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Wie Flugschriften über die Schlacht bei Pavia (1525), den Sacco di Roma (1527) und die Belagerung Wiens (1529) berichten"'

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Aufsätze Rainer Brüning

»Kriegs-Bilder«.

Wie Flugschriften über die Schlacht bei Pavia (1525), den Sacco di Roma (1527) und die Belagerung Wiens (1529) berichten"'

»Vnd trifft dick die fürsten allein an / so man doch ein gantz land zu kriegen v f f wegt. Mee dann gemein solt es sin darumb ein krieg angenomen wurd. Ja es begibt sich o f f t / wo kein vrsach des kriegs ist / machen sy jnen selbs vrsach / erdencken ein Jule ansprach / vnd da mit sy mit jren nyd fiirfaren / mißbruchen sy die namen der

landen / vnnd soelichen jrsal des gemeinen volcks vffenthalten die obren / vnd bru- chen den zujrem nutz / ouch etlich priesterßirdren soelich zwytracht.«1

So heißt es in Leo Juds prägnanter Übersetzung der »Querela Pacis« (1517) des Eras- mus von Rotterdam, die 1521 bei Christoph Froschauer in Zürich erschien: Die Für- sten brechen aus Eigennutz Kriege vom Zaun und führen gezielt das Volk mit Lügen über die eigentlichen Ursachen und Interessen in die Irre. Was aber erfuhr der »Gemei- ne M a n n «2 — d. h. die Nicht-Herrschaftsfähigen im Gegensatz zur Obrigkeit — über den Krieg, zu dessen zahllosen Opfern er unversehens gehören konnte? Welche Infor- mationen erhielt er über die militärischen Auseinandersetzungen der Zeit und ihre Hintergründe, welche Vorstellungen wurden ihm wie suggeriert? Nicht humanistische Kriegs- und Friedenskonzeptionen, nicht die Militär- und Sozialgeschichte des Lands- knechtswesens oder der Kriegführung allgemein sollen hier interessieren, sondern viel- mehr, ob es möglich ist, Aussagen über das Bild vom Krieg zu treffen, das der überwäl- tigenden Mehrheit der damaligen Bevölkerung vermittelt w u r d e und die öffentliche(n) Meinung(en) bestimmte3.

Was ist aber unter Öffentlichkeit im 16. Jahrhundert zu verstehen? Generell ist für die Frühe Neuzeit von einer dominierenden, von den geistlichen und weltlichen Obrigkei- ten instrumentalisierten »repräsentativen Öffentlichkeit« auszugehen, wie sie Jürgen H a b e r m a s beschreibt4. D o c h im Rahmen der Reformation traten auch andere Formen von Öffentlichkeit in Erscheinung, die f ü r eine kurze Zeit bestimmend w u r d e n : Ge- stützt auf Beiträge von Peter U k e n a5 und Robert W . Scribner6, erarbeitete Rainer Wohlfeil ein sozialgeschichtlich bestimmtes Konzept der »reformatorischen Ö f f e n t - lichkeit« f ü r die Jahre 1517—15257. Der Terminus »reformatorisch« kennzeichnet da- bei die »spezifische Bedingtheit des historischen Phänomens«8 gegenüber früheren oder späteren Formen und Inhalten von Öffentlichkeit. Dieses Modell kann aber durch seine untrennbare Verbindung mit den »reformatorischen Bewegungen« nicht als ein übergreifendes Erklärungsmuster dienen und ohne Berücksichtigung seiner besonde- ren theoretischen Implikationen auf das gesamte 16. oder gar noch das 17. Jahrhundert ausgeweitet werden9. Verallgemeinernd lassen sich jedoch f ü r die Öffentlichkeit des 16. Jahrhunderts einige grundlegende Strukturen feststellen, die durch die Kommuni- kationsformen der Zeit bedingt waren.

Das zugrundeliegende Verständnis von Öffentlichkeit orientiert sich begriffsge- schichtlich an dem Adjektiv »öffentlich«, das damals im Sinne von »klar«, »offensicht- lich« und »allgemein bekannt« gebraucht wurde1 0. Die Reformation hat zwar die jahr- hundertealten Mittel der Überredung (»means of persuasion«) weiterentwickelt und in ihrer Effektivität gesteigert1 1, doch bereits f ü r das Spätmittelalter sind Ausprägungen von öffentlicher Meinung als ein politischer Faktor nachgewiesen1 2. Die der Ö f f e n t - lichkeit zugrundeliegende Kommunikation wurde durch vielfältige mündliche, schrift- 13 M G M 1/89 liehe, visuelle und aktionale Formen bestimmt1 3. Die Bedeutung der expandierenden

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Druckkunst darf dabei mit Sicherheit nicht unterschätzt werden, aber der Primat ist keiner exakt abgrenzbaren Kommunikationsform eindeutig zuzugestehen — wenn überhaupt, dann wohl noch am ehesten der mündlichen1 4. Zur Verdeutlichung des äu- ßerst komplexen Zusammenspiels von H ö r e n , Schauen, Lesen, Diskussion und Aktion benutzt Robert W . Scribner die Metapher der »Partitur« bzw. der Orchesterauffüh- rung, welche er der durch Claude Levi-Strauss beeinflußten Theoriebildung von Ed- mund Leach1 5 verdankt1 6. Dieses Kommunikationskonglomerat konstituierte eine Ö f - fentlichkeit, die als allgemeine Erscheinung und als Strukturelement der Kultur E u r o - pas in der Frühen Neuzeit und besonders des 16. Jahrhunderts verstanden werden kann — selbst wenn Intensität, Form und Inhalt stets variierten1 7. Kultur soll hier ge- mäß dem Definitionsversuch Peter Burkes begriffen werden:

»>Kultur ist ein System kollektiv verwendeter Sinngehalte, Einstellungen und W e r t e sowie der symbolischen Formen (Darstellungen [performances] und Artefakte), in welchen sie sich ausdrücken oder verkörpern.< In diesem Sinne ist Kultur Teil einer all- umfassenden Lebensweise, doch nicht mit ihr identisch.«18

Eine begrenzte, indirekte Möglichkeit zur Erforschung dieser verschollenen, durch die spezifischen Kommunikationsformen ihrer Kultur bestimmten öffentlichen Mei- n u n g e n ) bieten als schriftliches Medium die Flugschriften der Zeit, welche für die H i - storiker zentralen Quellenwert erlangt haben. Wie nicht nur das 1980 in Tübingen stattgefundene Symposion über »Flugschriften als Massenmedium der Reformations- zeit« zeigte1 9, haben die Forschungen der verschiedenen Disziplinen zum T h e m a Flug- schrift, aber auch Flugblatt2 0, im Laufe der Jahre einen derartigen U m f a n g angenom- men, daß sie in ihrer Vielfalt kaum noch zu überblicken, geschweige denn hier darzu- stellen sind — als Einstieg in die zentrale Literatur und die diversen Problemfelder sei daher ausdrücklich auf die neuesten Aufsätze von Hans-Joachim Köhler hingewie- sen21. Es bleibt festzuhalten, daß bei einer Untersuchung von Flugschriften des 16. Jahrhunderts vor allem zwei Aspekte zu beachten sind:

Flugschriften stellen nur eine Kommunikationsform neben anderen dar. D e n n obwohl sie an die gesamte Bevölkerung — den »Gemeinen Mann« — adressiert waren, ver- mochte doch nur ein geringer Teil derselben zu lesen. Die »Lesefähigkeit« der M e n - schen kann in drei Arten beschrieben werden: a) Lesen im heutigen Verständnis, b) H ö r e n und c) Sehen. Mitteilungen wurden nicht in deutlich abgrenzbaren Medien weitergegeben, sondern vielmehr in komplizierten Mischformen, wobei das Sehen und H ö r e n dominierte: »Schlagwort« und »Schlagbild« ergänzten und erläuterten sich im Idealfall gegenseitig22. Bei einer Analyse von Flugschriften müssen demnach Text und Bild gleichermaßen beachtet werden. Zum Verständnis der Holzschnitte sind auf die Überlegungen zu einer »Historischen Bildkunde« zu verweisen, die in einem reflek- tierten Akt der Beschränkung dem Historiker das Kunstwerk als Quelle interpretierbar macht: Das Bild wird zum Bedeutungsträger, zur Erscheinung historischer Sachver- halte und kann Erkenntnisse über die Kultur der Zeit ermöglichen2 3.

Flugschriften sind Propaganda im weitesten Sinne und lassen nur sehr indirekt Rück- schlüsse auf die damalige Realität und die Adressaten zu, spiegeln eher propagandisti- sche Fiktion wider2 4. Eine gewisse Sonderstellung nehmen dabei die hier zu untersu- chenden sogenannten »Neuen Zeitungen« ein, die vornehmlich Nachrichten bzw. In- formationen enthielten, aber auch bei fehlenden Kommentaren unterschwellig W e r t e und Meinungen vermitteln oder beeinflussen konnten2 5. Eine Analyse dieser Quellen kann in erster Linie darüber Aufschluß geben, welche Inhalte wie präsentiert w u r d e n : Aussagen über das Bewußtsein des »Gemeinen Mannes« oder die sein Leben bestim- 14 mende Kultur können daraus nur unter größter Vorsicht abgeleitet werden.

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Was Wolfgang Harms bei den illustrierten Flugblättern feststellt, mag auch für die Flugschriften gelten: Sie zeigen, »wie eine Kultur auf Ängste, Sorgen, Gewohnheiten und H o f f n u n g e n zu antworten wußte« und können als »interpretierbare, komplexe Gebilde aus Vorwissen und neuer Information, vorgefaßter Meinung und Meinungs- bildung, Andeutung und Überredungskunst, Erbauung und Verheißung [. . .] Zugang zu offen oder latent wirksamen N o r m e n und Werten einer Zeit, zu dem Beitrag von Literatur und Kunst zur Bewältigung von politischen und privaten Ängsten und Ent- täuschungen eröffnen«2 6.

