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POLITISCHES DENKEN IN DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT.

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FS III 90-202

POLITISCHES DENKEN IN DER INFORMATIONSGESELLSCHAFT.

Zum Zusammenhang von Fernsehnutzung und Einstellungskonsistenz

Katrin Voltmer

(2)

Sozialer Wandel, Institutionen und Vermittlungsprozesse Abteilung: Institutionen und sozialer Wandel

Reichpietschufer 50 1000 Berlin 30

1990

(3)

The research reported here contradicts common, pessimistic evaluation of the impact of television on political attitudes.

However, it is reasonable to assume that mass media have altered political comprehension fundamentally, not only because of the quantity of information, but also because of the specific kind of

"story telling" through which that information is conveyed.

In this paper we discuss the following question: Does the specific presentation style of television have an impact on the recipient's structure of political thinking? Television news is characterized by an ideological balance and a fragmented, event- oriented mode of presenting political information. To measure the structure of political thinking we employ the concept "political sophistication". Due to the presentation style of television news, it may be difficult for the recipient to recognize the general ideas and conflicts.

The findings of the analysis of survey data contradict these assumptions. Frequent viewing of television news increases the consistency of political thinking. The beneficiaries of television news are especially those individuals who are relatively disadvantaged with respect to participating in the political communication process. This result underscores the contribution of political information provided by television to the rationality of public opinion. Thus, mass media are an important intermediation mechanism between political system and citizens and support the stability of modern democracies.

Zusammenfassung

Die Forschungsergebnisse, über die hier berichtet wird, basieren auf der Analyse einer dreimaligen Wiederholungsbefragung (Panel).

Sie stellen die weit verbreitete pessimistische Einschätzung, daß das Fernsehen einen negativen Einfluß auf das politische Denken der Zuschauer hat, in Frage. Allerdings kann angenommen werden, daß die Massenmedien das Politikbild der Bürger weitreichend verändert haben, und zwar nicht nur aufgrund der Informationsmenge, sondern auch aufgrund der medienspezifischen Darste1lungs formen.

In diesem Papier wird der Frage nachgegangen, ob die spe­

zifischen Präsentationsformen des Fernsehens Auswirkungen auf die Struktur des politischen Denkens der Rezipienten haben. Zur Be­

stimmung der Strukturiertheit des politischen Denkens wird auf das Konzept "political sophistication" zurückgegriffen. Die Ausgewogenheit und die fragmentarische, ereignisorientierte poli­

tische Berichterstattung sind Präsentationsformen der Fernsehnach­

richten, die dazu führen können, daß die den politischen Auseinandersetzungen zugrunde liegenden generellen Ideen und Kon­

fliktlinien von den Bürgern nicht mehr wahrgenommen werden.

Die Analyse der Umfragedaten zeigt, daß entgegen dieser Vermu­

tung eine häufige Nutzung der Fernsehnachrichten zu einer stärke­

ren Strukturiertheit des Politikverständnisses beiträgt. Insbeson­

dere Personen, die im politischen Kommunikationsprozeß eher als benachteiligt gelten, ziehen aus dem politischen Informationsange­

bot des Fernsehens Nutzen. Dieses Ergebnis verweist darauf, daß das Informationsangebot des Fernsehens durchaus zur Rationalität der öffentlichen Meinung beiträgt. Massenmedien sind also ein wichtiger Vermittlungsmechanismus zwischen politischem System und Bürger und sichern die Funktionsfähigkeit moderner Demokratien.

(4)

Einleitung *)

Durch die Massenmedien werden die Menschen täglich mit einer In­

formationsflut über Ereignisse konfrontiert, die meist weit außer­

halb ihres eigenen Erfahrungsbereichs liegen und deren kontextuale Bedeutung nur selten unmittelbar erkennbar ist. Die Welt wird zwar zu einem "globalen Dorf" (McLuhan 1964), aber im Unterschied zu einem dörflichen Gemeinwesen erscheinen die einzelnen Elemente regel- und zusammenhanglos. So ist auch bereits die Befürchtung geäußert worden, das durch die Massenmedien vermittelte Mehr an Information gehe mit einem Verlust an politischem Bewußtsein ein­

her (Schulz 1987).

Die Fülle und Diversität der Nachrichten erfordert deswegen die Strukturierungs- und Interpretationsleistung des Einzelnen, um fragmentarische Information in ein übergreifendes Verständnis von Politik zu integrieren und Ereignissen und Fakten sinnhafte Bedeu­

tung zu verleihen. Sind strukturierende Ordnungskriterien nicht verfügbar, erfolgt die politische Meinungsbildung eher zufällig, und neue, diskongruente Informationen können leichter zu Einstel­

lungsschwankungen füh r e n .

1. Theoretischer Hintergrund und Hypothesen

a) Politische Überzeugungssysteme

In der Politikwissenschaft wird die Fähigkeit, politische Ereig­

nisse und Situationen im Rahmen übergreifender Ideen zu beurteilen und ein konsistentes Verständnis von Politik zu entwickeln, als

"political sophistication" bezeichnet (Converse 1964). Ein konsi­

stentes Politikverständnis weist einen hohen "constraint" auf, d.h. die einzelnen Einstellungen und Meinungen sind aufeinander bezogen und fügen sich zu einem strukturierten Überzeugungssystem zusammen. Empirisch ist es deswegen möglich, aus der Kenntnis der Einstellung zu einem bestimmten politischen Thema auf die Einstel­

lung zu anderen Themen zu schließen. Ein konsistentes Politikver­

ständnis ist auch dauerhafter als ein unstrukturiertes, da Ein­

stellungsänderungen in Einzelbereichen zwangsläufig eine Reihe weiterer Umorientierungen zur Folge haben würden (Converse 1964, S. 207 f .).

(5)

Die konsistente Interpretation verschiedener politischer Sachver­

halte wird dadurch ermöglicht, daß das Individuum eine allgemeine, übergreifende Bewertungsdimension nutzt, die als Richtschnur oder Folie dient, um zu beurteilen, welche Positionen miteinander ver­

einbar sind. In westlichen Gesellschaften ist das Links-Rechts- Kontinuum die herausragende Dimension, die von den meisten Bürgern als Interpretationsmaßstab für Politik verwendet wird (Converse 1964, S. 214; Fuchs/Klingemann 1990).

Politische Überzeugungssysteme werden nicht je individuell entwickelt. Vielmehr definieren in der Regel Eliten vor dem Hin­

tergrund historischer und gesellschaftlicher Entwicklungen die Po­

sitionen und Ziele. Politisch handelnde Organisationen präsentie­

ren deswegen "Einstellungspakete’', die von ihren Anhängern über­

nommen und genutzt werden (Converse 1964, S. 211).

Für den Einzelnen haben ÜberzeugungsSysteme oder Ideologien die Funktion, das Einordnen und Speichern neuer Informationen zu er­

leichtern. Darüber hinaus ermöglichen sie eine normativ begründete Bewertung politischer Ereignisse (Inglehart/Klingemann 1979, S.

206 f.). Das auf die Arbeiten von Converse zurückgreifende Konzept von "political sophistication", das sich auch in der international vergleichenden Forschung als tragfähig erwiesen hat (Klingemann 1979), weist also darauf hin, daß ein konsistentes Politikver­

ständnis mehr ist als das bloße Wissen von Fakten, sondern daß dieses Wissen vor dem Hintergrund eines ideologischen Interpreta­

tionsmaßstabs strukturiert sein muß, um in der Auseinandersetzung über politische Ziele und Interessen als Grundlage zur Meinungs­

bildung dienen zu können.

Welche Bedeutung kommt nun in diesem Zusammenhang dem Fernsehen und seinen spezifischen Präsentationsformen zu? Trägt es zur Aus­

formung eines konsistenten Politikverständnisses der Rezipienten bei oder verhindert es dies eher?

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b) Programmangebote und Präsentationsformen des Fernsehens

Das Fernsehen ist in erster Linie Unterhaltungsmedium. Fiction, Sport und einige andere unterhaltende Programmkategorien (wie Quiz- und Musiksendungen) machten 1986 etwa Dreiviertel des Pro­

grammangebots der ARD (74 %; ohne die Dritten Programme) bzw. etwa zwei Drittel des ZDF (68 %) aus. Das restliche Viertel (ARD 26 %) bzw. Drittel (ZDF 32 %) des Programms hat informativen Inhalt. Da­

von entfallen bei der ARD 16 % auf politische Information (Nach­

richten, Magazine), beim ZDF liegt der Anteil bei 14 % (Krüger 1988, S. 641).

