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Stadtdekan Msgr. Dr. Christian Hermes. Kirche auf Bewährung

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Kirche auf Bewährung

Rede zum Haushalt des Stadtdekanats Stuttgart 2021 Sitzung des Stadtdekanatsrats Stuttgart am 15. Dezember 2020

Sehr geehrter, lieber Herr Gewählter Vorsitzender Bouley,

liebe Mitglieder des Stadtdekanatsrats, sehr verehrte Damen und Herren!

mit der jüngsten Corona-Verordnung der Landesregierung von Baden-Württemberg vom gestrigen Montag beginnen weitere schwierige Wochen eines

flächendeckenden Lockdowns. Wir alle hoffen, dass die in den letzten Wochen bedrohlich angestiegenen Zahlen von Infizierten und insbesondere schwer am Corona-Virus Erkrankten damit stabilisiert werden können, dass die Kranken so gut wie möglich versorgt und wenige Tote durch diese tückische Krankheit beklagt werden müssen, hier in Stuttgart und anderswo.

Diese große Herausforderung für die deutsche Gesellschaft betrifft auch uns

Kirchen. Wir sind dankbar, dass der hohe verfassungsrechtliche, aber insbesondere auch gesellschaftliche Wert der freien Religionsausübung − im Gegensatz zum Frühjahr − gesehen und geachtet wird. Wie der jüngst erschienene „Stuttgarter Atlas der Religionen“ gezeigt hat, spielt für Dreiviertel der Stuttgarterinnen und Stuttgarter Religion eine Rolle. Deutlich mehr als die Hälfte rechnen sich dem Christentum zu. In einer solchen Krise steht die Kirche in der Bewährung! Und es ist wichtig, dass und wie sich unsere Kirche in ihren Gemeinden und Institutionen, den Kitas, der Sozialstation, dem Caritasverband, dem Hospiz, der Seelsorge in dieser Krise bewährt und nah bei den Menschen ist.

Diese Zeit ist eine Bewährungsprobe, zunächst, weil wir alle unmittelbar davon betroffen sind ebenso wie unsere Organisation, Gremien, Einrichtungen und

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Dienste. Unzählige Gruppen, Chöre, Begegnungsangebote, Initiativen, von der Kinder- und Jugendarbeit, der Kirchenmusik bis zur Seniorenarbeit waren und sind über Monate abgestellt. Nach der als reiner Briefwahl durchgeführten

Kirchengemeinderatswahl konnten sich die Gremien nur mit Mühe und noch lange nicht in gewohnter Weise zusammenfinden. Ebenso war und ist es eine

Bewährungsprobe, dass wir als Kirche unserem Auftrag für die Menschen dieser Stadt nachkommen.

Ich möchte mit großer Anerkennung an dieser Stelle den Einsatz und den

Erfindungsreichtum so vieler Haupt- und Ehrenamtlicher hervorheben, die in allen Bereichen kirchlichen Handelns, in Gottesdienst und geistlicher Begleitung,

karitativem Tun und seelsorgerlichen Angeboten ganz neue Wege gesucht und gefunden haben, für Menschen im Sinn des Evangeliums da zu sein. Lassen wir auch in diesen nächsten Wochen damit nicht nach! Wir bieten Seelsorge und Sprechzeiten an. Wir feiern Gottesdienste: verantwortlich und unter Beachtung aller Regeln des Infektionsschutzes, aber trotzdem so schön wie möglich. Wir bleiben vernünftig und verantwortlich auch in unserer theologischen Deutung dieser Situation. Wir reduzieren physische Kontakte, nicht aber die soziale Achtsamkeit füreinander.

Die Corona-Pandemie hat selbstverständlich auch massive Auswirkungen auf unsere ökonomische Situation und unsere Handlungsmöglichkeiten. Schon im Mai sagte ein Zeitungsbeitrag für beide großen Kirchen hierzulande "eine finanzielle Dürre, deren Ende nicht absehbar" sei, voraus und eine historische Zäsur, weil die wirtschaftlichen Auswirkungen der Pandemie eine seit langem bekannte

Strukturkrise beschleunigten. Auch wenn die schlimmsten Voraussagen, jedenfalls Stand heute, glücklicherweise nicht eingetroffen sind und sowohl unsere Diözese als auch dieses Stadtdekanat dank einer noch hohen Steuerkraft, dank einer konservativen und vorsichtigen Haushaltspolitik wie auch dank intensiver

Konsolidierungsbemühungen der vergangenen Jahre möglicherweise mit zunächst

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einigermaßen verkraftbaren Blessuren durch das Jahr 2020 kommen: Eines ist klar:

Die Tatsache, dass wir heute einen Haushalt etwa in der gleichen nominalen Größenordnung des Haushalts 2019 beschließen, darf nicht darüber

hinwegtäuschen, dass das alles so nicht weitergehen wird.

