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Deutsches Ärzteblatt 96,Heft 18, 7. Mai 1999 (1)
Mifegyne
Nicht in Apotheken
B
islang legte Andrea Fischer eine auffällige Zurückhal- tung an den Tag, jetzt hat die Realität sie eingeholt. Die Bun- desgesundheitsministerin kam an dem „Problem Mifegyne“ nicht mehr vorbei. Mehrere Anträge zur Zulassung der sogenannten Abtrei- bungspille (früher: RU 486) veran- laßten die Bundesregierung jetzt zu einer Änderung des Arzneimittel- gesetzes. Danach dürfen Medika- mente zum Schwangerschaftsab- bruch vom Hersteller nur direkt an diejenigen Einrichtungen weiterge- geben werden, die die Abtreibung vornehmen. Das heißt, daß Mifegy- ne vom Produzenten nur an Kran- kenhäuser oder Arztpraxen und nicht über den Großhandel oder die Apotheke an den Arzt abgegeben werden darf. Die Arzneimittel-packungen müssen außerdem lau- fend durchnumeriert sein. Ver- schreibung, Abgabe (durch den Hersteller), Empfang (durch die Einrichtung) und Anwendung des Mittels müssen lückenlos doku- mentiert werden, teilte das Bundes- gesundheitsministerium mit. Über- tretungen der Vorschriften könnten in schweren Fällen mit bis zu drei Jahren Haft, in weniger schwerwie- genden Fällen mit Geldstrafe oder einem Bußgeld geahndet werden.
Neben diesen strengen Aufla- gen hält der Präsident der Deut- schen Gesellschaft für Gynäkolo- gie und Geburtshilfe, Prof. Dr.
med. Günter Kindermann, eine umfassende Aufklärung von Ärz- ten und Öffentlichkeit für erfor- derlich. So warnte er vor übertrie- benen Ängsten ebenso wie vor
übertriebenen Erwartungen an das Präparat. Er wies darauf hin, daß es für einen Abbruch mit Mifegyne keine Indikation vor der siebten Schwangerschaftswoche geben dür- fe, weswegen er eine Zulassung vor der siebten Woche für „ärztlich verantwortungslos“ halten würde.
Eine Zulassung vor dieser Frist würde Frauen nämlich unaus- weichlich in eine „Abtreibungs- problematik hineindrängen, die überhaupt nicht existiert“. Die an- dere Zeitgrenze beziehe sich, so Kindermann, „auf die Versager- quote von zirka 50 Prozent“, die nach der achten Schwangerschafts- woche zu erwarten sei.
Das Gesetz soll – voraussicht- lich im Juli – zeitgleich mit der Ent- scheidung über die Zulassung in Kraft treten. Gisela Klinkhammer
W
enn gesetzliche Reform- vorhaben lange vor der Kabinettsentscheidung beim Kanzler landen, deutet dies in aller Regel auf Probleme hin.Dieses Schicksal hat nun auch die
„Gesundheitsreform 2000“ ereilt – allerdings ohne gravierende Kon- sequenzen.
Gerhard Schröder – so berich- ten die Bonner Beobachter – muß- te vermitteln. Dabei ging es weni- ger um die Inhalte der Reform als vielmehr um den Zeitplan. Schon vor gut zwei Monaten hatte Rudolf Dreßler, einer der führenden Ge- sundheitspolitiker der SPD-Frak- tion, öffentlich bemäkelt, daß das
„grüne“ Bundesgesundheitsmini- sterium mit der Koordination der einzelnen Reformschritte nicht so recht in die Gänge käme. Immer- hin will die Koalition mit der Re-
form das Gesundheitswesen nach- haltig verändern – und die umfang- reichen Vorarbeiten dazu bis zur Sommerpause fertig haben.
„Das ist keine Veranstaltung, die man mal eben zwischen Suppe und Kartoffeln macht“, zitiert der Südwestrundfunk den bärbeißigen Sozialdemokraten. Dreßler hegt offenbar ernste Zweifel, daß das Werk in der sehr knapp bemesse- nen Zeit gelingen könnte. Gudrun Schaich-Walch (gleichfalls SPD) sieht es wohl ähnlich und forderte schon eine Verschiebung der Re- form um ein halbes Jahr.
Ganz anders Andrea Fischer, die Bundesgesundheitsministerin.
Sie hält an dem Zeitplan fest und wird dabei offenbar vom Bundes- kanzler gestützt. Denn das rot-grü- ne Spitzengespräch bei Gerhard Schröder bestätigte die feste Ab-
sicht der Regierung, die „Gesund- heitsreform 2000“ zum 1. Januar kommenden Jahres in Kraft zu set- zen. Die Gruppe um Dreßler kann lediglich einen Teilerfolg für sich verbuchen: Der Referentenent- wurf aus dem Hause Fischer soll nicht wie ursprünglich geplant am 17. Mai vorgelegt werden, son- dern neun Tage später (!), am 25.
Mai.
Ob die kritischen Sozialdemo- kraten darüber die rechte Freude empfinden werden, mag dahinge- stellt bleiben. Fürs erste hat sich Andrea Fischer jedoch durchge- setzt. Doch das kann Folgen ha- ben. Zeigt die kommende Reform später Schwächen, wird es schnell heißen: Kein Wunder, ist das Ge- setz doch gegen alle Warnungen mit der „heißen Nadel gestrickt“
worden. Josef Maus