• Keine Ergebnisse gefunden

(1)Nach dem Sieg Napoleons in der Schlacht von Austerlitz am 2

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "(1)Nach dem Sieg Napoleons in der Schlacht von Austerlitz am 2"

Copied!
16
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Nach dem Sieg Napoleons in der Schlacht von Austerlitz am 2. Dezember 1805 veränderte sich die Mächtekonstellation auf dem europäischen Kontinent, insbesondere in Deutschland, nachhaltig. Österreich erlitt im Preßburger Frie- den beträchtliche Gebietsverluste und mußte akzeptieren, daß die süddeut- schen Staaten Bayern, Baden und Württemberg sowohl territorial erweitert als auch machtpolitisch gestärkt wurden. Obwohl diese formal weiterhin Mit- glieder des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation blieben, sagten sie sich de facto vom Reich los. Neben der Donaumonarchie wurde Preußen als zweite Kontinentalmacht durch den Vertrag von Schönbrunn erheblich ge- schwächt. Der Untergang des Alten Reiches, der schon durch den Frieden von Luneville und den Reichsdeputationshauptschluß eingeleitet worden war, galt vor diesem Hintergrund als besiegelt.

Hauptgewinner dieser territorialen und politischen Veränderungen war das französische Kaiserreich. Dieses vermochte sowohl seinen Einfluß in Italien vertraglich zu konsolidieren als auch die süddeutschen Staaten stärker an sich zu binden und damit Pufferzonen zu Österreich zu errichten. Darüber hinaus gewann es Gebiete hinzu, durch welche seine Expansion auf dem Kontinent, auf welche sich die französische Diplomatie bereits seit der Revolution - wenn auch unter anderen Vorzeichen - gerichtet hatte, neue Dynamik erhielt. Der Weg zur Neugestaltung der politischen Landkarte Deutschlands und Europas war geebnet1.

Napoleon konzentrierte sich in der Folgezeit darauf, Frankreichs Position auf dem Kontinent zu festigen. Um dieses Ziel zu erreichen, bediente er sich anderer Mittel als dem der Okkupation oder Annexion. Er arbeitete darauf hin, die französische Hegemonie mit Hilfe eines Geflechts von Abhängigkei- ten zu gewährleisten. Die imperiale Herrschaftspolitik trat damit in eine neue Phase. Es begann der Aufbau des Kontinentalsystems bzw. der Ausbau des Empire fran^ais zum Grand Empire2.

1 Vgl. aus der umfangreichen Literatur zum Thema Roger DUFRAISSE, Michel KERAUTRET,

La France napolionienne. Aspects ext£rieurs 1799-1815, Paris 1999, S.87f.; Kurt VON RAU-

MER, Deutschland und die Französische Revolution, in: Leo JUST (Hg.), Handbuch der deut- schen Geschichte, Bd. 3/1, Teil 1: Deutschland um 1800 - Krise und Neugestaltung 1799-1815, Wiesbaden 51980, S. 3-430, hier S. 149f.; Elisabeth FEHRENBACH, Vom Ancien R6- gime zum Wiener Kongreß, München 42001, S.48f.; Karl Otmar Freiherr VON ARETIN, Vom Deutschen Reich zum Deutschen Bund, Göttingen 1980, S. 104; Manfred BOTZENHART, Re- form, Restauration, Krise. Deutschland 1789-1847, Frankfurt a.M. 1985, S.28f.; zum Unter- gang des Heiligen Römischen Reiches Deutscher Nation siehe ebenfalls die Überblicke bei Barbara STOLLBERG-RILINGER, Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation. Vom Ende des Mittelalters bis 1806, München 2006, S. 110f.; Peter Claus HARTMANN, Das Heilige Rö- mische Reich deutscher Nation in der Neuzeit 1486-1806, Stuttgart 2005, S. 158f.

2 Vgl. Stuart WOOLF, Napol6on et la conquete de l'Europe, traduit de l'anglais par Jeannie

CARLIER, Isabelle DETIENNE, Paris 1 9 9 0 , S.43f.; Rainer WOHLFEIL, Napoleonische Modell- staaten, in: Wolfgang VON GROOTE (Hg.), Napoleon I. und die Staatenwelt seiner Zeit,

(2)

2 Einleitung

Zur Durchsetzung seiner Herrschaftsinteressen betrieb der französische Kaiser, erstens, eine konsequente Familienpolitik und besetzte die verschiede- nen von ihm eroberten Throne mit Angehörigen seiner Familie. Außerdem förderte er matrimoniale Verbindungen zwischen dem französischen Kaiser- haus und den Fürstenhöfen Europas. Neben diesem traditionellen Stabilisie- rungsinstrument monarchischer Herrschaft wollte der französische Kaiser, zweitens, außenpolitische Stabilität und die Sicherung der französischen Hege- monie durch die politische Gleichförmigkeit in einem staatenübergreifenden Bündnissystem erreichen. Zu diesem Zweck arbeitete er seit dem Vertrag von Schönbrunn konsequent auf den Zusammenschluß der deutschen Territorien zum »Dritten Deutschland« hin. Seine Pläne zur Vereinigung der deutschen Staaten unter französischer Kuratel mündeten in die Gründung des Rheinbun- des am 12. Juli 1806 und die Niederlegung der Kaiserkrone durch Franz II. am 6. August 1806. Das Heilige Römische Reich Deutscher Nation war damit end- gültig zusammengebrochen3. Darüber hinaus drängte Napoleon, drittens, auf die Reformierung und Modernisierung der Einzelstaaten, wobei die Zustände in Frankreich bei der geplanten Reorganisation Pate stehen sollten. Mit dieser

»Revolution von oben« ά la frangaise bezweckte der Kaiser eine doppelte Ziel- setzung. Zum einen verfolgte er die strukturelle Vereinheitlichung der deut- schen Staatenwelt. Zum anderen sah er in der Rezeption des französischen Verfassungs-, Verwaltungs- und Rechtssystems, allem voran in der Übernahme des Code Napoleon, ein geeignetes Mittel, um die Einzelstaaten enger an das Empire zu binden und seine Herrschaft langfristig zu stabilisieren.

Parallel zu seinen Bemühungen um eine Homogenisierung der deutschen Fürstentümer ließ Napoleon, viertens, auf dem Boden der im Zuge der krie- gerischen Auseinandersetzungen an Frankreich gefallenen deutschen Territo- rien sogenannte Kunststaaten entstehen. Im Frühjahr 1806 fügte er den rechts- rheinischen Teil des Herzogtums Kleve und das Herzogtum Berg zu einem neuen Staat zusammen und übertrug die Leitung des neuen Staatswesens sei- nem Schwager, dem Prinzen Joachim Murat (1767-1815). Ein Jahr nach der Schaffung des Großherzogtums Berg nahm Napoleon aus der Konkursmas- se < der preußischen Krone die Gründung des Königreichs Westfalen vor, des- sen Regierung am 18. August 1807 sein Bruder Jeröme Napoleon antrat4. Als

Freiburg 1969, S. 33-53, hier S.33f.; Roger DUFRAISSE, Französische Zollpolitik, Kontinen- talsperre und Kontinentalsystem im Deutschland der napoleonischen Zeit, in: D E R S . ,

L'Allemagne ä l'^poque napol6onienne. Questions d'histoire politique, öconomique et so- ciale. itudes de Roger Dufraisse riunies ä l'occasion de son 70® anniversaire par l'Institut historique allemand de Paris, Bonn, Berlin 1992, S. 245-269, hier S.248f.

3 ARETIN, Vom Deutschen Reich, S . 101f.; Thomas NIPPERDEY, Deutsche Geschichte 1800-1866. Bürgerwelt und starker Staat, München 1983, S. 13f.

4 Vgl. Helmut BERDING, Napoleonische Herrschafts- und Gesellschaftspolitik im König- reich Westfalen 1807-1813, Göttingen 1973; DERS., Das Königreich Westfalen als Modell- staat, in: DERS., Aufklären durch Geschichte. Ausgewählte Aufsätze. Mit einem Vorwort von Hans-Peter Ullmann und Heinz Schilling, Göttingen 1990, S. 215-230.

