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Religionspolitik in der Äußeren Mongolei (1920-1938)

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Religionspolitik in der Äußeren Mongolei (1920-1939):

Die „Lama- und Klösterfrage“

Dissertation

zur Erlangung des akademischen Grades doctor philosphiae (Dr. Phil.)

eingereicht an der Kultur-, Sozial- und Bildungswissenschaftlichen Fakultät der Humboldt-Universität zu Berlin verteidigt am 15.7.2015

von Rudolf Trapp

Gutachter:

Prof. Dr. Ingeborg Baldauf Dr. Uta Schöne

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Gedankt sei allen, die bei der Fertigstellung der vorliegenden Arbeit halfen, insbesondere K.R.O. und J.O.T.

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Inhaltsverzeichnis

Abkürzungsverzeichnis...8

1. Einleitung...9

2. Übersicht über die Archivalien und die anderen verwendeten Materialien...13

3. Zum mongolischen Buddhismus...29

4. „Verteidigen wir unsere Nation und unsere Religion“ / Die Strategie der „Einheitsfront“...49

Die Gründung der Mongolischen Volkspartei und die Anfänge der „mongolisch- sowjetischen Freundschaft“...51

Die Gründung der Provisorischen Volksregierung und die Eroberung von Kjachta. .68 Die Gründung der Volksregierung und der Bogd Žebzumdampa...76

Die Strategie der Einheitsfront und die Regierungsübernahme...82

Der Aufbau der ersten Parteiorganisationen auf dem Land...86

Erste religionspolitische Maßnahmen...91

Die Lamas und die Volkspartei in den Jahren 1921-1924...95

Neue Kräfte und sichtbare Veränderungen...109

Die neuen Machthaber: Beobachtungen, „Gerüchte“ und „Verschwörungen“...118

5. Zwischen dem „nichtkapitalistischen Entwicklungsweg“ und der „Reform des Buddhismus“...130

Der Tod des Bogd Žebzumdampa und die Proklamation der Republik...132

Der dritte Parteitag und die „Bolschewisierung“ der MVP...134

Die Verfassung der MVR und die Trennung von Staat und Religion...137

Einige Schwierigkeiten bei der Trennung von Staat und Religion...139

Aus der MVP wird die MRVP...143

„Der Lehrer Buddha und der Lehrer Lenin“...153

Die Entdeckung der „Lamafrage“ und das erste religionspolitische Programm der MRVP...156

Offene Probleme nach dem Tod des Bogd Žebzumdampa...164

Die Strategie der Spaltung der Lamas...173

In der Stadt und auf dem Land: Kontinuität und Wandel bis zum Jahr 1928...176

Die Suche nach neuen Wiedergeburten...182

Das Problem der Heranziehung der Lamas zum Militärdienst...193

Besteuerung der Žas...197

Die Unruhen im Kloster von Bajantümen...201

Die Reform des Buddhismus...205

6. Der Kampf gegen die „gelben Feudalen“ und „gelben Zecken“...226

Der siebte Parteitag der MRVP...227

Die Steuerpolitik in den Jahren bis 1932...232

Gesetze und Verordnungen im Kampf gegen die Religion...236

Die Beschlagnahmungskampagne...238

Der Prozess gegen den Zaja Bandida...245

Der achte Parteitag und die „Beseitigung des Feudalismus“...249

Widerstand in den Klöstern von Tögsbujant und Ulaangom...254

Die Strategie der Spaltung der Lamas in Klassen in den Jahren bis 1932...260

Der „Fall der 38“...264

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Das Schicksal der Wiedergeburten mit Siegel...267

Die Žas-Kampagne...269

Die „Mobilisierung der Massen“ und der Verband der Gottlosen...273

Die Religionspolitik und die Kultur...276

Der antireligiöse Kampf: Kampagnen und Übergriffe...281

Der Aufstand im Jahr 1932...286

7. „Neue Wende“, „Neuer Kurs“...296

Einleitung des „Neuen Kurses“...297

Die Steuerpolitik in den Jahren 1932-1935...303

Die Lage der Lamas und Klöster in den Jahren 1932 - 1935...307

Ein Treffen Stalins mit einer mongolischen Delegation (25. Dezember 1933)...309

Die Religionsverwaltung und Versammlungen der Lamas (1932-1936)...311

Der neunte Parteitag der MRVP...313

Der erste Besuch von Genden bei Stalin...318

Zum Religionsgesetz aus dem Jahr 1934...323

Ein neues Überwachungsinstrument: Regierungsvertreter in den Klöstern...325

Weitere Beschlüsse in der „Lamafrage“...330

Der letzte Besuch von Genden bei Stalin (Dezember 1935/Januar 1935)...332

8. „Die Lösung der Lama- und Klösterfrage“...338

Das Innenministerium und Čojbalsan...339

Die religionspolitischen Beschlüsse des ZK der MRVP aus den Jahren 1936 und 1937...352

Neue Schauprozesse gegen die Lamas...356

Zu der Umsetzung der Beschlüsse...359

Eingriffe in die internen Angelegenheiten der Klöster...367

Organisatorische Veränderungen als Vorbereitung der „Lösung der Lama- und Klösterfrage“...371

Propaganda...374

Allgemeine Überlegungen zur „Lösung der Lamafrage“...378

Die „Entlarvung des Verschwörerzentrums“ und der Prozess gegen die hochrangigen Lamas...383

Die Standarte von Čingis Chaan...387

Der Verlauf der Verhaftungen in Zahlen und der Stopp der Verfolgungen...390

Das Innenministerium und die “Lösung der Lama- und Klösterfrage“...393

Die Auflösung und Vernichtung der Klöster...404

9. Schlussbemerkungen...410

Glossar mit Fachtermini...413

Anhang 1: Übersetzungen von Texten, die relevant sind in Hinblick auf die Religionspolitik...418

Anhang 2: Kurzbiographien...533

Verzeichnis der Archivalien aus dem Archiv der MVP und dem mongolischen Nationalarchiv...554

Verzeichnis der Internetquellen...558

Literaturverzeichnis...560

Quellensammlungen...560

Sonstige Literatur...562

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Abkürzungsverzeichnis

BNMAU: Bügd Najramdach Mongol Ardyn Uls (vgl. MVR)

DChG: Dotoodyg Chamgaalach Gazar ('Behörde zum Schutz des Inneren') EKKI: Exekutivkomitee der Komintern

KI: Kommunistische Internationale

KIM: Kommunističeskij Internacionla' Molodeži ('Kommunistische Jugendinternationale')

Komintern: Kommunistische Internationale KPdSU: Kommunistische Partei der Sowjetunion

KUTV: Kommunističeskij Universitet Trudjaščichsja Vostoka ('Kommunistische Universität der Werktätigen des Ostens')

MAChN: Mongol Ardyn Chuvisgalt Nam (vgl. MRVP) MAN: Mongol Ardyn Nam (vgl. MVP)

MRVP: Mongolische Revolutionäre Volkspartei MVP: Mongolische Volkspartei

MVR: Mongolische Volksrepublik

NA: Nationalarchiv (mong. Ündesnij Töv Archiv)

NKVD: Narodnoj Komissariat Vnutrennich Del ('Volkskommissariat für innere Angelegenheiten')

OBEK: Oncsgoj Büren Ercht Komiss ('Kommission mit Sondervollmachten') PA: Parteiarchiv (mong. Mongol Ardyn Namyn Töv Archiv)

RKP(b): Rossijskaja Kommunističeskaja Partija (bol'ševikov) ('Russische Kommunistische Partei, Bolschewiki')

RSFSR: Rossijskaja sovetskaja federativnaja socialističkaja respublika ('Russische Sozialistische Föderative Sowjetrepublik')

SU: Sowjetunion

VKP(b): Vsesojusnaja Kommunističeskaja Partija (bol'ševikov) ('Kommunistische Allunions-Partei, Bolschewiki')

ZK: Zentralkomitee

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1. Einleitung

Das Geschehen, das in der vorliegenden Arbeit untersucht wird, hat einen klaren Anfang und ein klares Ende. Am Anfang stand das proklamierte Ziel einer kleinen Gruppe von Mongolen, ihre Nation und ihre Religion zu verteidigen. Mit Hilfe der Bolschewiki gelang es dieser Gruppe, aus der die M(R)VP (Mongolische /Revolutionäre/

Volkspartei), die bald allein regierende Partei in der Äußeren Mongolei, hervorging, die Weißgardisten und die chinesischen Truppen zu vertreiben und selber die Regierung zu übernehmen. Zu dieser Zeit, Anfang der 1920er, gab es nach Angaben des russischen Reisenden Majskij in der Äußeren Mongolei über 100 000 Lamas, die in über 700 Klöster lebten.1 Am Ende steht die „Lösung der Lama- und Klösterfrage“, so wurde von der MRVP die Hinrichtung von über 15 000 Lamas und die Schließung der Klöster bezeichnet, so dass es nach Angaben des Innenministeriums in der MVR (Mongolische Volksrepublik) im Jahr 1941 nur noch 1174 Lamas gab, es gab kein Kloster mehr.2 Dieser tiefgreifende Wandel ist das Ergebnis der Politik, die in Hinblick auf die Lamas und Klöster verfolgt wurde und die in der vorliegenden Arbeit untersucht wird. Diese Untersuchung beinhaltet folgende Fragen: Was sagten Partei und Regierung in Hinblick auf die Religion, Lamas und Klöster? Welche Zielvorstellungen formulierten sie?