Bei der Erforschung der Auswirkungen des Unterhaltungsfernsehens auf das Denken, die emotionale Befindlichkeit und das Verhalten der Zuschauer wurde bisher das Schwergewicht auf den Aspekt der Gewalt gelegt, die - in den USA mehr noch als in der Bundesrepu­

blik - in diesen Programmangeboten dominierend ist (siehe hierzu u. a. Groebel 1986; Phillips 1983). Über die politischen Implika­

tionen nichtpolitischer Programminhalte ist bisher nur wenig be­

kannt. Es kann aber angenommen werden, daß Unterhaltung politisch nicht indifferent ist und durchaus die Vorstellungen über die po­

litische und soziale Realität prägt. In ihren letzten Untersuchun­

gen haben Gerbner et al. diese Frage aufgegriffen, nachdem auch ihr Interesse bis dahin vornehmlich den Gewaltdarstellungen und ihren Folgen gegolten hatte. Ihrer Meinung nach führt das Unter­

haltungsfernsehen zu einer Homogenisierung der politischen Ein­

stellungen und Werte. Bei Vielsehern, die das Unterhaltungsangebot in größerem Umfang nutzen, sei diese Wirkung des Fernsehens sogar stärker als andere soziale und politische Einflüsse (Gerbner et al. 1982; Gerbner et al. 1984). Wenn auch die methodische Reali­

sierung in diesen Untersuchungen angreifbar ist, sollte unserer Ansicht nach den Grundüberlegungen weiter nachgegangen werden und Unterhaltung von der Medienforschung wie der Politikwissenschaft

’’ernst genommen werden" (Holtz-Bacha 1989).

Für die hier verfolgte Fragestellung kann angenommen werden, daß das Unterhaltungsfernsehen nicht zum Aufbau eines auf Reflexion beruhenden konsistenten Politikverständnisses beiträgt, es viel­

mehr sogar erschwert. Dabei sind vor allem strukturelle Aspekte

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der spezifischen Präsentationsform unterhaltender und politisch informierender Sendungen von Bedeutung. In Fiction, dem wichtig­

sten Bereich des Unterhaltungsangebots, ist die Aussage oder Bot­

schaft in der Regel in eine dramatische Handlung eingebettet. Das Schicksal einzelner "Helden" steht dabei im Mittelpunkt und hält die Aufmerksamkeit des Zuschauers wach. Demgegenüber ist das poli­

tische Geschehen ein Prozeß, der zwar von Individuen getragen, je­

doch weitgehend durch die Strukturen und die Handlungsrationalität von Institutionen bestimmt wird. Politik, soweit sie Gegenstand der Nachrichten wird, ist zum geringeren Teil faktisches oder gar dramatisches Geschehen als vielmehr verbales und interpretierendes Handeln (Schulz 1976, S. 51 ff.). Es kann deswegen vermutet wer­

den, daß Personen, die hauptsächlich und in großem Umfang Unter­

haltungsprogramme nutzen, Schwierigkeiten haben, ein konsistentes Politikverständnis zu entwickeln.

Zur Wirkung der politischen Information des Fernsehens auf die Ausbildung eines konsistenten Politikverständnisses lassen sich weniger eindeutige Hypothesen formulieren, da die spezifische Prä­

sentationsform von Nachrichten möglicherweise zu widersprüchlichen Effekten führen kann.

Im Sinne der These fortlaufenden politischen Lernens kann zunächst angenommen werden, daß die häufige Rezeption politischer Nachrich­

ten zu einem konsistenten, auf Reflexion beruhenden Politikver­

ständnis beiträgt. Denn wer häufig Nachrichten sieht, denkt auch häufig über politische Inhalte nach und kann angemessene Verarbei­

tungsmechanismen für neu hinzukommende Informationen entwickeln (Taylor/Crocker 1978). Ideologische Organisationsprinzipien poli­

tischen Denkens werden aktiviert und durch häufige Anwendung ver­

bessert.

Andererseits weist die politische Berichterstattung des Fernsehens Strukturmerkmale auf, die sich erschwerend auf die Ausbildung kon­

sistenter Einstellungsstrukturen der Rezipienten auswirken können.

Dazu zählt vor allem die Ausgewogenheit der Nachrichtensendungen.

Die öffentlich-rechtlichen Rundfunkanstalten in der Bundesrepublik sind verpflichtet, die Vielfalt der Meinungen und alle relevanten gesellschaftlichen Kräfte zu Wort kommen zu lassen. Vor allem für die Nachrichten gilt das Gebot, keine politische Partei oder Welt­

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anschauung einseitig zu bevorzugen. So werden bei politischen Streitfragen jeweils die Pro- und Contrapositionen vorgestellt, in der Regel in der Form, daß - je nach dem Gegenstand - Vertreter der Parteien, Arbeitnehmer- und Arbeitgebervertreter oder Vertre­

ter von ökonomischen und ökologischen Interessen die Standpunkte ihrer Organisation darlegen. Rezipienten, die nur eine schwache Parteibindung haben oder für die die Links-Rechts-Dimension poli­

tischen Denkens nur geringe Bedeutung hat, haben es angesichts der Ausgewogenheit der Berichterstattung schwer zu erkennen, "what goes with what and why" (Converse 1964, S. 212), d.h. welche poli­

tischen Positionen, die in den Nachrichten vorgestellt werden, miteinander vereinbar sind und mit bereits bestehenden eigenen Einstellungen übereinstimmen. In diesem Sinne vertritt Schmidtchen die Ansicht, daß das gleichgewichtige Nebeneinander gegensätzli­

cher politischer Standpunkte bei den Rezipienten zu "desorgani­

sierte (n) Anschauungssysteme(n)", zu Entscheidungsunfähigkeit und zur Irrationalität politischen Verhaltens führt (Schmidtchen 1977, S. 65 f .).

Ferner ist die Mehrzahl der Nachrichten in ihrer Struktur dadurch gekennzeichnet, daß politische Probleme und Entwicklungen in kur­

zen, aktuellen Ausschnitten dargestellt werden. Auch diese spezi­

fische Präsentationsform dürfte einem konsistenten Politikver­

ständnis eher im Wege stehen. Die Nachrichtenfaktorenforschung hat aber auch gezeigt, daß insbesondere langfristig eingeführte Themen für die tägliche Berichterstattung ausgewählt werden (Schulz 1976, S. 51 ff.). Für den häufigen Nachrichtennutzer können sich so Ein­

zelereignisse, die bei seltener Rezeption zufällig und zusammen­

hanglos erscheinen, trotz der Fragmentierung der Präsentation zu einer sinnhaften Entwicklung zusammenfügen.

Mit der Einführung des Kabelfernsehens und der Zulassung privater Anbieter erhalten die Überlegungen zur Auswirkung der Fernsehnut­

zung zusätzliche Aktualität. Der Anteil des Unterhaltungsangebots ist bei den privaten Sendern, die nicht zur Binnenpluralität ver­

pflichtet sind, deutlich höher als bei den öffentlich-rechtlichen (Krüger 1988). Inhaltsanalysen haben ferner gezeigt, daß sich die Nachrichtensendungen der Privaten durch eine stärkere Personali- sierung, einen höheren Anteil von Sensationsmeldungen und weniger Hintergrundinformation auszeichnen (Schatz 1988, Bd. II, S. 173

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ff.). Dies bedeutet, daß hier zunehmend Präsentationsformen des Unterhaltungsfernsehens für die Darstellung politischer Sachver­

halte übernommen werden.

Bei der Diskussion der Hypothesen haben wir eine Gegensätzlichkeit von Unterhaltung und (politischer) Information zugrunde gelegt.

Sicherlich wird diese Trennung der Realität nicht in jedem Fall gerecht. So ist darauf hingewiesen worden, daß eine weitere Diffe­

renzierung notwendig ist, da das Unterhaltungsangebot je nach dem konkreten Inhalt (z.B. Krimis im Unterschied zu Soap Operas) un­

terschiedliche Auswirkungen auf die Realitätsvorstellungen der Zu­

schauer hat (Hawkins/Pingree 1981). Auch können Unterhaltungssen­

dungen zur Wissenserweiterung genutzt werden, während Nachrichten durchaus unterhaltend sein können. Wir denken aber, hier die Ge­

genüberstellung von Unterhaltung und Information beibehalten zu können, da es uns sowohl im Hinblick auf das politische Denken als auch im Hinblick auf das Programmangebot weniger um den konkreten Inhalt, sondern in erster Linie um strukturelle Aspekte geht.

