DIE YOGESVARIHÖHLE IN ANDHERI
Von Heimo Rau, New Delhi - Heidelberg
I.
Die Göttin YogesvarT ist eine Sakti des Siva, die er hervorbrachte, als er
mit dem Dämon Andhaka kämpfte (l). Aus den Wunden seines Gegners tropfte
das Blut, und aus jedem Tropfen, der zur Erde fiel, entstand ein neuer Dä¬
mon. YogesvarT fing die Blutstropfen in einer Schale auf und verhinderte da¬
mit die unaufhörliche Vermehrung des Feindes, so daß ^iva seinen Kampf
siegreich beenden konnte. In der ihr geweihten Kulthöhle, die unter dem Dorfe
Amboli im Gebiet von Andheri auf der Insel Salsette im Norden Bombays liegt,
tritt dieser Aspekt der Sakti nicht in Erscheinung. Sie wird zur Devi schlecht¬
hin, die mit Pärvati in Eins verfließt. Die Göttin gilt als Hüterin und Schütze¬
rin der Familie. Die Frauen der Umgebung kommen zur püjä, die Kinder¬
segen erwarten oder erbitten. In der Cella befand sich lange Zeit ein moder¬
nes Kultbild der Durgä. Vor kurzem wurde es entfernt. Jetzt werden die
Fußspuren der Göttin verehrt und mit Blumen überhäuft, die in den gewachse¬
nen Fels im Zentrum der Zella eingeprägt sind. Eine Darstellung des Siva
als Andhakaripu wie auf Elephanta, wo der Dämon auf seinem trisüla aufge¬
spießt verblutet und YogesvarT die Schale emporhält, um die Tropfen aufzu¬
fangen und unschädlich zu machen, ist in dem ausgedehnten Tempelkomplex
der Yogesvarihöhle nirgends erhalten. Die Kulthöhle liegt in einem niedrigen
von den Hütten des Dorfes Amboli bedeckten Felsenhügel (2). Ihr Erhaltungs¬
zustand war denkbar schlecht. Ständig rieselndes Sinterwasser in Monsun¬
zeiten und aus der darüber liegenden Siedlung eindringende Abwässer hatten
die künstlich angelegte Höhle stellenweise in eine Naturhöhle und die ausge¬
hauenen Säulen in Tropfsteingebilde verwandelt. Skulpturen und Reliefs, mit
denen die Höhle nicht zu reichlich ausgestattet ist, haben unter diesen phy¬
sikalischen Bedingungen besonders gelitten und sind z.T. bis zur Unkenntlich¬
keit zerstört worden. Eine durchgreifende Restauration hat im Jahre 1973
die schlimmsten, reparierbaren Schäden behoben und die versinterten Säulen
durch Nachformungen aus Beton ersetzt. So gibt es kaum noch eine aus dem
Naturfelsen gehauene Stütze. Skulpturen und Reliefs wurden mit Recht so be¬
lassen, wie sie waren.
II.
Die Besucher betreten die Höhle von Westen. Der Haupteingang liegt aber
wie auf Elephanta im Osten. Er ist von der Hügelkuppe her tief in den Felsen
eingeschnitten. Durch einen absteigenden Hohlweg gelangt man über eine
3.00 - 3.5o m breite, vielstufige Treppe in einen kleinen Vorhof. Nach Westen
öffnet sich ein Tor mit kannelierten Pilastern und Särdülakonsolen. Das Re¬
lief über dem Türsturz ist eine Rävanänugrahamürti, leider stark zerstört.
Man betritt eine Eingangshalle von 11 m zu 13. 7o m Ausdehnung. An jeder
Seite dieses mukhamandapa stehen vier Säulen des aus Elephanta bekannten
Typs und zwei Halbsäulen. Dahinter befindet sich links eine völlig zerstörte
Skulpturenreihe der Asta Mätrkäs. Auf der rechten Seite sitzt ein mächtiger,
von Anbetern umgebener Ganesa, der dick mit roter Farbe bemalt ist und noch
heute verehrt wird. Ikonographisch gehört er zu den acht Muttergottheiten.
Diese Darstellungen sind eine Parallele zu den Skulpturen gleichen Themas
im Nebentempel des Osthofes des Mahesaheiligtums auf Elephanta. Hier wie
dort haben sie offensichtlich eine religiöse Funktion am Eingang zum Tempel.
