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Archiv "Japanische Psychiatrie zwischen Zen-Buddhismus und westlicher Schule" (26.02.1986)

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.s. ra.mige

Erhebliche Unterschiede zu den westlichen Ländern gibt es in der japanischen Psychiatrie bei der Behandlung neuroti- scher Störungen, die zum Teil nach uns in Europa unbekann- ten Methoden erfolgt. Hauptziel dieser Methoden ist die An- nahme der sozialen Realität, in der sich der Patient als Teil ei- ner größeren Gemeinschaft, aber auch als Bestandteil der Na- tur verstehen soll. Dagegen gleicht die Behandlung von Psychosen und hirnorganischen Erkrankungen im wesent- lichen der in Deutschland oder Nordamerika. Obwohl die kli- nische Psychiatrie deutscher Schule dem japanischen Den- ken näher steht als dynamische Betrachtungsweisen, gewinnt die amerikanische Orientierung in letzter Zeit zunehmend an Bedeutung. Diese Eindrücke konnte der Autor des nachfol- genden Berichts nach seinem Besuch in Japan bestätigen.

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Qualitätssicherung

BLICK ÜBER DIE GRENZEN

gen Kliniken erhoben und ausge- wertet werden. Für den Modell- versuch ist ein Katalog erarbeitet worden, der 12 am häufigsten auf- geführte Operationen enthält. Das EDV-Eingabegerät ist direkt im OP-Trakt installiert worden. Die Stammdaten jedes Patienten wer- den aus dem zentralen Rechner der Verwaltung übernommen. Der Operateur ruft lediglich soge- nannte Masken auf dem Bild- schirm ab, auf denen Operations- verfahren, Diagnosen, Risikofak- toren und intraoperative Kompli- kationen tabellarisch zusammen- gefaßt sind. Das Eingabe-Terminal steht direkt neben dem Diktierge- rät, auf den jeder Operateur noch vor Verlassen des OP seinen Be- richt spricht. Durch Eintasten ei- ner Zahlenkombination wählt er entsprechende Daten aus, zusätz- lich erfaßt der Rechner noch sei- ne Identität und die Dauer der Operation. „Die Operation" ist da- mit im Rechner gespeichert; die Abschlußdaten über den Patien- ten (Liegezeit, spätere Komplika- tionen u. a.) werden per Compu- ter bis zu ihrer Eingabe regelmä- ßig angemahnt.

Die Initiatoren des Hamburger Modellversuches hoffen, daß sich die Plausibilität der Daten viel leichter und eher erreichen läßt, wenn der Arzt unter dem Eindruck der Operation und des Patienten die qualitätssichernden Daten er- faßt. Neben den Klinikprofilen zur Qualitätssicherung werden zu- sätzlich noch persönliche Profile für jeden Operateur erstellt. Die für die Gebietsarztanerkennung notwendigen OP-Kataloge kön- nen per Knopfdruck abgerufen und ausgedruckt werden. Auf Wunsch können die abrechnungs- fähigen Leistungszahlen der Kli- nikverwaltung übermittelt und für interne wie externe klinische SkUl- dien erfaßt werden.

Es ist geplant, in einen „Qualitäts- beirat" einzurichten, dem Teil- nehmer des Projektes, je ein Ver- treter der Ärztekammer und ein Arzt der Gesundheitsbehörde Hamburgs angehören sollen. HC

N

ur vereinzelt finden sich in der deutschen Psychiatrie Berichte über den Stand und die Praxis der Psychiatrie in Ja- pan, obwohl auf technischem, wirtschaftlichem und kulturellem Gebiet das Land in ständig stei- gendem Maße unsere Aufmerk- samkeit auf sich zieht. Dies ist um so bemerkenswerter, als in der Zeit der Meiji-Reform (1868-1912) das deutsche psychiatrische Sy- stem übernommen wurde. In den fünfziger und sechziger Jahren veröffentlichten I. Wendt und Cer- ny eine Reihe von Arbeiten über psychotherapeutische und philo- sophische Aspekte der Psychia- trie in Japan (4, 38, 39)*), einen kurzen Überblick über das Kran- kenhauswesen vermitteln Ezoe et al. (16) und Panse (32).