2. Datenbasis und Herangehensweise

Die empirische Untersuchung, über die hier berichtet wird, basiert auf einer Paneluntersuchung der West-Berliner Bevölkerung, d.h. es wurde eine Repräsentativerhebung mit nachfolgender zweimaliger personenidentischer Wiederholungbefragung durchgeführt. Die erste Befragung fand Anfang 1986 statt, die beiden Folgebefragungen An­

fang 1987 und Anfang 1988. (1) Um der Frage nachgehen zu können, ob die Verfügbarkeit des Kabelfernsehens Auswirkungen auf Einstel­

lungen und Verhaltensweisen der Befragten hat, wurde jeweils eine unabhängige Stichprobe der verkabelten und der nichtverkabelten Bevölkerung Berlins gezogen. Faßt man die beiden Stichproben zu­

sammen, können bei entsprechender Gewichtung die Ergebnisse der ersten Welle auf die Gesamtbevölkerung Berlins (West) verallge­

meinert werden.

Die Untersuchungsanlage erlaubt somit, sowohl Strukturaussagen über die Gesamtheit der Bevölkerung zu treffen als auch individu­

elle Veränderungsprozesse darzustellen. Eine solche Herangehens­

weise auf zwei Ebenen ist insbesondere für die hier verfolgte Fra­

gestellung von Bedeutung, da sich in Längsschnittstudien (Jen-

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nings/van Deth et al. 1990) immer wieder gezeigt hat, daß der strukturellen Stabilität, wie sie sich in der Querschnittsanalyse zeigt, in großem Umfang Veränderungen der individuellen Einstel­

lungen und Verhaltensweisen gegenüberstehen, die sich im Aggregat aufheben können. Wir werden deswegen sowohl die Ergebnisse der Re­

präsentativbefragung vorstellen, um generelle Strukturen des Zu­

sammenhangs von Fernsehnutzung und der Konsistenz politischer Ein­

stellungen darzustellen, als auch die Möglichkeiten der Panel­

untersuchung nutzen, um der Frage nach den individuellen Verhaltens- und Einstellungsveränderungen nachgehen zu können.

3. Empirische Befunde

a) Konsistenz des Politikverständnisses

Um die Konsistenz des Politikverständnisses zu ermitteln, wurden den Befragten acht politische Themen vorgelegt, die im Mittelpunkt der aktuellen öffentlichen Auseinandersetzung in der Bundesrepu­

blik stehen. Auf einer fünfstufigen Skala konnte die Zustimmung bzw. Ablehnung zu der jeweiligen Streitfrage ausgedrückt werden.

(2) Die Themen bezogen sich im einzelnen auf:

A "Bau von Atomkraftwerken und Wiederaufbereitungsanlagen"

B "Steuererleichterungen für die Wirtschaft"

C "Verkürzung der Arbeitszeit"

D "Stationierung neuer Atomwaffen in der Bundesrepublik"

E "Friedensbewegung"

F "Gegenwärtige Außenpolitik der USA"

G "Initiativen gegen Umweltverschmutzung"

H "Stationierung von Waffensystemen im Weltraum".

Es wurde angenommen, daß diese Streitfragen zum einen die Dimen­

sion des Wachstumsparadigmas ansprechen, zum anderen die Dimension der Neuen Politik. Eine Faktorenanalyse (Hauptkomponentenmethode, rotiert) bestätigt diese Annahme. Es ergeben sich zwei Dimensio­

nen, von denen die Items A, B, C und F auf dem einen, die Items D, E, G und H auf dem anderen Faktor laden. Bei der Indexbildung

"Alte Politik" und "Neue Politik" wurden die Items, die sich auf außenpolitische Streitfragen beziehen, also F und H, nicht mitauf­

genommen, da die Positionen zu diesem Politikbereich kaum durch die Interessenlage des Individuums bestimmt werden.

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Jeder der Streitfragen läßt sich eine "linke" und eine "rechte"

Position zuordnen. Nach einer durch die Formulierung der Antwort­

vorgaben bedingten Umpolung der Variablen C, E und G entspricht die ablehnende Position jeweils dem linken, die zustimmende Posi­

tion dem rechten Pol der Links-Rechts-Dimension. Der Korrelations­

koeffizient (Pearson's r) mit der Selbsteinstufung auf der Links- Rechts-Skala beträgt für den Index "Alte Politik" .38, für den In­

dex "Neue Politik" .29. Der Zusammenhang mit postmaterialistischen Wertorientierungen ist sowohl für Alte Politik (r = .27) als auch für Neue Politik (r = .16) deutlich niedriger. Dies deutet darauf hin, daß im Denken der Bürger die Links-Rechts-Dimension nach wie vor das wirksamere und umfassendere Konzept zur Einordnung und Be­

urteilung politischer Sachverhalte ist.

Der Zusammenhang zwischen den Items war in der Gesamtheit der Be­

fragten nur mäßig ausgeprägt (Pearson's r A:B = .37, A:C = .19, B:C = .13). Es fanden sich jedoch deutliche Unterschiede zwischen Befragten mit hoher Schulbildung (A:B = .54, A:C = .33, B:C = .34) und denen mit niedriger Schulbildung (A:B = .26, A:C = .09, B:C -- .02). Wie in anderen Untersuchungen zu politischen Überzeugungssy­

stemen bestätigt sich demnach auch hier, daß ein konsistentes Ein­

stellungsmuster vor allem von den formal besser Gebildeten entwickelt wird, während die Einstellungen von Personen mit nied­

riger Schulbildung kaum eine systematische Struktur aufweisen (vgl. Converse 1964; Lau/Erber 1985).

Um den individuellen Grad der Einstellungskonsistenz zwischen ver­

schiedenen Items einer generellen Einstellungsdimension zu ermit­

teln, greifen wir auf ein Verfahren zurück, das Barton/Parsons (1977) vorgeschlagen haben. Die Vorgehensweise besteht darin, die individuelle Varianz des Antwortverhaltens zu den betrachteten Items zu bestimmen. Wenn z.B. ein Befragter seine Einstellung zu den einzelnen Themen mit jeweils genau demselben Skalenwert aus­

drückt, ist die Varianz 0. In diesem Fall liegt eine perfekte Ein­

stellungskonsistenz vor. Dagegen ist die Strukturiertheit des po­

litischen Denkens um so niedriger, je höher der Wert der individu­

ellen Varianz ist. In diesem Fall würde ein Befragter zu einem Item eine linke, zu einem anderen eine rechte Position vertreten.

(3)

(12)

Die sinnvolle Anwendung dieses Verfahrens setzt voraus, daß 1. die zur Berechnung herangezogenen Items einer gemeinsamen Dimension angehören und daß 2. die Items nicht konsensual, also tatsächlich Streitfragen sind (Barton/Parsons 1977, S. 165, 168). Wie bereits beschrieben, lassen sich die Items jeweils einer von zwei Politik­

dimensionen zuordnen. Bezüglich der zweiten Bedingung zeigt die Verteilung der Items der Neuen Politik, daß hier ein hohes Maß an Konsens in der Bevölkerung vorliegt. Der Anteil derjenigen, die neue Atomwaffen ablehnen (Skalenwert 1 und 2; siehe Anm. 2) bzw.

der Friedensbewegung und Umweltschutzinitiativen zustimmen (Ska­

lenwert 4 und 5), liegt durchschnittlich bei 80 %. Dieser Anteil erhöht sich noch im zeitlichen Verlauf der Untersuchung und liegt 1988 bei durchschnittlich 89 %. Die Verteilung der Items, die der Alten Politik zuzuordnen sind, zeigt, daß diese politischen Themen in der Bevölkerung stärker kontrovers sind. Der Anteil derjenigen, die jeweils die linke oder die rechte Position vertreten, ist in etwa ausgeglichen. (4) Wegen des hohen Grades an Konsens zu den Themen der Neuen Politik werden wir diese für die weitere Analyse nicht berücksichtigen und nur die Einstellungskonsistenz zu Themen der Alten Politik betrachten.

