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Marie Josephine Rocholl.2015.Ostmitteldeutsch–eine moderne

Regionalsprache? Eine Untersuchung zu Konstanz und Wandel im thüringisch- obersächsischen Sprachraum(Deutsche Dialektgeographie 118). Hildesheim, Zürich, New York: Georg Olms. vii, 370S.

Besprochen vonLuise Czajkowski:Universität Leipzig, Institut für Germanistik, Beethovenstraße 15, D-04107 Leipzig, E˗Mail: czajkowski@uni-leipzig.de

DOI 10.1515/zrs-2016-0021

Der vorliegende Band wurde als Dissertation an der Universität Marburg an- genommen. Er gliedert sich ein in eine Reihe zahlreicher Untersuchungen, die im Rahmen des Langzeitprojekts Regionalsprache.de (REDE) das Ziel verfolgen, die modernen Regionalsprachen des Deutschen systematisch zu erschließen. Konkret untersucht wird die Sprache in den Städten Dresden und Reichenbach (im Ober- sächsischen), Erfurt und Sondershausen (im Thüringischen) und Gera (im dazwi- schenliegenden Übergangsgebiet). Nach der Darstellung des Forschungsstandes zum vertikalen Sprechlagenspektrum und zur Einteilung der ostmitteldeutschen (omd.) Sprachlandschaft werden Korpus und Methoden der Untersuchung dar- gestellt. Es folgen ein auf Grundlage bestehender regionalsprachlicher For- schungsarbeiten erstelltes Lautinventar der Untersuchungsorte (S. 54–88) und eine Zusammenfassung verschiedener genutzter Verfahren (Dialektometrie, pho- netische Abstandsmessung, Variablen- und Formantanalyse) mit einer Darstel- lung der Vor- und Nachteile.

Nach dieser Einführung werden im Anschluss verschiedene Untersuchungen präsentiert, die das Ziel haben nachzuweisen, dass„wir es im omd. Raum aktuell mit der Herausbildung EINER modernen Regionalsprache zu tun haben“(S.2).

Die einleitenden Ausführungen zur„Genese der modernen Regionalsprache im ostmitteldeutschen Raum–vom Dialekt zum Regiolekt“sind etwas mit Vorsicht zu genießen. Der Fokus der Argumentation liegt an dieser Stelle nämlich vor allem auf dem Fehlen einer deutlichen Abgrenzungslinie zwischen dem Thüringi- schen und dem Sächsischen, ja eigentlich dem Fehlen jedweder Grenzlinien im omd. Raum. Dabei wird beispielsweise Spangenberg (1993) zitiert, der im Hinblick auf die Abgrenzung des nordostthüringischen Raumes der Saale ihre Funktion als sprachliche Grenze abgesprochen hat. Vielmehr sei das Nordostthüringische auch mit dem ostsaalisch anschließenden Osterländischen zu vergleichen (vgl. S.28).

Was hier und auch im gesamten Kapitel zu kurz kommt, ist die historische Genese des Dialektraumes. Dass die Saale für die heutige Abgrenzung des nordostthürin-

© 2016 Luise Czajkowski, published by De Gruyter

This work is licensed under the Creative Commons Attribution-NonCommercial-NoDerivatives 3.0 License.

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gischen Raumes eine weniger entscheidende Rolle spielt, hat wohl eher etwas damit zu tun, dass der nordostthüringische Raum ehemals niederdeutsch gewe- sen ist und sich damit per se deutlich stärker von den restlichen omd. Mundarten absetzt– ob nun östlich oder auch westlich der Saale. Die Nähe zum Osterlän- dischen ist somit auch der Historie des Dialektraums geschuldet. Zudem ist fraglich, ob das Fehlen klarer Grenzen hinreichend ist für eine Argumentation zugunsteneinergemeinsamen Regionalsprache. Ob sich ein sprachlicher Raum deutlich durch eine oder mehrere Isoglossen intern gliedern lässt, ein mehr oder weniger breites Übergangsgebiet (wie Wiesinger es beschreibt) zwischen den Räumen liegt oder auch eine wie hier thüringisch-obersächsische Staffelland- schaft (S.27) – am Ende geht ein Dialekt in den anderen über. Es sind also mindestens zwei verschiedene Sprachräume beteiligt.

Doch ist die Arbeit Rocholls keine sprachhistorische. Vielmehr liegt ihr Schwerpunkt in der Präsentation der sprachdynamischen Prozesse innerhalb der Dialektlandschaft und diese arbeitet Rocholl mit verschiedenen Methoden deut- lich heraus. Zunächst stellt sie mithilfe der Variablenanalyse die konstituierenden Merkmale der modernen ostmitteldeutschen Regionalsprache dar (S.100–185).

Die einzelnen Laute werden detailliert aufgeschlüsselt in Bezug auf die verschie- denen Aussprachedifferenzierungen in Basisdialekt, Umgangssprache, Regional- und Standardsprache. Ausgezählt werden die standardabweichenden Varianten.