Zu einem großen Teil ist das japa- nische psychiatrische Kranken- hauswesen in privaten Händen. In der hier am eingehendsten stu- dierten Ishikawa-Präfektur stehen den 1,2 Millionen Einwohnern et- wa 3000 pychiatrische Kranken- hausbetten zur Verfügung, von denen 15 Prozent staatlich und 85 Prozent privat sind. Die Hürde, psychiatrische Hilfe in Anspruch zu nehmen oder sich in eine Klinik aufnehmen zu lassen, muß als sehr hoch angesehen werden. So konnte auf Hawaii gezeigt wer-

*) Die in Klammern stehen Ziffern bezie- hen sich auf das Literaturverzeichnis im Sonderdruck.

Japanische Psychiatrie

zwischen

Zen-Buddhismus westlicher Schule und

den, daß Japaner eine psychia- trische Klinik viel seltener in An- spruch nehmen als die meisten anderen untersuchen Volksgrup- pen (Chinesen, Kaukasier, Poly- nesier) und daß die stationär auf- genommenen Japaner dann aber zu den kränkesten Patienten zähl- ten (22).

Erst wenn innerhalb der Familie Hilfe nicht mehr möglich ist, kommt als letztes Mittel eine Klinikaufnahme in Frage. Denn die Patienten fürchten sehr um das Ansehen der Familie oder um ihren Arbeitsplatz, da psychische Erkrankungen stark stigmatisiert werden. In leichteren Fällen wer- den daher gerne alternativ nicht- ärztliche Therapeuten konsultiert,

da hier die Schwellenangst gerin-

ger ist. Die Zahl der niedergelas-

senen

Psychiater ist daher sehr Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 9 vom 26. Februar 1986 (33) 529

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT Psychiatrie in Japan

gering. Zu den konsultierten nichtärztlichen Therapeuten ge- hören vor allem Akupunkteure, einheimische Heiler und auch Zen-Priester.

Gerade Akupunkteure nehmen für sich gelegentlich in Anspruch, daß sie den von den Ärzten und Psychiatern vernachlässigten psy- chotherapeutischen Teil der Pa- tientenbetreuung besonders pfle- gen, da nur sie ausführliche Ge- spräche mit ihren Patienten führ- ten.

In vergleichenden Untersuchun- gen wird vielfach hervorgehoben, daß sich die psychiatrische Ge- samtmorbidität in Japan nicht we- sentlich von der anderer west- licher Länder unterscheidet und bei etwa 1,2 Prozent liegt (6).

Nach inoffiziellen Berichten der besuchten lshikawa-Präfektur dürfte die Prävalenz der Schi- zophrenie mit rund 0,7 Prozent auch etwa der in Mitteleuropa ent- sprechen. Bei Schizophrenien sind aber wohl halluzinatorische Phänomene seltener als bei Kau- kasiern (15, 29, 35).

Geringere Suchtprobleme, ähnliche Suizidrate

Der augenfälligste Unterschied bei der Zusammensetzung der psychiatrischen Krankenhauspo- pulationen dürfte aber nicht in der Ausgestaltung der endogenen Psychosen, sondern in der gerin- gen Rolle des Suchtproblems lie- gen. Unter den 65 Patienten der Universitätsklinik Kanazawa be- fand sich nur ein Patient mit ei- nem chronischen Alkoholpro- blem. Auch im Regionalkranken- haus Tatamatsu lag der Anteil der Patienten, bei denen Alkoholis- mus oder eine andere Sucht als Diagnose angegeben wurde nicht über 5 Prozent.

Dies ist insofern erstaunlich, als Alkohol im sozialen Leben des Ja- paners durchaus eine große Rolle spielt: So gehört es bei Angestell-

ten fast noch zur Dienstverpflich- tung, nach Beendigung der Arbeit mit Kollegen durch Bars zu ziehen (in der Stadt Kanazawa gibt es für 420 000 Einwohner etwa 5000 Bars). Eine Invalidisierung und so- zialer Abstieg bis zum wohnungs- losen Stadtstreicher durch Alko- hol ist in Japan, zumindest in der Provinz, vollständig unbekannt und auch nicht vorstellbar. Da Ar- beit in Japan einen hohen sozia- len Wert darstellt und auch im Krankheitsfall nicht die Lohnfort- zahlung automatisch gesichert ist, wäre selbst bei manifesten Alko- holismus die Durchführung einer längerfristigen Entwöhnungsbe- handlung äußerst schwierig.