(3)

dritten und letzten Staat in Deutschland errichtete der französische Kaiser am 16. Februar 1810 das Großherzogtum Frankfurt. Frankfurt besaß unter den drei Staatsschöpfungen eine gewisse Sonderstellung, weil es kein völlig neuer Staat war, sondern aus einem bereits bestehenden Staat hervorging. Vorläufer war der von dem ehemaligen Mainzer Kurfürsten, Karl Theodor Freiherr von Dalberg, geführte Primatialstaat, und Dalberg war auch das erste Staatsober- haupt des neu gegründeten Großherzogtums5. Als Dalbergs Nachfolger desi- gnierte Napoleon im Jahre 1810 seinen Stiefsohn Eugene de Beauharnais.

Dieser sollte beim Ableben des Fürstprimas die Landesherrschaft antreten6. Berg, Westfalen und Frankfurt besaßen innerhalb der deutschen Territo- riallandschaft eine Sonderstellung. Sie stellten staatliche Gebilde dar, die ihre Gründung und Existenz dem französischen Kaiser verdankten. Den Herr- schaftsvorgaben Napoleons waren sie daher in besonderem Maße verpflichtet.

Als Mitglieder des Rheinbundes mußten sie darüber hinaus am Wirtschafts- kampf Napoleons gegen England teilnehmen und die französische Militär- expansion durch Kontributionszahlungen, Truppenkontingente sowie Ein- quartierungen und Fouragelieferungen finanziell, materiell und personell unterstützen. In dieser funktionalen Doppelbestimmung lag das Eigentümli- che ihrer Existenz innerhalb des Rheinbundes.

Nach Ansicht vieler Historiker besaßen die neu gegründeten Staaten noch eine weitere Besonderheit. Napoleon hatte sie dazu bestimmt, für Frankreich und dessen Institutionen Werbung zu machen. Sie sollten nach französischem Vorbild geformt werden, um die deutschen Landesfürsten zur Nachahmung anzuregen. Aufgrund dieser politisch-ideologischen Aufgabe hat es sich in der Geschichtsforschung der Bundesrepublik seit der Würdigung der Rhein- bundreformen in den 1970er Jahren eingebürgert, Berg, Westfalen und Frank- furt als Modellstaaten zu apostrophieren. Daß die drei Staaten für Napoleon propagandistische Funktionen zu erfüllen hatten, wird zum einen daraus her- geleitet, daß die Throne in Düsseldorf, Kassel und Aschaffenburg von Ange- hörigen der Familie Bonaparte besetzt wurden. Deshalb werden die Termini

»Modell-« und »Napoleonidenstaaten« in der Forschung häufig auch synonym verwendet. Neben den dynastischen Verflechtungen mit dem Empire beruht das Deutungsmuster des Modellstaates zum anderen auf Aussagen des fran- zösischen Kaisers selbst. Ein Zitat, das für die Stichhaltigkeit des Erklärungs- modells immer wieder als Beleg herangezogen wird, ist eine Äußerung, die Napoleon seinem Bruder Jeröme Napoleon gegenüber machte, als er diesem am 15. November 1807 die westfälische Verfassungsurkunde zur feierlichen Verkündigung zukommen ließ. Er machte J6röme Napoleon bei dieser Gele-

5 Für das Großherzogtum Frankfurt immer noch grundlegend: Paul DARMSTÄDTER, Das Großherzogtum Frankfurt, Frankfurt a.M. 1901; Wolfram BILZ, Die Großherzogtümer Würzburg und Frankfurt. Eine Studie über die Rheinbundzeit, Würzburg 1968.

6 Bettina SEVERIN, Modellstaatspolitik im rheinbündischen Deutschland. Berg, Westfalen und Frankfurt im Vergleich, in: Francia 24 (1997) 2, S. 181-203, hier S. 183f.

(4)

4 Einleitung

genheit darauf aufmerksam, daß die westfälische Regierung auf die eine oder andere Art im Rheinbund und im Königreich selbst die heilsamsten Verände- rungen zu erzeugen hatte7.

In der vorliegenden Arbeit geht es um die erste der drei von Bonaparte vorgenommenen Staatsgründungen. Untersucht wird das Großherzogtum Berg, das sich geographisch anfangs auf das Herzogtum Berg und den rechts- rheinischen Teil des Herzogtums Kleve beschränkte, aber mit dem Vordringen Frankreichs auf dem europäischen Kontinent nach Norden und Süden be- trächtlich erweitert wurde. Die Mehrzahl der Gebiete, die dem Großherzog- tum in diesem Rahmen zufielen, gingen im Jahre 1810 allerdings bereits wie- der verloren. Zeitlich war dem Großherzogtum Berg nur eine kurze Existenz beschieden. Es hatte weniger als sieben Jahre Bestand. Im März 1806 durch Napoleon errichtet, überlebte es den Niedergang der napoleonischen Herr- schaft im Jahre 1813 nicht und erlosch im November 1813. Sein territorialer Besitzstand fiel der preußischen Monarchie zu. Als Landesfürst trat, wie be- reits erwähnt, zunächst Prinz Murat die Leitung der Regierungsgeschäfte in Düsseldorf an. Sein Regnum war allerdings nur von kurzer Dauer. Bereits zwei Jahre nach Übernahme der Regierung mußte der Prinz die Herrschaft in Düsseldorf dem französischen Kaiser überlassen, während er selbst nach Nea- pel wechselte. Im März 1808 veranlaßte Napoleon einen erneuten Thronwech- sel. Er designierte seinen Neffen Louis Napoleon als Großherzog. Diese Neu- regelung hatte jedoch keinen Einfluß auf den eigentlichen Status quo, denn während der Minderjährigkeit des Neffen übte der Kaiser in seiner Funktion als Regent de facto weiterhin die Herrschaft in Berg aus.

Von den drei Staaten, die Bonaparte auf dem Boden des Alten Reiches in den Jahren 1806 bis 1810 ins Leben rief und die mit dem Untergang seiner Herrschaft allesamt wieder von der politischen Landkarte verschwanden, ist das Großherzogtum Berg derjenige Staat, der in der Geschichtswissenschaft bislang die geringste Beachtung gefunden hat und deswegen einer intensive- ren Erforschung bedarf. Bis heute interessieren sich Historiker in erster Linie für das Königreich Westfalen, das seinem bergischen Nachbarn nicht nur an Größe und Ausmaß überlegen war, sondern auch aufgrund der Programma- tik, mit der es von Napoleon gegründet wurde, und wegen seiner geschriebe- nen Verfassung als vorbildlich und richtungsweisend gilt. Als wegweisend sind hier die Arbeiten Helmut Berdings zur Gesellschafts- und Dotationspolitik sowie zu weiteren Aspekten der französischen Herrschaft im Königreich Westfalen zu bezeichnen8. Das Großherzogtum Berg wird im Vergleich dazu

7 Brief Napoleons an J6r6me Napol6on vom 15. November 1807, abgedruckt in: Corres- pondance de Napoleon Ier, publice par ordre de l'empereur Napoleon III, Bd. 16, Paris 1864, Nr. 13361, S. 166.

8 Helmut BERDING, Loyalitätskonflikte unter napoleonischer Herrschaft. Die Situation der Staatsdiener im Königreich Westfalen, in: Dieter ALBRECHT u.a. (Hg.), Europa im Umbruch 1750-1850, München 1995, S. 241-256; DERS., Napoleonische Herrschaft zwi- schen Okkupation und Staatsbildung. Die Regentschaft in Kassel, in: Winfried SPEITKAMP

(5)

in der Geschichtswissenschaft nach wie vor vernachlässigt. Diese nachrangige Position des Großherzogtums spiegeln sogar jene Arbeiten wider, die sich mit Westfalen und Berg gleichermaßen befassen. Selbst in diesen Werken besteht ein Ungleichgewicht zwischen der Darstellung des Großherzogtums und der des westfälischen Königreichs.

Wer sich der Geschichte des Großherzogtums Berg nähern möchte, ist im- mer noch auf die aus dem Jahre 1905 stammende Monographie des Pariser Archivars Charles Schmidt angewiesen, die inzwischen auch in deutscher Übersetzung vorliegt9. Sie ist die einzige Gesamtdarstellung der französischen Herrschaft in Düsseldorf, wobei die Untersuchung der napoleonischen Zeit am Niederrhein inhaltlich höchst ungleich ausfällt. Der Schwerpunkt der Ar- beit liegt auf der Direktherrschaft Napoleons von 1808 bis 1813. Die zweijäh- rige Regierungszeit des Prinzen Murat nimmt demgegenüber nur sehr wenig Raum ein. Dieses Ungleichgewicht ist wohl unter anderem darauf zurückzu- führen, daß Schmidt einschlägige und heute zugängliche Quellen für die Re- gierungszeit des Prinzen nicht vorlagen.