Auf diese Vorhalle folgt ein offener aus dem Felsen ausgehauener jedoch un¬
fertiger Hof von 12.80 m Breite und 20 m Länge. Die Westseite stellt die Stirn¬
wand einer zweiten Vorhalle dar. Den Zugang vermittelt ein Tor, über dem sich
wieder ein kleineres Relief befindet, hier mit der Darstellung des Nataräja.
Diese zweite Vorhalle ist 18.30 m breit und 8.50 m tief. Wieder stehen zu
beiden Seiten je vier Säulen und zwei Halbsäulen des aus Elephanta bekannten
Typs. Dahinter aber sind rechts wie links glatte Wände ohne jede Spur von
Skulpturen. Uber der Westwand aber, durch die drei Tore zur Haupthalle
führen, sind kleinfigurige Reliefs der Kalyänasundaramürti (rechts) und des
Umäsahitasiva( links ) angebracht. In der Mitte thront LakulTsvara mit der Keule,
umgeben von YogTs. Rechts und links vom Mitteltor steht je ein Dvärapäla mit
reichem jatämukuta.
Die Haupthalle, die man durch das Mitteltor oder durch je ein weiteres Tor
von den beiden Seitenschiffen der Vorhalle aus betreten kann, ist quadratisch.
Jede Seite mißt etwa 27.00 m. Im Zentrum steht die kubische Zelle mit 7.30 m
Seitenlänge und öffnet ihre Tore nach allen vier Himmelsgegenden, darin die
Fußspuren der Göttin. Nach allen Seiten sind dieser Caturmukha-Zella sechs
Säulen vorgelagert. Insgesamt sind es also zwanzig, die das Sanctum in einem
größeren Quadrat umgeben. Das Ganze läßt sich als Zentralanlage auffassen,
ebensogut aber als Kreuz. Von drei Seiten führt der Weg vom Tor durch die
Halle direkt auf eines der Tore der Zella zu, nur die vierte Seite (im Norden)
ist blind.
Im Süden ist dem mahämandapa, der Haupthalle eine 36,50 m lange Kolon¬
nade von zehn Säulen des aus Elephanta geläufigen Typs vorgelagert, die heut¬
zutage aus Beton bestehen. Sie wirkt wie eine monumentale Frontansicht. Der
kleine, dem Felsen abgewonnene Südhof davor steht im Mißverhältnis dazu.
Deutlich ist zu sehen, daß hier die geplanten Ausschachtungsarbeiten nicht
zuende geführt worden sind. Drei Türen und zwei Fenster mit reliefierten
Rahmen öffnen sich von der Haupthalle zur Kolonnade.
Der Westeingang ist tief in den Felsen eingeschnitten wie der Osteingang,
allerdings kürzer. Eine kleine Vorhalle mit beiderseits zwei Säulen und zwei
Halbsäulen und unkenntlichen Darstellungen ist der Haupthalle vorgelagert.
Je ein Dvärapäla rechts und links bewacht das Tor.
III.
Die YogesvarT-Höhle ist die einzige Kulthöhle in Indien, deren Haupthalle
eindeutig zentral angelegt wurde. Die Caturmukha-Zella steht genau in der
Mitte, sodaß keine Himmelsrichtung bevorzugt wird und in keiner Richtung
der Eindruck entsteht, als handelte es sich um einen Längsraum. Zwei andere
Kulthöhlen haben ebenfalls Caturmukha-Zellen aber in anderer Position, die
Mahesa-Höhle auf Elephanta (3) und die Dumär Lenä in Elürä (4). Der Ver-
gleich ist aufschlußreich. Der Mahesa-Tempel auf Elephanta wurde wie das
YogesvarT-Heiligtum ursprünglich von Osten her betreten. Dort beginnt der
Pilgerrundgang von Schrein zu Schrein. Von dort schreitet man in gerader
Richtung auf das Linga der Zella zu. Die Verbindung der Säulen durch stei¬
nerne Deckenbalken macht es deutlich, daß diese Raumstruktur der Kulthöhle
nicht zufällig, sonder eine beabsichtigte Konzeption ist: Verbunden sind die
Längsreihen der Säulen in Ost-West-Richtung. Nur bei den Säulenreihen am
östlichen Eingang und vor der Zella finden sich Querleisten zwischen den
oberen Säulenenden. Eindeutig ist also die Ost-West-Orientierung betont und
der Osteingang als Haupteingang gekennzeichnet. Zusätzlich aber ist eine
zweite Raumkonzeption erkennbar, die das traditionelle Ost-West-Schiff in
der Nord-Süd-Richtung kreuzt. Denn auch beim Eintritt von Norden - wie
heute üblich - kann die Halle als dreischiffiges Raumgebilde aufgefaßt wer¬
den. Dabei nämlich führt das Mittelschiff auf das dreigesichtige Haupt des
Mahesa zu und die beiden Seitenschiffe auf die beiderseitig benachbarten
Skulpturenschreine, links den ArdhanärTsvara, rechts den Gahgädhara Siva.