Der Anteil derjenigen, die zu allen drei Items der Alten Politik eine völlig gleiche Position vertraten (Varianz = 0), betrug 16 %.

Da eines der Items (C) in umgekehrter Richtung gepolt war, ist die Wahrscheinlichkeit, daß diese Konsistenz vor allem auf mechanisch gleiches Ankreuzen zurückzuführen ist, gering.

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b) Fernsehnutzung

In dieser Untersuchung soll das Fernsehangebot als Bedingungsfak­

tor für die Ausbildung eines konsistenten Politikverständnisses diskutiert werden. Deswegen wurden zwei Indikatoren der Fern­

sehnutzung gebildet, die jeweils den Inhalt des gesehenen Pro­

gramms berücksichtigen.

Zunächst wurde die Dauer der allgemeinen Fernsehnutzung ermittelt.

Dies erfolgte durch eine Zusammenfassung der Angaben zu der Anzahl der Tage, an denen normalerweise ferngesehen wird, sowie der durchschnittlichen täglichen Fernsehdauer. (5) Der Index "Allge­

meine Fernsehdauer" erfaßt also den gesamten Fernsehkonsum in Stunden pro Woche. Die allgemeine Fernsehdauer soll hier als - wenn auch recht grober - Indikator für die Nutzung hauptsächlich unterhaltender Programmangebote dienen. Der oben beschriebene hohe Anteil an Unterhaltungssendungen am gesamten Fernsehprogramm läßt dieses Vorgehen gerechtfertigt erscheinen.

Um Aufschluß darüber zu erhalten, in welchem Umfang die Befragten die politischen Informationssendungen des Fernsehens nutzen, stüt­

zen wir uns auf die Angaben zur Häufigkeit, mit der Nachrichten und Nachrichtenmagazine gesehen werden. (6) Die Vermutung, daß die häufige Nutzung von Nachrichtensendungen mit einem hohen politi­

schen Interesse einhergeht, bestätigte sich jedoch überraschender­

weise nicht (r = .04). Die Häufigkeit der Nachrichtennutzung scheint weniger von der Motivation, als vielmehr von den allgemei­

nen Fernsehgewohnheiten und der Struktur der Programmabfolge be­

stimmt zu sein. Da im Laufe eines Abends wiederholt Nachrichten gesendet werden, ist es unklar, wieviel Aufmerksamkeit den Nach­

richten entgegengebracht wird, wenn z.B. das fortlaufende Programm gesehen wird.

Aus diesem Grund muß die Rezeption politischer Sendungen in Rela­

tion zur gesamten Fernsehdauer betrachtet werden. Dabei wird ange­

nommen, daß eine Person, die insgesamt wenig fernsieht, aber häu­

fig Nachrichtensendungen einschaltet, diese gezielt auswählt und sich ihnen aufmerksam zuwendet. Eine solche Selektivität ist wahr­

scheinlich in geringerem Maße für den Fall gegeben, in dem zwar

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ebenso häufig die Nachrichten gesehen werden, der gesamte Fernseh­

konsum aber hoch ist. Dieser Sachverhalt wurde bei der Bildung des Index ’’Nachrichtenanteil’' berücksichtigt, der die Häufigkeit der Nachrichtennutzung als Anteil an der gesamten Fernsehdauer aus­

drückt (siehe auch Klingemann/Voltmer 1989). Die Ausprägungen die­

ses Index können zwar nicht im Sinne natürlicher Zeiteinheiten in­

terpretiert werden - wie es bei dem Index "Allgemeine Fernseh­

dauer" möglich ist -, sind aber ein genaues Maß für die relative Häufigkeit der Nachrichtenrezeption und bilden damit indirekt se­

lektive Zuwendung zu politischer Information ab. (7)

4. Veränderungen von Fernsehnutzung und Einstellungskonsistenz im Zeitverlauf

Betrachtet man die Einstellungskonsistenz zu den drei Befragungs­

zeitpunkten im Querschnitt, so ist in der Gesamtheit der Befragten kaum eine Veränderung festzustellen. 1986 betrug der Konsistenz­

grad durchschnittlich 3.3 (Mittelwert der Varianz, wobei diese zwischen 0 und 10.7 variiert), 1987 lag der Wert bei 3.4 und 1988 bei 3.5.

Die wöchentliche allgemeine Fernsehdauer lag 1986 im Mittel bei 14,1 Stunden, 1987 bei 13,8 Stunden und 1988 bei 14,8 Stunden.

Die Durchschnittswerte des Index "Nachrichtenanteil'’ betrugen 1986 35.6, 1987 38.2 und 1988 31.5.

Während die Veränderungen auf der Aggregatebene nur geringfügig sind, haben demgegenüber auf der Individualebene in großem Umfang Veränderungen stattgefunden. Da Prozesse der individuellen Verhal­

tens- und Einstellungsänderung bei den einzelnen Befragten aber nicht synchron stattfinden, gleichen sie sich insgesamt aus und werden bei einer Querschnittsbetrachtung weitgehend verdeckt.

Vergleicht man die Ergebnisse der ersten und dritten Befragungs­

welle (siehe Tabelle 1 ) , so zeigt sich, daß der Umfang der allge­

meinen Fernsehdauer weit weniger stabil und fester Bestandteil des Alltags ist, als im allgemeinen angenommen wird. 44 % der Befrag­

ten haben innerhalb des Untersuchungszeitraums, der zwei Jahre um­

faßt, ihre Fernsehgewohnheiten verändert, wobei eine größere An­

zahl nun mehr Zeit vor dem Bildschirm verbrachte.

(15)

Einstellungskonsistenz, allgemeine Fernsehdauer, Nachrichtenanteil (in %)

Konsistenz Allgemeine Nachrichten Fernsehdauer anteil

Stabilität, davon:

konstant niedrig konstant mittel konstant hoch

43 19 33 48

56

37 22 41

51

40 25 35

Veränderung, davon: 57 44 49

Abnahme 49 44 52

Zunahme 51 56 48

100 100 100

tau-b: .16 .49 .37

N (gewichtet) 1482 1758 1715

(16)

Da der Anteil der Nachrichten an der gesamten Sehdauer den Aspekt der aktiven Selektion enthält und die Zuwendung zu politischer In­

formation auch bedarfsabhängig ist, ist der Grad der individuellen Veränderung hier etwas höher (49 %).

Hinsichtlich der Konsistenz der politischen Einstellungen findet sich im Vergleich zum Fernsehnutzungsverhalten der höchste Verän­

derungsanteil (57 %). Dies verweist darauf, daß die politische Meinungsbildung ein dynamischer Prozeß ist, in dem Ereignisse und neue Argumente, die durch die Massenmedien oder in persönlichen Gesprächen an den Einzelnen herangetragen werden, zu einer Um­

orientierung führen können. Inkonsistenzen können dann für das In­

dividuum ein Stadium des Abwägens und Neuinterpretierens sein und in einem anders strukturierten Einstellungsmuster münden. Perso­

nen, deren Einstellungskonsistenz während des Untersuchungszeit­

raums konstant niedrig geblieben ist, machen allerdings nur 8 % der Gesamtheit der Befragten aus. Widersprüche sind also für die meisten Menschen eine eher vorübergehende Erscheinung, die in der Regel ausgeglichen werden (vgl. Osgood/Tannenbaum 1967).

5. Bestimmungsgründe für die Konsistenz politischer Einstellungen

In der folgenden Strukturanalyse, die sich auf die Repräsenta­

tiverhebung der Erstbefragung stützt, soll nun der Zusammenhang von Fernsehnutzung und der Konsistenz politischer Einstellungen in der Gesamtheit der Berliner Bevölkerung überprüft werden. Dabei wird der Frage nachgegangen, ob unterhaltende und politisch infor­

mierende Sendungen einen jeweils unterschiedlichen Effekt haben.

Es sollen aber auch die Bestimmungsfaktoren, die sich bisher in der politikwissenschaftlichen Diskussion als erklärungskräftig er­

wiesen haben, in die Analyse miteinbezogen werden. Dazu gehören vor allem Schulbildung und politisches Interesse. Ferner soll der Beitrag der Ideologie als Strukturierungshilfe betrachtet werden.

Die Einbeziehung dieser drei Bestimmungsfaktoren ermöglicht es, den Einfluß der Fernsehnutzung bei Gruppen, deren Voraussetzungen zur Strukturierung und Interpretation politischer Sachverhalte un­

terschiedlich sind, miteinander zu vergleichen.

