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2. Einige Prinzipien für die Negationssyntax

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Harald Clahsen

Kritische Phasen der Grammatikentwicklung

Eine Untersuchung zum Negationserwerb bei Kindern und Erwachsenen

Untersucht wird die Entwicklung der Negation im kindlichen Erstspracherwerb (Ll) und im natürlichen Zweitspracherwerb (L2) von Erwachsenen. Für den Ll-Erwerb wird eine Analyse im Rahmen der Lernbarkeitstheorie vorgeschlagen. Dazu werden einige für die Negationssyntax relevante Prinzipien aus der Grammatiktheorie gewonnen und auf Ll- Erwerbsdaten aus strukturell verschiedenen Sprachen angewandt. Auf den L2-Erwerb von Erwachsenen läßt sich diese Analyse nicht übertragen. Der L2-Negationserwerb kann aber mittels genereller Verarbeitungsstrategien rekonstruiert werden. Die Ergebnisse stim- men mit der Vorstellung überein, daß der Spracherwerbsmechanismus des Kindes dem erwachsenen Sprachlerner nicht mehr zur Verfügung steht.1

1. Einleitung

Im Mittelpunkt von Untersuchungen zum Grammatikerwerb steht die Frage, welche Mittel der Mensch besitzt, um die Struktur einer Sprache zu lernen. In der aktuellen Forschung werden mögliche Antworten darauf kontrovers disku- tiert. Lernbarkeitstheoretische Ansätze (vgl. z.B. Pinker 1984, Hyams 1986, Roeper/Williams 1987) stellen sich vor, daß der Grammatikerwerb im wesentli- chen durch einen autonomen aufgabenspezifischen und angeborenen Mechanis- mus gesteuert wird, von Chomsky (1965) Language Acquisition Device (LAD) genannt, der unabhängig von anderen kognitiven Systemen funktioniert. Psy- chologische Ansätze, wie etwa die sog. funktionalistische Konzeption von ßates/MacWhinney/Smith (1983), versuchen demgegenüber, auch den Gram- matikerwerb im Rahmen von generellen Lernstrategien, die auch zum Erwerb nicht-sprachlicher Fähigkeiten und zur allgemeinen Problemlösung eingesetzt werden, zu erklären.

l Teile dieses Aufsatzes habe ich im Juni 1987 anläßlich der Sommerschule der Nieder- länd. Gesellschaft für Sprachwissenschaft (Algemene Vereniging voor Taalwetenschap) an der Universität Amsterdam vorgetragen. Für wertvolle Anregungen zu diesem Aufsatz bedanke ich mich bei Manfred Bierwisch, Sascha Felix, Sebastian Löbner und vor allem bei Dieter Wunderlich. Unterstützt wurde die Fertigstellung des Manuskripts durch ein Stipendium am Max-Planck-Institut für Psycholinguistik, Nijmegen (Niederlande).

Zeitschrift für Sprachwissenschaft 7,1 (1988), 3-31

© Vandenhoeck & Ruprecht, 1988 ISSN 0721-9067

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Ich will hier nur auf einen Gesichtspunkt dieser theoretischen Kontroverse eingehen, nämlich auf die Frage möglicher Veränderungen der Spracherwerbs- iahigkeit im Laufe der Ontogenese. In diesem Zusammenhang werde ich für die Hypothese argumentieren, daß der kindliche L l-Erwerb wesentlich durch den LAD gesteuert wird und der Spracherwerb von Erwachsenen hauptsächlich durch generelle Lernstrategien. Ähnliche Auffassungen werden zur Zeit vor al- lem auch von Bley-Vroman (1987) mit seiner „fundamental difference hypothe- sis" vertreten sowie von Felix (1987) mit seiner Vorstellung „konkurrierender kognitiver Systeme". Die Hypothese qualitativer Unterschiede zwischen dem Spracherwerb von Kindern und dem von Erwachsenen geht zurück auf die An- nahme sog. kritischer Phasen (vgl. Lenneberg 1967) und auf Ergebnisse der Neurolinguistik, nach denen die Lernmechanismen, die auf den Erwerb der Sprachstruktur spezialisiert sind, ab einem bestimmten Lebensalter nicht mehr in gleicher Weise wie zuvor verfügbar sind. Die Hypothese ist vereinbar mit einigen oft beobachteten Unterschieden zwischen dem Ll-Erwerb und dem Sprachlernen von Erwachsenen, z. B. dem im allgemeinen geringen Erfolg des L2-Erwerbs und dem größeren Ausmaß an Variation (vgl. auch Bley-Vroman 1987). Allgemeine Beobachtungen dieser Art reichen jedoch als Evidenz für die Hypothese allein nicht aus. Erforderlich sind zusätzlich vergleichende linguisti- sche Detailanalysen, in denen qualitative Unterschiede zwischen kindlichem und erwachsenem Sprachlernen beschrieben werden.

Untersuchungen dazu habe ich, z. T. gemeinsam mit Pieter Muysken, für ver- schiedene Teilgebiete des Grammatikerwerbs durchgeführt. In Clahsen/ Muys- ken (1986) wurde die Entwicklung der Verbstellung untersucht. Es zeigte sich, daß sämtliche Grammatiken, die Kinder im Verlauf des Erstspracherwerbs auf- bauen, in den Geltungsbereich von Prinzipien der Universalgrammatik (UG) fallen. Demgegenüber entstehen beim Zweitspracherwerb von Erwachsenen Sy- steme von Regeln, die nicht als grammatische Regeln im Sinne der UG formu- lierbar sind. Sie lassen sich aber sehr wohl aus generellen Lern- und Problemlö- sungsstrategien ableiten.

Der zweite untersuchte Bereich ist die Verbflexion, insbesondere die Entwick- lung der Subjekt-Verb-Kongruenz (vgl. Clahsen 1985). Beim Ll-Erwerb konn- ten Entwicklungszusammenhänge zwischen der Stellung und der Flexion von Verben festgestellt werden, die sich im Rahmen des Parametermodells des Spracherwerbs (vgl. z.B. Hyams 1986) und der Theorie des lexikalischen Ler- nens (vgl. z. B. Pinker 1984) deuten ließen. Entwicklungszusammenhänge dieser Art gelten beim Fremdspracherwerb von Erwachsenen nicht. Das Erlernen von Verbstellungsregeln und der Aufbau des Kongruenzsystems sind hier vielmehr separate Erwerbsaufgaben. Daraus wurde gefolgert, daß das Parametermodell nicht ohne weiteres auf den L2-Erwerb von Erwachsenen übertragen werden kann.

Ergänzend zu den vorhandenen empirischen Ergebnissen wird im folgenden der Negationserwerb untersucht. Zunächst werden aus der UG einige Prinzipien

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Negationserwerb 5

übernommen, die für die Negation relevant sind. Anschließend untersuche ich den Ll-Erwerb, wobei Daten aus strukturell verschiedenen Sprachen berück- sichtigt werden. Gezeigt werden soll, daß sämtliche von den Kindern entwickel- ten grammatischen Systeme für die Negation in den Geltungsbereich von UG- Prinzipien fallen. Im letzten Untersuchungsteil geht es um die Entwicklung der Negation beim natürlichen Zweitspracherwerb. Untersucht werden erwachsene Lerner, die das Deutsche ohne Sprachunterricht erworben haben. Die Ergebnis- se der Untersuchung sind vereinbar mit der Hypothese, daß Erwachsenen UG- Prinzipien nicht mehr als Lernmechanismen zugänglich sind.

2. Einige Prinzipien für die Negationssyntax

2

Man betrachte zunächst anhand der Beispiele in (1) die wichtigsten Stellungs- möglichkeiten von nicht im Deutschen:

(1) a. Peter kauft [nicht dieses Haus] (sondern jenes) a', [nicht dieses Haus] kauft Peter

b. Peter steigt [nicht auf diesen Baum]

b'. [nicht auf diesen Baum] steigt Peter

c. Peter hat seine Schwester [nicht nach Hause begleitet]

c'. [nicht nach Hause begleitet] hat Peter seine Schwester d. Die Kinder sind ihrem Vater [nicht dankbar]

d'. *[nicht ihrem Vater dankbar] sind die Kinder

Es zeigt sich, daß nicht bei NPn und PPn als Schwester maximaler Projektionen eingeführt wird, während nicht bei verbalen Kategorien (APn und VPn) als Schwester nicht-maximaler Projektionen auftritt. Ich halte diese Beobachtun- gen in (2) fest:

(2) a. wenn [-V], dann Xmax vgl. (l a), (l b)

NEG Xmax

b. wenn [H-V], dann X1 vgl. (Ic), (Id) NEG

2 Ich will hier keine auch nur halbwegs vollständige Negationsanalyse für eine ent- wickelte Sprache vorlegen, sondern mich nur auf einige allgemeine Prinzipien beziehen, die beim Erwerb der Stellungsmöglichkeiten für die Negation eine Rolle spielen. Zum Stand der linguistischen Negationsforschung verweise ich auf die von Falkenberg und Jacobs organisierte Arbeitsgruppe „Negation und Verneinung4', die auf der 10. Jahrestagung der Deutschen Gesellschaft für Sprachwissenschaft stattgefunden hat.

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Das Deutsche ist hinsichtlich der Negationssyntax ein Sonderfall, denn in den meisten anderen Sprachen ist eine Differenzierung wie in (2) nicht erforderlich.

In einer vereinfachten Sicht lassen sich generell zwei Möglichkeiten zur Einfüh- rung der Negation unterscheiden: (i) eine syntaktische und (ii) eine morphologi- sche. Bei (i) wird NEG als freies Morphem eingeführt und mit maximalen Pro- jektionen verbunden; diese Lösung findet man z.B. im Englischen (vgl. 3). Bei (ii) ist NEG ein Affix, das wie andere Flexionselemente in der Morphologie eingeführt wird; ein Beispiel dafür ist das Türkische (vgl. 4).

