Friedrich Rückerts Amrilkais-Übersetzung.
Von Friedrich Rosen.
Der außerordentlich umfangreiche literarische Nachlaß Fried-
richRückerts beginnt erst jetzt, über ein halbes Jahrhundert
nach dem Tode des großen Gelehrten und Dichters, wieder ans
Tageslicht zu kommen. Herman Kreyenborg in Münster
hat sich das Verdienst erworben, sich dieser großen Aufgabe
zu widmen. Eine äußerst dankenswerte Unterstützung hat er
dabei durch den Verleger Herrn Heinz Lafaire, Orient-
Buchhandlung in Hannover, erfahren, der keine Mühe und
keine Kosten gescheut hat, diesen Neuausgaben eine in jeder
Weise würdige Gestaltung zu geben. Nachdem im vorigen
Jahr die Rückertsche metrische Wiedergabe des Atharwaweda,
der ältesten indischen Sammlung von Zaubersprüchen, heraus¬
gekommen ist, erschien dieses Jahr (1924) Rückerts Verdeut¬
schung der Lieder des altarabischen Dichters Amrilkais
(Imru'ulqais). Dr. Kreyenborg hat nämlich das Handexemplar
des Dichters aufgefunden, das sich als eine von Rückert selbst
vollständig vorbereitete, erweiterte zweite Auflage dieses Uber¬
setzungswerkes erwies.
Der Wert einer Neuausgabe derRückertselien Übersetzungen
dieser altarabischen Wüstenpoesie wird naturgemäß mehr auf
literarischem und kulturhistorischem Gebiete zu suchen sein als
auf dem philologischen. Wir werden zurückversetzt in die Zeit,
die der großen Erhebimg .Vrabiens unter dem Islam unmittel¬
bar vorangeht. Von der großen Ländermasse der Arabischen
Halbinsel waren damals nur im Nordwesten Syrien und im
Norden Mesopotamien der außerarabischen Kultur zugänglich,
nnd auch politisch waren die kleineren und größeren Stämmo
und Herrscher des Landes von den benachbarten Großmächten,
dera byzantinischen und dem persischen Reiehe mehr oder
weniger abhängig.
Friedr. Rosen, Friedrich Rückerts Amrilkais-Übersetzung. 103
Wer hätte damals ahnen können, daß dieses zerrissene,
über die Arabische Halbinsel verstreute und durch weite Wüsten
getrennte Volk wenige Jahrzehnte danach, durch eine große
rtsligiösc Bewegung, den Islam, geeinigt, sich selbst zu einer
Weltmacht erhoben und schon in den ersten Jahrzehnten seines
IJestehens das persische Weltreich niedergeworfen und erobert
und mit der Zeit auch dem oströmischen Reiche das Ende be¬
reitet haben würde!
Wir sehen an dem Beispiel des Amrilkais und seiner Familie,
wie die unaufhörlichen Stammesfehden jener Zeit damit endeten,
daß sich einzelne Fürsten nm den Schutz des Sasanidenherrschers
oder des oströmischen Kaisers bewarben. So hatte Hareth,
König von Kinda, nach der Mitteilung von Abulfeda „seine an¬
gestammte Herrschaft dadurch erweitert, daß er vom Perser¬
könig Kobad die neue Glaubenslehre der Sendik oder des
Mazdek aniialnn." Kobad vertrieb don König von Hira, der
dieso Lohre zurückwies, und setzte Hareth an seine Stelle ein.
Als dann abor nach Kobads Tode dessen Sohn, dor berühmte
Nuschirwan, den alten Glauben wiederh(^rstellte und don Maz-
deismus ausrottete, wurdo der alte König von Hira wieder ein¬
gesetzt und besiegte nun den des Schutzes beraubten Hareth,
der auf der Plucht seiu Ende fand. Sein Sohn Hodschr, dor
Vater dos Amrilkais, setzte den Kampf anfangs orfolgroich fort,
bis er bei oinem plötzlichen Uberfall erschlagen wurdo. Amril¬
kais hatte schon vor seines Vaters Todo ein Wander- und Aben¬
teuerleben geführt, war flüchtig von Stamm zu Stamm goiirt,
ohne irgendwo festen Wohnsitz zn fassen, bis (u- endlich bei
dem Judenfürsten Samael Ben Adija von Teima oin Asyl fand.
Diesem übergab Amrilkais seine kostbare Habe, bestehend aus
einer Anzahl Panzern — os wird hierbei wohl an goldverzierte
Panzer aus damasziertem Stahl oder Panzerhemden aus gold-
durchwobenem Stahldraht, wie sie damals in Persien ange¬
fertigt wurden, gedacht soin - und machte sich auf, die ünter¬
stützung und Hilfe des griechischen Kaisers in Konstantinopel
zu suchen, nachdem ihm ja die Gunst des Perserkönigs ver¬
sagt war.
Wir sehen aus den Gesängen auch, welche geringe Rolle
bei den vorislamischen Arabern das religiöse Bekenntnis spielt.
104 Friedl'. Rosen, Friedrich Rückerts Amrilkais-Übersetzung.
Christen, Juden, Zoroastrier und Mazdakiten sind jenen Wüsten¬
bewohnern recht, wenn sie ihnen zur Festigung ihrer Stellung
oder zur Ausübung der Blutrache behilflich sein können. Ein
Teil der Stammesgenossen des Amrilkais war sogar christlich.
So spielt denn die Politik und der auswärtige Einfluß in dieser
letzten Zeit vor dem Islam eine immer stärkere Rolle unter
den Arabern nnd übt auch auf die arabische Poesie ihren Ein¬
fluß aus.
