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Geschichte der altenglischen Literatur

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Geschichte

der altenglischen Literatur

von

K a r l H e i n z G ö l l e r unter Mitarbeit von Uwe Böker

E R I C H S C H M I D T V E R L A G

(2)

E . T h . S e h r t gewidmet

ISBN 3 503 00602 8

© Erich Schmidt Verlag, Berlin 1971 'ruck von Buchdruckerei Loibl, Neuburg (Donau)

Printed in Germany • Nachdruck verboten

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Inhaltsverzeichnis

Seite

I. W a r u m studiert m a n heute noch Altenglisch? . . . . 7

D i e angelsächsische K u l t u r 12

D i e K u n s t 12 A r c h ä o l o g i e u n d Literatur 14

Rechtswesen i m angelsächsischen E n g l a n d 18 Allgemeine K u l t u r der Angelsachsen 23 1

D i e Bande der Gemeinschaft ZjL-i.

I L F o r m u n d Wesen der angelsächsischen D i c h t u n g . . . . 28 D i e Manuskripte 28 j Der Scop 30 j

Vortragsweise und M e t r u m 33 L i t e r a t u r u n d Vortragsdichtung 37 D e r S t i l der altenglischen Dichtung 43 •

III. D i e Niedere D i c h t u n g 54

Franks Casket 54 D i e Z a u b e r s p r ü c h e 56

Rätsel 59 D i e gnomische Dichtung . 63

W i d s i t h 66 I V . L y r i k 70

W u l f und Eadwacer 78 K l a g e der Frau 84 Botschaft des Gemahls 86

Reimlied 89 Der Wanderer 93 Der Seefahrer 98 D i e R u i n e 102 Deors K l a g e 104 V . Christliche altenglische D i c h t u n g 110

Exodus . . . 110

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S e i t e

D a n i e l I l l Das Traumgesicht v o m K r e u z e 112

D i e Runeninschrift auf dem R u t h w e l l - K r e u z 116

C y n e w u l f 116 C h r i s t i H ö l l e n f a h r t 119

Physiologus 120 K l a g e eines Vertriebenen 121

Geistliche D i c h t u n g nach A l f r e d 124

J ü n g e r e Genesis 126

J u d i t h 127 Salomon und Saturn 128

V I . Das Epos i m Altenglischen 134 A r t und Werden des Epos 134 D e r Geist der angelsächsischen Dichtung 141

Beowulf 143 D e r Stoff 143 D i e Stoff geschiente 145

Beowulfs Biographie: "The H i s t o r i c a l Element" . . . 148

D i e Struktur des B e o w u l f 150

Digressionen 155 D i k t i o n des B e o w u l f 161

Das Ethos des B e o w u l f 168 Das Fortleben des B e o w u l f 178 The Battle of Brunanburh 179 The Battle of M a l d o n 182 Kleinere Zeugnisse 186

V I I . Prosa 188 K ö n i g A l f r e d 190 D i e angelsächsische Prosa nach A l f r e d 203

j E l f r i c 205 W u l f stan 210 A b k ü r z u n g s v e r z e i c h n i s 215

Kurzbibliographie 216

Register 218

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K A P I T E L I

W a r u m studiert man heute noch Altenglisch?

Berechtigung und Notwendigkeit des Altenglischstudiums werden heute von verschiedenen Seiten angezweifelt. Bei den Studenten gilt dieses Fach als langweilig, technisch und trocken; in den Kultusministerien der Länder sowie in den Universitäten fragt man nach den Prioritäten: Lohnt sich der Aufwand und ist es wirklich erforderlich, Angelsächsisch zu lernen, wenn auf der Schule andere Fachgebiete im Vordergrund stehen? Warum sich mit einem so weit abgelegenen Stoffgebiet beschäftigen, wenn es Wichtige- res zu tun gibt — etwa Amerikakunde, Englandkunde, praktisches Eng- lisch, wissenschaftliche Grammatik usf.?

Auf Fragen dieser Art gibt es keine fertige Formelantwort. Der Anglist hat sich in erster Linie mit der lebenden Fremdsprache zu beschäftigen und sollte während seines Studiums zu einem historischen Verständnis der ge- sprochenen Sprache gelangen. Das bedeutet aber keineswegs, d a ß er prak- tisch während des ganzen Studiums sein Hauptaugenmerk auf die frühen Sprachstufen richten sollte.

Abgesehen von wenigen Ausnahmen ist die historische Auffassung des Faches heute selten. Es wird keinem Studenten mehr zugemutet, zwei Se- mester lang über den ersten vier Versen des Beowulf zu brüten; überall an deutschen Universitäten findet sich ein ausgewogenes Verhältnis zwi- schen den Studien in der sogenannten "älteren Abteilung" und denen auf dem Gebiet der neueren Sprache und Literatur. Aber damit ist die Frage nach der Sinnhaltigkeit des Studiums des Angelsächsischen noch nicht be- antwortet. Welchen Sinn hat es, wenn wir uns mit den kulturellen Ä u ß e - rungen der Angelsachsen beschäftigen, welchen Nutzen hat es für das Fach Englische Philologie?

Englische Philologie bedeutet mehr als Kenntnis der englischen Sprache, sie bedeutet die wissenschaftliche Erkenntnis des geistigen und künstleri- schen Ausdrucks der englischen Kulturgemeinschaft mittels der Erforschung und Interpretation der sprachlichen und literarischen Dokumente. Der

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Philologe ist (deutsch) der Liebhaber des Wortes. E r sammelt, erforscht u n d interpretiert das englische Wortgut, so wie es ihm in der gesprochenen Sprache und der Literatur begegnet. D e r sich mit der englischen Sprache beschäftigende T e i l des Studiums, die Linguistik, m u ß d e s h a l b auch historisch ausgerichtet sein, weil alles historisch Gewachsene nur historisch verstanden werden kann.

Welche Verbindungslinien gibt es nun zur angelsächsischen Zeit, inwiefern ist das moderne England, die heutige englische K u l t u r , m i t der angelsäch- sischen Periode verbunden? G i b t es ü b e r h a u p t ü b e r g r e i f e n d e Kriterien, oder bedeutete die normannische Eroberung 1066 einen vollkommenen Neubeginn, wurde alles Vorausgehende ausgelöscht? Es gibt eine ganze Reihe von solchen Verbindungen, i n E n g l a n d wesentlich mehr als i n ir- gendeinem anderen europäischen L a n d , wie schon das Traditions- und Geschichtsbewußtsein des E n g l ä n d e r s vermuten l ä ß t . Einige wichtigere Kriterien liefert H . M . C h a d w i c k i n The Study of Anglo-Saxon.1

Abweichend v o n C h a d w i c k ist zunächst festzustellen, d a ß auch die angel- sächsische Literatur i n einer festen literarischen Ü b e r l i e f e r u n g steht und d a ß es eine ganze Reihe von Traditionslinien gibt, die das Angelsächsische mit dem Kontinent verbinden. Das ist an sich kein r e v o l u t i o n ä r e r Gedanke, denn schließlich waren Angeln und Sachsen i m Nordseeraum zu Hause und werden deshalb auch das I d i o m dieses Raumes, vielleicht auch eine A r t Dichtersprache, mit nach E n g l a n d genommen haben. D i e mündliche Überlieferung bedingte eine formelhafte D i k t i o n , die Gemeingut der D i c h - ter und Sänger w a r und beim episch-improvisierenden V o r t r a g verwendet wurde.

D a über die Dichtung der buchlosen Zeit so gut wie nichts bekannt ist, lassen sich auch keine n ä h e r e n Angaben ü b e r die D i k t i o n dieser A r t von Dichtung machen. A b e r durch den Vergleich mit anderen Sprachen und Literaturen k ö n n e n bestimmte K r i t e r i e n u n d Ergebnisse der mündlich tradierten Literatur erschlossen werden. E i n N a c h k l a n g der wahrscheinlich über die Jahrhunderte hinweg bewahrten Formeln findet sich noch in der altfriesischen, althochdeutschen und altenglischen Literatur, wo es hun- derte von Formeln gibt, die wahrscheinlich auf einen gemeinsamen west- germanischen Bestand zurückgehen. A u f die literarische T r a d i t i o n und die Formen der Literatur w i r d noch genauer einzugehen sein.

D i e normannische Eroberung v e r ä n d e r t e das L a n d keineswegs völlig. Es blieben vielmehr die meisten Ordnungssysteme bestehen. D i e V e r w a l t u n g

,(Cambridge,21955), S. 18 ff.

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u n d die Gerichtsbarkeit waren nicht so einschneidenden V e r ä n d e r u n g e n unterworfen, wie meist angenommen w i r d . Das Leben des einfachen V o l - kes v e r ä n d e r t e sich so gut w i e ü b e r h a u p t nicht, wenn auch der A d e l u n d die höheren Schichten drastisch umformiert wurden. D i e K o n t i n u i t ä t ist also größer, als der H i s t o r i k e r anzunehmen geneigt ist, für den m i t 1066 die eigentliche englische Geschichte erst a n f ä n g t .

So geht z. B . die politische K a r t e Englands, wie sie noch heute besteht, auf die Angelsachsen zurück. A n neuen Grafschaften ist südlich des H u m b e r nur Monmouthshire hinzugekommen. D i e anderen Verwaltungseinheiten sind fast u n v e r ä n d e r t erhalten geblieben. N a h e z u alle Pfarrgemeinden a u ß e r h a l b der industriellen Bezirke haben noch die Grenzen v o n v o r 1000 Jahren; die Kirchen stehen noch an derselben Stelle wie z u angelsäch- sischer Zeit, u n d oft sind Teile des G e b ä u d e s , meist der T u r m , aus angel- sächsischer Zeit erhalten. D i e Mittelschiffe sind häufig i m ursprünglichen Zustand oder nur leicht baulich v e r ä n d e r t . A u c h sind eine ganze Reihe v o n angelsächsischen Kirchen erhalten, z . B . die v o n Breamore (Hants.), Brigstock (Northants.), Escombe ( C o u n t y D u r h a m ) , Greenstead (Essex), J a r r o w (County Durham) oder Wareham (Dorset). Z u erkennen sind die- se sächsischen Kirchen an einer besonderen Technik des Mauerwerks, v o r allem an Ecken, w o die g r o ß e n Natursteine abwechselnd liegend u n d ste- hend verwendet wurden, in E n g l a n d " l o n g and short w o r k " genannt. Z u m Bauen wurden teilweise römische Quader verwendet; so ist i n Escombe noch auf manchen Steinen das Zeichen der römischen Legion z u erkennen.