(3) John has [not [bought the house]]

(4) bugün 9ok 9ah§- ma- di- m 'heute viel arbeit-NEG-Prät.-l.Sg.' (= Heute habe ich viel gearbeitet.)

Im Rahmen einer grammatiktheoretischen Analyse lassen sich die Besonderhei- ten der Negationssyntax aus zwei Komponenten der UG ableiten: (i) den Kom- positionsprinzipien, insbesondere aus einer Theorie über den Aufbau von Prädi- kationen (vgl. Williams 1981) und (ii) aus Projektionsprinzipien, vor allem der X-bar-Theorie (vgl. Jackendoff 1977). Die Negation kann als Operator über Prädikationen aufgefaßt werden, der selbst keinen Zugriff auf die internen Ar- gumente des Prädikats hat, sondern immer nur auf das Prädikat als Ganzes; vgl.

dazu die Kompositionsprinzipin (5a) und (5b) sowie das Perkolationsprinzip (5c) (vgl. Selkirk 1982) aus der X-bar-Theorie:

(5) a. NEG ist ein Operator über Prädikationen.

b. Wenn Prädikationen konstruiert werden, müssen alle internen Argu- mente gesättigt werden.

c. Merkmale von X° können entlang der Kopflinie an Xmax weitergegeben werden.

Aus (5 a) und (5 b) ergeben sich zwei bevorzugte Möglichkeiten zur Einführung der Negation, nämlich (6 a) und (6b). In beiden Fällen besteht eine Homomor- phie zwischen semantischer Repräsentation und syntaktischer Struktur, d.h., der semantische Bezugsbereich der Negation kann hier aus der syntaktischen Struktur abgelesen werden. In (6 a) ist dies direkt gegeben, in (6 b) indirekt durch das Perkolationsprinzip (5c).

(6) a. NEG ist Schwester der maximalen Projektion, b. NEG ist Kopfmerkmal.

Auf diese Weise lassen sich große Teile der Negationssyntax herleiten, so etwa die Beispiele in (3) und (4) und auch der durch (2 a) abgedeckte Teil des Deut- schen. Für die sog. syntaktische Lösung wird nur (6 a) benötigt. Die morpholo- gische Lösung - wie etwa im Türkischen - wird durch (6 b) eingeführt; durch Prinzip (5 c) ist sichergestellt, daß die Negation auch in diesem Fall an der maxi- malen Projektion verfügbar ist.

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Negationserwerb l

Problematischer Rest aus der Menge der hier betrachteten Daten sind Fälle» vom Typ (l c), in denen NEG weder Schwester der maximalen Projektion noch Kopfmerkmal ist. Eine Lösung für dieses Problem im Rahmen der Government- Binding-(GB)-Theorie von Chomsky (1981,1986) bieten Webelhuth/den Besten (1987) an. Sie schlagen eine angeblich universelle Scrambling-Theorie vor, die als Nebeneffekt die spezielle Stellung von NEG im Deutschen erklären soll.3 Scrambling ist eine Adjunktion, die in Sprachen mit kopffinaler VP möglich ist, um aus (7 a) die Wortfolge in (7b) abzuleiten. Scrambling wird als Instanz von

„move alpha" aufgefaßt, da hier ähnliche Extraktionsbeschränkungen gelten wie bei wh-Bewegung. Man vergleiche dazu die Beispiele (7c) bis (7f)· Die Ex- traktion einer wh-Phrase aus der NP in (7c) und aus der PP in (7e) ist nicht möglich. Scrambling ist ebenfalls in beiden Fällen nicht zulässig (vgl. 7d bzw.

70.

(7) a. .. .Vp[der Frau [die Blumen bringen]]

b. .. .VP[die Blumenj VP[der Frau [ej bringen]]

c. *Wessenj wurde [e{ Auto] gestohlen

d. *.. .daß [meines Bruders^ gestern fo Auto] gestohlen wurde e. * [Wessen Freiheit^ haben die Leute lange [für ej gekämpft f. *.. .daß [ihre Freiheit^ die Leute lange [für ej gekämpft haben

Zur Analyse der Negation nehmen Webelhuth/den Besten (1987) die Struktur (8 a) als zugrundeliegende Konfiguration an; (8 a) ist durch die Kompositions- prinzipien (5 a) und (5 b) motiviert. Die übrigen Fälle werden durch Scrambling abgeleitet (vgl. z.B. 8b, 8c).

(8) a. .. .daß er VP[nichi VP[dem Jungen ein Buch gab]]

b. .. .Vp[ [dem Jungen]; VP[nicht Cj ein Buch gab]]

c. .. .VP[ [dem Jungen]j VP[ein Buch]j [nicht ^ Cj gab]]

Nach der Analyse von Webelhuth und den Besten entfallt der Sonderstatus des Deutschen in bezug auf die Negation. Die Differenzierung in (2) kann zurückge- nommen, und Fälle vom Typ (l c) können mittels Scrambling analysiert werden.

3. Zur Entwicklung der Negation beim Erstspracherwerb

In der empirischen Spracherwerbsforschung wurde die Entwicklung der Nega- tion oft untersucht; eine Zusammenfassung wichtiger empirischer Ergebnisse findet man etwa in Slobin (1985). Obschon es recht viele Daten und Beschrei- bungen zu diesem Bereich gibt, fehlt meines Wissens bislang eine lernbarkeits- theoretische Analyse des Negationserwerbs. Eine solche Analyse ist Ziel des

3 Vgl. Haider (1987) für eine kritische Diskussion der Scrambling-Analyse.

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folgenden Untersuchungsteils; ich werde dabei auf die im letzten Abschnitt er- wähnten Prinzipien zurückgreifen.

3.1. Frühe Phasen des Negationserwerbs

Einen ersten Entwurf für eine universelle Entwicklungssequenz des Negations- erwerbs hat Wode (1977: 100) vorgeschlagen; sie besteht aus folgenden Stufen:

(9) Stufe I: Einwortnegation mit nein, no, non etc.

Stufe II: Zwei- und Mehrwortnegation mit nein, no, non etc.

II a: für sog. anaphorische Negation4 lib: für nicht-anaphorische Negation

Stufe III: satzinterne Negation (im Deutschen mit nicht), wobei es zu Stel- lungsfehlern kommen kann

Stufe IV: Erwerb der korrekten NEG-Stellung

Grob betrachtet ist diese Abfolge zutreffend. Sie ist allerdings vor allem in bezug auf die fortgeschritteneren Stufen III und IV zu undifferenziert und kann des- halb nicht als empirische Grundlage für eine grammatische Analyse dienen. Als unumstritten gilt Wodes Feststellung, der Negationserwerb beginne mit Elemen- ten vom Typ nein. Kontrovers ist aber die vorgeschlagene Abfolge (Ha) vor (lib); vgl. Park (1979,1981) für eine quantitative Analyse dieser frühen Phase in der deutschen Kindersprache. Man betrachte hier zur Illustration die Beispiele (10) aus meinem Material (Clahsen 1982) sowie die Daten (11) aus der engli- schen Kindersprache.

(10) a. platz, nein M(26.2)5

(M. meint, daß kein Platz mehr für ihn ist.)

b. nein, nein bauch harke M(26.2) (Nachdem ihm Daniel mit einer Harke auf den Bauch geschlagen hat.) c. Julia, nein M(27.1)

(Als J. über seine Eisenbahn krabbelt.)

d. nein essen J(24.3) (Auf die Frage, ob sie eine Brezel essen möchte.)

e. nein, da D(26.2) (Auf die Frage, ob er eine Schaufel haben will; er nimmt sich eine ande- re.)

4 Ausgehend von Bloom (1970) bezeichnet Wode mit anaphorischer Negation Fälle, in denen zwischen NEG und einem anderen Element der Äußerung keine Verneinungsbe- ziehung besteht. In der Erwachsenensprache verwendet man in solchen Fällen das Nega- tionswort nein.

5 Die Anfangsbuchstaben der Namen sollen die Kinder identifizieren; hier steht M für Mathias, D für Daniel und /für Julia. In Klammern wird das Alter der Kinder in Monaten und Wochen angegeben.

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Negationserwerb 9

f. nein, naß D(25.4) (M. hat D. mit Wasser bespritzt; D. betrachtet seine nasse Hand.) (11) a. no Daddy hungry (aus Bloom 1970)

b. no I see truck (dito)

c. no the sun shining (aus Wode (1977)

Sämtliche Daten zeigen, daß Negationselemente vom Typ nein vom Kind als erstes identifiziert werden (vgl. dazu auch Tab. 45-47 aus Clahsen 1982:

166-168). Dabei spielt sicher eine Rolle, daß der NEG-Typ nein im Input isoliert und in perzeptuell auffälligen Positionen am Beginn oder Ende von Äußerungen vorkommt. Zudem ist nein ein freies Morphem und ein betontes Element. Alles trägt dazu bei, daß das Kind nein eher aus dem Input extrahieren kann als andere Negationselemente.

Zurückgenommen werden muß dagegen die von Wode (1977) vorgeschlagene Abfolge der Stufen IIa und Hb. In den Daten von Park (1979) findet man Fälle von nicht-anaphorischer Negation vor Belegen für anaphorische Negation, also in umgekehrter Abfolge wie bei Wode. In meinen Daten kommen beide Nega- tionsarten gleichzeitig vor (vgl. lOa, lOb, lOc, lOd vs. 10e und 10f)· Es scheint, daß wir bei der Analyse der Negationsentwicklung auf die Unterscheidung ana- phorisch vs. nicht-anaphorisch verzichten können. Klare Entwicklungsstufen lassen sich damit jedenfalls nicht formulieren. Hinzu kommt, daß die Unter- scheidung bei der Datenanalyse oft nicht eindeutig getroffen werden kann.