Ubersehen wird dabei die Deckeneinteilung, aber an ihr orientiert sich das
Auge weniger, wenn sich ihm solche Schwerpunkte bieten wie die Riesen¬
plastik des dreifachen Sivahauptes. Nicht berücksichtigt wird dabei die ku¬
bische Zella mit dem Lihga, sie bleibt rechts liegen. Das im architektoni¬
schen Rahmen gegebene Sanctum tritt zur Seite zugunsten eines von der Skulp¬
tur geschaffenen Allerheiligsten. Auch diese zweite Konzeption einer Nord-
Süd-Orientierung auf das Haupt das Mahesa zu ist so deutlich, daJ3 sie nicht
zufällig sein kann. Dies alles führt zu dem Schluß: Geplant war ein kreuz¬
förmiger Grundriß mit der Caturmukha-Zell a im Schnittpunkt. Dazu gibt die
Yogesvarihöhle den Schlüssel, da hier der Prototyp eines solchen Raumes
erhalten ist. Die Caturmukha-Zella liegt dort tatsächlich im Mittelpunkt. In
der Kulthöhle des Mahesa auf Elephanta aber wurde die zentrale Zella um
zwei Joche weiter nach Westen verschoben, um den Blick auf das dreifache
Mahesahaupt freizugeben, die Viergesichtigkeit aber behielt sie bei. Die ur¬
sprüngliche Konzeption der rein kreuzförmigen Anlage wurde durch die Ver¬
schiebung der Zella verunklärt und damit ein Zustand geschaffen, bei dem
sich das Raumgefühl desorientiert vorkommen kann. Vielleicht aber ist die
dadurch entstehende Spannung nicht unbeabsichtigt.
Einen der Mahesa-Kulthöhle auf Elephanta verwandten Grundriß besitzt
der Dumär-Lenä-Tempel in Elürä. Dort geht ein Kreuzarm von Südwesten
nach Nordosten auf die Caturmukha-Zella zu, der andere verbindet die bei¬
den flankierenden Eingänge in Südosten und Nordwesten. Die Zella ist auch
hier um zwei Joche aus dem Zentrum herausgerückt, sodaß zwischen ihr und
der Bergwand der Kulthöhle gerade noch ein Joch für die rituelle Umwandlung
freibleibt. In diesem Falle besteht kein Anlaß zur Dezentralisierung der Zella.
Eine Bilderwand, die einen zweiten Akzent im Raum bilden könnte, gibt es
nicht (5). Offensichtlich ist hier das Beispiel der Mahesa-Kulthöhle auf Ele¬
phanta nachgeahmt, ohne daß die Notwendigkeit vorlag, die dort gegeben war.
Mehr Kulthöhlen dieser Art, mit kreuzförmigem zentral angelegtem Grundriß
und drei Eingängen sind in Indien nicht bekannt. In der Entwicklung des Types
steht die Yogesvarihöhle am Anfang, die Mahesahöhle in der Mitte und Dumär
Lenä am Ende. Das dürfte auch die richtige Reihenfolge in der Datierung sein,
die ich im 7. Jahrhundert und nicht wie andere im 8. Jahrhundert ansetzen
möchte.
IV.
Die Untersuchung des plastischen Schmuckes der Yogesvarihöhle würde
den hier gegebenen Rahmen sprengen. Es muß einer anderen Gelegenheit vor¬
behalten bleiben, die kleinfigurigen Reliefs an und über den Toren, die von
einer Räumlichkeit der Tempelanlage zur nächsten führen, im Einzelnen zu
betrachten und die vollplastischen Statuen genauer zu analysieren. Hier ist
nur noch ein allgemeinerer Uberblick vonnöten, um die Gesamtstruktur die¬
ser Kulthöhle und ihre Bedeutung im Verhältnis zu den verwandten Anlagen
deutlicher zu machen.