G r o ß e Beständigkeit ist auf dem Gebiete der Landwirtschaft, insbesondere des Ackerbaus z u finden. D i e L a n d m a ß e , z . B . acre (4046,8 m2) , rood (1011,7m2), furlong (201 m), chain (20,11 m), rod (5,028m) werden heute genauso benutzt w i e i n angelsächsischer Zeit. Dasselbe gilt für die engli- schen Gewichte {stone 6,35 k g , ounce 28,35 g) sowie für das englische Geld. Das V e r h ä l t n i s des Pfundes zum Penny ist seit angelsächsischer Z e i t u n v e r ä n d e r t geblieben. D e r E i n f ü h r u n g des Dezimalsystems sehen die mei- sten E n g l ä n d e r m i t Beunruhigung entgegen.

Angelsächsisch ist auch heute noch der weitaus g r ö ß t e T e i l der S t r a ß e n des Landes. N u r die ältesten u n d die jüngsten sind auszunehmen: D i e moder- nen Autobahnen und die v o n den R ö m e r n gebauten S t r a ß e n . Beiden sind gewisse technische M e r k m a l e gemeinsam; sie sind v o r allem relativ gerade, teilweise sogar w i e mit dem L i n e a l gezogen. D i e angelsächsischen S t r a ß e n dagegen lieben die W i n d u n g , die Spitzkehre u n d die Schlangenlinie, u n d die sind bis heute M e r k m a l e der englischen L a n d s t r a ß e . Immer wenn w i r

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auf einer englischen S t r a ß e den Eindruck haben, sie müsse schon dem P o - stillion und seiner coach and four Schwierigkeiten bereitet haben - ganz z u schweigen v o m modernen A u t o m o b i l - , befinden w i r uns mit S i - cherheit auf einer S t r a ß e mit angelsächsischem Unterbau. Viele davon sind heute natürlich nur noch als Feldwege erhalten, andere nur noch auf Luft- aufnahmen oder v o m Flugzeug aus zu erkennen. Zahreiche weitere K r i - terien des Kontinuums v o m Angelsächsischen zur heutigen Zeit k ö n n t e n herangezogen werden. Sie alle beweisen, d a ß die angelsächsische Zeit der Wurzelgrund der englischen Kultur ist.

Es m u ß daher verwundern, d a ß diese Periode von den H i s t o r i k e r n meist Kecht k u r z abgetan w i r d . D e n drei Jahrhunderten, die der normannischen Eroberung folgen, w i r d oft mehr R a u m zugestanden als den sechs Jahr- hunderten angelsächsischer Herrschaft. C h a d w i c k zeigt sich ein wenig i r r i - tiert d a r ü b e r , d a ß die Fremdherrschaft der N o r m a n n e n , die die Herrschaft u n r e c h t m ä ß i g usurpierten, ausführlicher dargestellt w i r d als die Regierung der Angelsachsen.2 N u n kann man sich bestimmt d a r ü b e r streiten, ob die Herrschaft der N o r m a n n e n "an age of national h u m i l i a t i o n " (so C h a d - wick) war, oder ob auch der Beitrag der ehemaligen N o r d m a n n e n als k o n - stitutiv für die englische K u l t u r anzusehen ist. Tatsache bleibt, d a ß die H e r r e n des Landes 600 Jahre lang Germanen waren, und d a ß sie von der N o r d s e e k ü s t e kamen. Viele E n g l ä n d e r lassen sich an diese Herkunft und die nahe Verwandtschaft z u den deutschen Vettern nicht gerne erinnern.

D i e s t ä r k e r e Affinität z u r normannischen, d. h. französischen Vorgeschich- te des Landes mag durch aristokratische P r ä f e r e n z e n z u e r k l ä r e n sein oder k a n n bildungspolitische, modische und irrationale G r ü n d e haben. Sie w a - ren aber so durchschlagend, d a ß die konservative englische Geschichts- schreibung auch heute noch die normannische Zeit bevorzugt und die an- gelsächsische Periode zur grauen germanischen Vorgeschichte rechnet.

Das geht auf die Verhältnisse i m hohen Mittelalter zurück. Damals schrieb jeder, der etwas auf sich hielt, i n französischer Sprache; denn das A n g e l - sächsische galt als Sprache der besiegten B e v ö l k e r u n g und wurde aufgrund der schnellen dialektalen Zersplitterung bald kaum noch verstanden und gelesen. A l s das Englische wieder in seine alten Rechte eingesetzt wurde, w a r das Angelsächsische archaisch und als Schrift- und Literatursprache un- brauchbar. D i e alten C h r o n i k e n wurden nicht mehr beachtet. Geschichte schrieb und tradierte man weiterhin französisch und lateinisch, und selbst wenn die englische Sprache benutzt wurde, gab es keine direkten V e r b i n -

2Chadwick, The Study of Anglo-Saxon, S. 22.

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d ü n g e n mehr zur Zeit v o r 1066. Das Angelsächsische ist erst w ä h r e n d des 18. Jahrhunderts wieder zugänglich geworden.3

D i e geläufigste Unterteilung der altenglischen Epoche ist die in die soge- nannte Heptarchie (die sieben Königreiche der Angelsachsen) und das ver- einigte englische Königreich. D i e ersten U r k u n d e n ü b e r englische G e - schichte berichten v o n der Ankunft Augustins i m Jahre 597.4 A l l e E r e i g - nisse v o r dieser Zeit sind q u e l l e n m ä ß i g d ü r f t i g oder gar nicht belegt; z. T . sind sie nur aus sehr viel s p ä t e r e n Chroniken, die Dichtung und Wahrheit mischen, z u erschließen. V o n 597 an gibt es jedoch fortlaufende historische Darstellungen mit zureichender Verläßlichkeit.

W ä h r e n d der Heptarchie (597 bis 731), ü ber die Bedas Historia Ecclesia- stica Gentis Anglorum berichtet, entstand die politische K a r t e Englands.

D i e südlichen Grafschaften formierten sich i m 7. Jahrhundert. K e n t und Sussex waren z u dieser Zeit noch selbständige Königreiche, v o n denen es zu Beginn angelsächsischer Zeit mehrere gegeben haben m u ß . Ihre genaue A n z a h l ist unbekannt; selbst die urkundlich verzeichneten Reiche lassen sich, wie z . B . H w i c c e und D o m n o n i a (wahrscheinlich i m S ü d e n des L a n - des), k a u m lokalisieren5; über Ausdehnung und Geschichte ist fast nichts bekannt.

England w a r w ä h r e n d der Heptarchie ein reiches K u l t u r l a n d . Es unterhielt rege Handelsbeziehungen z u m Festland und zu Skandinavien, u n d seine Gelehrten waren die bedeutendsten Europas. N o c h z u r Zeit der k a r o l i n g i - schen Renaissance kamen b e r ü h m t e M ä n n e r , etwa A l c u i n , v o n der b r i t i - schen Insel. U m 850 aber v e r w ü s t e t e n die Wikinger, skandinavische P i - raten, das L a n d , u n d um 866 wurde der gesamte nordöstliche T e i l der I n - sel w ä h r e n d der G r o ß e n Invasion i n Schutt und Asche gelegt. A l f r e d der G r o ß e , der auch durch seine altenglische Prosa bekannt ist, baute das L a n d wieder auf; seit ca. 885 wurde er als K ö n i g aller Angelsachsen anerkannt.

E r vereinigte die noch nicht v o n den N o r d l e u t e n eroberten Gebiete z u einem K ö n i g r e i c h ; sein Sohn und seine E n k e l setzten das W e r k fort. N o c h 955 w a r E a d r e d K ö n i g über ganz E n g l a n d und S ü d s c h o t t l a n d . I m 10.

Jahrhundert regierten wieder schwache und unentschlossene K ö n i g e , die

3V g l . zur Sprachentwicklung Albert C . Baugh, A History of the English Language (London, 21965).

4V g l . edd. A . W. Haddan/W. Stubbs, Councils and Ecclesiastical Documents Re- lating to Great Britain and Ireland (Oxford, 1871), III, 5 ff.

5V g l . z. B. die interessanten Untersuchungen von A . H . Smith, "The 'Hwicce'", Franciplegius: Medieval and Linguistic Studies in Honor of F. P. Magoun, ed.

J. B. Bessinger, Jr. and R. P. Creed (London, 1965), S. 56-65.

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den fremden Invasoren den Weg bereiteten. M i t der normannischen Erobe- rung v o n 1066 h ö r t der hier zu behandelnde Zeitraum auf.

D i e Epoche reicht also v o n der Einwanderung der Germanen bis z u m Z u - sammenbruch der angelsächsischen Schreibschulen i m 11. Jahrhundert. D i e Schlacht v o n Hastings ist nicht eigentlich eine Z ä s u r ; aber sie leitete eine neue kulturelle Periode ein, w ä h r e n d der i m 12. Jahrhundert die angel- sächsische K u l t u r ausgelöscht und Sprache und Schulwesen i m K e r n ver- ä n d e r t wurden.