So unersetzlich Schmidts Arbeit für die Geschichte des Großherzogtums Berg bis in die Gegenwart geblieben ist, so wenig wird sie doch den Ansprü- chen moderner Geschichtswissenschaft gerecht. Wenn sie auch an manchen Stellen durchaus als zukunftsweisend zu bezeichnen ist - das gilt für die Be- rücksichtigung französischer und deutscher Quellen ebenso wie für die starke Betonung wirtschaftlicher und gesellschaftlicher Aspekte - , entspricht sie ins- gesamt dennoch dem Stand der Historiographie zu Beginn des 20. Jahrhun- derts. Über zentrale Fragen der aktuellen Forschungsdiskussion, wie etwa die Modellstaatsproblematik, das vieldiskutierte Spannungsverhältnis zwischen Herrschafts- und Modernisierungspolitik sowie die Diskrepanz zwischen dem Anspruch der Reformen und ihrer Wirksamkeit, bietet sie daher kaum Auf- schluß. Hinzu kommt, daß das Werk in methodischer Hinsicht ganz und gar dem Positivismus verpflichtet ist. Charakteristisch dafür ist die stark chrono-

(Hg.), Staat, Gesellschaft, Wissenschaft. Beiträge zur modernen hessischen Geschichte, Marburg 1994, S.7-21; DERS., Der Gesellschaftsgedanke Napoleons und seine Auswirkun- gen im rheinbündischen Deutschland: ein Verrat der Revolution?, in: Roger DUFRAISSE (Hg.), Revolution und Gegenrevolution 1789-1830, München 1991, S. 107-117; DERS., Die Emanzipation der Juden im Königreich Westfalen (1807-1813), in: Archiv für Sozial- geschichte 23 (1983) S. 23-50; DERS., Gesellschaftspolitik. Vgl. des weiteren Hans-Peter ULLMANN, Finanzreformen im Königreich Westfalen 1807-1813, in: Winfried SPEITKAMP, DERS. (Hg.), Konflikt und Reform. Festschrift für Helmut Berding, Göttingen 1995, S. 118-135; Armin OWZAR, Fremde Herrschaft - fremdes Recht? Deutungen der napoleo- nischen Verfassungspolitik in Westfalen im 19. und 20. Jahrhundert, in: Westfälische For-

s c h u n g e n 51 ( 2 0 0 1 ) S. 7 5 - 1 0 5 .

9 Charles SCHMIDT, Le Grand-Duchi de Berg (1806-1813). 6tude sur la domination fran- 9aise en Allemagne sous Napolion Ier, Paris 1905. Deutsche Übersetzung: Charles SCHMIDT, Das Großherzogtum Berg 1806-1813. Eine Studie zur französischen Vorherr- schaft in Deutschland unter Napoleon I. Aus dem Französischen übersetzt von Lothar KELLERMANN, Neustadt a.d. Aisch 1999.

(6)

6 Hinleitung

logisch gegliederte und faktengesättigte Darstellungsform. Außerdem bleibt die Darstellung in den nationalen Denkmustern der damaligen Geschichts- schreibung verwurzelt. Der Untertitel der Arbeit, »Eine Studie zur französi- schen Vorherrschaft in Deutschland unter Napoleon I.«, läßt keinen Zweifel daran, daß Schmidt sein Buch aus französischer Perspektive schrieb10.

Abgesehen von der Arbeit des französischen Historikers, die nach wie vor als das Standardwerk für das Großherzogtum Berg zu bezeichnen ist, sind im Rahmen der Rheinbundforschung verschiedene Studien zu Teilbereichen der französischen Herrschaft in Düsseldorf entstanden. Elisabeth Fehrenbach widmet einen Teil ihrer Studie über die Einführung des Code Napoleon dem Großherzogtum Berg und untersucht Probleme und Hindernisse, die sich am Niederrhein aus der Rezeption des französischen Zivilrechts ergaben. Meent Francksen analysiert in seiner rechtshistorischen Dissertation die Rolle und Bedeutung des Düsseldorfer Staatsrats im Gesetzgebungsprozeß. Heinz-Karl Junk zeichnet die territoriale Entwicklung des Großherzogtums von seiner Gründung bis zu seinem Untergang minutiös nach. Er untersucht hierbei auch die Einteilung der neuen Verwaltungsgrenzen. Mahmoud Kandil interessiert sich erstmals für die Reaktionen der bergischen Bevölkerung. Er setzt sich in seiner Studie mit dem Protestverhalten der bergischen Einwohner aus Sicht der Verwaltungsbehörden auseinander. Jörg Engelbrecht beschäftigt sich mit ungeklärten Problemen der großherzoglich-bergischen Sozial- und Wirt- schaftsgeschichte. Ferner untersucht er die bergischen Führungsschichten in der Anfangszeit des Großherzogtums Berg. Fritz Dross nimmt den Bereich der öffentlichen Armenpflege näher in den Blick11.

Neben diesen Einzeldarstellungen liegen mehrere Aufsatzsammlungen vor, die eine Reihe von Kurzbeiträgen mit wichtigen Informationen zur großher-

10 Zur historiographischen Einordnung Schmidts siehe Burkhard D I E T Z , Charles Schmidt (1872-1956). Zur intellektuellen Biographie eines Historikers und »politischen Archivars«

im Kontext der französischen Historiographiegeschichte, in: ibid., S. 371-406, hier S.396f.

11 Elisabeth FEHRENBACH, Traditionale Gesellschaft und revolutionäres Recht. Die Ein- führung des Code Napolion in den Rheinbundstaaten, Göttingen 1974, S. 81-104; Meent

FRANCKSEN, Staatsrat und Gesetzgebung im Großherzogtum Berg (1806-1813), Frankfurt a.M., Bern 1982; Heinz-Karl JUNK, Verwaltung und Verwalter des Großherzogtums Berg, in: SCHMIDT, Großherzogtum Berg, S . 438-491; D E R S . , Das Großherzogtum Berg. Zur Ter- ritorialgeschichte des Rheinlandes und Westfalens in napoleonischer Zeit, in: Westfälische Forschungen 33 (1983) S. 29-83; Mahmoud KANDIL, Sozialer Protest gegen das napoleo- nische Herrschaftssystem. Äußerungen der Bevölkerung des Großherzogtums Berg 1808-1813 aus dem Blickwinkel der Obrigkeit, Aachen, Mainz 1995; Jörg ENGELBRECHT,

Probleme der Sozial- und Wirtschaftsgeschichte des Großherzogtums Berg, in: SCHMIDT,

Großherzogtum Berg, S. 407-437; DERS., Führungsschichten in der Spätphase des Herzog- tums und in den Anfängen des Großherzogtums Berg, in: Düsseldorfer Jahrbuch 64 (1993) S. 57-73; Fritz DROSS, Krankenhaus und lokale Politik 1770-1850. Das Beispiel Düsseldorf, Essen 2004, S. 247f.; vgl. ebenso Armin O W Z A R , Das Königreich Westphalen und das Groß- herzogtum Berg. Quellen - Forschungen - Deutungen, in: Westfälische Forschungen 54 (2004) S. 401-414.

(7)

zoglich-bergischen Geschichte enthalten. Hierzu zählt einmal ein aus dem Jahre 2007 stammender Sammelband über die französische Herrschaft im nördlichen Rheinland und in Westfalen, der die vom Preußen-Museum Nord- rhein-Westfalen gezeigte Ausstellung »Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser« begleitet12. Erwähnenswert ist desgleichen ein 1985 veröffentlichter Ausstellungskatalog über das Herzogtum Berg, welcher eine Anzahl von Texten zu verschiedenen Reformen im Großherzogtum Berg ent- hält und hierbei das Militär-, Schul- und Armenwesen ebenso abdeckt wie den Bereich der Wirtschaft13. Mit Ausschnitten der französischen Herrschaft am Niederrhein beschäftigt sich fernerhin ein im Jahre 1995 von Burkard Dietz herausgegebener Tagungsband zum Großherzogtum Berg als napoleonischer Modellstaat, mit dem eine regionalgeschichtliche Zwischenbilanz gezogen werden sollte14.