Die erste räumliche Einheit ist der mukhamandapa,. die Eingangshalle,
im Osten, die sich dem Besucher öffnet, sobald er die Treppenflucht hinab¬
gestiegen ist. Den bildlichen Hauptakzent setzt die Rävanänugrahamürti auf
dem Türsturz. Obwohl stark zerstört, läßt das Relief den zwanzigarmigen
Rävana deutlich erkennen, die Gestalten Sivas und Pärvatis auf den Höhen
des Kailäsa nur schattenhaft, deutlicher dagegen wieder eine Schar sich drän¬
gender, tierköpfiger Dämonen rings um Rävana. In der Eingangshalle selbst
sind die Asta Mätrkäs links vom Wasser völlig zerstört, während rechts
wenigstens der dicke Ganesa überlebt hat, dank seiner Beliebtheit ständig ver¬
ehrt und durch die jahrhundertelang immer wieder aufgetragene rote Farbe
mit einer Schutzhaut versehen.
Die zweite Raumeinheit ist nach einem künstlich ausgehauenen, aber nicht
vollendeten Zwischenhof ein weiterer mukhamandapa als Vorhalle, die un¬
mittelbar zur Mittelhalle des Heiligtums führt. Das Tor zu ihr wird von Lö¬
wen und kleinen Dvärapälas bewacht. Auf dem Türsturz befindet sich die Dar¬
stellung des Nataräja, wiederum stark zerstört. Die Figur des tanzenden
Gottes ist nur zur Hälfte erhalten, recht gut dagegen ein Fries von großköp-
figen Ganas, der an BädämT erinnert, in Mäanderumrahmung. Innen konzen¬
triert sich der Bildschmuck auf das Mitteltor, während die beiden Seitentüren
hinter den vierteiligen Säulenreihen leer ausgehen. Eindrucksvoll wirken die
Dvärapälas rechts und links trotz der verwitterten Oberfläche. Der Fries über
ihnen und dem Tor ist verhältnismäßig gut erhalten. Ikonographisch bedeutsam
ist die beherrschende Rolle, die Siva im Aspekt des LakulTsvara im Mittel¬
feld zugeteilt wird, wo er im vajräsana mit aufgerichteter Keule umgeben von
YogTs erscheint. Die gleiche Darstellung schmückt den Türsturz über dem
Westeingang zur Caturmukha-Zella. Links und rechts davon stehen, wie im
Torbereich üblich, die Flußgöttinnen Gahgä und Yamunä, beide auf Makaras.
Das linke Drittel des Frieses gibt figurenreich die Hochzeit von Siva und Pär¬
vati und das rechte ihr Brettspiel auf dem Kailäsa. Dabei muß auffallen, daß die
beiden Darstellungen über dem Tor zum Heiligtum der Göttin Pärvat" neben
Siva als Hauptfigur haben.
Die dritte Raumeinheit ist nun die zentrale zwanzigsäulige quadratische
Halle mit der Caturmukha-Zella in der Mitte. Gerade hier ist leider die Zer¬
störung des plastischen Schmuckes durch Wasser besonders verheerend. Von
dem reichen Skulpturenkranz, der sich um die Basis der Zella zog, sind nur
armselige Reste geblieben, die hier einen Kopf, da einen Leib erkennen las¬
sen. Wenig besser steht es um die Refiefs rings um die vier Tore zum Aller¬
heiligsten.
Ebenso schlecht erhalten sind die Statuen und Reliefs in der westlichen Vor¬
halle, der vierten Raumeinheit in unserer Zählung.
Etwas besser steht es um den fünften Komplex, der aus der zehnsäuligen
Kolonnade im Süden der quadratischen Haupthalle besteht. Hier wurde eine
großzügige Fassadenbildung versucht, die Aushebung des für ihre Wirkung
unerläßlichen geräumigen Hofes blieb aber in den Anfängen stecken. Drei
Tore und zwei Fenster öffnen sich vom Säulengang her in die Mittelhalle. Ihre
Reliefleisten sind teilweise erhalten und erinnern an den Torschmuck in den
Höhlen 3 und 4 auf Elephanta. Nicht vergessen werden darf in diesem Hof ein
kleiner in den Fels gehauener Sivatempel, der erst in jüngster Zeit ein viel¬
besuchter Ort der Verehrung geworden ist. Die Zella selbst mit einem Lihga
zeigt nichts Besonderes, die Vorhalle dagegen mit zwei Säulen und zwei Halb¬
säulen hat einen im Tempelbezirk der YogesvarT einmaligen Skulpturenschmuck:
Vrksakäs im Baumgezweig als Konsolenfiguren ähnlich wie in Bädämi, nur bei
weitem nicht von der gleichen hohen künstlerischen Qualität.
V.