Als Quellengrundlage f ü r eine Untersuchung über die dem »Gemeinen Mann« zu- gänglichen Informationen über den Krieg dient eine Gruppe ausgewählter Flugschrif- ten aus den ersten neun Lieferungen der Microfiche-Sammlung des Tübinger Projekts, die 4500 Flugschriftenausgaben umfassen2 7. Es handelt sich dabei um sogenannte

»Neue Zeitungen« — die auch in Liedform auftreten konnten — über drei zentrale mili- tärische Ereignisse des Jahrhunderts: die Schlacht bei Pavia 1525, den »Sacco di R o - ma« 1527 und die Türkenbelagerung Wiens 1529. Zu diesen 35 Flugschriftenausgaben wurden noch vier weitere Ausgaben bzw. fünf Exemplare aus der Microfiche-Repro- duktion der Gustav-Freytag-Sammlung hinzugezogen2 8, außerdem zwei nur über den Abdruck erreichbare Flugschriften. V o n diesen Schriften existiert keine kritische Edi- tion, weshalb sich die Interpretation sehr eng an den jeweiligen Texten bzw. Bildern orientieren muß.

Die Fragestellung, die an die Quellengruppe herangetragen wird, welche aufgrund der Flugschriftensammlung wie der behandelten historischen Ereignisse als repräsentativ gelten darf, lautet: Welche Informationen vermitteln die »Neuen Zeitungen« — T e x t und Bild — über die drei oben genannten militärischen Geschehnisse und wie versu- chen sie, die Rezipienten zu beeinflussen? Auf Grundlage der Bearbeitung dieser Fra- gestellung lassen sich unter Umständen Rückschlüsse auf die öffentliche(n) Mei- n u n g e n ) über die entsprechenden Kämpfe oder sogar den Krieg allgemein ziehen.

Einerseits ist bisher die Auswertung von Kriegsberichten im Rahmen der sich mit Flug- schriften und -blättern befassenden neueren Forschung wenig entwickelt2 9, anderer- seits beschäftigt sich die militärgeschichtliche Forschungsliteratur zu den entsprechen- den Schlachten und Belagerungen bis auf wenige Ausnahmen fast ausschließlich mit Aspekten der Kriegs- und Ereignisgeschichte, wobei der besondere Erkenntniswert der Flugschriften kaum adäquat genutzt wird. Zwar befaßt sich H a n s Schulz in seiner Dis- sertation von 1894 und einem späteren kleinen Aufsatz mit den über den »Sacco di Ro- ma« berichtenden Flugschriften, geht jedoch nicht näher auf die spezifischen Probleme der Öffentlichkeit ein30. Einzig die explizit der Berichterstattung über die erste Wiener Türkenbelagerung gewidmete Dissertation Helmuth Pfandls aus dem Jahre 1957 strebt anhand der Flugschriften Aussagen über das Phänomen einer öffentlichen Mei- nung an3 1. D a die umfangreiche Forschungsliteratur über die Ereignisse aufgrund un- terschiedlicher Fragestellungen und die Arbeit Pfandls als einzige Untersuchung über die Berichterstattung wegen ihrer theoretischen wie praktischen Mängel als »Vorlage«

nur begrenzt tauglich sind, ist in diesem Rahmen vor allem auf drei »verwandte« Stu- dien zu verweisen: Als vorbildliche Untersuchungen, die die Erkenntnismöglichkeiten zur Öffentlichkeit des 16. Jahrhunderts beleuchten, müssen die von Winfried Schul- ze3 2, Günter Vogler3 3 und Robert W . Scribner3 4 gelten. Sie können als Orientierungs- hilfe zur Interpretation der ausgewählten Quellengruppe dienen — vor allem die P r o - pagandatypen Scribners, welche nicht nur zur Analyse der Bilder, sondern hier auch zur Analyse der Texte herangezogen bzw. ausgeweitet werden.

Scribner versucht, aus Form und Inhalt der visuellen Reformationspropaganda indirekt Rückschlüsse auf die Volkskultur der Zeit zu ziehen. Ein Resultat ist dabei die Formu- 15 lierung bzw. Adaptation von sechs idealtypischen Propagandamodellen, die stark ver-

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einfacht und weiter abstrahiert etwa folgende Charakteristika aufweisen3 5: Das »tower experience«-Modell orientiert sich an Luthers persönlichem Werdegang und betont die individuelle Bekehrung durch »Gottes Wort«. Das »exorcism«-Modell identifiziert den Gegner mit dem Teufel und überwindet ihn durch seine Entlarvung. Das Modell der »negative assimilation« konstruiert eine sich wechselseitig definierende, antitheti- sche Gegenüberstellung einer positiven Identifikationsgruppe und negativen Feind- gruppe. Das Modell der »ideological assimilation« suggeriert den Rezipienten, daß es nur eine bestimmte allgemeingültige Interpretation gewisser Vorgänge geben kann und vermittelt eine übergreifende »Weltanschauung«. Das Modell der »cultural assimi- lation« richtet sich nach dem kulturellen Kontext der jeweiligen Adressaten und ver- sucht Identifikationen und Interessenverbindungen im weitesten Sinne herzustellen.

Das Modell »incitement to action« schließlich zielt direkt oder indirekt auf das aktive Eintreten der Empfänger für die propagierte Sache.

I. Pavia 1525

In den fünf Flugschriften über die Schacht bei Pavia lassen sich als zentrale T h e m e n die umstrittene Gefangennahme König Franz' I., die Vernichtung der im französischen Dienst stehenden deutschen Söldnertruppe, des »Schwarzen Haufens«, und die Flucht der schweizer Reisläufer vor ihren Konkurrenten auf dem Söldnermarkt, den deut- schen Landsknechten des Kaisers, feststellen. Eindeutig in den Mittelpunkt der Be- richterstattung rücken jedoch die kaiserlichen Landsknechte und ihre A n f ü h r e r : Ihrer Tapferkeit allein sei in der großen Gefahr der Sieg zu verdanken gewesen3 6.

Diese Gruppe von Flugschriften zeigt anschaulich, welche Bandbreite innerhalb eines publizistischen Mediums bestehen kann. Auf der einen Seite stehen zwei interne Be- richte: Georg von Frundsbergs Brief an Erzherzog Ferdinand (Ρ 1), den dieser in Ab- schriften und mit der Bitte um Weiterverbreitung an andere Obrigkeiten übermittelte, und ein Brief eines weiteren, unbekannten Landsknechtsführers an einen nicht näher benannten Fürsten (P 3). Beide Briefe wurden relativ unbearbeitet als Flugschriften veröffentlicht. V o n Frundsbergs Bericht liegt zudem eine inhaltlich sehr nahe an- onyme Variation als Flugschrift vor (P 2). Auf der anderen Seite erscheinen zwei von vermutlich an der Schlacht teilnehmenden Landsknechten, Peter Stubenfol von Straß- burg (P 4) und H a n s von W ü r z b u r g (P 5), verfaßte »historische Ereignislieder«, die von vornherein an die gesamte Öffentlichkeit gerichtet waren3 7.

Die beiden Anführer betreiben keine offensichtliche P r o p a g a n d a : Sie entwickeln keine ausdrücklich negativ besetzten Feindbilder und werten die Gegner sogar teilweise auf, halten sich mit der positiven Selbstdarstellung zurück — der unbekannte Lands- knechtsführer weniger als Frundsberg — und bieten keine politischen Hintergrundin- formationen, Erklärungs- oder Bewertungsmuster f ü r das Geschehen an. Diese Nicht- Kommentierung der Schlacht liegt ebenso wie ihre sonstige Selbstdarstellung in ihrer speziellen Adressatenbezogenheit begründet: Einerseits ist davon auszugehen, daß Erzherzog Ferdinand bzw. der nichtgenannte Fürst über den politischen Kontext bes- ser als die Verfasser selbst informiert waren, anderseits hielten sie es wohl nicht f ü r ihre Aufgabe, ihm ihre eigenen Ansichten darzulegen. D e r primäre Adressat hatte vor allem ein Interesse an soliden Informationen über den Schlachtverlauf. Beide Autoren wir- ken auf den bzw. die Adressaten hauptsächlich unterschwellig durch ihre bewußt oder unbewußt selektive W a h r n e h m u n g ein, indem sie die Schlacht aus ihrer Sicht schildern und damit sich, d. h. die kaiserlichen Landsknechte und ihre Anführer, ins Zentrum der 16 Ereignisse rücken. D e r Sieg über einen so starken und berühmten Gegner erhöht eo

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17 Quelle: Bayerische Staatsbibliothek München

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ipso ihren eigenen R u h m : Der Erfolg bzw. die Liste mit den Namen der getöteten und gefangenen Feinde spricht für sich selbst.