Darüber hinaus zeigen die Daten, daß der NEG-Typ nein praktisch nur äuße- rungsextern auftaucht, meist am Anfang der Äußerung und in einigen Fällen auch danach. In den Daten von Park gibt es z. B. insgesamt nur zwei Fälle (von 64 Belegen), in denen nein innerhalb einer Äußerung steht. Ähnliches gilt für die Negationsdaten aus meinem Material (vgl. 10). In dieses Bild passen auch die oft zitierten Belege vom Typ (11) aus der englischen Kindersprache. Für Fälle dieser Art gilt offenbar (12):

(12) NEG + S

In der Erwachsenensprache sind Negationselemente vom Typ nein nicht syntak- tisch integriert. Man könnte diesen Typ vielmehr als Äußerungsnegation be- zeichnen. Wenn ich auf eine Frage mit nein antworte, beziehe ich mich damit auf eine vorhergehende Äußerung und nicht unbedingt auf eine syntaktische Ein- heit, z. B. auf einen Fragesatz. In der Kindersprache wird dagegen anfangs nein als Negationselement verallgemeinert und auch als Satzoperator verwendet. So könnten die Fälle mit nein für sog. nicht-anaphorische Negation (vgl. auch 11), die sich mit (12) beschreiben lassen, entstehen.

Interessanter ist der weitere Verlauf der Negationsentwicklung. Es zeigt sich, daß die Kinder, sobald sie Negationselemente vom Typ nicht aus dem Input extrahiert haben, eine satzinterne Position für NEG aufbauen können. Aus den Daten geht hervor, daß nicht in den Positionen, in denen nein vorkommt, nicht

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belegt ist. Nicht tritt VP-extern auf, nicht aber äußerungsextern. Diese Beobach- tungen sind mit der Vorstellung vereinbar, daß syntaktische Differenzierungen durch lexikalisches Lernen ausgelöst werden. Für das lexikalische Lernen gilt das Prinzip des Einfacheintrags (Unique Entry Principle, vgl. Pinker 1984). Auf- grund dieses Prinzips nimmt das Kind an, daß das aus dem Input neu-extrahier- te Negationselement nicht mit dem in der kindlichen Grammatik bereits vorhan- denen Element nein nicht identisch sein kann. Der NEG-Typ nein kann dann auf Äußerungsnegation begrenzt werden. Ausgerüstet mit dem Prinzip des Einfach- eintrags kann das Kind die Unterscheidung zwischen sog. anaphorischer und nicht-anaphorischer Negation schnell lernen, sobald es Negationselemente vom Typ nicht identifiziert hat.

In der englischen Kindersprache findet man nun Beispiele wie (l 3 a) und (13b), vgl. Bloom (1970), die sich mit (13c) analysieren lassen:

(13) a. Kathryn not quite through b. I don't open it

c. NEG + Xraax

Not, didn't, can't etc. stehen nicht äußerungsextern, also in der für no reservier- ten Position, sondern intern, wobei NEG Schwester der maximalen Projektion ist. Die Hilfsverben können hier als NEG-Elemente aufgefaßt werden, denn sie kommen in dieser Phase in nicht-negierter Form noch nicht vor (vgl. auch Klima/Bellugi 1966). (13c) ist eine der universalgrammatisch möglichen Optio- nen zur Einführung der Negation (vgl. 5, 6). Durch die Verfügbarkeit dieser Prinzipien können Kinder, die Englisch lernen, den Kern der zielsprachlichen Negationssyntax rekonstruieren. Voraussetzung dafür ist nur, daß sie die pas- senden Negationselemente aus dem Input extrahiert haben.

Komplizierter ist die weitere Entwicklung in der deutschen Kindersprache.

Der hauptsächliche Grund dafür ist, daß NEG im Deutschen mit einer Projek- tion des nicht-finiten Verbs (V°) assoziiert werden muß, und nicht mit dem fini- ten Verb (INFL°). Da deutsche Kinder anfangs Verben noch nicht in bezug auf Finitheit unterscheiden können, sind Schwierigkeiten bei der Stellung von NEG im Verhältnis zum Verb zu erwarten. Darauf gehe ich im folgenden Abschnitt näher ein.

3.2. Zur Entwicklung von nicht in der deutschen Kindersprache

Aus der von Wode (1977) vorgeschlagenen Entwicklungssequenz sind keine prä- zisen Informationen über die fortgeschritteneren Phasen des Negationserwerbs zu entnehmen. Er stellt lediglich fest, daß hier gelegentlich Stellungsfehler vor- kommen können. Hierzu sind genauere Analysen erforderlich. Die Daten, die ich dazu im folgenden untersuche, stammen aus der von mir durchgeführten

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Negationserwerb 11

Längsschnittstudie (Clahsen 1982)6 und aus dem zum großen Teil noch unveröf- fentlichten Korpus von Max Miller zur deutschen Kindersprache7; vgl. auch Miller (1976). Zu meinen eigenen Daten wurden bereits einige Distributionsana- lysen durchgeführt (vgl. Clahsen 1983). Darüber hinaus werden die erzielten deskriptiven Ergebnisse an dem recht umfangreichen Material aus dem Miller- Korpus überprüft.

Wie erwähnt, hängt im Deutschen die Position des Negationselements im Satz mit der Verbstellung zusammen und diese wiederum mit der Art des verbalen Elements. Die Entwicklung der Negation in der deutschen Kindersprache muß deshalb im Zusammenhang mit dem Erwerb anderer Teile der kindlichen Gram- matik, speziell mit der Verbstellung und dem Kongruenzsystem, untersucht wer- den. Als deskriptiven Rahmen dafür benutze ich hier das für den Ll-Erwerb des Deutschen vorgeschlagene Entwicklungsprofil von Clahsen (1986). Hier wurden verschiedenartige Bereiche des kindlichen Grammatikerwerbs untersucht und in Form einer generellen Entwicklungssequenz dargestellt. Sie soll die Abfolge beschreiben, die Kinder beim Erwerb der deutschen Grammatik durchlaufen.

Für die Negationsentwicklung ist insbesondere die Unterscheidung zwischen den frühen kindlichen Grammatiken der Phasen II/III und der späteren Phase IV (vgl. Clahsen 1987) relevant. In den Phasen II/III verfügen die Kinder noch nicht über die korrekte Subjekt-Verb-Kongruenz des Deutschen. Die Verbstel- lung weist noch Fehler auf, die Kinder bevorzugen die Endstellung des Verbs.

Obligatorische Elemente, Subjekte, Verben sowie grammatische Funktionswör- ter fehlen in den Äußerungen der Kinder häufig. Die Phase IV stellt einen Ein- schnitt in der Grammatikentwicklung dar. Sie ist spätestens mit ca. drei Jahren, bei einigen Kindern auch schon erheblich früher, erreicht. Das Paradigma für die Subjekt-Verb-Kongruenz kann nun als erworben gelten, und die Verbstel- lung ist praktisch immer korrekt. Der Negationserwerb soll im Rahmen dieser generellen Phasen beschrieben werden.

6 In dieser Studie wurde der monolinguale Ll-Erwerb eines zweieiigen Zwillingspaa- res (Daniel und Mathias) und deren jüngerer Schwester (Julia) mit Hilfe von Videoauf- zeichnungen über einen Zeitraum von zwei Jahren kontinuierlich beobachtet. Der Unter- suchungszeitraum reicht bei den Zwillingen vom 18. bis einschließlich zum 42. Lebens- monat und bei Julia vom 14. bis einschließlich 29. Monat. Genauere Angaben zu den Daten und zu ihrer Erhebung finden sich in Clahsen (1982, Kap. 2).

7 Ich danke dem Max-Planck-Institut für Psycholinguistik und insbesondere Jürgen Weissenborn dafür, daß ich mit dem Miller-Korpus arbeiten konnte. Das Material besteht aus regelmäßigen längeren Tonbandaufzeichnungen der Spontansprache mit Millers Tochter Simone und gelegentlichen Aufnahmen von zwei weiteren Kindern (Meike und Kerstin); vgl. auch Anders (1980) für eine Übersicht über relevante Teile des Miller-Kor- pus. Die Daten bis zum Alter von 22 Monaten wurden in Miller (1976) untersucht. Diese Daten hat Mills (1985) schon im Hinblick auf die Negation analysiert. Ich untersuche im folgenden die Daten von Simone bis zum Alter von 28 Monaten; zu diesem Zeitpunkt verfügt sie über die korrekten Stellungsmöglichkeiten für nicht im Deutschen.

(10)

Ich fasse die Beobachtungsergebnisse zunächst stichwortartig in (14) zusam- men. Eine detaillierte Beschreibung der Entwicklung schließt sich an. Die Bei- spiele in (15) sowie die in (17) aus meinem Material verdeutlichen die Möglich- keiten in den Phasen II/III, die Beispiele in (16) die in Phase IV8.

(14) Phase

a. NEG + Xmax, wobei X = {N, V, A, P}

b. post- und präverbale Negation, wobei dominant unmittelbare postver- bale Negation

c. postverbale Negation meist mit flektierten Verben: [INFL NEG]

d. keine Trennung des Negationselements vom Verb bei postverbaler Ne- gation

e. präverbale Negation meist mit nicht-flektierten Verben: NEG VP [... V]

Phase IV

f. NEG postverbal

g. Trennung bei postverbaler Negation

(15) a. nicht gut S(22.3) b. maxe nich nuckel S(24.0) c. is nich heiß S(24.2) d. baby nich nuckel habe S(24.0) e. mone nich das eis habe S(24.2) f. mag nich kuche backe S(22.3) g. brauche nich lala S(24.2)

(= S. braucht den Schnuller nicht.)

h. macht nich aua S(22.3) i. nich aua mache S(22.3) j. hund geht nich S(22.3) k. nich buttmache lumlum! S(24.0)

(= Mach den Luftballon nicht kaputt!)