Des weiteren liegen einzelne regional- bzw. lokalgeschichtliche Untersu- chungen zum Großherzogtum vor. Peter Burg setzt sich in einer vergleichen- den Studie zur preußischen und französischen Verwaltung mit zwei Departe- ments des Großherzogtums auseinander: der Ruhr und der Ems. Monika Lahrkamp geht der französischen Reformzeit in Münster nach. Jürgen Brand erforscht die Geschichte der Stifte Essen und Werden. Karl-Georg Faber re- konstruiert die Entstehung von Großgemeinden im Oberbergischen Kreis15. Zuweilen werden die in Berg durchgeführten Reformmaßnahmen im Rahmen übergreifender Darstellungen gestreift. Martina Kurzweg beschäftigt sich in ihrer Studie über die Entwicklung der Zeitungslandschaft in Rheinland-West- falen auch mit den Zensurbestimmungen in großherzoglich-bergischer Zeit.

In der von Franz-Ludwig Knemeyer vorgelegten Untersuchung der Regie- rungs- und Verwaltungsreformen in Deutschland geht es ebenfalls um die Verhältnisse am Niederrhein16.

12 Veit VELTZKE (Hg.), Napoleon. Trikolore und Kaiseradler über Rhein und Weser, Köln u.a. 2007.

13 Bernd DREHER, Jörg ENGELBRECHT (Hg.), Das Herzogtum Berg 1794-1815, Düsseldorf 1985.

14 Burkhard DIETZ (Hg.), Das Großherzogtum Berg als napoleonischer Modellstaat. Eine regionalhistorische Zwischenbilanz, Köln 1995.

15 Peter BURG, Verwaltung in der Modernisierung. Französische und preußische Regional- verwaltung vom Ancien R6gime zum Revolutionszeitalter, Paderborn 1994; Monika LAHR- KAMP, Münster in napoleonischer Zeit 1800-1815. Administration, Wirtschaft und Gesell- schaft im Zeichen von Säkularisation und französischer Herrschaft, Münster 1976; Jürgen BRAND, Geschichte der ehemaligen Stifter Essen und Werden während der Übergangszeit 1806-1813 unter besonderer Berücksichtigung der großherzoglich-bergischen Justiz und Verwaltung, in: Beiträge zur Geschichte von Stadt und Stift Essen 86 (1971) S. 5-155; Karl- Georg FABER, Die Entstehung der Großgemeinden im Oberbergischen Kreis, in: RhVjbll

2 5 ( 1 9 6 0 ) S. 2 5 3 - 2 9 9 .

16 Martina KURZWEG, Presse zwischen Staat und Gesellschaft. Die Zeitungslandschaft in Rheinland-Westfalen (1770-1819), Paderborn 1999; Franz-Ludwig KNEMEYER, Regierungs- und Verwaltungsreformen in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts, Köln, Berlin 1970.

(8)

8 Einleitung

Beachtenswert sind darüber hinaus zwei Veröffentlichungen, die für das Quellenstudium der bergischen Geschichte überaus wichtig sind. Zum einen wurde von Jeannine Charon-Bordas Ende der 1980er Jahre ein Verzeichnis herausgegeben, in welchem die für das Großherzogtum Berg in französischen Archiven aufbewahrten Quellenbestände minutiös erfaßt sind. Zum anderen hat Klaus Rob Anfang der 1990er Jahre eine Dokumentation mit ausgewähl- ten Quellen zur französischen Reformpolitik in Düsseldorf vorgestellt. Die von Rob ausgesuchten Dokumente beleuchten die Ausgangsbedingungen, das eigentliche Gesetzgebungsverfahren und die spätere Reformumsetzung glei- chermaßen17.

Der Modellstaatscharakter des Großherzogtums ist bislang nur im Rahmen von Einzelaufsätzen thematisiert worden. Rainer Wohlfeil setzte sich als erster kritisch mit der historischen Wirksamkeit im Großherzogtum Berg und im Kö- nigreich Westfalen auseinander. Die Autorin der vorliegenden Arbeit nahm Berg, Westfalen und Frankfurt vergleichend in den Blick und stellte hierbei die Reformabsichten der französischen Regierung der politischen Umsetzung ge- genüber. Jörg Engelbrecht ging der Frage auf einzelstaatlicher Ebene nach18. Im Unterschied zu diesen Darstellungen gehen die meisten Arbeiten von der Annahme aus, daß man auf französischer Seite mit der Gründung des Großher- zogtums Berg besondere Absichten verband, und konzentrieren sich auf die Frage, inwieweit Berg Frankreich nachgebildet wurde. Hieraus werden Schlüs- se auf den Vorbild- bzw. Modellcharakter des Großherzogtums gezogen. Selbst in jenen Beiträgen, in denen es um die Gegenüberstellung von Norm und Um- setzung geht, kommt die Frage nach den konzeptionellen Vorstellungen der französischen Regierung meistens nicht zur Sprache. Aus der Anpassung an das Empire Schlüsse über den Modellstaatscharakter zu ziehen, ist aber methodisch als problematisch zu bewerten. Es war nämlich durchaus möglich, daß sich ein Staat zum Vorbild entwickelte ohne von vornherein dazu konzipiert worden zu sein. Ebenso ist die Übernahme französischer Strukturen noch kein Indiz dafür, daß es auf französischer Seite tatsächlich auch Modellstaatsabsichten gab. In der komparatistischen Studie über Berg, Westfalen und Frankfurt ist nachge- wiesen worden, daß Absicht und Wirkung staatlichen Handelns nicht verwech-

17 Jeannine CHARON-BORDAS, Archives du Grand-Duche de Berg (1806-1813). Inventaire, Paris 1987; Klaus ROB (Bearb.), Regierungsakten des Großherzogtums Berg 1806-1813, München 1992.

18 WOHLFEIL, Modellstaaten; SEVERIN, Modellstaatspolitik; Jörg ENGELBRECHT, Das Groß- herzogtum Berg als napoleonischer Modellstaat, in: Harm KLUETING (Hg.), 200 Jahre Reichsdeputationshauptschluß. Säkularisation, Mediatisierung und Modernisierung zwi- schen Altem Reich und neuer Staatlichkeit, Münster 2005, S. 253-264; vgl. ebenfalls BERDING, Modellstaat; Harm KLUETING, Dalbergs Großherzogtum Frankfurt - ein napo- leonischer Modellstaat? Zu den rheinbündischen Reformen im Fürstentum Aschaffen- burg und im Großherzogtum Frankfurt, in: Aschaffenburger Jahrbuch 11/12 (1988) S. 359-380; Rüdiger HAM, Mario KANDIL, Die napoleonischen Modellstaaten, in: Peter BRANDT u.a. (Hg.), Handbuch der Verfassungsgeschichte im 19. Jahrhundert. Institutionen und Rechtspraxis im gesellschaftlichen Wandel, Bd. 1: Um 1800, Bonn 2006, S. 684-713.

(9)

seit werden dürfen. Es hat sich gezeigt, daß das Großherzogtum Frankfurt keine Modellstaatsfunktionen zu erfüllen hatte und dennoch auf französischem Fuß organisiert wurde. Verantwortlich dafür war Fürstprimas Dalberg. Er hielt es sowohl aus prophylaktischen Gründen als auch aus Erwägungen der Nützlich- keit für notwendig, Frankfurt zumindest formal dem Kaiserreich nachzubilden.

Ebenso wie über die Modellstaatsidee ist über die Vorgeschichte der einzel- nen im Großherzogtum Berg vereinigten Territorien bis heute nur wenig be- kannt. Mit der Habilitationsschrift von Jörg Engelbrecht über die Geschichte des Herzogtums Berg als Bestandteil des pfalzbayerischen Länderverbandes liegt nur für ein Territorium eine geschlossene und detaillierte Darstellung der Zustände und Entwicklungen in vorfranzösischer Zeit vor19. Die Forschungs- literatur zu den übrigen Gebieten ist demgegenüber äußerst dürftig und dispa- rat. Einschlägige Gesamtdarstellungen wie das Werk Engelbrechts zum Her- zogtum Berg gehören nach wie vor zu den Forschungsdesiderata.

