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Nichtraucherschutzdebatte – eine Parodie des gelebten Föderalismus

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Bayerisches Ärzteblatt 5/2007 243 Europäische Union (EU), Bundes-

gesundheitsministerin und Bun- desverbraucherminister, die Ge- sundheitsminister der Länder, Um- weltexperten, Drogenbeauftragte und Mediziner des Deutschen Krebsforschungszentrums – alle fordern ein Rauchverbot, wenn auch unterschiedlich in der Strin- genz, begleitet von einer ja fast schon blamablen Diskussion über die Zuständigkeit für eine gesetz- liche Maßnahme.

Gesundheitsgefährdung

Blamabel ist das Ganze vor allem deshalb, weil kein gesundheit- liches Ri siko für die Bevölkerung besser belegt ist, als die Ge- sundheitsgefährdung durch Rauchen. Besonders gefordert ist der Gesetzgeber, ist doch gerade die Gesundheitsgefährdung durch Passivrauchen in erschreckendem Ausmaß wissenschaftlich belegt. EU-weit sterben laut Kommissionspapier jährlich 79 000 Menschen, bundesweit 16 000 und bayernweit 450 Menschen an den Folgen des Passivrauchens. Allein im Gaststättengewer- be würden EU-weit 329 Mitarbeiter im Jahr durch Einatmen von Rauch zu Tode kommen, teilt die EU in ihrem am 30. Januar vor- gelegten Strategiepapier mit. Es wird festgestellt, dass die Kon- zentration von lungengängigen Partikeln, die krebserregend sind, wie Benzpyrene, Nitrosamine, Schwermetalle oder Polonium 210 an Orten, an denen geraucht werden darf, zehn bis zwanzig Mal höher sind, als in rauchfreien Lokalitäten. Nach einer Studie des Bayerischen Landesamtes für Gesundheit und Lebensmittel- sicherheit besteht in Diskotheken ein Feinstaubwert von mehr als 1000 Mikrogramm (μg) je Kubikmeter Luft, in Restaurants und Kneipen über 200 μg. Im Freien gilt hierfür ein Grenzwert von 50 μg pro Kubikmeter Luft, ab dem beispielsweise Fahrverbote ausgesprochen werden müssen.

Wir kennen auch die Suchtgefahr, wissen wir doch, was in den Akten aus geheimen Archiven der Tabakindustrie steht. Schon 1963 gab die Tabakindustrie zu, dass sie „ihr Geschäft mit dem Verkauf von Nikotin und damit einer süchtig machenden Droge“

betreibt und sie macht kein Hehl daraus, dass sie das pharmako- logische Potenzial von Zigaretten kunstreich austariert hat, indem sie diese zum Beispiel mit Ammoniak anreichert, um die Konsu- menten süchtig zu machen.

Kompetenzgerangel

All dies ist uns längst bekannt und dennoch dauert es Jahr- zehnte, bis ein Aufschrei durch die Gesellschaft geht. Und noch mal dauert es einige Jahre, bis unter Berücksichtigung von Subsi- diarität, Föderalismus und Landessouveränität die Zuständigkeit für eine Gesetzesinitiative feststeht und gehandelt wird. Dies im Sinne eines durch verbindliche Rechtsvorschriften festgelegtes generelles Rauchverbotes in der Öffentlichkeit, in öffentlichen Gebäuden, in öffentlichen Verkehrsmitteln und insbesondere in Gaststätten – mit Strafbewehrung.

Der europäische Kampf, insbesondere aber der inländische, gegen den blauen Dunst mit dem Kompetenzgerangel um den Nichtraucherschutz begleitet von Egoismen notorisch rauchen- der Bundestags- und Landtagsabgeordneter oder Kabinettsmit- gliedern und dem vehementen Einfluss der Tabaklobby ist ein Paradebeispiel für falsch verstandenen oder negativ gelebten Föderalismus.

Selbstverwaltung

Aber auch wir Ärztinnen und Ärzte erleben dieses Possenspiel in unserer ärztlichen Selbstverwaltung. Gerade im Kammerbereich legen wir großen Wert auf die Autonomie und Souveränität der einzelnen Landesärztekammern und verweisen regelmäßig auf den Charakter einer Dachorganisation, das heißt einer Arbeits- gemeinschaft, bei der Statusbeschreibung der Bundesärztekam- mer. Dies ist auch richtig so und auch wir in der Selbstverwaltung wollen den Föderalismus leben, unter Betonung der Souveränität und Subsidiarität. Hierbei vergessen wir jedoch allzu leicht die Verpflichtung zur gegenseitigen Rücksichtsnahme und Zusam- menarbeit mit den Tugenden der Solidarität und Loyalität bei der Umsetzung mehrheitlich zustande gekommener Beschlüsse und (Ver)Ordnungen.

Gerade im Bereich der Weiterbildung und Fortbildung ist es bla- mabel und entspricht in keiner Weise einem positiv gelebten Fö- deralismus, wenn wir nicht einmal in der Lage sind, Grundstruk- turen einer Muster-Weiterbildungsordnung oder die Umsetzung einer Muster-Fortbildungsordnung, beispielsweise bei der Verga- be von Fortbildungspunkten in Print-Medien, bundeseinheitlich umzusetzen. Auch wir, die Mitglieder der ärztlichen Selbstverwal- tung, stellen uns hierdurch in Frage. Bevor wir mit dem Finger auf die gar so charakterschwachen Politiker zeigen, sollten wir bescheiden in uns gehen und schnellstens dem Föderalismus in der Selbstverwaltung wieder eine Perspektive geben. Denn die Alternative zum Föderalismus ist der Zentralismus und zur Selbstverwaltung die Fremdbestimmung.

Dr. Max Kaplan Vizepräsident der BLÄK

Nichtraucherschutzdebatte – eine Parodie

des gelebten Föderalismus

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