1. das auch nich schmeckt nich S(24.0) m. geht nich gar nich S(24.0) (16) a. das darfst du nich S(26.3) b. simone darf des net S(26.3) c. das kann jetzt nich mehr laufe S(26.3) d. da kommt das nich S(28.3) e. ich mach das gar nich putt S(28.3) f. so geht das nich S(28.3)

8 Wie erwähnt sind die generellen Phasen II, III und IV des Grammatikerwerbs im Deutschen, auf die ich mich in (14) beziehe, wesentlich durch die Verbstellung und die Verbflexion bestimmt. Simone kann man aufgrund dieser Kriterien bis zum Alter von 24 Monaten den Phasen II/III und ab 26 Monaten der Phase IV zuordnen.

(11)

Negationserwerb 1 3

g. das fallt gar nich um S(28.3) h. ich brauch keine kette S(28.3) (17) a. hier nich reingemalt J(28.3) b. Julia schere nich darf M(33.1)

(M. schneidet Papier; er meint, daß J. das nicht darf.)

c. kann nich das zumachen J(28.3) Zu Phasen II j III:

Die erste Möglichkeit zur Einführung der Negation ist (l 4 a). Sie wurde zuvor als die syntaktische Lösung bezeichnet; NEG wird hier als Schwester maximaler Projektionen behandelt. Fälle von sog. Konstituentennegation, z.B. (l 5 a), (l 5 b) und (l 5 c), lassen sich so analysieren, ebenso wie Belege, in denen NEG vor der VP erscheint; vgl. (l 5 d) und (l 5 e). Mit (l 4 a) allein kommt man jedoch, auch schon in den frühen Phasen, nicht aus, denn die Kinder verfügen von Anfang an über zwei Muster zur Stellung von nicht, die prä verbale und die postverbale Negation. In bezug auf die Häufigkeit des Gebrauchs gibt es individuelle Unter- schiede, wobei nach den bislang verfügbaren Daten die postverbale Negation bevorzugt wird (vgl. dazu Tab. l aus Clahsen 1983 und Abschnitt 5.2 aus Mills 1985). Wichtiger noch für die grammatische Analyse sind eine Reihe von quali- tativen Unterschieden zwischen den beiden Negationsmustern, vgl. (14c) bis (i) Die prä verbale Negation tritt typischerweise mit nichtflektierten Verben auf,

die postverbale mit flektierten, vgl. etwa (15h) vs. (l 5 i).

(ii) Bei präverbaler Negation kann NEG vom Verb getrennt sein, vgl. z.B.

(15d), bei postverbaler Negation steht NEG direkt hinter dem Verb, auch dann wenn im Deutschen eine Trennung vom Verb erforderlich wäre, wie etwa in (l 5 g).

Diese Beobachtungen deuten darauf hin, daß den beiden Negationsmustern unterschiedliche grammatische Strukturen zugrunde liegen, die sich nicht von- einander ableiten lassen. Bei prä verbaler Negation befindet sich das (meist infi- nite) Verb in der Kopfposition der VP. NEG ist aufgrund von (l 4 a) die linke Schwester von VP. So entstehen Belege vom Typ (15d) und (15e). Durch Scrambling lassen sich daraus auch Fälle von unmittelbarer präverbaler Nega- tion, wie in (l 7 a) und (17b), ableiten.

Demgegenüber steht NEG bei postverbaler Negation immer unmittelbar hin- ter dem Verb. Fälle wie ich brauche den schnuller nicht oder ich mag den kuchen nicht backen kommen in den frühen Phasen noch nicht vor; man findet statt dessen (15f) und (15g); vgl. auch Beispiel (17c) aus meinem Material. Scramb- ling ist also bei postverbaler Negation offensichtlich nicht möglich, wohl aber bei prä verbaler Negation. Daraus ergibt sich, daß die Belege mit postverbaler Negation nicht aus zugrundeliegenden Strukturen vom Typ (l 4 a) abgeleitet werden können, denn wenn dies so wäre, müßte wie in (l 7 a) und (17b) auch in

(12)

Beispielen vom Typ (l 5 g) und (l 5 h) Scrambling möglich sein. Dies ist jedoch in den Phasen II/III nicht der Fall. Verb und nachgestelltes NEG bilden vielmehr eine Einheit, die durch syntaktische Regeln, wie etwa Scrambling, nicht zerstört werden kann. Interessant ist zudem, daß die postverbale Negation, wie auch die Beispiele von Simone verdeutlichen, praktisch nur bei flektierten Verben und bei Modalverben vorkommt. Man betrachte dazu etwa den Kontrast zwischen (l5h) und (l5i)9.

Aus den Beobachtungen läßt sich schließen, daß die Kinder in den Phasen II/III - neben (14a) - über eine zweite Möglichkeit zur Einführung der Negation verfügen. Sie kann als die morphologische Lösung bezeichnet werden; dabei wird NEG - ähnlich wie etwa Verbflexive - mit Elementen der Kategorie INFL verbunden und in die dafür vorgesehene syntaktische Position gebracht, vgl.

(14c). Ketten des Typs [INFL NEG] sind syntaktische Inseln, auf die Bewe- gungsregeln keinen Zugriff haben. Die beobachteten Asymmetrien zwischen prä- und postverbaler Negation lassen sich so erklären, einschließlich der Fest- stellung, daß NEG bei postverbaler Negation immer direkt nach INFL steht und Scrambling - obschon im Prinzip verfügbar - hier die korrekten Strukturen nicht erzeugen kann.

Beide Möglichkeiten zur Einführung der Negation, die syntaktische und die morphologische Lösung, werden dem Kind durch die Verfügbarkeit universal- grammatischer Prinzipien (vgl. (5) und (6) aus Abschnitt 2) angeboten. Beim Erwerb des Deutschen legt es sich anfangs noch nicht auf eine der beiden Lösun- gen fest. Im Input findet das Kind Fälle von postverbaler und von präverbaler Negation. Die Belege mit präverbaler Negation kann das Kind als Spezialfälle von (l4 a) und Scrambling analysieren; die korrekte Struktur des Deutschen ist damit schon in den Phasen II/III verfügbar. Zu diesem Zeitpunkt kann das Kind jedoch noch nicht erkennen, daß die postverbale Negation durch Verbbewegung aus zugrundeliegender prä verbaler Negation abzuleiten ist, vgl. Abschnitt 2. Zur Analyse des Inputs mit postverbaler Negation wählt das Kind [INFL NEG] als Zwischenlösung in den Phasen II/III; diese Möglichkeit wird als abgeleitete Struktur reanalysiert, sobald das Kind über die Verbbewegung verfügt.

Zu Phase IV:

Die Stellung von nicht ist nun im wesentlichen korrekt. Belege mit prä verbaler Negation verschwinden, und NEG wird - wie im Deutschen erforderlich - auch bei postverbaler Negation vom Verb getrennt, vgl. die Beispiele in (16). Auch in den Bereichen Verbflexion und Verbstellung lassen sich in der Phase IV beträcht- liche Entwicklungsfortschritte feststellen (vgl. Clahsen 1987). Die Kinder verfü-

9 In den Phasen II/III verfügen die Kinder schon über das Verbflexiv t\ macht in (l 5 h) ist ein flektiertes Verb, das die syntaktische INFL-Position besetzt (vgl. dazu Clahsen 1987). Schwa in (l 5 i) ist für Simone - wie in süddeutschen Dialekten üblich - eine Variante der nicht-finiten Verbform n.

(13)

Negationserwerb 15

gen nun über die korrekte Verbstellung des Deutschen. Dies war in den Phasen II/III noch nicht der Fall. Dort war zwar auch schon die syntaktische Position für flektierte Verben vorhanden und konnte z. B. mit Modalverben besetzt wer- den, da jedoch in den Phasen II/III das morphologische Paradigma für die Sub- jekt-Verb-Kongruenz noch nicht verfügbar war und finite Verben nicht eindeu- tig von nicht-finiten verbalen Elementen zu unterscheiden waren, konnten die Kinder nicht erkennen, daß im Deutschen alle finiten Verben in die syntaktische INFL-Position gebracht werden müssen. Dies ist jedoch eine Voraussetzung für die korrekte Stellung der Negation im Deutschen. Sie ist in der Phase IV erfüllt;

dadurch können die Kinder die Fälle von postverbaler Negation als abgeleitete Strukturen - entstanden durch Verbbewegung - reanalysieren. Die morphologi- sche Lösung kann verworfen und die Kette [INFL NEG] muß nicht mehr länger als syntaktische Insel behandelt werden10.

Im folgenden Abschnitt untersuche ich die Entwicklung einiger Aspekte der schwedischen Negationssyntax als Beispiel für eine dem Deutschen strukturell verwandte Sprache.

3.3. Zur Entwicklung von inte in der schwedischen Kindersprache

Zur Verdeutlichung der Stellung von inte im Schwedischen betrachte man zu- nächst die Beispiele (18). Nach der Analyse von Platzack (1985) lassen sich sämtliche Fälle ableiten, wenn man für das Schwedische (i) die Struktur (19), (ii) V-zu-INFL-Bewegung und (iii) INFL-zu-COMP-Bewegung annimmt.