(17)

a) Fernsehnutzung

Wie aus Tabelle 2 ersichtlich ist, zeigt sich eine negative Bezie­

hung zwischen der allgemeinen Fernsehdauer und im Sinne der Links- Rechts-Dimension übereinstimmenden Einstellungen zu Streitfragen der Alten Politik (r = .15). Die Konsistenz ist um so niedriger, je mehr Zeit mit Fernsehen, und damit der Nutzung vor allem unter­

haltender Programmangebote verbracht wird. Betrachtet man den Zu­

sammenhang zwischen Nachrichtennutzung und konsistentem politi­

schen Denken, kehrt sich die Beziehung um, wenngleich sie hier we­

niger eindeutig ist (r = -.10). Die bivariaten Verteilungen deuten also darauf hin, daß das allgemeine Fernsehprogramm und seine spe­

zifischen Präsentationsformen in der angenommenen Weise die Aus­

bildung konsistenter politischer Einstellungen erschwert, während Nachrichten trotz Fragmentierung und ideologischer Neutralität zur Einstellungskonsistenz der Zuschauer beitragen.

Da die Veranstalter der privaten Kabelprogramme vor allem auf die Attraktivität von Unterhaltungsangeboten setzen, ist ebenfalls eine negative Beziehung zwischen Einstellungskonsistenz und der Verfügbarkeit des Kabelfernsehens zu erwarten. Zwar findet sich für 1986 ein Zusammenhang in der erwarteten Richtung, er ist je­

doch minimal (r = .04). Nach zwei Jahren hat sich dieser Zusammen­

hang umgekehrt (r = -.05), die Stärke der Beziehung ist aber eben­

falls geringfügig. Es kann also davon ausgegangen werden, daß dem Kabelfernsehen für die hier diskutierte Fragestellung (noch) keine Bedeutung zukommt. Dennoch sollte es als möglicher Einflußfaktor auf die politische Meinungsbildung auch in Zukunft im Auge behal­

ten werden, da ein Beobachtungszeitraum von zwei Jahren für eine gesicherte Beurteilung zu kurz sein dürfte.

Einen wichtigen Hinweis hat die Begleitforschung in Ludwigshafen (Projektleitung M. Kaase) ergeben, wo vor der Einführung des Ka­

belfernsehens eine Nullmessung durchgeführt werden konnte. Hier zeigte sich, daß diejenigen, die sich bei gegebener Gelegenheit an das Kabelfernsehen anschließen ließen, bereits vorher überpropor­

tional häufig Vielseher waren und Unterhaltungsprogramme bevorzug­

ten (Pfetsch 1989). Andere Befunde weisen darauf hin, daß es bei

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Konsistenz Allgemeine Fernsehdauer

Nachrichten-

hoch

anteil

niedrig mittel hoch niedrig mittel

niedrig 22 20 31 31 21 21

mittel 32 38 34 35 33 35

hoch 46 42 35 34 46 44

100 100 100 100 100 100

Pearson's r:(a) .15 -.10

N (gewichtet): 4392 4291

a) Die Werte der Variablen "Einstellungskonsistenz" sind um so höher, je niedriger die individuelle Konsistenz ist.

(19)

einigen Bevölkerungsgruppen zu einem interaktiven Effekt von Pro­

grammpräferenz und Gelegenheitsstruktur kommen kann (Voltmer/Klingemann 1989). Hier beschriebene Ergebnisse zur Aus­

wirkung der unterhaltenden Fernsehnutzung können deswegen auch als Aussagen zur möglichen langfristigen Wirkung des Kabelfernsehens angesehen werden.

b) Weitere Bestimmungsfaktoren: Kognitive Kompetenz, Motivation und ideologische Orientierung

Es ist denkbar, daß der gefundene Zusammenhang zwischen Einstel­

lungskonsistenz und Fernsehnutzung, wie er in Tabelle 2 zur Dar­

stellung kommt, letztlich auf die Wirksamkeit anderer Einfluß­

größen zurückzuführen ist. So haben empirische Studien immer wie­

der gezeigt, daß die Fähigkeit, politische Informationen in ein konsistentes Einstellungsmuster zu integrieren, wesentlich von der formalen Bildung eines Individuums bestimmt wird. Vor allem im hö­

heren Sektor des Bildungssystems werden Strategien vermittelt, neue Informationen zu überprüfen und mit bestehendem Wissen zu verknüpfen sowie abstrakte Sachverhalte, wie z.B. institutioneile Strukturen oder politische Ideen, zu erfassen.

Der Grad des geäußerten Interesses für Politik kann als Hinweis darauf gelten, inwieweit ein Individuum dem politischen Geschehen Aufmerksamkeit entgegenbringt und bereit ist, sich politischer In­

formation zuzuwenden. Politisches Interesse motiviert ferner dazu, über die erhaltene Information nachzudenken und sie in bestehende Einstellungsmuster einzuordnen. Es bleibt allerdings offen, inwie­

weit auch unpolitische Gründe, wie z.B. die Faszination von Poli­

tik als Spektakel, für das subjektive Interesse an Politik eine Rolle spielen (Klingemann 1979).

Neben kognitiver Kompetenz und Motivation, die Merkmale des Indi­

viduums sind, begünstigen auch politische Ideologien als gesell­

schaftlich definierte Interpretations- und Bewertungsschemata die Ausbildung konsistenter Einstellungsmuster. Diese Analyse be­

schränkt sich auf die Links-Rechts-Dimension des politischen Den­

kens. Die Mehrheit der Befragten (73 %) kennt die Begriffe "Links”

und "Rechts” und kann den eigenen politischen Standort innerhalb dieser Dimension einordnen (8).

(20)

Für den Grad der Einstellungskonsistenz ist vor allem die Intensi­

tät oder Verbindlichkeit, die politische Ideen für ein Individuum haben, ausschlaggebend. Der Grad der Verbindlichkeit ist daran ab­

zulesen, inwieweit jemand den jeweils extremen Pol der Skala be­

nutzt, um sich als links oder rechts einzustufen. Zwar kann auch die Zuordnung zur Mitte hohe Verbindlichkeit besitzen, es hat sich aber gezeigt, daß vor allem die politisch Unentschlossenen und In­

differenten dazu neigen, sich in der Mitte der Skala zu plazieren (Deutsch/Lindon/Weill 1966; Inglehart/Klingemann 1979). Da denje­

nigen, die sich in den extremen Bereichen der Links-Rechts-Skala einstufen, die Konfliktlinien der politischen Auseinandersetzung stärker bewußt sind und sie sich den jeweiligen Standpunkten ein­

deutiger zuordnen können, sollte sich bei ihnen ein konsistenteres Einstellungsmuster finden als bei den "Moderaten". Für diese Ana­

lyse wurde die Links-Rechts-Skala in der Mitte gefaltet, da wir hier lediglich den Grad der Extremität, nicht die Richtung der ideologischen Orientierung ermitteln wollen.

Tabelle 3 zeigt, ob und inwieweit der gefundene Zusammenhang zwi­

schen Fernsehnutzung und Einstellungskonsistenz agch dann bestehen bleibt, wenn die drei diskutierten Bestimmungsfaktoren als inter­

venierende Variablen in die Analyse miteinbezogen werden. Zur bes­

seren Lesbarkeit wurden hier die Variablen dichotomisiert, wobei als Kriterium für die Zuordnung zu einer der beiden Kategorien je­

weils der Median galt. Da eine Dichotomisierung bei der Variablen Schulbildung (9) nicht möglich ist, wurden nur die Fälle berück­

sichtigt, die in die obere (Abitur oder Fachhochschulreife) und untere (Hauptschulabschluß oder kein Abschluß) der drei Kategorien fall e n .

In Tabelle 3 können die Mittelwertdifferenzen als Effekt der Fern­

sehnutzung bzw. der jeweiligen Kontrollvariablen interpretiert werden. Das Vorzeichen gibt die Richtung des Effekts an, wobei ein negatives Vorzeichen einen niedrigeren, ein positives Vorzeichen einen höheren Konsistenzgrad gegenüber der Vergleichsgruppe be­

zeichnet.

