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Michael Schwager; Daniela Pilger: Die IGS Köln-Holweide eine Schule in Teamstrukturen auf dem Weg zur inklusiven Schule

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Erschienen in: A. Hinz, I. Körner, U. Niehoff (Hg): Auf dem Weg zur Schule für alle. Barrieren überwinden – inklusive Pädagogik entwickeln. Marburg: Lebenshilfe Verlag 2010, S. 267-280.

Michael Schwager; Daniela Pilger:

Die IGS Köln-Holweide – eine Schule in Teamstrukturen auf dem Weg zur inklusiven Schule

Im Anschluss an die UN-Konvention ist Inklusion mittlerweile zu einem positiv besetzten Thema der öffentlichen Debatte geworden. War dieser Begriff bis vor einigen Jahren in erster Linie Teilnehmern einer speziellen Form des Reisens und Mitgliedern abgegrenzter Diskussionszirkel im Bereich des Gemeinsamen Unterrichts geläufig, so werden

mittlerweile in Zeitungsartikeln oder auch Fernsehbeiträgen beispielhaft inklusive Schulen und Initiativen vorgestellt, und es gibt verschiedene Schulpreise, die sie prämieren. Auch die nordrhein-westfälische Schulministerin beruft sich auf Inklusion (Ministerium 2009), und die Firma Henkel verwendet ihn, um in der Organisationseinheit ´Global Diversity &

Inclusion´ (Süddeutsche Zeitung 2009, 13) ihre Auslandsbeziehungen zu bündeln.

Inklusion ist also in aller Munde und die Homepage des internationalen Wettbewerbs zur Definition dieses Begriffs weist allein für Deutschland 44 Definitionen dieses Begriffs aus (Definitiv-inklusiv 2009). So positiv diese öffentliche Aufmerksamkeit auch ist. Sie wirft das Problem auf, dass dieser Begriff nicht eindeutig bestimmt ist, dass seine Bedeutung zunehmend verschwimmt und dass jeweils geprüft werden muss, was mit ihm eigentlich gemeint ist.

"Inklusion geht es darum, alle Barrieren in Bildung und Erziehung für alle SchülerInnen auf ein Minimum zu reduzieren" (Boban/ Hinz 2003, 11). Für die Gesamtschule Holweide ist das Verständnis von Inklusion wesentlich durch diese Definition des Index für Inklusion geprägt. In der Schule und speziell im Unterricht kann es nicht darum gehen,

Bildungsbarrieren nur für bestimmte und genau definierte Schülergruppen zu reduzieren, sondern dies muss um alle SchülerInnen gelten. Inklusion erweist sich also nicht darin, dass SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf, Hochbegabte, SchülerInnen mit Migrationshintergrund oder Mädchen besonders gut gefördert werden, sondern Inklusion erweist sich darin, dass alle SchülerInnen barrierefrei lernen, arbeiten und leben können. Der zweite Eckpunkt der genannten Definition liegt darin, dass es nicht nur um bestimmte Barrieren wie z.B. Sprache, intellektuelle Fähigkeiten oder Religion geht, sondern dass es um die Reduktion grundsätzlich aller Barrieren geht. Es geht also nicht nur um spezielle Fördermaßnahmen, sondern vielmehr um die Schule in ihrer Gesamtheit, d.h.

um den Unterricht, das Schulleben, die SchülerInnen, die Lehrkräfte, die Eltern, die Organisation der Schule usw., weil aus all diesen unterschiedlichen Aspekten von Schule Barrieren in Bildung und Erziehung erwachsen können bzw. weil in ihnen Barrieren begründet sein können.. Mit dieser Definition wird vor allem aber auch nicht der vermessene Anspruch erhoben, dass es tatsächlich gelingt, diese Barrieren vollständig abzubauen. Es sollte aber darum gehen, diese Barrieren zu reduzieren, wobei dies wiederum auch den Anspruch impliziert, mögliche Barrieren als solche überhaupt zu erkennen.

