Seminar
Zu einigen Grundlagen der Stabilit¨atstheorie dynamischer Systeme
15.4.2013
2
Inhaltsverzeichnis
1 Existenz und Eindeutigkeit 7
1.1 Lineare Systeme . . . 7
1.2 Der Begriff des dynamischen Systems . . . 8
1.3 Existenz- und Eindeutigkeit f¨ur autonome Systeme . . . 9
2 Grundlagen der Stabilit¨atstheorie 11 2.1 Die Lyapunov’sche Methode . . . 11
2.2 Das Theorem von Hartman-Grobman . . . 12
2.3 Grenzmengen, attraktive Mengen und Attraktoren . . . 12
2.4 Stabile und instabile Mannigfaltigkeiten . . . 14
2.5 Zur globalen Integrierbarkeit eines Vektorfeldes . . . 16
2.6 Periodische Orbits und Grenzzyklen . . . 17
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4 INHALTSVERZEICHNIS
Literaturverzeichnis
[1] V. Capasso, Mathematical Structures of Epidemic Systems, Lecture Notes in Biomathema- tics, Springer-Verlag, 1993.
[2] J. Guckenheimer and P. Holmes, Nonlinear Oscillations, Dynamical Systems, and Bifurca- tions of Vector Fields, Springer-Verlag, 1983.
[3] F. C. Hoppensteadt, Mathematical Methods for Analysis of a Complex Disease, AMS, Providence, Rhode Island, 2011.
[4] K. J¨anisch, Analysis f¨ur Physiker und Ingenieure – Funktionentheorie, Differentialgleichun- gen, Spezielle Funktionen, Springer-Verlag, 1983, 1990, 1995, 2001.
[5] P. Junghanns, Skript zur Vorlesung Gew¨ohnliche Differentialgleichungen, WS 2012/13, http://www-user.tu-chemnitz.de/ peju/lehre/gdgl.html
[6] T. Kapitaniak, Chaos for Engineers, Theory, Applications, and Control, Springer Verlag, Berlin, Heidelberg, New York, 1998.
[7] A. N. Krylow, N¨aherungsrechnungen in der Schwingungs- und Elastizit¨atstheorie, VEB Verlag Technik, Berlin, 1953.
[8] L. Perko, Differential Equations and Dynamical Systems, Springer-Verlag, 1991.
[9] Y. Pesin, V. Climenhaga, Lectures on Fractal geometry and Dynamical Systems, AMS, 2009.
[10] L. S. Pontrjagin, Gew¨ohnliche Differentialgleichungen, Deutscher Verlag der Wissenschaf- ten, Berlin, 1965.
[11] Gew¨ohnliche Differentialgleichungen und dynamische Systeme, Birkh¨auser Verlag, Basel, 2010.
[12] O. Richter, Simulation des Verhaltens ¨okologischer Systeme, Mathematische Methoden und Modelle, VCH Verlagsgesellschaft, Weinheim, 1985.
[13] H. E. Scherf, Modellbildung und Simulation dynamischer Systeme, Oldenburg Verlag, M¨unchen, Wien, 2003.
[14] W. A. Steklow, Integration der Differentialgleichungen der mathematischen Physik, VEB Verlag Technik, Berlin, 1954.
[15] R. Stoop, W.-H. Steeb, Berechenbares Chaos in dynamischen Systemen, Birkh¨auser Verlag, Basel, Boston, Berlin, 2006.
5
6 LITERATURVERZEICHNIS
Kapitel 1
Existenz und Eindeutigkeit
1.1 Lineare Systeme gew¨ ohnlicher Differentialgleichungen
Satz 1.1 Wir betrachten f¨ur eine gegebene MatrixA= ajk
n
j,k=1 ∈Rn×nund einen gegebenen Vektor x0 =
x0k n
k=1 ∈Rn das Anfangswertproblem
˙
x=A x , x(0) =x0 (1.1)
bzw.
˙ xj(t) =
n
X
k=1
ajkxk(t), j = 1, . . . , n , xk(0) =x0k, k= 1, . . . , n . Dann ist
ϕ(t) =ϕx0(t) :=etAx0 die eindeutige L¨osung von (1.1), d.h.
˙
ϕx0(t) =A ϕx0(t) ∀t∈R und ϕx0(0) =x0.
Folgerung 1.2 Wir definierenΦ :R×Rn−→Rn durch Φ(t, x) =etAx .Dann gilt (a) Φ(0, x) =x ∀x∈Rn,
(b) Φ(t,Φ(s, x)) = Φ(t+s, x) ∀t, s∈R,∀x∈Rn,
(c) ϕx0(t) = Φ(t, x0) ist eindeutige L¨osung des AWPs (1.1).
