A-858 (6) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 14, 5. April 1996
Krankenhaus
Zum Thema Fallpauschalen und Son- derentgelte:
Planwirtschaftlicher Eingriff
Seit Anfang des Jahres ist die strikte Festsetzung von (nicht mehr adaptierbaren) Fallzahlen bei Fallpauscha- len und Sonderentgelten wirksam.
Im September 1995 muß- ten Fallmengenschätzungen abgegeben werden, die auf den Operationszahlen des laufenden Jahres (und vor- ausgehender Jahre) beruhten und für das ganze Jahr hoch- gerechnet wurden. Zum da- maligen Zeitpunkt war die geltende Richtlinie, daß eine Über- oder Unterschreitung von 15 Prozent einen so- genannten Toleranzbereich darstellen würde (volle Ver- gütung). Bei weiterer Über- schreitung sollte zumindest eine 50prozentige Vergütung garantiert sein. Nach dem Gesetz zur Stabilisierung der Krankenhausausgaben 1996 ist dieser Spielraum nicht mehr gegeben.
Bei der Fallpauschale 10.01 „Stammvarikosis – Varizenexhairese einseitig durch Stripping“ ist abseh- bar, daß mit Ende September 1996 die Fallmengenzahl er- reicht ist. Für dieses Krank- heitsbild/Operationsverfah- ren liegt aber bereits jetzt ei- ne neunmonatige Warteliste vor. Soll ich diesen Patienten mitteilen, daß der bei ihnen notwendige Eingriff von den Kostenträgern nicht mehr er- stattet wird und sie sich des- halb an ein anderes Kranken- haus wenden sollen?
Ähnliches gilt für arteriel- le Eingriffe, die als Sonder- entgelt abzurechnen sind.
Gerade das Sonderentgelt 10.01 Carotis-OP: „Rekon- struktive Operation an den hirnversorgenden Gefäßen“
ist ein besonders problemati- scher Sonderentgelt-Abrech- nungsfall. Symptomatische Carotis-Stenosen stellen eine relativ dringende Operati- onsindikation dar und erlau-
ben keine längerfristige Pla- nung des Termins für den operativen Eingriff. Hier werden wir nach den bereits jetzt absehbaren Zahlen das Kontingent der von uns pro- jektierten Fallzahlen bereits Ende Juni erreicht haben.
Unverständlich ist, daß der Ansatz, durch die Ein- führungen von Fallpauscha- len und Sonderentgelten eine leistungsorientierte Vergü- tung für die Krankenhäu- ser herbeizuführen, dadurch wieder zunichte gemacht wird, daß inzwischen eine Festschreibung des zur Ver- fügung stehenden Gesamt- budgets der Krankenhäuser erfolgen soll.
Der Anteil der Kranken- hausabgaben am Bruttosozi- alprodukt (Bundesrepublik Deutschland 2,8 Prozent) ist in vergleichbaren Ländern viel höher (BRD unter west- lichen Industrieländern an 13. Stelle). Unter diesem Gesichtspunkt fällt es ei- nem schwer nachzuvoll- ziehen, wieso dieser „plan- wirtschaftliche“ Eingriff in die Krankenhausfinanzie- rung notwendig ist.
In diesem Zusammen- hang sollte auch erwähnt werden, daß Sonderentgelte und Fallpauschalen den Be- zug zu medizinischer Qualität vermissen lassen und medizi- nische Handlungsweisen nach wirtschaftlichen Erwä- gungen beeinflussen werden.
Wieder am Beispiel der Fallpauschale 10.01 Stamm- varikosis: Hier wird die Fall- pauschale an das Venen- Stripping nach Babcock ge- bunden. Es kann aber häufig sinnvoll sein, auf ein Strip- ping zu verzichten und die Vene zu erhalten. Dabei er- folgt nur eine gezielte Aus- schaltung der Venenklappen- Insuffizienzpunkte oder so- gar eine Venenklappenrepa- ratur. Ohne ein Stripping ist jedoch die Fallpauschale nicht abzurechnen.