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Im Folgenden soll dargestellt werden, wie an der Gesamtschule Holweide versucht wird, Barrieren in Bildung und Erziehung zu reduzieren, wobei den verschiedenen Formen der Kooperation und der Teamarbeit eine besondere Bedeutung zukommt. Die Gesamtschule Köln Holweide hat sich mit der 2006 abgeschlossenen Überarbeitung ihres

Schulprogramms zu einer inklusiven Schulkultur verpflichtet, nachdem bereits in den Jahren zuvor eine erste Auseinandersetzung mit diesem Thema im Rahmen einer breit angelegten Evaluation ihres Gemeinsamen Unterrichts erfolgt war (dazu: Schwager/ Pilger 2006). Wesentlich für diese Selbstverpflichtung war allerdings, dass sie schulintern

weniger als ein Bruch mit der bisherigen Praxis oder als ein Neuanfang, denn vielmehr als eine neue Orientierung auf der Basis einer Reflexion der bisherigen Praxis verstanden wurde. Die schulische Praxis insbesondere des Gemeinsamen Unterrichts wurde also durch die Inklusion auf einen Begriff gebracht und es ergaben sich neue Orientierungen für eine Weiterentwicklung dieser Praxis. Hinzu kam, dass dieses Thema durch den direkten Kontakt mit Ines Boban und Andreas Hinz der Schulöffentlichkeit nachdrücklich und praxistauglich vermittelt werden konnte.

Einige zentrale Aspekte einer so verstandenen Orientierung auf Inklusion sollen dargestellt werden. Abschließend muss aber auch auf einige Paradoxien hingewiesen werden, in die sich der Versuch einer Orientierung an den Ansprüchen einer inklusiven Schule derzeit verwickelt.

Die Gesamtschule Köln-Holweide

Die Schule

Die Gesamtschule Köln-Holweide wurde 1975 als eine ursprünglich 12-zügige

Gesamtschule aus einem bereits bestehenden Gymnasium heraus gegründet und mit einem Gebäude ausgestattet, welches den damaligen Vorstellungen von Funktionalität entsprach.

Mittlerweile ist die Schule im Bereich der Sekundarstufe I 9-zügig und in der

Sekundarstufe II 5-6-zügig. Sie wird von etwa 1800 Schülerinnen und Schülern besucht, die von etwa 180 Lehrkräften der verschiedensten Lehrämter unterrichtet werden. Derzeit haben 24 Lehrkräfte das Lehramt für Sonderpädagogik. Von Anfang an wurde dieses sehr große System als ein Problem wahrgenommen und es wurde nach Möglichkeiten gesucht, diese Komplexität mit den damit einhergehenden Gefahren der Anonymität, der

Vereinsamung und auch der Zerstörung und Gewalt zu reduzieren. Die Versuche einer Reduktion der Komplexität bezogen sich dabei nicht nur auf die üblichen pädagogischen Maßnahmen, sondern sie bezogen sich auf die Schule und auf die Schüler, aber auch auf die Lehrkräfte und die Schulleitung. Auf den verschiedenen Ebenen sollten soziale und emotionale Bindungen gestärkt werden, um die vielfältigen Barrieren in Bildung und Erziehung zu reduzieren, aber auch um sie zu erkennen und zum Teil gar nicht erst entstehen zu lassen.

Das Team-Kleingruppen-Modell

Dem Team-Kleingruppen-Modell (dazu: Ratzki u.A. 1996) liegt die Idee zugrunde, der Schule auf allen Ebenen eine dezentrale Struktur mit jeweils größtmöglichen

Gestaltungsmöglichkeiten und Verantwortlichkeiten zu geben. Den Kern dieses Modells bilden die ´Teams´ aus jeweils drei Parallelklassen, die als feste Schüler- und Lehrerteams den ´Durchgang´ von der 5. bis zur 10. Klasse absolvieren. Die Teams eines Jahrgangs bilden den ´Jahrgang´, der wiederum mit einem von der LehrerInnenkonferenz gewählten Jahrgangsleiter in der erweiterten Schulleitung vertreten ist (In der Sek II ist das Team wegen der deutlich geringeren Schülerzahl mit dem Jahrgang identisch). Die Teams werden jeweils für den neuen fünften Jahrgang gebildet und mit ´TeamlehrerInnen´

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ausgestattet, die unter den Gesichtpunkten der Fächervielfalt, der annähernden

Geschlechterverteilung und nach persönlichen Präferenzen ausgewählt werden und die einen Großteil des Unterrichts – auch fachfremd – abdecken sollen. Die Teams haben starke Autonomie insbesondere in Fragen der internen Unterrichtsverteilung, der

Stundenplangestaltung, der Vertretungsregelungen aber auch in pädagogischen Fragen, so dass sie auch als Schulen in der Schule bezeichnet werden können. Sie entscheiden auch intern, welche TutorInnenpaare (Klassenlehrer) gebildet, welchen Klassen sie zugeordnet werden und in welchem Umfang der Klassenunterricht von diesen TutorInnen gegeben wird.