Die durch die Entstehungsgeschichte der Schriften bedingte Nicht-Kommentierung — wenn von den in allen Schriften auftauchenden toposartigen Anrufungen Gottes und den wohl später hinzugefügten Titelformulierungen von Ρ l b und Ρ 3 einmal abgese- hen wird — erhält aber durch ihre nicht oder kaum veränderte Veröffentlichung eine qualitativ andere Bedeutung: Nicht die ursprünglich internen Berichte der Lands- knechtsführer — die jedoch auch kein Herrschaftswissen in Form geheimer politischer Informationen enthalten —, sondern ihre Flugschriftenausgaben sind durch ihre Me- dienfunktion der Kategorie einer besonders ausgeprägten »repräsentativen Öffentlich- keit« zuzuordnen. Der »Leser« erhält keine Hintergrundinformationen, die es ihm er- möglichen würden, das Geschehen in seinen Kontext einzuordnen. Es wird sogar nicht einmal die M ü h e aufgewandt, die Nachricht konsequent als systemstabilisierendes In- strument zu nutzen, d. h. in eine positive Darstellung der gesellschaftlichen O r d n u n g bzw. der eigenen politisch-ideologischen Deutungsmuster zu integrieren und als ziel- gerichtete Propaganda einzusetzen. Nicht die aktive Einflußnahme auf die Rezipien- ten, sondern gerade die Unterlassung von Propaganda — eine »Lücke« — kennzeichnet diese Form der Publikation: Ein Verfahren, das wahrscheinlich nicht so sehr durch den bewußten Willen bedingt ist, den Rezipienten die Rolle eines politisch unmündigen und passiven Publikums zuzuweisen, das nur noch zur Akklamation herangezogen wird, sondern wohl eher durch ein Selbstverständnis, das es überhaupt nicht für nötig erachtet, eine öffentliche Meinung als politischen Faktor zu berücksichtigen bzw.

dementsprechend zu beeinflussen. Die Schlacht von Pavia erscheint in diesen Flug- schriften als nicht weiter zu hinterfragende Auseinandersetzung zwischen Kaiser Karl V.

und König Franz I., die dadurch einer tiefergehenden Ursachenanalyse entzogen und so zu einem singulären Ereignis im Rahmen eines umfassenden politischen und ge- sellschaftlichen Status quo wird, der als solcher nicht einmal mehr benannt zu werden braucht: D e r Krieg als ein oder das politische Mittel zur Austragung eines Konfliktes zweier konkurrierender Dynastien erhält durch diese Art der Berichterstattung selbst den Charakter einer obrigkeitlichen Repräsentation. Die Obrigkeit braucht sich an- scheinend gemäß ihrem Selbstbewußtsein der Legitimationsfrage ihrer Herrschaft und speziell ihres T u n s — der Politik im allgemeinen und der Kriegführung im besonderen

— in der von ihr geprägten Form der Öffentlichkeit sogar im Krisenjahr 1525 nicht zu stellen. Einem solchen Verständnis der Schlacht kann in der Öffentlichkeit eine ein- deutig dominierende Stellung zugeschrieben werden, da die Schrift Frundsbergs in den beiden hier benutzten Microfiche-Quellensammlungen bereits in vier bzw. fünf Ausga- ben vorliegt3 8.

Die besondere Form und Intention des »historischen Ereignisliedes« zeigt sich deutlich in der politischen Deutung und Bewertung, die dem Publikum mit Informationen un- trennbar vermischt angeboten werden. Es handelt sich um Propaganda, die die gesam- te Öffentlichkeit ansprechen soll: Peter Stubenfol von Straßburg und H a n s von W ü r z - burg stellen den Kommentar gezielt in den Vordergrund und werten damit die Rolle des zu beeinflussenden Publikums indirekt auf — der Adressat wird als T r ä g e r einer öf- fentlichen Meinung begriffen, auf die es direkt einzuwirken gilt und die damit gleich- zeitig Bedeutung erlangt. Das von Scribner entworfene Modell der »negative assimila- tion« kann dabei als Erklärungsmuster einer spezifischen Form von Propaganda die- nen: D e r Entwurf angeblich gemeinsamer Feindbilder dient zur Solidarisierung mit der als eigene Gruppe dargestellten Partei, zur Identifikation nach »innen« und zum Kampf gegen »außen«.

Stubenfols Hauptinteressen bestehen einerseits in der Diskreditierung der schweizer 18 Söldnerkonkurrenz und der Verbreitung eines positiven, national gefärbten Lands-

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knechtsbildes und anderseits in der politischen Meinungsbildung zugunsten des H a u - ses Habsburg, dessen Interessen mit denen des Reiches gleichgesetzt werden, was zum Zusammenrücken gegen die gemeinsamen auswärtigen Feinde, besonders den König von Frankreich, aber auch seine zahlreichen Verbündeten führen soll. Es handelt sich um die zwei Seiten ein und derselben propagandistischen Medaille, wenn zum einen die Angst vor dem Gegner geschürt und zum andern dieser gleichzeitig als verachtens- wert präsentiert wird. Auch wenn Stubenfols politische Analyse nicht als besonders tiefgründig zu bewerten oder entscheidend weniger personenfixiert ist als andere, so bietet er seinen Adressaten immerhin einen, wenn auch noch so einseitigen Interpreta- tionsschlüssel f ü r das Geschehen an — seine zahlreichen historisch-politischen Anspie- lungen zeigen zudem, daß es sich bei ihm um einen relativ gut informierten und kennt- nisreichen Autor handeln muß. Gleichzeitig empfiehlt er indirekt mit Verweis auf den Bauernkrieg der Obrigkeit die Landsknechte als militärisches Zwangsmittel zur Auf- rechterhaltung ihrer Herrschaft. H a n s von Würzburgs propagandistische Absicht be- schränkt sich dagegen in erster Linie darauf, die öffentliche Meinung f ü r die Lands- knechte und gegen die Schweizer zu beeinflussen. N u r ansatzweise finden sich beim ihm politisch motivierte Stellungnahmen zugunsten des Hauses Habsburg und gegen Frankreich. V o n einem politischen Deutungsangebot der Ereignisse und ihrer Hinter- gründe kann in seinem Lied kaum eine Rede sein.

Gemeinsam ist allen Flugschriften ein personenzentriertes Geschichtsverständnis: über eine namenlose Masse kämpfender Söldner ragen als Träger des Geschehens die jewei- ligen Anführer hinaus3 9. Aber auch sie erhalten so gut wie nirgends einen Status zuge- ordnet, der sie als politisch Handelnde verortbar macht. N u r bei Stubenfol erscheinen wenigstens Franz I. und auch die Schweizer allgemein als politische Akteure, anson- sten hat die Auflistung getöteter oder gefangener Feinde eher den Charakter einer V o r f ü h r u n g von Siegestrophäen. Die N e n n u n g oder Nichtnennung von Personen, die der kaiserlichen Partei angehörten, könnte zudem ein Indiz für Divergenzen in diesem Lager sein: So ist auffällig, daß in keiner Flugschrift der N a m e Bourbons, relativ selten der Pescaras oder Lannoys auftauchen, besonders merkwürdig ist die nur beiläufige Erwähnung Frundsbergs im Bericht des anonymen Landsknechtsführers.

II. Rom 1527

In den fünf anonymen Flugschriften über den »Sacco di Roma« sind die Flucht des Papstes in die Engelsburg und seine spätere Gefangennahme, die ausgiebigen Plünde- rungen der kaiserlichen Soldateska von Kirchen und Palästen sowie die an den Ein- wohnern der Stadt, besonders aber den Mitgliedern des Klerus begangenen Greuelta- ten die entscheidenden Themen. Zugleich finden der T o d Bourbons beim Sturm auf Rom, die Verspottung des Papstes durch die kaiserlichen Landsknechte und die K o n - flikte zwischen deutschen und spanischen Söldnern um die Verteilung der unermeßli- chen Beute einige Beachtung4 0.

W ä h r e n d bei den Flugschriften R 1, R 2 und R 5 davon auszugehen ist, daß sie von vornherein an eine breite Öffentlichkeit adressiert waren, ist bei R 2 und R 3 nicht mehr eindeutig zu klären, ob sie bei ihrer Entstehung als eher »private« Briefe gedacht waren und dann — möglicherweise verändert — doch veröffentlicht wurden oder be- reits zur Publikation als »Neue Zeitung« vorgesehen waren. Bei den zum »Sacco di Roma« vorliegenden Berichten wird besonders der Zusammenhang zwischen dem je- weiligen Abfassungszeitpunkt und der entsprechenden Zuverlässigkeit bzw. Unzuver- lässigkeit der dargebotenen Informationen deutlich. Die beiden auf den 17. Mai und 19 2. Juni 1527 in Venedig datierten Berichte R 2 und R 3 scheinen in erster Linie auf den

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20 Quelle: Herzog August Bibliothek Wolfenbüttel

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in der Stadt kursierenden Gerüchten zu beruhen, wobei der erstere besonders unzuver- lässig ist. Der anscheinend auch nicht gut informierte Autor der Flugschrift R 5, die das D a t u m Ravenna, den 3. Juni 1527 trägt, zieht sich insofern geschickt aus der Affäre, da er in der Form seiner satirischen Spottliturgie von Ostern bis Pfingsten beinahe keine Rücksichten auf das tatsächliche Geschehen nehmen muß: So wird der Papst, gestern noch Stellvertreter Christi auf Erden, am Ende wie der N a r r e n k ö n i g im Karneval buchstäblich gestürzt — er und seine Kardinäle werden am Himmelfahrtstag schlicht die Treppe hinab geworfen, wozu der Verfasser parodistisch einschlägige liturgische Texte zitiert. Die vermutlich Anfang oder Mitte Juni entstandene Schrift R 2 gibt ein relativ solides Daten- und Informationsgerüst vor, auf das dann der Autor von R 1 auf- bauen kann. Seine als letzte, vielleicht im Spätsommer 1527 entstandene Flugschrift scheint aus einer Vielzahl von Berichten und Informationen zu schöpfen und ist als durchaus verläßlich zu beschreiben — was auch eine Ursache f ü r die doch recht zahl- reichen Auflagen der Schrift sein mag. Nicht mehr festzustellen ist heute, ob bei den Flugschriften die Auswahl der Nachrichten interessengebunden erfolgte oder ob ge- wisse Fehlinformationen gezielt eingesetzt wurden, da über die Entstehung der Berich- te so gut wie nichts bekannt ist.

Für den zeitgenössischen Rezipienten dieser Publikationen dürfte es unmöglich gewe- sen sein, sich aufgrund solch ungesicherter und sich gegenseitig widersprechender Darstellungen ein den Realitäten auch nur annähernd entsprechendes, geschweige denn authentisches Bild von den Vorgängen zu machen. Das generelle Fehlen von Hintergrundberichten kommt dabei noch erschwerend hinzu. Auch bleibt fraglich, ob ein durchschnittlicher »Leser« tatsächlich einen kritischen Inhaltsvergleich mehrerer ihm möglicherweise zugänglicher Flugschriften vornahm. Selbst über derart zentrale Ereignisse wie etwa die Gefangennahme des Papstes oder den T o d Bourbons liegen keine auch nur einigermaßen übereinstimmenden Darstellungen vor — das allgemeine Chaos in Rom entzieht sich von selbst größtenteils einer soliden Berichterstattung.