Während das Suizidproblem in Ja- pan lange Zeit besondere Beach- tung in der Literatur fand, spielt es heute bei der praktisch-psychiatri- schen Tätigkeit keine größere Rolle als in Mitteleuropa oder in Amerika (6, 9, 17, 19, 31). Während vor dem letzten Weltkrieg beson- ders bei jungen Frauen und Män- nern die Selbstmordrate weit über der Europas lag, hat sie sich nach dem Krieg rasch europäischen Werten angenähert, sie zum Teil sogar unterboten und zeigt jetzt auch nicht mehr die früher ty- pische Verteilung mit einem Maxi- mum zwischen dem 15. und 25.

Lebensjahr (9).

In der Universitätsklinik von Kana- zawa zum Beispiel machten die Depressiven etwa drei Viertel aller Patienten aus, im Regionalkran- kenhaus etwa 50 Prozent. Kimura (20) hat darauf hingewiesen, daß Japaner toleranter gegenüber de- pressiven Symptomen als

peut-

sche sind. Einsamkeit, Verschwie- genheit, Zurückgezogenheit und eine gewisse Traurigkeit seien Bestandteil der japanischen Men- talität. Auch der von Shimoda be- schriebene japanische Typus me- lancholicus zeigt mit seiner Gründlichkeit, Ernsthaftigkeit und Zuverlässigkeit sowie durch sein hohes Gerechtigkeits- und Ver- antwortungsgefühl Eigenschaf- ten, die in Japan, insbesondere im Arbeitsleben, hohe Wertschät-

zung genießen (24). Schuldgefüh- le gegenüber Arbeitskollegen fand Kimura nur bei japanischen, nicht bei deutschen Depressiven, was als Ausdruck eines kulturspe- zifischen Solidargefühls, sich Gruppen zugehörig zu fühlen, verstanden werden kann (21).

Stationäre Psychiatrie nach europäischem Muster

In allen Kliniken fiel die sehr ein- fache und bescheidene Bauweise sowie die oft spartanische Aus- stattung der Patienten- und Ar- beitszimmer auf. Die Ausstattung mit elektronischen Geräten, EEG- Analyser, Computer zur Erfassung von Patientendaten oder zur Aus- wertung wissenschaftlicher Er- gebnisse war in den Universitäts- kliniken beeindruckend gut und selbst noch im relativ kleinen Re- gionalkrankenhaus mit 350 Betten so hervorragend, daß sie mit der mancher deutscher Universitäts- klinik konkurrieren konnte.

Die stationäre psychiatrische Be- handlung findet in offenen und geschlossenen Stationen nach europäischem Muster statt. Ist ein Patient nicht mit seiner Unterbrin- gung einverstanden, können die Verwandten, der behandelnde Arzt und ein Beamter der Gesund- heitsbehörde diese auf Grund ei- nes Gesetzes gemeinsam erwir- ken.

Der Schwerpunkt der Behandlung liegt in der Universitätsklinik fast ausschließlich und im Regional- krankenhaus weitgehend auf me- dikamtentösem Gebiet. Im Regio- nalkrankenhaus stehen außerdem noch Arbeitstherapie, Sportmög- lichkeiten, Bibliothek, Teeraum und Werkstätten zur Verfügung.

Das Arzt-Patienten-Verhältnis ist in der Universitätsklinik Kanazawa außerordentlich günstig (insge- samt 18 Ärzte für 65 stationäre Pa- tienten und eine Ambulanz). Je- der Assistent ist verpflichtet, an der Arbeit einer Forschungsgrup- pe teilzunehmen.