Die für den Bereich Ge- fäßchirurgie vorliegenden Qualitätserhebungsbögen für Fallpauschalen und Sonder- entgelte der Servicestelle Qualitätssicherung des Deut-
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schen Krankenhaus-Institu- tes sind oberflächlich und da- mit unfair.
Am Beispiel Sonderent- gelt 10.01 Carotisstenose: Die postoperative Rate an neuro- logischen Defiziten (Schlag- anfällen) wird ohne ausrei- chende Risikoabfragung, zum Beispiel nach einem vor- ausgegangenen Schlaganfall, der das Operationsrisiko er- höht, abgefragt. Diese Bögen beabsichtigen nur eine Kon- trolle der Ergebnisqualität ohne qualitätsverbessernden Ansatz.
Privat-Dozent Dr. med.
Stefan von Sommoggy, Behandlungszentrum Vogta- reuth, Krankenhausstraße 20, 83569 Vogtareuth
Schmerztherapie
Zu dem Beitrag „Ärzte fordern eine Qualifikation“ von Dr. Sabine Glöser in Heft 6/1996:
Konzept längst vorhanden
Ihr Bericht über die Hei- delberger Tagung unterstützt unsere jahrzehntelangen For- derungen nach einer Qualifi- kation auf dem Gebiet der Schmerztherapie.
Auf dieser Tagung wurde auch ein vernünftiges Kon- zept für die Schmerztherapie gefordert – es ist schon längst vorhanden. Das Schmerzthe- rapeutische Kolloquium e.V.
(STK) und die Deutsche Ge- sellschaft zum Studium des Schmerzes e.V. (DGSS) be- reiten schon über fast zwei Jahrzehnte eine interdiszi- plinäre Zusatzbezeichnung vor, die allen Ärzten aller kli- nischen Fächer offensteht.
STK und DGSS sind die Fachgesellschaften, die die Schmerztherapie in der heu- tigen Form definiert und mit Leben erfüllt haben.
Daß wir in unseren Mit- gliedsverzeichnissen entspre- chend qualifizierte Ärzte kennzeichnen, ist meiner Meinung nach eine dringend notwendige Orientierungs- hilfe für die Kollegenschaft, solange sich die Ärztekam-
mern des Problems in der Weiterbildung noch nicht an- genommen haben.
Es will übrigens auch nie- mand von uns einen Facharzt für Schmerztherapie, son- dern wir wollen eine interdis- ziplinäre Zusatzbezeichnung, die allen klinischen Fächern offensteht und vorhandene fachspezifische Fachkunden miteinschließt. So wurde es auch vor über einem halben Jahr von uns bei den Ärzte- kammern beantragt.
Die Zusammenarbeit mit anderen Fachgebieten und besonders dem Hausarzt steht bei der Arbeit der Schmerztherapeuten schon immer im Vordergrund und muß nicht erst heute gefor- dert werden. Die Versorgung des Millionenheers chronisch schmerzkranker Patienten in Deutschland kann nur durch eine breite schmerzbezogene Fortbildung aller Fachge- biete verbessert werden. Vie- le Chronifizierungsprozesse könnten dann endlich auch wirksam verhütet werden.
Erst bei besonders proble- matischen, therapieresisten- ten chronischen Schmerzen werden der Schmerzspe- zialist und die interdiszipli- näre Schmerzkonferenz ge- braucht. Und hier werden sie auch wirklich dringend ge- braucht.
Dr. med. Thomas Flöter, Schmerztherapeutisches Kolloquium e.V., Roßmarkt 23, 60311 Frankfurt/M
Pathophysiologische Grundlage unsicher
Die Unsicherheit der Dia- gnostik und Therapie von Schmerzen, zum Beispiel Kopfschmerzen, ist primär oft auf das Fehlen einer allge- mein anerkannten Theorie der Hirnfunktionen zurück- zuführen. Wenn das thera- peutische Konzept einmal nicht funktioniert, dann des- wegen, weil die pathophysio- logische Grundlage unsicher ist.
Die Neurosciences ver- mitteln inzwischen zuverläs- sige Modelle, die man in der A-860 (8) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 14, 5. April 1996
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Praxis auch anwenden kann.
