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Zur englischen Übersetzung des Kämasütra.
Von Hermann Oldenberg.
Über die Entstehung der anonym 1883 zu Benares erschienenen
englischen Übersetzung des Kämasütra habe ich auf die Autorität
Bühler's hin in der Deutschen Litt. Z. 1898 Sp. 454, vgl. auch
ZDMG. 54, 612, einige Angaben gemacht, an welche jetzt Herr
Dr. R. Schmidt (Beiträge zur ind. Erotik S. 19 ff.) einen zugleich
auf meine Besprechung seiner Übersetzung eben jenes Werks
(Deutsche Litt. Z. 1898 Sp. 223 f) sich erstreckenden Angriff knüpft.
So weit derselbe mich betrifft, möchte ich mich darüber möglichst
kurz fassen '). Aber Herr Schmidt legt Bühler einen Irrtum zur
Last: da ich es bin, dem der Hingegangene einst durch die be-
1) Herr Schmidt ist ungemein ungehalten über die Weise , wie ich in jener Recension das englische KSmasütra erwähnt hab^. „Warum hat O. nicht erst selbst das Buch eingesehen, bevor er darüber urteilte?" ,,0. hätte zunächst die englische Übersetzung mit dem Sanskritoriginale Wort für Wort vergleichen müssen, ehe er sie loben konnte." Klingt das nicht beinah, als hätte ich, ohne jenes Buch zu kennen , mir den fälschlichen Anschein gegeben es geprüft zu
haben? In der That habe ich wörtlich Folgendes gesagt: „Auch die anonyme englische Übersetzung, die übrigens von Shankar Pandit herrührt, hat Schmidt
— leider muss ich freilich hinzufügen, auch mir — nicht vorgelegen. Der Name des Übersetzers lässt vermuten, dass sie ihn vor manchem Missgriff be¬
wahrt hätte." Offenbar liegt es ausserhalb des Gesichtskreises von Herm Schm., dass es zwei verschiedene Dinge sind, ob man ein Buch lobt oder ob man, ira Hinblick auf seinen achtungswerten Verfasser, die Vermutung äussert, dass es ein gewisses Lob verdiene. Und zu der Vermutung, dass Herr Schm.
von einem Mann wie Shankar Pandit etwas hätte lernen können — will er zu dieser Vermutung mir etwa das Recht bestreiten?
In Bezug auf Sh. P. hatte ich mich nun freilich geirrt. Bühlor überzeugte mich davon , dass jene Übersetzung dem Wesen der Sache nach (der Sinu dieser Restriction ergiebt sich aus dem im Text Gesagten) vielmehr auf Bhag- vanlSl zurückgeht. Ich berichtigte alsbald an der oben angegebenen Stelle meinen Irrtum. Leider habe ich es auch damit Herrn Schm. sehr wenig recht gemacht. Denn — ich habe es bei dieser Gelegenheit versäumt „wenigstens den Vorwurf zurückzunehmen, den er [d. h. ich] auf Grund seines Irrtums dem kritisierten homo novus gemacht hat!" Mit andern Worten: Herr Schmidt be¬
ansprucht, dass ich in dem Augenblick, wo statt Shankar Pandit auf dem Schau¬
platz Bhagvänläl erscheint, mich hätte beeilen mUssen zu erklären, dass nun¬
mehr der Gedanke, jenes Buch sei für Berrn Schmidt vielleicht nicht überflüssig gewesen, ausgeschlossen ist!
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Oldenberg, Zur englischen Übersetzung des Kämasütra. 127
treffende Mitteilung eine Güte erwiesen hat , würde ich es für
unrecht halten , wollte ich mir erlassen , hierüber Alles zu sagen, was zu sagen ist.
Nach Bühler also hat von dem Sanskrittext des Kämasütra
zunächst Bhagvänläl Indräji eine Gujaräti-Übersetzung angefertigt.
Diese ist dann von einem des Sanskrit unkundigen Native Clerk
ins Englische übertragen, diese englische Version alsdann von dem
Auftraggeber, einem boben Beamten des Civil Service, auf den
sprachlichen Ausdruck hin revidiert und verüffentlicht worden.
Herr Schmidt erklärt nun dies, sofern es sich nicht etwa um
zwei verschiedene Übersetzungen handle — wovon in der That
oflenbar nicht die Rede sein kann —, für irrig. Die Übersetzung
sei unmittelbar aus dem Sanskrit in das Englische niedergeschrieben
worden: das gehe aus Titel und Einleitung luce clarius hervor.
Wirklich? Gewiss steht auf dem Titel , translated from the
Sanscrit", und gewiss sagt die Einleitung: ,a revised copy of the
entire manuscript was prepared , and from this copy the English
translation was made". Aber man braucht wohl nur eines sehr
bescheidenen Maasses von Misstrauen f^hig zu sein, um diese Äusse¬
rungen einer Publikation der , Hindoo Kama Shastra Society", deren Tendenzen mit denen deutscher Wissenschaftlichkeit, gelinde gesagt,
nicht gerade identisch sind, richtig zu taxieren: wir befinden uns
eben in einer Sphäre, in welcher auf die brave Exaktheit und pein¬
liche Vollständigkeit in solchen Angaben, wie sie unsere Philologen
ziert, kaum das rechte Gewicht gelegt sein dürfte. Da also sollen
wir uns darauf verlassen , dass , wenn die Übersetzung aus dem
Sanskrit ins Engliscbe durch ein Mittelstadium des Gujarätl hin¬
durchgegangen wäre, man ganz gewiss für nötig gehalten hätte, uns
das zu erzählen ? ünd auf solche Sicherheit hin sollen wir die
höchst positiven und detaillierten Angaben eines Gewährsmannes
wie Bühler bezweifeln ? Nein, nicht einmal sie bezweifeln, sondern
als jluce clarius" irrig hinstellen? — —
Ich füge hinzu, dass auf meine Bitte die Herren A. Barth,
Dr. J. Burgess und Prof. Kielhorn die Liebenswürdigkeit ge¬
habt haben — für welche ihnen hier mein angelegentlicher Dank
ausgesprochen sei — mir über den in Rede stehenden Punkt mit¬
zuteilen, was sie darüber wissen.