Bereits durch das Teammodell wird ein hohes Maß an Bindungen der SchülerInnen an die jeweiligen Lehrkräfte ermöglicht, da die SchülerInnen nur mit einer sehr überschaubaren Zahl Lehrkräften über einen langen Zeitraum konfrontiert werden. Das Prinzip der Überschaubarkeit setzt sich in der Klasse fort, indem die SchülerInnen in Tischgruppen aufgeteilt werden, die in sich leistungs- und geschlechtsheterogen sind und deren

Zusammensetzung ebenfalls auf Stabilität angelegt ist. Während also die Voraussetzungen für ein erfolgreiches Lehren der Lehrkräfte darin gesehen wird, dass diese sich in ´ihrem´

Team eingebunden fühlen, dass sie innerhalb ihres Teams Verantwortung übernehmen und dass ihnen durch die Schulleitung Gestaltungsmöglichkeiten zugetraut werden, so liegt die Voraussetzung für das erfolgreiche Lernen der Schüler letztlich innerhalb der

Tischgruppen, innerhalb derer im erfolgreichen Falle Lernen aber auch Hilfe durch die Schüler organisiert wird und innerhalb derer die Schüler füreinander Verantwortung übernehmen.

Verstärkt werden diese Effekte noch dadurch, dass der Unterricht nahezu ausschließlich im Klassen- bzw. im Teamverband stattfindet und dass die Gesamtschule Holweide aufgrund eines Sondererlasses ausschließlich in Englisch (ab Klasse 7) und in Mathematik (ab Klasse 9) eine Leistungsdifferenzierung durchführen muss, welche zudem derzeit im Fach Englisch in vielen Klassen in Form einer inneren Differenzierung durchgeführt wird.

Gemeinsamer Unterricht.

Der seit 1985 praktizierte Gemeinsame Unterricht von SchülerInnen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf wurde in dieses Team-Kleingruppen-Modell eingepasst, ohne dass das Modell grundsätzlich revidiert wurde. Durch den GU erhöhte sich also die Heterogenität der Tischgruppen, indem in den GU-Klassen ein bis zwei Tischgruppenmitglieder einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben, und es erhöhte sich die Heterogenität der LehrerInnenteams, indem bei ein bis zwei Teammitgliedern das Lehramt für Sonderpädagogik hinzu kam.

Auch in Holweide war der GU anfänglich nicht unumstritten. Deshalb wurde in den Anfängen ein ´Freiwilligkeitsbeschluss´ für die Arbeit in den GU-Klassen gefällt.

Andererseits erfolgte durch das Team-Kleingruppen-Modell eine sehr enge Einbindung in die Klassen und Teams. Jeder Schüler und jede Lehrkraft in diesen Klassen wird mit den Erfordernissen des GU´s konfrontiert, da die behinderten Schüler in allen Tischgruppen präsent sind, und da die Sonderschullehrkräfte als Teamlehrer zwar ein besonderes Aufgabengebiet und besondere Kompetenzen haben, ohne aber innerhalb des Unterrichts oder der Schule eine besondere Rolle zu spielen, indem sie etwa im Unterschied zum Fachlehrer die Rolle des ständig präsenten Klassenlehrers einnehmen oder sich über eine

´Beratungsfunktion´ definieren. Dadurch konnten diejenigen Fehlentwicklungen, die von Hinz (2002, 357) als Zwei-Gruppen-Theorie bezeichnet werden, sowohl auf der

SchülerInnen- als auch auf der LehrerInnenseite weitgehend vermieden werden (dazu:

Schwager 2005).

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Dieser zunehmenden Akzeptanz steht allerdings eine von Anfang an erfolgte strikte Reglementierung der zur Verfügung stehenden GU-Plätze durch die Schulaufsicht entgegen. So konnte zwar die Zahl der GU-Plätze von anfänglich jährlich fünf auf mittlerweile 30 kontinuierlich gesteigert werden. Entgegen den Wünschen vieler

KollegInnen ist es aber immer noch nicht möglich, in allen Klassen GU durchzuführen, so dass gegenwärtig erst 6 von 9 Klassen eines Jahrgangs den GU praktizieren. Zu erwähnen ist sicherlich auch, dass mit großer Regelmäßigkeit und unter Verwendung der

verschiedensten Mittel seitens der Behörden versucht wird, den GU zu beschneiden, so dass die – leider oft genug erfolgreiche - Drohung mit Mittelkürzungen mittlerweile zum Ritual eines jeden Winters gehört.