Hierbei ist an die Vernet- zungstheorie des Mathemati- kers Roger Penrose und des Neuropsychologen D. Hebb (Theorie der Cell-Assem- blies) zu denken. Diese Be- wegungsabläufe unterliegen den Regeln der nicht linearen Dynamik. Wenn der Arzt kei- ne überzeugenden Argumen- tationen für seine Entschei- dungen liefert, so bleibt die Selbstmedikation des Patien- ten die logische Folge.
Dr. med. Nadim Sradj, MA, Prüfeninger Straße 40, 93049 Regensburg
Patientenschutz
Zu dem Kommentar „Fragwürdiger Wettbewerb statt Patientenschutz“
von Prof. Dr. med. Karl-Friedrich Se- wing in Heft 7/1996:
Fragwürdige
Methoden als solche bezeichnen
Die in Ihrem Kommentar vorgetragene Verwunderung über das Urteil des Oberlan- desgerichts München teile ich uneingeschränkt. Das Vorge- hen des Herrn Dr. Klehr ist seit einigen Jahren Gegen- stand zahlreicher, zum Teil ausgesprochen reißerischer Presseberichte. Ich habe dazu in einer Fernsehsendung am 24. August 1994 die folgende Stellungnahme abgegeben:
„Herr Klehr verspricht Pati- enten einen Behandlungser- folg mit seiner Methode oder durch seine Methode, den er in keiner Weise belegen kann und den er auch nicht einhal- ten kann. Diese Vorspiege- lung falscher Tatsachen er- weckt Hoffnung bei todkran- ken Patienten, und dies halte ich für eine besonders unärzt- liche, für eine besonders infa- me Strategie.“
Dagegen hatte Herr Dr.
Klehr beim Landgericht München Klage auf Unter- lassung eingereicht, die mit Urteil vom 26. Januar 1996 abgewiesen wurde. Auch in meinem Fall hatte sich Dr.
Klehr auf wettbewerbsrecht-
liche Argumente gestützt.
Das Gericht hat weder ein Wettbewerbsverhältnis mit mir noch eine Absicht mei- nerseits zur Förderung frem- den Wettbewerbs gesehen.
Das Gericht stellte fest: „Bei der vorliegenden Diskussion der Person und der Therapie- Methode des Klägers in den Medien (. . .) stehen sich die vom Kläger mit der Klage verfolgten geschäftlichen Be- lange und seine Ehre auf der einen Seite und die Interes- sen von Kranken und der Angehörigen etc. auf der an- deren Seite gegenüber. (. . .) Wie in der Rechtsprechung wiederholt herausgestellt wurde, kann bei Presse-, Rundfunk- und Fernsehver- öffentlichungen zur Unter- richtung der Öffentlichkeit über Vorgänge von allgemei- ner Bedeutung als Beitrag zur öffentlichen Meinungs- bildung aus der objektiven Eignung zur Wettbewerbs- förderung Dritter allein noch nicht auf eine subjek- tive Wettbewerbsförderungs- absicht geschlossen werden.“
Im übrigen hat das Ge- richt meine Stellungnahme als zulässige Meinungsäuße- rung klassifiziert und festge- stellt, „daß auch scharfe und überspitzte Formulierungen für sich genommen eine für den Betroffenen negative Äußerung noch nicht un- zulässig machen“.
Es ist tatsächlich im Inter- esse schwerstkranker Men- schen und der Glaubwürdig- keit unseres Berufsstandes, fragwürdige Methoden wie die von Herrn Dr. Klehr auch öffentlich als solche zu be- zeichnen. Die Verzweiflung von schwerkranken Men- schen darf nicht Grundlage für Geschäfte mit therapeuti- schen Angeboten sein, die, mit wissenschaftlichen Be- griffen präsentiert, dem Laien Seriosität suggerieren, ohne daß die Voraussetzungen für eine seriöse Bewertung des Verfahrens gegeben sind.
Dr. med. Hermann Schulte- Sasse, Gesundheitsreferent der Landeshauptstadt Mün- chen, Implerstraße 9, 81371
München !