Was jeweils deutlich wird, ist, daß es sich um einen Krieg zwischen Kaiser und Papst handelt.

In R 2, R 3 und R 4 geht die Beeinflussung der Öffentlichkeit bis auf wenige Ausnah- men nicht über die bloße Auswahl der Informationen hinaus. Es findet keine offene Kommentierung statt, die es dem nicht vorgebildeten Rezipienten ermöglichen würde, das Geschehen in einen präzisen übergreifenden Kontext einzuordnen. Gleichzeitig kann diesen Flugschriften aufgrund ihres Berichts über ein gesellschaftserschütterndes Ereignis aber kein allgemein systemstabilisierender Faktor zugeordnet werden wie et- wa den Berichten der beiden Landsknechtsführer über die Schlacht von Pavia: Schon die einfache Nachricht über den »Sacco di Roma« kann nicht mehr durch ein ungebro- chenes Traditionswissen assimiliert und in die Sphäre der Repräsentation zurückge- nommen werden, denn ein so außerordentliches Ereignis stellt bereits als solches die üblichen gesellschaftlichen Ordnungs- und Erklärungsmuster in Frage4 1. Dabei sind unbedingt die sich nur recht langsam verfestigenden Glaubensspaltungen und Konfes- sionsbildungen mit ihren äußerst gegensätzlichen Darstellungs- und Ausdeutungsfor- men zu beachten: Ein »orthodoxer« Lutheraner ζ. B. fühlte sich zwar durch den »Sac- co di Roma« nur noch mehr in seinen Vorstellungen bestärkt — f ü r die Masse der da- maligen Bevölkerung mit ihrer durchaus diffusen »Weltanschauung« blieb das Gesche- hen aber ein Schock. Zudem ließe sich vermuten, daß sich das religiöse Konfliktpoten- tial gerade als ein Resultat der unterschiedlichen Deutungen und Bewertungen noch zusätzlich erhöht haben dürfte.

Eine gezielte Propaganda findet sich in den Flugschriften R 5 und besonders subtil in R 1. Sie sind auf die massive Einflußnahme auf den »Leser« ausgerichtet und bieten 21 ganz bestimmte Erklärungsschemata f ü r das Dargestellte an. Zum Verständnis von R 1

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kann gut Scribners Modell der »ideological assimilation« herangezogen werden: Der Rezipient soll vor allem davon überzeugt werden, daß das Ereignis des »Sacco di Ro- ma« nur monokausal, d. h. im Licht der reformatorischen Botschaft als Strafe Gottes f ü r die Sünden des Papstes — seine Anmaßung von geistlicher und weltlicher Gewalt — und zur Ermahnung der Christenheit richtig gedeutet werden kann, wobei aber auf ei- ne harte lutherische Polemik verzichtet wird. Die Gegenwart wird direkt oder indirekt in ein am Ende doch eschatologisches Deutungsmuster eingebettet, Geschichte in ei- nem übergreifenden politisch-religiösen Kontext verortbar. D e r humanistisch gebilde- te und reformatorisch gesinnte Verfasser bietet somit dem Publikum ein in sich ge- schlossenes System der Interpretation an.

Als ein nicht derart stark ausdifferenziertes, aber trotzdem immanent politisches Deu- tungsangebot ist die durch den Antiklerikalismus geprägte Propaganda des Autors von R 5 zu begreifen. Sie zielt mehr auf allgemeine, kulturell verwurzelte und diffuse V o r - stellungen in der Öffentlichkeit, die hauptsächlich zugunsten Georg von Frundsbergs und seines Sohnes, wie der Landsknechte überhaupt, aktiviert werden sollen: H i e r greift wieder Scribners Ansatz der »negative assimilation«. Bemerkenswert ist der Z u - sammenhang zwischen der Spottliturgie in der Flugschrift und den tatsächlichen Spott- prozessionen und Entweihungen vor allem der deutschen Landsknechte in R o m : Sie greifen beide jeweils das zentrale Motiv der »Verkehrten Welt« auf, das als Element des Karnevals im besonderen und einer übergreifenden Kultur der Frühen Neuzeit im allgemeinen zu verstehen ist. In einem tiefergehenden Sinne könnte gerade diese Art der Berichterstattung in ihrer letzten Konsequenz als eine überaus adäquate Form der Darstellung verstanden werden, da sie die gleiche kulturelle Basis bzw. Grundstruktur wie das reale Geschehen aufweist und so dem damaligen Rezipienten einen direkteren Zugang zu dem Ereignis und vor allem seiner Ausdeutung ermöglicht. Hierbei ist aber zu beachten, daß die karnevalistische Darstellungsstruktur an sich inhaltlich ambiva- lent bleibt: Die Parodie bedeutet nicht nur die Infragestellung des Bestehenden, son- dern beinhaltet als bloße Antithese zum Parodierten auch dessen letztendliche Bestäti- gung, da die zugrundeliegende Struktur nicht überwunden wird. Es ist also durchaus möglich, daß eine derartig papstfeindliche Propaganda beim Rezipienten am Ende un- beabsichtigt genau das Gegenteil der angestrebten Reaktion auslöst42.

Auch in den Flugschriften über den »Sacco di Roma« herrscht ein personenzentriertes Geschichtsverständnis vor, was an der Aufmerksamkeit deutlich wird, die dem Schick- sal der »Großen Hansen« zuteil wird. V o n besonderer Bedeutung ist aber, daß plötz- lich die einfachen Soldaten eine Rolle einnehmen, die den Rahmen der üblichen Be- richterstattung sprengt. Die Soldateska ist teilweise bereits auf dem Anmarsch und erst recht bei der Plünderung Roms der Kontrolle ihrer Befehlshaber und Auftraggeber entglitten. Die sich entwickelnde Eigendynamik in Formen des Soldaufstandes und der Befehlsverweigerung, der Plünderungen und der auch damals unerhörten Greueltaten hat den Status der Söldner von dem eines bloßen politischen Objekts zu dem eines ei- genständig agierenden Subjekts verschoben, das für einen gewissen Zeitraum das Ge- schehen fast ausschließlich bestimmt: Die Masse der Söldner hat sich bewußt oder un- bewußt zu einer Gruppe — bzw. mehreren — von letztlich doch politisch H a n d e l n d e n emanzipiert, die auch von den Autoren der Flugschriften nicht mehr ignoriert werden kann. Hier mag sich eine Parallele zu den sogenannten »Reformatorischen Bewegun- gen« und besonders zum Bauernkrieg aufdrängen, wo der »Gemeine Mann« erst durch sein Aufbegehren, welches die traditionelle gesellschaftliche O r d n u n g massiv in Frage stellte, als politisch handelnde und damit relevante Gruppe nachrichtenwürdig w u r - de4 3.

Der »Sacco di Roma« und die Berichterstattung über ihn kann nur im Rahmen der Glaubensspaltungen des 16. Jahrhunderts angemessen interpretiert werden. Nicht nur

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die unterschiedlichen politischen, sondern vor allem die religiösen Lager hatten ein spezifisches Interesse an der Deutung dieses epochalen Ereignisses: W ä h r e n d sich die reformatorisch gesinnten Kreise in ihren Positionen mehr oder minder bestätigt fühlen durften, gerieten die Altgläubigen in besondere Schwierigkeiten, da ihnen im allgemei- nen kein neuer oder nur ein recht begrenzter religiös-politischer Interpretationsansatz für einen derartig zugespitzten Konflikt zwischen Kaiser und Papst vor dem akuten Hintergrund der Reformation zur V e r f ü g u n g stand, sie sich also in einem interpretato- rischen Dilemma befanden. Dabei ist aber im jeweiligen Einzelfall stark zu differenzie- ren, denn es kann nicht von bloß zwei eindeutig abgrenzbaren und in sich homogenen Faktionen gesprochen werden: Wie es auf der sogenannten reformatorischen Seite die unterschiedlichsten Gruppen gab, so existierten auch auf der altgläubigen mehrere Parteien, die sich politisch äußerst feindselig gegenüberstanden und durchaus sehr di- vergierende theologische Positionen ζ. B. über die Rolle des Kaisers und des Papsttums sowie die Notwendigkeit konziliarer Reformen vertraten4 4. Auffällig ist, daß sich kei- ne eindeutig altgläubigen Stellungnahmen — ob kaiserlich oder päpstlich — in den behandelten Flugschriften nachweisen lassen, statt dessen ist vielmehr auch gegenüber den nicht-kommentierenden Berichten die Dominanz einer reformatorisch orientier- ten Deutung der Ereignisse festzustellen4 5: So liegt die Schrift R 1 hier in sechs Ausga- ben vor, R 5 immerhin in zwei; in beiden werden antiklerikale und antipäpstliche Ak- tionen vor allem der deutschen Landsknechte mit verdeckter oder offener Sympathie geschildert. Z w a r findet in keiner der Flugschriften außer in R 5 eine vorbehaltlose Identifikation mit dem kaiserlichen H e e r statt, doch werden seine Taten entweder nicht ausdrücklich kommentiert oder sogar teilweise verharmlost bzw. entschuldigt.

W e n n überhaupt Kritik geübt wird, dann meistens sehr unterschwellig durch die Be- mitleidung der O p f e r , der Bevölkerung Roms als Objekt der sie drangsalierenden Er- oberer.

III. Wien 1529

Im Mittelpunkt der sechzehn Flugschriften über die Türkenbelagerung Wiens stehen die ausführliche Darstellung der osmanischen Militärmacht unter Sultan Süleyman

»dem Prächtigen« und Ibrahim Pascha: Ausführlich werden die G r ö ß e und die Zusam- mensetzung des feindlichen Heeres ausgebreitet, die Sprengungen der Stadtmauer und die wiederholten Sturmangriffe geschildert. Besonders beklagt wird das grausame Schicksal der einfachen Bevölkerung der betroffenen Landstriche Österreichs, die den türkischen Reitern zum O p f e r fiel. Großer Aufmerksamkeit erfreuen sich die einzelnen Abwehrerfolge der hart bedrängten Verteidiger der Stadt und ihrer Anführer, aber auch der nach Ende der Belagerung einsetzende Soldaufstand der Landsknechte.

