MUSIK UND RAUM
Festival Wege der
Wahrnehmung
Donnerstag, 29. Mai 2014, 11.00-17.00 h Zivilschutzanlage Utenberg
Konzert I
Sehnsucht
Eine musikalisch-performative Ausstellung über das Leben in einem Bunker
Studierende der Hochschule Luzern Christine Cyris, Regie
Erik Borgir, Musikalische Leitung
11.00 h: 1. Akt
Phase eins: Raumimprovisation l
Terry Riley (*1935) In C, Teil 1
Phase zwei: Rauminstallation
Phase drei: Solistische Aufführungen
Mathilde Bigler (*1983) Sonnet deconstruction Mathilde Bigler, Performance Karlheinz Stockhausen (1928 – 2007) In Freundschaft
Alexandra Müller, Saxofon Giacinto Scelsi (1905 – 1988) Rucke di Guck
Susanne Peters, Flöte;
Matteo a Marca, Saxofon Nicolaus A. Huber (*1939) Aus Schmerz und Trauer
Manuela Villiger, Saxofon
ca. 12:30 h: 2. Akt
Phase eins: Raumimprovisation ll
Terry Riley In C, Teil 2
Phase zwei: Rauminstallationen
Phase drei: Solistische Aufführungen
Paolo Rotili (*1959) Appunti di viaggio für Saxofon und Elektronik Matteo a Marca, Saxofon Luigi Nono (1924 – 1990) …sofferte onde serene…
Bart Verheyen, Klavier
Oscar Bianchi (*1975) Semplice
Sonya Suldina, Violine
ca. 14.00 h: 3. Akt
Phase eins: Raumimprovisation lll
Terry Riley In C, Teil 3
Phase zwei: Rauminstallationen
Phase drei: Solistische Aufführungen
Hans Zender (*1936) Mondschrift
Susanne Peters, Flöte
Richard Strauss (1864 – 1949) Drei Lieder der Ophelia op. 67 Viviane Hasler, Sopran
Bart Verheyen, Klavier Bernd A. Zimmermann (1918 – 1970) Sonate
Corinna Canzian, Violine
Steve Reich (*1936) Clapping Music
Corinna Canzian, Sara Käser, Brett Keating, Alexandra Müller, Susanne Peters, Sonya Suldina, Manuela Villiger, Vera Wahl, Sara Wüest
Jacob Ter Veldhuis (*1951) Grab It!
Vera Wahl
ca. 15.30 h: 4. Akt
Phase eins: Raumimprovisation lV
Terry Riley In C, Teil 4
Phase zwei: Rauminstallationen
Phase drei: Solistische Aufführungen
John Cage (1912 – 1992) Living Room Music
Mathilde Bigler, Sonya Suldina, Sara Wüest, Sara Käser
Franz Schubert (1797 – 1828) Lied der Mignon, «Nur wer die Sehnsucht kennt»
Viviane Hasler, Sopran Bart Verheyen, Klavier
Weitere Werke während der Ausstellung:
Mischa Käser (*1959) 5 Bagatellen
Sara Käser, Violoncello
Yan Maresz (*1960) Frammento ll
Sara Wüest, Gitarre
Freitag, 30. Mai 2014, 20.00 h, Südpol Luzern
Konzert ll
Studierende der Hochschule Luzern
John Cage (1912 – 1992) Nocturne für Violine und Klavier Sonya Suldina, Violine
Bart Verheyen, Klavier Kaija Saariaho (*1952) Noa Noa
für Flöte, Live-Elektronik und Bild Katrin Szamatulski, Flöte
Carlos Hidalgo, Klangregie Iannis Xenakis (1922 – 2001) Kottos für Violoncello Solo
Martin Pratissoli, Violoncello Luigi Nono (1924 – 1990) …sofferte onde serene…
für Klavier und Tonband Bart Verheyen, Klavier Pause
Bernd A. Zimmermann (1918 – 1970) Sonate für Violine Corinna Canzian, Violine
Victor Coltea (*1986) RinmoDeZer-Freq für präparierte Gitarre und Live-Elektronik Victor Coltea, Gitarre und Live- Elektronik
Alvin Lucier (*1931) Nothing is real für Klavier, Tee- kanne und Elektronik
Bart Verheyen, Klavier und Tee- kanne
Alle Komponisten dieses Abends haben sich ausführlich mit Fragen des Raums auseinandergesetzt. Dabei sind unterschiedlichste Herangehenswei- sen erkennbar: mal steht der bespielte Raum im Mittelpunkt und zieht somit die akustische Aufmerksamkeit gezielt auf sich, mal handelt es sich um eine abstrakte oder metaphysische Ebene, die für den Zuhörer kaum erfahrbar bleibt. Und seit Beginn des elektroakustischen Zeitalters geht es zunehmend um eine Erweiterung der akustischen Möglichkeiten unter Einbeziehung der neuesten audio-technischen Entwicklungen. In allen Fällen kann man die Einbeziehung von Raumfragen in die Gedankenwelt der Komponisten als Versuch der Erweiterung der Wahrnehmung sowie der Gestaltungsmittel ansehen – eine Erweiterung, die für die Musik der letzten 70 Jahre eine zent- rale Rolle spielt.