Man nennt Rn den Phasenraum undR×Rn den erweiterten Phasenraumsowie Φ :R×Rn−→Rn
den durch das Problem (1.1) definiertenFluss bzw. das zum Problem (1.1) geh¨origedynami- sche System. Die Abbildung ϕx0 : R−→ Rn, t7→ Φ(t, x0) beschreibt einen Weg im Rn, der durch den Punkt x0 geht, die sogenannteFlussliniedurch x0.Das Bild (die Kurve) selbst
ϕx0(R) =
Φ(t, x0) :t∈R
nennt man Orbit (oder auch L¨osungskurve, Bahnkurve, Trajektorie). Unter dem Pha- senportrait des Systems in (1.1) versteht man die Familie aller Orbits ϕx(R), x∈Rn.
7
8 KAPITEL 1. EXISTENZ UND EINDEUTIGKEIT Folgerung 1.3 (einfaches Stabilit¨atskriterium) Es gilt
t→±∞lim ϕx0(t) = lim
t→±∞Φ(t, x0) = Θ ∀x0 ∈Rn
genau dann, wenn die Realteile aller Eigenwerte von A negativ (positiv) sind.
1.2 Der Begriff des dynamischen Systems
Definition 1.4 Unter einem dynamischen System bzw. einem (globalen) Fluss auf der of- fenen Menge M ⊂ Rn verstehen wir eine stetige Abbildung Φ : R×M −→ M , welche den folgenden zwei Axiomen gen¨ugt (vgl. Folgerung 1.2):
(F1) Φ(0, x) =x f¨ur alle x∈M ,
(F2) Φ(s,Φ(t, x)) = Φ(s+t, x) f¨ur allet, s∈R und alle x∈M .
Die MengeM heißtPhasenraumundR×M erweiterter Phasenraum. Unter derFlusslinie ϕx versteht man die Bewegung des Punktes x∈ M unter der Wirkung des Flusses Φ, d.h. die Abbildung ϕx : R −→ M , t 7→ Φ(t, x). Das Bild ϕx(R) = {ϕx(t) :t∈R} heißt Bahn, Orbit oder Trajektorie des Punktes x .
Kennt man also alle Flusslinien ϕx, x∈M , so kennt man auch den Fluss Φ,und umgekehrt.
Die Flussaxiome sind ¨aquivalent zu (F1) ϕx(0) =x f¨ur alle x∈M ,
(F2) ϕy(s) =ϕx(s+t) f¨ury=ϕx(t) und f¨ur alle t, s∈R und allex∈M .
Haben zwei Orbits einen Punkt gemeinsam, so sind sie identisch. Das kann man auch so for- mulieren: Die Relation x ∼ y ⇐⇒ y ∈ ϕx(R) auf M ist eine ¨Aquivalenzrelation. Die Aquivalenzklassen sind dabei die Trajektorien.¨
Definition 1.5 Wir unterscheiden folgende Typen von Flusslinien:
(a) Ist die Flusslinie ϕx konstant (d.h. ϕx(t) =x ∀t∈R wegen (F1)), so heißt x Fixpunkt, Gleichgewichtspunkt oder station¨arer Punkt.
(b) Eine Flusslinieϕx heißtperiodischbzw. der zugeh¨orige Punktx∈M heißtperiodischer Punkt des Flusses Φ, wenn ein kleinstes p0 >0 existiert, so dass Φ(t+p0, x) = Φ(t, x) f¨ur ein t∈R gilt. (Aus dem zweiten Flussaxiom folgt, dass diese Beziehung dann f¨ur alle t∈Rgilt.)
(c) Die Flusslinieϕx heißt injektiv, wenn die Abbildung ϕx :R−→M injektiv ist.
Satz 1.6 Außer konstanten, periodischen und injektiven Flusslinien gibt es keine anderen Typen von Flusslinien.
Definition 1.7 Unter dem Geschwindigkeitsfeld v : M −→ Rn eines bzgl. t ∈ R differen- zierbaren Flusses Φ :R×M −→M versteht man das Vektorfeld
v(x) = ∂Φ(0, x)
∂t = ˙ϕx(0).
1.3. EXISTENZ- UND EINDEUTIGKEIT F ¨UR AUTONOME SYSTEME 9 Im Fall eines bzgl. t∈Rdifferenzierbaren Flusses sind die Flusslinien ϕx :R−→M L¨osungen des Differentialgleichungssystems
˙
x=v(x).