Die a n g e l s ä c h s i s c h e K u l t u r Die Kunst

Literatur steht niemals frei und bindungslos i m leeren R a u m , sondern ist immer i m G e s a m t g e f ü g e einer K u l t u r verankert, mit deren verschiedenen Bereichen sie i n vielfacher Wechselbeziehung verbunden ist. Gerade eine so weit z u r ü c k l i e g e n d e Literatur wie die der Angelsachsen l ä ß t sich des- halb nur dann richtig verstehen, wenn man sie unter den Voraussetzungen der Gesamtkultur sieht.

D i e K u n s t der Angelsachsen6 ist allerdings lange Zeit hindurch geringge- schätzt worden. M a n nahm ernsthaft an, die Inselbewohner seien u n z i v i l i - sierte und barbarische Germanen gewesen, die w o h l k ä m p f e n und t ö t e n konnten, aber kein engeres V e r h ä l t n i s zur K u n s t hatten.

Dagegen spricht die Tatsache, d a ß schon zu Bedas Zeiten die nordhumbri- schen K ö n i g e Offa v o n M e r z i e n , Athelstan und Edgar g r o ß e K u n s t m ä z e - ne waren; auch K ö n i g A l f r e d , so berichtet sein Biograph Asser, gab ein Sechstel seiner E i n k ü n f t e für H a n d w e r k e r und K ü n s t l e r aus.7 G e w i ß sind die handschriftlich überlieferten Berichte zeitgenössischer H i s t o r i k e r knapp u n d d ü r f t i g . A u s einigen dieser Quellen l ä ß t sich aber erschließen, wann u n d w o bestimmte K u n s t g e g e n s t ä n d e hergestellt wurden. Allerdings ist ein g r o ß e r T e i l i m Laufe der Jahrhunderte verloren gegangen.

N a t u r g e m ä ß haben sich M e t a l l - und Elfenbeinarbeiten, bei deren Anfer- tigung die Angelsachsen besonders geschickt waren, gut und in g r o ß e r A n - z a h l erhalten. I n diesem Zusammenhang sei nur auf die elfenbeinernen Kästchen hingewiesen, die unter den N a m e n Franks Casket, M o r t a n Cas- ket und Brunswick Casket bekannt sind. W i l h e l m der Eroberer p l ü n d e r t e ,

6V g l . D . Talbot Rice, English Art, 871-1100 (Oxford, 1952).

7V g l . Asser's Life of King Alfred, ed. W. H . Stevenson (Oxford, 1904), S. 87.

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wie sein K a p l a n W i l h e l m v o n Poitiers berichtet, u n z ä h l i g e Kirchen i n E n g l a n d , sammelte v o r allem goldene K u l t g e g e n s t ä n d e und ließ sie ein- schmelzen oder schenkte sie K i r c h e n i n Frankreich. D e m Papst ließ er be- trächtliche Mengen v o n Silber u n d G o l d zukommen, vielen Kirchen ver- machte er goldene Kreuze, wahrscheinlich sämtlich angelsächsischer H e r - kunft. A l l diese Schätze sind verlorengegangen. Das wenige Erhaltene aber beweist den hohen Stand der angelsächsischen Goldschmiedekunst w ä h r e n d des 9. und 10. Jahrhunderts.

A u c h i n der K u n s t der Seidenstickerei w a r E n g l a n d allen anderen e u r o p ä i - schen V ö l k e r n überlegen. W e n n in Berichten ü b e r f r ü h e englische K u n s t das opus Anglicanum gepriesen w i r d , dann ist damit besonders feine N a - delarbeit gemeint, v o n der n a t u r g e m ä ß kaum etwas erhalten ist. Z w e i Stücke k ü n d e n allerdings v o n der hohen Meisterschaft u n d Kunstfertigkeit dieses H a n d w e r k s , und sie bestätigen die Berichte der Historiographen: es sind Stola u n d M a n i p e l aus dem Grabe des h l . Cuthbert in D u r h a m (910) und der Teppich von Bayeux (1080).

In der M a l e r e i ist es ä h n l i c h : W a n d g e m ä l d e oder Tableaus sind nicht er- halten; w o h l aber gibt es eine g r o ß e A n z a h l hervorragender M a n u s k r i p t i l - lustrationen, etwa der Lindisfarne Gospels (8. Jahrhundert), die auf den hohen Stand der M a l k u n s t hinweisen. A b e r auch hier ist vieles durch die P i r a t e n z ü g e der W i k i n g e r u n d s p ä t e r durch Heinrichs V I I I . A u f l ö s u n g der K l ö s t e r verlorengegangen8.

Für die Baukunst u n d die Bildhauerei wurden je nach Landschaft verschie- dene Materialien verwendet. D e r H a l t b a r k e i t des Materials entspricht die Z a h l der erhaltenen Stücke. So gibt es z . B . angelsächsische Kirchen fast nur noch i n K a l k s t e i n g ü r t e l n , i n Gebieten, w o Natursteine als Baumaterial zur V e r f ü g u n g standen. Sicherlich waren die bewaldeten Gebiete Englands dichter besiedelt, u n d es m u ß dort ebensoviele Kirchen u n d Skulpturen ge- geben haben wie anderswo. A l l e r d i n g s wurde dort ein anderes, eher dem V e r f a l l unterworfenes M a t e r i a l verwendet: H o l z - u n d Flechtwerk {wattle). A u c h Skulpturen sind nur aus bestimmten Gebieten erhalten. O f - fensichtlich liegt das am verwendeten M a t e r i a l ; H o l z s k u l p t u r e n sind nicht erhalten, Steinarbeiten jedoch i n g r o ß e r Z a h l . A u f g r u n d neuerer F o r - schungsergebnisse ist behauptet worden, d a ß die Angelsachsen i n der Stein- metzkunst allen anderen europäischen S t ä m m e n hoch ü b e r l e g e n waren.

Nach der stark patriotisch eingestellten englischen Kunstwissenschaft w a r die angelsächsische K u n s t i n nahezu allen Bereichen u n d D i s z i p l i n e n "on

6V g l . R. M . Wilson, The Lost Literature of Medieval England (London, 1952).

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top of the w o r l d " . Talbot Rice sagt z . B . : " N o w h e r e i n Europe, even i n B y z a n t i u m itself, was there a more advanced conception of manuscript illustration and decoration than i n B r i t a i n . Nowhere, even i n Persia, were finer textiles embroidered; nowhere was finer sculpture i n stone executed — witness for example such a w o r k as the Romsey R o o d ; nowhere were finer ivories carved . . . and the A l f r e d jewel . . . is a w o r k of a quality equalled nowhere else in the West of Europe at the time."9

Diese Auffassung ist sicherlich ü b e r t r i e b e n . Sie kann u. a. auch psycholo- gisch e r k l ä r t werden. W ä h r e n d des 19. Jahrhunderts galt das angelsächsi- sche E n g l a n d als ungebildet, p r i m i t i v u n d barbarisch. D i e Angelsachsen waren bei der Aufwertung des Wortes gothic vergessen worden. K a r o l i n g i - sche Manuskripte wurden nur wegen ihrer Schrift studiert, der romanische Baustil nur als Vorspiel des gotischen angesehen und K u n s t g e g e n s t ä n d e als archaisch, ungeformt und ästhetisch unbefriedigend bezeichnet. M a n traute den Angelsachsen nicht sehr viel z u ; wenn irgendwo in E n g l a n d ein Schmuckstück oder ein Elfenbeinkamm gefunden wurde, so e r k l ä r t e man das Objekt einstimmig als festland-germanischer, romanischer oder b y z a n - tinischer Herkunft. Diese Auffassung ist, wie sich herausgestellt hat, jedoch einseitig und falsch. Inzwischen schlägt das Pendel zur entgegengesetzten Seite aus. Was einst als archaisch, unbedeutend oder gar barbarisch ange- sehen wurde, bezeichnet man heute als archetypisch, exemplarisch rich- tungweisend und formbestimmend für s p ä t e r e Entwicklungstendenzen, auch auf dem Kontinent. Gerechterweise m u ß man aber w o h l hinzufügen, d a ß diese etwas ü b e r t r i e b e n e U m w e r t u n g T e i l eines g r o ß e n europäischen Prozesses ist, bei dem die karolingische u n d ottonische K u n s t wie auch die byzantinische Malerei nach neuen K r i t e r i e n beurteilt und bewertet werden.

Archäologie und Literatur

I n welch hohem M a ß e die Archäologie literarische Probleme erhellen kann, haben zahlreiche Beispiele gezeigt. So fand man im Jahre 1939 i n einem g r o ß e n G r a b h ü g e l am Flusse Deben i n Suffolk Reste einer angelsächsischen Schiffsbestattung: ein in die Erde eingegrabenes Schiff, das offenbar als leeres G r a b m a l (Zenotaph) diente. Reste eines menschlichen K ö r p e r s fehl- ten, das H o l z des Schiffes w a r weitgehend vermodert. A b e r nahezu sämt- liche Grabbeigaben, die sich heute i m Britischen Museum befinden, sind erhalten. D i e H i s t o r i k e r haben sich noch nicht ü b e r die Bedeutung und

9Talbot Rice, English Art, S. 6.