Bei Iannis Xenakis verdeutlicht sich der Bezug zum Thema im Erschei- nungsbild seiner Partituren. Seine Ausbildung als Bauingenieur und seine langjährige Assistenz beim legendären Schweizer Architekten Le Corbusier sind wohl ausschlaggebend dafür, dass seine Partituren leicht mit Bau- planskizzen verwechselt werden können. In mindestens einem Fall, dem berühmt-berüchtigten Philips-Pavillon der Brüsseler Weltausstellung 1958, diente die Partitur zu einer schon vorhandenen Komposition (Metastaseis), sogar unmittelbar als Grundlage für den Bau selbst. Endlose Streicherglissa- ndi finden sich in den hyperbolischen Parabolformen des Baus wieder. So erscheinen Xenakis’ Kompositionen wie eine «sich in der Zeit entfaltende architektonische Konstruktion.»
Philips Pavillon, Brüssel 1958
Partitur von Metastaseis, I. Xenakis
Anders als bei Xenakis manifestiert sich der Raumgedanke beim US-Amerikaner Alvin Lucier erst in der Aufführung selbst. Dabei wird der bespielte Raum zum Mitgestalter, wenn nicht gar zum Hauptakteur des musikalischen Geschehens.
So fungiert der Aufführende oft lediglich als Assistent, um die inhärente aber meist verborgene akustische Persönlichkeit des vorhandenen Raumes freizuset- zen. Das wohl markanteste Bespiel dieser Methode findet sich in seiner Kompo- sition «I am sitting in a room» (1970) für Stimme, Tonband und Akustik, bei dem ein einzelner gesprochener Satz zuerst live aufgenommen, dann immer wieder abgespielt wird. Jeder Abspielung wird selber wiederum aufgenommen und bildete so die Grundlage für die darauffolgende Abspielung, so lange, bis Stim- me und Text sich vollständig auflösen, und nur die spezifische Resonanz und
«Harmonie» des Raumes hörbar bleiben, die von Raum zu Raum höchst unter- schiedlich ausfallen – ein Prozess der sich über etwa zwanzig Minuten erstreckt und so als metaphysische Meditation über den Zerfall an sich gesehen werden kann.
Alvin Lucier bei einer Aufführung von «I am sitting in a room» (Foto: Alvin Lucier)
Die geistige Verwandtschaft zu einem bescheidenen Riesen der Moderne ist in der Gedankenwelt von Lucier unverkennbar: John Cage wollte sich von allen überlieferten Vorurteilen darüber, was Musik zu sein hat, lösen (und hat dabei – Ironie der Geschichte – ganz neue Traditionen in Gang gesetzt, die bis heute überall seine Handschrift tragen). Der bürgerliche Konzertsaal, in dem die kanonisierten «Klassiker» sorgfältig aufbewahrt wurden (und werden), war für Cage nicht mehr als ein Friedhof, im besten Falle ein Mu- seum ohne Bezug zur Gegenwart. Er selbst wollte als Komponist das Hier und Jetzt erlebbar machen, völlig abgelöst von einschränkenden Assoziati- onsketten. Und hier spielte eben der Raum selbst eine entscheidende Rolle.
Er sollte nämlich Teil des lebendigen Geschehens einer Aufführung werden, um so – wie bei Lucier – die Substanz der Aufführung mitzuprägen.
Wenn Cage die Geschichte in seiner Musik weitgehend auslöschen will, so bildet sie für Luigi Nono vor allem in Form von Erinnerung und Assoziation die Substanz seiner kompositorischen Materie. Facetten des Raumgedan- kens finden sich bei ihm auf verschiedenen konkreten und abstrakten Ebe- nen wieder: Der Raum seiner Heimatstadt Venedig, die er an sich schon als Bühne für die Klänge des Lebens – Glocken, Wasser, Schiffe – empfand und in seine Werke einarbeitete; der Raum der kollektiven Geschichte, die durch
die Generationen nachhallt und sich für uns immer nur als Augenblick prä- sentieren lässt, nämlich als Vergangenheit; der politische Raum, in dem Unterdrückung und Ungerechtigkeit die einzigen Konstanten sind; der Raum selbst, in dem seine Klänge durch den Einsatz von Tonband und Techniken der Live-Elektronik eine erweiterte Tiefe erfahren sollten. Die Musik von Nono führt uns, anders als bei Cage, letztendlich weg vom Au- genblick, zurück in einen vielschichtigen Raum kollektiver Erinnerung.
Claudio Abbado, Luigi Nono und Maurizio Pollini, für den Nono «...sofferte onde serene...»
schrieb (Foto: Archivio Scala)
«Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft sind, wie wir wissen, lediglich in ihrer Erscheinung als kosmische Zeit an den Vorgang der Sukzession ge- bunden. In unserer geistigen Wirklichkeit existiert diese Sukzession jedoch nicht.»