Wir alle haben die Studie des Freiburger Forschungszentrums

Generationenverträge in Erinnerung, die bis 2060 eine Halbierung der

Mitgliederzahl der beiden großen Kirchen voraussagte. Wir kennen die seit Jahren hohen Austrittszahlen und können annehmen, dass sie durch die Corona-Krise wie auch die jüngsten Skandale von dubiosen vatikanischen Vorgängen bis hin zu Skandalen in der deutschen Kirche nicht sinken, sondern zunehmen werden.

Wir haben im vergangenen Jahr in Stuttgart über 2.800 Mitglieder verloren, es sind ungefähr hundert mehr verstorben, als durch Taufe oder Eintritt aufgenommen wurden, und rund 2.700 Mitglieder haben die Katholische Kirche durch Austritt verlassen. Dabei kommen über zwei Drittel aus der Altersgruppe der Jungen Erwachsenen zwischen 22 und 37 Jahren, mit dem absoluten Spitzenwert von fast 220 im Alter von 28 Jahren; zum Vergleich: im Alter von 50 Jahren sind rd. 55 Personen ausgetreten, ein Viertel. Studien zeigen, dass natürlich die mit

Berufstätigkeit beginnende Kirchensteuerpflichtigkeit eine große Rolle spielt, dass diese jedoch vor allem ein Auslöser ist, die Mitgliedschaft zu beenden in einer Glaubensgemeinschaft, deren Lehre man vielleicht nicht wie vorgegeben teilt, deren institutionelles Gebaren man nicht akzeptabel findet, in der man in diesem Lebensalter wenig inhaltliche oder praktische Relevanz für das eigene Leben erkennt und mit der man sich nicht mehr identifiziert und verbunden fühlt.

Was tun? Wir können im kommenden Jahr eine Profilstelle für die Pastoral Junger Erwachsener besetzen, aber wir müssen alle auch in den Gemeinden und

Einrichtungen diese Altersgruppe viel mehr in den Blick nehmen. Darüber hinaus sehen wir hier natürlich „große Entwicklungen“, bei denen eine allgemeine Krise gesellschaftlicher Institutionen und Autoritäten sich mit spezifischen

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Krisenphänomenen von Religion in einer säkularen Welt und hausgemachten Skandalen und Problemen zu einem bedrohlichen Szenario auftürmen. Der Beratungsprozess des Synodalen Weges nimmt wichtige strukturelle inhaltliche Fragestellungen unserer Kirche in Deutschland und darüber hinaus in den Blick, hoffentlich erfolgreich. In der Umsetzung des Prozesses „Aufbrechen −

Katholische Kirche in Stuttgart“ haben wir viele richtige und wichtige Impulse für die Weiterentwicklung unserer Pastoral und unserer Organisation entwickelt.

Auch wenn wir die großen Entwicklungen nicht aufhalten können, ist dies kein Grund, nicht alles zu tun, was uns möglich ist: − pastoral und inhaltlich, um zeitgemäße und den Bedürfnissen der Menschen entsprechende Angebote zu machen − strukturell, indem wir Standards von Gerechtigkeit, Nachhaltigkeit, Wirtschaftlichkeit, Innovation und „corporate governance“ einhalten und −

wirtschaftlich, indem wir keine Energien und Ressourcen vergeuden, sondern mit den Beiträgen unserer Mitglieder und den Mitteln, die uns zur Verfügung stehen, sinnvoll umgehen. Ausdrücklich möchte ich an dieser Stelle allen Mitgliedern unserer Kirche danken, die mit ihrer Kirchensteuer das kirchliche Leben in

Stuttgart unterstützen, in all den vielen Bereichen, die der Haushaltsplan abbildet!