Es zeigt sich, daß die Fernsehnutzung in allen betrachteten Grup­

pen, wenn auch auf unterschiedlichem Niveau, einen Einfluß auf die

(21)

(Mittelwerte der Varianz)

FERNSEHNUTZUNG Allgemeine Fernsehdauer

Nachrichten­

anteil

Gruppen insgesamt niedrig hoch Differenz(a) niedrig hoch Differenz(a)

a) Schulbildung

niedrig 3.41 3.88 -0.47** 3.88 3.37 0.51** 3.72

hoch 2.56 2.10 0.46* 1.85 2.73 -0.88** 2.48

Differenz(b) 0.85** 1.78** 2.03** 0.64** 1.24**

b) Politisches Interesse

niedrig 3.42 3.84 -0.42** 3.93 3.24 0.69** 3.64

hoch 2.69 3.55 -0.86** 3.40 2.80 0.60** 3.02

Differenz(b) 0.73** 0.29* 0.53** 0.44** 0.62**

c) Links-Rechts Extremität

niedrig 3.21 3.82 -0.61** 3.84 3.13 0.71** 3.52

hoch 2.54 3.81 -1.27** 3.69 2.64 1.05** 3.07

Differenz(b) 0.67** 0.01 0.15 0.49** 0.45**

(a) Durch T-Test ermitteltes Signifikanzniveau Mittelwertdifferenzen: * = < 0.05, ** = < 0.01.

der auf die Fernsehnutzung bezogenen (b) Durch T-Test ermitteltes Signifikanzniveau

Mittelwertdifferenzen: * = < 0.05, ** = < 0.01.

der auf die Kontrollvariablen bezogenen

(22)

Konsistenz politischer Einstellungen hat. Dabei bestätigt sich die unterschiedliche Wirksamkeit der allgemeinen, hauptsächlich aus Unterhaltung bestehenden Fernsehnutzung und des spezifischen Nachrichtenanteils. Außer im Falle der oberen Bildungsgruppe ist bei einem hohen allgemeinen Fernsehkonsum eine niedrigere, bei ei­

nem hohen Nachrichtenanteil dagegen eine höhere Einstellungskonsi­

stenz zu beobachten.

Von den drei Kontrollvariablen stellt sich die durch Schulbildung erworbene kognitive Kompetenz als die bedeutendste Einflußgröße dar, deren Effekt insgesamt auch stärker ist als der der Fern­

sehnutzung. Die Bedeutung des politischen Interesses für die Ein­

stellungskonsistenz ist dagegen insgesamt geringer als die der Fernsehnutzung. Am niedrigsten ist der Eigeneffekt der ideologi­

schen Orientierung.

Die Tabelle gibt ferner Aufschluß darüber, welche Rezipientengrup­

pen eher als die ’’Opfer" und welche als die "Nutznießer" des Fern­

sehangebots anzusehen sind. Diejenigen, bei denen sich infolge der Häufigkeit, mit der das unterhaltende oder politisch informierende Fernsehprogramm gesehen wird, die Konsistenz der politischen Ein­

stellungen verringert, können als "Opfer" bezeichnet werden. Dage­

gen sind Personen, bei denen die Einstellungskonsistenz mit der jeweiligen Fernsehnutzung zunimmt, "Nutznießer". In ähnlicher Weise haben Iyengar/Kinder (1987) in ihrer Untersuchung zum Agenda-Setting Personen als "victims" bezeichnet, die sich für die Themenvorgaben durch die Massenmedien und deren evaluativer Wir­

kung als besonders empfänglich zeigten. Hierbei handelte es sich vor allem um Individuen mit niedriger Schulbildung und geringer politischer Involvierung (Iyengar/Kinder 1987, S. 54 ff., S. 90 ff.). Ein ähnliches Muster ergibt sich auch bei der Beziehung zwi­

schen der Konsistenz politischer Einstellungen und der Fernsehnut­

zung.

Diejenigen, die nur einen niedrigen formalen Bildungsabschluß ha­

ben, sind offenkundig "Opfer" des allgemeinen, meist unterhalten­

den Fernsehangebots. Andererseits sind sie aber auch "Nutznießer"

der politischen Information des Fernsehens. In der unteren Bil­

dungsgruppe haben diejenigen die konsistentesten politischen Ein­

stellungen, die anteilig häufig Nachrichten sehen. Fernsehnach­

(23)

richten stellen für sie offenbar eine Möglichkeit dar, über Poli­

tik zu lernen und dabei Strukturierungsstrategien zur Bewertung politischer Streitfragen zu entwickeln. In ähnlicher Weise sind auch Befragte, die sich nur wenig für Politik interessieren,

"Nutznießer" des politischen Informationsangebotes des Fernsehens.

Der positive Effekt der Nachrichtennutzung ist bei ihnen deutlich stärker als der negative des Unterhaltungsfernsehens.

Bei Personen, die einen hohen Schulabschluß haben, kehrt sich der Zusammenhang von Fernsehnutzung und Einstellungskonsistenz um.

Insbesondere im Hinblick auf den Effekt der Nachrichtennutzung zeigt sich ein widersinniges Bild. Die Tatsache, daß eine inten­

sive Nachrichtennutzung mit dem niedrigsten Konsistenzgrad in die­

ser Bildungsgruppe einhergeht, kann möglicherweise darauf zurück­

geführt werden, daß Individuen, die ein hohes Reflexionsvermögen besitzen und eine Vielzahl oftmals inhomogener Informationen wahr­

nehmen und verarbeiten können, ein Einstellungsmuster entwickeln, das zwar den formalen Kriterien der Konsistenz nicht entspricht, aber durchaus begründet sein mag.

Der Effekt der spezifischen Fernsehnutzung ist bei Befragten mit einer hohen Extremität der ideologischen Orientierung von allen hier betrachteten Vergleichsgruppen am deutlichsten zu beobachten Die stark negativ verstärkende Wirkung eines hohen allgemeinen Fernsehkonsums und die stark positiv verstärkende Wirkung eines hohen Nachrichtenanteils zeigt, daß die Interpretationskraft der ideologischen Orientierung in besonderem Maße informationsabhängig ist. Für denjenigen, der sich kaum Kenntnisse über das politische Geschehen verschafft, ist auch eine hohe Verbindlichkeit politi­

scher Ideen von wenig Nutzen bei der Meinungsbildung zu aktuellen Streitfragen. Andererseits können politische Nachrichten auf be­

sonders effektive Weise nutzbar gemacht werden. Wer sich stark einem bestimmten politischen Standort zurechnet, weiß in der Re­

gel, welche Politiker und Parteien diesem entsprechen, so daß auch bei einer ausgewogenen Berichterstattung ein eindeutiges Selek­

tionskriterium dafür besteht, welche Positionen wahrgenommen und übernommen werden. Auf diese Weise kann ohne den kognitiven und psychischen Aufwand des Abwägens unterschiedlicher Meinungen und sogar ohne genaue Kenntnis, warum bestimmte Positionen zueinander gehören, ein konsistentes Einstellungsmuster entwickelt werden.

(24)

6. Auswirkung veränderter Fernsehnutzung

Die mehrmalige Befragung derselben Personen, wie sie in der vor­

liegenden Untersuchung angewendet wurde, macht es möglich, indivi­

duelle Verhaltensänderungen und deren Auswirkungen zu betrachten.

Es wird angenommen, daß bei Personen, deren Fernsehnutzungsverhal­

ten innerhalb des Untersuchungszeitraums stabil geblieben ist, auch der Konsistenzgrad der politischen Einstellungen gleichblei­

ben sollte, während bei veränderter Fernsehnutzung mit einer Zu­

nahme bzw. Abnahme der Konsistenz zu rechnen ist. Durch die Ana­

lyse von Stabilität und Veränderung kann überprüft werden, ob es sich bei den auf der repräsentativen Erstbefragung basierenden Zu­

sammenhängen um dauerhafte individuelle Strukturen handelt.

Eine Betrachtung verschiedener Subgruppen kann hier allerdings we­

gen zum Teil zu geringer Fallzahlen nicht vorgenommen werden. Für die Berechnung der Veränderungen wurden die dichotomisierten Vari­

ablen der Fernsehnutzung verwendet. Eine "Zunahme" liegt vor, wenn sich bei einem Befragten 1986 ein niedriger und 1988 ein hoher allgemeiner Fernsehkonsum bzw. Nachrichtenanteil fand. Für die

"Abnahme" gilt das entsprechende in umgekehrter Richtung.