530 (34) Heft 9 vom 26. Februar 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Psychiatrie in Japan

In den besuchten Kliniken wurde nur eine sehr beschränkte Aus- wahl von lange eingeführten Psy- chopharmaka verabreicht. Zu den verordneten Medikamenten ge- hörten vor allem Maprotilin, Ami- triptylin, Haloperidol, Diazepam, Biperiden und Pimozid. Depot- Neuroleptika werden kaum verab- reicht. Die Dosierung der Medika- mente liegt erheblich unter der in Mitteleuropa verordneten Menge:

Kein stationärer Patient erhält mehr als 75 mg Maprotilin oder Amitriptylin pro Tag; die Tages- höchstdosis für Haloperidol be- trägt 15 mg. — Im Provinzkranken- haus werden 350 Patienten von neun Ärzten (einschließlich dem Chef) betreut. Dem Regionalkran- kenhaus ist eine großzügig ausge- stattete Tagesklinik angeschlos- sen. Die durchschnittliche Ver- weildauer in der Universiätsklinik liegt bei etwas über einem Monat, die im Regionalkrankenhaus be- trägt etwa 400 Tage.

Analytische Psychiatrie nicht stark ausgeprägt Krankengeschichten und Arzt- briefe werden von Hand relativ ausführlich in Japanisch verfaßt.

Die Bezeichnung der Diagnosen und einzelnen Symptome erfolgt jedoch meist in Deutsch, gele- gentlich auch in Englisch. Die Diagnostik der Psychosen erfolgt zumindest in Kanazawa nach den Kriterien von Kurt Schneider, der häufig wie auch die Werke von Kraepelin und Jaspers im deut- schen Original gelesen wird.

„Beeinträchtigungswahn" oder

„Gedankenausbreitung" zum Bei- spiel sind Bestandteile der No- menklatur in Japan und werden zur Beschreibung, gelegentlich aber wohl auch zur Erklärung die- ser Phänomene herangezogen.

Diese Begriffe müssen jedoch zu- meist ohne Kenntnis der deut- schen Sprache, die nicht sehr ver- breitet ist, erlernt werden.

Seit etwa zwei Jahren wird an den meisten Universitätskliniken die

Die Diagnostik der Psychosen folgt deutschen Vorbildern. Die Werke Emil Kraepelins (Foto) etwa werden oft noch im Original gelesen. Foto: Max-Planck- Institut für Psychiatrie, Planegg

Klassifizierung nach ICD 9 durch die des DSM III ersetzt. Durch die- se Umstellung kommt es zur Zeit zu einem verstärkten Einfluß der englischen Terminologie, die zu- sammen mit dem DSM III über- nommen wird. Die Ausrichtung der einzelnen Kliniken schwankt erheblich. Viele Universitätsklini- ken sind schon seit Jahrzehnten Anhänger einer anglo-amerika- nisch ausgerichteten Psychiatrie.

Auch in den eher amerikanisch ausgerichteten Universitäten spielt die Psychoanalyse keine große Rolle.

Psychoanalytisches Gedankengut wird aber zur Erklärung von sozia- len und kulturellen Phänomenen, weniger zur Therapie von Einzel- personen benutzt. Am bekannte- sten sind die Bemühungen von Takeo Doi, der das Regressions- bedürfnis der Japaner durch das Prinzip „amae" erklären möchte (11, 13). Hierbei handelt es sich um das Gefühl des Säuglings an der Brust, der das Bedürfnis, ge- liebt und verwöhnt zu werden, sein ganzes Leben lang beibehält.

(12, 14).

Weitere Versuche, japanisches Verhalten psychoanalytisch zu er- klären, stammen meist von ameri- kanischen Autoren der Universitä- ten Berkeley und Hawaii (2, 3, 7, 8,

10, 25, 26, 27, 29, 37, 40). Die Zahl der psychotherapeutisch tätigen Ärzte ist äußerst gering: Sie sind, wenn überhaupt, nur in den bei- den großen Agglomerationen (To- kyo-Yokohanma und Osaka-Ky- oto-Kobe) anzutreffen.

