Schlusswort
Die Mitteilung von Heller und Litz be- stätigt, dass die andernorts schon seit langem bevorzugte Regionalanästhe- sie bei der Karotis-Thrombendarte- riektomie (Karotis-TEA) auch in Deutschland zunehmend angewendet wird. Das entscheidende Argument ist das nahezu perfekte Neuromonitoring am wachen Patienten und die (ver- meintlich) geringere Invasivität. Ob die Rate kardialer, respiratorischer und/oder neurologischer Komplika- tionen tatsächlich geringer ist als bei der Intubationsnarkose, wird in der Literatur jedoch kontrovers diskutiert (1) und derzeit in einer großen rando- misierten europäischen Studie über- prüft (GALA-Trial). Geringere Ko- sten für die Regionalanästhesie sind wahrscheinlich, sofern der personelle und apparative Aufwand hierdurch re- duziert werden kann. Konkrete be- triebswirtschaftliche Analysen liegen für die deutschen Verhältnisse bislang jedoch nicht vor.
Die Forderung von Arning nach ho- hen Qualitätsstandards bei der Diag- nostik von Karotisstenosen unterstüt- zen wir ausdrücklich. Leider sehen wir immer noch zu häufig duplexsonogra- phische aber auch MR-angiographi- sche Befunde, die für eine sorgfältige gefäßchirurgische Indikationsstellung unzureichend sind und dann weitere Untersuchungen erfordern.
In unserem Artikel wurde erwähnt, dass im internationalen Schrifttum mittlerweile die NASCET-Kriterien zur Bestimmung des Stenosegrades fa- vorisiert werden. Dies gilt auch für den von uns dargestellten Algorith- mus.
Wie im Beitrag aufgeführt, soll sich die Indikationsstellung zur Karotis- TEA bei größer als 60-prozentigen asymptomatischen Stenosen (NASCET- Kriterien) an weiteren Kriterien orien- tieren: Lebenserwartung höher als fünf Jahre, aufgehobene CO2-Reaktivität, kontralateraler Verschluss, stummer Hirninfarkt im CCT, jünger als 75 Jah- re und – als wichtigstes Kriterium – ei- ne perioperative Schlaganfallrate/Le- talität von weniger als drei Prozent.
Die angeführte „number needed to treat (NNT)“ von 83 zur Verhinderung
eines Schlaganfalls innerhalb von zwölf Monaten ist irreführend, da es sich bei der Desobliteration einer asymptomatischen Stenose um eine sich in den Folgejahren auszahlende Intervention handelt. Berechnet auf fünf Jahre, ergibt sich bei einer Kom- plikationsrate von zwei Prozent eine NNT von 16. Da die Karotis-TEA das Risiko eines ipsilateralen karotisbe- dingten Schlaganfalls auf Dauer wei- testgehend ausschaltet, sinkt bei der Betrachtung noch längerer Zeiträume die NNT noch weiter.
Die von Arning angestellten Über- legungen treffen jedoch durchaus für das Stenting von Karotisstenosen zu, da neurologisch kontrollierte Lang- zeitstudien fehlen. So waren in der mittlerweile publizierten SAPPHIRE- Studie 70 Prozent aller Stenosen asym- ptomatisch mit einer periinterventio- nellen Schlaganfallrate/Letalität von 5,8 Prozent (2).
Legt man für asymptomatische höhergradige Stenosen ein Schlagan- fallrisiko von zwei bis drei Prozent pro Jahr zugrunde (wie in „asymptomatic carotid artery stenosis“ [ACAS] und in „Asymptomatic Carotid Surgery Trial“ [ACST] im konservativen Arm), ergibt sich für den nachuntersuchten Zeitraum von zwölf Monaten, dass in der SAPPHIRE-Studie kein einziger Schlaganfall durch den Karotis-Stent verhindert wurde, sondern „netto“
zwei oder drei neue Schlaganfälle/To- desfälle hervorgerufen wurden. Die Autoren hätten besser daran getan, diese Hochrisikopatienten mit einer eher kurzen Lebenserwartung konser- vativ zu behandeln.
Literatur
1. Rerkasem K, Bond R, Rothwell PM: Local versus ge- neral anaesthesia for carotid endarterectomy Cochrane Database. Syst Rev 2004
2. Yadaf JS: Stenting and angioplasty with protection in patients at high risk for carotid endarterectomy (The Sapphire Study). AHA Scientific Sessions, 19. Nov.
2002.
3. Yadaf S et al.: Protected carotid-artery stenting ver- sus endarterectomy in high-risk patients. N Engl J Med 2004; 351: 1493–1501.