Welche Programme entwickelten sie? Welche Maßnahmen beschlossen sie? Wie wurden Maßnahmen und Programme umgesetzt? Wie reagierten schließlich die Lamas, die gläubigen Laien, die Personengruppen, die man verkürzt als das einfache Volk bezeichnet, auf diese Politik? Dies alles kann kurz als Religionspolitik bezeichnet werden.

Das ganze Geschehen ist im Wesentlichen dadurch bestimmt, dass die Äußere Mongolei in zunehmend enger werdende Abhängigkeit zu den Bolschewki, zur Sowjetunion geriet. Die Herrschaft der MRVP im Inneren und die „sowjetisch-mongolische Freundschaft“ waren die zwei Eckpfeiler der Geschichte der Äußeren Mongolei im 20.

Jahrhundert, was auch die Politik in Hinblick auf die Lamas und Klöster prägte.

Ziel der vorliegenden Arbeit ist es, die Religionspolitik in jenen Jahren auf allen Ebenen und in all ihren verschiedenen Aspekten zu untersuchen. Es werden verschiedene Ebenen des Geschehens unterschieden: Welche Politik verfolgten die Bolschewki, die Sowjets in Bezug auf die Mongolei? Was waren die bestimmenden Faktoren für die Politik der Bolschewiki, der Sowjets in Hinblick auf die Mongolei und wie beeinflusste dies die Religionspolitik? Welche Programmatik formulierte die mongolische Führung in Hinblick auf die Religion und welche Rolle spielten dabei Anweisungen der Bolschewiki? Welche Maßnahmen wurden verabschiedet und wie wurden sie umgesetzt? Wie war der Apparat zur Umsetzung der Maßnahmen organisiert? Und schließlich: wie reagierten die Lamas und die einfachen Gläubigen auf diese Politik?

Die Religionspolitik beinhaltete verschiedene Aspekte: die neue mongolische Führung machte sich zum Beispiel von Beginn an daran, den bisherigen politischen Einfluss der Lamas und Klöster zu begrenzen. Die mongolische Führung äußerte sich bereits in den

1 Majskij 1959, S. 246f.

2 Ölzijbaatar 1990, S. 118.

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1920er Jahren zum wirtschaftlichen Einfluss der Klöster und setzte auch Maßnahmen um, um diesen zu beschneiden, zum Beispiel durch die Besteuerung der Klöster und Lamas. Andere Aspekte der Religionspolitik sind die antireligiöse Propaganda, eine die Religion betreffende Gesetzgebung, der Aufbau von Parteigremien, Verwaltungseinrichtungen und Institutionen, die sich mit der „Lamafrage“ befassten.

Zum Aufbau der Arbeit: Im ersten Kapitel erfolgt eine Übersicht über die in der vorliegenden Arbeit herangezogenen Materialien. Daran schließt sich ein Kapitel über den Buddhismus in der Mongolei an. Es folgen dann fünf Kapitel, in denen die einzelnen Phasen der Religionspolitik untersucht werden. Diese Phasen unterscheiden sich recht deutlich und sind durch mehr oder weniger klare Wendepunkte von einander getrennt. Am Anfang eines solchen Kapitels steht jeweils eine kurze zusammenfassende Einleitung, die Orientierung bieten soll. Sodann wird erläutert, welches Ereignis dazu führte, dass sich die Politik allgemein und auch die Religionspolitik änderte. Es folgen Unterabschnitte, in denen einzelne Aspekte der Religionspolitik untersucht werden oder Entwicklungen kurz skizziert werden. Bei der Darstellung des Geschehens in einer Phase wird also nicht chronologisch vorgegangen, vielmehr sind die einzelnen Kapitel in sich thematisch strukturiert. Innerhalb eines Kapitels werden solche Aspekte wie die Haltung von Partei und Regierung zur Religion, die in Bezug auf die Religion entwickelten Programme, die ergriffenen Maßnahmen sowie die Umsetzung der Maßnahmen und ihre Folgen untersucht.

Wie bei solchen Darstellung üblich und unvermeidbar, sind einige Dinge den Kennern schon bekannt, auf Themen, die in der Literatur hinlänglich abgehandelt wurden, muss aber nichtsdestoweniger eingegangen werden, freilich kann dies dann in geraffter Form erfolgen, ohne alle Details auszubreiten. Mit dem erklärten Ziel, das Geschehen auf allen Ebenen und in all seinen verschiedenen Aspekten zu untersuchen, wird in Kauf genommen, dass einige Punkte oberflächlicher bearbeitet werden mussten als andere.

Aber die Bedeutung einzelner Ereignisse, Maßnahmen, Beschlüsse etc. wird erst im Gesamtkontext begreifbar. Die Ausblendung einiger Aspekte wäre eine Verkürzung des Geschehens. Abgezielt wird nicht auf eine endgültige und definitive Darstellung eines einzelnen Aspektes, sondern auf eine Darstellung der gesamten Prozesse. Wenn sich aus den deshalb unvermeidlichen Defiziten der Arbeit Impulse für vertiefende Forschungsarbeiten ergäben, wäre dies zu begrüßen.

Hinweis: Bei der vorliegenden Arbeit handelt es sich um eine Anfang des Jahres 2015 fertigstellte Dissertation. Weitestmöglich wurden Fehler korrigiert und Unzulänglichkeiten beseitigt. Es wurde darauf verzichtet, die seitdem erschienenen relevanten Publikationen heranzuziehen. Neuste Forschungsergebnisse wurden also nicht eingearbeitet.

Zur Umschrift, zu den Fachtermini und einem Anhang mit Texten: Für die Transkription mongolischer Worte und Namen wird die gebräuchliche wissenschaftliche Umschrift verwendet. Dabei wird der Orthographie der modernen mongolischen Schrift gefolgt, die ein leicht modifiziertes kyrillisches Alphabet verwendet. Namen aus Archivalien und aus anderen Materialien, die in der alten mongolischen Schrift abgefasst sind, werden gemäß der Orthographie der modernen mongolischen Schrift transkribiert. So ergibt sich eine einheitliche Umschrift. Fachtermini werden beim ersten Auftauchen im

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Text kurz erläutert, im Anhang dieser Arbeit ist ein Glossar mit den verwendeten Fachtermini. Ebenfalls im Anhang sind Übersetzungen einer Reihe von Texten, die in Hinblick auf die Religionspolitik in der Äußeren Mongolei relevant sind.

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2. Übersicht über die Archivalien und die anderen verwendeten Materialien

In diesem Kapitel werden die herangezogenen Materialien vorgestellt, dazu zählen Archivalien sowie die Quellensammlungen, die Sekundärliteratur und die Erinnerungsliteratur. Dabei werden einige Probleme bei Auswertung und Analyse angesprochen.

Archivalien

Für die Abfassung dieser Arbeit wurde 2004 in dem Archiv der MVP (mong. Mongol Ardyn Namyn Töv Archiv, im Folgenden kurz: Parteiarchiv, PA) und im mongolischen Nationalarchiv (mong. Mongol Ündesnij Töv Archiv) geforscht, 2009 wurde in dem Parteiarchiv geforscht, 2010 nochmals im Nationalarchiv. Der Schwerpunkt der Forschungen lag auf wenig bekannten Materialien der Behörden und Einrichtungen, die sich mit der Religionspolitik befassten, dazu zählen: Beschlüsse der beim ZK der Partei angesiedelten Kommission zur Reform des Buddhismus (1926-1928), Protokolle der Sitzungen der Religionsverwaltung (besonders die Jahre 1925 bis 1928), die Beschlüsse der Antireligionskommission (1930-1932), Materialien über den Verband der Gottlosen (1930-1932), Materialien über die von der Regierung bei den Klöstern eingesetzten Vertreter (besonders die Jahre 1933 bis 1936), Sitzungen der beim ZK der MRVP aufgebauten Lamakommission (1936 bis 1938). Neben den genannten Beständen wurde auch in anderen Beständen gesucht, um zu untersuchen, wie die Religionspolitik vor Ort umgesetzt wurde, zum Beispiel bei den Materialien der lokalen Parteiorganisationen und Verwaltungseinrichtungen. Ob es dort gelang relevante Materialien zu finden, war Zufall, denn es konnten begreiflicherweise nicht alle Materialien, die möglicherweise interessante Informationen enthalten, ausgewertet werden. Außerdem wurden damals erschienene Zeitungen und Zeitschriften herangezogen, so die Zeitungen Ardyn Erch und Ünen, die Zeitung des Jugendverbandes und die Lamazeitschrift.

Nicht herangezogen werden konnten Dokumente aus dem Archiv des Geheimdienstes.

Auch für mongolische Forscher ist es schwer, Zugang zu erhalten, gleiches gilt für das Archiv der Streitkräfte. Ebenfalls nicht herangezogen wurden Materialien aus den lokalen Archiven in den Ajmag, in denen sich möglicherweise interessante Materialien befinden.

