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Grußwort bei der Tagung der Initiative Christlicher Orient (ICO) zum Thema „Israel – Palästina – Jordanien: Leben im Konflikt und im Miteinander“ (19. / 20. September) im Bildungshaus St. Virgil in Salzburg.

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Leben im Konflikt und im Miteinander

Grußwort bei der Tagung der Initiative Christlicher Orient (ICO) zum Thema „Israel – Paläs- tina – Jordanien: Leben im Konflikt und im Miteinander “

19. September 2016, Bildungshaus St. Virgil, Salzburg

Im September 2015, also vor einem Jahr erreichte die Fluchtbewegung durch Österreich ihren Höhepunkt. Politik und Zivilgesellschaft, Hilfsorganisationen und Polizei, Kirchen, Caritas und Diakonie, Religionsgemeinschaften und säkulare Gruppen wirkten zusammen, wie es kurz da- vor noch nicht vorstellbar war. Die ÖsterreicherInnen zeigten Herz und Hirn, sie legten Hand an und gingen auf die Flüchtlinge zu. Diese Grundhaltung und Stimmung ist nicht einfach weg, aber sie doch einiges an Rückhalt in Kreisen der Bevölkerung verloren. Das: „Wir schaffen das!“ ist einem: „So etwas darf nicht wieder passieren gewichen.“ – „Rund 120.000 einheimi- sche Christen strömten in jenen Tagen [Sommer 2014] in Kurdistans Hauptstadt. (Dass ähnli- che Kolonnen nur ein Jahr später bis nach Europa reichen würde, habe ich mir damals nicht vorstellen können.) Die ganze Stadt hat mitgeholfen, ihnen eine Unterkunft zu bieten und sie halbwegs zu versorgen. Überall wurden Schlafstätten eingerichtet: in Sporthallen, Schulen, leer stehenden Häusern, Bauruinen, Parkgaragen und in unseren Kirchen. Doch diese waren bald so überfüllt, dass viele Menschen keine andere Wahl hatten als nächtelang auf Pappkar- tons in den Straßen und Parks zu übernachten. Ich sah Tausende von wandelnden Körpern, deren Gesichtsausdruck wie erloschen schien. Als ich in den darauffolgenden Wochen haut- nah ihr Elend miterlebte, verspürte ich Augenblicke von Ohnmacht und Verzweiflung. Einer- seits war ich für sie der vertraute „Abuna“, der Vater, der ihnen in großer Bedrängnis tröstend zur Seite stand, andererseits das Kirchenoberhaupt, von dem sie vielleicht Wunder erwarteten.

Mein Dasein als Patriarch war gerade jetzt in diesen dunklen Stunden eine besonders schwere Herausforderung. In Momenten der Übermüdung kam mir gelegentlich sogar der Gedanke, mein Amt abzugeben. Ich malte mir schon in den düstersten Farben das herannahende Ende des Christentums im Land aus. Sollte ich womöglich der letzte Patriarch der Chaldäer auf irakischem Boden (66) sein? Die entsetzliche Verjagung aller Christen aus Mosul und aus den meisten christlichen Ortschaften der Ninive-Ebene – unserer Urheimat – ist für mich die größte Tragödie meines bisherigen Lebens.“1

„Man muss sich in die Situation dieser Menschen hineinversetzen, um die Gemütsbewegun- gen zu verstehen, die der Anruf ausgelöst hat. Sie haben eher in Kauf genommen, ihre Heimat zu wechseln, als ihren christlichen Glauben. In diesem Bewusstsein haben sie ihr Leben aufs Spiel gesetzt, ihr ganzes Hab und Gut hinter sich gelassen und den Kreuzweg der Flucht ins Ungewisse auf sich genommen. Und das im Land ihrer eigenen Vorfahren. Nun befinden sie sich vor einem völligen Neubeginn, aber noch gänzlich ohne Perspektive.“ (73)

(94) „Wenn man wirklich wollte, könnte der „Daesh“ in einigen Wochen der Vergangenheit angehören. Doch die Verlautbarungen aus dem Pentagon lassen die Interessenlage unmiss- verständlich erkennen: „Fünf bis zehn, wenn nicht sogar zwanzig Jahre werde der Kampf ge- gen den IS dauern“ – so die Kernaussage eines ranghohen Militärsprechers im Sommer 2015.