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F u n k t i o n aller G e g e n s t ä n d e einigen k ö n n e n ; noch ist z. B . die Diskussion ü b e r den sogenannten Wetzstein - v o n anderen Forschern als steinernes Szepter gedeutet - nicht abgeschlossen: der Stein läuft an beiden Enden i n vier Gesichter aus, die i n die vier Richtungen der Windrose blicken; um das Gesicht läuft jeweils ein R i n g mit M e d a i l l o n , allgemein als Symbol der G ö t t l i c h k e i t angesehen. Bisher wurde der Wetzstein mit O d i n , neuerdings aber auch mit T h o r i n V e r b i n d u n g gebracht.1 0

Das zeigt, d a ß die kultischen G e g e n s t ä n d e germanisch-heidnischer H e r - kunft sind. V o n noch g r ö ß e r e m Interesse sind Schwert, Schild und H e l m , Kampfstandarte, Goldharnisch, T r i n k h o r n , G e l d b ö r s e und fränkische G o l d m ü n z e n aus der Z e i t zwischen 650 u n d 700. A u ß e r d e m fand man noch eine R e i h e anderer Schmuckgegenstände aus B y z a n z , darunter z w e i S i l - berlöfTel, auf denen die N a m e n Saulos und Paulos eingraviert sind. E i n e r - seits verweisen die Grabbeigaben eindeutig auf die germanisch-heidnische M y t h o l o g i e , andererseits finden sich in demselben G r a b Zeugnisse für die bereits vollzogene Christianisierung. A u f dieses Nebeneinander v o n H e i - dentum und Christentum, das sich auch i m Beowulf zeigt, w i r d noch ver- schiedentlich z u r ü c k z u k o m m e n sein.

D a k e i n Leichnam gefunden wurde, hielt man das Schiff für das E r i n n e - rungsmal eines F ü r s t e n , der an anderer Stelle begraben wurde oder dessen K ö r p e r mit dem Schiff i n den Fluten versank. M i t f o r d meint, d a ß durch den Zenotaph K ö n i g jEthelhere geehrt wurde, der 655 in Y o r k s h i r e starb u n d dessen K ö r p e r am Strand v o n den Fluten weggespült und ins Meer hinausgetragen w u r d e .1 1 iEthelhere war aber ein durchaus u n r ü h m l i c h e r Herrscher, der ü b e r d i e s auch nur ein Jahr regierte. Es ist daher unwahr- scheinlich, d a ß man i h n mit einem so aufwendigen G r a b m a l ehrte. W a h r - scheinlich ist, d a ß es sich um ein i n der heidnischen T r a d i t i o n errichtetes G r a b m a l für einen christlichen Herrscher handelt. Beispiele dafür gibt es in E n g l a n d i n g r o ß e r Z a h l . Bei der E r k l ä r u n g solcher P h ä n o m e n e m u ß man immer wieder d a v o n ausgehen, d a ß die Missionierung i n E n g l a n d an-

1 0Allgemein zu Sutton H o o : Vgl. The Sutton Hoo Ship-Burial: A Provisional Guide, published by the British Museum (London, 1947; 21951). R. W. Chambers and C . L . Wrenn, Beowulf: An Introduction (Cambridge, 31959). R. H . Hodgkin, A History of the Anglo-Saxons (London, 31953), Appendix von R. Bruce-Mitford.

Bibliographien von F. P. Magoun, in Speculum^ 29 (1954), 116-224, J. B. Bessin- gen Speculum, 33 (1958), 515-522. Sidney L . Cohen, "The Sutton H o o Whet- stone", Speculum, 41 (1966), 466-471, über das Verhältnis der Fundstücke zur germanischen Mythologie.

" V g l . in Hodgkin, History of the Anglo-Saxons, S. 715 ff. undChambers/Wrenn, Beowulf, S. 511-14.

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ders v o r sich ging als auf dem K o n t i n e n t . Offenbar spielte i n Britannien das H e i d e n t u m auch nach der Bekehrung z u m Christentum noch eine ge- wisse R o l l e ; der heidnische K u l t wurde nicht abrupt aufgegeben und durch christlichen K u l t ersetzt. Wahrscheinlich hinderte die K i r c h e K o n v e r t i t e n nicht daran, ihre Toten nach dem alten Ritus, etwa mit p r ä c h t i g e n G r a b - beigaben nach A r t v o n Sutton H o o , z u bestatten.

N a c h dem F u n d des Zenotaphs lassen sich einige Stellen i m Beowulf, die z u v o r als poetische Erfindung oder als m a ß l o s e Ü b e r t r e i b u n g angesehen wurden, besser verstehen. Gleich z u Beginn des Beowulf-Epos w i r d be- schrieben, wie der tote dänische K ö n i g S c y l d i m Schiff aufs Meer hinaus gefahren w i r d :

Hirn Öa Scyld gewat to gescaephwile felahror feran on frean wasre.

H i hyne |)a aetbasron to brimes faroÖe, swxse gesif>as, swa he selfa basd, penden wordum weold wine Scyldinga;

leof landfruma lange ahte.

J>aer ast h y ö e stod hringedstefna, isig ond utfus, aepelinges fasr.

Aledon f>a leofne f>eoden, beaga bryttan, on bearm scipes, masrne be mauste. J>aer wass madma fela of feorwegum, frsetwa, gelasded;

ne hyrde ic cymlicor ceol gegyrwan hildewaspnum ond heaöowaedum, billum ond byrnum; him on bearme lasg madma maenigo, J>a him mid scoldon on flodes aeht feor gewitan.

Nalass hi hine kessan lacum teodan, peodgestreonum, f>on pa dydon f>e hine set frumsceafte forö onsendon asnne ofer yÖe umborwesende.

f>a gyt hie him asetton segen ge[l]denne heah ofer heafod, leton holm bera«, geafon on garsecg; him wxs geomor sefa, murnende mod. Men ne cunnon

secgan to soöe, selerasdende,

haeleÖ under heofenum, hwa J>aem hlaeste onfeng.

(In des Herren H u t hingehn dann mußte Skyld, der schnelle, zur Schicksals- stunde. Den Gebieter brachten zu der Brandung Lauf, zur See, die Gesellen, wie er selbst befahl, da der Worte noch waltete des Wehrvolks Freund, der

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liebe Landeswart, den Leuten gebot. Auf der Reede lag mit beringtem Steven, schimmernd, fahrtbereit, des Fürsten Schiff. An Bord brachten den Brecher der Ringe, den lieben Landherrn, die Leute dann, den K ö n i g zum Mast. Vie- le Kleinode waren von fernen Fluren dort funkelnd gehäuft. Nie hörte ich

köstlicher einen Kiel beladen mit Kriegswaffen und Kampfgewanden, Schil- den und Schwertern. In seinem Schoß lagen die kostbaren Kleinode, die mit dem K ö n i g sollten fernhin fahren in der Fluten Reich. Nicht rüsteten sie ge- ringer mit Reichtum ihn aus, mit jeglichem Gut, als jene taten, die einst ein- sam ihn ausgesandt weit über die Wogen als winziges Kind. Dann gaben sie ihm ein goldenes Banner hoch zu H ä u p t e n , ließen hin ihn treiben, sandten ihn seewärts. Der Sinn war trüb, bekümmert den Kriegern. Keiner vermag von den Saalbesitzern zu sagen fürwahr, kein Held unterm Himmel, wer den Hort empfing.)12

"Paer wass madma fela of feorwegum, frastwa, gelseded" - da w a r eine g r o ß e Menge v o n Schätzen und Schmuck, aus weit abgelegenen L ä n d e r n hergebracht. " P a gyt hie h i m asetton segen ge[l]denne heah of er heafod"

- da richteten sie ferner hoch ü b e r seinem H a u p t die goldene Standarte auf.

Beschreibungen u n d Feststellungen dieser A r t kommen häufig i m Beowulf vor. Sie sind bis 1939 als poetische V e r b r ä m u n g e n bezeichnet worden, die m i t der historischen W i r k l i c h k e i t des Dichters v o n Beowulf und erst recht mit der noch v i e l früheren dargestellten W i r k l i c h k e i t des Werkes, dessen Ereignisse, sofern sie historisch sind, i m 6. Jahrhundert z u datieren w ä r e n , ü b e r h a u p t nichts z u tun haben. N u n aber fand man i n Sutton H o o ein Schiffsgrab mit Beigaben, deren künstlerische V o l l e n d u n g den Beschreibun- gen des Dichters entsprach und stieß auf die deutliche Parallele zum Schiffsbegräbnis Scylds i m Beowulf, das bis dahin als frei erfunden galt.

G r o ß e Teile der angelsächsischen K u l t u r erschienen durch Sutton H o o i n einem anderen Licht. D i e angelsächsische H a r f e z. B . w a r offenbar zum V o r t r a g von Epen w i e dem Beowulf benutzt worden. Durch ihre R e k o n - struktion erhielt eine Zeit Stimme und K l a n g , die als verstummt galt. Z u - sammen mit anderen D e n k m ä l e r n der germanischen V o r z e i t1 3 erscheint die im übrigen dunkle Zeit des 7. Jahrhunderts i n neuem Licht.

D e r H e l m v o n Sutton H o o , der eher w i e eine Totenmaske aussieht, ent- spricht besonders gut dem i m Beowulf beschriebenen, obwohl i h m der Eber- Helmschmuck fehlt, v o n dem i m Beowulf die Rede ist: " Ü b e r ihren H e l -

1 2Beowulf zitiert nach George P. Krapp/Elliott V . K . Dobbie, The Anglo-Saxon Poetic Records (New York, 1931-53), Vol. I V : Beowulf and Judith, V . 26-52, die deutsche Ü b e r s e t z u n g nach Felix Genzmer, Beowulf und das Finnsburg-Bruch- stück (Stuttgart, 1953). 1 3V g l . Herbert Jankuhn, Denkmäler der Vorzeit zwi- schen Nord- und Ostsee (Schleswig, 1957).

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men glitzerten die Ebercrests aus g l ä n z e n d e m G o l d u n d hielten Wacht"

( V . 1030-1). Allerdings finden sich am S u t t o n - H o o - H e l m vergoldete Eber-Nachbildungen am Ende der Augenbrauen. P r e ß f o r m e n zur H e r - stellung von Schmuckblechen, die i n Torslunda auf Ö l a n d gefunden wur- den, zeigen, d a ß es solche H e l m e tatsächlich gegeben h a t .1 4 Es sind da zwei Krieger mit H e l m e n zu sehen, auf denen sich z w e i Eber mit R i n g e l s c h w ä n z - chen befinden. D i e Bronzeplatten der A u ß e n h a u t waren ursprünglich ver- zinnt, müssen also geglitzert haben, so wie diejenigen, v o n denen der Beowulf-Dichter spricht.