1.3 Existenz- und Eindeutigkeit f¨ ur autonome Systeme
Definition 1.8 Es sei v:M −→Rn ein beliebiges Vektorfeld. Dann nennt man
˙
x=v(x) (1.2)
bzw. ausf¨uhrlich geschrieben
˙
xj =vj(x1, . . . , xn), j= 1, . . . , n ,
einautonomes Differentialgleichungssystem. Unter einerL¨osungvon (1.2)versteht man einen differenzierbaren Weg ϕ: (a, b)−→M , so dassϕ(t) =˙ v(ϕ(t)) f¨ur allet∈(a, b) gilt. Das Bild vonϕ ,d.h.{ϕ(t) :a < t < b} ,heißtL¨osungskurveoder Integralkurvevon (1.2). Diese Kurve bzw. die L¨osung ϕ : (a, b) −→ M nennt man maximal, wenn das Definitionsintervall nicht auf ein Intervall (α0, β0) mit α0 < α oder β0 > β vergr¨oßert werden kann, so dass auch ϕ: (α0, β0)−→M L¨osung von (1.2) ist.
Theorem 1.9 SindM ⊂Rnoffen undv:M −→Rnlokal Lipschitz-stetig, so existiert zu jedem x0 ∈M genau eine maximale L¨osung ϕx0 : (ax0, bx0)−→M des AWPs x˙ =v(x), x(0) =x0. Wir definieren mit den Bezeichnungen des Theorems 1.9
A:={(t, x) :x∈M , t∈(ax, bx)} ⊂R×M und
Φ :A −→M , (t, x)7→ϕx(t). Dann gilt 0∈(ax, bx) f¨ur allex∈M und
(F`1) Φ(0, x) =x ∀x∈M .
F¨urt0∈(ax, bx) undt∈(ay, by) mit y= Φ(t0, x) gilt ϕx(t0) =y und mitϕ(t) :=ϕx(t+t0)
˙
ϕ(t) = ˙ϕx(t+t0) =v(ϕx(t+t0)) =v(ϕ(t)) und ϕ(0) =y . Aus Theorem 1.9 folgt
Φ(t+t0, x) =ϕx(t+t0) =ϕ(t) =ϕy(t) = Φ(t,Φ(t0, x)). Also:
(F`2) Φ(s,Φ(t, x)) = Φ(s+t, x) ∀x∈M und ∀s, t∈Rmit (t, x)∈ Aund (s,Φ(t, x))∈ A. Definition 1.10 Eine stetige AbbildungΦ :A −→M nennen wir lokalen Fluss, wenn
A={(t, x) :x∈M, ax< t < bx} ⊂R×M
mit−∞ ≤ax <0< bx≤+∞ ∀x∈M die Eigenschaft hat, dass f¨ur jedesx0 ∈M einε >0und einδ >0 existieren, so dass(−δ, δ)×Uε(x0)⊂ Agilt, und wenn die zwei Flussaxiome(F`1)und (F`2)erf¨ullt sind. Die Abbildungenϕx: (ax, bx)−→M , t7→Φ(t, x) heißen wieder Flusslinien und Γx ={ϕx(t) :ax< t < bx} Orbit, Trajektorie oder Bahnkurve des Punktes x ∈M . Das Intervall(ax, bx) nennen wirLebensintervallvonx∈M .Ist−∞< ax (bx <∞), so sagt man, dass x endliches unteres (oberes) Alter hat.
10 KAPITEL 1. EXISTENZ UND EINDEUTIGKEIT Satz 1.11 Sind v :M −→ Rn lokal Lipschitz-stetig und ϕx0 : (ax0, bx0)−→ M die maximalen L¨osungen von x˙ =v(x), x(0) =x0,so ist Φ :A −→M , (t, x)7→ϕx(t) ein lokaler Fluss, wobei A={(t, x) :x∈M, ax< t < bx} .
Bemerkung 1.12 Ein beliebiger lokaler Fluss Φ :A −→M hat folgende Eigenschaften:
(a) Jedes x0 ∈ M besitzt eine Umgebung Uε(x0), so dass alle x ∈ Uε(x0) ein gemeinsames Lebensintervall haben.
(b) Ist M0 ⊂M kompakt, so haben allex∈M0 ein gemeinsames Lebensintervall.
(c) Hatx∈M endliches unteres (oberes) Alterax (bx) und ist M0⊂M kompakt, so existiert ein t∗ ∈(ax, bx) mit ϕx(t)6∈M0 ∀t∈(ax, t∗) (∀t∈(t∗, bx)).