SchülerInnen mit sonderpädagogischem Förderbedarf

Entsprechend der Vorgaben der Schulaufsicht besuchen derzeit im Bereich der Sekundarstufe I 180 SchülerInnen mit einem anerkannten sonderpädagogischen

Förderbedarf die Gesamtschule Holweide. Ein gutes Drittel dieser SchülerInnen hat den sonderpädagogischen Förderschwerpunkt der emotionalen und sozialen Entwicklung (davon einige SchülerInnen mit Autismus). Etwa ein Drittel ist lernbehindert und das letzte Drittel verteilt sich auf die sonderpädagogischen Förderschwerpunkte der körperlichen und motorischen Entwicklung, der geistigen Entwicklung, Sprache, Hören und Sehen. 60 bis 70 % der SchülerInnen werden mit einer in den oberen Klassen abnehmenden Tendenz in den Bildungsgängen Lernen oder Geistige Entwicklung unterrichtet. Hinzu kommen in der Sekundarstufe II derzeit 6 SchülerInnen mit einer Körperbehinderung. Mittlerweile

absolvierten mehrere SchülerInnen nach Aufhebung ihres sonderpädagogischen

Förderbedarfs (insbesondere im Förderschwerpunkt emotionale und soziale Entwicklung) die Sekundarstufe II und im Jahr 2006 hat erstmals eine Schülerin ihr Abitur abgelegt, die als lernbehinderte Schülerin an die Schule kam. Zu erwähnen ist auch, dass sich

insbesondere die Zahlen der geistigbehinderten SchülerInnen gegenwärtig zu stabilisieren scheinen, nachdem diese SchülerInnen in den vergangenen Jahren offenbar gezielt aus dem GU ´herausberaten´ wurden und nachdem die Schule offensiv um diese SchülerInnen geworben hat.

Die genannten Zahlen schwanken beträchtlich. So ändert sich die Verteilung der einzelnen Förderschwerpunkte innerhalb der Jahrgänge, da etwa zwei Drittel der SchülerInnen von der Peter-Petersen-Grundschule in Köln-Höhenhaus ohne ein gesondertes

Auswahlverfahren an die Schule wechselt. Ein anderer Grund liegt darin, dass jährlich bei etwa 5-10 SchülerInnen der Förderbedarf aufgehoben wird. Zugleich werden auch neue Verfahren eingeleitet, zumal zunehmend SchülerInnen aus der ´stillen´ Integration geschickt werden. Recht häufig wird auch bei SchülerInnen am Ende der Grundschulzeit der sonderpädagogische Förderbedarf aufgehoben, um ihre Aufnahmechancen in Holweide als ´nichtbehinderte´ SchülerInnen zu erhöhen, da es in den vergangenen Jahren für jeden GU-Platz 2-3 BewerberInnen gegeben hat.

Unterricht

Die Ressourcen für den Gemeinsamen Unterricht setzen sich aus den nach den Schüler- Lehrer-Relationen der jeweiligen Förderschulen berechneten

SonderschullehrerInnenstunden und einem Stellenzuschlag auf die

Gesamtschullehrerstellen zusammen. Diese Ressourcen werden einerseits dazu verwendet, die Klassenfrequenz in den Klassen mit Gemeinsamem Unterricht von 30 auf 26

SchülerInnen abzusenken, von denen fünf einen sonderpädagogischen Förderbedarf haben.

Andererseits fließen diese Ressourcen in die Doppelbesetzungen, so dass in den GU- Klassen rechnerisch etwa 50 % des Unterrichts von zwei LehrerInnen in Formen des

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Teamteachings durchgeführt wird. Hinzu kommen einige Zivis und Schulbegleitungen, die einzelnen SchülerInnen Assistenz leisten. Neben den Doppelbesetzungen gibt es spezielle Maßnahmen im Rahmen der Berufsorientierung (dazu: Kellinghaus-Klingberg/ Schwager 2002) und der Lebenspraktischen Übungen, die insbesondere von den geistig- und

schwachen lernbehinderten SchülerInnen genutzt werden.