Deutlich spiegelt sich in den Schriften der Streit darum wider, ob die Wiener Bürger- schaft die Verteidiger im Stich gelassen habe und gar verraten wollte oder ob sich die Truppen ungebührlich in der Stadt benommen hätten, ob schließlich das zum Ersatz Wiens heranrückende Reichsheer unter dem Pfalzgrafen Friedrich alles zur Rettung der eingeschlossenen Stadt unternommen habe. Ein zentrales T h e m a ist zudem das Auftreten von »Kollaborateuren«, worunter zum einen gedungene Brandstifter und sonstige Verräter, zum andern die Verbündeten des Sultans wie ζ. B. J o h a n n Zäpolya, der W o j w o d e von Siebenbürgen und T h r o n k o n k u r r e n t Ferdinands, verstanden wer- den können4 6.

Die Berichte über die türkische Belagerung Wiens lassen sich in zwei Gruppen unter- teilen. Bei der Mehrheit der Schriften, die außerdem in der Auflagenzahl führend sind, geht die antitürkische Einflußnahme auf die öffentliche Meinung im allgemeinen nicht

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24 Quelle: Bayrische Staatsbibliothek, München

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über die Auswahl der einzelnen Informationen, die Titelgebung und die Wortwahl bei der Beschreibung der Kriegsteilnehmer sowie sehr kurze punktuelle Kommentarein- schübe hinaus. Verständnisfördernde Hintergrundinformationen bilden die Ausnah- me, schlichte Verbalinjurien und toposartige Anrufungen Gottes bestimmen das Bild.

Auf die gezielte Beeinflussung einer recht breiten Öffentlichkeit ausgerichtet sind hin- gegen besonders die Flugschriften des Kriegssekretärs König Ferdinands, Peter Stern von Labach (W 1), des Nürnberger »Briefmalers« Niclas Meldemann (W 2), des an- onymen Autors von W 10, des Autors und Verlegers Johann Haselberg (W 12) und des Reichsherolds H a n s Lutz von Augsburg (W 14) mit ihren umfangreicheren Kommen- tarteilen. Eine Sonderrolle nehmen die beiden lateinischen Schriften des Juristen und Finanzverwalters im Dienste König Ferdinands, Henricus Ribischius bzw. Heinrich Reibisch (W 15), und des unbekannten Erziehers der Edelknaben am H o f e Ferdinands (W 16) ein, die nur von einer kleinen — aber d a f ü r »internationalen« — Minderheit der Rezipienten überhaupt verstanden werden konnten, diese jedoch massiv zu beeinflus- sen suchten. Das in W 9 aufgenommene »historische Ereignislied« von Sebastian T h a w und Valten Sparhack will zwar auch propagandistisch auf das Publikum einwirken, bietet aber keinen entwickelten Kommentar bzw. Interpretationsrahmen f ü r das Ereig- nis an — was nichts daran ändert, daß der Drucker Paul Kohl für die Verunglimpfung der Wiener Bürgerschaft zur Rechenschaft gezogen wurde. Insgesamt wird in den Wiener Flugschriften auf das traditionelle »Türkenbild« der Renaissance aufgebaut, die Bedrohung durch den »Erbfeind«, die Buße und Einheit der Christenheit bzw.

Deutschlands beschworen4 7.

Die Mehrzahl der mit keinen oder nur sehr sporadischen Kommentareinschüben aus- gestatteten Flugschriften kann in diesem Falle noch einer »repräsentativen Öffentlich- keit« zugeordnet werden; sie berichten über einen Sieg, stärken und legitimieren noch einmal die politisch-gesellschaftliche O r d n u n g , während andere derartige Publikatio- nen mit Nachrichten über türkische Erfolge eher destabilisierende Folgen zeitigten4 8. Wie jedoch die mit entwickelten Kommentarteilen versehenen Flugschriften und be- sonders die sich in ihren offiziösen Berichten ausdrücklich an den »Gemeinen Mann«

wendenden Autoren Lutz und Stern zeigen, begann gerade das T h e m a »Türkenge- fahr«, die überkommenen Strukturen zu sprengen: Indem der »Gemeine Mann« als zu beeinflussender Adressat erkannt, bzw. für würdig erachtet und so stark aufgewertet wurde, offenbarte die traditionelle Gesellschafts- und Herrschaftsform ihre Legitima- tionskrise, da die Obrigkeit ihre Maßnahmen und damit auch sich selbst der öffentli- chen Diskussion stellen und politische Informationen zur Uberzeugungsarbeit einset- zen mußte4 9.

Die vorherrschende propagandistische Verfahrensweise läßt sich auch bei den Wiener Flugschriften dem Typus der »negative assimilation« zuordnen. Das Erklärungsmodell der »ideological assimilation« kann nur bei den Schriften W 1, W 2, W 10, W 12, W 14, W 15 und W 16 angewendet werden, die das Ereignis in einen übergreifenden Kontext mit teilweise hochentwickelten Deutungs- und Bewertungsmustern einbetten, dem »Leser« weitere Informationen über den politischen, religiösen, historischen oder astrologisch-prophetischen Hintergrund der Geschehnisse liefern und so eine ihnen gemäße, alleinmögliche Deutung suggerieren. Geschichte wird als die durch politisch- religiöse und auch soziale Implikationen geprägte Gegenüberstellung von T ü r k e n und Christenheit bzw. Deutschem Reich begreifbar: Der Kampf erhält nach den damaligen Vorstellungen eine weltgeschichtliche, teilweise eschatologische Bedeutung. Die dau- ernden Ermahnungen zur Einheit könnten unter Umständen Scribners Konzept »inci- tement to action« zugeordnet werden, doch ist fraglich, ob diese Aufrufe, soweit sie nicht nur rhetorische Floskeln waren, überhaupt an den »Gemeinen Mann« gerichtet 25 waren, was f ü r Konsequenzen sie bewirken wollten — möglicherweise sollten sie nur

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generell die Opferbereitschaft zwecks Steuererhebung steigern bzw. allgemein die Ak- zeptanz obrigkeitlicher M a ß n a h m e n erhöhen5 0. Auffällig an den Schriften über Wien ist, daß sie sich trotz einiger eschatologischer Anspielungen nicht in das »exorcism mo- dell« Scribners einordnen lassen, obwohl es doch gerade dem sonstigen Türkenbild der Zeit entsprochen hätte, den Sultan bzw. »den Türken« mit dem Teufel direkt in Ver- bindung zu bringen oder ihm gar gleichzusetzen5 1.

Das Geschichtsverständnis in den Wiener Flugschriften entspricht in seiner Personen- fixierung auf die Anführer dem in den vorangegangenen Kapiteln, ist stellenweise mit- tels der umfangreichen Namenslisten noch weiter ausgeprägt. D o c h vermögen es die Autoren nicht, sich der diffizilen Realität mit ihren zahlreichen verschiedenen han- delnden Gruppen vollständig zu verschließen, wenn die jeweiligen Oberbefehlshaber der Angreifer oder Verteidiger die Situation eben nicht unter vollständiger Kontrolle hatten: Auch hier können sich die Landsknechte wie bei den Berichten über den »Sacco di Roma« durch ihren Soldaufstand nach der Belagerung noch zu handelnden Subjek- ten emanzipieren. W ä h r e n d über die Zivilbevölkerung sonst nur als O p f e r türkischer Greueltaten berichtet wird, erhalten die Wiener Bürger durch den Streit um ihr Ver- halten eine aktivere Rolle zugewiesen, sei sie positiv oder negativ bewertet. Auf der türkischen Seite erlangen an einer einzigen Stelle kurz die einfachen Soldaten bzw. die Janitscharen eine politische Bedeutung, als sie durch ihre Unzufriedenheit dazu beitra- gen, den Sultan zum Rückzug zu zwingen. Als bewußt politische Subjekte treten zu- dem die »Kollaborateure« durch ihren angeblichen Verrat auf.

Bei der Gesamtschau der Flugschriften läßt sich feststellen, daß trotz der bereits vom U m f a n g und der Detailgenauigkeit unterschiedlichen Berichterstattung, trotz der ver- schiedenen Bewertungen auch von Einzelheiten und den aufbrechenden Kontroversen die damaligen »Leser« sich aufgrund der dargebotenen grundlegenden Informationen und militärischen Fakten ein ungefähres Bild von den Geschehnissen machen konnten.

Dabei muß aber stark differenziert werden: Das zentrale Kennzeichen der Schriften über Wiens Belagerung von 1529 ist die im allgemeinen relativ übereinstimmende D a r - stellung und Bewertung der Türken als überaus grausam und gefährlich, aber auch gleichzeitig verachtenswert. Ansatzweise und kaum merklich bricht die einheitliche Schilderung bei der Benennung und Definition der »Kollaborateure« auseinander:

W ä h r e n d bei der negativen Beurteilung der angeblichen Verräter aus dem »einfachen Volk« noch Ubereinstimmung herrscht, erscheint diese jedoch aufgekündigt, sobald eine politisch relevante Ebene erreicht wird wie bei Johann Zäpolya. Jedes einheitliche Muster versagt jedoch vollends bei den Kommentaren über die Verteidiger und Ein- wohner Wiens sowie über das Ersatzheer, da geradezu diametral entgegengesetzte Bil- der vermittelt werden: Neben die Verherrlichung der Landsknechte als Retter Deutschlands und der Christenheit tritt scharfe Kritik an ihrer Disziplinlosigkeit wäh- rend und vor allem nach Ende der Belagerung; der Beschimpfung der Wiener Bürger als Feiglinge und Verräter steht ihre ausführliche Verteidigung mit Hinweis auf die mi- litärische Lage gegenüber; der Entgegnung der Vorwürfe, das Reichsheer habe ver- sagt, ist die gesamte umfangreiche Flugschrift H a n s Lutz' von Augsburg gewidmet (W 14), die die Aktivitäten des Pfalzgrafen herausstreicht. Das zur politischen Solida- risierung des Publikums mit den Interessen des Reiches bzw. des Hauses Habsburg entwickelte türkische Feindbild wirkte als negative Schablone einerseits nach außen gegen die T ü r k e n , anderseits zur Integration nach innen und zur Erhaltung des gesell- schaftlichen Status quo. Aber die entsprechende, unverzichtbare positive Schablone der Selbstdarstellung versagte, sie scheiterte an den realen Vorgängen bei der Belage- rung Wiens, die eine harmonische Beschreibung in der Summe der Flugschriften un- möglich machten. Es konnte keine einheitliche Bewertung mehr vermittelt werden: Ei- ne einzige geschlossene und mit positiven Merkmalen ausgestattete Identifikations-

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gruppe existierte in der Realität nicht — falls sie je vorhanden gewesen sein sollte —, trat bei den Wiener Ereignissen auf alle Fälle nicht in Erscheinung.