Methadon
Zu dem Beitrag „Methadonsubstituti- on in Düsseldorf: Todesfälle werfen Fragen auf“ von Gisela Klinkhammer in Heft 5/1996:
Das Fixen auf Kran- kenschein verweigern
Kamen schon immer Zweifel auf, ob die Metha- donsubstitution der richtige Weg ist, den Betäubungsmit- telabhängigen aus seiner Sucht zu führen, oder ob die- se vielmehr die bestehende Sucht und die daraus entste- henden negativen sozialen Folgen nur prolongiert, so sind die jüngsten Vorwürfe von selbsternannten Gesund- heitspolitikern gegen die sub-
stituierenden Ärzte der I- Punkt. Die Ärzteschaft sollte sich überlegen, ob sie weiter- hin als Watschenmann für die verfehlte Drogenpolitik be- stimmter politischer Kreise, die sich aus der 68er Szene durch die Institutionen nach oben gebuckelt haben, her- halten soll.
Es gibt bisher keinen Be- weis, daß die Methadonsub- stitution besser aus der Sucht führt als der in USA prakti- zierte, wesentlich effizientere und auch wesentlich billigere
„harte Entzug“.
Die Ärzteschaft sollte sich daher diesem „Fixen auf Krankenschein“ verweigern.
Dr. med. Wolfgang Ermes, Vorm Kleekamp 4-6, 58840 Plettenberg-Ohle
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Sterbebegleitung
Zu dem Beitrag „Neufassung der Sterbehilferichtlinien: Absage an ak- tive Euthanasie“ in Heft 6/1996:
Unkenntnis der Grundbegriffe
. . . Es stimmt bedenklich, wenn der Vize-Präsident der Bundesärztekammer mit ei- ner Äußerung zitiert wird, die auf eine basale Unkenntnis der Grundbegriffe dieser Thematik hinweist. Die Ein- stellung künstlicher Ernäh- rung nämlich, um die es hier geht, ist keine Maßnahme der aktiven, sondern der passiven Euthanasie. Künstliche Er- nährung ist eine ärztliche Maßnahme, die – wie jede an- dere – der Indikationsstellung unter Beachtung der Kontra- Indikation bedarf (siehe dazu auch J. E. Ruark et al. New Engl. J. med. 318 [1988] 28).
Und passive Euthanasie ist – entgegen manchen Ver- schleierungsversuchen von Angehörigen der Exit-Or- ganisationen – ethisch anders zu bewerten als aktive Sterbe- hilfe.
Will man in diesem so ex- trem von Emotionen und Ta- buisierung belasteten Feld zu sachlich wie ethisch vertret- baren Entscheidungen kom-
men, ist ein klares Verständ- nis der hier zu diskutierenden Inhalte allererstes Gebot.
Nur so kann es gelingen, die in diesem Bereich existieren- den, für alle so unfruchtbaren Meinungsfronten abzubauen und einen vertretbaren Kon- sens zu erreichen. Daß dieses möglich ist, haben die inter- disziplinären, von der hessi- schen Fortbildungsakademie in Bad Nauheim veranstalte- ten Werkstattgespräche (die inzwischen in Buchform er- schienen sind) gezeigt.
Priv.-Doz. Dr. med. Wedler, Bürgerhospital, Medizini- sche Klinik 2, Tunzhofer Straße 14-16, 70191 Stuttgart
Rehabilitation
Zu dem Leserbrief „Prinzip Men- schenwürde“ von Hans-Martin Böhm und dem Varia-Beitrag „Heil- und Kurmedizin: Gegner oder Partner?“
von Oliver Driesen in Heft 6/1996:
Angemessen wissen- schaftlich integrieren
. . . Einer der Gründe, warum das Gesundheitswe- sen immer weniger bezahlbar ist, ist genau darin zu suchen, daß uns das Bewußtsein wei- testgehend abhanden gekom- men ist, daß wir es mit einem Solidar-Topf zu tun haben,
bei dem jede Entnahme den zur Disposition stehenden Rest entsprechend schmä- lert. Eine ausgewogene Inter- essenabwägung ist deshalb immer Grundprämisse – und mithin ethische Rationale.