Weiterhin h e i ß t es i m Beowulf: " A u f der Spitze des Helmes w a r ein vor- springender R a n d , gebunden aus D r ä h t e n . E r schützte den K o p f so, d a ß kein Schwert, gleichgültig wie scharf und stark, den T r ä g e r des Helmes ver- letzen konnte, wenn er mit seinen Feinden i m K a m p f stand" ( V . 1448-54).

Diesen Wulst finden w i r i n der T a t auf dem S u t t o n - H o o - H e l m , und z w a r in F o r m einer Schlange, deren K o p f u n d Auge sich zwischen den Augen- brauen befinden. Ähnliche H e l m e sind i n Schweden gefunden worden, ein besonders schönes Stück i n V a l s g ä r d e , P r o v i n z U p p l a n d , aus dem 7. Jahr- hundert.1 5 D a m i t erweist sich die enge kulturelle V e r b i n d u n g mit Schwe- den.

T r o t z ihrer zahlreichen Geister, Gnome und Trolle, Drachen und anderer U n h o l d e hat die Dichtung der Angelsachsen ein beträchtliches fundamen- tum in re. Was für die Realien zutrifft, gilt mutatis mutandis wahrschein- lich auch für die sittlich-moralischen Werte, die i m M i t t e l p u n k t der alteng- lischen Dichtung stehen.

Rechtswesen im angelsächsischen England

Auch die Kenntnis v o n Recht und Gerichtsbarkeit ist für das V e r s t ä n d - nis der angelsächsischen Literatur v o n g r o ß e r Bedeutung.1 6 D i e in altengli- scher Sprache überlieferten Gesetze geben oft Aufschluß ü b e r Probleme, die dichterische Texte auf werfen.

So erhebt sich immer wieder die Frage, auf welche A r t und Weise Recht ge- sprochen und Gerechtigkeit hergestellt wurde oder welchen sozialen und

1 4V g l . ebd., Abb. 87 und Wilhelm Holmqvist, Germanic Art during the First Millenium (Stockholm, 1955), Tafel 33.

1 5V g l . Jankuhn, Denkmäler, Abb. N r . 88, Tafel 81.

1 8V g l . Edward Jenks, A Short History of English Law (London, 1949). Dorothy Whitelock, The Beginnings of English Society, The Pelican History of England, Bd. 2 (Harmondsworth, 1956).

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rechtlichen Status eine bestimmte Person hatte. D i e ältesten Gesetze1 7 der Angelsachsen, i n denen gewiß kontinentale Traditionen fortlebten b z w . nachwirkten, k ü n d e n v o n einer patriarchalischen Gesellschaft, die auf dem L a n d e i n abgeschlossenen Einzelsiedlungen lebte und durch vielerlei Sitten und B r ä u c h e geregelt w a r . So hatten auch die sieben Königreiche der Heptarchie je eigene Gesetze und Lebensformen, die allerdings i n vielen P u n k t e n ü b e r e i n g e s t i m m t haben d ü r f t e n . M i t dem Eindringen der W i k i n - ger trat neben die Gesetze v o n Wessex u n d Merzien das danlaw; nach der R ü c k e r o b e r u n g der v o n den Skandinaviern bewohnten Landesteile bestä- tigte K ö n i g E d g a r sogar ausdrücklich die "Dänischen Gesetze".1 8 Bedauerlich ist, d a ß die erhaltenen Gesetzessammlungen nur die A u s n a h - mefälle kodifizieren, nicht aber das allgemeine, geltende Recht, etwa F a - m i l i e n - u n d Erbrecht, das sicherlich v o n einem D o r f ä l t e s t e n z u m anderen m ü n d l i c h tradiert wurde; i n späterer Zeit wurden Gesetze auch v o n Geist- lichen ü b e r l i e f e r t : so w e i ß man vom Bischof v o n Selsey, i E t h e l r i c , d a ß er 1075-6 auf der Penenden H e i d e Fragen z u m angelsächsischen Recht beant- wortete.1 9

N u r die kontroversiellen Punkte scheinen i n die Gesetzessammlungen auf- genommen z u sein. D a f ü r haben diese angelsächsischen Gesetze den V o r - teil, d a ß sie die tatsächlichen sozialen Verhältnisse der damaligen Zeit ge- treu spiegeln. Aus einigen k ö n n e n w i r eine archaische Gesellschaft rekon- struieren, i n der Frauen und Sklaven auf derselben Stufe standen w i e R i n - der u n d Schafe.2 0

Andererseits machen gewisse angelsächsische Gesetze einen besonders fort- schrittlichen Eindruck. Viele Rechtshistoriker haben sich daher gefragt, ob diese Gesetze ü b e r h a u p t heimischer, englischer Provenienz seien. Immerhin waren die E n g l ä n d e r ja nicht die ersten E i n w o h n e r des Landes; die K e l t e n , etwa die Waliser, hatten schon v o r ihnen ein gut organisiertes Rechtssy- stem, u n d schließlich waren die R ö m e r einige Jahrhunderte H e r r e n des Landes. Es ist mehr als unwahrscheinlich, d a ß ihre Jurisprudenz ü b e r - haupt keine Spuren hinterlassen haben sollte. Schließlich k a m zusammen mit der Christianisierung das kanonische, vielleicht auch das römische Recht. Denkbar ist zumindest, d a ß das primitive germanische Stam-

1 7Edition: F. Liebermann, ed., Die Gesetze der Angelsachsen, 3 Bd. (Halle, 1903- 16) und F. L . Attenborough, ed., The Laws of the Earliest English Kings (Cam- bridge, 1922).

1 8V g l . Whitelock, Beginnings, S. 136.

1 9E b d . , S. 135.

2 0Jenks, Short History, S. 4.

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mesrecht schon bald dadurch beeinflußt u n d korrigiert wurde, wenn auch zunächst nur in einigen wenigen Punkten.

A l l diese Probleme gehen vornehmlich den Rechtshistoriker an. F ü r den Literaturwissenschaftler ist die Frage wichtig, was die Gesetze z u m V e r - ständnis der angelsächsischen K u l t u r und der Literatur speziell beitragen.

So ist es z . B . bedeutsam z u wissen, d a ß es keine Gleichheit v o r dem Gesetz gab. I m sozialen Rangsystem nehmen die Edelinge (cepelingas) bereits durch Geburt einen h ö h e r e n Stand ein als die ceorlas. Sie waren durch ein besonders hohes Wergeid geschützt, eine A r t Kopfpreis, der z u entrichten war, wenn ein Edeling i n einer Privatfehde getötet wurde. D i e Zahlung des Wergeides w a r gleichzeitig Ableistung der Strafe u n d ersetzte eine andere A r t der Bestrafung.

Ebenfalls v o n hohem Range waren die pegnas ("Degen"), eine mit dem H o f eng verbundene Klasse (pegn ist verwandt mit deutsch d i e n e n . ) Schon i n angelsächsischer Zeit erhielten die Degen des Königs L a n d z u L e - hen u n d versahen wichtige juristische Funktionen, Einsammeln v o n Steu- ern, Abhalten v o n Gerichtstagen, V e r w a l t u n g königlicher G ü t e r .

A u f niedriger sozialer Stufe stand der ceor/(ne. churl). E r w a r der typische Farmer, der i m heutigen Sinne frei war, aber dennoch gewisse Abgaben zu entrichten hatte. D e r ceorl w a r militärdienstpflichtig, besaß dafür aber auch reiche L ä n d e r e i e n , auf die er schon v o n Geburt her Anspruch hatte.

E r w a r durch hohes Wergeid geschützt, das an seine nächsten Angehörigen z u zahlen war, nicht jedoch an den adligen H e r r n oder Grundbesitzer.

U n t e r dem ceorl stand der Unfreie, manchmal auch einfach Sklave ge- nannt. E r gehörte z u m Besitztum seines H e r r n , konnte somit verkauft oder ausgeliehen werden. Teilweise wurden die Unfreien a u ß e r h a l b des eigentlichen Gutshauses i n H ü t t e n oder K a t e n untergebracht und erhiel- ten ein Stück L a n d , das sie i n ihrer Freizeit z u m eigenen N u t z e n bebauen durften. I m übrigen dienten sie auf den Feldern des H e r r n als T a g e l ö h - ner, erhielten jedoch w o h l kaum "Tagelohn". Anders als der ceorl durf- ten sie keinen Heeresdienst leisten, hatten keinen P l a t z in der Volksge- richtsversammlung (ae. mot, ne. moot), u n d für K ö r p e r v e r l e t z u n g e n und Totschlag an ihnen gab es keine E n t s c h ä d i g u n g .

D i e allgemein z u s t ä n d i g e Gerichtsinstanz scheint die Volksgerichtsver- sammlung {mot) gewesen z u sein. Z u r Zeit Alfreds (871-899) war die einzige Berufungsinstanz der K ö n i g . U n t e r K n u t (1016-35) wurde das L a n d i n Hundertschaften2 1 aufgeteilt, die i m Süden hundreds, i m d ä n i -

2 1Heute noch Chiltern Hundreds, Kronland, das denen übergeben wird, die ihren Sitz im House of Commons aufgeben.