Quellensammlungen

Die vor 1990 erschienenen Quellensammlungen, die Parteitagsberichte, die

Sammlungen mit den Beschlüsse des ZK und der Regierung bleiben weiterhin nützlich.3 Aber es ist zu beachten ist, dass einige wichtige Dokumente in diesen

Quellensammlungen nicht enthalten sind, einige Dokumente wurden redigiert, z.B.

wurden einzelne Passagen ausgelassen, häufig Namen von in Ungnade gefallenen Personen. Diese redigierenden Eingriffe wurden vorgenommen, damit die publizierten

3 Vgl. MAChN Ich Chural (I-IX), 1966-1984, vgl. MAChN-yn ich, baga, töv choroony bügd churluudyn togtool šijdver (2 Bände) 1981, 1984 und andere Quellensammlungen.

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Quellen nicht den offiziell propagierten Geschichtsbild widersprachen. Für die vorliegende Arbeit wurde auch die Sammlung mit Quellen von und über Süchbaatar herangezogen.4 In der MVR gab es eine Süchbaatarforschung; ähnlich wie die

Leninforschung in der Sowjetunion befasste sie sich mit der Herausgabe von Schriften und Dokumenten sowie mit der Erforschung seiner Biographie. Es liegt auch eine vierbändige Ausgabe mit Reden und Aufsätzen von Čojbalsan vor.5 Der erste Band enthält Dokumente aus den Jahren 1921 bis 1937 , der zweite Band Dokumente aus den Jahren 1938 bis 1940. Insgesamt gilt bei diesen Editionen das gleiche wie bei den historiographischen Werken: es handelt sich um sorgfältig redigierte Publikationen, die letztlich der Legitimation der Herrschaft der MRVP dienten.

Nach der politischen Wende 1990 wurden viele bislang unbekannte Dokumente zugänglich. Besonders wichtig war die Publikation von Quellen aus den sowjetischen Archiven. Zuerst wurden Dokumente der Komintern publiziert, anhand derer die von der Komintern in Hinblick auf Mongolei verfolgte Politik nachvollzogen werden kann.

1996 erschien die Quellenedition Komintjern ba Mongol ('Die Komintern und die Mongolei'), herausgegeben von einem aus russischen und mongolischen Wissenschaftlern bestehenden Komitee.6 Dieser Band enthält 83 Dokumente von insgesamt über 600, die die Kommission in den Archiven ermitteln konnte. Der Quellenband erschien auf Mongolisch, zum überwiegenden Teil wurden die Quellen für die Herausgabe aus dem Russischen übersetzt. Der Schwerpunkt liegt auf den Jahren 1920 bis 1932, insgesamt 79 der im Band enthaltenen Dokumente stammen aus jenen Jahren. Aus den Jahren nach 1933 und 1934 sind nur vier Dokumente enthalten. Dies ist inhaltlich gerechtfertigt, denn die Komintern verlor in Bezug auf die mongolische Frage nach 1932 einen Großteil der früheren Bedeutung. 2012 erschien die zweibändige Quellensammlung Mongolija v dokumentach Kominterna (1919-1934).7 Diese russischsprachige Edition enthält insgesamt 243 Dokumente, davon sind 87 bereits in anderen Quellensammlungen publiziert worden. Die bislang unveröffentlichten Dokumente erlauben es, einige Vorgänge besser zu verstehen, insbesondere das Agieren der Komintern in den Jahren 1920/1921 und die Ereignisse in Zusammenhang mit dem siebten Parteitag der MRVP (1928).

Es erschienen drei Bände mit Dokumenten der RKP(b) (Rossijskaja Kommunističeskaja Partija, bol'ševikov) bzw. der VKP(b) (Vsesojusnaja Kommunističeskaja Partija, bol'ševikov) - so die Namen der KPdSU (Kommunistische Partei der Sowjetunion) von 1918 bis 1925 bzw. von 1925 bis 1952. Die Dokumente geben Aufschluss darüber, welche Politik die Bolschewiki in Hinblick auf die Mongolei verfolgten und wie sie diese umsetzten. Der erste Band mit insgesamt 191 Dokumenten aus den Jahren 1920 bis 1932 erschien 2002, der zweite Band mit insgesamt 248 Dokumenten aus den Jahren 1933 bis 1940 erschien 2006, ein dritter Band befasst sich mit der Zeit von 1941 bis 1952 und erschien 2009.8 Einige der in diesen drei Bänden publizierten Dokumente finden sich auch in der 2008 erschienenen zweibändigen Quellensammlung Rossijsko-

4 Vgl. Süchbaatar 1971.

5 Vgl. Čojbalsan 1951.

6 Vgl. die Quellensammlung Komintjern ba Mongol 1996.

7 Vgl. Mongolija v dokumentach Kominterna (1919-1934), 2012.

8 Vgl. die Quellensammlungen Mongolyn tuchaj, 3 Bde, 2002, 2005, 2009.

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mongolʹskoe voennoe sotrudničestvo ('Die militärische Zusammenarbeit von Russland und der Mongolei').9 Außerdem wurde eine Quellensammlung zu den mongolisch- russischen Kulturbeziehungen publiziert;10 die darin enthaltenen Dokumente sind auf Mongolisch, häufig handelt es sich um Übersetzungen aus dem Russischen.

Interessante Primärquellen enthält auch eine Reihe von drei Heften, die 1994 als Beilagen zur Zeitung Bodlyn solbicol [Gedankenaustausch], der Sonntagsausgabe der Parteizeitung Ünen, erschienen. Insgesamt wurden in den drei Heften mit dem Titel Tüüch barimt etwa 100 Dokumente aus dem Parteiarchiv aus den Jahren 1921 bis 1929 publiziert.11

Mittlerweile sind Sammlungen mit Dokumenten von und über eine ganze Reihe von Funktionären und Politiker publiziert worden, zum Beispiel über Bodoo, Dambadorž, Cerendorž.12 Damit liegen sorgfältig editierte Materialien von und über zentrale Figuren der modernen mongolischen Geschichte vor.

Zur mongolischen Forschungsliteratur

In Hinblick auf die Forschungsarbeiten, die vor 1990 in der MVR erschienen, sind einige Eigenschaften der Geschichtsschreibung in der MVR zu beachten. An erster Stelle ist anzumerken, dass die mongolischen HistorikerInnen wie andere Forscher auch in einem bestimmten diskursiven Umfeld standen, mit institutionellen Vorgaben, mit tradierten Deutungsschemata etc. Die Produktion von historiographischen Texten erfolgte wie anderswo unter bestimmten Bedingungen, die die Produktion einerseits begrenzen und beschränken und andererseits befördern und erst hervorrufen. Diese Bedingungen sind nach dem Untergang einer gesellschaftlichen Ordnung klarer und genauer zu erkennen als zuvor. In der MVR war das Einparteiensystem die wichtigste Produktionsbedingung: der Geschichtswissenschaft war die Rolle zu gewiesen, Aufsätze, Monographien und Sammelbände zu produzieren, die das Einparteiensystem legitimierten. Bei den vor 1990 erschienenen Publikationen ist die ideologische Funktion der Geschichtsschreibung unverkennbar, diese Funktion ist in den dogmatischen Darstellungen, zum Beispiel in der Parteigeschichte, am augenfälligsten.

Diese Funktion determinierte, zu welchen Themen geforscht wurde, welche Ansätze verwendet wurden. Zu einzelnen Problemen wurden materialgesättigte Studien veröffentlicht. Zu anderen Fragen war keine Forschung möglich. Dass sich an eher marginalen Fragen auch ein Streit entzünden konnte, war auch möglich. Die grundsätzliche Deutung der Geschichte war aber schon vorgegeben - durch Parteitagsbeschlüsse und Beschlüsse des ZK. Es war üblich, dass der langjährige Parteivorsitzende Cedenbal wie sein Vorgänger Čojbalsan zu Fragen der aktuellen Geschichte Stellung nahm. Der Geschichtsschreibung in der MVR waren alle zentralen Termini durch die Beschlüsse der Partei vorgegeben: Die Periodisierungen, die Einschätzungen von wichtigen historischen Figuren etc. Den Fachhistorikern war es

9 Vgl. Rossijsko-mongolʹskoe voennoe sotrudničestvo, 2 Bände, 2008.

10 Vgl. Mongol-zövlöltijn sojol šinžlech uchaan, tjechnikijn charilcaa 2000.

11 Vgl. Tüüch barimt 1994 (3 Hefte).

12 Vgl. Dogsomyn Bodoo: Chelsen, bichsen züjlijn tüüver 2001, Ceren-Ochiryn Dambadorj: Barimt bichgijn emchtgel 2006, Jerönchij sajd B. Cerendorž 1998.

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auferlegt, den vorgegebenen Interpretationsrahmen mit passenden Quellen und Zitaten zu füllen und mit den nötigen Belegen auszustatten. Diese Aspekte sind besonders bei Forschungsarbeiten zu beobachten, die sich mit der Politik befassten, die Partei und Staat in Hinblick auf die Lamas und Klöster verfolgt hatten.