(18) a. ...att Eva inte hade stickat tröjan

'.. .daß E. nicht hatte gestrickt den-Pullover' b. Hade Eva inte stickat tröjan?

c. Eva hade inte stickat tröjan d. Jonas gillade inte honom

'J. mochte nicht ihn'

e. Honom gillade Jonas inte

10 Die Entwicklung der Negation in der deutschen Kindersprache ähnelt in mancher Hinsicht der von trennbaren Präfixverben, vgl. Clahsen (1987). Auch sie werden in den frühen Phasen II/III als syntaktische Inseln behandelt. Präfix und Verb werden typischer- weise nicht getrennt, sondern erscheinen meist in der Reihenfolge Präfix-Verb in der Kopf- position der VP. Intern haben Präfixverben in den frühen Phasen die Struktur [[vPräf V]

INFL]. Sobald die Kinder (in Phase IV) über das Paradigma für die Subjekt-Verb-Kon- gruenz verfügen, erkennen sie, daß nur das finite Verb in die vordere Verbposition gebracht werden muß. Ausgelöst dadurch kann das Kind die interne Struktur von Präfixverben reanalysieren und dem Präfix Wortstatus zuweisen; damit verfügt das Kind über die Mög- lichkeit, Präfix und Verb - wie im Deutschen gefordert - voneinander trennen. Beim Erwerb der Negationssyntax finden wir einen ähnlichen Entwicklungsverlauf.

(14)

In (l 8 a) wurde keine Verbbewegungsregel angewandt, und NEG befindet sich in der Schwester-Position von INFL1. In (18 b) wurde Regel (iii) angewandt; NEG hat seine Position nicht verändert und befindet sich nur in der Oberfläche unmit- telbar vor dem nicht-finiten Verb. In (18c) wurde das Subjekt Eva in die Xmax- Position gebracht und auf das Auxiliar Regel (iii) angewandt; dadurch erscheint inte zwischen den beiden Verben. In (18 d) befindet sich das Subjekt wiederum in der Xmax-Position. Zudem wurden hier auf das Verb die Regeln (ii) und anschlie- ßend (iii) angewandt. In (l 8 e) schließlich wurde das Objekt zu Xmax und das Verb über INFL zu COMP gebracht. Das Subjekt und die Negation verändern ihre Position nicht. So kann es zu Fällen kommen, in denen inte in der Oberfläche getrennt vom Verb erscheint. Die Analyse der Beispiele verdeutlicht, daß die Position von NEG in der syntaktischen Struktur in sämtlichen Fällen die gleiche ist und daß die unterschiedlichen Abfolgen in der Oberfläche durch Verbbewe- gung entstehen.

Beim Erwerb des Schwedischen ist in bezug auf die Stellung von NEG im Verhältnis zum Verb ein ähnlicher Entwicklungsverlauf wie in der deutschen Kindersprache zu erwarten. Im Input findet das schwedische Kind Fälle von postverbaler und von präverbaler Negation. Solange es jedoch noch nicht über die Verbbewegung verfügt, kann das Kind nicht erkennen, daß beide Negations- muster auf eine gemeinsame zugrundeliegende Struktur zurückgehen. Ausge- hend von den Ergebnissen zur deutschen Kindersprache ist zu erwarten, daß auch das schwedische Kind anfangs zwei Strukturen ansetzen wird: die syntakti- sche Lösung für die präverbale Negation und die morphologische Lösung für die postverbale Negation.

(19) CP

Xmax COMP1

COMP IP

NP INFL1

NEG INFL1

INFL VP

Für das Schwedische liegen meines Wissens nur einige Daten zu den frühen Entwicklungsphasen vor, und zwar aus der Untersuchung von Lange/Larsson (1973). Ihre Daten zur Negation können mit denen der Phasen II/III beim Er-

(15)

Negationserwerb 17

werb des Deutschen verglichen werden. In (20) finden sich einige Beispiele des von Lange und Larsson untersuchten Kindes aus dem Altersbereich von 20 bis 25 Monaten:

(20) /. NEG + X a. inte gul

(= nicht gelb) b. inte juice

(= nicht Saft) c. inte dar

(= nicht da) //. N EG + V P

d. inte gömma barnet

(= nicht verstecken-Inf. das-Kind) e. inte gätt sonder

(= nicht gegangen kaputt) f. Embla inte ha tacket

(E. (= der Name des Kindes) nicht haben Steppdecke.) g. Embla inte maken

(E. nicht macht.) ///. INF L + N EG h. jag vill inte

(= Ich will nicht.) i. vill inte tvätta häret

(= will nicht waschen die-Haare.) j. älg säger inte muh

(= Elch sagt nicht muh.) k. gor inte det

(= tu-Imperativ nicht das; Standard: Tu das nicht.) IV. N EG+LP

1. inte mamma tvätta

(= nicht Mama-Subj waschen) m. inte mamma hjälpa Embla

(= nicht Mama-Subj helfen Embla)

Im wesentlichen erkennt man hier die bereits für die deutsche Kindersprache beschriebenen Negationsmuster. (I) und (II) aus (20) entsprechen dem Typ (14 a), nur daß im Schwedischen die VP kopfinitial ist. In diesen Fällen wird die syntaktische Lösung zur Einführung der Negation gewählt, NEG läßt sich hier als Schwester maximaler Projektionen analysieren. Auch das Muster (III) ist aus der deutschen Kindersprache bekannt, vgl. (14c). In diesen Fällen erscheint inte unmittelbar hinter flektierten Verben und Modalverben. Ähnlich wie in der

(16)

deutschen Kindersprache kommen auch in den frühen schwedischen Daten kei- ne Belege für NEG-Trennung vor, auch dann nicht, wenn dies im Schwedischen erforderlich wäre; Beispiele vom Typ (18e) sind in den vorhandenen Daten nicht belegt. In Fallen vom Typ (III) wird offensichtlich die morphologische Lösung gewählt, bei der NEG als Suffix zu INFL eingeführt wird. Das hat zur Folge, daß die Kette [INFL NEG] durch syntaktische Regeln nicht aufgespalten wer- den kann. Lediglich das Negationsmuster (IV) ist in der deutschen Kinderspra- che nicht belegt. In (IV) läßt sich NEG als Schwester der maximalen Projektion von INFL analysieren. Dafür, daß NEG mit Projektionen von INFL verbunden werden kann, hat das Kind Hinweise aus dem Input des Schwedischen (vgl. z. B.

18e). Die gewählte Struktur NEG + IP kann es allerdings nicht direkt aus dem Input haben. Sie ergibt sich vielmehr aus der universalgrammatischen Option (6 a), nach der NEG mit maximalen Projektionen zu assoziieren ist.

Festhalten läßt sich, daß auch die verfügbaren Daten aus der schwedischen Kindersprache im vorgeschlagenen theoretischen Rahmen zu analysieren sind.

Das Kind verbindet NEG mit maximalen Projektionen, und es kann NEG als Kopfmerkmal (von INFL) einführen. Wie erwartet legt sich das Kind beim Erwerb des Schwedischen - ähnlich wie bei der Entwicklung des Deutschen - anfangs noch nicht auf eine der beiden möglichen Optionen fest. Über die weite- re Entwicklung der Negation im Schwedischen liegen keine Daten vor. Man könnte sich aber aufgrund der bisherigen Überlegungen und der zum Deutschen erzielten Ergebnisse vorstellen, daß - sobald das Kind über die korrekte Verbbe- wegung verfugt - die morphologische Lösung für das Schwedische verworfen und postverbale Negation als abgeleitete Struktur reanalysiert werden kann.

3.4. Zum Negationserwerb in der japanischen Kindersprache

Als Beispiel für den Negationserwerb in einer nicht-indoeuropäischen Sprache betrachte ich im folgenden kurz einige Ergebnisse zur japanischen Kinderspra- che. Ich beziehe mich dabei auf Clancy (1985), die die vorhandenen Untersu- chungen zum Erwerb des Japanischen zusammenfassend darstellt.

Neben einigen negierten Adverbien ist na- das übliche und am häufigsten verwendete Negationselement im Japanischen. Es wird an Verben und auch an Adjektive suffigiert. Innerhalb von flektierten verbalen Elementen erscheint Da- nach den Wortstämmen, aber vor möglichen Tempusmorphemen (tabe-na-i 'essen-nicht-[ —Verg.]', tabe-na-katta 4essen-nicht-[ + Verg.]').

Die von Clancy (1985) beschriebenen Daten zeigen, daß japanische Kinder nai schon früh als Negationselement identifizieren und in ihren Äußerungen verwenden. Dabei wird die im Input häufigste Form nai zunächst als unanaly- sierte Einheit gebraucht. Zudem werden, vor allem in der Einwortphase, funk- tionale Beschränkungen für den Gebrauch von nai nicht beachtet. So wäre z.B.

in der Äußerung (21 a) eines 23 Monate alten Kindes das Element chigau erfor-

(17)

Negationserwerb 1 9

derlich gewesen; vgl. Clancy (1985: 395). Man erkennt hier, daß nai anfangs auch für sog. anaphorische Negation verwendet wird. In diesem Zusammenhang ist zu beachten, daß nai in der Erwachsenensprache auch als Verneinung von aru (, vorhanden sein4) vorkommt. In dieser Funktion wird es quasi anaphorisch als Verneinung von ja/nein-Fragen mit dem Verb aru verwendet. Dieser Gebrauch von nai spielt im Input für Kinder sicher eine wichtige Rolle; Beispiele wie (21 a) könnten darauf zurückzuführen sein. In der Zweiwortphase gilt X-fwa/; dabei kann X durch ein Nomen, Verb, Adjektiv etc. besetzt werden. So ist z. B. die Äußerung (21 b) eines 25monatigen Kindes (vgl. Clancy 1985: 396) in der japani- schen Erwachsenensprache nicht möglich; erforderlich wäre vielmehr die Kopu- laform ja als Träger für das Negationssuifix (hikooki ja-nai 'Flugzeug KOP-hTOP NEG'). Diese wird jedoch von Kindern anfangs noch nicht intern analysiert (vgl. dazu auch (21 c) aus Clancy 1985: 401) und kann gelegentlich - wie in (21 b) - ganz fehlen.