Tabelle 4 zeigt, daß sich die Erwartungen nur teilweise bestätigen lassen. So geht eine Zunahme des allgemeinen Fernsehkonsums tatsächlich mit einer Abnahme der Einstellungskonsistenz einher.

Eine geringere Nutzung der Fernsehunterhaltung führt jedoch nicht zu einem konsistenteren Einstellungsmuster. Hier ist der Konsi­

stenzgrad auf niedrigem Niveau zwischen 1986 und 1988 nahezu gleichgeblieben, so daß vermutet werden kann, daß die negative Wirkung eines hohen Fernsehkonsums längerfristig anhält.

Entgegen der Annahme findet sich bei denjenigen, deren allgemeiner Fernsehkonsum stabil hoch geblieben ist, eine signifikante Verän­

derung der Einstellungskonsistenz. Diese Befragten haben innerhalb des Untersuchungszeitraums ein konsistenteres Einstellungsmuster entwickelt.

Eine Abnahme des Nachrichtenanteils führt wie vermutet zu einer deutlichen Verringerung der Einstellungskonsistenz. Dies ist die höchste aller gefundenen Mittelwertdifferenzen, die den Einfluß

(25)

und Einstellungskonsistenz (Mittelwerte der Varianz)

a) Allgemeine Fernsehdauer

KONSISTENZ (a) ALLGEMEINE FERNSEHDAUER

Abnahme Zunahme Konstant

niedrig

Konstant hoch

1986 2.88 (3.15) 4.11 (3.39) 4.00 (3.59) 2.83 (2.82) 1988 3.29 (3.03) 3.20 (3.18) 4.19 (3.29) 3.62 (3.43)

Differenz (b) -0.41* 0.91** -0.19 -0.79*

N (gewichtet) 209 182 80 74

b) Nachrichtenanteil

KONSISTENZ (a) NACHRICHTENANTEIL Konstant

niedrig

Konstant hoch

Abnahme Zunahme

1986 4.37 (3.47) 2.98 (3.05) 3.02 (2.82) 3.49 (3.44) 1988 3.37 (3.20) 3.25 (3.08) 4.11 (3.58) 3.27 (3.02)

Differenz (b) 1.00** -0.27 -1.09** 0.22

N (gewichtet) 146 176 52 97

(a) In Klammern die Standardabweichung.

(b) Durch T-Test ermitteltes Signifikanzniveau der

Mittelwertdifferenzen 1986/1988: * = < 0.05, ** = < 0.01.

(26)

der Fernsehnutzung auf die Konsistenz politischer Einstellungen im Zeitverlauf darstellen. Ein Informationsverlust wirkt sich also bei der Meinungsbildung zu aktuellen politischen Streitfragen un­

mittelbar negativ aus. Dagegen kann eine vermehrte Nachrichtenre­

zeption für den Aufbau eines konsistenten Politikverständnisses innerhalb des Untersuchungszeitraums kaum nutzbar gemacht werden.

Bei Befragten, die konstant viel Nachrichten sehen, hat sich auch die Einstellungskonsistenz nicht signifikant verändert. Überra­

schend ist jedoch, daß diejenigen, die unverändert wenig Nachrich­

ten sehen, bei der Wiederholungsbefragung eine deutlich konsisten­

tere Einstellungsstruktur hatten als 1986, so daß sich der Konsi­

stenzgrad nahezu an den der Gruppe mit einem stabil hohen Nach­

richtenanteil angeglichen hat.

Betrachtet man die Ergebnisse der Analyse individueller Verände­

rungen, so wird vor allem deutlich, daß eine geringere Informa­

tionsaufnahme ebenso wie eine vermehrte Nutzung des Unterhaltungs­

angebots zu einem Konsistenzverlust der Einstellungsstruktur füh­

ren.

Der Befund, daß Personen, deren allgemeiner Fernsehkonsum stabil hoch geblieben ist, und Personen, die gleichbleibend wenig Nach­

richten sehen, am Ende der Paneluntersuchung ein konsistenteres Einstellungsmuster entwickelt haben, erscheint zunächst nicht plausibel. Möglicherweise ist dies in der spezifischen Konjunktur politischer Streitfragen und deren Perzeption durch die verschie­

denen Bevölkerungsgruppen begründet. So wird eine Veränderung der politischen Agenda von Individuen, die stark in das politische Ge­

schehen involviert sind, wozu die häufige und bewußte Rezeption der Nachrichten gehört, frühzeitig wahrgenommen. Neue Streitfragen bewirken bei diesen Personen eine Intensivierung des Meinungsbil­

dungsprozesses durch gezielte Informationssuche zu dem betreffen­

den Thema und häufigere Diskussionen im primären Umfeld. Auf diese Weise ist die Ausbildung einer auf Reflexion beruhenden, konsi­

stenten und stabilen Einstellungsstruktur zu einem früheren Zeit­

punkt abgeschlossen als bei Personen, die die politischen Ausein­

andersetzungen weniger aufmerksam verfolgen. 1988 waren die The­

men, die hier zur Messung der Einstellungskonsistenz herangezogen wurden, seit langem und immer wieder Gegenstand der politischen Berichterstattung. Infolgedessen sind auch Personen, deren hoher

(27)

allgemeiner Fernsehkonsum und niedriger Nachrichtenanteil auf eine geringe politische Involvierung verweisen, genügend häufig mit In­

formationen zu diesen Streitfragen in Kontakt gekommen, um eben­

falls, wenngleich mit zeitlicher Verzögerung, konsistente Einstel­

lungen zu entwickeln.

7. Schlußbetrachtung

In dieser Untersuchung wurde "political sophistication" oder die Konsistenz des Politikverständnisses anhand entsprechend der Links-Rechts-Dimension übereinstimmender individueller Einstellun­

gen zu verschiedenen Streitfragen der Alten Politik gemessen. Ein konsistentes und begründetes Politikverständnis der Bürger ist zweifellos eine wichtige Voraussetzung für die Rationalität der öffentlichen Meinung und des politischen Verhaltens und damit von grundlegender Bedeutung für den gesamten demokratischen Prozeß.

Rationalität und Konsistenz ist dabei jedoch nicht unbedingt gleichzusetzen mit unveränderlichen Einstellungsstrukturen. Gerade in einer sich schnell wandelnden Gesellschaft ist es notwendig, daß nicht nur die politischen Institutionen in der Lage sind, neue Problemlagen in den politischen Entscheidungsprozeß zu integrie­

ren, sondern auch der einzelne Bürger sollte fähig sein, neue Ar­

gumente und Situationen wahrzunehmen und bei der Meinungsbildung miteinzubeziehen. In unserer Analyse zeigt sich, daß derartige Um- orientierungs- und Anpassungsprozesse tatsächlich in hohem Maße stattfinden, daß aber eine starke Inkonsistenz des Einstellungssy­

stems nur von einem sehr geringen Teil der Bürger über längere Zeit beibehalten wird.

Unser Interesse galt hier insbesondere dem Einfluß der Fern­

sehnutzung auf die Einstellungskonsistenz der Zuschauer. Das Fern­

sehen vermittelt sowohl politische Information, die als Grundlage für die Ausbildung von Einstellungen dient; es ist aber auch und vor allem Unterhaltungsmedium. Als Wirkungsbedingungen der Unter­

haltung und der politischen Information durch das Fernsehen wurden die jeweils spezifischen Präsentationsformen - wie Personalisie- rung und Dramatisierung einerseits und verbales Handeln, Fragmen­

tierung, Langfristigkeit und Ausgewogenheit andererseits - ange­

nommen .

(28)

Aus der Strukturanalyse ließen sich signifikante Aussagen zum Ein­

fluß der Fernsehnutzung auf die Konsistenz politischer Einstellun­

gen formulieren. Vor allem bei Personengruppen, die über keine ausreichenden Strukturierungs- und Interpretationsstrategien ver­

fügen (niedrige Schulbildung, niedriges politisches Interesse) geht ein hoher allgemeiner, hauptsächlich unterhaltender Fernseh­

konsum mit einem niedrigen Konsistenzgrad einher. Gleichzeitig sind diese Personengruppen aber auch "Nutznießer” der politischen Information des Fernsehens, denn bei intensiver Nachrichtennutzung findet sich ein strukturierteres Einstellungsmuster als bei denen, die wenig Nachrichten sehen.