Japanisches Denken ist sehr prag- matisch, und der Entwicklung grö- ßerer philosophischer Gedanken- gebäude steht man eher skep- tisch gegenüber. Dies dürfte einer der Gründe sein, weshalb sich der analytische Zweig der Psychiatrie nicht durchsetzt. Der andere we- sentliche Grund dürfte darin lie- gen, daß ein Japaner nicht diesel- be individuelle Handlungs- und Entscheidungsfreiheit wie ein Westeuropäer oder Amerikaner hat und ständig nur in oder für ei- ne Gruppe handelt oder sich all- gemein akzeptierten Normen un- terwirft. Eine besonders auf die Stärkung des Ich und der Indivi- dualität ausgerichtete Therapie- form muß daher rasch Arzt und Patient in einen Konflikt mit der Gesellschaft führen: Bei der Aus- bildung der Ärzte zum Psychiater, die fünf Jahre dauert und zur Zeit noch nicht mit einer Prüfung ab- geschlossen wird, spielt eine psy- chotherapeutische Ausbildung daher keine große Rolle.

Zen und Konfuzius prägen psychiatrische Therapie In Japan wurden mehrere psych- iatrische Therapieformen entwik- kelt, die außerhalb des Landes kaum bekannt sind. Die bekannte- ste ist die im Jahre 1919 vom Lei- ter der Jikeikai-Universität in To- kyo begründete und nach ihm be- nannte Morita-Therapie (4, 5, 6, 18, 23, 28, 33, 34, 36, 38). Diese Therapieform ist heute in den gro- ßen Städten verbreitet, wird aber nur an zwei Universitäten gelehrt (Jikeikai-Fakultät in Tokyo und Universität Kyushu). Diese Thera- pie richtet sich gegen psychoso- matische Beschwerden,

neuroti-

sche Symptome und Erschöp-

fungssyndrome,

die unter dem Ausgabe A 83. Jahrgang Heft 9 vom 26. Februar 1986 (37) 531

(4)

DEUTSCHES ÄRZTEBLATT

Psychiatrie in Japan

auch im Japanischen nur unscharf definierten Begriff des „shinkeis-

hitsu" zusammengefaßt werden.

Postuliert wird ein hypochondri- scher Charakter, der diesen Stö- rungen zugrunde liegt. Das Ziel der Therapie besteht darin, die Realität zu akzeptieren und die Aufmerksamkeit von dem quälen- den Symptom, das dadurch nur verstärkt wird, abzuziehen.

Die Therapie wird fast immer sta- tionär durchgeführt und dauert meist zwischen 20 und 150 Tage.

Die Behandlung ist in vier Phasen eingeteilt: In der ersten, die maxi- mal eine Woche dauert, muß der Patient strenge Bettruhe einhal- ten. Er wird isoliert, darf nicht le- sen, kein Radio hören und nicht mit anderen Patienten sprechen.

In dieser Zeit, die für die Behand- lung als die wichtigste angesehen wird, wird der Patient mit seinen Symptomen allein gelassen. Er soll schließlich unter seiner Untä- tigkeit leiden und das Bedürfnis nach Tätigkeit entwickeln. Der Arzt erscheint zu täglichen Visi- ten, um sich vom Befinden des Patienten zu überzeugen. Über die Symptome der Erkrankung darf dabei weder in dieser ersten Zeit noch während der späteren Behandlung gesprochen werden.

Der Dialog zwischen Arzt und Pa- tient findet während der ganzen Zeit durch ein Tagebuch statt, das der Patient schreibt und der Arzt täglich liest und kommentiert.

Nach Beendigung der Zeit der strengen Bettruhe wird der Pa- tient schrittweise nach einem fest- gelegten Plan wieder mehr Arbeit zugeführt. Die Aktivität besteht dabei zunächst in einfacheren (zum Beispiel Laub harken) später in schwereren Arbeiten, die mit den Händen verrichtet werden.

Wichtig ist dabei, daß nicht eine bestimmte Eigenschaft wie bei der Arbeitstherapie (wie etwa Aus- dauer oder Konzentrationsfähig- keit) trainiert werden soll, sondern daß das Ziel der Arbeit die Arbeit selber ist. Sie soll auch nicht aus Freude, sondern aus Notwendig- keit verrichtet werden.

Erst gegen Ende der Behandlung kommt es wieder zu einer geisti- gen Anregung durch Lektüre ver- ständlicher wissenschaftlicher Werke oder durch Dia-Vorträge über allgemeinbildende Themen.