Herr Barth schreibt mir, dass Bühler ihm schon 1893 den¬
selben Sachverhalt, wie später mir, mitgeteilt habe. Einige Details
kommen hinzu : die Behörde wird genannt, bei welcher der in jenem
Zusammenhang erwähnte Native Clerk angestellt war; es ist dann
von zwei Herren die Rede, „die sich die ,Benares Käma Shastra
Society' nannten"; diese haben die Fassung der Übersetzung etwas
geändert und ,die fatalen Zuthaten nachgetragen"'). Wenn hier
1) Die „fatalen Zuthaten" seheinen mir die Preface und Concluding remarks resp. Teile davon zu sein.
128 Oldenherg, Zur englischen Übersetzung des Kämasütra.
zwei — offenbar englische — Herren erscheinen, während zu mir
nur einer erwähnt wurde, stellt dies natürlich keinen wirklichen
Widerspruch dar. Herr Barth sagt femer noch : , Je tiens de Bühler
lui-m6me que la plupart') des travaux de Bhagvänläl ont 6te rediges
par lui en Gujarätl et traduits en Anglais par d'autres, parmi
lesquels il faut compter Bühler'. Die innere Wahrscheinlichkeit,
<3ass die Sache so zugegangen ist, wie Bühler mir schrieb, und dass
Bühler darüber die besten Informationen besessen haben wird, tritt
durch diesen Satz wohl in helles Licht.
Dr. Burgess schreibt über Bhagvanlal: ,1 . . . knew him
well. He was able, I believe, to read and make out the sense of
an English letter or a paragraph, but he never attempted to express
himself in English'. Und weiter: ,1 understood that he was trans¬
lating some work for which he was being paid, and that this
prevented his accompanying me so much as I desired . . . Prom
Bühler I gathered also that he was working on the Kämasütra and
was paid for it. Thus, and probably from his own talk, I had
little or no doubt about his connexion with the translation. But,
unless he employed a student who knew English, to translate for
him, he could not have rendered it into our language. Por such
a man I know he was in search', etc.
Prof Kielhorn schreibt: «Ihre Frage zu beantworten macht
mir keine Mühe. Bühler hat mit mir öfter über die Sache gesprochen,
und es ist gar nicht zu bezweifeln , dass die Ihnen von ihm ge¬
machten Angaben richtig sind. Er war ein Freund Bhagvänläl's
und des „hohen Beamten des Indian Civil Service', den auch ich
— er lebt nicht mehr — gekannt habe«.
Ich denke: sapienti sat.
1) In diesem Ausdruck liegt, wie Herrn Barth's Brief im Ohrigen ergiebt, nicht, dass einige Arbeiten Bh.'s direkt von ihm englisch niedergeschrieben seien, sondem es soll nur nicht ausdrücklich behauptet werden, dass dies aus¬
geschlossen sei.
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Quellen zur indischen Musik.
Dämodara.
Von R. Simon.
Überblicken wir die uns erbaltenen Werke, in denen die indischen
Gelehrten der nachchristlichen Zeit der überlieferten Theorie und
Praxis der Musik litterarischen Ausdruck zu geben versucht haben,
so lassen sich diese Werke zu je drei , zeitlich von einander um
Jahrhunderte getrennten Kreisen vereinigen , deren Mittelpunkte
einerseits das Nätyasästra des Bharata, andererseits der Sanigltarat¬
näkara des Särngadeva bilden. Im Mittelpunkt des dritten uud
jüngsten dieser Kreise steht der Saiiigitadarpana , dessen Verfasser Dämodara ist.
Der näheren Betrachtuug dieses Werkes liegen folgeude Hand¬
schriften zu Grunde, deren Benutzung ich der Liberalität der
Bibliotheken zu Berlin, London und Paris verdanke:
A = 1120 No. 2231 p. 317 des Catalogue of the Sanskrit
manuscripts in the library of the India Office ed. J. Eggeling,
London 1887 If. Aus demselben Katalog ferner:
B = 1121 No. 1709i> p. 318.
HI = 1122 Xo. 2410 p. 318.
H2 = 1123 Xo. 2399 p. 318.
H = Xo. 1384 (Chambers 822) des Verzeichnisses der Sanskrit¬
handschriften der K. Bibliothek zu Berlin von A. Weber. Berliu 1853.
C = D. 281 der Xationalbibliotbek zn Paris.')
Es mag in der Geschichte der neueren indischen Litteratur als
eine immerhin auffallende Tbatsacbe bezeichnet werdeu . dass uns
der Text des Dämodara in dreifacher Form überliefert vorliegt.
Ünd zwar in folgender Weise : A B und C liefern eineu in Sloken
abgefassten Sanskrittext. H eine metrische Hindi-Übersetzung die>e>
1) Sämmtliche 6 Handschriften sind Devanägari-Handschriften nnd in den betreffenden Katalogen beschrieben. C. nach der Unterschrift des Schreibers samvat l'Oi peschrieben und. laut Eintrag, der Bibliothek IStiS von Bäbu Rä,jendral&la Mitra überreicht, enthält li:l Blätter aus Papier 15' j ^ 23 cmi.
von denen die letzten 10 (von Vll. 173 an ziemlich beschädigt .sind.
Bd. LVI.