• Keine Ergebnisse gefunden

Wir schaffen uns ab, ganz demokratisch!

N/A
N/A
Protected

Academic year: 2022

Aktie "Wir schaffen uns ab, ganz demokratisch!"

Copied!
2
0
0

Wird geladen.... (Jetzt Volltext ansehen)

Volltext

(1)

Wir schaffen uns ab, ganz demokratisch!

Von Okka Lou Mathis, Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE)

vom 15.09.2017

(2)

Wir schaffen uns ab, ganz demokratisch!

Plädoyer für eine lebensfreundliche Demokratie

Bonn, 15.09.2017. Am 15. September eines jeden Jah- res begehen die Vereinten Nationen den „Internationa- len Tag der Demokratie“. 2017 steht dieser Tag unter dem Motto Konfliktvermeidung, also des Beitrags demokratischer Institutionen zu Frieden und Stabilität.

Wie die meisten Menschen in Europa können wir uns in Deutschland glücklich schätzen, in einem politischen System zu leben, in dem die Menschenrechte und bür- gerliche Grundrechte eingeklagt und individuelle Frei- heiten ausgelebt werden können. Unsere politischen Institutionen fördern die gewaltfreie Auseinanderset- zung bei Konflikten: Eine zentrale Bedingung für Frie- den und Stabilität.

Doch es ist ein Irrtum zu glauben, wir könnten uns auf diesen Errungenschaften ausruhen. Denn trotz Demo- kratie setzen wir seit Jahrzehnten eine friedliche und stabile Zukunft aufs Spiel: Der Klimawandel schreitet ungebremst fort, zerstört Leben und Lebensgrundla- gen und wird in Zukunft weitere Konflikte befeuern.

Konflikte um Ressourcen, ums Überleben, nicht nur anderswo – auch hier bei uns. Wir wissen das seit Lan- gem und tun doch nicht genug. Denn unsere Demo- kratie lädt dazu ein, das Klimaproblem aufzuschieben anstatt es zu lösen.

Mitverantwortlich für dieses Dilemma ist eine struktu- rell verankerte politische Kurzsichtigkeit. Diese äußert sich in den Interessen von Wählerinnen, aber genauso in den Versprechen und Entscheidungen von Politike- rinnen oder Parteien, die vor allem kurzfristig einlösba- re Versprechen ankündigen. In einer repräsentativen Demokratie sind das zwei Seiten derselben Medaille.

Viel zu oft gewinnen daher – allem Wissen aus For- schung und längst spürbarer katastrophaler Auswir- kungen unseres Lebensstils zum Trotz – Bequemlich- keit, mangelnde Aufklärung und Machtstreben gegen strategisch kluge Nachhaltigkeitsentscheidungen.

Auch so ist zu erklären, dass wir in Deutschland und weltweit immer noch an der für das Klima so gefährli- chen Kohleindustrie festhalten, Autos mit Verbren- nungsmotoren fahren oder weiterhin Unmengen von Fleisch konsumieren. Und das, obwohl Wählerinnen wie Politikerinnen meist genau wissen, dass die Kosten für ihre kurzsichtigen Interessen von Menschen in an- deren Ländern, ihren Kindern und Enkelinnen oder sogar ihnen selbst getragen werden. Die Deutschen mögen umweltbewusst sein, doch die Wahlergebnisse der letzten Jahre sprechen für ein weiter so. Wie könn- ten da die gewählten Volksvertreterinnen mutig für den erforderlichen Umbau zur Nachhaltigkeit stimmen, selbst wenn sie wollten? Das ist unverantwortlich, aber demokratisch legitimiert. Zwar beschreibt Demokratie vor allen Dingen Prozesse zur politischen Entschei- dungsfindung und nicht bestimmte Politikinhalte,

solange diese verfassungskonform sind. Was aber, wenn die so entstandene Politik unsere ökologischen Lebensgrundlagen systematisch untergräbt; uns und künftigen Generationen den sprichwörtlichen Ast ab- sägt, auf dem wir sitzen? Ein solches System ist lebens- bedrohlich.

