu woelfer@)ahkungarn.hu
¤ www.duihk.hu
Hr. Dirk Wölfer
Germany Trade and Invest Büro Köln
Agrippastr. 87-93 50676 Köln
+49(0)221/2057-383
¬ +49(0)221/2057-212 Csilla.Remann@gtai.de
Fr. Csilla Remann
Interessenvertretung Magre Vereinigung der Agrarunterneh- mer in Ungarn
Magyarországi Agrárvállalkozók Egyesülete
Geschäftsstelle - Sekretariat in Ungarn
Roboz István Str. 7 7400 Kaposvár
(0036-82) 529-226
¬ (0036-82) 529-225 info@pc-agrar.hu
¤ www.magre.hu/vau
Dr. Péter Gyódi
Beratung
PC Agrár GmbH Roboz István Str. 7 7400 Kaposvár
(0036-82) 529-226
¬ (0036-82) 529-225 info@pc-agrar.hu
¤ www.pc-agrar.hu
Dr. Péter Gyódi
Ansprechpartnerin für den Bericht:
Botschaft der
Bundesrepublik Deutschland Úri utca 64-66
1014 Budapest
(0036-1) 4883 550 (0036-1) 4883 500 (Z)
¬ (0036-1) 4883 523 la-1@buda.diplo.de
Ingrid M. Bernard