Kennzeichnend für den Gemeinsamen Unterricht in Holweide ist es also, dass er zum Teil in Formen des Teamteachings praktiziert wird, wobei es sowohl möglich ist, dass eine der beteiligten Lehrkräfte das Lehramt für Sonderpädagogik hat und die andere nicht. Es kommt aber ebenfalls häufig vor, dass beide Lehrkräfte nicht das Lehramt für

Sonderpädagogik oder dass beide Lehrkräfte das Lehramt für Sonderpädagogik haben. Zu einem großen Anteil wird der Gemeinsame Unterricht aber auch praktiziert, indem die gesamte Klasse von einer Lehrkraft mit welchem Lehramt auch immer unterrichtet wird.

Dies bedeutet insbesondere, dass sich eine strikte Trennung von Fachunterricht,

allgemeiner Bildung und Erziehung, von individueller und sonderpädagogischer Förderung nicht aufrecht erhalten lässt, sondern dass diese Gesichtspunkte von jeder Lehrkraft in den alltäglichen Unterricht integriert werden müssen.

Diese Integrationsleistung findet alltäglich und nahezu selbstverständlich statt. In vielen Fällen ist der Unterricht so strukturiert, dass sich relativ kurze Phasen des allgemeinen Unterrichtsgespräches mit relativ langen Phasen der Einzel-, Partner- oder Gruppenarbeit abwechseln, in welchen wiederum individuelle Hilfestellungen gegeben werden.

Desgleichen ist das Lernen am gemeinsamen Unterrichtsgegenstand eine nahezu durchgängige Praxis. Die individuelle und die sonderpädagogische Förderung erfolgen weitgehend in diesem Rahmen, indem beispielsweise bei der Erarbeitung von Lektüren im Deutschunterricht konkrete Fragestellungen nach dem Inhalt neben abstrakteren Fragen beispielsweise nach Eigentümlichkeiten der Textsorte breiten Raum einnehmen oder indem ein Teil der Schülergruppe am Beispiel der Gangschaltung eines Fahrrades

Grundlagen der Bruchrechnung erwirbt, wohingegen ein anderer Teil an diesem Beispiel Grundrechenarten vertieft oder erwirbt.

Ein Problem dieser in breitem Umfang praktizierten Form des Gemeinsamen Unterrichts liegt allerdings darin, dass er sich zumindest bisher einer theoretischen Durchdringung mit den einer Schule zur Verfügung stehenden Mitteln hartnäckig entzieht. So hat es

beispielsweise in der Vergangenheit verschiedene Versuche im Rahmen von allgemeinen Diskussionen, von Fortbildungsveranstaltungen und von Arbeitsgruppen gegeben, die verschiedenen Formen der Kooperation im Teamteaching begrifflich zu fassen, nicht zuletzt um klarere Qualitätskriterien zu entwickeln. Diese Versuche erwiesen sich allerdings als problematisch. Die Gründe dürften einerseits darin liegen, dass eine enge Kooperation im alltäglichen Unterricht stark von Persönlichkeitsfaktoren der jeweiligen Lehrkräfte geprägt ist, ohne dass dies unbedingt mit einem Konsens hinsichtlich der Auffassungen von einem guten Unterricht einhergehen muss.. Andererseits ist die Art der Kooperation vermutlich auch von den Bedingungen der unterschiedlichen Fächer und der jeweiligen Lerngruppe abhängig. Es ist ein beträchtlicher Unterschied, ob ein

Teamteaching im Rahmen des Arbeitslehreunterrichts einer fünften Klasse stattfindet, in der viele SchülerInnen beträchtliche Schwierigkeiten im Sozialverhalten haben, oder ob sie im Rahmen des Deutschunterrichts einer zehnten Klasse stattfindet, in der die meisten SchülerInnen einen möglichst guten Abschluss anstreben. Nicht zuletzt sind

Qualitätskriterien für guten Unterricht aber auch häufig hinsichtlich ihres logischen Status unklar, indem sie entweder Normen oder aber Gelingensbedingungen zu formulieren beanspruchen. Gegenwärtig versucht sich die Schule diesem Thema dadurch zu nähern, dass ein Minimalkonsens formuliert wird, der dann in einem zweiten Schritt

ausdifferenziert werden soll (Gesamtschule Holweide 2009).