Wichtig scheint mir in jedem Fall, daß die Kinder nai schon früh als Verbsuffix kategorisieren, vgl. (21 d) bis (21 f). Fehler treten lediglich auf bei der Stellung von NEG im Verhältnis zu anderen Verbmorphemen; man findet, daß die Kin- der die Negation - anders als im Japanischen der Erwachsenen - gelegentlich hinter Modal- oder Tempussuffixe stellen, vgl. dazu die Beispiele (21 e) und (21

(21) a. Mutter: kowashi-chatta Yotchan 'zerbrochen Y.'

(= Y. (Name) du hast es zerbrochen?) Yotchan: nai

b. hikooki nai yo 'Flugzeug NEG EMP (= Das ist kein Flugzeug.)

c. Suupaaman da ja -nai 'Superman KOP KOP + TOP NEG' (= Das ist nicht S.)

d. naka- nai 'weinen NEG'

(= Ich weine nicht.) e. tabe -ru -nai

'essen [ - Verg.] NEG' (= Ich esse nicht.)

f. deki- ta- nai 'können [+ Verg.] NEG'

Die beschriebenen Daten aus der japanischen Kindersprache lassen sich im Rahmen der universalgrammatischen Prinzipien, die für die Negation relevant sind, analysieren; vgl. (5) und (6) aus Abschnitt 2. Die Daten zeigen insbesonde- re, daß Kindern die morphologische Lösung bei entsprechend eindeutigem In-

(18)

put leicht zugänglich ist. Japanische Kinder jedenfalls entdecken schnell, daß die Negation hier als Verbsuffix eingeführt werden muß. Schwierigkeiten haben sie zwar anfangs damit festzulegen, ob NEG mit dem Verbstamm oder aber mit dem flektierten Verb zu assoziieren ist; darauf weisen Fehler vom Typ (21 e) und (21 f) hin. In den Daten finden sich jedoch keine Hinweise dafür, daß japanische Kinder die syntaktische Lösung wählen und NEG mit Verbalphrasen assoziieren würden. So gibt es z.B. keine Fälle von präverbaler Negation, und - wichtiger noch - nai kann durch andere Konstituenten nicht vom Verb getrennt werden; in diesen beiden Hinsichten entsprechen die Äußerungen der Kinder von Anfang an der Zielsprache.

Diese Feststellungen stimmen mit der Vorstellung überein, daß Kinder am Beginn des Erstspracherwerbs durch die Prinzipien (5) und (6) zwei Optionen zur Einführung der Negation haben, die syntaktische und die morphologische Lösung. Offenbar kann man keiner dieser beiden Möglichkeiten eine absolute Priorität in der Entwicklung zuweisen, sie sind den Kindern vielmehr beide gleichermaßen leicht verfügbar. Wenn der Input eindeutig ist, kann sich das Kind früh auf eine der beiden Möglichkeiten festlegen, wie im Fall des Engli- schen auf die syntaktische und im Fall des Japanischen auf die morphologische Lösung. Wenn das Kind verschiedenartige Strukturmuster findet und diese noch nicht vollständig analysieren kann, wie anfangs in der schwedischen und der deutschen Kindersprache, macht es Gebrauch von beiden Möglichkeiten. Im weiteren Verlauf der Entwicklung können sich die Kinder, sobald sie über die Voraussetzungen im Bereich der Verbstellung verfügen, auf die syntaktische Lö- sung festlegen und die zuvor morphologisch eingeführten Fälle als abgeleitete Strukturen reanalysieren.

4. Zur Negationsentwicklung beim Zweitspracherwerb des Deutschen

Im folgenden untersuche ich die Entwicklung der Negation beim natürlichen Zweitspracherwerb von Erwachsenen. Ich stütze mich dabei auf bereits vorlie- gende empirische Ergebnisse zum L2-Erwerb, die mit der Negationsentwicklung in der Kindersprache verglichen werden sollen.

Im Mittelpunkt der Analyse steht die Entwicklung der Stellungsmöglichkei- ten von nicht beim L2-Erwerb des Deutschen. Zu diesem Bereich liegen einige empirische Ergebnisse aus dem ZISA-Projekt (Zweitspracherwerb italienischer und spanischer Arbeiter, vgl. Clahsen/Meisel/Pienemann 1983) vor; die Daten stammen aus Querschnitt- und Längsschnittstudien mit Italienern, Spaniern und Portugiesen, die das Deutsche im wesentlichen ohne Sprachunterricht er- worben haben11. Zusätzlich werden Daten von türkischen Lernern untersucht.

11 Bei den Daten handelt es sich um Spontansprachproben, die in freiem Gespräch

(19)

Negationserwerb 21

4.1. Entwicklungsphasen beim L2-Erwerb des Deutschen

Erwachsene L2-Lerner verfügen schon früh über verschiedenartige Negations- elemente. In den untersuchten Daten findet man praktisch von Beginn an Belege für den Negationstyp nein und auch für Formen von nicht. Etwas Entsprechen- des zu den Stufen I und II aus der Entwicklungssequenz (9), d.h. eine Phase, in der nur nein als Negationselement verwendet und satzextern plaziert wird, kommt beim L2-Erwerb von Erwachsenen nicht vor. Die Lerner können viel- mehr leicht verschiedene Negationselemente aus dem Input identifizieren.

Schwierigkeiten bereitet ihnen dagegen der Erwerb der Stellungsmöglichkei- ten, insbesondere von nicht im Verhältnis zum Verb. Dieser Bereich der Nega- tionsentwicklung wurde in den ZIS -Projekten genauer untersucht. Die wesent- lichen Ergebnisse stelle ich in (22) und (23) zunächst in schematisierter Form dar; eine ausführlichere Erläuterung schließt sich an. In (22) werden drei Ent- wicklungsstufen beim Erwerb der Stellungsmöglichkeiten von nicht unterschie- den; in (23) werden beobachtete Entwicklungszusammenhänge mit anderen Be- reichen der Wortstellung dargestellt12:

(22) I: präverbale Negation

II: unmittelbare postverbale Negation III: NEG-Trennung

(23) Phase I: SVO - präverbale Negation Phase II: Verbklammer - postverbale Negation Phase III: Inversion, ADV VP - NEG-Trennung

Zu Phase I:

In der frühesten Entwicklungsphase konstruieren die untersuchten erwachsenen L2-Lerner ein SVO-System für das Deutsche. Charakteristisch für diese Phase ist die prä verbale Negation, die man in Phase I bei den Lernern sowohl aus der Querschnitt- als auch aus der Längsschnittstudie findet13. Zur Illustration der Möglichkeiten in Phase I betrachte man die Belege in (24) von zwei Lernern der ZISA-Längsschnittstudie14. Anders als in der deutschen Kindersprache kom-

stattfanden und auf Tonband aufgezeichnet wurden. Sämtliche Daten liegen in transkri- bierter Form vor. Eine genauere Beschreibung des Datenmaterials findet man in Clahsen/Meisel/Pienemann (l 983).

12 Zur empirischen Rechtfertigung dieser Entwicklungsfolge verweise ich auf die Analyse der Querschnittdaten in Clahsen/Meisel/Pienemann (1983) und auf die Analyse der Längsschnittdaten in Clahsen (1984, 1987 a).

13 Lediglich eine Lernerin (Ana) benutzt von Beginn an - neben der präverbalen Negation - auch die unmittelbare postverbale Negation (ohne Trennung). Sie ist mögli- cherweise zum Erhebungszeitpunkt in der Entwicklung schon weiter fortgeschritten. Für alle übrigen Lerner ist die präverbale Negation anfangs das einzig verfügbare Muster.

14 Die Beispiele stammen aus den frühesten Interviews mit zwei italienischen Lernern, Lina und Bon-Giovanni, die in der 7. bzw. der 12. Aufenthaltswoche stattfanden.

(20)

men hier zunächst Fälle von postverbaler Negation nicht vor. Vielmehr steht die Negation vor dem Verb, wobei die Lerner über beide Negationselemente, nein und nicht, verfügen. Zudem erkennt man, daß die Lerner in der frühen Phase ein VO-Wortstellungssystem entwickeln.

(24) a. nich sprechen Italien Lina (= Er spricht kein Italienisch.)

b. nis sagen in deutsche Lina

(= Ich kann das nicht auf Deutsch sagen.) c. ich nee sagen wieviel kilometer Lina

(= Ich weiß nicht, wieviel Kilometer es sind.) d. ich nein kauf Bon-Giovanni

(= Ich habe keine Autos verkauft.)

e. ich nix komme in Spanie Bon-Giovanni (= Ich komme nicht aus Spanien.)

f. nein, en matina nix essen Bon-Giovanni (auf die Frage, ob er etwas essen will)

Beispiele dieser Art, wenn sie von italienischen, spanischen oder portugiesischen Lernern kommen, mag man sofort auf den Einfluß von Interferenz aus der Erstsprache zurückführen. In Clahsen/Muysken (1986) konnte aber gezeigt wer- den, daß auch türkische Lerner an einem bestimmten Punkt der Entwicklung ein SVO-Wortstellungssystem beim Zweitspracherwerb des Deutschen konstruie- ren. Hierfür scheidet Interferenz als mögliche Erklärung aus, denn das Türki- sche ist strikt verb-final. In bezug auf die Negation betrachte man zudem die Beispiele (25) und (26), die aus elementaren türkischen Lernervarietäten stam- men15. Ähnlich wie bei den Lernern aus Phase I mit romanischer Erstsprache findet man auch bei den türkischen Lernern nur Belege mit präverbaler Nega- tion. Dagegen gibt es keine Fälle, in denen die Negation - wie im Türkischen - als Verbsuffix behandelt wird.

(25) a. ich nich lesen

b. aber nich helfen hier

c. nicht geben forstwohnung d. aber nicht geben bei mir

e. aber nicht gefunden wohnung

f. vielleicht andere türke nicht helfen (andere türke = Subj.)