Amrilkais ist der Typus des Helden und Dichters, wie ihn
jene Zeit mehrfach hervorgebracht hat. Durch widriges Ge¬
schick der Macht beraubt, von seinem eigenen Vater vertrieben
und verstoßen, zieht er planlos von Stamm zu Stamm und sucht
vergeblich, einen Heerhaufen von Anhängern um sich zu sammeln,
bis ihn die Nachricht vom Tode seines Vaters trifft. Jetzt ist
ihm durch das arabische Gewohnheitsrecht seine Aufgabe vor¬
geschrieben; er muß die Pflicht auf sich nehmen, den Tod
seines Vaters an dessen Mördern zu rächen, während seine
Brüder sich weichlicher Trauer hingeben. Zuletzt sucht er seine
Zuflucht bei dem oströmischen Kaiser Justinian*), der ihn im
Jahre 530 angeblich nach Byzanz berief, um ihn gegen seinen
Gegner, den persischen Vasallenkönig von Hira, auszunutzen.
Die Sage hat seinen Aufenthalt in Byzanz durch ein Liebes¬
abenteuer mit einer kaiserlichen Prinzessin ausgeschmückt.
Nach derselben Sage soll er dann auf Befehl des Kaisers ver¬
giftet worden .sein. Wahrscheinlich ist er aber auf dem Rück¬
wege in Kleinasien eines natürlichen Todes gestorben.
Als Diehter steht er in der Beurteilung seiner Landsleute
mit an erster Stelle, weini auch seine oft allzu derbe und deut¬
liche Ausdrueksweise bei der Schilderuug seiner Liebesregungen
und Abenteuer selbst den Arabern Anstoß gab. So nennt ihn
der Prophet Muhamnied don „Anführer der Dichter auf dem
Wege zur Hölle''. Etwas zu krasse Stellen hat Rückert in
soinor Übersetzung mit berechtigter Rücksicht auf den Ge¬
schmack unserer Zeit fortgelassen.
Leider hat sich Rückert bei der Biographie des Dichters
auf einen ganz kurzen .Vuszug aus Abulfeda beschränkt, der
1) Vgl. Broekelmann, tiesch. der arab. Literatur S. Üt! f.
Friedr. Rosen, Friedrich Rückerts AnirilkaiB-Übcrsotzuiig. 105
dann durch npärlichc, für den Biographen wertvolle Stellen in
A-mrilkais' eigenen Liedern ergänzt wird. Auf eine Publikation
aus neuerer Zeit, die auch Brockelmann boi der Abfassung
seiner Gesch. der arab. Lit. nicht vorlag, muß hier noch hin¬
gewiesen werden. Es ist dies Sir Charles Lvall s Ausgabe dei
Divane des 'Äbid ibn el Abrasch und des 'Ämir ibn cl Tufeil.
welehe 1913 erschienen ist. Der erstere dieser beiden Dicbter
war ein Zeitgenosse Hudjrs, des Vaters unseres Helden Am¬
rilkais.
Über den liteiarischen Wert der Kückertscheii Amrilkais-
Obersetzung kann an dieser Stelle nicht gesprochen werdon,
denn seine Einschätzung gehöit dem Gebiete der deutschen,
nicht der arabischen Literatur an. Daß die Gedanken und
Begriffe jener uns fernliegenden Wüstenpoesie mit vollkommener
Treue und mit der äußersten Sprachgewandtheit verdeutscht
wordon sind, braucht kaum ausdrücklich hervorgehoben zu w erden.
ZffitfiChrül d, Jn-ut-oh. MoibctiI. (ic* Kd. ;s (I9ä»e.'))
Gleichklangzauber in Indien und im jüdischen Volksglauben.
Von J. Scheftelowitz.
Bei manehen Völicern lällt sich der Glaube nachweisen, daß
in jedem Uing zugleich auch Wesen und Kraft aller ibm —
wenn aueh nur in einor Silbe — gleichlautenden Wörter
enthalten sind, obgleich sio gewöhnlich etymologisch in gar keine
Beziehung zueinander gebracht werden können. Dor Mensch
vermag doshalb durch seine enge lieziebungsotzung mit einem
bestimmton Ding zugleich auch das, was das dom Namen dieses
Dinges gleichklingende Wort ausdrückt, zur .Ausführung zu
bringen. Diese Art Zauber ist vornehmlich im alten Indien
und im altjüdischen Volksglaubon zu belegen. Hierfür zunächst
einige Beispiele aus Indien: ,,Das Joch (dhar) bist du, beschädige
[dhürva) don, dor uns beschädigt {dhnrvnti) : den beschädige,
(dhürva), don wir beschädigen (dhanKlmah)." Mit diesen Worten
berührt der Opfernde das rechte oder linke Loch des Joches
und glaubt hiordurch seinen Feind schwächen zu können (Taitt. S.
I. I, 11, Äp. Sr. I. 17,6^. .Mso mittels des Gegenstandes dhür
vermag n\aii das. was das ihm gleichklingende Verb dhurv be¬
deutet, zu bewerkstelligen.
Indem der Opfernde don Opforpfoston mit Gerste bestreut,
spricht or: „Gerste (yavd) bist du, scheuche hinweg
[yavtiij(i) von uns die Feinde, scheuche hinweg {i/avo.ya) die
Mißgünstigen.-' Hierdurch vermeint er seine Gegner zu vertreiben
(V. S. 5, 26, 6, 1; Taitt. S. 1, 3,1. 1 ; I, 3, 2, 2; .ip. Sr. 7. 9, 10).
Nach Vollendung eines tierloson Opfers (isti) berührt man
Wasser und spricht: „Rogen M (i'l'sti) bist du, vernichte
') Das VVasser pflegt in Indien oft als Reo;en bezeichnet zu werden.
(Tgl. Sat. Br. VII 2, i, 1).
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