Bei dieser allgemeinen Ubersicht über die erhaltenen Skulpturenfragmente
sind einige Bemerkungen zu den beiden Dvärapälas vor der Mittelhalle des
YogesvarTtempels hinzuzufügen. Trotz aller Zerstörung sind die Haarkronen,
die jatämukutas, die sie tragen, einigermaßen intakt geblieben, mit dem rei¬
chen Lockengeriesel, mit eingeflochtenen Schmuckstücken und eingesteckten
Blumen. An diesen Einzelheiten sowie in der gesamten Haltung und stilistischen
Ausführung sind sie als Brüder der Dvärapälas zu erkennen, die, acht an der
Zahl, die Caturmukha-Zella im Mahesatempel auf Elepanta bewachen. Diese
Wächter sind keine kraftstrotzenden Muskelprotzen, die Waffen tragen und
Schrecken erregen. Sie sehen so garnicht wie Soldaten, welchen Ranges im¬
mer, aus. Eher sind es Herren vom Hof, die sich hier schlank und rank in
lässiger Haltung zur Schau stellen. Eng anliegend sind die Kleider, so daß
sie wie durchsichtig erscheinen. Die Körperlichkeit läßt weder Knochengerüst
noch Muskeln erkennen, sondern folgt dem in der Klassik zur Vollkommen¬
heit entwickelten Kanon einer entstofflichten, durchatmenten Physis weichen
Stiles. Farben und Vergoldung, wie sie zur Zeit, als die Portugiesen kamen,
noch erhalten waren, mögen die Wirkung noch gesteigert haben. Das gilt auch
für die Yogesvarihöhle. Der Vergleich der Statuen ergibt, daß dieses Heilig¬
tum nicht nur in der Gesamtanlage, sondern auch mit seinem Skulpturen¬
schmuck in enge Verbindung zu den Höhlentempeln auf Elephanta zu bringen
ist.
VI.
Die knappgefaßte Vorstellung dieses größten Höhlenkomplexes, den Indien
kennt, insgesamt 100 m lang und 50 m breit, kann nicht abgeschlossen werden,
ohne zu erwähnen, daß der Namen seiner Göttin im Zusammenhang mit der
Inselwelt noch einmal auftaucht, die sich in der Bucht von Bombay hinzog,
bevor diese Stadt die vielen kleinen Inseln zusammenschmolz. In der Zisterne
am Westhof der Mahesahöhle auf Elephanta fand sich ein Kupferkrug mit einer
Devanägari-Inschrift in korruptem Sanskrit. Sie besagt, daß der Krug in oder
bei Sripurl am 15. April 1086 n.Chr. hergestellt wurde (6). Bei einer solchen
Handelsware ist es nicht angebracht, aus Orts- und Datumsangabe zu weit¬
gehende Schlüsse zu ziehen. Was aber in diesem Zusammenhang interessiert,
ist der Umstand, dal5 als Schutzherrin der Stadt SrTpurT die Göttin YogesvarT
genannt wird. So könnte es sich um einen Ort handeln, der in der Nähe ihrer
Kulthöhle lag. Eine weitere Frage ist, ob es sich bei der auf dem Kruge ge¬
nannten Stadt PurT um dieselbe Stadt handelt, die fünf Jahrhunderte früher die
Hauptstadt der im Konkan herrschenden Mauryas war. Unter ihren Mauern
fand im Jahre 634/635 entsprechend dem Jalire 556 der Sakazeitrechnung die
Seeschlacht statt, in der F\ilakesin II., (610 - 642) der Cälukyalierrscher,
laut einer Inschrift in Aihole mit hundert Schiffen, wie mit einer Heerschar
brünstiger Elephanten die Macht der Mauryas brach (7). Eine solche hypo¬
thetische Verbindung zwischen dem Yogesvariheiligtum und der Hauptstadt
des Kohkangebietes im 7. Jahrhundert würde die Größe der Anlage und die
aus dem unfertig Gebliebenen erkennbare noch größere Planung erklären.
Anmerkungen /
1. An Texten sind zu vergleichen: Siva Puräna, Rudra Samhitä, Juddha
Khanda, Adhyäyas 42-46; Dharma Samhitä, Adhyäya 4; Lihga Puräna
cap. 64.
2. Zu erreichen auf der westlichen Schnellstraße, die in Bombay von der
City am Flughafen Santa Cruz vorbei nach Norden führt und in NH 8 nach
Ahmedabad übergeht, in dieser F'ahrtrichtung hinter dem Straßenkreuz
Andheri. Man biegt links in das Dorf Amboli ab und gelangt durch eine
Unterführung auf die rechte Straßenseite.