15 Ich danke Christiane von Stutterheim dafür, daß sie mir ihre Daten zur Verfügung gestellt hat. Die Beispiele (25) stammen von Sevinc (Aufenthaltsdauer 9 Jahre), die in (26) von Karaman (Aufenthaltsdauer 17 Jahre); vgl. Stutterheim (1987) für eine Darstellung ihrer Untersuchung.

(21)

Negationserwerb 23

(26) a. nich geben maske b. hier mc/z trinken c. nich hier trinken

d. aber ich nich gesagt schwer e. aber ich bin nich krank f. aber frau nich verstehn

(frau = Subj.) Zu Phase II:

In der zweiten Entwicklungsphase tritt die unmittelbar postverbale Negation auf. Zudem verfügen die Lerner jetzt über die Verbklammer. Trennbare Präfix- verben sowie Hilfsverb- und Modalverbkonstruktionen treten jetzt - wie im Deutschen in Hauptsätzen verlangt - mit diskontinuierlicher Wortstellung auf.

Charakteristisch für Phase II sind die Beispiele (27), die aus der ZISA-Längs- schnittstudie stammen. Man erkennt, daß NEG zunächst nicht vom Verb ge- trennt wird, auch dann nicht, wenn eine Trennung im Deutschen erforderlich wäre, wie etwa in (27c) und (27 d). Interessant ist zudem, daß die Negation in Hilfsverb- und Modalverbkonstruktionen zwischen den beiden verbalen Ele- menten steht, und nicht etwa - wie im Italienischen oder Spanischen - vor den Auxiliaren. Diese Beobachtung gilt sogar schon für Lerner in Phase I, vgl. (28).

Sie liefert einen weiteren Hinweis gegen den Einfluß von Interferenzen beim L2- Negationserwerb.

(27) a. ich will nich mit sie gewohnt

(= Ich will nicht bei ihnen wohnen.)

b. und meinen eitern will nich bei mir gewohnen

(= Und meine Eltern wollen nicht bei mir wohnen.) c. aber Stefan will nich diese lokal

(= St. will dieses Lokal nicht.) d. aber er hat nich die papier

(= Er hat die Papiere nicht.)

e. wenn ich glaube, ich kann nich eine sache machen (28) a. die familie is nich gekomm von Spanie

b. wollen nix arbeit Zu Phase HI:

In der dritten Entwicklungsphase treten erstmals Stellungsmuster auf, bei denen Verb und Negation durch andere Konstituenten getrennt werden können. Das korreliert in der Entwicklung mit dem Erwerb (i) der Subjekt-Verb-Inversion und (ii) von neuen Stellungsmöglichkeiten im Mittelfeld (ADV VP). Man be- trachte dazu die Beispiele (29) von Bruno. Die Stellung von nicht ist jetzt in sämtlichen Fällen korrekt. Außerdem erscheint das Subjekt nach vorangestell- ten Objekten und in Fragesätzen - wie im Deutschen erforderlich - nach dem finiten Verb, vgl. (29 a) und (29 e). Und schließlich können jetzt Objekt und Verb

(22)

durch Adverbiale voneineinander getrennt werden, wie etwa in (290 und (29g).

Im Mittelfeld ist jetzt auch die Abfolge V + PP + OBJ möglich und nicht mehr nur V-f OBJ + PP wie in den früheren Phasen.

(29) a. schaffst das nichl

b. ich versteh Michael wirklich nich c. wenn interessierte dir nich

d. ich wollte mich nich bloßstellen

e. das hättest du mir nich sagen gebraucht

f. weil das istför mich eine schlechte Übersetzung g. ich soll aus Italien eine apparat bringen

Insgesamt gesehen erweist sich die präverbale Negation als das charakteristische Stellungsmuster des L2-Erwerbs, insbesondere in elementaren Lernervarietäten.

Postverbale Negation und NEG-Trennung sind dagegen erst in späteren Ent- wicklungsphasen möglich. Dies steht in Kontrast zu den für die deutsche (und die schwedische) Kindersprache erzielten Ergebnissen. Es zeigte sich, daß die Kinder von Beginn an beide Muster, die prä verbale und die post verbale Nega- tion, verwenden und im weiteren Verlauf der Entwicklung keine speziellen Re- geln für die Negationssyntax erwerben müssen. Die korrekten Strukturen erge- ben sich hier vielmehr indirekt durch Entwicklungsfortschritte in der Verbstel- lung. Diese Unterschiede zwischen Erst- und Zweitspracherwerb müssen in ei- ner geeigneten theoretischen Analyse erklärt werden können.

4.2. Zwei Ansätze zur Erklärung der Entwicklungsabfolge

Aus der Untersuchung des Erwerbs der Negationssyntax sind Unterschiede zwi- schen dem Erstspracherwerb und dem natürlichen Zweitspracherwerb von Er- wachsenen zu erkennen. Zu der Frage, wie Unterschiede dieser Art zu erklären sind, gibt es seit einiger Zeit eine kontroverse Diskussion in der Spracherwerbs- forschung. Dabei stehen sich im wesentlichen zwei Ansätze gegenüber: (i) die Identitätshypothese, nach der im Erst- und im Zweitspracherwerb die gleichen Lernmechanismen wirksam sind (vgl. etwa White 1985, Flynn/Espinal 1985) und (ii) die Hypothese qualitativer Unterschiede (vgl. Bley-Vroman 1987, Clahsen/Muysken 1986), nach der Erwachsene andere Lernmechanismen für den Grammatikerwerb einsetzen müssen als Kinder beim Erstspracherwerb. Im folgenden sollen zunächst - am Beispiel der Negationsentwicklung - einige Pro- bleme von Hypothese (i) deutlich gemacht werden. Ausgehend davon werde ich für eine Analyse des Negationserwerbs im Rahmen von Hypothese (ii) argumen- tieren.

Im Rahmen der Identitätshypothese können beobachtete Unterschiede zwi- schen Ll- und L2-Erwerb nicht auf qualitative Unterschiede bei den verfügba- ren Lernmechanismen zurückgeführt werden. Als Alternative dazu bietet sich

(23)

Negationserwerb 25

an, die Besonderheiten des Zweitspracherwerbs dem Einfluß von Interferenzen aus der Erstsprache des Lerners zuzuschreiben. Darüber hinaus nimmt man an, daß die Lernergrammatik an bestimmten Punkten der Entwicklung mehr oder minder vollständig restrukturiert und dadurch allmählich mit der Grammatik der Zielsprache in Übereinstimmung gebracht wird.* ·

Zur Erklärung der Wortstellungsentwicklung beim Zweitspracherwerb des Deutschen sind verschiedene Analysen in diesem Rahmen vorgelegt worden (vgl. Bongaerts/Jordens 1985, duPlessis et al. 1987, Felix 1984, Jordens 1987, Zobl 1986); dabei sollte insbesondere die in (23) skizzierte Entwicklungsabfolge erklärt werden. Die einzelnen Analysen unterscheiden sich in einigen Punkten, die hier vernachlässigt werden können16. Wesentlich ist, daß die Entwicklungen der Phase II, insbesondere der Erwerb der Verbklammer, als entscheidend für den Aufbau der korrekten Phrasenstruktur des Deutschen herausgestellt wer- den.

Man nimmt an, daß die Lerner zunächst (in Phase I), bedingt durch den Einfluß von Interferenzen aus der Erstsprache, ein VO-System für das Deutsche konstruieren. In Phase II soll dann dieses anfangliche System zu einem OV- System restrukturiert werden. Damit würden die Lerner schon in Phase II über die wesentlichen Elemente der Verbstellung des Deutschen verfügen. Die VP wäre kopffinal, und verbale Elemente können nun in diskontinuierlicher Stel- lung auftreten, flektierte Verben in der vorderen (INFL)-Position und nicht- flektierte Verben in der finalen (V)-Position. In den späteren Entwicklungspha- sen sollen andere Bereiche der Wortstellung restrukturiert werden, in Phase III aus (23) z. B. die Position des Subjekts in der Konstituentenstruktur und die Stellungsmöglichkeiten im Mittelfeld.

Im Rahmen dieser Analyse könnte man die Entwicklung der Negation beim Zweitspracherwerb des Deutschen wie folgt schematisch darstellen17:

(30) a. NEG VP[V..]

b. INFL NEG VP[.. .V] ohne Scrambling c. INFL NEG VP[.. .V] mit Scrambling

Mit (30 a) sollen die Möglichkeiten in Phase I beschrieben werden: Die VP ist kopfinitial, und NEG ist die linke Schwester der maximalen Verbprojektion. Mit

16 Jordens plädiert für die Vorstellungen, die Bowerman (l985) für den Erstspracher- werb entwickelt hat. Die übrigen genannten Autoren argumentieren innerhalb des Para- metermodells (vgl. dazu Hyams 1986).

17 Eine ähnliche Analyse nimmt auch Eubank (l987) für den L l - und den L2-Erwerb an, nur daß bei ihm die Verbstellung in Phase I nicht festgelegt ist. Dies scheint mir vor dem Hintergrund der empirischen Ergebnisse problematisch zu sein, denn in beiden Erwerbsty- pen ist die Verbstellung anfangs stark festgelegt. Sie ist nur jeweils anders festgelegt, beim Ll-Erwerb auf XV und beim L2-Erwerb auf VX. Bei dem Versuch, eine Analyse zu ent- werfen, die auf beide Erwerbstypen paßt, sollte dieser Unterschied nicht übersehen wer- den.

(24)

(30 b) lassen sich die Daten beschreiben (vgl. 27), die man in Phase II findet.