Die Lektüre von Romanen ist in dieser Zeit noch nicht erwünscht, wohl weil hierbei die Fantasie der Patienten zu sehr angeregt wer- den könnte und sie dadurch wo- möglich wieder in ihre alten Ge- dankenbahnen zurückkehren könnten. Nach etwa 40 Tagen sind zumeist 80 Prozent der Patienten deutlich gebessert oder be- schwerdefrei. Rückfälle innerhalb der ersten zwei Jahre und Wieder- holungen sind relativ selten.

In der Morita-Therapie sind so- wohl Zen-buddhistische als auch konfuzianistische Elemente wie auch westliche therapeutische Verfahren enthalten (zum Beispiel Verhaltenstherapie, paradoxe In- terventionen). Sie beansprucht je- doch keinerlei Theorie für sich und will ausschließlich als eine rein pragmatische Methode ver- standen sein. Nicht zuletzt wegen ihrer Theorielosigkeit wurde sie gerade von westlicher Seite sehr kritisiert oder gar nicht ernst ge- nommen. Die Kritik geht jedoch meist von einem sehr westlichen Verständnis vom Individuum aus (18). Außerhalb Japans wird diese Behandlung allein in Los Angeles von Reynolds (33) durchgeführt.

Falsches Sozialverhalten als Behandlungsziel

Der Vorwurf, eine Methode zur Einübung von Konformismus und Schuldgefühlen zu sein, wurde auch gegen die Naikan-Therapie erhoben (30, 34). Hierbei handelt es sich weniger um eine Therapie als um eine Methode der „mora- lischen Aufrüstung". Sie wurde erstmals 1954 bei Strafgefange- nen des Gefängnisses von Nara durchgeführt. Ziel der Behand- lung ist das Erkennen der eigenen Fehler im Sozialverhalten. Insbe- sondere geht es darum zu sehen,

wann man sich wem gegenüber schuldig gemacht hat (etwa El- tern, häufig der Mutter, häufig auch Arbeitskollegen). Oft schik- ken sogar Industriebetriebe ihre Mitarbeiter in einen solchen Kurs, weil sie sich davon einen positi- ven Effekt auf das Arbeitsverhal- ten versprechen. Der Patient muß eine Woche lang von 5.30 bis 21.00 Uhr alleine über seine Feh- ler nachdenken. Der Therapeut kommt etwa alle zwei Stunden zu ihm, um neue Fragen und Aufga- ben zu stellen, über die der Pa- tient nachdenken muß. Diese Be- handlung ist insofern interessant, als sie ganz wesentlich mit der Er- zeugung von Schuldgefühlen ar- beitet, während man im Westen unter dem Einfluß der Arbeiten von Ruth Benedict (1) lange Zeit glaubte, daß diese im Gegensatz zu den Schamgefühlen keine gro- ße Rolle spielten.

Weit weniger als diese Therapie- formen sind wohl die Shadan- und die Seiza-Therapie verbreitet (34), die auch große Ähnlichkeiten mit den genannten Methoden haben:

Die Shadan-Therapie arbeitet mit Isolation, Bettruhe und stunden- langem Schweigen. In einer spä- teren Phase muß der Patient stu- fenweise geistige Arbeit verrich- ten (Rechenaufgaben, Abschrei- ben von beliebigen Texten).

Die Seiza-Therapie ist ein üben- des Verfahren, das große Ähnlich- keit mit der Zen-Meditation hat:

Dieser Behandlung liegt eine be- stimmte Sitz- und Atemtechnik zu- grunde. Auch die Zen-Meditation hat durchaus therapeutische Funktionen, da es sich hierbei nicht um eine religiöse Handlung, sondern um eine pragmatische Methode zur Erhaltung des kör- perlichen und geistigen Gleichge- wichtes sowie der Gesundheit handelt (34).

Literatur beim Sonderdruck, zu beziehen über den Verfasser.

Dr. med. Bernd Hentschel Mörfelder Landstraße 112 6000 Frankfurt am Main 70 532 (38) Heft 9 vom 26. Februar 1986 83. Jahrgang Ausgabe A

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