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sehen Gebiet wapentake hießen. Jedes hundred hatte ein alle vier Wochen zusammentretendes Gericht. Uber ihm stand als Appellationsinstanz das Shire-Gericht (shire moot, etwa " G r a f Schafts gericht"). D a die Gerichte i m Freien stattfanden, suchte man sich d a f ü r häufig a l t e h r w ü r d i g e S t ä t t e n wie H ü n e n g r ä b e r , Baumgruppen oder v o n weitem sichtbare P l ä t z e aus. N o c h heute spiegeln viele Ortsnamen die T ä t i g k e i t des Rechtssprechens w i d e r .2 2 In der eigentlichen Gerichtsverhandlung erhob zunächst einmal der K l ä g e r seine A n k l a g e und verlangte v o m Beklagten, d a ß er zur V e r h a n d l u n g er- schien u n d z u r Anschuldigung Stellung nahm. Blieb er grundlos fern, m u ß - te die Verwandtschaft Sühnegeld zahlen u n d der Beklagte wurde in con- tumaciam verurteilt: er wurde z u m outlaw, W o l f s k o p f ; niemand durfte mit ihm verkehren, jeder konnte i h n ungestraft t ö t e n . Erschien er aber v o r Gericht, konnte er mit einem E i d seine Unschuld beteuern; dabei hatte die Ableugnung der Tat mehr Gewicht als die Anschuldigung. Z u r U n t e r - s t ü t z u n g konnte der Angeklagte Eideshelfer mitbringen, die sich eidlich z u seiner I n t e g r i t ä t ä u ß e r t e n . Allerdings durfte nicht jeder als Eideshelfer fungieren. V o n F a l l z u F a l l wurde festgelegt, wieviel Ruten Landes ein Eideshelfer besitzen m u ß t e , damit er schwören konnte. So w a r z . B . der E i d eines königlichen Beamten 60 H u f e n L a n d wert, der eines ceorl dage- gen nur fünf Schilling. E i n Gerichtsverfahren i m heutigen Sinne gab es also nicht. N u r wenn der Angeschuldigte auf frischer T a t ertappt wurde u n d Zeugen sein Vergehen gesehen hatten, gab es eine A r t Beweisverfahren, Be- fragung v o n Zeugen und E r m i t t l u n g des Sachverhaltes.

Eine besonders interessante Situation entstand, wenn ein Angeklagter z w a r seine Unschuld beteuerte, aber nicht die n ö t i g e A n z a h l v o n Eideshelfern aufbieten konnte. I n diesem Falle bediente man sich des Ordals, des G o t - tesurteils. Es basierte auf der Uberzeugung, d a ß G o t t i n einem Rechtsstreit unmittelbar zugunsten eines Unschuldigen eingreifen w ü r d e .

D i e normale F o r m des Ordals bei den Angelsachsen w a r das O r d a l mit heißem oder kaltem Wasser, mit g l ü h e n d e m Eisen und das O r d a l mit ge- weihtem B r o t (Corsn<ed-Orda\). Das auf dem K o n t i n e n t so verbreitete Z w e i k a m p f - O r d a l gab es in E n g l a n d zur Z e i t der Angelsachsen noch nicht; es wurde erst durch die N o r m a n n e n eingeführt.

D e m O r d a l gingen jeweils ein dreitägiges Fasten, Messe, Beichte u n d K o m -

2 2V g l . Whitelock, Beginnings, S. 138: in Babergh (Suffolk) markierte ein H ü n e n - grab den Gerichtsplatz, in Appletree (Derbyshire), Staine (Cambridgeshire) und Maidstone (Kent) wiesen Steine oder Bäume auf den Ort hin; Modbury (Dorset) bedeutet soviel wie Versammlungshügel, Spellow (Norfolk) Sprechhügel.

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munion voraus. Beim K a l t w a s s e r - O r d a l wurde der Beschuldigte gefesselt ins Wasser geworfen. Sank er unter, bewies das seine Unschuld. Beim H e i ß - wasser-Ordal m u ß t e der Betroffene aus einem Kessel mit kochendem Wasser einen Stein herausholen. Beim einfachen O r d a l lag er eine Spanne tief, beim dreifachen ellbogentief. Wenn nach drei Tagen die z u v o r banda- gierte H a n d keine eiternde Wunde zeigte, w a r der M a n n gerettet.

Beim H e i ß e n - E i s e n - O r d a l wurde w ä h r e n d der Messe in der Kirche ein Eisen auf einem kleinen Rost geglüht, das beim einfachen O r d a l ein Pfund w o g und drei F u ß weit getragen werden m u ß t e ; beim dreifachen war es drei Pfund schwer und m u ß t e neun F u ß weit geschleppt werden. Wieder- u m wurde die H a n d bandagiert und nach drei Tagen geprüft. W a r keine E n t z ü n d u n g z u erkennen, galt der Betroffene als unschuldig.

Das Corsnad-Ordal wurde v o r allem bei Geistlichen angewendet. D e r Be- schuldigte m u ß t e ein Gebet mit der abschließenden Bitte sprechen, G o t t m ö g e i h n an einem Bissen, den er verschlucken m u ß t e , ersticken lassen, wenn er die Unwahrheit gesagt habe. D e r folgende Text regelt z. B . das O r d a l bei Brandstiftung und M o r d :

We cwaedon be J>am blaserum and be J>am morÖ-slyhtum, pxt man dypte

£>one aÖ be f>ryfealdum and myclade pxt ordalysen, past hit gewege pry pund, and eode se man sylf to, J>e man tuge, and haebbe se teond cyre, swa waeterordal swa ysenordal, swa hwaeSer [swa] him leofra sy. G i f he f>one aÖ forÖbringan ne mseg, and he J>onne ful sy, stände on pasra yldesta manna dorne, hweÖer he lif age f>e nage, pe to pxre byrig hyran2 3.

(Wir haben über Brandstifter und Mörder gesagt, d a ß man den E i d um das Dreifache vermehrte und das Ordaleisen vergrößerte, so d a ß es drei Pfund wiegt, und der Mann, den man angeklagt hat, solle selbst hingehen, und der Ankläger habe die Wahl zwischen dem Wasserordal und dem Eisenordal, je nachdem was ihm lieber ist. Wenn er den E i d nicht zu vollbringen vermag und er (d. h. seine Hand) entzündet ist, dann stehe es in dem Ermessen der Ältesten der Männer, die zu der Siedlung gehören, ob er das Leben behalten oder verlieren soll.)

D e r Glaube an die Unfehlbarkeit des Gottesurteils w a r nicht ganz unange- fochten. W i e anders k ö n n e n w i r es uns e r k l ä r e n , d a ß ein M a n n , der beim Diebstahl in flagranti ertappt wurde, ohne viel Federlesens aufgeknüpft wurde, w ä h r e n d der durch das O r d a l ü b e r f ü h r t e Dieb nur dann hinge- richtet wurde, wenn er schon mehrfach wegen desselben Deliktes angeklagt worden w a r .

nThe Laws of the Earliest English Kings, ed. Attenborough, S. 170 f.

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D e r Staat hatte mit a l l diesen Vergehen wenig z u tun. A b e r schon z u r Zeit des K ö n i g s Ine w a r deutlich z u erkennen, d a ß auch der K ö n i g an der Be- strafung bestimmter Vergehen interessiert w a r . D e r seine militärischen Pflichten vernachlässigende ceorl hatte schon unter diesem Herrscher eine A r t Ersatzgeld, fyrdwite, zu bezahlen.

A b e r sehr b a l d gingen die Ansprüche des K ö n i g s weiter. Zunächst wurde - wie in allen primitiven Gemeinschaften - ein Vergehen oder ein Verbre- chen als Verletzung des Betroffenen angesehen. D a n n aber begann man z u unterscheiden zwischen Vergehen gegen einen Einzelnen und gegen die G e - meinschaft. Wer z . B . einem reichen Gutsbesitzer ein Pferd stahl, so meinte man, müsse anders bestraft werden als wer die gemeinsame Wiese verzau- berte und dadurch für das V i e h des ganzen Dorfes unbrauchbar machte. So wurden allmählich die "bootless wrongs" eingeführt, Ü b e l t a t e n , von denen man sich nicht freikaufen konnte. D i e Bestrafung w a r T o d oder E i n z i e - hung des gesamten Eigentums.

D i e Nebeneinanderstellung dieser beiden Strafen macht ein F a k t u m k l a r , das i n allen angelsächsischen Codices i n die A u g e n springt: die besonders harte Bestrafung aller Eigentumsdelikte. Diebstahl g e h ö r t z u den "boot- less c r i m e s e r w i r d bis i n das s p ä t e Mittelalter m i t dem Tode bestraft.

Dieses Zeitalter hat offenbar an G e l d u n d Besitz nicht weniger gehangen als die heutige Z e i t ; der zum Tode Verurteilte konnte sich f ü r den Preis seines eigenen Wergeides freikaufen.

Allgemeine K u l t u r der Angelsachsen

In aller angelsächsischen Dichtung begegnet uns der Mensch i n der B i n d u n g an FamiHe u n d Sippe oder, w i e i n Wulf und Eadwacer, aus diesen B i n - dungen gelöst. A b e r gerade deshalb zeigt sich in solchen und ähnlichen G e - dichten u m so deutlicher die Bedeutung der Gemeinschaft und des Gemein- schaftslebens. Deshalb ist auch die Kenntnis der angelsächsischen Gesell- schaftsform wichtig.

Die Bande der Gemeinschaft

Besonders eng ist die Bindung des germanischen Kriegers an den H e r r - scher, w o r ü b e r schon Tacitus erstaunt war. D e n H e r z o g überleben und sich vom Schlachtfeld zurückziehen, bedeutet lebenslange Schmach und Schan- de. Ihn z u verteidigen, seine Sache z u r eigenen machen, ja, sogar die eige-

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nen Leistungen u n d Siege nur i h m zuzuschreiben, ist der K e r n germani- scher K r i ^ ^ r t r e u e . U b e r a l l w i r d berichtet, d a ß der K ö n i g oder H e r z o g mit seinen M a n n e n unterging. Odoaker starb m i t seinem ganzen Heer, die Getreuen Byrhtnoths werden an der Leiche ihres A n f ü h r e r s niedergemet- zelt, die Gefolgschaft des Falkaris findet zusammen mit dem A n f ü h r e r den T o d .