Definition 1.13 Ein lokal Lipschitz-stetiges Vektorfeld v : M −→ Rn auf der offenen Menge M ⊂Rn heißt global integrierbar, wenn der entsprechende lokale Fluss auf R×M definiert ist.
Folgerung 1.14 Es sei v:Rn−→Rn lokal Lipschitz-stetig. Existieren Konstanten r0 >0 und τ0 >0,so dass
|v(x)| ≤ |x|
τ0 ∀x∈Rn\Ur0(Θ), so ist v global integrierbar.
Kapitel 2
Grundlagen der Stabilit¨ atstheorie
2.1 Die Lyapunov’sche Methode
Im Weiteren seienv:M −→Rnlokal Lipschitz-stetig und Φ(t, x) der (lokale) Fluss des Systems
˙
x=v(x).
Definition 2.1 Ein Punkt x∗ ∈ M mit v(x∗) = Θ heißt stabiler Gleichgewichtspunkt des Systems x˙ =v(x), wenn f¨ur jedes ε >0 ein δ >0 existiert, so dass
|Φ(t, x)−x∗|< ε ∀x∈Uδ(x∗), ∀t≥0.
Er heißt asymptotisch stabil, wenn er stabil ist und wenn ein η >0 existiert, so dass
t→∞lim Φ(t, x) =x∗ ∀x∈Uη(x∗). Der Gleichgewichtspunkt x∗ heißt instabil, wenn er nicht stabil ist.
Definition 2.2 Es sei L:M −→ R stetig differenzierbar. Unter L(x)˙ verstehen wir die Ablei- tung von L entlang der L¨osungskurven vonx˙ =v(x),d.h.
L(x) =˙ d
dtL(Φ(t, x)) t=0
=L0(Φ(0, x)) ˙Φ(0, x) =L0(x)v(x).
Satz 2.3 Es seienL:M −→R stetig differenzierbar sowie v(x∗) = Θ f¨ur ein x∗ ∈M . Ferner seien L(x∗) = 0 und L(x)>0 f¨ur alle x∈M\ {x∗}.
(a) Gilt L(x)˙ ≤0 ∀x∈M , so ist x∗ stabil.
(b) Gilt L(x)˙ <0 ∀x∈M\ {x∗}, so ist x∗ asymptotisch stabil.
(c) Gilt L(x)˙ >0 ∀x∈M\ {x∗} ,so ist x∗ instabil.
Eine Funktion L : M −→ R, mit der man diesen Satz anwenden kann, heißt Ljapunov- Funktion. Es sei bemerkt, dass die Aussagen des Satzes 2.3 g¨ultig bleiben, wenn die Voraus- setzungen nur in einer offenen Umgebung U(x∗) ⊂ M des Gleichgewichtspunktes x∗ erf¨ullt sind.
11
12 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN DER STABILIT ¨ATSTHEORIE
2.2 Das Theorem von Hartman-Grobman
Der Fluss zum Differentialgleichungssystem ˙x1 =−x1, x˙2 =x2+x21,d.h. ˙x=v(x) mit v(x) = −x1
x2+x21
ist gegeben durch
Φ(t, x) =
"
x1e−t
x2et+x321(et−e−2t)
# .
Wir definieren H(x) =
" x1 x2+x321
#
und erhalten
H(Φ(t, x)) =
x1e−t
x2+x321
et
=etAH(x),
wobei A = v0(Θ) =
−1 0 0 1
. Die Abbildung H :R2 −→ R2 bildet also L¨osungskurven des nichtlinearen Systems auf L¨osungskurven des linearen Systems ˙x =A x ab. Der folgende Satz liefert die Verallgemeinerung dieses Beispiels.
Satz 2.4 (Hartman-Grobman) Seien v : M −→ Rn stetig differenzierbar, v(Θ) = Θ, und A=v0(Θ) habe keinen Eigenwert mit verschwindendem Realteil. MitΦ(t, x)bezeichnen wir den (lokalen) Fluss zum System x˙ =v(x).Dann existieren zwei offene Mengen U, V ⊂M ,die den Punkt Θenthalten, und ein Hom¨oomorphismus H:U −→V , so dass f¨ur jedesx∈U einδ >0 mit
H(Φ(t, x)) =etAH(x) ∀t∈(−δ, δ) existiert.
D.h.,H uberf¨¨ uhrt Orbits des Systems ˙x=v(x) aus einer Umgebung des Gleichgewichtspunktes in Orbits des linearen Systems ˙x=Ax .Dabei bleibt die Parametrisierung bzgl. der Zeit erhalten.