Anschließend wertet Rocholl einzelne Sprachproben mittels akustischer For- mantanalysen aus, um nähere Angaben zu den Phänomenen der Zentralisierung, des Aufbau von gerundeten Vorderzungenvokalen und der rückverlagerten /r/- Vokalisierung machen zu können. Dazu erläutert sie erst die Entstehung und das Auftreten des jeweiligen Phänomens und präsentiert dann neue Formantkarten.

Besonders interessant ist hier die Gegenüberstellung der Erkenntnisse zur Zen- tralisierung im Westmitteldeutschen (u. a. Herrgen/Schmidt 1986) und der neuen Erkenntnisse Rocholls zum Ostmitteldeutschen. Demnach ist anhand des vor- liegenden Sprachmaterials auch im Omd. eine„ganz ähnliche Umstrukturierung des phonolog. Steuerungssystems durch das Eindringen der gerundeten Vorder- zungenvokale aus der Standardsprache“(S.190) zu beobachten. „In den vor- liegenden Aufnahmen der Sprecher aus den drei größeren omd. Städten deutet sich jedoch aktuell ein Aufbau der gerundeten Vorderzungenvokale im intergene- rationellen Vergleich an.“(S.190)

Rocholl weist nach, dass„verschiedene Varietäten bei Sprechern einer Regio- nalsprache nicht unabhängig voneinander gesteuert werden“, sondern Phoneme unterschiedlicher Varietäten innerhalb eines Gesamtsteuerungssystems so an- geordnet werden, dass Distinktionen zwischen den verschiedenen Phonemklassen aufrechterhalten werden. Anhand des Vergleichs von Sprechern unterschiedli- chen Geschlechts bzw. aus unterschiedlichen Zeitschnitten zeigt sie überzeugend

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die sprachdynamischen Prozesse auf, die sich durch den Einfluss einer neuen Varietät (hier der Standardsprache) auf das regionalsprachliche Gesamtsteue- rungssystem ergeben (S.193).

Im Anschluss beschäftigt sich Rocholl noch einmal mit der Abgrenzung des thüringischen Sprachraums vom obersächsischen. Untersucht werden die Varia- blen, die meist bei der Abgrenzung der beiden Dialekträume herangezogen werden (insbesondere von Wiesinger 1983, Kt.47.11). Interessanterweise sind das mitunter solche, die bei der Auflistung der konstituierenden Merkmale der modernen ost- mitteldeutschen Regionalsprache nicht mehr erscheinen, was Rocholl mit dem Dialektabbau in den städtischen Zentren erklärt. Mittels einer Similaritätsanalyse überprüft Rocholl dann die Einbindung des Erfurter Ortsdialekts in die umgebende Dialektlandschaft (S.203ff.). Und dieses Ergebnis ist durchaus nennenswert: So zeigt sich eine starke Einbindung des im Wenkerbogen von 1880 festgehaltenen Ortsdialekts ins Thüringische (und Obersächsische), während der etwa 130 Jahre später festgehaltene intendierte Ortsdialekt des Erfurter Sprechers deutlich weni- ger Ähnlichkeiten mit den umgebenden Dialekten, dafür aber eine große Ähnlich- keit mit der obersächsischen Dialektlandschaft zeigt. Die Einbindung des Orts- dialektes in die thüringische Dialektlandschaft geht offenbar verloren und die Grenze des Verbundes dereinenostmitteldeutschen Regionalsprache, den Rocholl hier beschreibt, scheint sich deutlich nach Osten verschoben zu haben.

Hervorzuheben ist auch der intersituative Vergleich der Daten (S.205ff.), nämlich die Gegenüberstellung von intendiertem Ortsdialekt (IOD) und alltägli- chem Sprachgebrauch. So zeigt sich zum Beispiel, dass ursprünglich obersächsi- sche Monophthonge im IOD gerade von Erfurter Sprechern gebraucht werden, obwohl diese (nach den Wenkerdaten zu urteilen) im Ortsdialekt gar nicht üblich sind, wohl aber für die Erfurt umgebende Region. Im alltäglichen Sprachgebrauch werden die Monophthonge aber deutlich seltener genutzt. Das zeigt, dass den thüringischen Sprechern obersächsische Varianten von Phonemen ebenso ver- traut sind wie die eigenen. Die Sprecher übernehmen lexemweise fremde dia- lektale Varianten und schreiben fremde Varianten dem eigenen Ortsdialekt zu.