Dieses Ergebnis verweist auf die Wichtigkeit der politischen In­

formation durch das Fernsehen gerade für die Bürger, die im Prozeß der politischen Kommunikation eher als benachteiligt anzusehen sind. Insofern trägt die politische Berichterstattung des Fernse­

hens trotz der Präsentationsformen, die eine Strukturierung der Information durch das Individuum erschweren können, zur Rationali­

tät des politischen Prozesses bei.

Neben einer Betrachtung der strukturellen Zusammenhänge sind wir ferner der Frage nachgegangen, welche Auswirkungen die Stabilität oder Veränderung des Fernsehnutzungsverhaltens hat. Auch hier ist die Bedeutung der durch das Fernsehen vermittelten politischen In­

formation festzuhalten. So führt eine Abnahme der Nachrichtennut­

zung zu einer deutlichen und signifikanten Abnahme bereits entwickelter Einstellungsstrukturen. Bei Personen, die gleichblei­

bend nur wenig Nachrichten sehen, kommt es dagegen, wohl infolge der langfristigen und regelmäßigen Präsenz der hier verwendeten Streitfragen in der Berichterstattung, innerhalb des Untersu­

chungszeitraums zu einem kumulativen Lerneffekt.

Hinsichtlich des Unterhaltungsfernsehens zeigt sich möglicherweise ein Langzeiteffekt auf die Wahrnehmung und Verarbeitung politi­

scher Sachverhalte, da bei Personen, die ihren allgemeinen Fern­

sehkonsum zum Zeitpunkt der Wiederholungsbefragung eingeschränkt hatten, dennoch keine konsistenteren Einstellungsmuster zu beob­

achten waren.

(29)

Insgesamt gibt die zeitvergleichende Analyse Hinweise darauf, daß individuelle Einstellungsmuster Schwankungen unterworfen sind und nur bedingt als ein Merkmal der Persönlichkeitsstruktur angesehen werden können.

(30)

Anmerkungen

*) Diese Arbeit entstand im Rahmen des Projekts "Akzeptanz und Wirkung des Kabelfernsehen", das zunächst von der Medienkommission der Länder und nach deren Auflösung von der Deutschen Forschungs­

gemeinschaft gefördert wurde. Die wissenschaftliche Leitung hatte Professor Dr. Hans-Dieter Klingemann.

1) Die Stichprobe der Verkabelten umfaßte 1986 1.023 Personen, die der nichtverkabelten 855. Insgesamt wurden also 1.878 Interviews durchgeführt. Die Ausfälle bei den Wiederholungsbefragungen waren erheblich. 1987 konnten 870 Personen noch einmal erreicht werden (verkabelt: 465 Personen, nichtverkabelt: 405 Personen). 1988 stellten sich 706 Personen für ein drittes Interview zur Verfügung (verkabelt: 416 Personen, nichtverkabelt: 290 Personen). Für die Analyse wird mit einem gewichteten Datensatz gearbeitet, um das Verhältnis von Verkabelten zu Nichtverkabelten dem in der Bevölke­

rung anzugleichen.

2) Der genaue Fragewortlaut war: "Nachfolgend haben wir einige ge­

sellschaftliche bzw. politische Vorgänge der letzten Jahre zusam­

mengestellt, zu denen es politische Auseinandersetzungen gab oder noch immer gibt. Wie stehen Sie persönlich diesen Vorgängen gegen­

über?" Die Antwortvorgaben waren: "ablehnend", "eher ablehnend",

"gleichgültig", "eher zustimmend" und "zustimmend".

3) Die Berechnung der Einstellungskonsistenz wurde zunächst der Mittelwert der individuellen Itemscores ermittelt. In einem weite­

ren Schritt wurde für die Variable "Konsistenz" die individuelle Varianz berechnet (vgl. Barton/Parsons 1977). Für die Tabellenana­

lyse wurde die Variable gedrittelt in "niedrig", "mittel", "hoch".

Die Zuordnung richtete sich nach den deutlich erkennbaren Sprüngen der Varianzscores.

4) Allerdings stieg - zweifellos infolge des Reaktorunfalls in Tschernobyl ein Vierteljahr nach der ersten Befragungswelle - der Anteil derjenigen, die den Bau von Atomkraftwerken ablehnen, um 25 Prozentpunkte auf 75 % im Jahre 1988 an. Die Verteilungen zu den Themen Steuererleichterung und Arbeitszeitverkürzung sind dagegen zu den drei Befragungszeitpunkten im Aggregat weitgehend konstant geblieben.

5) Für den Index "Allgemeine Fernsehdauer" wurde zunächst der Fernsehkonsum für die Werktage und das Wochenende ermittelt. Um die durch die Antwortvorgaben erhaltenen Informationen als Fern­

sehdauer in Stunden berechnen zu können, wurde bei der Angabe von

"weniger als 1 Stunde" eine Sehdauer von 0,5 Stunden angenommen, für "1 bis 2 Stunden" 1,5 Stunden, für "2 bis 3 Stunden" 2,5 Stun­

den und für "mehr als 3 Stunden" 3,5 Stunden. Diese Zeiteinheiten wurden mit der Anzahl der Wochentage, an denen normalerweise fern­

gesehen wird, multipliziert. Denjenigen, die zwar Angaben zur An­

zahl der Wochentage, an denen ferngesehen wird, gemacht hatten, aber keine zur durchschnittlichen täglichen Sehdauer, wurde der Medianwert der Variablen zugewiesen. Die Standardisierung der Seh­

dauer an den beiden Wochenendtagen wurde in gleicher Weise vorge­

nommen. Um die gesamte wöchentliche Fernsehdauer zu erhalten, wur­

den die beiden in der beschriebenen Weise berechneten Variablen der Fernsehdauer an Werktagen und am Wochenende zusammenaddiert.

(31)

Bei der für Tabellenanalysen notwendigen Einteilung in "niedrige",

"mittlere" und "hohe" allgemeine Fernsehdauer wurde auf pragmati­

sche Weise vorgegangen und jeweils ein Drittel der Befragten zu­

sammengefaßt. Dabei bedeutet "niedrig" einen Fernsehkonsum von 0 (2 % der Befragten) bis 10,5 Stunden in der Woche, "mittel" ist ein Fernsehkonsum von 11 bis 17,5 Stunden, "hoch" ist ein Fernseh­

konsum von 18 und mehr Stunden in der Woche.

6) Wir haben die Häufigkeit, mit der politische Sendungen der öffentlich-rechtlichen Sendeanstalten genutzt werden, durch fol­

gende Frage ermittelt: "Wie oft sehen Sie normalerweise eine Nach­

richtensendung von ARD oder ZDF, also die 'Tagesschau', die 'Tagesthemen', 'Heute' oder das 'Heute-Journal'? Sehen Sie diese Sendungen normalerweise: weniger als einmal in der Woche; einmal in der Woche; ein paarmal in der Woche; einmal täglich; mehrmals täglich?"

7) Der höchste mögliche Indexwert beträgt 1000, der kleinste 4.08.

Die Ausprägungen des Index werden größer, wenn die Häufigkeit, mit der politische Nachrichten gesehen werden, wächst und die Gesamt­

dauer des allgemeinen Fernsehkonsums gleichbleibt. Sie wachsen auch dann, wenn bei gleichbleibender Nachrichtennutzung der Fern­

sehkonsum abnimmt. Für die Tabellenanalyse wurde der Index so tri- chotomisiert, daß jeweils ein Drittel der Befragten in den Katego­

rien "niedriger", "mittlerer" und "hoher" Nachrichtenanteil zusam­

mengefaßt wurde.

8) Der genaue Fragewortlaut war: "Viele Leute verwenden die Be­

griffe LINKS und RECHTS, wenn es darum geht, unterschiedliche po­

litische Einstellungen zu kennzeichnen. Wir haben hier einen Maß­

stab, der von links nach rechts verläuft. Wenn Sie an Ihre eigenen Ansichten denken, wo würden Sie diese Ansichten auf dieser Skala einstufen?" Zur Selbsteinstufung wurde eine 10er-Skala vorgelegt.

9) Die Variable "Schulbildung" besteht aus drei Kategorien: "nied­

rig", d.h. kein Schulabschluß oder Hauptschulabschluß, "mittel", d.h. Mittlere Reife und "hoch", d.h. Fachhochschulreife oder Abitur.

(32)

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