Auch die übergreifende Deutung und Bewertung des Gesamtgeschehens beinhaltet bei genauerem Hinsehen einige Widersprüche. Auffällig ist aber zunächst, daß in den vor- liegenden Schriften von den religiösen Lagern die »Türkengefahr« nicht zur direkten Polemik gegeneinander benutzt wird, was doch beim Vergleich zur sonstigen konfes- sionellen Auseinandersetzung um die T ü r k e n nahe gelegen hätte. Statt dessen werden von den Autoren f ü r das Türkenbild die seit längerem bereits feststehenden und relativ einheitlichen Schemata verwendet. Dieses scheinbar gemeinsame Feindbild k o m m t erst ins W a n k e n , wenn die zugrundeliegende »Weltanschauung« im Detail untersucht und die unterschiedliche Begriffsfüllung der politisch-konfessionellen Parteien und gesell- schaftlichen Gruppen berücksichtigt wird: Mögen die den T ü r k e n zugeschriebenen Attribute noch übereinstimmen, die von den Ereignissen und ihrer Beschreibung mög- licherweise abzuleitenden Konsequenzen sind es nicht mehr, auch wenn sie vorerst in den Wiener Schriften noch unausgesprochen bleiben. Die stets beschworenen Begriffe

»Deutschland« bzw. »das Reich« und »die Christenheit« konnten keine für alle ver- bindliche Sinnstiftung mehr leisten, da sie von den verschiedenen politisch-religiösen Parteien unterschiedlich besetzt wurden5 2. Dabei mußte es aber jede Gruppe vor allem peinlich vermeiden, das Odium einer Begünstigung des türkischen »Erbfeindes« oder der Zerstörung der christlichen Gemeinschaft auf sich zu ziehen — dies könnte eine Er- klärung sein für die so kurz nach dem schockartigen Ereignis noch größtenteils fehlen- den gegenseitigen Schuldzuweisungen. Die dauernden Ermahnungen zur Einheit zei- gen jedoch nur, daß diese tatsächlich illusorisch war und nur noch zur Legitimation di- verser Partikularinteressen angeführt wurde, schon beinahe einen Toposcharakter an- nahm — die Einheitsbeschwörungen belegen gleichzeitig die Unfähigkeit, die auftre- tenden grundlegenden Konflikte als solche zu akzeptieren und zu verkraften5 3. Die Propaganda konnte durch ihren Appellcharakter und ihre A u f r u f e zur »Solidarität«

die Gegensätze nur noch mit M ü h e überdecken. Allgemein werden die Streitigkeiten nicht offen ausgetragen: Die politisch-religiöse und soziale »Tiefenschicht« kann je- doch ohne umfangreiche Hintergrundinformationen über den Entstehungskontext der jeweiligen Flugschriften aus dem konkreten Text nur bei wenigen aufgezeigt werden.

Generell bleibt aber zu beachten, daß die Verfasser unter Umständen das gleiche V o - kabular verwenden, ohne die gleichen Inhalte zu meinen: So ist es durchaus ein U n t e r - schied, ob ein reformatorisch oder ein altgläubig gesinnter Autor die Einheit der Chri- stenheit beschwört, ebenso ob ζ. B. ein Anhänger des Hauses Habsburg oder der einer anderen politischen Partei zur gemeinsamen T ü r k e n a b w e h r aufruft, ob der »Gemeine Mann« oder die Obrigkeit zu Taten und Opfern ermahnt wird.

W e n n auch eine durch eindeutig politisch-propagandistische Interessen bestimmte Verbindung von Einzeldarstellung und übergreifender Bewertung nur in einigen Fäl- len konkret nachgewiesen werden kann, so läßt sich daraus doch die begründete These ableiten, daß die nicht mehr herstellbare einheitliche Selbstdarstellung bei der Schilde- rung der Wiener Ereignisse die Realität im Reich mit ihren unterschiedlichsten Partei- en zwar nicht voll inhaltlich, aber doch ansatzweise in ihrer Brüchigkeit auf adäquate Weise widerspiegelt: Die Berichterstattung über die türkische Belagerung Wiens 1529 wäre so nicht nur ein Indiz für die unmittelbar bei den Kämpfen um die Stadt auftre- tenden Konflikte, sondern zudem indirekt f ü r die mannigfaltigen Auseinandersetzun- gen und spezifischen Interessen im Reich. Als Beispiel f ü r diese Verbindung können vor allem die offiziöse Darstellung Johann Zäpolyas in der habsburgischen Propagan- da des Peter Stern von Labach (W 1) und der ihm folgenden Autoren (W 2, W 15) so- wie die des Ersatzheeres in der Apologie des Pfalzgrafen Friedrich von H a n s Lutz von Augsburg (W 14) herangezogen werden. Die übereinstimmende Interessenlage bei der

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Propagierung eines Feindbildes zeigt sich dagegen besonders bei den zahlreichen systemstabilisierenden Berichten über die Bestrafung der angeblichen Verräter und Brandstifter sowie den Horrorgemälden über die türkischen Taten und Absichten. Die divergierenden Darstellungen der Wiener Bürger und der Verteidiger der Stadt kön- nen mit dem vorliegenden Material nicht eindeutig auf politische, religiöse oder soziale Motive zurückgeführt werden5 4.

Zum besseren Verständnis und zur Einordnung der besprochenen Quellengruppe sei zum Schluß noch kurz auf den vielschichtigen historischen Hintergrund verwiesen, vor dem die Berichterstattung über die türkische Belagerung Wiens 1529 zu sehen ist: zum einen auf das in einem umfassenden Kommunikationszusammenhang stehende und teilweise sehr ausdifferenzierte Türkenbild des 16. Jahrhunderts, dessen zentrale In- halte und Erscheinungsformen John W. Bohnstedt5 5 und Carl Göllner5 6 hauptsächlich anhand der schriftlichen Druckmedien ausgiebig dargestellt haben, und dessen bewuß- te Instrumentalisierung durch die Obrigkeiten Winfried Schulze5 7 für das Ende des Jahrhunderts vorbildlich untersuchte, zum anderen auf die damit untrennbar verbun-

denen Auseinandersetzungen vor allem im Reich. Im Zeichen der religiösen Spannun- gen wiesen sich die Parteien gegenseitig die Schuld für die türkischen Erfolge zu, da je- weils die andere Seite durch ihre unerhörten Sünden das Strafgericht Gottes provoziert habe5 8. Zudem sind die politisch und religiös motivierten Auseinandersetzungen unter den Reichsständen sowie die sozialen Konflikte generell zu beachten: Fürchteten die protestantischen Stände einerseits, daß die Ferdinand zur Verfügung gestellten finan- ziellen und militärischen Mittel auch gegen sie selbst eingesetzt werden könnten, so gelang es ihnen anderseits, aufgrund der Auseinandersetzung mit den Osmanen, von der kaiserlichen Partei ein Stillhalten in der Religionsfrage zu erreichen59. Außerdem stemmten sich generell nicht wenige Reichsfürsten — hier sind vor allem die bayeri- schen Herzöge zu nennen — jeglichem weiteren Machtzuwachs des Hauses Habsburg vehement entgegen, weshalb die Reichstruppen nur zum Schutz eben des Reichs die- nen und nicht noch für Ferdinand gar Ungarn erobern sollten60. Die sozialen Span- nungen schließlich spiegeln sich hauptsächlich in zwei konträren Erscheinungsformen wider: Zum einen stellten die Niederlagen gegen die Türken die Legitimation der ge- sellschaftlichen Führungsschichten in Frage, gab es stellenweise sogar eine durchaus sozial und religiös begründete »Türkenhoffnung«, zum andern wurden die Bedro- hungsgefühle der Bevölkerung von den Obrigkeiten zielstrebig zum Ausbau ihrer Herrschaft eingesetzt61.

Diese komplex ineinander verschränkten Aspekte tauchen jedoch nur eher indirekt in den hier behandelten Schriften auf. Die Ursache dafür ist in der Tatsache zu sehen, daß es sich bei den herangezogenen Flugschriften um »Neue Zeitungen« handelt, also im weitesten Sinne um Nachrichtenträger über die militärischen Geschehnisse in und um Wien während des türkischen Angriffes. Selbst wenn umfangreichere Kommentar- teile angeboten werden, so unterscheiden sie sich doch von den teilweise recht pro- grammatischen Flugschriften, deren alleiniges Ziel die direkte Beeinflussung der Öf- fentlichkeit ist und die ohne konkrete Darstellung tatsächlicher Ereignisse auskom- men, den sogenannten »Türkenbüchlein«, die der Forschung bisher als Quelle für die Untersuchung einer sehr entwickelten und bedeutsamen öffentlichen Meinung über die »Türkenfrage« bzw. deren Steuerung dienten. Ein so ausdifferenziertes Türken- bild, wie es jene Schriften propagieren, ist in den Wiener Berichten aufgrund ihrer pri- mär anderen Medienfunktion nicht oder höchstens bruchstückhaft nachweisbar. Eine Sonderrolle nimmt hier die Flugschrift Haselbergs (W 12) ein, für den Wiens Belage- rung nur ein Anlaß zu weiterführenden Erörterungen gewesen zu sein scheint.