A u c h bei der Annahme des Christentums ä n d e r t e sich an dieser Treue zum Ringspender nichts: m i t W i d u k i n d zusammen ließen sich seine Mannen taufen, mit O l a f traten seine A n h ä n g e r v o m O d i n s k u l t z u m Christentum über. Beowulf erinnert sich i m A l t e r m i t Genugtuung des Dienstes an K ö - nig H y g e l a c , dem er auf dem Schlachtfeld treulich z u r ü c k z a h l t e , was er in der H a l l e an Schätzen empfing. Daraus (wie auch aus zahlreichen anderen Stellen) k ö n n t e man entnehmen, d a ß die Bindung nur durch Geben und Nehmen zustande k a m , d. h. d a ß nur d e r Degen sich an seinen H e r r - scher gebunden fühlte, der genügend Geschenke bekam. A b e r das ist ein M i ß v e r s t ä n d n i s . Es geht nicht u m materiellen G e w i n n , sondern um Treue und Ehre, u n d die Goldgaben sind nur symbolischer Ausdruck dieser menschlich-persönlichen Bindung, die u . a. auch die weise Belehrung mit einbezog. I m Wanderer denkt der Verbannte v o l l e r Wehmut und Sehn- sucht an den H e r r n , der i h m m i t seinen larcwidum den richtigen Weg ge- wiesen hat u n d den er i n der Verbannung sehr v e r m i ß t . E r stellt sich daher vor, d a ß er seinen H e r r n umarme und küsse, d a ß er i h m H ä n d e und H a u p t aufs K n i e lege, so w i e er das i n glücklicheren Tagen getan, als er noch i n der N ä h e des königlichen Stuhles, der hier bezeichnenderweise giefstol ( = Gabenstuhl) genannt w i r d , weilte. D e r Verbannte beschreibt damit ein R i t u a l , durch das der Gefolgsmann seinem H e r r n Treue gelobte und das i n regelmäßigen A b s t ä n d e n wiederholt wurde. A u f dem hohen Sitz saß der Gefolgsherr, das Schwert ü b e r den Oberschenkeln. D e r Degen kniete v o r i h m nieder, u m f a ß t e K n i e u n d Griff der Waffe u n d k ü ß t e die H a n d des H e r r n . Danach erhob sich der Degen, sprach den Gefolgschafts- eid, kniete nochmals nieder u n d streckte dem H e r r n die gefalteten H ä n d e entgegen. D e r H e r r bedeckte die H ä n d e mit der eigenen H a n d , z o g den Krieger z u sich empor und k ü ß t e ihn. D a m i t w a r die Aufnahme i n die G e - folgschaft besiegelt oder erneuert.

D e r heidnische Gefolgschaftseid wurde nach der Christianisierung v e r ä n - dert, u n d der einem H e r r n Treue schwörende Degen benutzte eine christ- liche Eidesformel: E r schwor bei G o t t u n d heiligen Reliquien, die z u die- sem Zweck i n einer Kirche ausgelegt wurden. "Ich s c h w ö r e " , so gelobte der

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Degen, " d a ß ich meinem H e r r n treu sein werde, alle die liebe, die i h n lie- ben, u n d alle hasse, die ihn hassen" - dann allerdings erfolgte eine w i c h t i - ge E i n s c h r ä n k u n g : "soweit das mit den Geboten Gottes und der K i r c h e i n Ü b e r e i n s t i m m u n g z u bringen ist".

Das herrische Ethos starb aber nicht mit der Christianisierung aus. A u c h i n dem christlichen Gefolgschaftseid k ö n n e n w i r noch das Moment der star- ken p e r s ö n l i c h e n Bindung an den Herrscher erkennen. Das Christentum heiligte die B i n d u n g nur durch eine neue F o r m des Eides, bei dem G o t t als Zeuge angerufen und die Treue z u der gegenüber G o t t i n Beziehung ge- setzt wurde. Schwerwiegend w a r die Verpflichtung z u r Rache. Sie wurde v o n vielen M ä n n e r n der Kirche als selbstverständlicher Bestandteil des Ehrencodex aufgenommen, allerdings doch w o h l leichter und bedenken- loser i n E n g l a n d , und auf dem K o n t i n e n t v o r allem bei solchen K l e r i k e r n , die englisch erzogen worden waren. Das Poenitentiale des Erzbischofs Theodore sah für den Degen, der auf Befehl seines H e r r n mordete, nur sehr geringfügige Strafen v o r .1 Dagegen wurde derjenige, der in V e r f o l - gung einer Sippenrache gemordet hatte, ebenso wie ein M ö r d e r behandelt und verfolgt. D o r o t h y Whitelock nimmt an, d a ß diese Bestimmung des Poenitentiale ein Schock für die f r ü h e n Konvertierten gewesen sein m u ß . D e n n Rache z u nehmen w a r für den Germanen etwas ganz S e l b s t v e r s t ä n d - liches u n d N a t ü r l i c h e s . Blutrache m u ß t e nach altgermanischer Auffassung ü b e r a l l da geübt werden, wo der Sippenverband noch bestand, wo nur ein einziges M i t g l i e d der Blutsgemeinschaft am Leben war. D i e Sagas haben keinen anderen Gegenstand als die Rache, und sie kommen uns daher fremd und psychologisch wenig ü b e r z e u g e n d vor.

Tacitus sagt v o n den Germanen: "nichts, weder öffentlich noch p r i v a t ver- richten sie anders als i n Waffen." Jeder Freie hat Waffen z u führen, es gibt z u n ä c h s t keinen Unterschied zwischen N ä h r s t a n d und Wehrstand. D i e Fehdeberichte Islands mögen insofern nicht typisch für alle germanischen S t ä m m e sein, w e i l dort der Staat k a u m jemals ordnend und korrigierend in die Belange der Sippen eingriff. A b e r sicherlich sind die G r u n d k r ä f t e dieses Fehdewesens gemeingermanisch. Totschlag a u ß e r h a l b des Krieges war kein Verbrechen, konnte vielmehr eine h o c h g e r ü h m t e T a t sein. D e m Germanen ist nicht der T o d das Schlimmste, sondern der Z w a n g , sich der Rache z u enthalten. Wenn ein Mensch g e t ö t e t worden ist, so hat die Sippe Schaden erlitten, und das Sippenheil verlangt, d a ß der Schaden wiedergut- gemacht w i r d . M i t blindem H a ß rast jeder Betroffene gegen die feindliche

1 Vgl. Whitelock, Beginnings, S. 37.

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Sippe, und selbst Frauen, K i n d e r , Sklaven und Haustiere werden nicht geschont. D i e Rachlust richtet sich sogar gegen die G ö t t e r , wie man z. B . am Bjarki-Lied erkennen kann. B j a r k i , der Degen R o l f Krakes, stellt i n der Schlacht fest, d a ß die Eigenen unterliegen und der Feind das Feld be- herrscht. Diese Tatsache nimmt er aber nicht als unabänderliches F a k t u m hin, sondern e m p ö r t sich gegen den verantwortlichen G o t t und sagt ihm die Gefolgschaftstreue auf: " K ö n n t e ich ihn treffen, / den treulosen U n h o l d , / Schimpf und Schande / die Schlacht ihm brächte. / F a ß t e meine Faust / den falschen Ränkeschmied, / ich zerkrallte den Kriegsgott / wie die K a t z e die M a u s . "2

Rache ist also nicht nur eine Befriedigung des eigenen Wunsches nach G e - rechtigkeit, sondern eine grausame Pflicht, die auch dann ausgeführt wer- den m u ß , wenn sie dem eigenen Wunsch, der eigenen N e i g u n g v ö l l i g z u - wider läuft. D i e g r ö ß t e Schmach war es, wenn Rache nicht ausgeführt wer- den konnte, etwa, wenn ein M a n n aus Z u f a l l den Bruder g e t ö t e t hatte.

D e r alte K ö n i g H r e t h e l i m Beowulf stirbt v o r L e i d , weil ein Sohn den an- deren t ö t e t e und es daher keine Rache und auch keine E n t s c h ä d i g u n g durch Wergeid gibt.

A m erstaunlichsten ist, d a ß selbst i n unserem Jahrhundert noch zahlreiche Autoren mit sentimentalischem Blick i n die germanische Vergangenheit zurückschauen und den Verlust a l l der hohen Ideale dieser "reichen" Zeit beklagen. D e r g r o ß e Philologe Andreas Heusler schrieb ein Buch über Germanentum2; aus nahezu jeder Seite spricht die E n t t ä u s c h u n g über die Bekehrung und die W a n d l u n g des germanischen Geistes durch das C h r i - stentum:

Man kennt keine Erbsünde; keine Anschwärzung der Natur . . . Weichliche Genießer sind diese N o r d l ä n d e r wahrlich nicht; aber unbefangen bejahen sie die Lebensgüter: Reichtum, Macht, Ruhm. Der Ruhm, die "gute Nachrede nach dem Tode", ist dem Heiden, was dem Christen die ewige Seligkeit: das höchste Gut.

Es waltet eine gesunde Herrenethik, bejahend und hochgemut, ohne Kreuz- trägerei und Zerknirschung. In neueren Schriften liest man viel von der Verängstigung, der Lebensangst der germanischen Heiden; "Seelen- und Dämonenfurcht" habe mehr für sie bedeutet als das Vertrauen zu den freund- lichen Gottheiten. Die Belege hierfür wird man nur in kirchlich getönten Schriften finden. Für das kirchliche Auge ist der Heidenglaube Teufelsdienst,

2Zit. bei Gerhard Nebel, Die Not der Götter: Welt und Mythos der Germanen (Hamburg, 1957), S. 77.