Ausgangspunkt der vorliegenden Studie ist die Frage nach Funktion, We- sen und Wirken der französischen Herrschaft am Niederrhein. Am Beispiel der französischen Herrschaftspolitik im Großherzogtum Berg sollen die Zu- sammenhänge zwischen Reformpolitik, dem Ausbau staatlicher Macht und der Modernisierung von Staat und Gesellschaft im frühen 19. Jahrhundert untersucht werden. Konkret geht es darum, die Reformbestrebungen der französischen Herrschaft im Großherzogtum herauszuarbeiten, ihre Voraus- setzungen und Bedingungsfaktoren zu ermitteln und ihre Auswirkungen zu bestimmen. Anhand dessen sollen die politischen, wirtschaftlichen und gesell- schaftlichen Verhältnisse bzw. Wandlungsprozesse gedeutet und gleichzeitig Aussagen über die historische Einordnung des Großherzogtums Berg gemacht werden. Die Problemstellung der Arbeit macht es notwendig, die Untersu- chung nicht auf den Zeitraum zwischen Gründung und Zusammenbruch des Großherzogtums zu beschränken, sondern die Jahre vor und nach der franzö- sischen Herrschaft in die Analyse einzubeziehen.

Inhaltlich und methodisch reiht sich die Untersuchung in die Arbeiten der jüngeren Rheinbundforschung ein, die in den letzten Jahren im Rahmen der anhaltenden Diskussionen über die Deutung der auf deutschem Boden erfolg- ten Umwälzungen zu Beginn des 19. Jahrhunderts entstanden sind. Im Unter- schied zur stark etatistisch geprägten Betrachtungsweise älterer Arbeiten20

19 Jörg ENGELBRECHT, Das Herzogtum Berg im Zeitalter der Französischen Revolution.

Modernisierungsprozesse zwischen bayerischem und französischem Modell, Paderborn u.a. 1996.

2 0 Vgl. aus der älteren Rheinbundforschung u.a.: BERDING, Gesellschaftspolitik; FEHREN- BACH, Traditionale Gesellschaft; Werner SCHUBERT, Französisches Recht in Deutschland zu Beginn des 19. Jahrhunderts. Zivilrecht, Gerichtsverfassungsrecht und Zivilprozeßrecht, Köln, Wien 1977; Eberhard WEIS, Die Begründung des modernen bayerischen Staates un- ter König Max I. (1799-1825), in: Max SPINDLER (Hg.), Handbuch der bayerischen Ge- schichte, Bd. 4.1, München 1974, S.3-86; DERS., Montgelas 1759-1799. Zwischen Revolu- tion und Reform, München 1971.

(10)

10 Einleitung

operiert die jüngere Rheinbundforschung z u n e h m e n d mit verschiedenen M e - t h o d e n und verknüpft sozial-, kultur- und alltagsgeschichtliche Ansätze. U m weiterführende A u s s a g e n über Charakter und B e d e u t u n g der napoleonischen Herrschaft in D e u t s c h l a n d m a c h e n zu k ö n n e n und zu einer Gesamtbeurtei- lung der Herrschaft N a p o l e o n s zu finden, w e n d e t sie sich mehr und mehr v o n der anfangs vorherrschenden zentralstaatlichen Sichtweise ab und berücksich- tigt verschiedene H a n d l u n g s e b e n e n und -träger. Hierdurch k o m m t die Herr- schaftspraxis vor Ort im Z u s a m m e n s p i e l mit autochthonen Einflüssen und Antriebskräften sowie regionalen B e s o n d e r h e i t e n stärker in d e n Blick. A u - ß e r d e m w e r d e n R a n d b e r e i c h e der französischen Herrschaft beleuchtet, die g e g e n ü b e r anderen Feldern bisher zu kurz k a m e n2 1. Darüber hinaus rücken

2 1 In diesem Rahmen sind mehrere Arbeiten zu Staaten des Rheinbundes entstanden.

Hervorzuheben sind u. a.: Nicola TODOROV, Vaincre la resistance administrative - le combat pour l'application de la ligislation frangaise dans un itat-satellite: le cas du royaume de Westphalie, in: Natalie PETITEAU (Hg.), Conflits d'Empire, Poitiers 2006, S. 31-60; Jörg WESTERBURG, Integration trotz Reform. Die Eingliederung der ostschwäbischen Territo- rien und ihrer Bevölkerung in den bayerischen Staat in der ersten Hälfte des W.Jahrhun- derts, Thalgau 2001; Winfried SPEITKAMP, Sozialer und politischer Protest im napoleoni- schen Deutschland, in: Hundert Jahre Historische Kommission für Hessen 1897-1997.

Festgabe dargebracht von Autorinnen und Autoren der Historischen Kommission, Mar- burg 1997, S. 713-730; Karl MURK, Vom Reichsterritorium zum Rheinbundstaat. Ent- stehung und Funktion der Reformen im Fürstentum Waldeck (1780-1814), Arolsen 1995;

Johannes ARNDT, Das Fürstentum Lippe im Zeitalter der Französischen Revolution 1770-1820, Münster 1992; Andreas SCHULZ, Herrschaft durch Verwaltung. Die Rhein- bundreformen in Hessen-Darmstadt unter Napoleon (1803-1815), Stuttgart 1991; Eck- hardt TREICHEL, Der Primat der Bürokratie. Bürokratischer Staat und bürokratische Elite im Herzogtum Nassau 1806-1866, Stuttgart 1991. Vgl. darüber hinaus Eberhard WEIS,

Montgelas II: Der Architekt des modernen bayerischen Staates 1799-1838, München 2005.

Siehe ebenso die von der Historischen Kommission bei der Bayerischen Akademie der Wissenschaften herausgegebene Quellenreihe über die Rheinbundreformen, in der inzwi- schen Quelleneditionen zu Westfalen, Berg, Frankfurt, Bayern, Nassau, Hessen-Darm- stadt, Württemberg und Bayern vorliegen: Klaus ROB (Bearb.), Regierungsakten des Königreichs Westphalen 1807-1813, München 1992; DERS., Regierungsakten des Großher- zogtums Berg; DERS. (Bearb.), Regierungsakten des Primatialstaates und des Großherzog- tums Frankfurt 1806-1813, München 1995; Maria SCHIMKE (Bearb.), Regierungsakten des Kurfürstentums und Königreichs Bayern 1799-1815, München 1996; Uta ZIEGLER (Be- arb.), Regierungsakten des Herzogtums Nassau 1803-1814, München 2001; DIES. (Bearb.), Regierungsakten des Großherzogtums Hessen-Darmstadt 1802-1820, München 2002; Ina Ulrike PAUL (Bearb.), Württemberg 1797-1816/19. Quellen und Studien zur Entstehung des modernen württembergischen Staates, München 2005. Daneben liegen mehrere Unter- suchungen über die linksrheinischen Gebiete vor. Vgl. Michael ROWE, From Reich to Sta- te. The Rhineland in the Revolutionary Age 1780-1830, Cambridge 2003; Josef SMETS, Les pays rhenans (1794-1814). Le comportement des Rhinans face ä l'occupation fran^aise, Bern u.a. 1997; Calixte HUDEMANN-SIMON, L'ßtat et la sant6. La politique de santi pu- blique ou »police medicale« dans les quatre d6partements rhinans 1794-1814, Paris 1995;

Christof DIPPER, Einleitung: Die zwei Gesichter der napoleonischen Herrschaft, in: DERS.

u. a. (Hg.), Napoleonische Herrschaft in Deutschland und Italien - Verwaltung und Justiz, Berlin 1995, S. 11-25; Sabine GRAUMANN, Französische Verwaltung am Niederrhein. Das Roerdepartement 1798-1814, Essen 1990; Jürgen MÜLLER, Von der alten Stadt zur neuen

(11)

n e u e r d i n g s w i e d e r A s p e k t e ins B l i c k f e l d , die m a n l a n g e Z e i t als b e a n t w o r t e t g l a u b t e . D a s gilt i n s b e s o n d e r e für die B e r e i c h e V e r f a s s u n g u n d Militär2 2.