Einen Raum, konstituiert aus Vergangenheit, Gegenwart und Zukunft, fasst sich für den Autor dieses Zitats, Bernd Alois Zimmermann, zusammen in die «Kugelgestalt der Zeit», die für ihn zum führenden Kompositionsprinzip werden sollte. Bei Zimmermann verdeutlicht sich eine zunehmende Aufwei- chung der Grenze zwischen Zeit und Raum, eine Entwicklung, die bei Nono ebenfalls zu erkennen ist. Fast könnte man meinen, dass das Postulat des sogenannten «Raum-Zeit-Kontinuums» aus der Relativitätstheorie im Schaf- fen einiger Komponisten des 20. Jahrhunderts eine Übersetzung in die Mu- sik gefunden hat.
Die Komponistin Kaija Saariaho (Foto: Sarah Wijzenbeek)
In der Musik der in Paris lebenden finnischen Komponistin Kaija Saariaho findet der Bezug zum Raum vor allem in der Verwendung von Live- Elektronik statt. Beim französischen Institut für Musik und Akustik, IRCAM, entwickelte sie einen ganz eigenen Umgang mit solchen Techniken. Beein- flusst von der Spektralmusik setzt sie die Elektronik ein, um das für unser Ohr meist verborgene Innenleben der Töne und v.a. ihre Obertonstrukturen an die Klangoberfläche zu holen. Die Raumakustik spielt dabei eine ent- scheidende Rolle, z.B. in der Positionierung der Lautsprecher um das Publi- kum herum. Somit bilden die Lautsprecher einen Klangraum innerhalb des physikalischen Raums und schliessen die Zuhörer damit vollständig ein.
Auch das Werk des rumänischen Komponisten Victor Alexandru Coltea, Masterstudent an der Hochschule Musik – Luzern in der Klasse von Dieter Ammann, beschäftigt sich mit Live-Elektronik und mit den erweiterten Raummöglichkeiten einer Surround-Beschallung. Zu seinem Werk sagt Vic- tor Coltea: «In my latest works I was always preoccupied with the use of sound in a geometrical way, that is why I have tried to create different kinds
of spatial forms, in order to create ‹rooms of sounds›. I wanted to give to the auditor – especially in the electronic works where you can do much more in this field – the impression of being surrounded by a ‚ ‹cosmos of sounds›».
Zu RinmoDeZer-Freq schreibt er:
«Es begann als Experiment, aber bald entwickelte es einen Zog und ich be- schloss, ein eigenständiges Stück daraus zu machen. Die Gitarre ist dabei mit einem Holzsteg unter den Saiten versehen (dem Steg eines Cellos ähn- lich), der eine ungewohnte Klangfarbe hervorbringt, vergleichbar mit dem Klang einer indischen Zither oder japanischen Koto. Die Stimmung ist nicht temperiert. Auf Grund des Holzstegs, die die Gitarre zweiteilt, kann nur eine begrenzte Anzahl an Tonhöhen produziert werden. Deshalb habe ich mich dazu entschieden, bei dem Werk auch Live-Elektronik hinzuzufügen. Der Titel des Stücks ist eine Kombination aus Wortfragmenten, die den ver- schiedenen im Stück benutzten Effekten entstammen: Rinmo = Ringmodu- lation, De = Delay, Zer = Harmonizer, Freq = Frequency shifter.»
Samstag, 31. Mai 2014, 21.30 h, Neubad Luzern
Konzert III
Master-Abschluss Maren Kessler, Music and Art Performance
From Room to Room
Eine Musikperformance von Maren Kessler
«Dort waren wir nicht, dort werden wir nicht sein, dort sind wir.»
Alle 100 Jahre verlangt das Kollektiv «Re» nach einer Person aus ihrer Mitte, die durch einen Aufenthalt im «Zwischenraum» geprüft werden soll, ob sie im Stande ist die Gemeinschaft zu erhalten.
Die junge Myra wird ausgewählt und trifft im «Zwischenraum» auf das Rol- ler Girl Candy, ein blondes Mädchen auf Rollschuhen. Das Kollektiv besteht darauf, dass Myra Candy tötet. Nur dann darf sie zurück zum Kollektiv.
Doch die Macht des «Zwischenraumes» bewirkt, dass Myra langsam ihr Gedächtnis verliert und wieder zurückkehrt «zu jenem Punkt im Leben, be- vor wir begreifen, dass es uns wichtig ist, geliebt zu werden.»
Der «Zwischenraum», ein Raum zwischen Vergangenheit und Zukunft, Tra- dition und Vision. Wer ihn betritt, löst sich von seiner Identität, verweilt auf der Schwelle zwischen den Räumen unserer Welt.
20.00 h: Vernissage «Zwischenraum», eine Ausstellung der Studierenden der Hochschule Luzern – Design und Kunst
23.00 h: Abschlussparty des Festivals Wege der Wahrnehmung im Neubad
Kontakt:
Hochschule Luzern Musik
Zentralstrasse 18 6003 Luzern T +41 41 249 26 00 www.hslu.ch/musik