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Auch methodisch wurden in der Vergangenheit die verschiedensten Modelle der

Gruppenpädagogik, des sozialen Lernens, der individuellen und der sonderpädagogischen Förderung und zuletzt des kooperativen Lernens erprobt und praktiziert. Da relativ viele LehramtsanwärterInnen an der Schule unterrichten und da eine ganze Reihe von

KollegInnen als ModeratorInnen tätig sind, gibt es in den Teams eine große Vielfalt entsprechender Unterrichtsformen, die zum Teil über Fortbildungen dem gesamten Kollegium intensiv vermittelt wurden (zum kooperativen Lernen: Kreutz/ Deckers in diesem Bande). Letztlich ist der schulweite Konsens aber auch im Bereich der Didaktik brüchig und es stellt sich in Anbetracht der dezentralen Organisation auch die Frage, wie unter diesen Bedingungen ein derartiger Konsens beschaffen sein sollte.

Ein Konsens besteht allerdings in der Auffassung, dass sich didaktische und methodische Modelle immer daran erweisen müssen, ob sie Gemeinsamen Unterricht und ob sie eine Orientierung auf Inklusion ermöglichen. Das für die schulinterne Diskussion entscheidende Kriterium liegt also in der Antwort auf die Frage, ob es mit diesen Modellen möglich ist, SchülerInnen mit und ohne sonderpädagogischen Förderbedarf, SchülerInnen mit und ohne Migrationshintergrund, Jungen und Mädchen sowie Hochbegabte und schwache

Hauptschüler gemeinsam zu unterrichten.

Widersprüchlichkeiten und offene Fragen des Gemeinsamen Unterrichts.

Bei aller schulinternen Akzeptanz und bei allen Erfolgen, aber auch bei den Misserfolgen des Gemeinsamen Unterrichts gibt es auch immer noch Widersprüchlichkeiten und offene Fragen des Gemeinsamen Unterrichts und der Orientierung auf Inklusion, von denen einige hier wenigstens angerissen werden sollen:

- Es ist ein wesentlicher Beitrag zum Abbau und zur Verhinderung von

Bildungsbarrieren, wenn der Wechsel von Bildungsgängen oder auch der Wechsel von Fördermaßnahmen wegen der Durchlässigkeit des Systems gefördert und nicht mit zusätzlichen Problemen belastet wird. Dies spricht für die Gesamtschule, für den Gemeinsamen Unterricht und nicht zuletzt für den Vorrang der inneren vor der äußeren Differenzierung. So ist es eine alltägliche Erfahrung an Schulen wie Holweide, dass SchülerInnen in bestimmten Phasen ihrer Entwicklung zusätzliche Hilfen und vielleicht auch einen Wechsel des Bildungsgangs benötigen, um zunächst andere Entwicklungshemmnisse angehen zu können. Viele dieser

SchülerInnen schaffen es dann aber wieder, sich in das Lernen ihrer Lerngruppe zu integrieren und sie benötigen dann vielleicht noch bestimmte Rahmenbedingungen oder auch Hilfen. Die Bindung der Ressourcen an einzelne SchülerInnen und das zunehmend engmaschigere System der Kontrolle machen es einer Schule aber schwer, den Förderbedarf auch ´offiziell´ aufzuheben, da pädagogisch sinnvolle und erforderliche Entscheidungen direkt auch organisatorische Folgen haben.

- In der Literatur zum Gemeinsamen Unterricht herrscht weitgehend Einigkeit darüber, dass die Formen der Etikettierung von SchülerInnen ähnlich wie die verschiedenen Sonder- oder Förderinstitutionen, die verschiedenen Lehrämter und die Berufs- und Interessenverbände eher Teil des Problems, denn Teil der Lösung sind. Dennoch stellt sich die Frage der Zielrichtung. Kann die Orientierung auf Inklusion das Ziel haben, die sonderpädagogische Förderung in der individuellen Förderung aufgehen zu lassen? Hinz (2009) kommt zwar in seiner Analyse des möglichen Beitrags der sonderpädagogischen Fachrichtung zur Entwicklung einer inklusiven Didaktik zu eher ernüchternden Ergebnissen. Andererseits betont mit Arnold (2008) jetzt auch ein Vertreter der allgemeinen Pädagogik erstmals den möglichen Beitrag der sonderpädagogischen Förderung zu Konzepten der

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individuellen Förderung und es gibt – wenn auch immer noch sehr wenige – vergleichende Untersuchungen (z.B. Wocken 2005 , Klicpera/ Gasteiger-Klicpera 2006; Lehmann, R./ Hoffmann, E. 2009). Dennoch muss auch die Warnung ernstgenommen werden, die Reiser (2007) ausspricht, wenn er von der Gefahr warnt, dass in einer inklusiven Schule SchülerInnen mit Behinderungen aus dem Blick geraten. Die Sonderpädagogik hat sich auch aus dem Anspruch heraus

konstituiert, für diese SchülerInnen ein Anwalt zu sein. Es gibt wenig Anlass zu der Annahme, dass sich diese Aufgabe in Zukunft erübrigt hat.