D i e U n t e r s u c h u n g k n ü p f t n e b e n d e n A r b e i t e n der j ü n g e r e n R h e i n b u n d f o r - s c h u n g a n n e u e r e französisch- u n d e n g l i s c h s p r a c h i g e W e r k e z u K o n s u l a t u n d Kaiserreich selbst a n2 3. A u f der e i n e n S e i t e si n d in d e n l e t z t e n J a h r e n ver- m e h r t S t u d i e n e n t s t a n d e n , die sich mit sozial- u n d kulturgeschichtlichen Fra- g e n b e s c h ä f t i g e n . A n v o r d e r s t e r S t e l l e sind hier A r b e i t e n z u m Militär- u n d z u m B a n d e n w e s e n z u n e n n e n - P r o b l e m e , w e l c h e die n a p o l e o n i s c h e Herr- schaft g e r a d e a m E n d e stark b e l a s t e t e n u n d R e g i e r u n g u n d V e r w a l t u n g v o r e i n e g r o ß e H e r a u s f o r d e r u n g s t e l l t e n2 4. A u f der a n d e r e n S e i t e w e n d e n sich g e r a d e f r a n z ö s i s c h e H i s t o r i k e r seit einiger Z e i t v e r m e h r t d e r R e g i o n a l - u n d L o k a l g e s c h i c h t e in n a p o l e o n i s c h e r Z e i t zu, u n d i n z w i s c h e n ist e i n e R e i h e v o n

Munizipalität. Die Auswirkungen der Französischen Revolution in den linksrheinischen Städten Speyer und Koblenz, Koblenz 1990.

2 2 Vgl. Michael HECKER, Napoleonischer Konstitutionalismus in Deutschland, Berlin 2005; Stefan BRAKENSIEK, Die Reichsstände des Königreichs Westphalen, in: Westfälische Forschungen 5 3 ( 2 0 0 3 ) S. 2 1 5 - 2 4 0 ; ferner Martin KIRSCH, Die Entwicklung des Konstitu- tionalismus im Vergleich. Französische Vorbilder und europäische Strukturen in der er- sten Hälfte des 1 9 . Jahrhunderts, in: DERS., Pierangelo SCHIERA (Hg.), Denken und Umset- zung des Konstitutionalismus in Deutschland und anderen europäischen Ländern in der ersten Hälfte des 1 9 . Jahrhunderts, Berlin 1 9 9 9 , S. 1 4 7 - 1 7 3 ; OWZAR, Deutungen der napo- leonischen Verfassungspolitik; sowie Ute PLANERT, Der Mythos vom Befreiungskrieg.

Frankreichs Kriege und der deutsche Süden. Alltag - Wahrnehmung - Deutung 1792-1841, P a d e r b o r n 2 0 0 7 .

2 3 Zu neuen Ansätzen und Schwerpunkten in der französischen Napoleon-Forschung siehe u.a. folgende Sammelbände: Annie CR£PIN u.a (Hg.), Civils, citoyens-soldats et mili- taires dans l'ötat-nation (1789-1815). Kolloquium Arras 7-/8. November 2003, Paris 2006;

Thierry LENTZ (Hg.), Napoleon et l'Europe. Regards sur une politique. Kolloquium »Re- gards sur la politique e u r o p i e n n e de Napolion«, 18./19. November 2004, Paris 2005; Nata- lie PETITEAU (Hg.), Voies nouvelles pour l'histoire du Premier Empire. Territoires. Pou- voirs. Identitös. Kolloquium Avignon, 9./10. Mai 2000, Paris 2003; Jean-Climent MARTCN (Hg.), Napoleon et l'Europe; Kolloquium Roche-sur-Yon, 8./9. Juni 2001, Rennes 2002.

2 4 Siehe Alain PIGEARD, La conscription au temps de Napoleon, 1798-1814, Paris 2003;

Louis BERGAS, La societd civile contre le recrutement ä l'6poque de la conscription mili- taire (1798-1814). Le cas des departements aquitains, Paris 2002; Bruno CIOTTI, Du volon- taire au conscrit. Les levies militaires dans le departement du Puy-de-Döme sous la Revo- lution (1791-An VII). Recrutement et population, Clermont-Ferrand 2001; Francois DE LANNOY, Prefets et conscription dans la Manche sous le Consulat et l'Empire (1800-1814), in: Annales de Normandie 50 (2000) 4, S. 511-522; Annie CR£PIN, Defendre la France. Les F r a n c i s , la guerre et le service militaire de la guerre de Sept Ans ä Verdun, Rennes 2005;

DIES., Recherches sur l'esprit public et les levies d'hommes sous la Rivolution et l'Empire ä travers l'exemple de la Seine-et-Marne, Paris 1990; vgl. ferner folgende Arbeiten aus der angelsächsischen Geschichtsschreibung: Alan FORREST, Deserteurs et insoumis sous la Rivolution et l'Empire, Paris 1988; Isser WOLOCH, The New Regime. Transformations of the French Civic Order, 1789-1820s, New York 1994; Alexander GRAB, Army, State and Society:

Conscription and Desertion in Napoleonic Italy (1802-1814), in: The Journal of Modern History 67 (1995) 1, S. 25-54; DERS., State, Power, Brigandage and Rural Resistance in Napoleonic Italy, in: European History Quarterly 25 (1995) 1, S. 39-70; Geoffrey ELLIS, The Napoleonic Empire, Hampshire, New York 22003, S. 58f.

(12)

12 Einleitung

Departements und Kommunen des Kaiserreichs genauer erforscht25. Diese regional- und lokalgeschichtlichen Studien sind deshalb bemerkenswert, weil sie dokumentieren, wie groß das Gewicht regionaler Eigenheiten mitunter war. Darüber hinaus werfen sie - und darin liegt ihre besondere Bedeutung - Licht auf den Charakter und die Funktionsweise der napoleonischen Herr- schaft in Frankreich insgesamt. Sie geben Aufschluß über die Wirklichkeit vor Ort und damit auch über Chancen und Grenzen der Zentralisierungspolitik außerhalb von Paris26.

Mit den vorangegangenen Ausführungen sind Grundlagen und Rahmen der Arbeit beschrieben, in deren Mittelpunkt drei Leitfragen gestellt werden.

Erstens ist zu ermitteln, aus welchen Motiven Berg gegründet wurde, wel- che Aufgaben der neue Staat zu erfüllen hatte und wie sich diese im Verlauf der französischen Herrschaft weiterentwickelten. In diesem Zusammenhang ist auch die Frage nach möglichen Modellstaatsabsichten zu untersuchen. Es gilt zu klären, ob Napoleon in Berg überhaupt konzeptionelle Absichten ver- folgte, wie sie durch den Modellbegriff suggeriert werden, oder ob er seine Entscheidungen, wie von einigen Historikern vermutet, nicht vielmehr in er- ster Linie von machtpolitischen Erwägungen abhängig machte und stark am Tagesgeschehen ausrichtete27. Ebenfalls ist zu klären, ob sich die Kurzlebig- keit der Staatsschöpfung, der zunehmende Ausbeutungscharakter der napo- leonischen Herrschaft sowie die damit verbundenen Vertrauens- und Akzep- tanzverluste in der Bevölkerung mit möglichen Modellstaatsgedanken auf französischer Seite vereinbaren ließen. Es ist also zu prüfen, wie sich französi- sche Herrschafts- und Reformpolitik zueinander verhielten. Der Begriff des Modellstaats bezeichnet in diesem Zusammenhang einen Staat, der durch die Übernahme eines fremden Modells zugleich selbst als Vorlage und Muster dienen sollte. Gemeint ist also die Abbildung zu Lehrzwecken.

Zweitens geht es um die eigentliche Reformpolitik bzw. um die Frage nach der Durchsetzung moderner Staatlichkeit. Die Reformpolitik wird in zwei Be-

2 5 Siehe u.a.: Gavin DALY, Inside Napoleonic France. State and society in R o u e n , 1800-1815, Aldershot u.a. 2001; R e n a u d CARRIER, Le D i p a r t e m e n t de l'Aveyron sous le Consulat et PEmpire (1800-1813). Contribution ä l'histoire de l'administration p r i f e c t o - rale, Toulouse 1993; Pascal CHAMBON, DU Consulat ä la seconde restauration. L'exeraple d ' u n e soci£t6 provinciale entre guerre et paix, le d6partement de la Loire, S a i n t - i t i e n n e 1999; Thierry LENTZ, Denis IMHOFF, La Moselle et Napoleon: 6tude d ' u n döpartement sous le Consulat et PEmpire, Metz 1986; Franck BOUSCAU, L'ceuvre des P r i f e t s de la Creuse ä l ' i p o q u e napolöonienne, in: Revue de l'lnstitut Napol6on 141 (1983) S. 11-24; Jocelyne BLANC-RONOT, Administration municipale ä Aix-en-Provence sous le Consulat et PEmpire 1799-1814, Diss. Aix-en-Provence o . D .