Der Haushalt, der Ihnen heute vorgelegt wird, wurde erarbeitet auf der Grundlage des revidierten und von Ihnen beschlossenen Eckdatenbeschlusses. Inzwischen hat der Diözesanrat als Kirchensteuervertretung der Diözese Rottenburg-Stuttgart beschlossen, die 2020 eingebrochenen Kirchensteuereinnahmen teilweise aus Überschüssen und Rücklagen zu kompensieren, teilweise aber auch an uns, die Gemeinden vor Ort weiterzugeben in Form einer globalen Verminderung der Zuweisung um 5%.

Wir sind aufgrund unserer eigenen Haushaltspolitik und auch aufgrund unserer Größe in der Lage, diese Problematik etwas abzufedern und den Bereich der Personalkosten von der Absenkung der Zuweisung an die Kirchengemeinden auszunehmen. Weit über 50% unserer Kosten sind ja Aufwendungen für unser

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kirchliches Personal, dessen Gehälter ja nicht wegen einer verminderten

Kirchensteuerzuweisung zurückgehen und auch zurecht nicht zurückgehen. Wir können in 2021 hier mit Blick auf kommende Tarifabschlüsse im TVÖD, die dann Grundlage auch für den AVO-Tarif sind, die Zuweisung um 3% erhöhen, so dass die Minderzuweisung von 5% tatsächlich auch nur 5% bedeuten, weil dazuhin nicht noch höhere Personalaufwendungen finanziert werden müssen.

Dabei bin ich froh, dass wir Ihnen vorschlagen können, den institutionellen

Zuschuss für die Arbeit unseres Caritasverbandes für Stuttgart konstant zu halten.

Ich habe − noch vor Corona − den Vorstand ermuntert und würde es auch für angemessen halten, und zwar auch und gerade in und nach Corona, den Zuschuss an unsere Caritas auf den „Zehnten“ unserer Kirchensteuer zu erhöhen, auch wenn uns das weh tut. Denn die Arbeit, die gerade jetzt dort geleistet wird, ist von

außerordentlicher Bedeutung für unsere Kirche und unsere Gesellschaft; und gerade der Caritasverband steht in dieser Zeit vor erheblichen Mehrbelastungen.

Vielleicht werden wir zu gegebener Zeit darauf zurückkommen.

Auch wenn wir die geforderte Zuführung in die Rücklagen noch einmal erreichen, gehen unsere investiven Spielräume zurück. Im Bereich der Investitionen, aber auch im Bereich aller übrigen Ausgaben, des Personals und der Sachausgaben, werden wir − das möchte ich in aller Deutlichkeit sagen − in den kommenden Jahren schwierige Diskussionen zu führen haben. Aus dem Haushalt zu „bedienen“

sind ja die Kirchengemeinden und muttersprachlichen Gemeinden im Stadtdekanat Stuttgart. Aus dem Haushalt zu „bedienen“ sind aber auch die pastoralen

Schwerpunktorte und Leuchttürme: ein Jugendpastorales Zentrum YouCh und die Jugendkirche, das Spirituelle Zentrum station s, das Projekt „St. Maria als Kirche des Dialogs und der Vernetzung“, die Pastoral Junger Erwachsener, die

Öffentlichkeitsarbeit, die Präventionsarbeit, die Programme für ökologische Nachhaltigkeit, das karitative Engagement, das Hospiz St. Martin und das

Trauerpastorale Zentrum, die Kindertagesstätten, die Ferienwaldheime, das Haus

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der Katholischen Kirche, unser Engagement im Bereich der Kunst und Kultur, insbesondere der Kirchenmusik, und viele Formen der Zielgruppenpastoral.

Diese Zielgruppenorientierung und Profilierung wurden im Prozess „Aufbrechen“

von diesem Stadtdekanatsrat mit großer Begeisterung und Einmütigkeit beschlossen, wissend, dass dies alles Geld kosten wird. Hier müssen wir zu unserem Wort und unseren Beschlüssen stehen! Wir werden in Zeiten

zurückgehender Mittel die klassische gemeindliche Pastoral und die neuen Formen pastoraler Schwerpunktbildungen − „Kirche am Ort und Kirche an vielen Orten“ − gleichberechtigt sehen und bewerten. Es wird in der Mittelzuwendung keine per se oder aus bloßem Herkommen vorrangige Bereiche geben können. Dann brauchen wir in den Verteilungsdiskussionen, die auf uns zukommen, aber sachliche

Kriterien, welche Ressourcen für welche Zwecke vorrangig verwendet werden.