- Am Schnittpunkt des Wechsels von der Grundschule in die Sekundarschule lassen sich zunehmend Formen der ´stillen´ Integration konstatieren, indem bei Kindern aus nachvollziehbaren Gründen kein Verfahren zur Feststellung des

sonderpädagogischen Förderbedarfs eingeleitet wurde, obwohl sie massive

Verzögerungen ihrer emotionalen und sozialen, aber auch ihrer intellektuellen oder körperlichen Entwicklung haben. Diese Entwicklung wird wohl eher zunehmen und es muss natürlich auch jeweils gefragt werden, welchen tatsächlichen Vorteil diese Kinder von einem AO-SF haben. Außerdem ist es natürlich begrüßenswert, wenn sich immer mehr Schulen in der Lage sehen, diese Kinder angemessen zu

unterrichten und zu fördern. Es ist allerdings ein Problem, wenn diese Kinder dann in der Sek I nicht in die vielleicht wohnortnächste Schule wechseln, sondern wenn sie gezielt in die wenigen Schulen mit ausdrücklichem GU ´gedrückt´ werden. Das Problem liegt darin, dass in diesen Schulen die für den GU konstitutive

Heterogenität der Schülerschaft hochgradig gefährdet ist. Eine Lösungsmöglichkeit besteht mittelfristig nur in der engen und vertrauensvollen Kooperation der Primar- mit den Sekundarschulen, in der auch Schwierigkeiten offen geklärt werden

können. Es macht keinen pädagogischen Sinn, diese SchülerInnen in wenigen Sekundarschulen zu konzentrieren.

- Nachdem die Ressourcen für den Gemeinsamen Unterricht in Nordrhein-Westfalen zu Zeiten des Schulversuchs etwa hälftig system- und personengebunden waren und nachdem sie vor 6 Jahren vollständig als ´Rucksack´ an die einzelnen Schüler gebunden waren (bei strikter Deckelung der Schülerzahlen), wird gegenwärtig unter Berufung auf Inklusion in Form der sonderpädagogischen Förderzentren eine systembezogene Zuweisung erprobt. Diese Form der Zuweisung wird von vielen AutorInnen der Inklusionsliteratur unter Berufung auf das erstgenannte Dilemma gefordert. Das Problem liegt allerdings darin, dass es sich hierbei um eine massive Sparmaßnahme handelt, da eine beträchtlich höhere Zahl von SchülerInnen und Schulen von einer gleichbleibenden Zahl von Lehrkräften betreut bzw. ´beraten´

werden soll.

- Es besteht dahingehend Konsens, dass durch die Ratifizierung der UN-

Behindertenrechtskonvention Handlungsbedarf in Richtung auf ein inklusives Schulwesen entstanden ist. Nach dem Selbstverständnis der Schulen mit GU wird Inklusion schon seit langer Zeit in diesen Schulen erprobt und es werden Methoden des Unterrichts, der Förderung und der Kooperation entwickelt, die allen

SchülerInnen zugute kommen (sollten). Es ist befremdlich, wenn die

flächendeckende inklusive Schule ohne Beteiligung der GU-Schulen entwickelt werden soll und wenn die GU-Schulen als pädagogische Dinosaurier diskreditiert werden, während Förder- und andere Schulen des gegliederten Schulsystems eine Vorreiterrolle für die inklusive Schule zugedacht wird.

- Es ist nachvollziehbar, dass Maßnahmen in Form von Förderplänen, Lernberichten, Protokollen usw. dokumentiert werden müssen, um Entwicklungen überhaupt als solche erkennen zu können, um den Einsatz von Mitteln zu rechtfertigen und um in

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Konfliktfällen einen Nachweis über ergriffene Maßnahmen zu haben. Viele dieser Dokumentationen sind aber weniger auf ihre Praktikabilität, denn vielmehr auf das Erfüllen bürokratischer Vorstellungen angelegt, und sie sind vor allem sehr

zeitaufwändig. Zeit, die nicht nur den ´eigentlichen´ Tätigkeiten verloren geht, sondern die zusätzlich den Schulen auch durch Sparmaßnahmen oder populistische Versprechungen genommen wird.