: 1Kultur und Sprache, Bd. 8 (Heidelberg, 1934).

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von den Schrecken der H ö l l e umgeben. Was die fremde Lehre an Jenseitsangst und Büßerkleinmut in das Leben dieser Kriegerbauern hineintrug, das ging ganz anders an das Mark der Männlichkeit als das Gespenstergrauen des Hei- den und seine Beugung unter das blinde Schicksal.4

E i n z e l n e Abschnitte dieses Buches wurden bereits i n den 20er Jahren ge- schrieben, o b w o h l es als Ganzes erst 1934 erschien. Es zeigt jedoch, wie jene Ideologie des D r i t t e n Reiches viele Jahre f r ü h e r v o n achtlosen P h i - lologen bereits vorbereitet w u r d e .5 In der Zeit nach 1933 brauchen w i r nach ähnlichen Ä u ß e r u n g e n nicht zu suchen - sie werden zur Regel, und vielleicht war es sogar gefährlich, an deutschen U n i v e r s i t ä t e n eine gegensätzliche Lehrmeinung zu vertreten. Sehr viel interessanter ist die Z e i t nach 1945. D i e meisten werden annehmen, d a ß die sentimentale V e r e h r u n g der Germanen durch die letzte Ragnarök, die G ö t t e r d ä m - merung, den T o d e s s t o ß erhalten h ä t t e . A b e r dem ist keineswegs so. In einem Buch von G e r h a r d N e b e l , erschienen 1957, h e i ß t es z. B . :

Wir müssen . . . zunächst die wilde Größe dieser an Göttern und Vergottun- gen reichen, zum Opfer entschlossenen und über Schmerzen hinwegsteigenden Existenz auf unsere sparsame D ü r f t i g k e i t auftreffen lassen und dabei er- kennen, was uns fehlt: Offenheit für die Mächte, deren selige oder gequälte Beute der Germane in jedem Augenblick seines Daseins ist, ekstatische Ent- rückung, in der die Tiefe der Welt gewonnen wird, mythische Einheit von Kleinem und Großem, durch die der Mensch unter die Heroen gerät . . . Wir lernen von den Germanen, d a ß Leben teuer ist und teuer erkauft werden m u ß , mit Blut nämlich und Blutvergießen, und begreifen, wieviel an Kraft und Mut, an Adel und Geschmeidigkeit wir gegenüber dem alemannischen oder isländischen Bauern verloren haben, der umherspähend nie die Hand von der Axt ließ. Wir sind im technischen Komfort und in der Polizei-Seku- rität zu Mollusken entartet . . . Die Wohlfeilheit der Zivilisation ist eine Täuschung, das bequeme Leben fordert einen höheren Tribut als das primiti- ve. Der Germane bezahlte täglich und stündlich den Preis des Daseins, wir bleiben ihn schuldig, und bald ist die Rechnung so hoch aufgelaufen, d a ß nur noch Wasserstoffbomben sie begleichen k ö n n e n .6

'Andreas Heusler, Germanentum, S. 103.

5V g l . K . O . Conrady, "Deutsche Literaturwissenschaft und Drittes Reich", in:

Germanistik - eine deutsche Wissenschaft, Beiträge von E . Lämmert, W. Killy, K . O. Conrady und P. v. Polenz (Frankfurt, 1967).

'Gerhard Nebel, Die Not der Götter, S. 89 f.

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K A P I T E L II

F o r m und Wesen der a n g e l s ä c h s i s c h e n Dichtung

Die Manuskripte

N u r ein Bruchteil der über Jahrhunderte hinweg tradierten altenglischen Dichtung wurde wahrscheinlich aufgeschrieben; noch weniger blieb i n den vier hauptsächlichen Manuskripten erhalten. D i e mündlich überlieferte und deshalb s t ä n d i g e r U m f o r m u n g unterworfene heidnisch-heroische D i c h - tung wurde von den z u jener Zeit einzig Schreibkundigen, den K l e r i k e r n , aufgezeichnet und meist christlich eingefärbt und umgedeutet. W a h r - scheinlich sind zahlreiche Manuskripte w ä h r e n d der D ä n e n e i n f ä l l e gegen Ende des 8. Jahrhunderts vernichtet worden, in den nachfolgenden Jahr- zehnten beschränkte sich die schriftliche Oberlieferung bisher mündlich tradierter Dichtung zudem auf das v o n K ö n i g A l f r e d beherrschte Gebiet westlich der L i n i e London-Chester. Überdies bildete sich eine westsächsi- sche Gemeinsprache aus, die sich gegen Ende des 10. und A n f a n g des 11.

Jahrhunderts über ganz E n g l a n d ausbreitete. D i e K o i n e wurde für die gesamte Dichtung verwendet, erhalten i n den vier Hauptmanuskripten:

Beowulf-Manuskript, Exeterbuch, Junius-Manuskript und V e r c e l l i - M a - nuskript.1 In den westsächsischen Texten tauchen zahlreiche anglische R e - likte auf, die darauf hindeuten, d a ß die Vorlagen vermutlich aus dem er- sten Viertel des 8. Jahrhunderts, der Zeit Bedas, stammen. So nimmt man v o m Beowulf-Dichter an, d a ß er K a p l a n am königlichen H o f e w a r und entweder zur Zeit Bedas in N o r d h u m b r i e n oder i n Merzien i m späten 8.

Jahrhundert gelebt hat.2

Eine Kette von Zufällen hat die vier hauptsächlichen Handschriften vor

^iese Manuskripte wurden von George P. Krapp und Elliott V . K . Dobbie als Anglo-Saxon Poetic Records (New York, 1931-53), 6 vols., ediert: I. Junius MS, II. Vercelli Book, III. Exeter Book, IV. Beowulf and Judith, V . Paris Psalter und Meters of Boethius, V I . Anglo-Saxon Minor Poems.

2V g l . Dorothy Whitelock, The Audience of Beowulf (London, 1951), S. 21-33.

L. L . Schücking, "Wann entstand der Beowulf? Glossen, zweifei und fragen", PBB, 42 (1917), 347-410, plädierte dagegen für 900. Vgl. R. W. Chambers und C . L . Wrenn, Beowulf, S. 486 ff. und 528 ff.

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der Vernichtung bewahrt. D i e abenteuerliche Geschichte des B e o w u l f - M a - nuskripts ist d a f ü r ein Beispiel. D i e Handschrift wurde v o n zwei Schrei- bern angefertigt; v o m ersten stammen die ae. Prosastücke und der Beowulf bis Zeile 1939, v o m zweiten der Rest des Epos u n d das Judith- Fragment. A u f der ersten Seite der Handschrift oben steht die Jahreszahl 1563 u n d der N a m e des Verfassers des ersten ae. Wörterbuches, Laurence N o u e l l (gest. 1576), der das M a n u s k r i p t aus einem aufgelösten Kloster rettete; über die n ä h e r e n U m s t ä n d e ist allerdings nichts bekannt. W ä h r e n d des 17. Jahrhunderts befand sich der Text i n der Bibliothek des Antiquars Sir Robert C o t t o n . A l s i m Jahre 1731 ein nächtliches Feuer viele wertvolle Dokumente der Sammlung zerstörte, wurde das Beowulf-Manuskript glücklicherweise nur leicht beschädigt. D e r I s l ä n d e r T h o r k e l i n fertigte w ä h r e n d seines Englandbesuches 1786-97 eine K o p i e an und ließ den Text ein weiteres M a l durch einen allerdings des Altenglischen Unkundigen ab- schreiben. Anmerkungen und Ubersetzung des Beowulf wurden w ä h r e n d des englischen Angriffs auf Kopenhagen 1807 vernichtet; dagegen wurde der T e x t gerettet und 1815 ediert. A u f dem Faksimile und den Transkrip- ten Thorkelins basieren die modernen Ausgaben v o n Chambers, Klaeber, W r e n n und Dobbie.

T r o t z d e m gibt das Beowulf-Manuskript, ebenso wie die übrigen H a n d - schriften, i m H i n b l i c k auf die richtige Textgestalt zahlreiche Rätsel auf.

D a nur wenige altenglische Dichtungen i n z w e i Manuskripten überliefert wurden, l ä ß t sich durch einen Vergleich die richtige Lesart meist nicht fin- den. D i e Textunterschiede zwischen den Daniel- b z w . Ataxias-Versen, den beiden Versionen des Salomon and Saturn oder den zahlreicheren K o - pien v o n Csedmons H y m n u s geben jedoch zu erkennen, d a ß die Schreiber häufig, w o h l aus Nachlässigkeit oder W i l l k ü r , W ö r t e r e r g ä n z t e n , weglie- ßen oder ersetzten, Umstellungen vornahmen oder ganze Zeilen abzu- schreiben v e r g a ß e n .3 Zeitweise war man wie R . P . W ü l k e r i n der Biblio- thek der angelsächsischen Prosa b e m ü h t , die Lesungen der Manuskripte möglichst getreu wiederzugeben (vgl. V o r w o r t z u B d . I, 1883); zeitweise emendierte man ohne Rücksicht auf die H a n d s c h r i f t e n a u t o r i t ä t , wie z. B . B j ö r k m a n i n seiner Ausgabe des me. Morte Arthure (1915); stets jedoch glaubte man Interpolationen s p ä t e r e r Abschreiber erkennen zu k ö n n e n , etwa i m ältesten D e n k m a l englischer Dichtung, dem Widsith. Was die Texte anbetrifft, so steht das Studium der ae. Literatur auf t ö n e r n e n F ü - ßen. Kenneth Sisam sagt: "When, as is usual for O l d English poetry, only

3V g l . dazu Kenneth Sisam, "The Authority of Old English Poetical Manuscripts", Studies in the History of Old English Literature (Oxford, 21962), S. 29-44.

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