Dies ist kein Plädoyer gegen Demokratie - im Gegenteil:

Es ist eine Aufforderung an alle Demokratinnen, den 15. September zum Anlass zu nehmen, um eine Dis- kussion über die Weiterentwicklung unseres politi- schen Systems in Gang zu bringen. Eine zukunftstaug- liche Demokratie muss die Transformation zur Nach- haltigkeit unterstützen, indem sie die Menschen vor der Zerstörung ihrer eigenen Lebensgrundlagen schützt. Sie muss uns davor bewahren, uns selbst abzu- schaffen. Es gibt bereits zahlreiche Ideen für eine nach- haltigkeitsförderliche, im wahrsten Sinne lebendige Demokratie, die Prinzipien wie Verantwortlichkeit und politische Mitbestimmung ausbauen. Sie reichen von der Einführung oder Aufwertung des Verfassungsrangs für Nachhaltigkeit zum Staatsziel, der strikten Nachhal- tigkeitsprüfung von Gesetzen, Ombudspersonen für die Zukunft, über eine parlamentarische Vertretung der Interessen künftiger Generationen und politischen Mitspracherechten von Kindern und Jugendlichen, bis hin zur beschränkten Mandatszeit für Volksvertreterin- nen oder Zukunftsräten aus zufällig ausgelosten Bür- gerinnen.

Der Schlüssel für die Wirkung dieser und ähnlicher zukunftsweisender Institutionen wäre Verbindlichkeit.

Wir brauchen mehr als Dialogforen oder sonstige Talk- shop-Formate, bei denen sich ohnehin engagierte Bürgerinnen und Expertinnen austauschen, um Ab- sichtserklärungen für die Schubladen der Ministerien zu produzieren. Stattdessen brauchen wir Mut zu demo- kratischen Experimenten mit innovativen Formaten, welche die traditionellen Institutionen wie Regierun- gen und Parlamente nicht nur beraten, sondern ver- bindlich ergänzen.

Kurz vor der Bundestagswahl und der UN- Klimakonferenz zur Umsetzung des Pariser Klimaab- kommens in Bonn (COP23) ist es höchste Zeit für ei- nen Nachhaltigkeitscheck unserer Demokratie. Ziel 16 der Agenda 2030 für Nachhaltige Entwicklung lautet

„Frieden, Gerechtigkeit und starke Institutionen“ für nachhaltige Entwicklung fördern. Es geht darum, die institutionellen Voraussetzungen für die Erreichung aller Ziele zu schaffen. Für demokratische Staaten wie Deutschland bedeutet das: Nur wenn wir unsere Insti- tutionen so anpassen, dass sie langfristige und nach- haltige Politik fördern, kann Demokratie wirklich dau- erhaft zu Konfliktvermeidung, Frieden und Stabilität im Sinne des Mottos der Vereinten Nationen beitragen.

© Deutsches Institut für Entwicklungspolitik (DIE), Die aktuelle Kolumne, 15.09.2017

www.die-gdi.de | twitter.com/DIE_GDI | www.facebook.com/DIE.Bonn | www.youtube.com/DIEnewsflash

Referenzen

ÄHNLICHE DOKUMENTE

Weierstraß-Institut für Angewandte Analysis und Stochastik, Leibniz-Institut im Forschungsverbund Berlin

Weitere Zusammenfassungen von Malte Jakob gibt es unter i-malte.jimdofree.com Nach Jackson ist die Lösung von materiellen Ansichten auf Dienstleistungen umzu- steigen; Am

Herr Nnamdi Sieber, BSc, Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport Frau Mag. Karin Sommer, BSc, Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und

Herr Nnamdi Sieber, BSc, Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst und Sport Frau Mag. a Karin Sommer, BSc, Bundesministerium für Kunst, Kultur, öffentlichen Dienst

Der Beitrag zum Bayerischen Brauerbund schließt denjenigen für die freiwillige Mitgliedschaft in der Tarifgemeinschaft sowie in der Gesellschaft für

In der gesamten arabischen Welt wurde sehr genau registriert, dass auch brenzlige Themen wie die Korruption der palästinensischen Auto- nomiebehörde angesprochen wurden und dass

OLG Düsseldorf, Beschluss vom 4.9.2008 – I-18 W 49/08 – Bürgschaft für Erfüllung eines Vorhaben- und

Nach § 140 AO wird die steuerrechtliche Aufbewahrungspflicht nicht nur durch Vorschriften der AO begründet, sondern auch durch "andere Gesetze"