Sie muß versuchen, zwischen zwei Interessenebenen Aus- gleich zu schaffen: den per- sönlichen Interessen und dem Allgemeininteresse. Es ist selbstredend, daß dabei Kosten beziehungsweise Ko- steneffizienz nicht von vorn- herein alleinbestimmende Aspekte sein dürfen, da gera- de hier die beiden Ebenen fundamental divergent sind.
Anders die Abwägung der Wirksamkeit. Es gibt keinen vernünftigen Grund, warum das Kurwesen da ausgenom- men werden sollte. Jede Ab- wägung aber impliziert den Vergleich, und das Synonym für Vergleich in der Medizin- forschung heißt kontrollierte Untersuchung. Zugegeben, es ist vergleichsweise einfach, die Wirksamkeit einer an- tihypertensiven Therapie zu belegen, und es ist vergleichs- weise schwierig, die Wirk- samkeit einer Kur zu belegen.
Doch heißt das noch lange nicht, daß es unmöglich ist.
Wenn uns keine adäqua- ten Studienprotokolle, keine brauchbaren Zielparameter zur Verfügung stehen, müs- sen wir sie einfach entwik- keln. Hier liegt noch vieles im argen. Die Kurortwissen- schaft führt ein Mauerblüm- chendasein, die universitären Ressourcen sind Dimensio- nen unterhalb der gesund- heitsökonomischen Größe von 2,5 Prozent der gesamten Leistungsausgaben der Er- satzkassen (Rehabilitation noch gar nicht mit berück- sichtigt!). Dies ist sicher ein wichtiger Grund, warum sich de facto kaum ein talentierter Nachwuchswissenschaftler in diesen Bereich der Medizin verirrt. Das Fatale daran ist, daß wir, wenn wir keine „kri- tische Masse“ an forscheri- schem Potential erreichen, ernsthaft Gefahr laufen, im wahrsten Sinne des Wortes das Kind mit dem Bade aus- zuschütten und uns künftig
aller potentiellen Segnungen des Instrumentes „Kur“ be- rauben. Wollen wir in Zu- kunft nicht gänzlich auf die Kur verzichten, müssen wir sie angemessen (also ihrer wirtschaftlichen Bedeutung innerhalb des Gesundheitssy- stems entsprechend) wissen- schaftlich integrieren und uns von eventuellem (unethi- schem) Ballast befreien.
Univ.-Doz. Dr. med. Karl- Ludwig Resch, Dept. of Complementary Medicine, University of Exeter, 25, Vic- toria Park Road, Exeter EX2 4NT, United Kingdom
Arbeitszeit
Zu dem „Seite eins“-Beitrag „Chan- cen für Klinikärzte“ in Heft 3/1996:
Zahlenakrobaten am Werk
. . . Unter dem derzeitigen Einsparungsdruck wird das Arbeitsschutzgesetz leider von diversen Klinikverwal- tungen dazu mißbraucht, Ko- sten einzusparen, indem die durch Ruhezeit ausgefallene Arbeitskraft nicht oder nicht voll ersetzt wird. Es wird hierbei von betriebswirt- schaftlicher Seite billigend in Kauf genommen, daß das Leistungsspektrum und die Leistungsfähigkeit im ärztli- chen Funktionsbereich dar- unter leidet. Zur Zeit haben leider Zahlenakrobaten das Sagen, die ihr Handeln in erster Linie nach betriebs- wirtschaftlichen Maximen ausrichten . . . Personalnot- standsmeldungen seitens der Ärzteschaft sind mitunter von Verwaltungsseite schon mit dem Hinweis auf die Haftpflichtversicherung der Klinik abgeschmettert wor- den. Eine derartige Entwick- lung könnte verhindert wer- den, wenn der Gesetzgeber klare Vorgaben machen wür- de, wonach die Umsetzung des Arbeitszeitgesetzes nicht zur Personalreduktion füh- ren dürfe.
Hans Georg Lorscheidt, Mit- telbech 28, 51491 Overath- Heiligenhaus
A-864 (12) Deutsches Ärzteblatt 93, Heft 14, 5. April 1996
S P E K T R U M LESERBRIEFE/BÜCHER
Neonatologie
Fortschritte
Herwig Stopfkuchen, An- nette Queisser-Luft, Georg Simbruner: Neonatologie.
