„Ich nenne euch Freunde“ (Joh 15,12–17)
Predigt beim Festgottesdienst zum MinistrantInnentag 2019 der Katholischen Jungschar der Diözese Linz
25. Mai 2019, Stiftsbasilika St. Florian
Wer ist dein bester Freund? Wer ist deine beste Freundin? Diese Frage wird oft gestellt.
Wer von euch kann das tatsächlich eindeutig beantworten? Das ist nicht immer ganz einfach.
Ich habe unlängst von einem 9-jährigen Buben gehört, der dafür eine Lösung gefunden hat.
Er vergibt Punkte. Für gemeinsames Fußballspielen in der Schulpause gibt’s 10 Punkte. Für das Leihen von Stiften und dergleichen je 5 Punkte. Ja, selbst für einen Witz, über den er lachen musste, hat er Punkte vergeben. Herausbekommen hat er eine Freundes-Rangliste, die ihm zeigt, wer gerade aktuell sein bester Freund ist. Kann so Freundschaft funktionieren?
Oder ein anderes Beispiel – Facebook. Ich bin ja nicht auf Facebook. Aber ich weiß, dass man sich da befreundet. Freundschaften werden in Sekundenschnelle mit einem „Klick“ geschlos- sen. Man kann dann sagen, ich habe so und so viele Freunde auf Facebook. Manche Erwach- sene geben dann sogar damit an, wenn sie die 1.000-Freunde-Marke geknackt haben. Aber sind das denn wirkliche Freundschaften? Viele dieser Freunde werden außerhalb von Face- book weiterhin mit „Sie“ angesprochen. Manche erkennen ihre sogenannten „Freunde“ auf der Straße nicht einmal wieder.
Freundschaft mit Punkten zu bewerten oder mit einem schnellen Mausklick zu schließen – das wird wirklichen Freunden wohl nicht gerecht. Das wisst ihr sicherlich aus eigener Erfahrung.
Zu Freundschaft braucht es viel mehr. Es geht um Dinge, die sich nicht messen lassen:
Zuneigung, Sympathie, Dankbarkeit, Humor, gemeinsame Zeit, Zuhören, ja auch Meinungs- verschiedenheiten und Streit. Eine Freundschaft beinhaltet viele Dinge, die ich sehen und erleben kann. Viele Dinge, wo ich mir aber schon schwertue, sie anderen zu beschreiben – geschweige denn, sie zu gewichten und zu vergleichen. Freundschaften werden auch nicht innerhalb von Sekunden geschlossen und ergeben sich auch nicht nach einem festen Plan.
Wirkliche Freundschaften können mit der Frage „Was nützt es mir?“ nichts anfangen. Freund- schaften passieren vielmehr, sie wachsen über einen längeren Zeitraum hinweg und sie lassen sich manchmal nicht wirklich erklären.
Gibt es nicht trotzdem etwas, woran man eine Freundschaft messen kann? Ganz gewiss nicht mit Punkten und einer Art Tabelle. Aber vielleicht lässt sie sich daran messen, wie es mir geht dabei. Ein Freund oder eine Freundin, der oder die mich so nimmt, wie ich bin, dem oder der ich ganz wichtig bin, obwohl ich nicht perfekt bin, ein Freund oder eine Freundin, wo ich merke, der oder die tut mir gut, da fühl ich mich ganz verstanden.
Mit dem, was wir mit Freundschaft verbinden, können wir auch Gott auf die Spur kommen.
Nicht umsonst spricht Jesus im Evangelium davon, dass wir seine Freunde sind. Er will damit ausdrücken, dass die Beziehung zu Gott eine ist, die nicht von Berechnung, von Bewertung und von Flüchtigkeit geprägt ist. Die Beziehung zu Gott lebt davon, dass wir uns ganz tief geliebt, angenommen und verstanden wissen dürfen. Gott bewertet uns nicht anhand einer Liste nach Plus- und Minuspunkten. Er lässt sich auch nicht oberflächlich ein auf uns. Er ist der, von dem wir mit Jesus sagen dürfen: Du bist wie ein richtig guter Freund. Mit dir, Gott, lebe ich auf, bei dir kann ich ganz ICH SELBST sein.
+ Manfred Scheuer Bischof von Linz