Prof. Dr. med. Hans-Henning Eckstein Abteilung Gefäßchirurgie
Klinikum rechts der Isar TU München Ismaninger Straße 22 81675 München
M E D I Z I N
A
A1524 Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 2127. Mai 2005
Hohe Inzidenz von Erektionsstörungen
Ein bislang in der chirurgischen Onko- logie völlig unzureichend wahrgenom- menes Problem stellt die sexuelle Funktionsstörung nach operativen Ein- griffen im kleinen Becken dar. Dies im Gegensatz zur Urologie, wo diese Pro- blematik seit längerem erkannt ist und Einfluss auf die Operationsstrategie genommen hat, insbesondere bei der retroperitonealen Lymphadenektomie des Hodenkarzinoms wie auch bei der totalen Prostatektomie. Junginger et al.
sprechen diese Funktionsstörung zwar an, aber unserer Einschätzung nach wird die Bedeutung und Inzidenz nicht ausreichend herausgestellt. Vor dem Hintergrund, dass heute durch neue medikamentöse Ansätze die aktive se- xuelle Funktion zunehmend auch die Lebensqualität im höheren Alter be- einflusst, kommt einer erektilen Funk- tionsstörung (ED) nach kurativer Rek- tumoperation damit eine wichtige Be- deutung zu.
Die Einführung des Prinzips der tota- len Mesorektumexzision (TME) hat die Chirurgie des Rektumkarzinoms in den letzten Jahren erheblich verbessert und nach Einschätzung von Junginger und Mitarbeitern zu einer Abnahme von Blasenfunktionsstörungen geführt. Die- se korrelierte aber nicht mit der beob- achteten erektilen Dysfunktion, son- dern es zeigte sich, dass „bei Durch- führung der TME, anders als bei den
zu dem Beitrag
Totale
Mesorektumexzision kann urogenitale
Dysfunktion vermeiden
von
Prof. Dr. med. Theodor Junginger
Dr. med. Werner Kneist Dr. med. Thomas Borschitz in Heft 46/2004
DISKUSSION
Blasenentleerungsstörungen, die Rate genitaler Funktionsstörung erheblich ist“. Diese Problematik wird auch in der spärlich vorhandenen Literatur wieder- gegeben, wo erhebliche Schwankungs- breiten von 13 bis 17 Prozent ED nach TME angegeben werden.
In einer eigenen retrospektiven Ana- lyse an einer konsekutiven, homoge- nen Patientenpopulation mit kontinenz- erhaltender tiefer anteriorer Rektum- resektion wurde die Inzidenz der ED nach TME untersucht.Von 67 Patienten konnten vollständige Daten mittels va- lider, standardisierter Fragebögen (In- ternational Index of Erectile Function, IIEF-5) prä- und postoperativ erhoben werden. Der Fragebogen besteht aus fünf Fragekomplexen mit jeweils fünf Punkten, sodass sich ein maximaler Score von 25 Punkten bei völlig un- gestörter Erektionsfähigkeit ergibt, und ist bestens evaluiert (1).
In unserem Patientenkollektiv litten bereits präoperativ 28 Prozent der Pa- tienten an einer Erektionsstörung (IIEF < 22). Postoperativ zeigten 72 Prozent einen Abfall des Scores, wobei 28 Prozent der Patienten einen deutli- chen Abfall von > 15 Punkten aufwie- sen. Diese hohe Prävalenz und post- operative Inzidenz der ED spiegelte sich auch in den klinischen Sympto- men einer reduzierten Libido (68 Pro- zent), einer reduzierten Orgasmus- fähigkeit (57 Prozent) sowie einer feh- lenden Ejakulation (39 Prozent) wider.
Durch die logistische Regressionsana- lyse wurden als unabhängige Risiko- faktoren der ED ein Alter von über 60 Jahren, die Karzinomlokalisation in der unteren Hälfte des Rektums sowie eine offene konventionelle Operation nachgewiesen.
Die hohe Inzidenz der ED wird in ihrer Bedeutung bislang kaum wahrge- nommen, was der Tatsache zu entneh- men ist, dass von unseren Patienten weniger als zehn Prozent postopera- tiv urologisch behandelt wurden. Dies obwohl bekannt ist, dass die ED nach operativen Eingriffen nicht zwangsläu- fig unverändert bleiben muss, sondern eine sexuelle Rehabilitation durch frühzeitige Einnahme eines PDE-5- Hemmers gefördert werden kann.
Allein die Wahrnehmung dieser Pro- blematik und die Beschäftigung mit der
komplexen Anatomie der autonomen Nervenversorgung im kleinen Becken kann zu einer Verbesserung führen.