2 6 Eine Zusammenschau der Entwicklungslinien in der Geschichtsschreibung über Napo- leon bietet Daniel SCHÖNPFLUG, Georges Lefebvres »Napoleon« im Kontext der neueren Forschung, in: Georges LEFEBVRE, Napoleon, hg. von Peter SCHÖTTLER. Mit einem Nach- wort von Daniel Schönpflug, Stuttgart 2003, S. 579-592.

2 7 Angefochten wird das Modellstaatsparadigma etwa von Ilja MIECK, Νβροΐέοη et les τέ- formes en Allemagne, in: Francia 15 (1987) S.473-491, hier S.477.

(13)

reichen in den Blick genommen, die für die französische Herrschaft von zen- traler Bedeutung waren: die Verfassung und die Verwaltung. Es gilt zu fragen, welche Interessen, Vorstellungen, Ziele und Pläne die Regierung in diesen Feldern verfolgte und wodurch bzw. durch wen diese vorgegeben oder beein- flußt wurden. Gleichzeitig ist zu untersuchen, in welcher Form sich diese Ab- sichten gesetzlich niederschlugen. Zu diesem Zweck werden staatliche Initia- tiven, Maßnahmen und Regelungen näher betrachtet. Wenn hier von »Staat«

die Rede ist, dann ist damit kein monolithischer Block gemeint. Vielmehr werden darunter all jene Kräfte verstanden, die an der Exekutive beteiligt wa- ren. Ihre Ideen und Positionen sind ebenso zu analysieren wie die jeweilige Rolle, die sie im Gesetzgebungsverfahren spielten. Zu untersuchen ist des weiteren, ob es für die Bevölkerung möglich war, auf das Gesetzgebungsver- fahren Einfluß zu nehmen. Darüber hinaus sollen die gesetzlichen Reform- aktivitäten der Regierung hinsichtlich ihrer Fortschrittlichkeit bzw. ihres Mo- dernitätsgrads untersucht werden. Um Aufschluß hierüber zu erhalten, werden die Entwicklungen nicht aus der Retrospektive oder vor dem Hintergrund des Zusammenbruchs und der Kurzlebigkeit des Großherzogtums beurteilt, son- dern an den Zuständen in vorfranzösischer Zeit gemessen. Kontinuitäten, Neu- orientierungen und Brüche lassen sich auf diese Weise ebenso erkennen wie mögliches Entwicklungspotential.

Neben Planung und Gesetzgebung wird der Blick auch auf die unteren Handlungsebenen gelenkt. Hierbei soll vor allem geprüft werden, inwieweit die obrigkeitlichen Regelungen umgesetzt wurden. In diesem Rahmen stehen auch gängige Thesen zur Diskussion, wie etwa die Behauptung, die französi- sche Herrschaft habe im konstitutionellen Bereich nur eine Fassade errichtet, wofür in der Geschichtswissenschaft der Bundesrepublik der Begriff »Schein- konstitutionalismus« geprägt wurde28. Bei der Untersuchung dieser Aspekte ist zu klären, welche staatlichen und gesellschaftlichen Kräfte an der Umset- zung beteiligt waren. Es sind die unterschiedlichen Funktionen und Aufgaben zu differenzieren, die die Handlungsträger im einzelnen erfüllten. Insbesonde- re ist zu prüfen, ob die Untertanen nur als Zuschauer und Betroffene oder auch handelnd und gestaltend in Erscheinung traten. Das lenkt den Blick auf die Frage der Interessenvertretung und vor allem auf nichtinstitutionalisierte Teilhabeformen, die in der historischen Forschung bisher kaum Berücksichti- gung gefunden haben. Die Beantwortung all dieser Fragen bietet Aufschlüsse über Macht- und Kräfteverhältnisse im Staatsapparat, Wechselwirkungen zwi- schen Staat und Gesellschaft und die Herrschaftsausübung im Großherzog- tum Berg generell.

Die Analyse der Reformdurchsetzung richtet sich außerdem auf strukturel- le Entwicklungsprozesse. Zu diesem Zweck werden vor allem, wenn auch nicht ausschließlich, Problem- und Konfliktlagen näher beleuchtet. Das hängt

2 8 Der Begriff stammt von Ernst Rudolf HUBER, Deutsche Verfassungsgeschichte seit 1789, B d . l : Reform und Restauration 1789-1830, Stuttgart u.a. 21975, S.88.

(14)

14 Einleitung

zunächst mit quellentechnischen Zwängen zusammen. Faktisch sind meist nur solche Fälle aktenkundig geworden und damit archivalisch faßbar, in denen jemand auffällig oder kriminell wurde. Wenn sich keine Probleme ergaben, schlug sich dies in den Quellen kaum nieder. Die in den amtlichen Berichten der Unterbehörden diesbezüglich gemachten Aussagen waren überdies sehr allgemein gehalten und stark formalisiert bzw. standardisiert. Problem- und Konfliktlagen werden auch deshalb in den Mittelpunkt der Analyse gerückt, weil sie mehrere Erkenntnismöglichkeiten bieten. Zum einen lassen sich hier- über Erwartungen, Wertvorstellungen sowie Denk- und Verhaltensmuster der Bevölkerung entschlüsseln. Zum anderen fällt dadurch Licht auf die Akzep- tanz der französischen Herrschaft unter den Einwohnern, die Reichweite und Handlungsmöglichkeiten des Staates sowie letztlich den Charakter der fran- zösischen Herrschaft selbst. »Au total«, schrieb unlängst die französische Hi- storikerin Natalie Petiteau, »relire l'Empire au prisme du conflit permet de penetrer des realites politiques, sociales et culturelles«29.

Die Untersuchung von Problem- und Konfliktlagen erfolgt im zeitlichen Längsschnitt. Es wird danach gefragt, welche Schwierigkeiten auftraten, wo- mit diese im einzelnen zu erklären sind und wer dafür verantwortlich war.

Außerdem soll erörtert werden, wie der Staat auf die Probleme reagierte und insbesondere, wie er sie bewältigte. Hierbei geht es auch um Folgen und Er- gebnisse der französischen Reformpolitik sowie um die Frage, ob es zu un- beabsichtigten Auswirkungen oder gegenläufigen Entwicklungen kam. Im Bereich der Mittel- und Lokalverwaltung kann die Wirkungsanalyse nur exemplarisch geschehen. Ein gutes Beispiel, um die verschiedenen Facetten, Phasen, Probleme und Ergebnisse der Reformumsetzung zu beleuchten und die Rolle der einzelnen Akteure zu bestimmen, bietet die Kommunalreform.

Sie wurde deshalb für die vorliegende Fragestellung als Untersuchungsgegen- stand ausgewählt.

Die Geschichte des Großherzogtums Berg vollzog sich in Abhängigkeit von und stand in Wechselwirkung mit dem napoleonischen Herrschaftssystem.

Deshalb kann das Großherzogtum Berg nicht isoliert betrachtet werden, son- dern muß drittens in die allgemeinen politischen, wirtschaftlichen und sozialen Rahmenbedingungen und Entwicklungen der französischen Hegemonie in Europa eingebettet werden. Auf diese Weise soll die Studie auch einen Beitrag zur regionalgeschichtlichen Erforschung der napoleonischen Zeit leisten.

In Anlehnung an die aufgeworfenen Fragen und Untersuchungsaspekte gliedert sich die Arbeit in vier Abschnitte. Im ersten Kapitel der Darstellung werden Gründung und territoriale Entwicklung des Großherzogtums sowie die Funktionen und Aufgaben nachgezeichnet, die der neue Staat innerhalb des napoleonischen Herrschaftssystems zu erfüllen hatte. Dabei geht es im Rahmen der territorialen Entwicklung darum, über den eigentlichen Flächen-

2 9 Natalie PETITEAU, Introduction, in: DIES., Conflits, S.7-11, Zitat S. 10.