1965 befasste sich die Historiker Pürevžav und Dašžamc13 erstmals ausführlich mit der Religionspolitik, und schon der Titel ihrer Monographie ist bezeichnend: BNMAU-d süm chijd, lam naryn asuudlyg šijdverlsen n' ('Die Lösung der Lama- und Klösterfrage in der MVR'). Es ist dieselbe Formulierung, die von Partei und Staat in Bezug auf dieses Thema verwendet wurde. Sowohl in der Einleitung und in den Schlussbemerkungen wird jeweils die offizielle Interpretation der historischen Ereignisse wiedergegeben, der zufolge die Partei mit Hilfe der Bolschewki, „die Lama- und Klösterfrage erfolgreich gelöst“ hätte. Symptomatischerweise wird aus einem 1961 publizierten Aufsatz von Cedenbal, dem langjährigen Parteiführer, zitiert. Cedenbal schreibt:

Es war äußerst wichtig, die Klöster zu schließen und die Lamas in den Laienstand zu überführen. Es ist merkwürdig, wenn einige üble ‚Theoretiker‘ dies bedauern. […] Die vielen tausend Lamas in gesellschaftlich nützliche Arbeit zu überführen und die hohen, despotischen Lamas zu besiegen war eine revolutionäre Tat, die in ihrer Bedeutung fast mit der Revolution von 1921 gleichzusetzen ist.14

Zum Zeitpunkt der Publikation von 'Die Lösung der Lama- und Klösterfrage in der MVR' war das Geschehen den Zeitgenossen nicht fern, es gab noch Zeitzeugen. Die Auseinandersetzung mit dem Thema war heikel, aber es war ein so wichtiges und bedeutsames Thema, dass die Historiographie es nicht zur Seite schieben konnte. Bei dem Buch handelte sich um ein Gemeinschaftswerk. Pürevžav verfasste die ersten drei Kapitel, die sich mit der Zeit bis 1930 befassen, Dašžamc schrieb die letzten Kapitel über die Zeit bis 1940. Die Kapitel sind chronologisch angeordnet, das erste befasst sich mit der Zeit von 1921 bis 1924, das zweite mit der Zeit von 1925 bis 1928, das dritte mit der Zeit von 1929 bis 1932, das vierte mit der Zeit von 1932 bis 1934, das letzte mit der Zeit von 1935 bis 1940. Jedes dieser Kapitel enthält zwei bis sechs Unterkapitel, die sich mit einzelnen Aspekten befassen, also zum Beispiel mit dem „Ideologischen Kampf gegen den Klerus“, mit der „Zerstörung der ökonomischen Basis“. Jeweils zu Beginn und zum Schluss eines Kapitels werden in ein oder zwei Absätzen kurz die grundlegenden Merkmale der Phase skizziert, dabei wird der offiziellen Geschichtsinterpretation gefolgt. Wie in anderen historischen Abhandlungen wird ausführlich aus Schriften von Lenin, Marx und Engels zitiert. In den einzelnen Kapiteln werden die Ereignisse und Vorgänge detailliert und gestützt auf Quellen dargestellt, aus denen auch ausführlich zitiert wird. Die Verfasser hatten auch mit Zeitzeugen gesprochen, so finden sich anekdotenhafte Erinnerungen von Lamas und anderen Personen.

Signifikant ist, dass Pürevžav und Dašžamc in ihrer materialreichen Arbeit Aspekte, die die offizielle Deutung hätten stören können, systematisch herunterspielten, ausblendeten

13 Pürevžav, Dašžamc 1965.

14 Ebd., S. 9.

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oder schlicht und einfach nicht erwähnten. Heute sind diese blinden Flecken in der Darstellung erkennbar. Dass zum Beispiel Lamas beim Aufbau der ersten Parteizellen auf dem Land eine wichtige Rolle spielten, wird nicht erwähnt. Dass hochrangige Lamas Posten in der Volksregierung innehatten, wird als ein taktisches Manöver von weit voraus blickenden Revolutionären beschrieben. In Bezug auf die Massenverhaftungen finden sich nur einige kurze stereotype Sätze. Die Ereignisse der Jahre 1937 bis 1939 - damals wurden etwa 20 000 Lamas verhaftet, etwa 17 000 wurden hingerichtet, die Klöster wurden alle geschlossen - werden als „endgültige Vernichtung der Konterrevolutionäre und Landesverräter“ bezeichnet. Näher ging man darauf aus verständlichen Gründen nicht ein. Zwar wird an verschiedenen Stellen der Darstellung auf die Bedeutung der „Ratschläge“ der Komintern und der KPdSU hingewiesen, aber wie die Beziehungen sich entwickelten bleibt vage, heute liegen die entsprechenden Briefe, Gesprächsprotokolle und anderes vor. Und wenn in diesem Buch ein Funktionär oder eine andere Person als „Landesverräter“ oder als „Konterrevolutionär“ bezeichnet wird, handelt es sich schlicht und einfach um die offizielle Parteilinie, an der kein Forscher zu rütteln wagte.

Die Wertungen in diesem Buch sind einfach zu erkennen. Generell liegt der Darstellung die Prämisse zu Grunde, dass die Partei immer Recht hatte. Es mag innerhalb der Partei einige Personen gegeben haben, die Fehler gemacht haben, es war auch vorgekommen, dass einige Personen, die später als Verräter entlarvt werden konnten, die Führung der Partei an sich nehmen konnten. Aber im Prinzip hatte die Partei stets Recht, in einer Situation, wo die Parteilinie gefährdet war, half dann stets die Komintern oder die KPdSU mit ihren „Ratschlägen.“ Es findet sich nichts, was der offiziellen Interpretation widerspricht.

Auch das 1972 publizierte Buch MAChN-aas süm chijd, lam naryn edijn zasgijn chüčin čadlyg evdež ustgachyn tölöö javuulsan temcel ('Der Kampf der MRVP zur Zerstörung der ökonomischen Kraft, Stärke der Klöster und Lamas') ist ein typisches Produkt der Geschichtsschreibung in der MVR.15 Minis, der Verfasser, war Leiter des Instituts für Parteigeschichte und beschränkt sich auf einen Aspekt der Religionspolitik, nämlich auf die Maßnahmen in Hinblick auf die ökonomische Basis der Klöster, dieser einzelne Aspekt wird dafür umso gründlicher erforscht. Es handelt sich um ein materialreiches Buch, die Gesetze und Verordnungen zur Besteuerung werden minutiös dargelegt, mit zahlreichen Quellen wird dargestellt, wie die Gesetze und Verordnungen umgesetzt wurden, es werden auch detaillierte Angaben zu den Einnahmen aus der Besteuerung gemacht. Dass gegen die ökonomische Basis der Klöster gekämpft wurde, beschreibt der Autor als weitsichtige Politik der MRVP. Zwar hätte es Fehler und „Abweichungen“

gegeben, aber im Grunde, so wird wieder mit dem Verweis auf das schon oben angeführte Zitat von Cedenbal argumentiert, wäre das Vorgehen richtig gewesen.

In Aufsatzbänden und Fachzeitschriften erschienen weitere Aufsätze, die sich mit der Religionspolitik befassten.16 Die Autoren dieser Texte hielten sich an die von der Partei

15 Vgl. Minis 1972.

16 Vgl. Bazardorž 1977, Cendee 1978, Dašžamc, Luvsanceren 1985, Dašzeveg 1970, 1971,1983, Nasanbalžir 1971, Pürevžav 1983, 1985.

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vorgegebenen Deutung, für die Abfassung betrieben sie meist keine Archivarbeit, sondern stützten sich auf publizierte Quellensammlungen.

Die vor 1990 in der MVR erschienene Literatur wurde verwendet, weil die Autoren, mit privilegiertem Zugang zu den Archiven von Staat und Partei, umfangreiches Material heranzogen. Unterschiedliche Aspekte der Religionspolitik werden angesprochen, man erhält Hinweise auf Ereignisse, Personen und Institutionen, auf wichtige Vorgänge und auf entsprechende Quellen und Dokumente. Die Überprüfung von kontroversen und für diese Darstellung besonders relevanten Quellen ergab, dass die Autoren Zitate aus den Beschlüssen der Partei und Regierung, aus Proklamationen und Berichten korrekt wiedergeben. Die Einseitigkeit der vor 1990 erschienenen Publikationen konnte durch die Forschung in den Archiven und das Heranziehen neuerer Publikationen und Quelleneditionen ausgeglichen werden. Abschließend sei hier zu der Problematik der bis 1990 in der MVR erschienenen Publikationen angemerkt, dass ein kritischer Blick auf jedwede Literatur historiographische Selbstverständlichkeit ist oder zumindest sein sollte.

Bereits 1988 setzte in der MVR ein Wandel in der Geschichtspolitik ein. Im Zuge von Glasnost und Perestroika beschloss das ZK der MRVP die Rehabilitierung von politisch Verfolgten wieder aufzunehmen, dabei sollten auch die Lamas und Adligen, die zuvor von der Rehabilitierung ausgenommen worden waren, rehabilitiert werden.17 Mit der politischen Wende 1990 beschleunigte sich der Wandel.

Der historische Materialismus als Leitlinie für die Geschichtsschreibung verschwand.

Nach den langen Jahren, in denen Bekenntnisse zum Marxismus-Leninismus gefordert worden waren, bemühten sich die Historiker um eine ideologiefreie oder zumindest ideologieferne Geschichtsschreibung. Es war zwar ein grundlegender Wandel der Bedingungen der Produktion von historiographischen Texten, aber es gab keinen radikalen Bruch in Hinblick auf das Personal: es waren die gleichen Historiker. Es dauerte noch einige Jahre bis sich die Fachhistoriker von den formelhaften Sprachhülsen trennten.