Literatur:

Arnold, K.-H. (2008): Vorbemerkung. In: Arnold, K.-H./ Graumann, O./ Rakhkochine, A.

(Hg): Handbuch Förderung. Grundlagen, Bereiche und Methoden der individuellen Förderung von Schülern. Weinheim, Basel (Beltz) 2008, S. 14-15.

Boban, I.; Hinz, A. (2003): Index für Inklusion – Lernen und Teilhabe in der Schule der Vielfalt entwickeln. Halle/Saale.

Definitiv-inklusiv: http://www.definitiv-inklusiv.org/index.php (20.10.2009)

Gesamtschule Holweide (2009): Gemeinsamer Unterricht an der Gesamtschule Köln- Holweide – GU-Konzept 2009. (unveröffentlicht)

Hinz, A. (2002): Von der Integration zur Inklusion – terminologisches Spiel oder

konzeptionelle Weiterentwicklung? In: Zeitschrift für Heilpädagogik 53 H.9, 354- 361.

Hinz, A. (2009): Inklusive Pädagogik in der Schule - veränderter Orientierungsrahmen für die schulische Sonderpädagogik? Oder doch deren Ende?? In: Zeitschrift für Heilpädagogik 60 (2009) 5, S. 171-179

Kellinghaus-Klingberg, A.; Schwager, M. (2002): Berufswahlorientierung lern- und geistig behinderter Schüler als Unterrichtsprinzip in den oberen Klassen der Sekundarstufe I – Ein Bericht aus dem Gemeinsamen Unterricht an der Gesamtschule Köln- Holweide. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 53 H.3, S. 90-97

Klicpera, C.; Gasteiger-Klicpera, B. (2006): Anliegen und Erwartungen der Eltern von Schülern mit sonderpädagogischem Förderbedarf an den Schulbesuch ihrer Kinder.

Ein Vergleich der Eltern von integrativ und in Sonderschulen unterrichteten Schülern. In: Sonderpädagogische Förderung 51 H.2 S. 191-208

Lehmann, R.; Hoffmann, E. (Hg.) (2009): BELLA - Berliner Erhebung arbeitsrelevanter Basiskompetenzen von Schülerinnen und Schülern mit Förderbedarf ´Lernen´.

Münster, New York, München, Berlin (Waxmann).

Ministerium für Schule und Weiterbildung des Landes Nordrhein-Westfalen:

Presseinformation vom 28.10.2009.

Ratzki, A.; Keim, W.; Mönkemeyer, M. u.a. (Hrsg.) (1996): Team-Kleingruppen-Modell Köln-Holweide – Theorie und Praxis. Frankfurt/M., Berlin, Bern.

Reiser, H. (2007): Inklusion- Vision oder Illusion? In: Katzenbach, D (Hg.): Vielfalt braucht Struktur - Heterogenität als Herausforderung für die Unterrichts- und Schulentwicklung. Frankfurt/M.

Schnell, I. (2007): Zwischen individuellen Bedürfnissen und Sytemlogik: beratungs- und Förderzentren in Hessen. In: Katzenbach, D (Hg.): Vielfalt braucht Struktur - Heterogenität als Herausforderung für die Unterrichts- und Schulentwicklung.

Frankfurt/M.

Schwager, M. (2005): Eine Schule auf dem Weg zur Inklusion? – Entwicklungen des Gemeinsamen Unterrichts an der Gesamtschule Köln-Holweide. In: Zeitschrift für Heilpädagogik 56 H.7, S. 261-268.

Schwager, M.; Pilger, D. (2006): Evaluation als Beitrag zur Qualitätsentwicklung des Gemeinsamen Unterrichts - Die SchülerInnenbefragung der SV der Gesamtschule

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Köln–Holweide. In: A. Platte; S. Seitz; K. Terfloth: Inklusive Bildungsprozesse.

Bad Heilbrunn, S. 101-111.

Süddeutsche Zeitung: Vielfalt erleben – Das Magazin für Diversity Managment. Eine Verlagsbeilage der Süddeutschen Zeitung 1/2009.

Wocken, H. (2005): Andere Länder, andere Schüler? Vergleichende Untersuchungen von Förderschülern in den Bundesländern Brandenburg, Hamburg und Niedersachsen (Forschungsbericht). http://bidok.uibk.ac.at/download/wocken-

forschungsbericht.pdf (21.3.2006)

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