Darüber hinaus kann nach unserer Datenlage die minimalinvasive laparo- skopische Operationstechnik die ED positiv beeinflussen. Möglicherweise ist dies die Folge der besseren Visuali- sierung der feinen anatomischen Struk- turen im kleinen Becken.
Das Ziel einer adäquaten chirurgi- schen Onkologie ist es, nicht nur die Tu- morkontrolle und Prognose zu verbes- sern, sondern darüber hinaus für eine möglichst hohe Lebensqualität zu sor- gen, zu der auch die sexuelle Funkti- onsfähigkeit gehört.
Literatur
1. Ramond C et al.: The international index of erectile function (IIEF): a multidimensional scale for assess- ment of erectile dysfunction. Urology 1997; 49:
822–830.
Prof. Dr. med. Karl-Walter Jauch Chirurgische Klinik und Poliklinik
Klinikum der Universität München-Großhadern Marchioninistraße 15
81377 München
Prof. Dr. med. Markus M. Heiss Klinik für Viszeral-, Gefäß- und Transplantationschirurgie Lehrstuhl für Chirurgie I der Universität Witten/Herdecke Klinikum Köln-Merheim Ostmerheimer Straße 200 51109 Köln
Schlusswort
Wir danken den Herren Heiss und Jauch für ihren Kommentar. Die von ih- nen genannten Zahlen zu urogenitalen Funktionsstörungen nach operativer Therapie des Rektumkarzinoms be- stätigen die von uns ermittelten Werte.
Die Autoren folgern, dass eine Be- schäftigung mit der komplexen Anato- mie der autonomen Nervenversorgung im kleinen Becken sowie die minimal- invasive laparoskopische Operations- technik zu einer Verbesserung der Er- gebnisse führen könnten. Entscheidend für das Auftreten postoperativer uroge- nitaler Funktionsstörungen bei der par- tiellen beziehungsweise totalen Meso- rektumexzision ist die Darstellung und Schonung der autonomen Beckenner- ven. Hierzu werden von den Autoren
keine Angaben gemacht. In japanischen Untersuchungen wurde jedoch dezi- diert den Zusammenhang zwischen ge- nitaler Dysfunktion und dem Ausmaß der Läsion der autonomen Beckenner- ven aufgezeigt (1). Der Erhalt und die Identifikation der autonomen Becken- nerven sind in gleicher Weise bei mini- malinvasivem Vorgehen bedeutsam.
Quah et al. (2) haben in einer randomi- sierten Studie beim Vergleich zwischen konventionellem und minimalinvasi- vem Vorgehen eine höhere Rate genita- ler Funktionsstörungen nach laparo- skopisch assistierten Operationen fest- gestellt, ohne allerdings Angaben zum Ausmaß der Schonung der Nerven zu machen.
Zwar lassen sich durch Schonung der autonomen Beckennerven urogenitale Funktionsstörungen nicht immer ver- meiden, die Schonung ist jedoch die beste Voraussetzung, um die Rate von Funktionsstörungen gering zu halten.
Nur bei erhaltenen autonomen Becken- nerven besteht auch die Chance, post- operativ die erektile Dysfunktion medi- kamentös zu beeinflussen. In diesem Zusammenhang hat auch das von uns entwickelte intraoperative Neuromoni- toring Bedeutung.
Das Prinzip der partiellen bezie- hungsweise totalen Mesorektumexzisi- on bei der operativen Therapie des Rektumkarzinoms beinhaltet die adä- quate Entfernung des Mesorektums und die Schonung der autonomen Beckennerven. Nur wenn beides er- folgt, kann das Ziel der chirurgischen Therapie, nämlich die Optimierung der lokoregionären Tumorkontrolle und die Minimierung urogenitaler Funkti- onsstörungen, erzielt werden.
Literatur
1. Havenga K, Maas CP, DeRuiter MC, Welvaart K, Trim- bos JB:Avoiding long-term disturbance to bladder and sexual function in pelvic surgery, particularly with rec- tal cancer. Semin Surg Oncol 2000; 18: 235–243.
2. Quah HM, Jayne DG, Eu KW, Seow-Choen F: Bladder and sexual dysfunction following laparoscopically as- sisted and conventional open mesorectal resection for cancer. Brit J Surg 2002; 89: 1551–1556.
Prof. Dr. med. Theodor Junginger Klinik für Allgemein- und Abdominalchirurgie Johannes-Gutenberg-Universität
Langenbeckstraße 1 55131 Mainz
E-Mail: sekretariat@ach.klinik.uni-mainz.de M E D I Z I N
Deutsches ÄrzteblattJg. 102Heft 2127. Mai 2005 AA1525