Ein Kompendium für Ärzte und Pflegepersonal, Wissen- schaftliche Verlagsgesell- schaft, Stuttgart, 1995, 360 Seiten, 74 Abbildungen, 62 Tabellen, gebunden, 98 DM
Die Neonatologie in Deutschland hat unüber- sehbare Fortschritte aufzu- weisen: Beim Vergleich der europäischen Mortalitätssta- tistiken ist die Bundesrepu- blik von einem Platz im Mit- telfeld in die Spitzengruppe aufgerückt. Aber nicht nur die Sterblichkeitsrate ist zurück- gegangen, Frühchen und kranke Neugeborene dürfen mit einer deutlich verbesser- ten Lebensqualität rechnen.
Um diese Erfolge zu erhalten oder noch zu steigern, haben
drei Kliniker aus Mainz und München gemeinsam ein Kompendium verfaßt, das für alle Beteiligten – Geburts- helfer, Hebammen, neonato- logisch tätige Pädiater und Kinderkrankenschwestern – praktische Hinweise zusam- menfaßt. Der Leitfaden
„kann und will nicht das Le- sen eines der vielen . . . Lehr- bücher der Neonatologie . . . ersetzen“, so die Autoren, sondern eher dazu anregen.
In drei Teile gegliedert, finden sich Informationen zum Ener- giehaushalt des Neugebore- nen sowie ausführliche Anga- ben zu Diagnose und The- rapie der wichtigsten neona- tologischen Krankheitsbilder.
Den breitesten Raum im Ka- pitel Therapie nimmt das re- spiratorische Versagen ein, wobei die Autoren speziell auf die praxisnahe Darstel- lung der maschinellen Beat- mung Wert gelegt haben.
Renate Leinmüller, Offenbach
Medizinethik
Heterogen
Richard Toellner, Urban Wiesing (Hrsg.): Wissen – Handeln – Ethik. Strukturen ärztlichen Handelns und ihre ethische Relevanz, Medizin- Ethik 6, Gustav Fischer Ver- lag, Stuttgart, Jena, New York, 1995, X, 134 Seiten, kartoniert, 64 DM
Im ersten Teil dieses Ban- des finden sich sechs Vorträge zu der im Buchtitel angegebe- nen Thematik. Entsprechend der Vorgehensweise in der ärztlichen Praxis werden ethi- sche Aspekte der Anamnese, der Indikation und der Pro- gnose vorgestellt.
Zentrales Anliegen des Symposions im Jahr 1994 war die Befragung der angeblich wissenschaftlich neutralen, methodischen Voraussetzun- gen ärztlicher Tätigkeit auf ih- re moralischen Implikationen aus medizinhistorischer, phi- losophischer, sozialmedizini- scher und klinischer Sicht. Die Bearbeitung der Themen ist
entsprechend der beruflichen Herkunft der Autoren sehr he- terogen. Der Leser muß sich durch alle Beiträge arbeiten, ohne am Ende auch nur auf den Versuch einer zusammen- führenden und für ihn wegwei- senden Betrachtung zu stoßen.
Der zweite Teil dieses Jahrbuches ist der Dokumen- tation der Jahresversamm- lung 1994 des Arbeitskreises der Ethik-Kommissionen in Deutschland gewidmet, wobei die dabei gehaltenen Vorträge die ethischen Probleme deut- lich machen, die sich in der kli- nischen Forschung mit nicht- einwilligungsfähigen Patien- ten ergeben. Das Studium die- ser Beiträge ist Klinikern aller Disziplinen zu empfehlen.
Leider sind die Beiträge im Vortragsstil geblieben und auch unterschiedlich gestal- tet. Für künftige Veröffentli- chungen wären zur Erleichte- rung des Zugangs der für den Arzt ohnehin diffizilen und sensiblen Materie einheitli- che Richtlinien für die Auto- ren wünschenswert.
Hans-Joachim Wagner, Homburg/Saar