(15)

ausbau hinaus die einzelnen Gebietserweiterungen in die territorialen Um- schichtungsprozesse des 18. und frühen 19. Jahrhunderts einzuordnen und vor diesem Hintergrund zu beurteilen, wie tiefgreifend die Eingliederung in das Großherzogtum in den einzelnen Gebieten tatsächlich war. Das zweite Kapi- tel beschäftigt sich mit der Ausgangslage in den einzelnen Landesteilen, weil die Kenntnis der Voraussetzungen, auf welche die französische Herrschaft in den verschiedenen Landesteilen stieß, für die Analyse und Beurteilung der französischen Reformpolitik als grundlegend zu bezeichnen ist. Die Darstel- lung der Rahmenbedingungen erfolgt systematisch für die Bereiche Verfas- sung, Verwaltung sowie Wirtschaft und Gesellschaft. Hierbei wird mitunter bis weit in das 18. Jahrhundert zurückgegriffen, um eine präzise Folie für die anschließende Untersuchung der französischen Reformpolitik zu erhalten.

Auf der Grundlage der Rahmenbedingungen und Voraussetzungen wird in den beiden Folgeabschnitten die französische Reformpolitik in den Bereichen Verwaltung und Verfassung untersucht. Hierbei wird mit der Darstellung der Verwaltungsreformen begonnen, weil diese zuerst erfolgten und zudem wich- tigstes Herrschaftsinstrument der französischen Herrschaft waren. Zunächst geht es um die Frage nach der Planung und Normierung, der auf den unter- schiedlichen Ebenen der Verwaltung jeweils getrennt nachgegangen wird.

Den Anfang machen die Regierungsbehörden. Darauf folgt die Mittelverwal- tung. Abschließend werden die Lokalbehörden in den Blick genommen. Das Bild wird durch die Untersuchung der Reformdurchsetzung in den einzelnen Bereichen vervollständigt, wobei diese Frage für die Mittel- und Lokalverwal- tung beispielhaft anhand der Kommunalreform erfolgt, deren Einführung, Aufbau und Konsolidierung chronologisch und systematisch nachgezeichnet werden.

An die Untersuchung der Verwaltungsreformen knüpft sich im vierten Kapitel die Analyse der Verfassungspolitik an. Einleitend geht es um die Ver- fassungsfrage, und es werden die Bemühungen der Regierung um eine geschriebene Konstitution rekonstruiert. Ausgehend von einem erweiterten Verfassungsbegriff, dem zugrunde liegt, daß »Verfassung« nicht unbedingt eine geschriebene Urkunde sein muß, sondern darunter auch Einzelgesetze verstanden werden können30, und der die Gegenüberstellung von Verfas- sungsnorm und Verfassungswirklichkeit gleichermaßen einbezieht, richtet sich die Untersuchung anschließend auf die Verfassungsentwicklung des Großher- zogtums in den Kernbreichen gesamtstaatliche Repräsentation, Justiz sowie Wirtschaft und Gesellschaft. Dies geschieht sowohl systematisch als auch chronologisch. Den Anfang macht jeweils ein Abschnitt, in dem Zielsetzun- gen, Planungen und Maßnahmen des Staates untersucht werden, welche die

30 Armin OWZAR, Wider den »patriarchalischen Schlendrian«. Napoleonische Verfas- sungspolitik in Westfalen, in: Gisela WEISS, Gerd DETHLEFS (Hg.), Zerbrochen sind die Fesseln des Schlendrians. Westfalens Aufbruch in die Moderne, Münster 2002, S. 298-313, hier S. 303.

(16)

16 Einleitung

konstitutionelle Entwicklung prägten. Auf Grundlage dieser Ergebnisse wird anschließend die Verfassungswirklichkeit in den Blick genommen und geprüft, inwieweit die Verfassungsverhältnisse den Ansprüchen moderner Rechts- staatlichkeit standhielten. Dazu wird jeweils ein für diese Fragestellung zen- traler Gesichtspunkt näher erörtert. Im Rahmen der gesamtstaatlichen Re- präsentation steht die Frage nach politischer Partizipation im Mittelpunkt. Bei der Darstellung der Justizreformen wird die Unabhängigkeit der Rechtspre- chung geprüft, und im Bereich von Wirtschaft und Gesellschaft werden die Verbindlichkeit der Gesetze und die Stabilität der Rechtsordnung auf die Pro- be gestellt. In den Schlußbetrachtungen werden die Befunde der Untersu- chung resümiert und hieraus Konsequenzen für das Modellstaatsparadigma sowie für den Beitrag der französischen Herrschaft zur Staatsbildung im Groß- herzogtum Berg gezogen.

Die Studie stützt sich auf umfangreiches ungedrucktes Quellenmaterial aus deutschen und französischen Archiven. Eine wesentliche Grundlage stellen die ungedruckten Aktenbestände dar, die im Hauptstaatsarchiv Düsseldorf la- gern, allen voran die des Innenministeriums und der Präfekturbehörden. Bei der Analyse der Kommunalreform fanden darüber hinaus zahlreiche Unterla- gen der Lokalbehörden Berücksichtigung. Abgesehen davon wurden für das Großherzogtum Berg einschlägige Akten im Hauptstaatsarchiv Wiesbaden und im Staatsarchiv Münster hinzugezogen. Neben den Quellenbeständen aus deutschen Archiven und komplementär dazu wurden die öffentlichen und pri- vaten Aktenbestände der Archives nationales in Paris ausgewertet. Zusätzlich wurden die in den Pariser Archives du ministere des Affaires etrangeres für das Großherzogtum Berg aufbewahrten Bestände herangezogen. Dank der Arbeit der französischen Archivarin Jeannine Charon-Bordas konnte darüber hinaus ein Quellenbestand ermittelt und ausgewertet werden, dem die histori- sche Forschung bis heute erstaunlicherweise keine Aufmerksamkeit geschenkt hat. Dieser ist hingegen für die Geschichte des Großherzogtums unersetzlich, weil darin wichtige und zum Teil verloren geglaubte Zeugnisse für die beiden ersten Jahre der französischen Herrschaft enthalten sind, d. h. für die Zeit, in welcher Joachim Murat als Staatsoberhaupt regierte. Gemeint sind die Privat- papiere des Grafen von Mosbourg, der in Düsseldorf von 1806 bis 1808 das Amt des Finanzministers bekleidete. Die Akten lagern in den Archives depar- tementales de la Dröme in Valence. Daß der Fonds Mosbourg von Histori- kern bislang nicht ausgewertet wurde, ist wohl auch ein Grund dafür, daß die Herrschaftszeit Murats in der Geschichtsschreibung gegenüber der Regent- schaft Napoleons immer noch zu kurz kommt und für Historiker die eigent- liche Geschichte des Großherzogtums zumeist erst im Jahre 1808 beginnt.

Neben dem ungedruckten Archivmaterial stützt sich die Darstellung auf ge- druckte Quellen. Hierzu zählen vor allem die Akten der Präfekturen, amtli- che Gesetzessammlungen, die Großherzoglich-Bergischen Wöchentlichen Nachrichten sowie zeitgenössische Schriften.

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Klasse des Verdienstordens der Bundesre- publik Deutschland, ehemaliger Präsident der Deutschen Gesellschaft für Perinatale Medizin und der Deutschen Gesellschaft für Gynäkolo-

Aktive Tennisspieler, die noch auf der Suche nach einer Mann- schaft sind, melden sich bitte beim Sportwart Georg Verhoe- ven unter der Telefonnummer 02825/ 10 484 oder per E-Mail

Landesmuseum veranstaltete Tagung will zu einer Vernetzung all derjenigen Wissenschaftler/innen beitragen, die an Forschungsprojekten zum Königreich Westphalen oder Großherzogtum

Ulrike Guérot | Lissabon, Georgien, Finanzen: Gleich drei Krisen boten Nicolas Sarkozy die Gelegenheit, einen imperialen EU-Führungsstil zu entwickeln.. Kein leichtes Erbe

Noch im selbenjahr (1901) inskribi- erte sie ander Universität Wien (was für Frauen gerade erst zwei Jahre vorher legalisiert worden war) Ma- thematik, Physik und Philosophie,

und erklärte mir, daß diese Gestalt beeinflußt wurde sowohl von seiner Person als auch von der seines Modells (vermutlich weiblich).. OK, in Zukunft werde mich raushal- ten, wenn es

Die Beobachtungen werden von Herrn Pfarrer Bührer gemacht, welcher schon längere Zeit die Aufzeichnungen an der allgemeinen meteoro- logischen Station

Auch für weitere Menschen, die die Kinder und ihre Familien in der Klinik begleitet haben, ist der Gottesdienst eine Möglichkeit des Ge- denkens und der Trauer – beispielsweise