2.3 Grenzmengen, attraktive Mengen und Attraktoren
Wir betrachten im Weiteren nur global integrierbare Systeme
˙
x=v(x) (2.1)
und das dazugeh¨orige dynamische System Φ : R×M −→ M , wobei v : M −→ Rn als lokal Lipschitz-stetig vorausgesetzt wird.
Definition 2.5 Ein Punkt p ∈ M heißt ω-Grenzpunkt (α-Grenzpunkt) des Orbits Γ = Γx ={Φ(t, x) :t∈R}, wenn eine Folge (tk)k=1∞ ⊂R mit limk→∞tk = +∞ (limk→∞tj =−∞) und
k→∞lim Φ(tk, x) =p
existiert. Die Menge allerω- bzw.α-Grenzpunkte heißtω- bzw.α-GrenzmengevonΓ und wird mit ω(Γ) bzw. α(Γ) bezeichnet. Die Mengeω(Γ)∪α(Γ) heißt Grenzmenge von Γ.
2.3. GRENZMENGEN, ATTRAKTIVE MENGEN UND ATTRAKTOREN 13 Satz 2.6 Dieα- undω-Grenzmengen sind abgeschlossene Teilmengen von M .Ist K ⊂M eine kompakte Menge mitΓ⊂K ,so sindα(Γ)undω(Γ)nicht leer, zusammenh¨angend und kompakt.
Satz 2.7 Aus p∈α(Γ)folgt Γp ⊂α(Γ), und ausp∈ω(Γ)folgt Γp ⊂ω(Γ).
Insbesondere sind also α(Γ) und ω(Γ) bez¨uglich des Flusses Φ invariante Teilmengen des Pha- senraumes, d.h. z.B.
Φ(t, y)∈α(Γ) ∀y∈α(Γ), ∀t∈R.
Hat also z.B. ein Orbit nur einen ω-Grenzpunkt, so ist dieser ein Gleichgewichtspunkt.
Definition 2.8 Unter einer Umgebung einer Menge A ⊂M verstehen wir eine offene Menge U ⊂M mit A⊂U . Wir schreiben
Φ(t, x)−→A f¨ur t−→ ∞, wenn
t→∞lim dist(Φ(t, x), A) = lim
t→∞inf{|Φ(t, x)−y|:y∈A}= 0
gilt. Eine abgeschlossene und bez¨uglich Φ invariante Menge A⊂M heißt attraktive Menge, wenn eine Umgebung U ⊂M von A existiert, so dass Φ(t, x) −→ A (t −→ ∞) ∀x ∈U erf¨ullt ist. Eine attraktive Menge heißt Attraktor , wenn sie einen dichten Orbit enth¨alt, d.h. einen Orbit, dessen Abschließung A umfaßt.
Beispiel 2.9 Wir betrachten das System
˙
x = −y+x(1−x2−y2),
˙
y = x+y(1−x2−y2)
und verwenden zu dessen Untersuchung die Polarkoordinaten x=rcosϕ , y=rsinϕ . Es folgt
˙
r =r(1−r2), ϕ˙= 1.
Der Koordinatenursprung ist Gleichgewichtspunkt. Der Einheitskreis T={r= 1} ist ein Orbit mit α(T) = ω(T) = T und ω-Grenzmenge f¨ur alle anderen Orbits außer dem Koordinatenur- sprung. Damit ist T Attraktor.
−1.5 −1 −0.5 0 0.5 1 1.5
−1.5
−1
−0.5 0 0.5 1 1.5
x
y
Beispiel 2.9:x0=y0= 0.1 (blau), x0 = 1.5, y0 = 0 (rot)
14 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN DER STABILIT ¨ATSTHEORIE
2.4 Stabile und instabile Mannigfaltigkeiten
Wir betrachten das System
˙
x1 = −x1
˙
x2 = −x2+x21 (2.2)
˙
x3 = x3+x21 bzw.
˙
x=v(x) mit
v(x) =
−x1
−x2+x21 x3+x21
.