Die mongolischen Historiker konnten sich jetzt mit zuvor tabuisierten Personen und Themenfeldern befassen - wie eben mit den politischen Verfolgungen. Besonders in der Periode der Anfänge der Einparteienherrschaft der MRVP, also in den Jahren nach 1921, gab es viele blinde Flecken. Es wurden bislang unbekannte Dokumente zugänglich und erstmals öffentlich gemacht - zum Beispiel die Protokolle der Gespräche von der mongolischen und sowjetischen Führungen in den 30er Jahren. Bislang unbekannte Sachverhalte wurden bekannt, zum Beispiel dass Frinovskij, der stellvertretende Leiter des Volkskommissariats für Innere Angelegenheiten, die MVR Anfang September 1937 besuchte und dass kurz darauf die Sonderkommission (mong. Oncgoj Büren Ercht Komiss, OBEK) gegründet wurde, die in den Jahren 1937 bis 1939 etwa 20 000 Personen verurteilte. Interessanterweise wurde diese grundlegenden Sachverhalte bereits 1990 bekannt gemacht. Man kann vermuten, dass die Fachhistoriker intern

17 Vgl. Rinčin 2000.

(19)

bereits früher Bescheid über solche Sachverhalte wussten. Es war ihnen höchstwahrscheinlich klar, dass die bisherige Geschichtsschreibung die Ereignisse in verzerrter Art und Weise dargestellt hatte.

Ein Schwerpunkt war die Rehabilitation von als konterrevolutionär verfemten Funktionären, über die zuvor gar nicht geforscht werden konnte. Denn jede Forschung stand vor folgendem Phänomen: wie kam es, dass ein und dieselbe Person sich zuerst in leitender Position für Unabhängigkeit und Revolution einsetzte und dann nur wenige Jahre später festgestellt wurde, dass diese Person sich bereits viele Jahre an landesverräterischen und konterrevolutionären Aktivitäten beteiligt hatte bzw. diese plante und vorbereitete. Für jede ernsthafte Forschung war dies ein unlösbares Dilemma, so dass es vor 1988 nur über wenige Politiker Biographien gab. Nachdem 1988 eine Wende in der Geschichtsforschung eingeleitet wurde, erschienen in der Presse Artikel über Politiker und Funktionäre, die zuvor als Konterrevolutionäre oder Reaktionäre galten. Diese Funktionäre figurieren nun eher als Kämpfer für die Unabhängigkeit, als Personen, die sich für einen eigenständigen Kurs der Mongolei eingesetzt haben. Bald erschienen etwas umfangreichere Broschüren, mittlerweile liegen zu einer großen Zahl von Funktionären Monographien vor.

Autoren aus dem Umkreis der Sicherheitsbehörden haben mittlerweile eine Reihe von interessanten Forschungsarbeiten publiziert. Die Autoren haben einen privilegierten Zugang zu dem Archiv des Geheimdienstes (mong. Tagnuulyn Jerönchij Gazaryn Archiv), das anderen Forschern nicht einfach offen steht. Dazu können die Publikationen von Agvaan, Altanchujag, Avirmed, Battogtoch und Dumburaj18 gezählt werden. Die Autoren haben ein Interesse an Aufklärung, aber auch ein Interesse daran, die Rolle der Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden zu relativieren. So verweisen sie zum einen auf den durch Mitarbeiter des Innenministeriums geleisteten Widerstand gegen die Verfolgungen, zum andern wird - nicht grundsätzlich falsch - auf die politischen Vorgaben der politischen Führung hingewiesen. Aus dieser Sicht setzten die Mitarbeiter der Sicherheitsbehörden lediglich Beschlüsse und Anordnungen um.

Es brauchte eine Zeit, bis sich Fachhistoriker abgesehen von biographischen Abhandlungen intensiv mit dem Thema der Religionspolitik im engeren Sinne auseinandersetzten. Bei der 2009 erschienen Monographie Mongolyn burchan šašny lam chuvrag ('Der Klerus des mongolischen Buddhismus') von Boldbaatar handelt es sich um eine Arbeit, die die Forschungsliteratur zusammenfasst. Im Zentrum der Darstellungen stehen dabei die Biographien von einzelnen bedeutenden Kleriker.19 Eine Sammlung von den Vorträgen der Tagung Lam nar, süm chijdijn chelmegdel ba cagaatgal ('Die Verfolgung der Lamas und Klöster, die Rehabilitierung') gibt einen Überblick über die verschiedenen religionspolitischen Themen, mit denen sich mongolische Historiker und Historikerinnen befassen, drei der Vorträge sind eher allgemeinen Charakters, drei befassen sich mit den Biographien einzelner bedeutsamer

18 Vgl. Agvaan 1991, Altanchujag 1991, Avirmed 2008, Battogtoch 1991 und Dumburaj 1997.

19 Vgl. Boldbaatar 2010.

(20)

Kleriker.20

Erdenesajchan, ein Mitarbeiter des Zentrums zur Erforschung der politischen Verfolgungen - dieses Forschungszentrum wurde 1991 gegründet und ist bei der mongolischen Akademie der Wissenschaften angesiedelt und ist befasst mit der Erforschung der Biographien der politisch Verfolgten -, veröffentlichte 2008 eine Biographie des Jonzon Lama, des letzten Abts des Gandanklosters (bevor es 1937 geschlossen wurde). Im Zentrum der Abhandlung von Erdenensajchan steht der Schauprozess gegen den Jonzon Lama, dieser Prozess bildete 1937 den Beginn des offenen Terrors gegen die Lamas und Klöster.

Erdenesajchan befasst sich in einer weiteren Monographie mit den Verfolgungen der Lamas.21 Eine Darstellung aller Aspekte der Religionspolitik ist mit dieser Abhandlung nicht intendiert. Durch den Ansatz und die Anlage der Arbeit ergibt sich, dass einige Aspekte nicht thematisiert werden, zum Beispiel wird die anfängliche Kooperation von einigen Lamas mit der Partei zwar erwähnt, aber nicht ausführlich thematisiert. Der Fokus liegt auf den Verfolgungen der Lamas in den Jahren 1937 bis 1939. Dies führt unter anderem dazu, dass Erdenesajchan spekuliert, ob es nicht schon wesentlich früher Pläne der sowjetischen Stellen zur Lösung der Lamafrage gegeben hätte, anders gesagt, der Verfasser meint, aus dem Atheismus der Bolschewiki hätte sich zwangsläufig ihr Vorgehen gegen den Buddhismus ergeben, der Konflikt zwischen dem atheistischen Sozialismus mit den buddhistischen Institutionen und dem Glauben der frommen Mongolen wäre unvermeidlich gewesen. Insgesamt verfügt der Autor über eine fundierte Kenntnis der Forschungsliteratur und der Quellen. Außerdem gelingt es ihm durch die Heranziehung vieler bislang unbekannter Dokumente aus den Archiven die verschiedenen Gerichtsprozesse, die massenweisen Verhaftungen, die Verhöre der Lamas und anderes sehr anschaulich darzustellen.

Für das Thema dieser Arbeit interessant sind auch Abhandlungen über einzelne Lamas und Wiedergeburten. An erster Stelle ist hier die Monographie von Batsajchan über den letzten Bogd Žebzumdampa zu nennen.22 Es liegen auch Abhandlungen über andere bedeutende Kleriker vor. Verfasst wurden diese Texte meist nicht von Fachhistorikern, sondern von Personen, die sich für die lokale Geschichte interessieren. Diese Abhandlungen sind wichtig, denn die Verfasser befragten in den 1990er Jahren hoch betagte Zeitzeugen, die mittlerweile verstorben sind. Solche Arbeiten liegen über den Zajany Chutagt, den Lamyn Gegeen und den Jegüzer Chutagt vor.23 Es bleibt aber ein Grundproblem, dass die Materiallage in Hinblick auf die Lamas meist weniger gut ist als bei den Funktionären von Staat und Partei.

Interessantes Material findet sich wenigstens zum Teil in der lokalen Geschichtsschreibung. Verfasser dieser lokalen Geschichten sind Historiker, die aus der Gegend stammen, oder dort lebende Lehrer, Museumsdirektoren etc. Diese Geschichten

20 Vgl. Soninbajar et al (Hg.) 2008.

21 Vgl. Erdenesajchan 2013.

22 Vgl. Batsaikhan 2008, 2016. Der Autor geht in der überarbeiteten Fassung von 2016 ausführlicher auf Ereignisse und Vorgänge in den 1920ern ein als in der ersten Fassung seiner Arbeit.

23 Vgl. Biradamba 1999, Saruulbujan 1999, Cogt-Očir 1992, 2010.

(21)

enthalten interessantes Material, zum Teil aus den Archiven, zum Teil handelt es sich um Erinnerungen von Zeitzeugen.

Und schließlich wurden auch andere historiographische Arbeiten herangezogen, so zum Beispiel Forschungen zur Geschichte des Militärs, zur Entwicklung des Justizsystems, zum Steuersystem, zur Entwicklung des Gesundheitssystems.