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IV. Holzschnitte

Als erstes bleibt der untypisch hohe Anteil der mit Bildern versehenen Flugschriften festzuhalten: V o n den 39 auf Microfiche vorliegenden Ausgaben weisen nur 10 über- haupt keine graphischen Darstellungen auf — das Zierstück von W 3 wird dabei nicht als bildliches Element mitgezählt. Zwei weitere Ausgaben enthalten eine Titelbordüre (P lb, W 5), eine eine Titelbordüre und einen Titelholzschnitt (P lc), eine drei H o l z - schnittleisten und ein Titelbild (W 5b); drei zeigen ein Wappen (W 1, W l a , W 14), ei- ne drei Wappen (W 2) auf der ersten Seite. Ein Titelbild — ohne Berücksichtigung von Titeleinfassungen oder Wappen — findet sich auf 23 Flugschriftenausgaben, von diesen haben noch sechs insgesamt acht Bilder im Text aufzuweisen. Vier Kunstwerke tau- chen mehrmals auf: Jeweils den gleichen Titelholzschnitt zeigen erstens Ρ 1, Ρ l a und Ρ 4, zweitens W 1 und W l a , drittens W 6 und W 6a, viertens den gleichen H o l z - schnitt Ρ 1, Bl. 7b, Ρ l a , Bl. 7b und R 1, Bl. 12a62. Das Spektrum der Bild-»Inhalte« ist weit zu fassen: Angeboten werden prächtige Titeleinfassungen, W a p p e n , Genredar- stellungen von Rittern, Reitern und Landsknechten, diverse, mehr oder minder identi- fizierbare Verbildlichungen von Feldschlachten und Belagerungen, der Heilige Georg, Kämpfe um ein Schiff mit Indianern im Hintergrund, der bewaffnete Papst vor der ver- schlossenen Himmelstür, debattierende Kleriker, Sultanporträts, kindermordende Krieger, ein Baum, Himmelserscheinungen, eine Begegnung zwischen Kaiser und Sul- tan, etc. Als Künstler können Heinrich Vogtherr der Altere, genannt Satrapinatus (Titelbild von Ρ 1, Ρ l a , Ρ 4), Michael Ostendorfer (Titelbilder von W 9, W 14), Er- hard Schön (Titelbilder von R l a , W 12), Niklas Stör (Titelbilder von W 4, W 7a, W 10, W 11 und W 10, Bl. l b u. 8b), H a n s Weiditz (Titelbordüre von Ρ lc) und Urs Graf bzw. H a n s Franck (Titelbordüre von W 5) bestimmt oder vermutet werden.

Was zunächst beim Vergleich der Holzschnitte auffällt, sind die beträchtlichen U n t e r - schiede in der künstlerischen Qualität: Die Spannbreite reicht von recht einfach konzi- pierten Bildern und grob geschnittenen Ausführungen bis zu den sehr beeindrucken- den Leistungen vor allem bei den Heinrich Vogtherr d. Α. (Ρ 1, Ρ l a , Ρ 4) und Michael Ostendorfer (W 9) zugewiesenen Titelbildern, aber auch bei den Genre- und Schlacht- darstellungen auf den ersten beiden Holzschnitten von R 1 und dem Titelbild von W 5b. Eine eindeutige dominierende Bildkonzeption kann nicht festgestellt werden, auch wenn sich die Darstellung zweier jeweils von rechts und links aufeinandertreffen- der Gruppen von Kriegern öfters findet. Eine durchgehende positive oder negative Be- wertung einer bestimmten Bildhälfte ist dabei nicht feststellbar. Der H i n t e r g r u n d wird meistens durch eine angedeutete Landschaft oder eine Stadt, die eher selten exakt zu identifizieren ist, geprägt. Außerdem wird deutlich, daß die Bilder, die einem Kriegs- bericht damals zugeordnet wurden, nicht einfach mit dem »Landsknechtsbild« gleich- gesetzt werden dürfen6 3. N u r insgesamt 12 Holzschnitte stellen überhaupt in erkenn- barer Form Landsknechte dar: die Titelbilder von P I , P i a , Ρ 4, R l , R i a , R l d , W 5c, W 6, W 6a, W 10, W 13 und das Bild R 1, Bl. lb.

Ein zentrales Ergebnis der Bilduntersuchung ist die Feststellung, daß nur ein kleiner Teil der Bilder wesentliche Informationen entweder aus den jeweiligen Flugschriften oder über das betreffende Ereignis generell vermittelt. Es kann vielmehr nachgewiesen werden, daß zahlreiche Holzschnitte von anderen früheren Publikationen übernom- men oder nachgeschnitten w u r d e n6 4: D a sind zuerst einmal alle drei vollständigen Ti- telbordüren (P l b , Ρ lc, W 5) zu nennen, dann die Titelbilder von Ρ lc, Ρ 3, R i a , W 5a, W 7a, W 8, W 11, dazu kommen die Holzschnitte auf Ρ 1, Bl. 7b, Ρ l a , Bl. 7b, R 1, Bl. l b u. 12a, W 8, Bl. 6b und W 10, Bl. l b u. 8b. Eine Übernahme oder N a c h a h - mung kann mit Recht vermutet werden bei den Titelholzschnitten von Ρ 2, R 1, R l d , R 5, W 5c, W 13 sowie dem Bild von R 5, Bl. 4b. Diese eben benannten Bilder dienten

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erst einmal der Verkaufsförderung: Im günstigsten Falle wurde ein Bericht über ein kriegerisches Ereignis mit einem Holzschnitt versehen, auf dem irgendwelche militäri- schen Auseinandersetzungen zu sehen waren. Die Bedeutung und Funktion der Niklas Stör bzw. seinem Umkreis zuzuordnenden Sultanporträts (W 4, W 7a, W 11) sind da- bei im Interesse der Zeitgenossen begründet, sich ein augenscheinliches Bild dieses furchteinflößenden Gegners zu verschaffen. Die abgebildeten Wappen König Ferdi- nands bzw. des Pfalzgrafen Friedrich (W 1, W 1 a, W 2, W 14) haben bei den offiziö- sen Berichten von Peter Stern von Labach und H a n s Lutz von Augsburg vor allem die Aufgabe, Herrschaft zu symbolisieren.

Die Schlacht von Pavia und die Belagerung von Wien zeigen mit an Sicherheit grenzender Wahrscheinlichkeit nur die Titelbilder von: Ρ 1, Ρ 1 a, Ρ 4, W 6, W 6a, W 9 und W 10, wo- bei die jeweilige Anbindung an den Text aber sehr unterschiedlich ausfällt. Dabei ist zu be- achten, daß beim Titelholzschnitt von P I , Ρ l a und Ρ 4 der alles dominierende Lands- knechtshaufen mit leichten Variationen einer Schlachtszene von Hans Burgkmair im

»Weißkunig« Kaiser Maximilians I. entnommen wurde und der Holzschnitt von W 6 und W 6a sich eng an einem älteren, aus einem anderen Kontext stammenden »Vorbild« orien- tiert: Der Belagerung einer Stadt in einer Mainzer Livius-Ausgabe. Was die Darstellung ei- ner Reiterschlacht mit Türken auf dem Titelblatt von W 5b betrifft, so können weder auf- grund ihres »Inhalts« noch aufgrund anderer Informationen nähere Aussagen über ihren Entstehungskontext getroffen werden; vermutlich nach den Wiener Ereignissen sind die Niklas Stör (W 4) und Erhard Schön (W 12) zugewiesenen Titelholzschnitte entstanden:

Schöns Bild mit seiner Gegenüberstellung von bewaffnetem Kaiser und Sultan mit ihrem jeweiligen Gefolge weist dabei einen engen Bezug zu den zentralen Aussagen des Textes der »Kaiserprophetie« von Johann Haselberg auf. Bemerkenswert ist besonders, daß sich keine angemessene Darstellung des »Sacco di Roma« nachweisen läßt — vermutlich wäre es zu unpopulär gewesen, die die Stadt stürmenden, plündernden und mordenden Lands- knechte zu verbildlichen: Dazu kommt bei dieser Gruppe von Schriften der im Vergleich zu den anderen hohe Anteil an nicht bebilderten Ausgaben. Von den zehn auf Microfiche reproduzierten Flugschriftenausgaben enthalten sechs keine graphischen Darstellungen.

Wie bereits bei der Auswertung der Flugschrifteninhalte, so lassen sich auch bei der Untersuchung der Holzschnitte einige Exemplare dieser Gruppe in gewisse Schemata der Propaganda einordnen, die die Art und Weise der Beeinflussung verdeutlichen können. Bei einem Rückgriff auf die am Beispiel der reformatorischen »Bilderkämpfe«

entwickelten bzw. adaptierten Scribnerschen Propagandamodelle in ihrer idealtypi- schen Form zeigt sich, daß allerdings nur die der »negative assimilation« und der

»ideological assimilation« bei den hier untersuchten Holzschnitten eine überzeugende Anwendung finden können. Dem ersten Modell sind die Titelbilder von R I d , W 5b, W 6, W 6a, W 9, W 10 und W 12 zuzuordnen, dem zweiten nochmals die von W 9 und W 12.

D e r einem reformatorischen Kontext entstammende, dem »Julius-Dialog« des Eras- mus von Rotterdam zugehörige Titelholzschnitt von R l d entspricht mit seiner Kritik an der päpstlichen Machtpolitik durch die Gegenüberstellung von Papst und Heiligem Petrus den von Scribner angeführten Beispielen: D e r Heilige Petrus verwehrt dem be- waffneten Papst und seinem T r u p p Landsknechte den Einlaß durch das Himmelstor.