Damit wird„deutlich, dass die kleinräumigen Phoneme der Basisdialekte für die moderne Regionalsprache deutlich an Bedeutung verloren haben“(S.209). Ro- choll weist aber auch darauf hin, dass der Abbau der alten Basisdialekte keines- wegs zu einer rein standardkonvergenten Entwicklung im ostmitteldeutschen Raum geführt hat. So werden dialektale Kurzwörter weiterhin stabil verwendet, zum Teilsogar mit einer arealen Ausdehnung über dialektale Grenzen hinweg (S.217). Mit der Liste der Prozesse im Hinblick auf eine zu beobachtende aktive Neukonfiguration von Regionalismen in der modernen Regionalsprache (S.218f.) und mit der Tabelle zum intersituativen Vergleich in Bezug auf die verschiedenen Variationsphänomene (S.232ff.) bietet Rocholl gute Übersichten über die generel-

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le Variabilität von Sprache. Es folgen noch zahlreiche weitere Analysen, wie etwa Vergleiche subjektiver Beurteilungen und auch die Daten zu den kleineren Städ- ten Sondershausen und Reichenbach.

Rocholl vereint in ihrer Arbeit zur ostmitteldeutschen Regionalsprache die verschiedenen Ansätze zur Erforschung einer Regionalsprache: Sie erfasst die konstituierenden Merkmale der Varietäten auf Basis eines mittelhochdeutschen Referenzsystems, vergleicht die Daten der verschiedenen vorhandenen neuen und älteren Korpora untereinander, zieht Vergleiche zwischen den Untersuchungs- orten, stellt 130 Jahre alte Wenker-Daten neueren Erhebungen gegenüber, um auch diachrone Aspekte zu erfassen, und zeigt Unterschiede zwischen großstädti- schem und kleinstädtischem Gebrauch auf. Die Arbeit ist damit sehr facettenreich, wenn auch die einzelnen Facetten bisweilen mehr Raum verdient hätten. Der Aufbau ähnelt dabei aber eher einem Handbuch; oftmals wird Bezug auf einen schon vorher genannten Aspekt hergestellt, weshalb mehrmaliges Hin- und Her- blättern und -suchen nicht ausbleiben kann. Die Arbeit ist zudem sehr dicht geschrieben. Die eigenen Ergebnisse sind durchgängig gespickt mit Verweisen auf zahlreiche weitere Forschungsarbeiten. Diese sind allerdings in der Regel nicht zitiert, sondern nur als Literaturangabe erwähnt, was die Einordnung der Ergeb- nisse manchmal schwierig macht, insbesondere dann, wenn die fremden For- schungsergebnisse den eigenen widersprechen oder diese relativieren (vgl. z.B.

S.104 zum Abbau der Vokalhebung für mhd.o). Erläuterungen zum Kontext der zitierten Literatur wären ebenso hilfreich gewesen wie noch mehr konkrete Wort- beispiele, um die große Fülle der phonetischen Differenzierungen besser nach- vollziehen zu können. Auch fallen einzelne sprachliche Unzulänglichkeiten auf, insbesondere bei dem Versuch, die verschiedenen komplexen Sachverhalte zu- sammenzubringen. Diese sind aber vor allem dem Bedürfnis geschuldet, der Wissenschaftssprache zu genügen (Bsp.„Aufgrund des engen historischen Zu- sammenhangs zwischen den obersächsischen Dialekten als Siedlerdialekte und dem älteren thüringischen Sprachraum ist der phonologisch-prosodische und morphologisch-syntaktische Fundamentalbereich der Kompetenz in den Varietä- ten beider Dialektverbände sehr ähnlich“, S.39). Es wäre wünschenswert, wenn bei der Erforschung der deutschen Sprache in Zukunft wieder mehr Wert auf die Sprache selbst gelegt werden könnte.

Nichtsdestotrotz zeigt Rocholls Präsentation der Daten eine intensive Aus- einandersetzung mit den verschiedenen Forschungsergebnissen und bietet einen Überblick über die zum Teilschwer überschaubare Forschungslage zum ostmit- teldeutschen Sprachraum. Die konkreten Erkenntnisse, die sich aus der Unter- suchung Rocholls ergeben, fallen zwar nicht immer gleich ins Auge. Im Hinblick auf die sprachdynamischen Prozesse im ostmitteldeutschen Sprachraum sind sie aber durchaus beachtlich.

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Literatur

Herrgen, Joachim & Jürgen Erich Schmid. 1986. Zentralisierung. Eine phonetisch-phonologische Untersuchung zu Konstanz und Wandel vokalischer Systeme. In: Günter Bellmann (Hg.).

Beiträge zur Dialektologie am Mittelrhein. Stuttgart: Franz Steiner, 56100.

Spangenberg, Karl. 1993.Laut- und Formeninventar thüringischer Dialekte.Beiband zum Thürin- gischen Wörterbuch: Berlin: Akademie Verlag.

Wiesinger, Peter. 1983. Die Einteilung der deutschen Dialekte. In: Werner Besch u.a. (Hg.).

Dialektologie. Ein Handbuch zur deutschen und allgemeinen Dialektforschung.2. Halbband.

Berlin, New York: De Gruyter, 807900.

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