Forschungsliteratur in anderen Sprachen

Zur Sekundärliteratur in anderen Sprachen als dem Mongolischen muss angemerkt werden, dass es nur wenige in Hinblick auf die Religionspolitik relevante

Veröffentlichungen gibt.24

Die sowjetischen Historiker und Historikerinnen hatten in Bezug auf die Geschichtsdeutung die grundlegenden Schemata und Modelle geliefert. Aber

eigenständige Arbeit in den Archiven zur modernen mongolischen Geschichte leisteten sowjetische Historiker vor 1990 kaum. Insgesamt ist die sowjetische Forschung zur modernen mongolischen Geschichte weniger umfangreich und weniger detailliert als die der mongolischen Historiker. Von den nach 1990 erschienenen russischen

Publikationen sind die Darstellungen von Roščin und Luzanin sehr wichtig, beide verfügen über eine fundierte Kenntnis der mongolischen Quellen und der

Forschungsliteratur; außerdem gelingt es ihnen interessante Materialien aus den russischen Archiven zu Tage zu fördern.25 Bei ihren Publikationen handelt sich um Werke der klassischen politischen Geschichtsschreibung, im Zentrum steht das Agieren von Staatsmännern und Regierungen. Das Thema „Religionspolitik“ wird von beiden Autoren nur am Rande berührt. Außerdem hat Roščin eine Biographie von Čojbalsan und eine von Genden verfasst, zwei der wichtigsten mongolischen Politiker der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts.26

In der nicht mongolischsprachigen Literatur war das vom amerikanischen Mongolisten Moses 1977 publizierte Buch The political role of Mongolian Buddhism lange Zeit das

24 Diese Einschätzung, die 2015 vorgenommen wurde, muss revidiert werden. Nach Fertigstellung der hier vorliegenden Arbeit erschien 2016 die von Kuz'min erstellte Monographie Teokratičeskaja gosudarstvennost' i buddijskaja cerkov' Mongolii v načale XX veka ('Der theokratische Staat und die buddhistische Kirche in der Mongolei zu Beginn des 20. Jahrhunderts').

Kuz'min stützt sich bei seiner Arbeit auf eine breite Materialbasis, neben der Forschungsliteratur und den Quellensammlungen zieht er auch viele Dokumente aus russischen und mongolischen Archiven heran. Gegenstand der Monographie von Kuz'min ist die Zeit zwischen 1911 und 1939. Der zeitliche Rahmen des Geschehens, das Kuz'min darstellt, ist also weiter gefasst als der zeitliche Rahmen der hier vorliegenden Darstellung. Im dritten Teil seiner Arbeit befasst er sich mit den Ereignissen und Entwicklungen der Jahre 1920 bis 1939, die Thema der hier vorliegenden Arbeit sind. Seine diesbezüglichen Ausführungen sind in drei Kapitel unterteilt: das erste Kapitel ('Errichtung der revolutionären Macht') befasst sich mit der Zeit von 1920 bis 1924, das zweite ('Demontage der Strukturen der buddhistischen Kirche') mit der Zeit von 1924 bis 1939, ein drittes Kapitel ('Versuche, die Theokratie zu bewahren') befasst sich mit dem Widerstand der Lamas gegen die M(R)VP. (Angemerkt sei, dass diese beiden letzten Aspekte in der vorliegenden Arbeit nicht getrennt in zwei Abschnitten dargestellt werden, sondern durchgängig als auf einander bezogen.) Durch die Heranziehung von bislang nicht publizierten Dokumenten aus den russischen Archiven gelingt es Kuz'min das Agieren der Bolschewiki sehr detailliert darstellen. Einige Aspekte kann er wesentlich genauer darstellen als in der vorliegenden Arbeit, so zum Beispiel die Rolle der sowjetischen Berater bei den massenhaften Verhaftungen und Aburteilungen der Lamas in den Jahren 1937-1939, also bei der sogenannten „Lösung der Lamafrage“. Interessant sind auch seine Ausführungen zur Gründung der M(R)VP und zum Panmongolismus. Im Zentrum von Kuz'mins Arbeit steht das Handeln der politischen Entscheidungsträger. (In der hier vorliegenden Arbeit wird versucht, die Reaktion der einfachen Bevölkerung, der Lamas auf die Religionspolitik genauer in den Blick zu nehmen, zum Beispiel durch das Heranziehen der umfangreichen Erinnerungsliteratur.) Es stellte sich heraus, dass Kuz'min nicht auf Vorgänge und Ereignisse, auf Schlüsseldokumente hinweist, auf die nicht auch in der hier vorliegenden Arbeit eingegangen wird. Es wurde darauf verzichtet, Verweise auf die sehr gelungene Arbeit von Kuz'min einzuarbeiten, denn nahezu bei jedem Punkt der hier vorliegenden Darstellung hätte ein Verweis auf Kuz'min eingefügt werden können. Seine Deutung des Geschehens widerspricht auch nicht grundsätzlich der Interpretation in der hier vorliegenden Arbeit.

25 Vgl. Luzjanin 2005, Roščin 1999.

26 Vgl. Roščin 2008a, 2008b.

(22)

Referenzwerk.27 Moses befasst sich in seinem Buch mit der politischen Rolle des Buddhismus bei den Mongolen, von der Zeit des mongolischen Großreiches bis zu Mitte des 20. Jahrhunderts. Der Schwerpunkt seines Interesses liegt auf der Entwicklung in der ersten Hälfte des 20. Jahrhunderts in der Äußeren Mongolei. So befasst er sich auf 150 Seiten seines Buches mit den Entwicklungen vom 13.

Jahrhundert bis zum Beginn des 20. Jahrhunderts, der Zeit von 1920 bis 1940 widmet er 100 Seiten seines Buches.

Wie anderen westlichen Forschern waren ihm die Archive in der MVR nicht zugänglich.

Moses zieht die erwähnte Darstellung von Pürevžav und Dašžamc heran, er kommt aber zu anderen Einschätzungen. Außerdem stützte sich Moses auf Reiseberichte sowie auf die Arbeiten von Rupen und Bawden.28 Dem amerikanischen Forscher Rupen ging es um die Zusammenstellung der verfügbaren Informationen über ein Land, dessen moderne Entwicklung bis dahin nahezu ein weißer Fleck gewesen war. Er wertete die ihm zur Verfügung stehenden meist russischsprachigen Quellen und Materialien sorgfältig aus.29 Die Darstellung des englischen Mongolisten Bawden war lange Zeit das wichtigste englischsprachige Werk zur modernen mongolischen Geschichte. Er stützt sich auf die damals publizierten mongolischen Abhandlungen und Darstellungen.

Moses unterteilt wie Pürevžav und Dašžamc das Geschehen in mehrere Phasen. Bei der Benennung und grundsätzlichen Charakterisierung der Phasen lässt er sich von den Vorgaben der mongolischen Historiker leiten, zum Beispiel hebt er den Gebrauch von juristischen Mitteln nach 1932 hervor. Moses analysiert in einem gesonderten Abschnitt die Machtverhältnisse zwischen den verschiedenen Gruppen in der Mongolei und kommt zum Ergebnis, dass der Konflikt zwischen dem Buddhismus und der Partei schon rein aus strukturellen Gründen unvermeidbar war: „die lamaistische Kirche“ wäre die einzige Institution gewesen, die den Herrschaftsanspruch der Partei in Frage stellte.

Moses zufolge arbeitete die Sowjetunion zielstrebig und erfolgreich daran, ihr Entwicklungsmodell zu exportieren und die Mongolei zu einem sowjetischen Satellitenstaat zu machen. Aus dieser Sichtweise scheinen der Kampf gegen den Klerus und der Aufbau des Sozialismus Hand in Hand zu gehen. Zwar räumt Moses ein, dass es Konflikte und Spannungen innerhalb der Partei gab, aber im Prinzip erscheint die Partei – ebenfalls wie bei Pürevžav und Dašžamc - als kohärent, homogen und monolithisch.

Es handelt sich um ein teleologisches Vorgehen: aus der Analyse der Gesellschaftsstruktur folgte die Unvermeidbarkeit des Konflikts zwischen Partei und Klerus. Dies ähnelt der Interpretation der mongolischen Historiographie, derzufolge der Konflikt der Partei mit den „Überbleibseln des Feudalismus“ unvermeidbar gewesen war. Die Arbeit von Moses spiegelt den damaligen Forschungs- und Kenntnisstand der westlichen Mongolistik. Auf Grundlage der ihm zur Verfügung stehenden Quellen konnte er einige Prozesse nur ansatzweise skizzieren, heute ist es möglich, viele Aspekte präziser und genauer darzustellen.

27 Vgl. Moses 1977.

28 Vgl. Rupen 1965, Bawden 1968.

29 Dass Rupen keine mongolischsprachigen Quellen heranzieht, erscheint als in Manko, man sollte aber bedenken, dass es zum Zeitpunkt der Abfassung kaum relevante mongolischsprachige Publikationen gab.

(23)

Man kann festhalten, dass die westliche Mongolistik das in der MVR gepflegte Geschichtsbild zum Teil reproduzierte. Auch die westliche Mongolistik unterstellte, dass die Partei von Beginn an ein konsistentes Programm verfolgte. Auch in den Darstellungen und Abhandlungen, die von westlichen Autoren über die moderne mongolische Geschichte verfasst wurden, taucht das Narrativ auf, demzufolge die Partei von Anbeginn gegen die Religion eingestellt war. Aber die westlichen Forscher bewerteten die Entwicklungen ganz anders. Es wird nicht eine Erfolgsgeschichte erzählt, sondern eine Geschichte der Verfolgungen und des Terrors.