Aber auch alle anderen Formen der direkten bildnerischen Konfrontation von T ü r k e n und christlichen Kämpfern — seien es Ritter, Landsknechte oder der Kaiser — können in dieses Muster eingeordnet werden. Für den zeitgenössischen Rezipienten war die negative Bewertung der ersteren im allgemeinen und die daraus resultierende, in die- sem Falle positive der letzteren beinahe unzweifelhaft. Auch das Michael O s t e n d o r f e r zugeschriebene Bild von W 9 kann in dieses Schema eingefügt werden: Die durch den Stephansturm als Wien zu erkennende Stadt wird von den T ü r k e n mit Kanonen be-

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schössen, Reiterscharen stürmen heran, die Stadtmauer wird angegriffen — die osma- nische Militärmacht erscheint in ihrer ganzen beeindruckenden Stärke. D o c h obwohl den T ü r k e n keine christlichen Streiter entgegentreten, wird mit der Darstellung des überhöhten Stephansturmes als Symbol der Kirche und des Christentums ein noch deutlicherer Bewertungsmaßstab angeboten, hinzu kommt das eschatologische Motiv des »Schlachtenbaumes«. Das Modell einer wechselseitigen Definition der Bildbe- standteile stößt aber bereits an seine Grenzen, wenn einer der beiden Kontrahenten ausfällt bzw. nicht mehr klar erkennbar ist: Das wahrscheinlich von Heinrich Vogtherr d. A. geschaffene Paviabild (Ρ 1, Ρ l a , Ρ 4) präsentiert zwar die triumphierenden kai- serlichen Landsknechte, deren diagonal ins Bild tretender, von Spießen und Hellebar- den starrender Gewalthaufen die letzten Gegner an einem Flußufer vernichtet, doch bilden die bereits geschlagenen Feinde keinen wirksamen Kontrast mehr — in erster Li- nie definieren die Sieger »sich selbst«. Bei zwei nicht zu identifizierenden oder implizit bewerteten, sich bekämpfenden H a u f e n von Landsknechten oder anderen Kriegern kann folgerichtig auch keine parteiergreifende Einflußnahme festgestellt werden.

Die Michael Ostendorfer (W 9) und Erhard Schön (W 12) zugewiesenen Titelholz- schnitte vermitteln dem Publikum neben der einfachen bewertenden Gegenüberstel- lung zudem in einem Akt der Abstraktion ein entwickeltes Deutungs- und Bewertungs- schema f ü r das Geschehen: Beide demonstrieren das kriegerische Aufeinandertreffen von Islam und Christentum durch die symbolische Konfrontation von Kirche und T ü r - ken ( W 9 ) bzw. Kaiser und Sultan (W 12), ordnen das Ereignis so in einen weltge- schichtlichen Kontext mit entsprechendem Erklärungsmodell ein. — Die aus der Wit- tenberger Ausgabe der »Pronosticatio« Johannes Lichtenbergers von 1527 übernom- mene Kindermordszene vom Titelbild W 8 kann zwar als ein vom D r u c k e r oder Verle- ger beigefügter Kommentar zum Text der Schrift aufgefaßt werden, doch isoliert als Bild betrachtet, bietet es in seiner Toposartigkeit keine exakt verortbare, konkrete pro- pagandistische Aussage; entsprechendes gilt für die durch ältere Vorlagen inspirierten Darstellungen diverser Himmelserscheinungen auf W 10, Bl. l b und 8b, die Niklas Stör zugewiesen werden, und auch das allgemein antipäpstliche Titelbild von R l d . Die Modelle »cultural assimilation« und »incitement to action« scheinen zur Erklärung der Holzschnitte wenig geeignet, da es als unwahrscheinlich gelten darf, daß die bloße Darstellung von Rittern und Landsknechten vom »Gemeinen Mann« als Identifika- tionsangebot wahrgenommen bzw. akzeptiert wurde, im Gegensatz dazu kann wohl davon ausgegangen werden, daß die Präsentation eines T ü r k e n schon eo ipso Aversio- nen beim Publikum auslöste. Statt dessen ist die Verbildlichung von Rittern und Lands- knechten oder die eines Sieges genauso wie die Abbildung eines Wappens eher als ein Akt der Repräsentation von Herrschaft zu verstehen, womit die politisch-gesellschaft- liche O r d n u n g durch die Darstellung stereotyper Herrschaftsträger bzw. ihrer militäri- schen Machtmittel noch einmal legitimiert wird. Auffällig ist, daß auch bei den Bildern das »exorcism modell« nicht auf die Darstellung der T ü r k e n übertragbar ist, obwohl es in jener Zeit häufig zur Beeinflussung der öffentlichen Meinung eingesetzt wurde.

Die Bildkonzeptionen — Form, aber auch »Inhalt« — der wenigen, eben angeführten Holzschnitte sind demnach durch eindeutig propagandistische Absichten und M e t h o - den bestimmt. Zur Vermittlung ihrer Deutungen und Wertungen orientieren sich diese Strategien an den visuellen Vorstellungen und Gewohnheiten der Adressaten, so daß von ihnen die zentrale Botschaft im Rahmen des traditionellen »Bilderlesens« relativ mühelos aufgenommen werden kann. Damit ist aber noch nicht geklärt, welche Bedeu- tung den Bildern in ihrer Gesamtheit im Zusammenspiel mit den jeweiligen Texten bzw. den berichteten Ereignissen zukommt, in welchem übergreifenden Kontext sie auf die Rezipienten einwirkten und welche Rückschlüsse dies auf die Kultur zulassen 31 könnte.

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Das Ergebnis für die propagandistische Funktion der Bebilderung der Flugschriften könnte auf den ersten Blick lauten: Die Holzschnitte dienen nicht so sehr einer geziel- ten, am konkreten Text der Flugschriften orientierten Beeinflussung der öffentlichen Meinung, sondern vielmehr schlicht als Kaufanreiz. O f f e n b a r waren kriegerische Sze- nen beim Publikum beliebt. Zahlreiche Bilder stammen aus einem anderen Zusammen- hang und weisen keinen direkten Bezug zum Inhalt der einzelnen Schriften auf, kön- nen höchstens vage Assoziationen auslösen, sie fungieren hauptsächlich als sensatio- neller »Aufmacher«, wobei aber nur der Krieg als eine Art Topos, zentrales Motiv oder gar schon Genre vermittelt und ins Allgemeine abstrahiert wird. Das »Neueste von der Front« liefern sie nicht! — Doch das ist nur ein Teilaspekt.

Die Titelholzschnitte, die als Reaktion auf das konkrete Ereignis dieses überzeugend verbildlichen, haben sich größtenteils von den dazugehörigen episodenhaften Texten emanzipiert — falls sie überhaupt nach Kenntnis des Inhalts der jeweiligen Schrift ent- standen sind — und bieten nicht einen umfassenden Gesamteindruck, sondern kompri- mieren das Ereignis im Bild auf einen bestimmten Aspekt des Geschehens, der mit der Intention des Textes nicht unbedingt übereinstimmen m u ß : Sie sind nicht bloß Illustra- tionen, sondern eigenständige Bildwerke, die für sich eine spezifische Medienfunktion beanspruchen können. Diese Bilder sind keine bloßen »Inhaltsangaben« der Flugschrift f ü r den Nicht-Lesekundigen, selbst da nicht, wo sich die wesentlichen »Inhalte« des Textes und des Bildes einigermaßen in Ubereinstimmung bringen lassen. Als einziger hat Heinrich Vogtherr d. A. bei dem ihm zugeschriebenen Paviabild (Ρ 1, Ρ l a , Ρ 4) gerade die über den unmittelbaren Text hinausgehende, zentrale Botschaft der Schrift(en) in eine noch deutlichere, überzeugende bildliche Form gebracht — aller- dings unter Verwendung eines bereits bestehenden Holzschnittes. Das vermutlich von Niklas Stör geschaffene Titelbild von W 10 verherrlicht zwar die die T ü r k e n vor "Wien zurückschlagenden Landsknechte, steht aber einem eher komplexen T e x t voran, der eine durchaus ambivalente Darstellung des Geschehens enthält. Der Titelholzschnitt von W 6 und W 6a illustriert zwar trotz des Rückgriffs auf eine Bildkonzeption aus ei- nem anderen Zusammenhang zentrale Ereignisse und Informationen der Schrift — die Sturmangriffe und das Minengraben der T ü r k e n gegen die Stadtmauer —, die unbe- w u ß t mitübernommene implizite Bewertung läuft jedoch der des Autors entgegen, da die »Vorlage« überzeugend eine erfolgreiche Belagerung verbildlichte. D e r Michael Ostendorfer zugeordnete Holzschnitt von W 9 mit seinen die Kirche angreifenden T ü r k e n ist schließlich ein Kunstprodukt, das ohne direkten Textbezug in erster Linie f ü r sich selbst steht. Die Intention der Künstler zielte bei diesen Holzschnitten auf die Verbildlichung dessen, was von ihnen beim einzelnen historischen Ereignis als wesent- lich empfunden wurde — ihre Bilder sind individuelle Kommentare.

Die Erklärung, daß die Bilder größtenteils ohne Sinn und Verstand, bzw. nur aufgrund der Profitinteressen von Verlegern und Druckern hinzugefügt wurden oder die Künst- ler schlicht unfähig oder unwillig waren, einen Text adäquat zu verbildlichen, geht an einem wichtigen Aspekt des Problems vorbei — die Bedeutung und damit die zentrale Funktion der Bilder ist eine durchaus andere als die Wiedergabe eines bestimmten hi- storischen, realen Ereignisses oder die Übertragung schriftlicher Aussagen in das M e - dium Bild. V o n der Funktion eines bedeutungsfreien, technologischen »Sachbildes«

kann bei ihnen keine Rede sein. Mit den Werken vor allem des darauffolgenden Jahr- hunderts oder ζ. B. mit der von Niklas Meldemann verlegten Wiener Rundansicht so- wie der von Jörg Breu d. A. stammenden Schlacht bei Pavia sind sie nicht zu verglei- chen6 5. Bereits der Zwang des kleinen Formats bedingt die Präsentation von »Schlag- bildern«, die nicht so sehr ein konkretes Ereignis oder ganz bestimmte Informationen vermitteln, selbst wenn sie sich an schriftlichen Inhalten orientieren, sondern vielmehr komprimiert Werte und Meinungen anbieten6 6: Sie wollen Eindruck verschaffen — sei

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