Der einzige Gleichgewichtspunkt dieses Systems, d.h. ein Punktx∗mitv(x∗) = Θ,ist der Punkt x∗ = Θ.Nun gilt
v0(x) =
−1 0 0 2x1 −1 0 2x1 0 1
und somit ist v0(x∗) = v0(Θ) =
−1 0 0
0 −1 0
0 0 1
= A . Wir bestimmen die L¨osung ψ(t) des AWPs x(0) = x0 f¨ur das System (2.2). Aus der ersten Gleichung in (2.2) folgt ψ1(t) = x01e−t, und es bleiben die beiden Gleichungen
˙
x2+x2= (x01)2e−2t, x˙3−x3 = (x01)2e−2t zu l¨osen. Wir erhalten
ψ2(t) =x02e−t+ (x01)2 e−t−e−2t
, ψ3(t) =x03et+(x01)2
3 et−e−2t ,
also
ψ(t) =
x01e−t x02+ (x01)2
e−t−(x01)2e−2t
x03+(x01)2 3
et− (x01)2 3 e−2t
.
Offenbar gilt
t→∞lim ψ(t) = Θ ⇐⇒ x03+(x01)2 3 = 0 und
t→−∞lim ψ(t) = Θ ⇐⇒ x01 =x02= 0. Man nennt deshalb
S :=
c∈R3:c3 =−c21 3
diestabile und
U :=
n
c∈R3:c1=c2= 0 o
2.4. STABILE UND INSTABILE MANNIGFALTIGKEITEN 15 dieinstabile Mannigfaltigkeitdes Systems (2.2) im Gleichgewichtspunkt Θ.
F¨urx03+ (x01)2
3 = 0 gilt auch
ψ1(t) =x01e−t und ψ3(t) =−(x01)2 3 e−2t und somit
ψ3(t) +[ψ1(t)]2 3 = 0. F¨urx01 =x02 = 0 ist
ψ1(t) = 0 und ψ3(t) =x03et.
Aus x0 ∈ S (bzw. x0 ∈ U) folgt also ψ(t) ∈ S (bzw. ψ(t) ∈ U) f¨ur alle t ∈R. Die Mengen S und U sind invariantbzgl. des Systems (2.2).
Nun zur allgemeinen Situation: Wir betrachten im Rn das lineare Differentialgleichungssy- stem
˙
x=A x (2.3)
(d.h.A∈Rn×n). Es bezeichnewj =uj +ivj (uj, vj ∈Rn) einen verallgemeinerten Eigenvektor von A zum Eigenwertλj =αj+iβj (αj ∈R, βj ≥0), d.h.
∃`∈N: (A−λjI)`wj = Θ, wj 6= Θ. Ferner sei
B =n
u1, . . . , uk, vk+1, uk+1, . . . , vm, umo
eine Basis inRn (β1=· · ·=βk= 0 und 2(m−k) +k= 2m−k=n . Definition 2.10 Man nennt
Es= span
uj, vj :αj <0 den stabilen,
Eu= span
uj, vj :αj >0 den instabilenund
Ec= span
uj, vj :αj = 0 den zentralen Unterraum von Rn f¨ur das System (2.3).
Da die verallgemeinerten Eigenunterr¨aume einer Matrix A bez¨uglich A invariant sind, ergibt sich unter Verwendung von Folgerung 1.3 die folgende Aussage.
Folgerung 2.11 F¨ur die L¨osung etAx0 von x˙ =A x , x(0) =x0 gilt:
(a) Ist x0∈Es,so etAx0 ∈Es ∀t∈R und lim
t→∞etAx0 = Θ. (b) Ist x0∈Eu,so etAx0∈Eu ∀t∈R und lim
t→−∞etAx0= Θ.
16 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN DER STABILIT ¨ATSTHEORIE Satz 2.12 Das Vektorfeld v : M −→ Rn (M ⊂ Rn - Gebiet) sei stetig differenzierbar und Φ :A ⊂R×M −→M sei der lokale Fluss zu dem autonomen System
˙
x=v(x). (2.4)
Ferner sei v(Θ) = Θ, d.h. Θ ist station¨arer Punkt von (2.4). Die Matrix A := v0(Θ) habe k Eigenwerte mit negativem Realteil und n−k Eigenwerte mit positivem Realteil (entspr. ihrer algebraischen Vielfachheit gez¨ahlt). Mit Es und Eu bezeichnen wir den stabilen und instabilen Unterraum des Systems (2.3). Dann existieren ein ε > 0 und differenzierbare Funktionen hs : Es∩Uε(Θ) −→ (Es)⊥, hu :Eu∩Uε(Θ) −→ (Eu)⊥, so dass h0s(Θ) = Θ, h0u(Θ) = Θ und die Mengen
S={(z, hs(z)) :z∈Es,|z|< ε}, U ={(z, hu(z)) :z∈Eu,|z|< ε}
folgende Eigenschaften besitzen:
Φ(t, x0)∈S ∀x0∈S,∀t≥0 und lim
t→∞Φ(t, x0) = Θ ∀x0 ∈S , Φ(t, x0)∈U ∀x0 ∈U,∀t≤0 und lim
t→−∞Φ(t, x0) = Θ ∀x0 ∈U .