Letztendlich erscheint auch in diesen Darstellungen das Geschehene als unvermeidlich, alles läuft in dieser Art der Darstellung auf einen Zusammenstoß von Religion und Kommunismus hinaus. Vorschnell werden Konzepte wie „kommunistisches Regime“

oder „sozialistischer Staat“ gebraucht. Diese Termini sind sicherlich geeignet, um spätere Entwicklungen und Prozesse zu bezeichnen und zu beschreiben, aber durch die Verwendung dieser Begriffe für die 1920er und 1930er Jahre werden wichtige Aspekte und Details ausgeblendet oder an den Rand gedrängt. Sie fungieren in den Darstellungen als Explanans, tragen aber nicht zur Analyse bei. Kritisch kann man anmerken, dass es in der westlichen Forschung keine tiefergehende Auseinandersetzung mit den verfügbaren Texten gab, den Quellen wurde manchmal nur wenig Beachtung geschenkt.

In den letzten Jahren ist eine ganz Reihe Publikationen westlicher Autoren erschienen, die für die vorliegende Arbeit relevant sind.

Der ungarischen Mongolistin Teleki legt mit ihrer 2011 publizierten Monographie Monasteries and temples of Bogdiin Chüree eine genaue Beschreibung der Lage und des Zustands der Klöster in der mongolischen Hauptstadt vor.30 Die Forschungsliteratur ist der Autorin wohl vertraut, sie forschte im mongolischen Staatsarchiv und führte zudem einige Gespräche mit Zeitzeugen. Detailliert werden die verschiedenen Tempel und Klöster in der Hauptstadt, deren Ausstattung und die religiösen Zeremonien. Da die Arbeit sich aber auf die Zeit vor 1921 beschränkt, finden sich nur wenige Anmerkungen zu Ereignissen und Geschehnissen nach 1921. Es handelt sich um eine sehr materialreiche Arbeit und sehr kenntnisreiche Studie.

Jerryson, ein amerikanischer Religionswissenschaftler und Buddhologe, befasst sich in seiner Monographie mit einem weitgefassten Thema: es geht ihn um die Geschichte des mongolischen Buddhismus; der Schwerpunkt der Darstellung liegt auf den Ereignissen im 20. Jahrhundert.31 Jerryson grenzt sich von der älteren Forschung ab und stuft zum Beispiel die Arbeit von Moses als veraltet ein. Er stützt sich auf die englischsprachige Literatur, nur punktuell wird auf die mongolischsprachige Forschung verwiesen. Somit reflektiert die Arbeit also nicht den heutigen Kenntnis- und Forschungsstand der Historiographie. Für die Darstellung der Ereignisse im 20. Jahrhundert stützt er sich auf Interviews mit Mitarbeitern des mongolischen Innenministeriums und anderen Personen. Bei diesen Interviews mit den Mitarbeitern des Innenministeriums handelt es

30 Vgl. Teleki 2011.

31 Vgl. Jerryson 2007.

(24)

sich um wohlbekannte Quellen, die bereits 1997 von Dumburaj publiziert wurden.32 Im Anhang des Buches von Jerryson sind englische Übersetzungen von einigen dieser Interviews. Der Autor erhebt zwar den Anspruch, eine neue Darstellung der Religionsgeschichte vorzulegen, ihm Autor fehlen aber die nötigen Fachkenntnisse in Hinblick auf die mongolische Geschichte. Da er im Wesentlichen nur die englische Forschungsliteratur heranzieht, ist er nicht in der Lage dem weitgefassten Thema gerecht zu werden.

Der amerikanische Anthropologe Kaplonski ist einer der wenigen ausländischen Forscher, der einen soliden Überblick über die mongolische Forschungsliteratur hat und Dokumente aus den mongolischen Archiven heranzieht. Er publizierte 2014 eine Monographie zur „Lamafrage“,33 sein Thema deckt sich also mit dem der hier vorgelegten Arbeit. Es geht ihm nicht um eine Gesamtdarstellung, er befasst sich mit einigen Aspekten besonders ausführlich, so zum Beispiel mit den Vertretern der Regierung, die seit Ende des Jahres 1933 bei den Klöstern eingesetzt wurden, oder mit einigen der Gerichtsprozesse gegen die Lamas. Seiner These, dass es sich bei dem Prozess gegen den Jonzon Lama um einen Schauprozess handelte, der eine Vorbedingung für die massenweise Verhaftung der Lamas war, kann nicht widersprochen werden, andererseits handelt es sich dabei auch nicht um eine neue Einschätzung dieses Prozesses. Auch in Kaplonskis Darstellung bilden die Verfolgungen der Lamas in den Jahren 1937 und 1938 den Fluchtpunkt, auf den das Geschehen hinausläuft. Was meistens den Hauptgegenstand der politischen Geschichtsschreibung bildet, nämlich das Handeln der politischen Entscheidungsträger, interessiert ihm nur am Rande. Er befasst sich mit „Technologien der Gewalt“, seine Fragestellungen sind anthropologischer Art.

Zur Erinnerungsliteratur

Erinnerungsliteratur wird in der vorliegenden Arbeit im großen Umfang herangezogen, es handelt sich um ein breites Korpus an Texten, das meist wenig beachtet wird. Nach Durchsicht der veröffentlichten Quellen und nach einiger Arbeit in den Archiven wurde klar, dass es schwierig war, aussagekräftige Quellen darüber zu finden, wie die

„einfache“ Bevölkerung auf die von der Parteiführung formulierte und vom Apparat durchgesetzte Politik reagierte. Die Masse der Berichte war stereotyp und wenig anschaulich. Die Materialgruppe der Erinnerungen kann dies wenigstens teilweise kompensieren. Was bereits zur mongolischsprachigen Historiographie ausgeführt wurde, gilt auch hier für die umfangreiche Literatur der Erinnerungen: Die vor 1988 publizierten Erinnerungen unterlagen dem prüfenden Auge eines Zensors, so findet sich zum Beispiel in ihnen nichts über die Verhaftungen und Hinrichtungen in den Jahren 1937 bis 1939. Es gilt, dass alle Erinnerungen, die bereits in der Zeit der MVR

erschienen, entsprechend den ideologischen Vorgaben redigiert wurden. So stellen die in den Erinnerungen präsentierten Interpretationen der historischen Ereignisse die

offizielle Position nicht offen in Frage.

Die Erinnerungsliteratur umfasst ein weites Spektrum an Texten. Da sind zum einen

32 Vgl. Dumburaj 1997.

33 Vgl. Kaplonski 2014.

(25)

Lebenserinnerungen von renommierten Intellektuellen, die sich an Kindheit und Jugend erinnern, so zum Beispiel von Damdinsüren, Širendev, Namdag, Čojžilsüren.34 Dies geschieht zum Teil im Kontext einer Lebensbilanz, dabei finden sich auch kritische Anmerkungen zum Einparteiensystem. Die geschilderten Erlebnisse machen einige Vorgänge in den 20er und 30er Jahren anschaulich. Es liegen auch einige Interviews mit Funktionären vor, zum Beispiel von Cedenbal und Majdar.35 Sie waren in den 1920er und 1930er Jahren noch Kinder bzw. junge Kader.

Es gibt umfangreiche Sammlungen mit Erinnerungen von 'Veteranen des revolutionären Kampfes' (mong. Chuv'sgalt temclijn achmad zütgelten naryn durtgal).36 Vom Institut für Parteigeschichte wurden mehrere Bände mit den Erinnerungen der Parteiveteranen herausgegeben. Interviewt wurden verdiente Parteimitglieder, dies war ein breiter Personenkreis: Mitarbeiter in der staatlichen Verwaltung, Mitarbeiter von Bank und Elektrizitätswerk, Soldaten, Ärzte, Sänger, Schauspieler, Schriftsteller. In der Regel handelte es sich um hoch betagte Personen, die ihre Stellung dem Staat und der Partei verdankten. Man kann wohl vermuten, dass sie loyal gegenüber der Partei waren, der sie letztlich ihre Stellung verdankten. Die üblichen Deutungen der modernen Geschichte hatten sie verinnerlicht, wie in der Parteigeschichte gibt es die üblichen Auslassungen, so wurden die Verfolgungen in den Jahren 1937 bis 1939 kaum erwähnt. Die Kompilatoren waren zwar dem strengen Wahrheitsregime der sozialistischen Geschichtsschreibung unterworfen, aber es finden sich in der Masse doch erstaunlich interessante Erinnerungen. Es tauchen Erlebnisse und Begebenheiten auf, die in Hinblick auf die Religionspolitik interessant sind und die sich in der Historiographie der MVR kaum finden. Sie bieten wenigstens einen gewissen Einblick in ein Geschehen, das in den anderen Quellen nicht zur Sprache kommt. Band 2

Bei den Gesprächen, die die Kommission zur Rehabilitierung der Verfolgten Ende der 50er und Anfang der 60er Jahre mit ehemaligen Mitarbeitern des Innenministeriums führte und die in den 1990er Jahren von Dumburaj publiziert wurden, handelt es sich um ganz andere Texte.37 Die Arbeit der Kommission ging nicht öffentlich von statten und diese Interviews waren nicht für die Veröffentlichung bestimmt. Die Interviewten hatten keine negativen Folgen zu befürchten und antworteten offen - auch auf heikle Fragen, zum Beispiel auf die Frage, ob sie Folter angewendet hätten oder an Erschießungen beteiligt gewesen wären. Wenn man von Hinweisen auf das Befolgen von Befehlen absieht, dann beschönigen die Mitarbeiter in den Interviews nichts. Von der Rehabilitierung damals waren Lamas und Feudale ausdrücklich ausgenommen, deshalb wurde die Frage der Verfolgung der Lamas nicht ausdrücklich gestellt, aber einige ehemalige Mitarbeiter erzählen doch interessante Dinge. 1988 wurde die Rehabilitierung wieder aufgenommen, es wurden Gespräche mit noch lebenden Zeitzeugen geführt. Aufgrund der Umstände kann den Aussagen ein hohes Maß an Glaubwürdigkeit zugestanden werden.