Geändert gegenüber Phase I hat sich die Position des Verbs in der VP, die Posi- tion von NEG ist dagegen gleichgeblieben; (vgl. dazu auch die Analyse von Klein 1984:117-120). Zusätzlich muß man annehmen, daß die Lerner hier noch nicht über Scrambling verfügen, denn - wie erwähnt - können in Phase II das Verb und die Negation noch nicht durch andere Konstituenten voneinander getrennt werden. Den Erwerb von Scrambling würde man nach dieser Analyse der Phase III zuordnen. Wie die Beispiele (29) verdeutlichen, kann die Negation in Phase III vom Verb getrennt werden. Belege dieses Typs zeigen, daß die durch Scrambling gegebenen Stellungsvarianten im Mittelfeld den Lernern in Phase III verfügbar sind. So entstehen die korrekten Stellungsmuster in negierten Sät- zen, ohne daß man eine neue Position für NEG in der Konstituentenstruktur annehmen muß.

Nach der Analyse (30) fallen sämtliche Grammatiken, die Zweitsprachlerner im Verlauf der Entwicklung aufbauen, in den Geltungsbereich von UG-Prinzi- pien. Dies würde mit der Identitätshypothese übereinstimmen. Andererseits hat die Analyse (30) jedoch eine Reihe vqn Problemen und kann in der vorgeschlage- nen Form nicht bestehen bleiben.

Erstens gibt es in den Zweispracherwerbsdaten keine unabhängigen Hinweise dafür, daß die Lerner in Phase II ihre Grammatik grundlegend restrukturieren und von einem SVO- zu einem SOV-System übergehen. Die Annahme der Re- strukturierung wäre plausibler, wenn man in Phase II - wie in der entsprechen- den Phase des Erstspracherwerbs - dominant Verbendstellungsmuster finden würde. Beim L2-Erwerb von Erwachsenen wird jedoch das SVO-Muster auch in Phase II noch dominant verwendet (vgl. dazu die Distributionsanalysen aus Clahsen 1987 a). Hinzu kommt, daß die Lerner, sobald sie ein SOV-System für das Deutsche konstruiert haben, auch über Scrambling verfügen müßten. Dies ergibt sich aus der Theorie von Webelhuth/den Besten (1987) und der Annahme, daß L2-Lerner mögliche Grammatiken (im Sinne der UG) aufbauen. Die empi- rischen Ergebnisse stehen nicht im Einklang mit dieser Vorhersage. Die Nega- tionsdaten weisen vielmehr daraufhin, daß Scrambling den Lernern in Phase II noch nicht zugänglich ist.

Zweitens können wesentliche Elemente der Entwicklungssequenz für den L2- Erwerb im Rahmen der Identitätshypothese und der Analyse (30) nicht erklärt werden. So lassen sich zwar die Negationsdaten in Phase II mit (30 b) analysie- ren, also mit einem OV-System ohne Scrambling, nicht jedoch die Stellungsmög- lichkeiten im Mittelfeld, über die die Lerner zum gleichen Zeitpunkt verfügen.

Wenn (30 b) die Lernergrammatik der Phase II korrekt beschreiben würde, müß- te man in den Daten nur Stellungsmuster vom Typ (31 a) finden, nicht aber (31 b), denn die Abfolge der Elemente in (31 b) läßt sich (aus zugrundeliegender OV-Stellung) nur durch Scrambling gewinnen.

(31) a. Vi PP NPOBJ [ej b. V, NPOBJ PP [ej

(25)

Negationserwerb 27

In den Daten ergibt sich jedoch genau das umgekehrte Bild. In Phase II werden nur Stellungsmuster vom Typ (31 b) verwendet. Strukturen der Form (31 a) tre- ten dagegen erst in der folgenden Phase III auf; vgl. „ADV VP" in (23). Man müßte also annehmen, daß die Lerner in den nicht-negierten Strukturen (31 b) Scrambling immer anwenden und gleichzeitig in negierten Sätzen - anders als im Deutschen - Scrambling niemals anwenden. Dieser Widerspruch läßt sich, je- denfalls in der vorliegenden grammatischen Analyse nicht auflösen18.

Abschließend will ich kurz eine alternative Analyse des L2-Wortstellungs- erwerbs skizzieren. Ausgangspunkt dafür ist die Vorstellung, daß Erwachsenen UG-Prinzipien nicht mehr als Lernmechanismen zur Verfügung stehen und daß sie generelle Lernstrategien für den Grammatikerwerb einsetzen müssen. Eine entsprechende Analyse des L2-Wortstellungserwerbs findet sich in Clahsen (1984). Als besonders relevant erwies sich dabei die Strategie der kanonischen Wortstellung, vgl. (32):

(32) In syntaktischen Strukturen der Form

XP[XI Xa ··-Xn J YPL* i * 2 ··· *n J zpL^i Z2 ··-A, L

in denen jedes Element Xl 9 X2,..., X„ Informationen zur internen Struktur von XP beiträgt, sollen keine Elemente aus YP und ZP in XP gebracht werden.

Diese Beschränkung basiert auf bekannten Ergebnissen zur Sprach Verarbeitung (vgl. z. B. Bever/Townsend 1979), in denen gezeigt wurde, daß die Verarbeitungs- komplexität eines Satzes ansteigt, wenn die kanonische Wortstellung zerstört wird. So erhöht sich z. B. durch zentraleingebettete Nebensätze die erforderliche Verarbeitungszeit. Man kann sich (32) als Output-Beschränkung für sprachliche Strukturen vorstellen: Bewegungen in externe Positionen läßt (32) zu, nicht aber Reorganisationen der internen Struktur.

Beim L2-Erwerb von Erwachsenen ist (32) besonders in den frühen Phasen I und II als Beschränkung für mögliche sprachliche Strukturen wirksam. In diesen Phasen können die Lerner zwar bestimmte Elemente in externe Positionen ver- schieben, Wortstellungsmuster jedoch, bei denen die interne Struktur von Kon- stituenten reorganisiert werden müßte, kommen noch nicht vor. Sätze mit Inver- sion von Subjekt und Verb sind z. B. erst in späteren Entwicklungsphasen belegt.

Objekt und Verb bilden anfangs eine Einheit, die nicht durch andere Konstituen- ten unterbrochen werden kann. Von den beiden im Deutschen möglichen Struk- turen in (33) verwenden die Lerner anfangs nur (33 a). Die Abfolge (33 b) wird durch (32) ausgeschlossen; dies gilt auch dann, wenn die Erstsprache des Lerners eine entsprechende Struktur, wie etwa (33 c) im Spanischen, anbietet.

18 Probleme ähnlicher Art entstehen bei dem Versuch, die Entwicklung der Verbstel- lung in den späteren Phasen im Rahmen der Restrukturierungskonzeption zu erklären;

vgl. dazu Clahsen (1985, Fußnote 4).

(26)

(33) a. Peter kauft Aspirin in der Apotheke b. Peter kauft in der Apotheke Aspirin c. Pedro compra en la farmacia aspirinas

In Phase III verfügen die Lerner sowohl über Stellungsvarianten im Mittelfeld vom Typ (33 b) als auch über die Inversion von Subjekt und Verb. Beides wird in etwa gleichzeitig erworben. Diese Beobachtungen zeigen, daß die Verarbeitungs- beschränkung (32) an einem bestimmten Punkt der Entwicklung gelockert wird und dem Lerner dadurch gleichzeitig verschiedene sprachliche Strukturen aus dem Input zugänglich sind. In dieser Hinsicht stellt die Phase III beim L2- Erwerb einen Einschnitt in der Entwicklung der Wortstellung dar.

Die Entwicklung der Stellungsmöglichkeiten für die Negation läßt sich in diesem Rahmen ebenfalls darstellen. Man betrachte dazu die Fälle in (34):

(34) a. NEG VP[V...]

b. *VP[.. .NEG v.[.. .V]]

c. *vp[v<[v[VNEG]...]]

Strukturen, in denen NEG außerhalb von Konstituenten plaziert wird (34 a), werden durch (32) nicht beschränkt. Die Daten zeigen (vgl. 4.1), daß sie in der Lernersprache von Anfang an belegt sind. Anders ist es, wenn NEG mit nicht- maximalen Kategorien assoziiert werden soll, wie dies in den Strukturen (34 b) und (34c) der Fall ist; in (34b) wird die Position von NEG im Deutschen darge- stellt (vgl. (2) aus Abschnitt 2) und in (34c) eine der Möglichkeiten aus der frühen deutschen Kindersprache (vgl. 3.2). Strukturen dieser Art werden durch die Beschränkung (32) ausgeschlossen. Sie sollten, solange (32) wirksam ist, beim L2-Erwerb von Erwachsenen nicht vorkommen. Die Ergebnisse der Da- tenanalyse stimmen damit überein. Die korrekten Negationsmuster vom Typ (34 b) treten erst in Phase III auf, an einem Entwicklungspunkt also, an dem die Lerner - auch in anderen Bereichen der Wortstellung - Strukturen verwenden (Inversion, ,,ADV VP"), die in den frühen Phasen durch Beschränkung (32) ausgeschlossen wurden. Sobald die Beschränkung gelockert wird, können die Lerner gleichzeitig in mehreren Bereichen die korrekten Strukturen erwerben.

Dieses Beispiel verdeutlicht, wie durch zunehmende Verarbeitungsmöglichkei- ten des Lerners Entwicklungsfortschritte beim natürlichen Zweitspracherwerb stattfinden können.

Aus den Ergebnissen zur Negationsentwicklung sind Unterschiede zwischen dem Ll-Erwerb und dem L2-Erwerb von Erwachsenen zu erkennen. Die Daten- analysen zeigen, daß in der Kindersprache, sobald die entsprechenden Nega- tionselemente identifiziert wurden, zwei Möglichkeiten zur Einführung der Ne- gation bestehen, die syntaktische und die morphologische Lösung. Beim Ll- Erwerb des Deutschen (und des Schwedischen) setzen die Kinder anfangs beide Optionen ein, um sowohl den präverbalen als auch den postverbalen Teil des Inputs analysieren zu können. Die korrekten Negationsstrukturen ergeben sich

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