Man nenntS diestabile und U dieinstabile Mannigfaltigkeitdes Systems (2.4) im Gleich- gewichtspunkt Θ.Diese Mannigfaltigkeiten sind also tangential im Gleichgewichtspunkt Θ zum stabilen bzw. instabilen Unterraum des Systems (2.3) mitA=v0(Θ).
2.5 Zur globalen Integrierbarkeit eines Vektorfeldes
Beispiel 2.13 Es seien M = (0,∞) und x˙ =x2.Der Fluß dieses Systems ist gegeben durch Φ(t, x) = x
1−xt, −∞< t < 1
x, 0< x <∞. Die Funktion τx(t) =τ(x, t) =t+ x2t
1−x t bildet −∞,1x
auf R ab, wobei τ(x,0) = 0 gilt. Mit tx(τ) =t(x, τ) bezeichnen wir die entsprechende Umkehrabbildung. Die Gleichung
˙
y= y2
1 +y2 (2.5)
ist global integrierbar auf Mf = R (vgl. Folgerung 1.14), wobei M = (0,∞) ein invarianter Teilraum des PhasenraumesMfist. Es gilt f¨urψx(τ) = Φ(t(x, τ), x), t∈R, x∈M die Beziehung
ψx0(τ) = ∂Φ(t, x)
∂t 1
∂τ /∂t = [Φ(t, x)]2 1 +(1−xt)x2+x3t
(1−xt)2
= [ψx(τ)]2 1 + [ψx(τ)]2,
d.h., ψx(t) ist L¨osung von (2.5).
Definition 2.14 Es seien M1, M2 ⊂ Rn zwei zusammenh¨angende offene Mengen und vj : Mj −→Rn, j = 1,2, zwei lokal Lipschitz-stetige Geschwindigkeitsfelder. Die Systeme
˙
x=v1(x) (2.6)
2.6. PERIODISCHE ORBITS UND GRENZZYKLEN 17 und
˙
y =v2(y) (2.7)
heißen zueinander topologisch ¨aquivalent, wenn ein Hom¨oomorphismus H : M1 −→ M2 existiert, der Integralkurven von (2.6) auf Integralkurven von (2.7) abbildet. D.h., sind Φ(t, x) undΨ(τ, y) die (lokalen) Fl¨usse von (2.6) bzw. (2.7), so existiert f¨ur jedesx∈M1 eine bez¨uglich τ streng monoton wachsende stetige Funktiont(x, τ), so dass
H(Φ(t(x, τ), x)) = Ψ(τ, H(x)) (2.8)
f¨ur allex∈M1 und alle τ ∈ aH(x), bH(x) gilt.
Satz 2.15 Zu jedem System (2.6) existiert ein System (2.7), welches global integrierbar und topologisch ¨aquivalent zu (2.6) ist.
2.6 Periodische Orbits und Grenzzyklen
Definition 2.16 Ein periodischer Orbit (auch Zyklus genannt)Γ heißt stabil, wenn f¨ur jedes ε >0 eine Umgebung U von Γ existiert, so dass
dist(Φ(t, x),Γ)< ε ∀t≥0, ∀x∈U .
Sonst heißtΓ instabil. Der periodische Orbit Γ heißtasymptotisch stabil, wenn er stabil ist und wenn eine UmgebungU von Γ existiert, so dass
t→∞lim dist(Φ(t, x),Γ) = 0 ∀x∈U gilt.
F¨ur eine gewisse UmgebungV von Γ definieren wir die lokale stabile bzw. instabile Mannigfal- tigkeit von Γ durch
S(Γ) =n
x∈V : lim
t→∞dist(Φ(t, x),Γ) = 0o bzw.
U(Γ) =
x∈V : lim
t→−∞dist(Φ(t, x),Γ) = 0
.
Die entsprechenden globalen Mannigfaltigkeiten sind dann gegeben durch Ws(Γ) = [
t≤0
{Φ(t, x) :x∈S(Γ)} bzw. Wu(Γ) = [
t≥0
{Φ(t, x) :x∈U(Γ)}.
Beispiel 2.17 Wir betrachten das System
˙
x = −y+x(1−x2−y2),
˙
y = x+y(1−x2−y2),
˙
z = z . Es existiert ein (instabiler) periodischer Orbit
Γ ={(cost,sint,0) :t∈R} .