34 Vgl. Damdinsüren 1990, Shirendev 1997, Namdag 1988, Čojžilsüren 1998.

35 Vgl. Šinkarev (Band 2) 2004.

36 Vgl. Mongol Ardyn Chuv'sgalt Namyn achmad ažiltan gišüüdijn durtgal, 3. Bde, 1978, 1981, 1988, Mongol ardyn žuramt cergijn durtgaluud 1982 (Band 1), 1985 (Band 2).

37 Vgl. Dumburaj 1997.

(26)

Zu beachten ist, dass in der Erinnerungsliteratur ein deutliches Ungleichgewicht besteht:

es liegen relativ viele Erinnerungen von Parteiveteranen und Funktionären vor, Erinnerungen von Lamas sind selten. Von Lamas liegen nur zwei Texte vor, die zur Erinnerungsliteratur zählen. An erster Stelle ist die Autobiographie von Dilav Chutagt zu nennen, eine Wiedergeburt, die 1930 die MVR verließ und später in den USA lebte,38 zum anderen liegt ein von Gaagan verfasstes Buch vor.39 Gaagan, der von 1980 bis 1989 Abt des Gandanklosters war, berichtet darin über die Vorgänge in den Klöstern von Tögsbujant und Ulaangom, wo er bis 1937 als Klosterschüler gelebt hatte.

Es ist nicht das Thema dieser Arbeit, den Erinnerungsprozess zu untersuchen, aber einige Anmerkungen sind unerlässlich: Der Prozess der Erinnerung ist subjektiv, selektiv, interessengeleitet und konstruktiv. Was erzählt wird, unterliegt selektierenden und zensierenden Mechanismen, und was schließlich veröffentlicht wird, unterliegt weiteren Eingriffen. Bei den publizierten Erinnerungen handelt sich um Texte, die mit einer bestimmten Absicht und für ein bestimmtes Publikum niedergeschrieben und herausgegeben wurden.

Das alles trifft auch auf Archivalien und andere Dokumente zu: auch diese Texte entstanden in einem bestimmten Kontext, mit einer bestimmten Absicht etc. Auch diesen Texten - sei es den Verhörprotokollen, sei es Berichten von lokalen Behörden und Kadern, die bemüht waren, gegenüber den zentralen Organisationen in der Hauptstadt darzustellen, dass sie die Anweisungen eifrig umsetzten und erfolgreiche Arbeit leisteten - kann man nicht „trauen“.

Die hier herangezogenen Erinnerungen dienen nicht als Quelle dafür, welche Beschlüsse gefasst wurden, vielmehr werden sie als Materialien genutzt, die anschaulich machen können, wie die Beschlüsse umgesetzt wurden. Diese Erinnerungen können ein - aus einer je subjektiven Perspektive - anschauliches Bild von konkreten Vorfällen und Ereignissen bieten. Einige Male wurden zusätzliche Belege gefunden, die den in einer Erinnerungen geschilderten Vorfall bestätigen. Einige mal wurde kein weiterer Beleg gefunden. Die Erinnerungen werden hier trotzdem aufgeführt. Möglicherweise könnten eine erweiterte Suche für einige dieser Vorfälle weitere Belege in den Archiven zu Tage fördern. Bei anderen Vorfällen erscheint es eher unwahrscheinlich, dass sie sich überhaupt in schriftlichen Dokumenten niederschlugen.

Einige dieser Anekdoten und Episoden können aber ein Licht auf historische Vorgänge werfen, besonders auf dem Land, auf der unteren Ebene. In der vorliegenden Arbeit wird im Text deutlich angemerkt gemacht, dass es sich um eine Erinnerung handelt, also um einen Text, der später verfasst und herausgegeben wurde. Folgende Themen, die in der Erinnerungsliteratur angesprochen werden, sind relevant in Hinblick auf die Religionspolitik: die religiös motivierte Vorbehalte der Bevölkerung gegen die Partei;

die sich daraus ergebenden Schwierigkeiten beim Aufbau der Parteizellen und bei der Parteiarbeit vor Ort; die Rolle der „Gerüchte“ und versteckte Formen des Widerstandes gegen die neue Regierung; das Vorgehen der Kader vor Ort, insbesondere die

38 Vgl. Lattimore, Isono 1982.

39 Vgl. Gaagan 2000.

(27)

Beteiligung an den Beschlagnahmungen des Eigentums der „schwarzen und gelben Feudalen“ (so wurden damals die Adligen und Lamas bezeichnet); antireligiöse Propaganda und Aktivitäten (insbesondere für die Jahre 1929-1932 und 1936-1937 gibt es Belege für Übergriffe von übereifrigen Kadern auf die Lamas und Klöster);

Erinnerungen an Aufstände (besonders zu den Aufständen 1930 und 1932).

(28)
(29)

3. Zum mongolischen Buddhismus

Mongolen bezeichnen den Buddhismus häufig einfach als Šašin. Dieses Wort kam vermittels des Uigurischen aus dem Sanskrit ins Mongolische, es hat die Bedeutung 'Lehre' (mong. surgaal bzw. nom). Ursprünglich wurde der Begriff Šašin nur für den Buddhismus verwendet, im Laufe der Zeit erhielt er die allgemeine Bedeutung

„Religion“ und wurde auch zur Bezeichnung von anderen Religionen verwendet. Der Buddhismus wird in Abgrenzung zu anderen Religionen häufig als Šarijn Šašin bezeichnet. Dies heißt so viel wie 'Religion der Gelben' oder 'Gelbe Religion'. Gelb ist die Farbe der Gelugpa (tib. dGe-lugs-pa), einer von Tsong-kha-pa (1357-1419) begründeten Schulrichtung des tibetischen Buddhismus. Diese Schulrichtung wurde mit der zweiten Einführung des Buddhismus in der Mongolei am Ende des 16. Jahrhunderts die unter den Mongolen vorherrschende Schulrichtung. In der Zeit des mongolischen Großreiches (13./14. Jahrhundert) wurde der Buddhismus erstmals unter den Mongolen eingeführt, er blieb damals aber vornehmlich die Religion einer kleinen Oberschicht.

Die meisten Lamas und Klöster folgten im frühen 20. Jahrhundert der Tradition der Gelugpa, die sich im Laufe des 17. und 18. Jahrhunderts als vorherrschende Richtung etabliert hatte. Es gab auch einige wenige Klöster, die anderen Schulrichtungen des tibetischen Buddhismus folgten, so den Sakyapa (tib. Sa-skya-pa) oder den Nyingmapa (tib. Nying-ma-pa). Diese anderen Richtungen werden im Mongolischen als 'rote Religion' (mong. ulaan šašin) bezeichnet. Im Großen und Ganzen spielten die Unterschiede zwischen den verschiedenen Schulrichtungen bei den Mongolen nur eine geringe Rolle. Europäische Reisende übernahmen diese Klassifizierung, und so findet sich recht häufig die Bezeichnung „Gelb- bzw. Rotmützensekte“.

Im Folgenden wird auf die Lamas, die Klöster und die Wiedergeburten eingegangen, dies sind die drei konstitutiven Elemente des mongolischen Buddhismus. Daran anschließend werden die Aufgaben, die die Lamas, die Wiedergeburten und Klöster wahrnahmen, ihre politischen, ökonomischen und kulturellen Funktionen skizziert.

Danach werden die Entwicklungstendenzen des mongolischen Buddhismus am Ende des 19. Jahrhunderts dargestellt. Abschließend werden die Jahre der Autonomie kurz skizziert: in dieser Zeit löste sich die Äußere Mongolei aus der mandschurischen Oberhoheit, es wurde eine unabhängiger Staat proklamiert, an dessen Spitze der Bogd Žebzumdampa stand, die bedeutendste mongolische Wiedergeburt.

Konstitutive Elemente

Der Buddhismus wurde erst mit seiner zweiten Einführung im späten 16. Jahrhunderts die Religion, der die Mehrheit der Mongolen anhing. Die Masse der Mongolen konvertierte zum Buddhismus: Eltern wünschten sich, dass zumindest ein Sohn ins Kloster ging, für junge Mongolen wurde es ein selbstverständliches Ziel, eine Ausbildung im Kloster zu erlangen. Die Wiedergeburten, deren Zahl rasch wuchs, erlangten Ansehen und Einfluss und im Laufe der Zeit wurde eine große Zahl von Tempeln und Klöstern gebaut.

Referenzen

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