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Es wird kälter in Deutschland

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Bayerisches Ärzteblatt 12/2002 651

Leitartikel

Damit sind nicht die Temperaturen gemeint, die zu dieser Jahreszeit besonders tief sinken können. Gemeint ist das soziale Klima, das immer frostiger wird. Wir bewegen uns auf ei- ne Gesellschaft zu, deren Hauptmerkmal große Konflikte sind – die Kluft zwischen Reich und Arm, zwischen Jung und Alt, zwischen Ge- sund und Krank. Nirgends ist das daraus re- sultierende Spannungsverhältnis momentan so deutlich spürbar wie im Gesundheitswesen.

Wachsende Unzufriedenheit bei den Ärzten in Kliniken und Praxen, steigende Beitragssätze bei den Krankenkassen, ratlose Patienten, hilf- lose Politiker – den Zustand unseres Gesund- heitssystems als kritisch zu bezeichnen, wäre untertrieben.

Wie konnte es so weit kommen? Die Probleme sind nicht wie ein plötzlicher Regenschauer auf uns eingeprasselt. Sie sind das Ergebnis jahrelanger Versäumnisse aller Beteiligter. Na- türlich könnte man es sich leicht machen und die Schuld allein der amtierenden Bundesge- sundheitsministerin mit ihren mehr oder min- der sinn- und nutzlosen Mini-Reförmchen in die Schuhe schieben. Doch das wäre zu kurz gegriffen. Die Schuld verteilt sich auf mehrere Schultern – fangen wir bei uns selbst an. Die ärztlichen Standesorganisationen – insbesondere die Kassenärztlichen Vereinigun- gen (KV) – stehen momentan unter Dauerbe- schuss einiger Politiker und Journalisten. Viel- leicht haben wir es in den letzten Jahren versäumt, auch in der breiten Öffentlichkeit deutlich zu machen, welche Bedeutung Kam- mer und KV für ein funktionierendes Gesund- heitswesen eigentlich wirklich haben. Viel- leicht waren unsere Aussagen zu wenig plakativ und unsere Forderungen zu unspek- takulär.

In einigen Bereichen sind wir – was die öf- fentliche Wirkung angeht – ins Hintertreffen geraten. Beispiel Qualitätssicherung: Immer

wieder wird den Ärztinnen und Ärzten vor- geworfen, angeblich keine Klarheit über die eigene Leistungsfähigkeit zuzulassen. Dabei sieht die Realität anders aus: Unzählige Kol- leginnen und Kollegen bilden sich bei Semina- ren und Qualitätszirkeln fort und beteiligen sich an Qualitätssicherungsmaßnahmen. Wir lehnen einen staatlich verordneten „Ärzte- TÜV“ ab, weil wir nicht die unmündigen An- gestellten der Krankenkassen und schon gar keine wartungsbedürftigen Automobile sind.

Wir wollen einen Nachweis, der sich nach den wirklichen Gegebenheiten in der Praxis und in der Klinik richtet und nicht nach irgend- welchen Checklisten zum Abhaken.

Auf der anderen Seite ist uns bewusst, dass vieles bei KV und Kammer zu verbessern wä- re. Zu oft hören wir von Ihnen, liebe Kolle- ginnen und Kollegen, immer noch den Ver- gleich mit der etwas muffeligen Behörde, bei der Dinge nur schwer durch die Instanzen zu bringen sind. Dass sich vieles bewegt hat in den vergangenen Jahren – von der Fort- und Weiterbildung über die Abrechnungszyklen bis hin zur Öffentlichkeitsarbeit – wird dabei leicht übersehen. Zu unseren Kernaufgaben gehört nun einmal auch die Ordnungspolitik und die ist nicht sexy, so ein immer wieder be- mühtes Bonmot. Deshalb an dieser Stelle auch einmal ein Wunsch an Sie: Haben Sie bitte Verständnis dafür, dass wir keine schlanken, Prozess-optimierten Wirtschaftsunternehmen sind. Dafür versprechen wir Ihnen, uns auf unserem Weg als echte Dienstleister für Sie, unsere Mitglieder, ständig weiterzuentwi- ckeln.

Was werden die Herausforderungen für das kommende Jahr sein? Bedeutsam wird die Entwicklung im Bereich der aus anderen Ländern importierten Innovationen für unser Gesundheitssystem. An erster Stelle sind da die Diagnosis Related Groups (DRG) zu nen- nen, die bereits jetzt in den Kliniken für viel Gesprächsstoff sorgen und auch im ambulanten Sektor deutliche Spuren hinterlassen werden.

Mehrfach haben wir darauf hingewiesen, dass die Verunsicherung groß ist und die betriebs- wirtschaftliche Kosten-Nutzen-Rechnung in der Behandlung der Patientinnen und Patienten niemals der alleinige Maßstab sein kann.

Ein fundamentales Problem der DRG wie auch der zweiten Neuerung, der Disease-Ma- nagement-Programme (DMP), ist die zuneh- mende Bürokratisierung. Bereits heute ist un- ser Arbeitsalltag von einem hohen Aufwand an Dokumentation und Datenverwaltung ge- kennzeichnet, das lässt sich nicht beliebig stei- gern. Sonst gerät das, was wir eigentlich einst gelernt hatten, nämlich die Medizin, zur Nebensache. Bei den DMP kommt noch das Problem hinzu, dass durch die Weitergabe in- timer Patientendaten fundamental in das Ver- trauensverhältnis zwischen Arzt und Patient eingegriffen wird. Aus diesem Grund werden wir alles tun, um die Begehrlichkeiten von Krankenkassen und Politikern soweit wie möglich abzuwehren.

Zum jetzigen Zeitpunkt wissen wir noch nicht, was aus den gesetzgeberischen Vorhaben der Regierung wird. Bleibt es beim Vorschalt- gesetz oder kommt eine echte Gesundheitsre- form, die diesen Namen auch verdient? Eines steht fest, die Weichen dafür werden im kom- menden Jahr gestellt. Momentan ist das Ziel noch nicht in Sicht. Wir werden uns warm anziehen müssen, denn es wird kälter in Deutschland.

Dennoch wünschen wir Ihnen schöne Feiertage und für das neue Jahr Gesundheit, Erfolg und Glück.

Es wird kälter in Deutschland

Dr. H. Hellmut Koch, Präsident der BLÄK

Dr. Axel Munte, Vorsitzender des Vorstandes der KVB

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