Es wird dann nicht mehr ausreichen zu sagen: Wir machen und finanzieren etwas, weil wir es immer schon gemacht und finanziert haben. Es wird auch nicht

ausreichen zu sagen: Wir machen und finanzieren etwas, weil wir, die wir gerade über die Mittelverwendung entscheiden, dieses oder jenes gut und schön finden.

Wir müssen tiefergehend fragen, und zwar ehrlich fragen, ob ein Handlungsfeld, das Ressourcen beansprucht − Geld, Personal, Kreativität, Engagement, Zeit − pastoral prioritär und wesentlich ist, d.h. zu den Kernkompetenzen und

Kernaufgaben der Kirche Jesu gehört, zu dem, was wir sein und tun sollen. Und ich halte es für weiterführend und notwendig, dass wir darüber hinaus Instrumente pastoraler Aufgabenkritik und Wirkungsmessung entwickeln, wie sie

beispielsweise im Bereich sozialer Arbeit mit Erfolg etabliert werden.

Dabei wäre zu fragen: Was leisten wir mit den eingesetzten Mitteln? Und was kommt an: bei Einzelnen, in der Gesellschaft? Welche Handlungsfelder und welche Engagements tragen im Sinn des Evangeliums zum Heil von Menschen und zum Gemeinwohl der Gesellschaft wirklich und wirksam bei? Wo bedienen wir nur eine geringe Zahl der immer Gleichen und vergessen einen Großteil sogar unserer

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Mitglieder? Wo sind wir wirklich erfolgreich? wirksam? relevant? Und wo schlummern Potenziale, die wir aktuell gar nicht sehen, die Frohe Botschaft Jesu wirksam werden zu lassen? Das Programm „Gönnt euch Innovation“ zur

Etablierung einer innovationsbereiten pastoralen Kultur in unseren Gemeinden soll ein erster Schritt dazu sein. Wesentlichkeit und Wirksamkeit werden die

entscheidenden Kriterien für die Mittelverwendung in Zukunft sein müssen! Auch dies ist Teil der Bewährungsprobe unserer Kirche in dieser Zeit. Um diese ehrliche Diskussion werden wir nicht herum kommen, und möglicherweise tut uns das auch ganz gut. Jedenfalls müssen wir eine solche Diskussion führen, so lange wir noch dazu imstande sind, sie zu führen und aus ihr die richtigen Schlüsse zu ziehen.

Beruhigen kann und möchte ich Sie nur dahingehend, dass wir diese Diskussion nicht heute, sondern in guter Beratung in dieser Wahlperiode gemeinsam führen werden.

Bevor wir jetzt in die Beratung des Haushalts einsteigen, möchte ich allen

Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern im Stadtdekanat Stuttgart herzlich danken, die in dieser Krise ganz besonders gefordert waren und sind, und auch Ihnen allen als Mitglieder des Stadtdekanatsrats für Ihr Engagement und Ihren Einsatz! Mein Dank gilt den Mitarbeiterinnen und Mitarbeitern unseres Verwaltungszentrums unter der Leitung von Frau Neuhöfer, die bewährt gute Arbeit geleistet haben in allen

Bereichen: in der Bauabteilung, die eine große Zahl von Projekten stemmt, in der Abteilung Kindertagesstätten und Soziales, die in der Corona-Krise sehr gefordert ist, und der wie der Personalabteilung durch Fachkräftemangel im Vergleich zu früher sehr viel abverlangt wird, bis zur Abteilung Finanzen, die den heute zum Beschluss vorliegenden Haushalt mit gewohnter Professionalität vorbereitet hat und sich nach diesem letzten kameralen Haushalt auf die Implementierung der

Kirchlichen Doppik konzentrieren darf. Herzlich danke ich den Mitgliedern des Verwaltungsausschusses und des Geschäftsführenden Ausschusses für die gute Vorberatung unseres Haushaltsplans.

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