Die Botschaft an die Terrormiliz ist klar: Der Fortbestand des „IS“ wird geduldet. Die Wahrung

1 Louis Raphaël Sako, Marschiert endlich ein! Stoppt die Ermordung der Christen im Nahen Osten. Ein Aufschrei aus Bagdad, Freiburg/Br. 2016, 64f.

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gewisser Interessen ist wichtiger als das Überleben der Christen. Ist (95) unsere Auslöschung also schon beschlossene Sache?“

(97) „Das vom „IS“ beherrschte Gebiet sei ‚in die Fänge des Teufels geraten! Dort herrscht die Totalität des Bösen‘– so beschrieb der erfahrene und schwer gezeichnete italienische Kriegs- reporter Domenico Quirico seine Eindrücke nach seiner Befreiung aus einer mehrwöchigen

„IS“-Gefangenschaft: ‚Ich habe noch nie vorher und nirgendwo sonst ein so absolutes Fehlen von Barmherzigkeit, Mitleid und Respekt gegenüber dem leidenden Anderen gesehen.‘“

Dringender Appell von Patriarch Sako: „Lasst uns nicht im Stich! Wir schaffen es nicht alleine.“

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Die Initiative Christlicher Orient (ICO) will informieren, besuchen, helfen und auch beten. Die differenzierte und wahrhaftige Information ist deshalb so wichtig, weil die Kriege immer auch Propagandakriege sind. Es ist auch ein Krieg der Bilder, des Vergessens, des Verschweigens, der Halbwahrheiten, der Lüge.

Über die Situation im Irak2: Der Zerfall des irakischen Staates seit der US-geführten Invasion 2003 gefährdet das Miteinander der einzelnen Gruppen und bedroht damit massiv die religiöse und kulturelle Pluralität. Für den Gesamtirak bedeutet dies: Lebten zu Anfang des Jahrtau- sends noch über eine Million Christen im Land, waren es 2014 – vor dem Vormarsch des sogenannten Islamischen Staats in Mossul und der christlich geprägten Niniveh-Ebene – noch schätzungsweise 300000. Seither sind weitere 130000 Christen auf der Flucht, und von den Menschen in den Lagern tragen sich viele mit dem Gedanken, das Land auf immer zu verlas- sen und Anschluss zu finden bei Verwandten und Freunden in Nordamerika, Europa oder Australien. (14)

Über die Situation in Syrien: In Syrien stehen Christen und andere Minderheiten vor einem ähnlichen Dilemma: Von Beginn des Konflikts an haben Kirchenführer vor einem Staatszerfall in Syrien ähnIich wie im Irak gewarnt. In dem Chaos zwischen verfeindeten bewaffneten Grup- pen drohen Minderheiten zerrieben zu werden. Die Zunahme von Milizen mit islamistischem Hintergrund tut ein Übriges, um die Sorgen zu schüren. Leider meist zu Recht: Nicht erst seit der Ausbreitung des sogenannten Islamischen Staates im Norden und Nordosten des Landes werden Christen bedrängt oder vertrieben. Berichte darüber gibt es schon seit 2012, als Grup- pen wie die Jabhat al-Nusra zu Lasten der säkularen Opposition an Einfluss gewannen und weite Teile der Provinz Idlib unter ihre Kontrolle brachten. Dort wurden die Freiheiten der Chris- ten stark eingeschränkt, die öffentliche Feier von Gottesdiensten und das (15) Läuten der Kirchenglocken verboten, islamische Bekleidungsvorschrift en durchgesetzt und mehrfach Priester und Ordensleute verschleppt oder verhaftet, die sich dann vor islamischen Scharia- Gerichten verantworten mussten. Die Botschaft ist eindeutig: Christen sind vielleicht noch ge- duldet, aber keineswegs erwünscht und je eher sie gehen, desto besser. Die Entführung von Kirchenführern - die bekanntesten Beispiele sind der syrisch-orthodoxe Erzbischof von Aleppo, Gregorios Yuhanna lbrahim, und sein griechisch-orthodoxer Amtskollege, Paul Yazigi, sowie der italienische Ordensmann Paolo dall'Oglio - haben die christliche Bevölkerung massiv ver- unsichert: Niemand ist sicher! Zwei Drittel der Christen sollen inzwischen die heftig umkämpfte Großstadt Aleppo verlassen haben, früher ein Zentrum des Christentums in Syrien. Stabilität ist das Wichtigste, nicht nur für die Christen. So äußerte sich bereits vor einiger Zeit der sy- risch-orthodoxe Erzbischof von Damaskus, Dionysius Jean Kawak: „Mir missfällt es, immer

2 Matthias Vogt, Ende der religiösen Pluralität? Zur Zukunft der Christen im Nahen und Mittleren Osten, in: Herder Korrespondenz 1/2016, 13-16.