3. James Burgess, Rock Temples of Elephanta or Gharapuri, Bombay 1871.
Hirananda Sastri, A Guide to Elephanta, Delhi 1934.
4. James Burgess, Rock Temples of Ellora, Bombay 1877. Fergusson-
Burgess, The Cave Temples of India, London 1880.
5. Einem Vergleich mit der genialen architektonischen Anlage des Tempels
hält sein Skulpturschmuck nicht stand. Die Plastiken sind minderer künst¬
lerischer Qualität, wirken plump und untersetzt und gehören einer anderen
Werkstatt an wie die von Andheri und Elephanta.
6. Hirananda Shastri bildet die Inschrift l.c.pl.lv ab und interpretiert sie.
7. Ep. Ind. VI, 1 ff.
GEDANKEN ZUR KOMPARATISTISCHEN BETRACHTUNG
ORIENTALISCHER KUNST
Von Dietrich Seckel, Heidelberg I
Die Begegnung zahlreicher Vertreter der Orient-Kunstforschung bietet die
Möglichkeit, ja ruft sogar dazu auf, eine interdisziplinäre Zusammenarbeit
ins Auge zu fassen - interdisziplinär sowohl in bezug auf andere orientalisti¬
sche Fächer (Geschichte, Religion, Literatur usw. ), namentlich aber inner¬
halb des Kreises der kunstgeschichtlich-archäologischen Fachgebiete selber.
Ihnen bietet sich die Chance der Begegnung auf der Ebene allgemeinerer Frage¬
stellungen, durch die das Spezialwissen des einzelnen Fachs in einen neuen,
weiteren Bezugsrahmen und auf eine gemeinsame thematische und methodische
Ebene treten kann; von da aus sind fachübergreifende, generelle Einsichten
möglich, die wiederum die Einzelergebnisse auf der Fachebene in neuem Licht
erscheinen lassen und dadurch einen Erkenntnisgewinn bewirken.
Zwei Möglichkeiten bieten sich an: erstens - und hierauf beruht ja weitge¬
hend die Verknüpfung und Gemeinsamkeit unserer Interessen - indem die kunst-
und kulturgeschichtlichen Querverbindungen durch Asien oder doch große Teile
Asiens hin untersucht werden, was bisher nur in sehr bescheidenem Umfang
geschehen ist und dringend des kooperativen Ausbaus bedarf (eine Fülle von
Themen und Aufgaben böte sich an); zweitens aber - und dazu möchte ich ei¬
nige durchaus skizzenhafte und vorläufige Überlegungen vortragen - , indem
man sich der vergleichenden (komparatistischen) Methode bedient, d.h. nicht
oder nicht primär genetisch-historisch, sondern typologisch-systematisch
arbeitet. Übrigens wäre eine solche Zusammenarbeit auch bei anderen
orientalistischen Disziplinen wünschenswert, die ebenso wie die Kunst¬
wissenschaft und Archäologie nicht in das Schema der üblichen Sektionen
passen, wie z.B. die Religionswissenschaft. Natürlich ist das Vergleichen eine
alltäglich angewandte historische und speziell kunsthistorische Methode, über
deren Notwendigkeit kein Wort zu verlieren wäre; bei dem hier Gemeinten aber
handelt es sich nicht um ein methodisch-technisches Instrument, das in der
korrekten Erfassung der historischen Phänomene nach ihrer spezifischen Ei¬
genart und ihrem genetischen Zusammenhang seinen Zweck hat, sondern darum,
die Vergleichsbeziehungen selber zum Gegenstand und zur konstitutiven Auf¬
gabe des Erkennens zu machen - d.h. sie zu thematisieren und zu problemati-
sieren - und dadurch Erkenntnisschritte zu vollziehen, die das Verständnis von
Wesens- und Strukturzügen zum Ergebnis haben, welche die Einzelphänomene
übergreifen und deren Prinzipien erkennen lassen. Dabei versteht es sich von
selbst, das "Vergleichen" nicht nur das Aufsuchen von Ähnlichkeiten, sondern
auch von Verschiedenheiten, nicht nur von Analogien, sondern auch von Diffe¬
renzen oder sogar Kontrasten bedeutet.
Bisher ist in dieser Richtung wenig geschehen. Wir sind weit von dem ent¬
fernt, was die Japaner schon haben: eine Forschungsgruppe für Vergleichende