18 KAPITEL 2. GRUNDLAGEN DER STABILIT ¨ATSTHEORIE Der Koordinatenursprung ist Gleichgewichtspunkt. Weitere invariante Mengen sind diez-Achse, die x-y–Ebene und der Zylinder
(x, y, z) :x2+y2 = 1 ={(r, ϕ, z) :r= 1}. Es gilt
Ws(Γ) =
(x, y,0) :x2+y2 >0 und Wu(Γ) =
(x, y, z) :x2+y2 = 1 .
Definition 2.18 Einen periodischen Orbit Γ nennt man Grenzzyklus, wenn er α- oder ω- Grenzmenge eines anderen Orbits ist. Gilt Γ = ω(Γx) f¨ur alle x aus einer Umgebung von Γ, so heißt Γ ω-Grenzzyklus oder stabiler Grenzzyklus. Ist Γ = α(Γx) f¨ur alle x aus einer Umgebung vonΓ, so heißt Γ α-Grenzyklus bzw. instabiler Grenzzyklus.
Ist also Γ ein stabiler Grenzzyklus, so ist er ein asymptotisch stabiler Zyklus und zugleich ein Attraktor.
Beispiel 2.19
˙
x = −y+x(x2+y2) sin 1 px2+y2,
˙
y = x+y(x2+y2) sin 1 px2+y2. Dieses System ist ¨aquivalent zu
˙
r=r3sin1
r, ϕ˙ = 1. Periodische Orbits sind
Γ(n) =
px2+y2= 1 nπ
, n= 1,2,3, . . .
Dabei sind die Γ(2n), n= 1,2, . . . , stabil und die Γ(2n−1), n= 1,2, . . . , instabil.
Bemerkung 2.20 F¨ur ebene Systeme gilt folgendes: Ist ein periodischer OrbitΓω-Grenzmenge eines Orbits außerhalb von Γ, so ist Γ ω-Grenzmenge f¨ur alle Γx mit x in einer “¨außeren”
Umgebung von Γ.Außerdem windet sich jeder dieser Orbits Γx f¨ur t−→ ∞um Γ herum, und zwar in dem Sinne, dass jede Gerade senkrecht zu Γ zu unendlich vielen Zeitpunkten tn von Γx geschnitten wird, wobei tn −→ ∞ f¨ur n −→ ∞. (Gilt auch f¨ur “innen”, und gilt auch f¨ur α-Grenzmenge.)
Index
Ec, 15 Es, 15 Eu, 15 Ws, 17 Wu, 17
α-Grenzmenge, 12 α-Grenzpunkt, 12 α-Grenzzyklus, 18 α(Γ), 12
L(x), 11˙
ω-Grenzmenge, 12 ω-Grenzpunkt, 12 ω-Grenzzyklus, 18 ω(Γ), 12
asymptotisch stabiler Gleichgewichtspunkt, 11 asymptotisch stabiler periodischer Orbit, 17 attraktive Menge, 13
Attraktor, 13
autonomes Differentialgleichungssystem, 9 Bahn, 8
Bahnkurve, 7, 9
dynamisches System, 7, 8 erweiterter Phasenraum, 7, 8 Fixpunkt, 8
Fluss, 7, 8 Fluss, lokaler, 9 Flusslinie, 7–9
Geschwindigkeitsfeld eines Flusses, 8 Gleichgewichtspunkt, 8
global integrierbares Vektorfeld, 10 globale instabile Mannigfaltigkeit, 17 globale stabile Mannigfaltigkeit, 17 Grenzmenge, 12
Grenzpunkt, 12 Grenzzyklus, 18 injektive Flusslinie, 8
instabile Mannigfaltigkeit, 15–17
instabiler Gleichgewichtspunkt, 11 instabiler Grenzzyklus, 18
instabiler periodischer Orbit, 17 instabiler Unterraum, 15
Integralkurve, 9 L¨osungskurve, 7, 9 Lebensintervall, 9 Ljapunov-Funktion, 11 lokaler Fluss, 9
maximale L¨osung, 9 maximale L¨osungskurve, 9 Orbit, 7–9
periodische Flusslinie, 8 periodischer Punkt, 8 Phasenportrait, 7 Phasenraum, 7, 8
stabile Mannigfaltigkeit, 14, 16, 17 stabiler Gleichgewichtspunkt, 11 stabiler Grenzzyklus, 18
stabiler periodischer Orbit, 17 stabiler Unterraum, 15
station¨arer Punkt, 8
topologisch ¨aquivalente Systeme, 17 Trajektorie, 7–9
zentraler Unterraum, 15
19