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nur von der Lage der Christen in Syrien zu sprechen. Alle in Syrien - und unter ihnen auch die Christen – leiden unter dem Mangel an Stabilität im Land! Allerdings kann ich nicht leugnen, dass die Christen etwas mehr leiden als die anderen, weil sie außerdem noch eine Minderheit sind und es immer mehr islamischen Extremismus gibt.“ (16)

„Auf den Saiten der religiösen Unterscheidung zu spielen in einer Gesellschaft, die Religion und Staat nicht trennt, ist eine tödliche und effektive Waffe“, warnt der Generalsekretär des ökumenischen „Middle East Council of Churches", Michel Jalakh. Ist somit die Frage nach der Zukunft der Christen im Nahen Osten richtig gestellt? Der maronitische Patriarch Béchara Raï, rückt sie zurecht: Was ist die Zukunft des Nahen Ostens überhaupt? Ihm geht es darum, die nahöstliche Identität als Ganzes, die Christen, Muslime und andere über Jahrhunderte ge- meinsam aufgebaut haben, zu erhalten. „Die Kirche ist seit mehr als 2000 Jahren im Nahen Osten präsent. Wir haben mit den Muslimen eine gemeinsame Kultur errichtet, ihnen christli- che Werte weitergegeben und Werte von ihnen empfangen“, so Kardinal Raï. Die multikonfes- sionelle Kultur werde zwar von den politischen Umständen mitbestimmt, aber solange die Kir- che „Hefe im Teig“ ist, werde auch die religiöse Vielfalt nicht enden.

Die Christen brauchen, so ein christlicher Stadtrat in Kirkuk, um bleiben zu können, einen Platz in der Gesellschaft, d. h. sie brauchen eigene Schulen, Medien, Krankenhäuser. Die Zukunft der Ortskirche hängt von mehreren Komponenten ab: Spiritualität, Bekenntnis, Ethos, Politik, Wirtschaft, Bildung, Lebensbedingungen, Gestaltungsmöglichkeiten. Hilft beten? „Natürlich hilft beten. Seid doch nicht so blind, das hat mit uns selbst, unseren Wünschen zu tun, die wir nicht eintauschen können gegen den Dreck, den sie uns ständig anbieten. Natürlich hilft be- ten.“ (Dorothee Sölle) Im Gebet können wir vom Zwang und Krampf der Selbstbehauptung loslassen und vom Gott den Grund der eigenen Rechtfertigung und Freiheit empfangen. Im Gebet vollzieht sich die Aussöhnung des Menschen mit den Trümmern seiner eigenen Ver- gangenheit, mit begangenen Fehlern und Schuld. Gebet befreit vom selbstverliebten Kreisen um das eigene Ich, es bricht die Resignation und Verzweiflung auf. Wer bittet, hat sich selbst und die anderen noch nicht aufgegeben. Gebet lebt aus der unverbrüchlichen Hoffnung, dass bei allem Scheitern nicht das letzte Wort gesprochen ist. Solange der Mensch betet, gibt er nicht auf. Wie der Mensch betet, so lebt er auch.

Gebet um Frieden

Herr Jesus Christus, du willst, dass die Menschen miteinander in Frieden leben.

Wir bitten dich besonders für den Nahen Osten mit Syrien und dem Irak.

Zeige den Politikern, wie sie zum Frieden beitragen und neue Kriege verhindern können.

Lass nicht zu, dass wir in Hass und Feindschaft leben.

Hilf uns vielmehr, Frieden zu stiften, wo Zwietracht herrscht.

Der du Frieden gestiftet hast am Kreuz durch dein Blut.

Amen.

+ Manfred Scheuer Bischof von Linz

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